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7

Eine Viertelstunde später saßen sie in einem Boot, das sie rasch aus dem kleinen Monakoer Hafen hinausführte. Robert Hasse lehnte, lang ausgestreckt, im Bug und schaute starr geradeaus. Für das wunderbare Bild, das sich seinen Augen bot, hatte er keinen Blick.

Nicht lange die Fahrt. Schon von weitem sah man aus den Olivenhainen am Kap Martin die weißen Pillen aufsteigen. Der mächtige Kasten des Grand-Hotel reckte sich in die Höhe. Daneben, kokett, spielerisch, die zierliche Villa Cyrnos, die einst der Kaiserin Eugenie gehörte. Nicht weit davon der Marmorpalast, den sich Mr. Jeremy Plunkett aus Boston für die der Bank abgenommenen vier Millionen Frank erbaut hatte. Auf sie hielt das Boot zu.

»Wir wollen nicht allzu nahe heran«, meinte Dale. »Herr de Reux liebt es nicht, wenn man in seine Geheimnisse späht. Und es wäre auch vom Übel, wenn man Sie von der Villa aus neben mir erkennt. Herr de Reux hat ein sehr gutes Gedächtnis für Personen, die ihm verdächtig erscheinen.«

Das Boot verlangsamte die Fahrt und glitt in einer Entfernung von etwa zweihundert Metern an dem wunderschönen Park der Villa vorüber. Ein Leben gewordener Marmortraum – das war sie. Schlanke Säulen trugen weit ausladende Altane, und breite Stufen führten zum Garten herab, in dem etwas zu sehen war, das sonst die Riviera nicht häufig bot: ein üppiger grüner Rasen. Sauber gepflegte Wege wanden sich zwischen Palmen und Aloen bis zu den Uferfelsen herab, an die, leise verrauschend, die Wellen schlugen.

Im Garten bewegten sich Personen. Damen waren zu erkennen, einzelne Herren; zwei Diener sah man, die Erfrischungen reichten. Etwas abseits von der Villa erhob sich ein kleineres Gebäude, bescheidener im Aussehen, nicht so protzig und prunkend.

»Hier wohnt Herr de Reux mit seiner Nichte«, erklärte Dale. »Wenn Sie genau hinsehn, werden Sie die Hecke erkennen, die den Garten der großen Villa abschließt. Durch diese Hecke kommt niemand, dem Herr de Reux es nicht gestattet.«

Sie hatten den Garten bereits passiert und näherten sich der Spitze des Kaps. Hasse drehte sich noch einmal zurück. »Das Ganze macht aber einen sehr angenehmen Eindruck. Ich glaube, man muß sich im Haus des Herrn de Reux wohlfühlen.«

Dale beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: »Stimmt! Wissen Sie, wie man das Haus nennt? Das ›Haus der tausend Laster‹!«

Man fuhr bis zu dem kleinen Anlegeplatz an der östlichen Seite des Kaps. Dort mußte der Bootsmann warten, und feine beiden Gäste stiegen aus. Durch den Olivenhain führt Dale Hasse am Garten des Grand-Hotel vorbei zu der Villa Plunkett. Von der Straße aus, die sich ziemlich hoch oben am Kap hinzieht, war nicht viel von ihr zu sehen. Eine hohe Mauer sperrte den Part ab, und mächtige alte Bäume vervollständigten diesen Schutzwall. Ein großes Gittertor führte in den Besitz. Doch es war verschlossen und durch eiserne Planken undurchsichtig gemacht. Herr de Reux sorgte dafür, daß seine Gäste bei ihren Genüssen unbeobachtet und unbelästigt blieben.

Die beiden Männer schlenderten langsam an der Mauer vorüber, gingen noch ein Stück weiter und kehrten dann um. »Ich erinnere mich –«, sagte Dale. »Als ich noch Reporter beim »New York Herald« war, schickten sie mich 1911 nach Saloniki, um eine Story über die Villa Allatini loszulassen, in der die Jungtürken den Sultan Abd ul Hamid gefangenhielten. Zweihundert türkische Pfund gab ich für Bakschisch aus. Dreimal ließ ich mich von den Gendarmen anschießen – hineingekommen bin ich nicht. Und, Herr Hasse, ich will Ihnen etwas anvertrauen: Eher kommt man in die Villa Allatini als in die Villa Plunkett!«

»Ich werde hineinkommen! So oder so!«

Dale warf einen Seitenblick auf den Mann neben sich, der ihn um anderthalb Köpfe überragte. Er grinste nicht. Er glaubte einfach das, was er da hörte.

Sie bestiegen ihr Boot und traten die Rückfahrt an. Als sie um das Kap bogen und des Gartens ansichtig wurden, schoß hinter der kleinen Mole, die sich vor der Besitzung de Reux' ins Meer erstreckte, ein Ruderboot hervor. Eine Frauengestalt saß in ihm, und als sie näher herankamen, erkannten sie, daß es ein junges Mädchen war, das so energisch und kräftig die Ruder handhabte. Ihr Gefährte war ein kleiner irischer Terrier, der vorn im Bug saß und mißtrauisch die Umwelt musterte, ob nicht von irgendeiner Seite her Gefahr für seine Herrin drohe.

Plötzlich zog die junge Dame die Ruder ein, richtete sich auf und streifte mit wenigen Griffen ihr Kleid ab. Eine jugendschlanke Gestalt im Schwimmkostüm zeigte sich. Einen Moment balancierte sie auf dem Sitzbrett, dann schnellte sie mit graziösem Kopfsprung ins Wasser. Der Terrier stellte sich an den Rand des Bootes, besah sich mit schief gelegtem Kopf die Situation, schwankte zwischen Pflicht gegen Herrin und Abscheu gegen Wasser, gab sich einen Ruck und setzte der Herrin nach. Mit wütendem Gekläff umkreiste er sie, wie wenn er sie von der Narrheit ihres Vorhabens überzeugen wolle. Sie aber lachte zu der Aufregung des kleinen Gesellen, spritzte ihn mit Wasser an und tollte umher wie jemand, der sich im feuchten Element zu Hause fühlt.

Dales verkniffenes Gesicht legte sich in schmunzelnde Falten. »Glück muß man haben! Wenn ich ehrlich sein soll, gefällt mir die junge Dame im Trikot noch besser als in den eleganten Toiletten, in denen sie sich sonst präsentiert. Ist sie nicht hübsch?«

Das nächste Wort blieb ihm in der Kehle stecken, so überrascht war er. Sein Klient, der für ihn bis jetzt der steinerne Mann gewesen war, saß da, wie aus der Trance erwacht. Weit vorgebeugt, starrte Hasse auf das junge Mädchen, das mit dem Hund im Wasser spielte. Dunkle Röte war ihm ins Gesicht gestiegen, das sonst eine so bleiche, ungesunde Farbe zeigte. Die langen Hände krampften sich zusammen. Erregung, kaum noch zu meistern, hatte ihn gepackt.

»Das ist sie!« sagte Dale. »Die Nichte des Herrn de Reux!«

Es kostete Hasse einige Anstrengung, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Das Blut, das ihm ins Gesicht geströmt war, verebbte. Hart, eckig wurden die Züge, die eben noch von wild pulsierendem Leben erfüllt gewesen. Seine Hand griff nach der Zigarettendose. »Ja – ich kenne sie«, sagte er langsam. »Fahren Sie schneller!« gebot er dem Mann am Steuer. Das Boot sprang vorwärts. Das Kap mit seinen weißen Villen verschwand. Nicht einen Blick warf der Mann nach dem Mädchen und dem Hund im Wasser zurück ….


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