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Als er um acht Uhr im Speisesaal erschien, fand er keine allzu große Gesellschaft versammelt. Außer den Damen und Herren, die er bereits kannte, war noch etwa ein Dutzend Personen anwesend. Die Damenwelt demselben Sprengel entstammend wie Mrs. Blythe und Mrs. Manderlane. Frauen des Luxus, übersättigt, die nichts mehr mit ihren Gefühlen und Trieben anzufangen wußten. Die Männer nicht viel anders. Vielleicht der eine oder der andere kultivierter als der Durchschnitt. Aber auch sie Menschen, die das Lebenstempo, das sie selbst anschlugen, nicht durchzustehen vermochten. Das eine oder andere ausgesprochene Trinkergesicht. Und unter den Frauen wie unter den Männern Erscheinungen – – Hasse wußte nicht viel von diesen Dingen. Aber er sah sich diese Menschen an. Wie hatte der Amerikaner gesagt? Es gibt noch andere Räusche ….

Paare hatten sich gebildet. Augenscheinlich war es nicht Brauch im »Haus der Tausend Laster«, allein zu sein. Eine gewisse Freizügigkeit herrschte im Ton der Unterhaltung, die Hasse zuerst verblüffte. Alle schienen alle zu kennen.

Das neue Mitglied der unheimlichen Gemeinde wurde beifällig ausgenommen. Neid, Eifersucht und Neugierde kannte man hier nicht. Immerhin Vorzüge, die bei einer moralischen Gesellschaft sehr oft unangenehm wirken. Hier war jeder das, was er sein und was er tun wollte. Die Damen fanden sogar diesen langen, hageren Mann mit den tiefliegenden Augen und dem grauen Haar interessant. Der alte Zauber des wilden Sprauhn ….

Ein ausgezeichnetes Diner. Weine, deren Kultur auf fachmännische Behandlung schließen ließen. Tadelloses Service. Dazu eine sehr diskrete Musik. Hasse fühlte sich sogar wohl. Das Essen schmeckte ihm, der Wein mundete; die Frauen waren alle hübsch, liebenswürdig, die Männer intelligent, unterhaltsam.

Gegen zehn Uhr erschien der Herr des Hauses, in einem Frack, der ein wahres Meisterwerk der Schneiderkunst war. Die Damen umschwärmten ihn, und Hasse mußte sich gestehen, daß de Reux innerhalb des Rahmens, den er sich geschaffen hatte, tatsächlich allen anwesenden Männern überlegen war. Ihm selbst gegenüber war er von einer Liebenswürdigkeit, die so natürlich wirkte, daß selbst Hasse einen Augenblick lang schwankend wurde. Der Mann verstand die schwierige Kunst, Menschen so zu nehmen, wie sie genommen werden mußten; und er machte von dieser Begabung auch Hasse gegenüber vollauf Gebrauch.

»Ich habe es mir lange überlegt«, sagte er zu dem Mann, von dem er wußte, daß es sein Todfeind war, »Sie in mein Haus zu laden. Sie machen mir den Eindruck, als hätten Sie Schweres hinter sich …. Meine Nichte ist derselben Meinung. Sie wissen, daß Frauen in solchen Dingen eine viel bessere Witterung haben als wir Männer. Ich hatte zuerst Bedenken, Sie würden sich vielleicht in diesem lockeren Milieu nicht wohlfühlen. Ein Kloster unterhalte ich hier nicht, Herr Hasse. Ich will eben die Leute die triste Zeit vergessen lassen. Ich fühle mich beinahe so wie ein Arzt – –«

»Als Wohltäter?« konnte Hasse sich nicht enthalten, zu fragen.

»Als Wohltäter? Nein. Wohltaten erweise ich nicht. Wir wollen ganz ehrlich sein, Herr Hasse: Ich denke dabei nur an mich; ich will ein Geschäft machen, ein gutes Geschäft. Ich amüsiere meine Gäste; dafür lasse ich sie bezahlen. Nicht wie in einer Karawanserei: Hier ist alles lautlos, hinter Vorhängen, wenn Sie wollen …. Sie sind bei mir zu Hause, geistig und körperlich. Verstehen Sie? Und ich hoffe, Herr Hasse, Sie werden sich rasch eingewöhnen!« Ein letzter Händedruck, ein wohlwollendes Lächeln, und de Reux widmete sich den anderen Gästen.

Lady Evelyn Corsby, vierzigjährig, Witwe eines Diamantenmagnaten aus Südafrika, nahm ihn vorläufig für sich in Beschlag. Sie war die einzige Frau, die kein Schmuckstück trug; man erzählte sich aber, sie habe märchenhafte Steine in ihrer Juwelenkassette.


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