Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.
Braut und Bräutigam

»Was willst du denn eigentlich von mir, Ronald? Die Person war frech, und ich habe sie zurechtgewiesen, das ist alles, und damit ist die Sache wohl erledigt.«

»Damit ist sie nicht erledigt.«

Sie stehen sich Auge in Auge gegenüber in Ronalds Arbeitszimmer. Edine noch mit zorngeröteten Wangen, Ronald blaß, fast unnatürlich ruhig, aber voll eiserner Entschlossenheit.

»Nein, sie ist nicht erledigt. Du hast eine junge Dame, die wir alle hochschätzen, um der selbstlosen Aufopferung willen, mit der sie sich meinen Stiefgeschwistern widmet …«

»Dafür wird sie ja bezahlt – und sicherlich sehr gut bezahlt!«

»Die Art, wie Fräulein Benedikt ihren Pflichten nachkommt, läßt sich nie mit Geld bezahlen! Du hast sie auf das tiefste beleidigt und kannst ihr keine andere Genugtuung geben, als daß du dich noch heute deswegen bei ihr wenigstens entschuldigst

Edine wirft den Kopf zurück und lacht gellend auf.

»Das glaubst du wohl selber nicht im Ernst, Ronald, daß ich mich vor der Person jemals in solcher Weise demütigen könnte!«

»Doch, ich erwarte es allen Ernstes. Es ist keine Demütigung, ein in hitziger Übereilung begangenes Unrecht einzugestehen. Es beweist nur Einsicht, Verstand und – Herz.«

»Ich habe kein Unrecht begangen.«

»Laß uns darüber nicht abermals streiten, sondern bei der Sache bleiben. Willst du Fräulein Benedikt ein paar entschuldigende Worte sagen?«

»Nein!«

»Edine – besinne dich! Du hast bisher meine Wünsche nie berücksichtigt, mir seit unserem Verlobungstag aber sehr oft Gelegenheit gegeben, an deinem Herzen zu zweifeln. Heute muß ich auf meinen Wunsch bestehen. Laß mich nicht die traurige Entdeckung machen, daß du in der Tat … kein Herz besitzst! Ich müßte dann auch an deiner Liebe zweifeln und dann …«

»Dann?«

»Dann würde ich den Tag bereuen, der zwei Menschen aneinanderkettete, die selbst beim besten Willen kein dauerndes Glück ineinander finden könnten!« antwortet Ronald mit schwerem Ernst.

Edine ist ein wenig blaß geworden. Ihre Gedanken schweifen zurück nach jener Zeit, wo sie sich alle Mühe gab, diesen Mann, den sie nicht liebt, mit allen Mitteln der Koketterie zu erobern, weil er – reich ist. Es ist ihr gelungen. Wenn ihre Mutter stirbt und deren Pension, sowie die Apanage, die die Verwandten ihr als Zuschuß – als sehr anständig bemessenen Zuschuß – zahlen, erlischt, braucht sie nicht vor der Zukunft zu zittern. Als Ronald Schlomms Gattin wird sie im Gegenteil ihr Leben noch ganz anders genießen können als bisher …

Nun hat sie plötzlich das dunkle Gefühl, als wanke diese scheinbar so gesicherte Zukunft. Als liebe Ronald sie gar nicht so blind und heiß, wie sie angenommen. Als sei er nicht der gefügige Sklave, den sie mit Selbstverständlichkeit in ihm vorausgesetzt hat. Als sei das mühsam errungene Ziel in Gefahr, wenn sie nicht nachgäbe …

Finster starrt sie vor sich hin.

Soll sie wirklich nachgeben? Es ist wahr, bisher hat sie weder seine Wünsche berücksichtigt, noch sich ihm sonst gefügt … es seit der Verlobung nicht einmal der Mühe wert gehalten, ihm Liebe zu heucheln …

Hatte ihn das verstimmt? Kein Zweifel – er war verändert gegen früher … vielleicht lange schon, ohne daß sie es bemerkt hatte … Jetzt freilich kommt ihr manches in Erinnerung aus der letzten Zeit, was sie stutzig macht …

Ein ungeheuerlicher Gedanke blitzt in ihr auf. Diese Erzieherin, die sich offenbar Hoffnungen auf ihn gemacht – hübsch war sie ja und die Gelegenheit im Haus so günstig –, warum setzt er sich gar so für sie ein? Sollte …

»Nun?« fragt Ronald ungeduldig, »hast du dich entschieden?«

»Du bestehst also wirklich darauf, daß deine Braut sich vor dieser wildfremden Person demütigt? Liebst du mich denn nicht mehr, Ronald?« sagt sie, einen klagenden Ton anschlagend.

»Dies ist keine Frage der Liebe, sondern der Gerechtigkeit« gibt er errötend mit abgewandtem Gesicht zurück.

Edine weiß genug. Also wirklich! denkt sie. Aber sie ist viel zu klug, um merken zu lassen, was nur ihren Stolz, nicht ihr Herz trifft. Sie fühlt nur: Ich muß retten, was noch zu retten ist …

Plötzlich schlingt sie den Arm um seinen Nacken und drückt den rotblonden Kopf eng an seine Brust.

»Ich will es tun, Ronny … dir zuliebe,« flüstert sie, »du sollst nicht mehr an meiner Liebe zweifeln … das tut zu weh …«

Aufatmend tritt er zurück.

»Ich danke dir, Edine. Und damit dir das Opfer nicht zu schwer erscheint, magst du es mit ein paar schriftlichen Worten erledigen.«

»Nun – einen Kuß bekomme ich nicht als Dank?«

Er küßt sie.

»Wie kalt deine Küsse geworden sind, Ronny! Früher küßtest du mich anders …«

»Früher …!« Er atmet schwer, während er das Wort leise wie im Traum wiederholt.

Sie tut, als merke sie seine Befangenheit nicht. Wieder lehnt sie den Kopf an seine Brust.

»Wir sind einander entfremdet durch meinen Kitzbühler Aufenthalt …«

»Die Reise erfolgte gegen meinen Willen, wie du weißt! Ich bat dich, hierzubleiben und diese übertriebene Sportjagd, die dir Leben bedeutet, überhaupt einzuschränken!«

»Ich will es versuchen, Ronny … sei nur wieder gut, ja? Mach' ein freundliches Gesicht und sei lieb. Wir wollen uns vertragen und …«

Ronald erhebt sich plötzlich.

»Du entschuldigst, liebe Edine, aber mir fällt eben ein, daß ich vor Tisch noch einmal nach der Fabrik hinaus muß. Eine äußerst wichtige Sache, die ich dem Betriebsleiter zu sagen vergaß – du bleibst doch zu Tisch bei uns?«

»Ja …«

»Dann sehen wir uns ja bald wieder.«

»Ich wollte aber doch wegen der morgigen Verlobungsfeier einiges besprechen, darum kam ich her. Tante und Onkel wollen wissen, wie sie die Tischordnung einteilen sollen …«

»Wir besprechen das später beim Essen. Geh einstweilen zu Mama und leiste ihr ein wenig Gesellschaft … sie ist ohnehin schlechter Laune, weil schon ein paar Tage lang nichts los war und sie sich daher langweilt. Auf Wiedersehen in einer halben Stunde.«

Frau Irene ist wirklich außergewöhnlich schlechter Laune. In der letzten Zeit entwickeln sich die Dinge ganz gegen ihren Willen und ihre Erwartungen.

Seit der Rückkehr ihres Gatten – Irene wenigstens sieht diese als Grundursache an – ist Sascha Kelim nicht mehr der feurige Anbeter wie früher. Wohl kommt er auch jetzt noch nach Wolfeck, macht ihr den Hof und spricht, wenn sie gerade mal allein sind, von Liebe …

Aber in einer leichten, mehr tändelnden Art, und oft ist er zerstreut und scheint in Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt. Und er drängt nicht mehr, daß sie mit Hans wegen der Scheidung spreche, fragt nicht einmal, ob sie es schon getan habe oder nicht.

Im Gegenteil. Als sie vor einigen Tagen auf einem Abendessen bei Bekannten, bei dem Sascha ihr Tischherr war, nur ihm verständlich davon zu sprechen anfangen wollte, wehrte er hastig, beinahe erschrocken ab.

»Aber ich bitte Sie – davon wollen wir doch jetzt, mitten unter den Leuten, nicht reden! Wie leicht könnte jemand ein Wort auffangen … außerdem eilt es ja nicht. Sie meinten doch selbst, daß man dazu erst eine passende Gelegenheit abwarten müsse …«

Kühl und gleichgültig klang es, und Irene Schlomm kann seitdem die Worte gar nicht mehr aus dem Kopf bringen. »Es eilt ja nicht …!«

Ist Saschas Leidenschaft schon abgekühlt? Reut es ihn, sich an sie gebunden zu haben?

Bei dem Gedanken an diese Möglichkeit überläuft es die schöne Frau jedesmal heiß und kalt. Sie hat sich seit jener Stunde in der Bucht des Eislaufplatzes am Lobsteiner See schon so fest in den Gedanken hineingelebt, in absehbarer Zeit Prinzessin Kelim zu werden, daß sie überhaupt an nichts anderes mehr denkt als an seine möglichst rasche Verwirklichung.

Nun sollte der Prinzessinnentraum am Ende ausgeträumt sein, noch ehe er begonnen hat …?

»Das darf nicht sein! Ich würde es nicht überleben!« denkt sie unablässig.

Aber auch von anderer Seite türmen sich unerwartet Schwierigkeiten auf. Hans Schlomms Verhalten gegen Irene ist so verändert seit seiner Wiener Reise, daß sie beim besten Willen keinen Vorwand herausklügeln kann, um die Scheidung zu verlangen.

Sein Interesse für das weibliche Geschlecht scheint vollkommen erloschen zu sein. Er betrügt seine Frau nicht mehr, er bestrebt sich, ihr ein treuer Freund zu sein, er liebt seine Kinder und bildet sich immer mehr zum guten Hausvater aus, der Glück und Genügen in Heim und Familie findet.

Nie fragt sich Frau Irene, was diese auffallende Veränderung bewirkt haben könnte? Sie ärgert sich nur darüber, denn sie fühlt sich in ihren Plänen dadurch gehindert.

Wie soll sie eine Scheidung von Hans verlangen, wenn er ihr jeden Vorwand dazu entzieht?

Kein Wunder also, daß Edine bei der Freundin, die so stark mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt ist, heute wenig Interesse findet, als sie ihr ihr Leid klagt über die Frechheit dieser Erzieherin … und Ronalds Verhalten nachher.

Mißgestimmt und gereizt hört sie Edines ausführliche Schilderung an, um zuletzt ärgerlich zu sagen: »Nun kommst du mir auch noch mit solchen Sachen! Als ob ich nicht schon genug mit Widerwärtigkeiten geplagt wäre! Was kann denn ich dafür, daß du einen Auftritt mit der Benedikt hattest? Warum hast du ihn provoziert?«

»Erlaube …«

»Natürlich hast du ihn provoziert! Mußtest du sie reizen? Dadurch hast du dann auch Ronald zu seinem Verhalten gezwungen. Du hättest eben vor allem bedenken müssen, daß die Benedikt nicht in deinen Diensten steht, meine Liebe, und daß wir mit ihr zufrieden sind!«

»Das ist alles, was du mir zu sagen hast, Irene – du, die du dich immer meine beste Freundin nanntest?«

»Gott – ich kann doch nichts tun in einer Sache, die hinter meinem Rücken geschah und bereits erledigt ist!«

»Du kannst sehr viel tun! Du mußt mir die Genugtuung verschaffen, die Ronald mir verweigerte: Du mußt die Person sofort entlassen wegen ungebührlichen Benehmens – das erwarte ich von deiner Freundschaft!«

»Aber liebe Edine – ich denke gar nicht daran! Erstens bin ich persönlich sehr zufrieden mit der Benedikt, denn sie hält mir die Kinder vom Leib, und seit sie im Hause ist, hat das nervenaufregende Lärmen und Tollen aufgehört, das mich früher oft rasend machte – zweitens würde es Ronald, der große Stücke auf die Benedikt hält – ebenso wie mein Mann – ja auch gar nicht erlauben

»Selbstverständlich hält er große Stücke auf die Person, weil sie ihn behext hat und er in sie verliebt ist!« fährt Edine zornig auf. »Glaubst du, ich hätte das nicht gemerkt? Und daß er mich nur heiraten wird, um nicht wortbrüchig zu werden?«

»Bist du eifersüchtig?«

»Lächerlich! Ich fürchte die Person keineswegs, aber meine Genugtuung will ich haben! Die mußt du mir verschaffen, indem du sie entläßt!«

»Das ist unmöglich, liebe Edine, wie ich dir bereits auseinandersetzte.«

»Bist du die Frau im Haus oder – Ronald?«

»Ich natürlich. Ich stehe mich ja, wie du weißt, auch sehr gut mit meinem Stiefsohn – aber Einfluß habe ich gar keinen auf ihn, das weißt du auch. Wenn du selbst also die Entlassung der Benedikt nicht bei ihm durchsetzen konntest, dann darf ich es erst recht nicht versuchen.«

»Du willst also nicht?«

»Nein. Und damit bitte, laß mich zufrieden – es lastet ohnehin genug Schweres auf mir!«

Edine ist ganz blaß vor Wut geworden und nagt zornig an ihrer Unterlippe.

Für so wenig mitfühlend hat sie Irene doch nicht gehalten, obwohl sie nie große Stücke von ihrer Freundschaft hielt. Diese kaltherzige Egoistin! Aber sie wird es ihr schon heimzahlen eines Tages … für jede Beleidigung kommt die Stunde der Rache …

Plötzlich blitzt eine Erinnerung in ihr auf … gottlob, daß es ihr gerade jetzt einfällt … Da hatte sie ja gleich einen Pfeil bei der Hand, dessen Gift sicherlich nicht wirkungslos bleiben wird …

Und Edine beugt sich dicht an die neben ihr auf dem Ruhebett liegende Freundin heran.

»Gut,« raunt sie leise und doch jedes Wort betonend: »ich werde das Entschuldigungsbillett an die Benedikt schreiben, und sie mag meinetwegen im Hause bleiben, da ihr sie ja alle so sehr liebt! Aber gib acht, daß du eines Tages nicht selbst bereust, ihr nicht beizeiten die Türe gewiesen zu haben! Sie behext alle Männer, nicht bloß – Ronald!«

»Was willst du damit sagen?«

»Nichts, als daß auch dein Sascha ein Auge auf sie geworfen hat! Ich fing neulich zufällig einen Blick von ihm auf, als er mit mir am Fenster stand und sie unten im Park mit den Kindern spielte, der an bewunderndem Entzücken nichts zu wünschen übrigließ!«

Irene fährt mit einem Ruck aus ihrer liegenden Lage auf.

»Das ist nicht wahr! Das sagst du nur, um mich zu ärgern!«

Edine zuckt die Achseln.

»Glaube oder glaube nicht, aber folge meinem Rat – denn ich bin eine bessere Freundin als du – und halte die Augen offen! Und nun auf Wiedersehen bei Tisch. Ich will Ronald ein Stückchen entgegengehen.«


 << zurück weiter >>