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IX.
Bei Tante Bernarda in Waldheim

»Was meintest du vorhin mit deiner Bemerkung über Schlomms, Erhard?« fragte Elisabeth eine Minute später, nachdem sie die Richtung nach Waldheim eingeschlagen hatten. »Weißt du etwas Nachteiliges über sie, weil du sagtest, schlimmer hätte ich es kaum treffen können?«

»Ich weiß von ihnen nur, was die Welt – die hiesige Welt meine ich – sich von ihnen erzählt, und das ist nicht viel Gutes. Der alte Schlomm ist als Schürzenjäger bekannt, seine Frau als Erzkokette, eine kleine Beamtentochter, die wenig gelernt hat, aber den Ehrgeiz besitzt, hier eine Rolle spielen zu wollen, mit dem erbgesessenen Adel zu verkehren, die sich dank ihres erheirateten ›Von‹ ganz ernsthaft mit dazurechnet und im übrigen gleich ihrem Manne faul, verschwenderisch und gedankenlos in den Tag hineinlebt. Nebenbei sind beide hochmütig und protzig – Typen von Emporkömmlingen. Die Kinder aber sind bekannt als die unerzogensten, wildesten Rangen der ganzen Gegend.«

»Das ist alles?«

»Na, ich denke, es ist so ziemlich genug! Außerdem genügt es schon, daß der Mann Seifenfabrikant war … Du, eine Gräfin Benedikten und die Kinder eines Seifenfabrikanten betreuen! Es ist ja zum Kopfstehen!«

»Beruhige dich, es ist gar nicht so schlimm, wie du denkst. Ein wenig Wahres ist ja an allem, was du vorgebracht hast, aber die Leute übertreiben immer furchtbar. Man muß vieles im Leben mit Humor nehmen heutzutage. Jedenfalls fühle ich mich sehr wohl auf Wolfeck.«

»Wirklich? Ist das möglich?«

»Ja, ich bin ganz zufrieden mit meiner Stelle, vor allem, weil die Kinder intelligent und gut sind und nur einer festen, führenden Hand bedurften, um sich in kurzer Zeit in ganz entzückende Kinder zu verwandeln. Man läßt mir vollkommen freie Hand bei ihrer Erziehung, sie und ich führen ein von den anderen ziemlich abgesondertes Leben – kurzum, es ist so, wie ich es mir immer wünschte.«

»Und Madame drangsaliert dich nicht?«

»Durchaus nicht. Warum sollte sie auch? Ich halte ihr die Kinder vom Leibe …«

»Ja, ja, sie soll eine nette Mutter sein, erzählt man sich!«

»Sie ist eine sehr große Egoistin, aber das geht mich ja nichts an. Übrigens treffe ich mit ihr nur gelegentlich bei der Hauptmahlzeit zusammen – wenn nämlich gerade keine Gäste geladen sind.«

»Und ihr Verhältnis mit dem Prinzen Kelim stört dich nicht?«

Elisabeth bleibt jäh stehen und starrt den Vetter in einem Gemisch von Schreck und Empörung an.

»Verhältnis? Pfui – wie kannst du so etwas nur aussprechen, Erhard! Der Prinz ist doch ein Freund des Hauses, und vielleicht flirtet Frau v. Schlomm ein wenig mit ihm aus Langerweile, aber sie ist doch eine anständige Frau!«

»Na, wer weiß? Es wird viel gemunkelt über ihre Beziehung zu dem Russen …«

»Dann würde doch Herr v. Schlomm nicht so liebenswürdig zu ihm sein!«

»Bah – der sitzt ja selber im Glashaus, wie könnte er deswegen mit Steinen um sich werfen? Vielleicht liegt ihm auch gar nichts daran. Die Ehe soll ja sehr unglücklich sein. Schlomm hat die Frau seinerzeit wegen ihres schönen Gesichts geheiratet, aber bald erkannt, daß sie in jeder andern Richtung eine Niete war. Seitdem geht eben jedes seine eigenen Wege … eine »moderne« Ehe. Von Schlomm erzählt man sich übrigens, daß er zu allen Erzieherinnen seiner Kinder, soweit sie nicht Scheusale waren, in zarten Beziehungen stand. Gib also acht …«

»Beruhige dich, ich habe es immer verstanden, unziemliche Annäherungen in die gebührenden Schranken zurückzuweisen. Auch Herr v. Schlomm weiß das bereits.«

»Aha – der Kerl hat also schon versucht …«

»Lassen wir das, bitte. Es ist alles in vollkommener Ordnung. Ihr verkehrt nicht mit Schlomms?«

»Was fällt dir ein! Mit einem – Seifenfabrikanten! Als sie Wolfeck kauften und sich darin einrichteten, haben sie allerdings auch bei uns Besuch gemacht, aber wir waren nicht zu Hause und erwiderten den Besuch auch nicht. Nee, Lisel, so tief unter die Linie steigen wir denn doch nicht herab! Wenn wir auch verhältnismäßig verarmt sind – hier in diesem Krähwinkel gehören wir doch noch zu den ersten Familien und spielen eine gewisse Rolle, müssen also wissen, was wir uns schuldig sind. Die meisten Familien mit wirklich altem Namen haben es übrigens ebenso gehalten Schlomms gegenüber.«

»Und doch verkehren sie viel mit adligen Familien!«

»Neuadel, völlig verarmter oder zugereister, ja! Der wirklich gute Adel hält sich fern, das ist ja Frau von Schlomms Kummer, wie man hört! Sie würde so glühend gern mal eine Gräfin oder Baronin aus altem Hause an ihrem Tisch sehen!« Er lacht. »Du – wenn die nur eine Ahnung hätte, daß sie eine Gräfin aus altem Geschlecht verkappt als Erzieherin im Haus hat! Auf goldener Schüssel würde sie dich aller Welt servieren und dich sogleich zu ihrer Gesellschaftsdame avancieren lassen! Eigentlich komisch – diese Tragikomödie des Schicksals!«

Auch Elisabeth muß lächeln.

»Nun, jedenfalls ist es mir lieber, sie weiß nichts davon. Vorläufig hat sie mir übrigens den Posten als Kammerzofe bei sich angetragen – mit doppeltem Gehalt!«

»Unverschämt! Du hast ihr doch gehörig heimgeleuchtet?«

»Ein wenig schon. Aber es war ja nicht bös gemeint …«

Und Elisabeth erzählt lachend von jenem ersten Abend ihres Eintritts, wo sie »Mädchen für alles« spielen mußte.

Man hat das Parktor von Waldheim erreicht, von dem eine geradlinige Allee schneebedeckter Bäume nach einem einfachen, aber behäbigen Landhaus führt.

»Das Herrenhaus von Waldheim,« sagt Graf Gadenbruck, »es macht gerade keinen prächtigen Eindruck mit seinen schmucklosen Mauern, ist aber innen recht geräumig und sehr behaglich.«

Dies Urteil findet Elisabeth bestätigt. Die durchwegs altmodische, prunklose Inneneinrichtung wirkt durch ihre Gediegenheit und Gemütlichkeit außerordentlich anheimelnd auf sie, denn sie erinnert Elisabeth an die Wohnräume von Benediktenberg. Und der überaus warme, herzliche Empfang von seiten der alten Gräfin tut das Übrige.

Tante Bernarda, eine sehr vornehm aussehende alte Dame mit weißen Wellenscheiteln und einem schwarzen Spitzenhäubchen darauf, hat Tränen der Freude in den Augen, als sie die Nichte umarmt.

Dann klingelt sie nach ihrem Faktotum, Frau Semper, bestellt Tee und »alle Gutigkeiten, die Sie im Haus auftreiben können, Frau Semper, damit wir unseren lieben Gast gebührend feiern« – und dann geht's ans Plaudern. Man hat sich ja so lange nicht gesehen! Sieben Jahre …!

Gräfin Bernarda ist wie ihr Sohn gar nicht mit Elisabeths Stellung bei Schlomms einverstanden.

»Das ist doch nichts für dich, Kind! Bei solchen Leuten! Weißt du was, kündige ihnen und komme zu uns! Als meine Gesellschafterin oder als was du willst. Ich zahle dir dasselbe Gehalt wie die Schlomm, und ich könnte recht gut so eine junge Hilfskraft hier um mich gebrauchen. Die Semper, die mich bisher in der Führung des Haushalts unterstützte, ist ja fast so alt wie ich, und wir werden jeden Tag älter. Du aber wärest dann doch in einer dir angemessenen Umgebung und bei Verwandten, sogar bei nahen Verwandten – denn deine Mutter ist doch meine rechte Kusine – das nähme deiner Tätigkeit jeden dienenden Charakter, überlege also nicht erst lange, sondern schlag ein!«

Elisabeth aber überlegt keinen einzigen Augenblick.

»Es ist ja rührend lieb und gut von dir, Tante Bernarda, aber sei nicht böse – annehmen kann ich deinen Vorschlag nicht

»Warum nicht?«

»Weil ich in Wolfeck eine ernste Aufgabe habe, die ich unter keinen Umständen im Stich lassen darf – die Erziehung der Schlommschen Kinder.«

»Na, erlaube,« fällt Erhard hitzig ein, »was gehen dich die fremden Kinder an?«

»Viel! Alles! Diese Kinder haben so gut wie keine Mutter, sie brauchen mich, ich bin ihnen unentbehrlich. Und ich habe mir gelobt, sie nicht zu verlassen, was immer auch kommen mag, ehe ich sie nicht zu tüchtigen Menschen herangebildet habe.«

»Das sind überspannte Sentimentalitäten, Lisel. Mama meint es gut, höre doch auf sie! Bei Schlomms wirst du es bald genug selber satt bekommen, denke an mich! Früher oder später bricht bei solchen Leuten immer die angeborene niedrige Natur durch. Du wirst Demütigungen, vielleicht sogar Beleidigungen ausgesetzt sein …«

»Dann werde ich sie – mein Ziel im Auge – um der Kinder willen geduldig ertragen. Vertreiben sollen sie mich gewiß nicht!«

Und Elisabeth denkt in gläubigem Vertrauen an den einen, der ihr in solchen Fällen gewiß als Beschützer zur Seite stehen würde …

Erhard ist ärgerlich über ihren »Eigensinn«, wie er es nennt, seine Mutter aber, die Elisabeth still beobachtet hat, drückt beruhigend seine Hand.

»Gib dich zufrieden, mein Junge. So schön es wäre, wenn wir Lisel bei uns hätten – gegen ihren Willen dürfen wir nicht weiter in sie dringen. Siehst du ihr nicht an, wie ernst sie es mit ihrer Aufgabe nimmt? Und diese ist ja an sich schön und edel. Bis zu einem gewissen Grade verstehe ich ja Elisabeth sogar. Pflichtgefühl ist immer ein Zeichen wirklich vornehmer Menschen. Lassen wir sie also vorläufig ihren Weg gehen. Sollte man ihr diesen unnötig erschweren, wird sie schon von selber zu uns kommen.«

»Gewiß Tante, und ich danke dir für deine guten Worte.«

Das Gespräch wendet sich anderen Gegenständen zu, und beinahe hätte man sich dann dabei verplaudert.

Es dämmert schon stark, als Elisabeth nach einem Blick auf die Uhr ganz erschrocken aufspringt und erklärt, nun aber schleunigst heim zu müssen, sonst kämen die Kinder noch vor ihr zurück.

Mit einem »Auf baldiges Wiedersehen« entläßt sie die Gräfin. Erhard begleitet die Kusine heim, und da es sehr glatt ist draußen, bietet er ihr den Arm, den sie dankbar annimmt.

Als sie die Grenze von Wolfeck fast erreicht haben, begegnet ihnen ein Herr, den sie in der Dunkelheit nicht erkennen, und da er nicht grüßt, auch gar nicht beachten.

Um so weniger, als sie eben beide ganz vertieft in lustige Jugenderinnerungen sind.

Er aber – es ist Sascha Kelim – hat sie sehr wohl erkannt, bleibt betroffen stehen und blickt dem Paar mit einem Gemisch von Hohn und Zorn nach.

Ah – das ist ja sehr interessant – dieser blonde Tugendengel, auf den er vergebens den ganzen Nachmittag in Ravelsperg gewartet hat – für den er sogar Irene Schlomm abgesagt hat – wandelt hier Arm in Arm mit dem Besitzer von Waldheim spazieren!

Und er hat sich bestimmt nicht geirrt – sie haben zueinander du gesagt!

Eine nette Entdeckung! Die Tugend war also nur Maske, die Entrüstung ihm selbst gegenüber gestern nur gutgespielte Heuchelei.

Aber er wird es sich merken und sich ein nächstes Mal nicht bluffen lassen … jetzt erst recht nicht! Er muß es erreichen, in diesem wundervollen blonden Haar wühlen und das stolze, süße Gesicht küssen zu dürfen …


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