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XIII.
Edine … die zärtliche Braut

Edine Werndl steht mißgelaunt am Fenster und blickt in den Haugenbichler Park hinaus, wo Onkel Rolf mit Tante Sephine und den beiden Kindern Fangen spielen.

Es geht dabei ein bißchen lärmend zu, Lachen und Jauchzen dringen herauf ins Wohnzimmer der Damen und lassen die Baronin, die eben ihre Post durchsieht, wiederholt nervös zusammenzucken.

»Mein Gott, was treiben sie denn da unten nur wieder?« sagt sie endlich ärgerlich aufblickend. »Man kann ja nicht einmal seine Briefe ordentlich lesen bei dem Spektakel!«

»Sie spielen Fangen, Mama.«

»Und ausgerechnet unter unseren Fenstern! Wie rücksichtslos! Sei so gut, Edine, und rufe dem Stubenmädchen doch mal hinunter, sie soll mit den Kindern anderswo spielen.«

»Das geht leider nicht, Mama, denn nicht Olga, sondern Onkel und Tante selbst spielen mit den Kindern.«

»So? Ein merkwürdiger Geschmack von Rolf und Sephine! In England überläßt man kleine Kinder der Nurse. Aber hier bei diesen langweiligen Deutschen muß immer patriarchalisch ›Familie‹ gespielt werden!«

Edine nickt seufzend.

»Ja – leider. Sie haben mir vorhin sogar gewinkt, ich solle hinunterkommen und mitspielen, aber dafür habe ich begreiflicherweise höflichst gedankt. Als ob es hier nicht ohnehin schon langweilig genug wäre!«

»Du bist mißgestimmt, mein Kind, weil du dich in letzter Zeit von allem zurückziehst, was dich früher unterhalten hat, und dafür jeden Tag nach Wolfeck fährst … daß du dich dort langweilst, ist ja nur zu begreiflich …«

» Muß ich es nicht tun? Ich habe dir doch erzählt, Mama …«

»Ja, ja, aber wenn Ronald auch ein Philister ist, der Sport haßt und für deutsche Gretchen schwärmt, so meine ich doch, Darling, daß du übertreibst. Man darf den Männern nicht zuviel nachgeben … besonders wenn sie Unsinniges fordern.«

»Sei überzeugt, daß ich es gewiß nicht täte, wenn ich nicht das Gefühl hätte, daß viel – vielleicht alles auf dem Spiel steht. Vorläufig aber muß ich mich Ronald anpassen und darf ihn nicht sich selbst überlassen.«

»Und wie lange soll das dauern?«

»Bis wir verheiratet sind. Dann werde ich andere Saiten aufziehen und mir das Leben wieder nach meinem Geschmack einrichten.«

»Habt ihr eigentlich schon einen Termin für die Hochzeit festgesetzt?«

»Nein.«

»Dann tue es bald, Liebling! Bringe selbst die Sprache darauf. Lange hältst du doch dies Komödienspiel nicht aus!«

»Es widerstrebt mir, selbst davon zu beginnen. Mir ist, als grübe ich mir dann mein eigenes Grab …«

»So zuwider ist dir Ronald?«

» Wie sehr – ahnst du kaum, Mama! Aber was soll ich denn anderes tun, da kein anderer Freier da ist, und ich doch endlich beruhigt in die Zukunft blicken will? Soll ich etwa ewig das Gnadenbrot hier in Haugenbichl essen?«

»Vielleicht findet sich doch noch etwas anderes … du bist ja noch jung, kaum dreiundzwanzig …«

»Sei versichert, daß ich mich keinen Augenblick besinnen würde, zuzugreifen, wenn sich etwas Besseres böte! Leider ist dazu nur gar keine Aussicht! Von den hier in Betracht kommenden Männern ist Ronald Schlomm entschieden der reichste, darum werde ich ihn heiraten, obwohl er mir seinem ganzen Wesen nach so unsympathisch wie nur möglich ist. Fehlt ihm doch alles, was ich an Männern sonst schätze: ein leichter, beweglicher Geist, Galanterie, Beredsamkeit und so weiter. Dafür besitzt er, was ich nicht ausstehen kann – deutsche Gründlichkeit, schwerfälliges Wesen, Sentimentalität und eine geradezu alberne Bewunderung für die sogenannte ›deutsche Hausfrau und Mutter‹, zu der ich absolut keine Veranlagung habe. Aber er wird sich wundern, wenn wir erst verheiratet sind und ich mich gebe, wie ich wirklich bin!«

Edine lacht höhnisch. »Und eigentlich freue ich mich auf diese Zeit! Denn dann will ich ihm jede Minute des Ärgers, die er mir jetzt bereitet, doppelt und dreifach heimzahlen!«

»Nun – das wird ja eine nette Ehe werden! Aber ich kann dir nicht unrecht geben, poor girl, er ist kein angenehmer Mensch, dein Ronald. Er geht auch mir auf die Nerven. Er ist eben der Typus des deutschen Mannes – das sagt genug! Ob du nicht doch noch wartest mit der Heirat?«

»Worauf?«

»Wenn es schon hier keine bessere Partie gibt, kann sich doch auswärts eine finden? Auf Reisen, Sportplätzen, Meetings …«

»Danke. Das haben wir fünf Jahre erfolglos versucht. Heute sieht jeder Mann – außer natürlich ein Traummichel wie Ronald – beim Heiraten in erster Linie auf Geld. Das habe ich nicht. Dafür merkt jeder gleich, daß ich meinen Neigungen und Gewohnheiten nach unbedingt eine kostspielige Frau sein würde, und beides schreckt ab. So macht man mir wohl den Hof, bewundert mich auch – denkt aber nicht ans Heiraten. Du weißt das sehr gut. Auch daß ich bereits zweimal verlobt war und dann beide Verlobungen nach kurzer Zeit unter nichtigen Vorwänden wieder gelöst wurden. Nein, nein – ich riskiere nichts mehr. Ein Spatz in der Hand ist immer noch besser als die schönste Taube auf dem Dach! Reden wir also lieber von etwas anderem. Sage mir, was dir die Post gebracht hat. Du bekamst ja heute eine ganze Menge Briefe!«

»Lauter Einladungen.«

»Laß hören!?«

»Frau v. Hergel bietet uns für den dreißigsten April Plätze in ihrem Auto an zu dem Motorrennen am Semmering. Kommerzienrat Orells laden uns ein, in ihrer Penzinger Villa abzusteigen, um die Maifahrt in den Prater und die Frühjahrsrennen in der Freudenau gemeinsam mit ihnen mitzumachen. Maler Ebeling und Frau laden für übermorgen nach Fichtenwinkel: Gartenfest, Tennismatch, abends moderne Tänze im Atelier. Baronin Kriehuber fordert zu einem Bridgeabend auf. Herr und Frau v. Kammern geben ein Souper mit nachfolgendem Tanz. Und so weiter. Das beste aber ist eine Einladung meiner Kusine Fielders nach Rosehill für Mitte Juli. Für zwei bis drei Monate. Da mußt du unbedingt mitkommen, my dear! Selbstverständlich aber auch zum Semmeringrennen und nach Penzing zu Orells. Und übermorgen nach Fichtenwinkel … Ebelings sind so reizende Menschen … auch Orells … das würde dich ein wenig zerstreuen …«

Edine lacht gereizt auf.

»Und du glaubst – er ließe mich hingehen? Zu Ebelings und Orells, die er nicht leiden kann, weil sie nette, durchaus moderne Menschen sind? Und nach Rosehill – zu den ›Engländern‹, die er erst recht nicht leiden kann, weil sie sich im Weltkrieg als Feinde Deutschlands erwiesen haben, was er ihnen nicht verzeihen kann? Da kennst du Ronald schlecht! Glattweg verbieten wird er es mir!«

»Wie albern von Ronald, so von den Engländern zu sprechen, wo England doch die führende Nation der Welt ist, und wie taktlos – da er doch weiß, daß ich stolz darauf bin, Engländerin zu sein!«

»Ja – so ist er eben!«

»Man darf sich auch nicht zu sehr tyrannisieren lassen von einem Bräutigam. Er hat doch kein Recht, dir jedes Vergnügen zu rauben. Aber wir wollen beraten und werden schon einen Ausweg finden. Wie wäre es, wenn ich zum Beispiel zuerst allein nach Rosehill reiste und man dir dann telegraphieren würde, ich sei ernstlich erkrankt und verlange nach dir … Das müßte er doch respektieren!«

»Wer weiß? Übrigens müßte ich dann vorher schon mit ihm verheiratet sein, sonst wäre mir das Fortgehen zu riskant.«

Der Eintritt eines Dieners unterbricht das Gespräch. Er bringt eine Karte, die er Edine auf einem silbernen Tablett überreicht.

»Herr v. Schlomm läßt anfragen, ob er den Damen seine Aufwartung machen darf?«

Mutter und Tochter wechseln einen verwunderten Blick. Was kann Ronald jetzt vor Tisch nach Haugenbichl führen?

»Wir lassen bitten,« antwortet Edine dem Diener. Gleich darauf tritt Ronald ein.

Edine – im Augenblick umgewandelt und ganz zärtliche Braut – fliegt ihm an den Hals und begrüßt ihn mit einem Kuß.

»Ronny – du! Welch reizende Überraschung! Gerade sprachen Mama und ich von dir …«

Ronald erwidert ihren Kuß in der etwas steifen pedantischen Weise, wie man eine unausweichliche Pflicht erfüllt, und begrüßt dann die Baronin mit gemessener Höflichkeit. Beides ist ihm in der letzten Zeit unwillkürlich zur Gewohnheit geworden.

Seinem geraden Wesen ist es unmöglich, zu heucheln. Pflicht und Höflichkeit sind alles, was er den beiden Frauen, die das Schicksal an sein Leben gekettet hat, zu geben vermag, seit er beider Charakter durchschaut.

Denn Edines jetzt zur Schau getragene plötzliche Zärtlichkeit täuscht ihn längst nicht mehr.

Nicht Liebe bildet den Antrieb dazu, sondern die Angst, die gute Partie zu verlieren …

Man hat ihm Platz angeboten. Edine setzt sich dicht neben ihn und nimmt wie spielend seine Hand in die ihre.

»Es ist wirklich zu nett, daß du uns so unerwartet überraschst, Ronny! Hattest wohl Geschäfte in Lobstein? Du bleibst doch zu Tisch …«

»Das ist leider unmöglich, da ich mit dem Mittagszug verreise. Dir dies mitzuteilen und mich zugleich von dir und deiner verehrten Mutter zu verabschieden, ist der Zweck meines Kommens.«

»Oh – du willst verreisen? So plötzlich – denn gestern sagtest du mir doch noch kein Wort davon! Wohin willst du denn?«

»Nach Wien … für ein bis zwei Wochen.«

Mutter und Tochter tauschen verstohlen einen befriedigten Blick.

Wie angenehm – so kann Edine an dem Fest bei Ebelings in Fichtenwinkel teilnehmen …

Trotzdem beunruhigt Edine die Plötzlichkeit dieses Reiseentschlusses, hinter der sie instinktiv eine Gefahr für sich wittert. Will Ronald etwa von Wien aus schriftlich die Verlobung lösen, weil er mündlich nicht den Mut dazu hat? Denn loskommen möchte er am liebsten von ihr, das fühlt sie. Nur Pflicht und Ehre halten ihn noch an ihrer Seite …

Ronald sitzt wie auf Nadeln und starrt bedrückt vor sich hin. Es ist so unsäglich schwer, mit Lügen zu arbeiten … und doch muß er es tun, weil er die Wahrheit unmöglich sagen kann …

Die Wahrheit – daß er es daheim einfach so nicht länger aushält. Daß er fort muß, um sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden und die Kraft – sein vorgezeichnetes Schicksal zu tragen.

Seit jener Abschiedsstunde in der Bibliothek kann er nicht zur Ruhe kommen. Immer schwebt Elisabeths Bild ihm vor bei Tag und Nacht … selbst während der Arbeit, die ihn früher alles andere vergessen ließ.

Es macht ihn hart und ungerecht gegen Edine … unaufhörlich zieht er Vergleiche. Ihre Zärtlichkeit ist ihm lästig, macht ihn gereizt. Manchmal haßt er sie geradezu.

Längst fühlt er, daß es so nicht weitergehen dürfe, um seiner selbst und mehr noch um Edines willen, die schließlich nichts dafür konnte, daß seine Seele so zerfahren und schwach geworden war. Er mußte für eine Weile fort – mußte fern von Wolfeck ins Gericht mit sich gehen, seinen alten eisernen Willen wieder wachrufen und sich zwingen, ein anderer Mensch zu werden.

Ein Mensch, der unangefochten von törichten Träumen ruhig und unbeirrt den Weg der Pflicht geht, wenn auch die Blume Glück für ihn verwelkt ist.

Das hofft er in Wien zu lernen. Aber das kann er Edine selbstverständlich nicht sagen, und darum muß er lügen.

Edine betrachtet ihn verstohlen von der Seite. Warum sagt er kein Wort? Und wie elend er aussieht …!

»Was willst du denn eigentlich in Wien, Ronny? Hast du Geschäfte dort?«

»Ja.«

»Du bist doch hoffentlich nicht krank und willst am Ende einen Arzt dort zu Rate ziehen … du siehst heute so blaß aus, Ronny?«

»Durchaus nicht. Wie kommst du auf die Idee? Ein bißchen überarbeitet bin ich allerdings … schlafe schlecht in letzter Zeit … wir hatten die letzten Wochen ungeheuer viel Arbeit. Zwei neue Artikel, die wir einführen, geben viel zu schaffen …«

»Ich dachte, Papa arbeitet jetzt wieder regelmäßig mit dir im Büro?«

»Allerdings. Trotzdem bleibt mehr als genug für mich übrig. Schließlich spürt man das dann eines Tages.«

»Und davon hast du mir bisher kein Wort verraten! Armer Ronny, da wird dir ein wenig Ausspannung in Wien gewiß gut tun.«

»Das dachte ich auch. Darum faßte ich auch heute nacht, als ich wieder nicht schlafen konnte, den Entschluß, die Geschäfte in Wien lieber selbst zu erledigen und mir nachher noch ein paar Tage Ruhe zu gönnen.«

Ronald blickt auf seine Uhr und erhebt sich.

»Ich muß eilen, sonst versäume ich den Zug … lebe wohl, Edine. Gnädigste Baronin …« er küßt beiden Damen die Hand.

Edine begleitet ihn hinaus.

»Glückliche Reise, Schatz! Und amüsiere dich nur gut in Wien!«

Der Wunsch entlockt Ronald nur ein bitteres Lächeln. Tief aufatmend tritt er aus dem Haus ins Freie.

Gottlob, das war überstanden!

Edine kehrt ins Wohnzimmer zur Mutter zurück.

»Gott sei Dank – er ist fort und hoffentlich auf recht lange!« sagt sie. »Benahm ich mich nicht gut als ›liebende Braut‹?«

»Tadellos! Und nun, Darling, wollen wir gleich ein Programm entwerfen für die Zeit der unverhofften Freiheit, die dir wurde.«

»Ach – wenn ich mich ihrer nur so recht von Herzen und sorglos freuen könnte! Aber hinter der Freude steht eben auch die Sorge – diese Reise könnte nur der Vorwand sein, um leichter mit mir zu brechen …«

»Aber nein – wer wird immer gleich Gespenster sehen? Schlomm ist doch ein Ehrenmann, der gewiß sein Wort nie brechen wird!«

»Hoffen wir es wenigstens! Das ist ja auch die einzige gute Eigenschaft an ihm, mit der ich rechne!«


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