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XXX.
Als freier Mann …

Elisabeth hat sich eben nach dem Hintergrund des Parkes zurückgezogen, um allein zu sein. Die Kinder sind ja aufs beste aufgehoben bei ihrem Vater und den beiden alten Damen, die mit ihnen spielen.

Da hat sich Elisabeth leise fortgestohlen. Ihr ist noch ganz wirr im Kopf von dem, was Herr v. Schlomm ihr vorhin mitgeteilt hat. Sie fühlt das dringende Bedürfnis nach Ruhe und Alleinsein, um in Gedanken damit zurechtzukommen.

Nachdenklich wandelt sie ganz am Ende des Parks unter uralten Bäumen auf und ab, als sie plötzlich ihren Namen rufen hört.

Ihren Namen – gerufen von einer geliebten Stimme, die einen seltsam jubelnden Klang hat … »Elisabeth …!«

Wie vom Blitz getroffen bleibt sie stehen und blickt dem Kommenden erschrocken entgegen.

Ronald …? Was führt ihn jetzt am Vormittag hierher? Und was bedeutet dieser jubelnde Ton … dieser leuchtende Blick, der sie schon von weitem grüßt …?

Da ist er auch schon bei ihr, und Elisabeth fühlt sich von seinen Armen umschlungen, ehe sie recht zur Besinnung kommen kann. Stürmische Küsse regnen auf sie nieder, heiße Liebesworte werden in ihr Ohr gestammelt, seine Lippen pressen sich immer wieder auf die ihren, auf ihre Augen, ihr Haar – sein Mund lacht glückselig, in seinen Augen stehen Tränen.

»Geliebtes … einzig Geliebtes … Du! Du …!«

Mit Mühe gelingt es Elisabeth endlich, sich seinen stürmischen Armen zu entwinden und einen Schritt zurückzutreten.

»Herr v. Schlomm, es ist mir unbegreiflich, wie Sie es wagen können …«

» Herr v. Schlomm! Wie das klingt von deinen Lippen!« unterbricht Ronald sie lachend. »Und wie süß dir die strenge, tadelnde Miene trotzdem steht …! Aber verzeih … du kannst ja noch nicht wissen, daß ich als freier Mann zu dir komme! Edine selbst hat das Band gelöst, das mich an sie kettete. Sie hat eine wünschenswertere Partie gefunden und ist jetzt die Braut des Prinzen Kelim. Begreifst du nun, Geliebte, daß ich auf diese Nachricht hin alles liegen und stehen ließ, zu dir eilte und mich gebärdete wie ein toller Junge? Ich konnte einfach nicht anders – als dich zuerst mal in die Arme zu nehmen und deine süßen Lippen zu küssen, die ich geglaubt hatte, nie im Leben berühren zu dürfen!«

Frei! Er ist frei und er liebt sie … Der Gedanke überwältigt auch Elisabeth so stark, daß sie keines Wortes mächtig ist. Nur in ihren schönen dunklen Augen spiegelt sich strahlend das Glück wider, das ihre Seele durchflutet …

Ronald legt zärtlich den Arm um ihre Schulter und führt sie zur nächsten Bank, auf der sich beide niederlassen.

»Unsere Liebe hat bisher immer nur schweigen müssen,« flüstert er bewegt, »nun laß uns reden von ihr … endlich reden …!«

Unter Küssen und Kosen wird dies unerschöpfliche Thema erörtert, bis Ronald sich plötzlich lachend unterbricht: »Hast du je einen so unverschämt dreisten Burschen wie mich gesehen, Liebste? Da baue ich die schönsten Luftschlösser in die Zukunft, rede von baldiger Hochzeit und einem traulichen Heim und hab' dich noch nicht einmal gefragt, ob die hochgeborene Gräfin den Seifensieder überhaupt nehmen will

Elisabeth legt den silberblonden Kopf an seine Brust und blickt übermütig lächelnd in die geliebten grauen Augen über sich.

»Danach brauchtest du nicht erst zu fragen, weil du es nur zu gut selber weißt!«

»Und deine Angehörigen? Werden sie sich mit einem Seifenfabrikanten für dich zufrieden geben?«

»Wenn er mich liebt und ich ihn liebe – ganz gewiß, denn sie wollen nur mein Glück.«

Es geht auf Mittag. Die beiden auf der einsamen Bank am Parkende wissen es nicht, denn ihnen ist Zeit und Welt versunken …

Die anderen aber, die bisher eifrig Federball mit den Kindern auf dem Rasenplatz hinter dem Haus gespielt haben, bemerken endlich Elisabeths Fehlen, und Inge wird ausgeschickt, sie zu suchen.

Mit großen Augen, förmlich erschrocken, bleibt das Kind stehen, als es bei einer Wegbiegung plötzlich die Bank mit dem engverschlungenen Paar vor sich sieht.

Der große Bruder und Tante Lisa – die sich küssen! Was soll das bedeuten? Inge wagt sich vor Bestürzung nicht zu rühren.

Aber Elisabeth hat sie schon bemerkt, eilt errötend auf sie zu und umarmt sie.

»Freu' dich mit mir, Inge, denn nun bleiben wir für immer beisammen – ich werde Ronalds Frau!«

Das Kind sieht sie einen Augenblick scheu an und bricht dann in heftiges Weinen aus.

»Aber Inge – du weinst? … Was soll das bedeuten? Freust du dich denn nicht?«

»Nein … gar nicht … kein bißchen freu' ich mich …« stößt das Mädchen schluchzend heraus. »Denn jetzt wirst du nur Ronald liebhaben und uns gar nicht mehr!«

»Süßes, dummes Mädelchen du! Kann man nicht alle Menschen liebhaben, die einem nahestehen? Kein bißchen weniger liebhaben werde ich euch als bisher! Im Gegenteil – noch viel, viel mehr! Und nun wirst du ja meine kleine Schwester – macht dich das nicht froh?«

»Ja, schon, aber wirst du uns wirklich liebbehalten?«

»Ich schwöre es dir! Hab' ich etwa schon gelogen? Nun also! Siehst du! Jetzt gibst du mir und Ronald einen schönen Kuß und dann gehen wir zu den anderen. Sie haben dich gewiß nach mir geschickt?«

»Ja, weil es bald Zeit zu Tisch ist.«

»Ist euer Papa noch hier?«

»Gewiß, Großmama hat ihn ja gebeten, zum Essen zu bleiben.«

»Schön, dann wollen wir sie gleich mit unserer Neuigkeit überraschen!«

Elisabeth legt den Arm auf den Ronalds und nimmt Inges Hand, und so kehren alle drei zum Haus zurück.

Dort gibt es zunächst ebenfalls große Augen, dann aber, nachdem Ronald und Elisabeth die nötigen Erklärungen gegeben haben, frohe, strahlende Gesichter.

»Na, gottlob, glücklich siehst du ja aus, und nun ist mir so manches auch erst klar geworden,« sagt Gräfin Gadenbruck, die Nichte umarmend, und fügt nur ihr verständlich hinzu: »Ich glaube, du hast auch einen guten Blick gehabt, Lisel! Dein Erwählter gefällt mir sehr gut! Diese Schlomms – wenigstens Vater und Sohn – haben wir bisher entschieden unterschätzt. Aber nun laß mich rasch ins Haus, damit ich der Semper sage, daß sie das Essen ein bißchen festlich gestalte – nun, wo wir doch deine Verlobung feiern heute!«

Erhard folgt der Mutter.

»Zu nett, daß Lisel sich gerade in Waldheim verlobte, Mama, nicht wahr?«

»Gewiß, hoffentlich spornt es dich an, es ihr bald nachzutun!«

»Bah, das Schicksal hat dich ja ohnehin schon mit Enkelkindern versorgt, Mama, da brauche ich mich mit dem Heiraten ja gar nicht mehr zu beeilen,« lacht der unverbesserliche Hagestolz. »Übrigens, was meinst du – soll ich nicht die paar Flaschen Sekt, die wir immer noch gespart haben, heute zu Ehren des Tages aus dem Keller holen?«

»Na, selbstverständlich! Verlobung ohne Sekt ist doch gar nicht denkbar! Und, bitte, sage auch gleich dem Gärtner, er soll recht rasch alles Schöne, was an Blumen im Garten und Glashaus aufzutreiben ist, ins Eßzimmer schaffen.« –

*

Niemand ist glücklicher über den unerwarteten Wandel der Dinge, als Vater Schlomm. Er hat innerlich Edine nie gemocht, und seit er weiß, welch häßliche Rolle sie in der Ringgeschichte und als »Freundin« Irenes gespielt, ist sie ihm vollends verleidet.

Der Gedanke, dies falsche, herzlose Geschöpf trotzdem als Schwiegertochter in seinem Hause dulden, sogar äußerlich freundlich mit ihr sein zu müssen, hat seit heute nacht wie ein drückender Alb auf ihm gelegen. –

Kein Wunder, daß er sich wie erlöst fühlt. Eine Elisabeth als Tochter zu bekommen, anstatt einer Edine – welch beglückende Aussicht! Und wie gut für die Kinder, die nun ganz sicher geborgen sind, was auch kommen mag! Und Ronalds glückstrahlendes Gesicht! Es tut einem förmlich wohl, hineinzusehen …

Spät abends, als Vater und Sohn endlich den Heimweg nach Wolfeck antraten und langsam im Mondenschein dahin schlenderten, sprechen sie von nichts anderem als von diesen Dingen und malen sich die Zukunft in den rosigsten Farben.

»Und du sollst sehen, Ronny, Mama wird sich allmählich auch noch in diesen neuen Rahmen einleben und sich dann glücklicher fühlen als je zuvor.«

»Du träumst noch immer von einem Wandel zum Guten bei ihr, Papa? Trotz – der letzten Erfahrungen?«

»Ich hoffe es wenigstens; ihre bösen Geister sind ja fort.«

»Und du kannst wirklich vergessen, was sie tat?«

»Vergessen vielleicht nicht so rasch, aber vergeben habe ich ihr bereits. Sie wußte wohl gar nicht recht, was sie tat. War vielleicht schon krank, ehe sie oder wir es ahnten. Eine so schwere Krankheit kommt nicht über Nacht, sondern steckt innerlich schon lange in einem Menschen.«

»Das mag wohl richtig sein.«

»Und dann – muß man ihr nicht schon darum vergeben, weil aus dem Schlimmen so viel Gutes erwuchs? Auch du wirst es tun, Ronny, nicht wahr? Mir zuliebe, und weil du ihr im Grunde doch dein Glück verdankst …«

»Was aber sicherlich nicht in ihrer Absicht lag! Immerhin werde ich mich dir zuliebe bemühen, sie meine wahre Meinung über sie nicht merken zu lassen. Mehr kannst du wirklich nicht verlangen, Papa, denn erstens bin ich kein so edler, selbstloser Mensch wie du, und zweitens … glaube ich bei Mama weder an Reue noch Besserung.«

»Warten wir es ab. Es ist ja möglich, daß ich zu optimistisch denke. Menschen sind immer Rätsel, die nur die Zeit lösen kann.«

Sie haben Wolfeck erreicht, und da Mitternacht vorüber ist, begeben sich beide zur Ruhe.

Als der Morgen graut, wird Herr v. Schlomm durch den Diener aus dem Schlaf geweckt. Ein Bote aus dem Lobsteiner Spital ist da, der ihn an das Krankenlager seiner Gattin ruft, deren Befinden sich in beunruhigender Weise verschlimmert hat.

Irene erkennt ihn nicht mehr, als er an ihrem Lager erscheint, und Schlomm erkennt mit schmerzlicher Bestürzung auf den ersten Blick, daß dies schöne, jetzt so grausam veränderte Gesicht bereits vom herannahenden Tod gezeichnet ist …

An die Möglichkeit, daß Irene sterben könne, hat er bisher noch gar nicht gedacht, und sie erschütterte ihn tief.

Schlomm weicht nicht mehr von ihrem Lager, obwohl der Todeskampf noch zwei Tage und eine Nacht dauert.

Als er dann, nachdem alles vorüber ist, zu Fuß heimwandert, muß er wieder an Ronalds Worte denken – »ich glaube weder an Reue noch Besserung …«

Und ergeben denkt der alte Mann: vielleicht hat er recht, und der liebe Gott hat es gut mit ihr und uns gemeint, als er sie aus einem Leben hinwegnahm, dem sie nicht gewachsen war …

Über dem geschlossenen Grab hebt dann das junge Leben siegreich sein Haupt. In Waldheim wird eifrig alles für Elisabeths Hochzeit vorbereitet, die am 30. Juli stattfindet.

Der Trauer wegen in aller Stille, ohne Gepränge und ohne andere Gäste als die engsten Familienmitglieder.

Unmittelbar nach der Trauung reist das junge Paar für zwei Wochen an den Königssee, wo es seine Flitterwochen verbringen will.

Die Kinder bleiben inzwischen in Waldheim bei den beiden »Großmamas« und Onkel Erhard, der ein Ponywägelchen angeschafft hat und fleißig im Park mit ihnen herumkutschiert – als Trost für Elisabeths Abwesenheit.

Herr v. Schlomm, immer noch gedrückt infolge des Todes seiner Frau, ist auf die dringende Aufforderung Gadenbrucks für die Zeit, während das junge Paar verreist ist, ganz nach Waldheim übersiedelt und wird dort, ganz wie seine Kinder, von den beiden alten Damen und Frau Semper schrecklich verwöhnt.

Es muß noch erwähnt werden, daß Erhard gleich am Tage nach Schlomms erstem Besuch auf Waldheim es sich nicht nehmen ließ, nach Ravelsperg zu fahren, um dem Prinzen gehörig seine Meinung zu sagen.

Er fand das Nest leer, denn Seine Durchlaucht war am Morgen bereits nach Paris abgereist …

Erhard war wütend gewesen, seine Mutter aber desto froher. Wußte sie doch, daß ein Zweikampf der Männer dann unausbleiblich gewesen wäre. Und da man ja niemals wissen konnte, wie ein solcher ausging, fühlte sie sich unaussprechlich erleichtert durch des Prinzen Abreise.

»Dieser Mensch ist ja gar keine Kugel wert! Für dich, mein Junge, aber wäre es doch schade gewesen um jeden Tropfen Gadenbruckschen Blutes, den du seinetwegen verloren hättest!«

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