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V.
Fäden spinnen sich von Seele zu Seele

»Das haben Sie famos gemacht, gnädiges Fräulein, mit dem Fürsten Kelim,« sagt Ronald eine halbe Stunde später bei Tisch lächelnd zu Elisabeth. »Ich wollte nur, Sie hätten nachher auch noch sein verblüfftes Gesicht sehen können, als Sie ihn so kurz abgefertigt stehen ließen!«

»Mein Gott – war ich am Ende unhöflich?«

»Gar nicht unhöflich, nur kurz angebunden, und ich empfand insgeheim eine diebische Freude darüber! Meiner Meinung nach war es ihm äußerst gesund, daß endlich einmal eine Dame, die er mit seiner Aufmerksamkeit beehren wollte, es wagte – diese Absicht zu ignorieren.«

»Es wäre mir sehr peinlich, wenn er sich bei Ihrer Mutter über mich beschweren würde! Seine Durchlaucht scheint ja zu den intimen Freunden des Hauses zu zählen …«

»Leider! Aber machen Sie sich keine Sorgen. Er wird sich schon nicht beschweren, und der kleine Dämpfer schadet seiner Eitelkeit wirklich nicht.«

»Sie mögen ihn nicht?«

»Er ist mir persönlich ganz gleichgültig. Aber ich werte die Menschen als Arbeitende und Nichtarbeitende, als Zahlen und als Nullen. Als Nichtarbeitender und bloß Genießender ist Prinz Kelim von diesem Gesichtspunkt aus für mich eine vollkommene Null. Aber ich ärgere mich darum doppelt über das Wesen, das man von ihm macht. Hier in unserem ländlichen Kreis ist er nämlich derzeit höchste Mode. Nichts ist ohne ihn denkbar, und das größte Unglück, das einem Haus passieren kann, ist, wenn Seine Durchlaucht bei irgendeiner geselligen Vereinigung … absagt!«

»Das klingt allerdings komisch. Aber wahrscheinlich ist er ein geistreicher, gebildeter Mann, der besondere gesellschaftliche Talente besitzt.«

»Gar nicht. Ich dachte das anfangs auch, überzeugte mich dann aber, daß er ein ganz ungebildeter Mensch mit rohen Instinkten ist, der sich, wie viele Russen, durch ein paar Jahre Paris äußeren Schliff angeeignet hat – das ist alles. Was ihm seine fabelhaften Erfolge im Salon und besonders bei Damen verschafft, ist allein die Sensation des Exotischen, die ihn wie eine verklärende Wolke umgibt. Er ist Jazzband ins Menschliche verkörpert. Und in meinen Augen ist »Jazzband« zu sein eben – nichts.«

»Nun, dann kann ich es ja offen gestehen, daß auch mir Prinz Kelim vom ersten Augenblick an höchst unsympathisch war. Er hat etwas in seinen verschlafenen Orientalenaugen, das mich direkt abstößt … sonst wäre ich vielleicht nicht so kurz angebunden gewesen.«

»Ein Instinkt, der Sie gewiß sehr richtig leitet, gnädiges Fräulein, und dem weiter zu folgen ich Ihnen nur raten kann. Es freut mich, daß wir auch in diesem Punkt gleicher Meinung sind.«

Man ißt gemächlicher als sonst, weil immer ein anregendes Gespräch zwischen Elisabeth und Ronald im Gange ist. Beide haben noch öfter Gelegenheit, sich im stillen zu wundern, wie übereinstimmend ihre Ansichten über Leben, Menschen, Kunst, Natur usw. sind.

Auch Inge und Eva beteiligen sich am Gespräch, soweit der Gegenstand ihrem Verständnis angemessen ist. Wo dies nicht der Fall, beschränken sie sich auf stummes Zuhören. Alle drei Kinder betragen sich musterhaft, so daß Ronald nicht aus dem Staunen herauskommt.

Zum erstenmal seit Jahren hak Ronald das Gefühl, nicht Gast, sondern wirklich daheim zu sein und sein Essen an einem gemütlichen Familientisch einzunehmen.

Als der schwarze Kaffee für ihn und Elisabeth gebracht wird, sagt er mit einem bittenden Blick: »Würden Sie erlauben, gnädiges Fräulein, daß ich noch ein Viertelstündchen bleibe und meine Zigarre hier rauche? Es ist so traulich hier, und es tut wohl, einmal gemütlich plaudern zu dürfen … über andere Dinge, als sie sonst hier die Gesprächsthemen bilden.«

»Bitte, Herr v. Schlomm. Selbstverständlich dürfen Sie Ihre Zigarre hier rauchen.«

»Und Sie? Sie rauchen doch hoffentlich auch eine Zigarette – mir zur Gesellschaft?«

»Danke, ich rauche nicht.«

»Also auch in diesem Punkt ein Unikum! Heutzutage eine Dame, die nicht raucht!«

»Es ist kein Verdienst. Ich finde nur kein Vergnügen daran.«

»Wird Sie dann aber mein Zigarrenrauch nicht stören?«

»Im Gegenteil, er wird mich nur angenehm an mein Elternhaus erinnern! Papa war ein starker Raucher und ohne die blauen Rauchwolken seiner Zigarren kaum denkbar.«

Es wird eine sehr gemütliche halbe Stunde. Walter baut sich aus umgelegten Stühlen eine Eisenbahn und vertieft sich ganz in sein Spiel, während seine Schwestern sich zu beiden Seiten Elisabeths am Kamin niederlassen und Ronald ihnen gegenüber in einem Klubsessel Platz genommen hat, mit Behagen seine Zigarre rauchend.

Ihm ist seltsam wohl zumute in der stillen Ruhe, die heute im ganzen Haus herrscht, und bei dem traulichen Geplauder der drei ihm gegenübersitzenden Mädchen, die vom Frühling sprechen und den Ausflügen, die sie dann machen werden, damit Elisabeth die schöne gebirgige Umgebung von Wolfeck, die sie schon jetzt im Winter entzückt, näher kennenlernt.

Ronald beteiligt sich nur wenig am Gespräch. Seine innerlich stets einsam gebliebene Seele genießt den Zauber dieser Stunde mit vollen Zügen. Sein Leben bewegte sich bisher fast ausschließlich in Arbeit, – der ihn befriedigenden in der Fabrik und der ihn unbefriedigenden als Steuermann des väterlichen Haushaltes, dessen Kurs ihm nicht behagt …

Behagen empfindet er nur selten und flüchtig, wenn er ab und zu Zeit findet, eine Abendstunde allein auf seinem Zimmer mit einem guten Buch zu verbringen.

Heute zum erstenmal seit seiner Knabenzeit, als die Mutter noch lebte, empfindet er jenes wunschlose Behagen wieder, das von anderen Menschen ausgeht und beglückt, weil es von ihnen geteilt wird …

Im Kamin prasseln die großen Buchenklötze aus den Wolfecker Wäldern, die von der Försterei alljährlich für das Schloß geliefert werden. Und draußen am nebligen Himmel steht groß und strahlenlos die rote Wintersonne, durch die hohen Spiegelscheiben den Raum mit rosigen Lichtern füllend.

Ihr Abglanz fällt voll auf Elisabeth, deren lichtes, ährenblondes Haar mit den darumgelegten Zöpfen, die wie ein Krönlein wirken, mit gleißendem Schimmer umwebend.

Wie eine Gloriole aus Gold und Silber! denkt Ronald, dessen Blick immer wieder verstohlen zu ihr hinüberschweift.

Das Bild des schönen, lichtumflossenen Mädchens mit den ernsten dunklen Augen, das so fröhlich und zärtlich mit den beiden Kindern an seiner Seite plaudert, prägt sich ihm tief ein.

Madonna! fährt es ihm einmal durch den Sinn, und gleich danach: Nein – die Verkörperung eines zur liebenden Mutter geborenen Weibes mit ihren Kindern!

Wie müßte sie erst als Gattin und Hausfrau sein …

Unwillkürlich fallen ihm Schillers Worte aus der Glocke ein … »und die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, schaltet weise im häuslichen Kreise …«

Ja – so ein Wesen wie Elisabeth Benedikt mochte Schiller wohl vorgeschwebt haben …

Den ganzen weiteren Nachmittag schwebt Ronald dies Bild vor. Es drängt sich hinein in die Konferenzen mit dem Wirtschaftsinspektor Holden, dem Förster Brandtner und der seit zwei Tagen wieder ihren Posten bekleidenden Mamsell Brinken, die alle zu ihm kommen, um ihm, wie jeden Samstag nachmittag, ihre Abrechnungen vorzulegen …

Und das Bild steht wieder deutlich vor Ronald Schlomm, als er spät abends allein in seinem Zimmer sitzt und seinen Gedanken nachhängt.

Hat er nicht eigentlich immer von solch einem Bild – geträumt? Als von dem Idealbild einer stillen Häuslichkeit mit Weib und Kindern, nach der seine Seele sich sehnt?

Er legt die Hand über die Augen und seufzt tief auf.

Zu spät!

Warum konnte das Schicksal Elisabeth Benedikt nicht ein halbes Jahr früher nach Wolfeck führen …?

Manches wäre vielleicht anders gekommen … und das Glück nicht bloß als flüchtiger Schatten an ihm vorübergeschwebt …

Nun ist es zu spät und sein Schicksal besiegelt. An der Seite der Frau, die er gewählt – das ist ihm längst klar geworden –, kann sich das Bild seiner Träume nie verwirklichen …

 

Oben in ihrem Zimmer sitzt Elisabeth und schreibt, nachdem die Kinder eingeschlafen sind, einen langen Brief an ihre Mutter nach Wien.

Sie schreibt nur im allgemeinen über Wolfeck und sehr ausführlich über ihre Zöglinge und ihre erzieherische Tätigkeit. Ronalds Name kommt in dem Brief gar nicht vor. Aber eine an ihr ganz ungewöhnliche heitere, glückliche Stimmung zieht sich durch den ganzen Brief. »Ich fühle mich so wohl hier und schon so heimisch, als wäre ich seit Jahren auf Wolfeck! Und meine Zöglinge habe ich rasend lieb, als wären es meine leiblichen Kinder! Man überläßt mir ihre Erziehung völlig selbständig und uneingeschränkt, so daß ich all meine Ideale verwirklichen kann. Die Kleinen hängen an mir, und ich konnte bereits schöne Erfolge erzielen! In Zukunft wird es noch besser werden, weil niemand sich einmengt. Das macht mich wohl auch so froh und zufrieden. Mir ist oft, als wäre es schon Frühling und alles ringsum wäre voll Sonnenschein und Blumenduft und Vogelsang! Hättest du das von deiner ernsten, grüblerischen Tochter je gedacht, Mutti, daß ihr zumute ist, als wollte sie nur immer lachen und singen oder … beten …?«

Elisabeth legt die Feder nieder und lächelt still vor sich hin. Nein – das war wirklich keine fromme Lüge, um Mamachen zu beruhigen. Genau so ist es ihr ja tatsächlich zumute …

Nicht einmal, wenn sie an das heißgeliebte, verlorene Benediktenberg denkt, kommen ihr mehr Tränen in die Augen, und keine Wehmut schleicht ihr dabei mehr ins Herz!

Die Luft von Wolfeck besitzt eine wunderbare Heilkraft … sie lehrt vergessen …


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