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XIV.
Prinz Sascha benützt die Gelegenheit – und Frau Irene macht eine Szene …

Frau Irene sitzt mit ihren Gästen – ein paar Familien aus der Nachbarschaft, Prinz Kelim, dem Landrat, Baron Werndl und seinen Damen, sowie Frau v. Hergel, einer reichen jungen Witwe und Sportsdame, die gegenwärtig einige Wochen bei Verwandten in Lobstein verbringt – auf der großen Gartenterrasse beim Nachmittagskaffee.

Die Unterhaltung, von Edine und Frau v. Hergel sehr lebhaft geführt, dreht sich um das übermorgen stattfindende Autorennen am Semmering, an dem sich Frau von Hergel beteiligen will. Ein Vetter von ihr, als geschickter Autofahrer bekannt, soll den Mercedeswagen steuern, Baronin Werndl mit ihrer Tochter als Gäste die Fahrt mitmachen, die sportlich besonders interessant zu werden verspricht durch die Anmeldung berühmter Rennfahrer aus dem Ausland, die sich daran beteiligen wollen.

Edine zittert heimlich nur vor einem – daß Ronald vorzeitig heimkehren und ihr die Teilnahme am Nennen verbieten könnte.

Noch ist er in Wien – nun schon die zweite Woche. Aber kann man wissen, ob er nicht plötzlich wieder da ist, wenn man ihn am wenigsten brauchen kann?

Einstweilen aber ergeht sich Edine mit Frau v. Hergel im Plänemachen über die einzelnen Programmpunkte des Rennens.

Landrats haben ihre kleinen Knaben mitgebracht, die Elisabeths Obhut übergeben worden sind. Aber man hört und sieht nichts von den Kindern, was die stets überängstlichen Eltern allmählich beunruhigt. Rolly und Freddy sind doch sonst so lebhaft und stets zu hören, mögen sie auch weit entfernt sein …

Das Fräulein wird doch nicht mit ihnen in den Wald gegangen sein? Wie leicht könnten sich die Knaben dort erkälten! Oder sich feuchte Füßchen holen, oder auf Bäume zu klettern versuchen und sich Schaden tun …

Die Landrätin wagt endlich eine schüchterne Frage an die Hausfrau. Aber Irene lacht sorglos.

»Gott, Sie werden sich doch deswegen nicht im Ernst beunruhigen, Baronin? Seien Sie froh, daß Sie Ruhe vor den Kindern haben! Bei der Benedikt sind sie zweifelsohne gut aufgehoben.«

»Davon bin ich überzeugt. Das Fräulein macht ja einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck … trotzdem möchte ich gern nachsehen, was die Kinder treiben. Sie sind ja noch so klein … und ich bin immer nur beruhigt, wenn ich sie in meiner Nähe weiß. Vielleicht könnte Fräulein Benedikt sich mit ihnen in Sehweite aufhalten …«

Irene ist eben im Begriff, eine spöttische Bemerkung zu machen, als Prinz Kelim sich rasch erhebt.

»Natürlich, Baronin, wer könnte das nicht verstehen bei einer so vorbildlich guten Mutter, wie Sie sind! Ich werde sofort nach Fräulein Benedikt suchen und ihr Ihren Wunsch mitteilen.«

Irene wirft ihm einen scharfen Blick zu.

»Sie werden sich doch nicht selbst bemühen, Durchlaucht! Das kann doch ein Diener besorgen …«

»Wozu? Ich gehe sehr gern, denn ich teile den Wunsch unserer verehrten Baronin, dem Spiel der Kinder wenigstens von weitem zusehen zu können. Im Gegensatz zu Ihnen, meine Gnädigste, finde ich nämlich Kinderspiele voll reizender Anmut!« antwortet Sascha mit boshaftem Lächeln und entfernt sich im nächsten Augenblick auffallend eilig.

Irene beißt sich ärgerlich auf die Lippen und sieht ihm zornig nach.

Wie eilig er es hat, fortzukommen! Und als ob er sich bisher je das geringste aus Kindern gemacht hätte! Lästig waren sie ihm, wie ihr selbst … und das plötzlich bekundete Interesse galt also sicherlich nicht ihnen, sondern dieser Benedikt!

Das Samenkorn der Eifersucht, das Edine seinerzeit boshaft in ihre Seele gesenkt und das sie seitdem nie mehr zur Ruhe kommen läßt, schießt plötzlich ins Kraut …

Sascha aber ist heidenfroh, aus der ihn wieder einmal grenzenlos langweilenden Gesellschaft loszukommen und einen Vorwand zu haben, sich Elisabeth zu nähern.

Seit jener Szene im winterlichen Park, wo sie seine dreiste Einladung, nach Ravelsperg zu kommen, so empört zurückwies, ist ihm dies nicht wieder gelungen.

Sie behandelte ihn seitdem völlig als Luft und wußte ihm geschickt jede Gelegenheit zu entziehen, sich ihr noch einmal ohne Zeugen zu nähern. Höchstens bei Tisch oder im Park in Gegenwart der Hausfrau bekommt er Elisabeth ab und zu zu Gesicht.

Aber gerade das reizt sein Verlangen, ihr näherzutreten und steigert den Wunsch, dies stolze, spröde Mädchen dennoch zu erobern, ins Ungemessene.

Und seit jenem ersten mißlungenen Versuch im Winter glaubt Sascha ja auch eine Waffe zu besitzen, die Elisabeth einschüchtern und ihm zuletzt sogar zum Sieg verhelfen muß – ihre heimlichen Beziehungen zu Graf Gadenbruck.

Öfter hat er die beiden seitdem heimlich beobachtet, wenn Elisabeth an freien Sonntagen nach Waldheim wanderte. –

Leider nur erwartete sie dann Graf Gadenbruck stets schon am Parkausgang von Wolfeck und begleitete sie abends wieder dahin zurück, so daß Sascha sie nie ansprechen und von seiner »Waffe« Gebrauch machen konnte.

Aber einmal wird ihm das Glück ja doch günstig sein …

Elisabeth, die am äußersten Parkende mit den Kindern in einer Eschenlaube sitzt und ihnen Geschichten erzählt, ist wenig erbaut, als plötzlich Prinz Kelim am Laubeneingang vor ihr auftaucht.

»Durchlaucht wünschen?« fragt sie kalt.

Er hebt die Lider von seinen verschlafenen Orientalenaugen, wodurch diese etwas Zwingendes bekommen, sieht sie einen Augenblick starr an, als wolle er sie hypnotisieren und antwortet bedeutungsvoll: »Was ich wünsche? Oh … allerlei, wie Sie sich wohl selbst sagen können, gnädiges Fräulein … offiziell komme ich im Auftrag der Frau Landrätin.«

Aber für Elisabeth haben diese Augen, die Sascha sonst bei Frauen stets soviel Erfolge verschaffen, nicht das geringste Zwingende. Sie scheint sie gar nicht zu sehen.

»Dann bitte ich Durchlaucht, diesen Auftrag auszurichten …« sagt sie noch kälter.

»Und dann wieder zu – verschwinden, wollten Sie wohl hinzufügen?«

Elisabeth schweigt.

Er lächelt halb spöttisch, halb ärgerlich.

»Ihr Schweigen ist ebenso beredt wie schmeichelhaft für mich, meine Gnädigste, aber Sie verzeihen, wenn ich Ihrem so deutlich ausgedrückten Wunsch trotzdem nicht nachkomme. Mit dem Auftrag eilt es nicht. Ich werde ihn Ihnen später mitteilen. Wollen Sie lieber so gütig sein, erst Ihre Geschichte zu Ende zu erzählen … Sie sehen ja, wie die kleinen Herrschaften darauf brennen! Nicht wahr, Jungens – Fräulein soll weiter erzählen und Onkel Sascha darf zuhören?«

»Ja – erst fertig erzählen!« drängen die Kinder im Chor. »Bitte, bitte!«

Was bleibt Elisabeth anderes übrig, als dem allgemeinen Verlangen zu willfahren, will sie nicht einen Eklat heraufbeschwören? »Onkel Sascha« ist doch Gast des Hauses – sie darf ihn nicht vor den Kopf stoßen, so gern sie es auch getan hätte …

So kurz wie möglich beendet sie also die Geschichte, sich gleich nach dem letzten Wort erhebend.

»Und nun, Durchlaucht – Ihren Auftrag?«

Umständlich teilt er ihr diesen mit. Die Kinder sind aus der Laube gesprungen, Sascha hofft, daß er nun auf dem Rückweg zum Schloß Gelegenheit haben wird, mit Elisabeth allein zu sprechen.

Aber sie errät seinen Wunsch und vereitelt ihn, indem sie Inges und Fees Arme in die ihren nimmt.

»So – ihr beiden Großen geht mit mir! Die Jungens mögen allein laufen.«

Sascha wirft ihr einen ärgerlichen Blick zu.

»Sie sind Meisterin im Grausamsein! Warum behandeln Sie mich eigentlich immer so feindselig, obwohl Sie doch gewiß keinen besseren Freund besitzen als – mich?«

Elisabeth tut, als habe sie die Worte gar nicht gehört.

Er aber läßt sich nicht abschrecken.

»Sie sind es doch sonst nicht – gegen andere zum Beispiel, die sich Ihrer größten Gunst erfreuen, wie ich aus eigener Wahrnehmung weiß!«

Diesmal vermag Elisabeth nicht zu tun, als habe sie die Worte überhört. Jähe Glut schlägt über ihr Gesicht, das den Ausdruck höchster Bestürzung annimmt.

Großer Gott – sollte dieser Mensch etwas von ihrer heimlichen Liebe zu Ronald gemerkt haben?

Sie hat jedoch keine Zeit, den Gedanken weiter zu verfolgen. Vom Ende des Weges her nähern sich ihnen Frau Irene und das landrätliche Paar in raschem Schritt.

Das lange Ausbleiben Sascha Kelims hat alle drei – wenn auch aus sehr verschiedenen Gründen – beunruhigt, und sie haben sich nach ihm und den Kindern auf die Suche gemacht …

»Mein Gott, wo blieben Sie denn nur solange, Durchlaucht? Die Baronin und ihr Gatte sind schon in größter Sorge ihrer Kinder wegen,« fragt Irene aufgeregt.

»Ganz ohne Ursache, meine Gnädigste! Die kleinen Herrschaften waren in bester Obhut …«

»Aber Sie sollten sie doch in unsere Nähe holen!«

»Tat ich ja auch, wie Sie sehen! Aber Fräulein Benedikt war gerade dabei, eine wunderschöne Geschichte vom Prinzen Wunderhold zu erzählen, da wollte ich sie selbstverständlich nicht unterbrechen – sondern hörte lieber – selber zu. Wir mußten doch allesamt erfahren, wie der Prinz zum Schluß seine Prinzessin bekam!« antwortet Sascha mit harmloser Miene.

Zwischen Eltern und Kindern Werndl hat es inzwischen ein stürmisches Wiedersehen mit Herzen und Küssen gegeben. Begeistert berichten die kleinen Knaben von der Geschichte und daß niemand so »söne« Geschichten erzählen könne und so lieb sei, wie Tante Lisa …

Irene ist mit funkelndem Blick auf Elisabeth, die sich bescheiden ein paar Schritte zurückgezogen hat, herangetreten.

»Ich wünsche, daß Sie künftig taktvoller sind, Fräulein, und sich ausschließlich den Kindern widmen – anstatt meinen Gästen Liebesgeschichten zu erzählen, verstanden?« sagt sie scharf, wenn auch mit so gedämpfter Stimme, daß nur Elisabeth die Worte verstehen kann.

Diese fährt, blutrot werdend, entrüstet auf.

»Ich muß sehr bitten, gnädige Frau, sich zu mäßigen! Diesen Ton verdiene ich nicht. Es war gewiß nicht meine Schuld, daß Prinz Kelim sich mir gegen meinen Willen als Zuhörer aufdrängte. Seien Sie überzeugt, daß ich es nur zu gern verhindert hätte, wäre ich dazu imstande gewesen.«

»Schon gut. Ich hoffe, Sie berücksichtigen künftighin meine Wünsche,« unterbricht sie Irene, durch diese Erklärung keineswegs beruhigt, hochfahrend. »Kommen Sie, Durchlaucht,« schließt sie dann, des Prinzen Arm ergreifend und mit ihm einem Seitenweg zustrebend, während Werndls mit Elisabeth und den Kindern dem Hauptweg zum Schloß folgen.

Kaum außer Hörweite der anderen bleibt Irene plötzlich stehen und herrscht den Prinzen mit argwöhnischem Blick an.

»Was fiel dir nur ein, Sascha, dir von dieser Person Geschichten erzählen zu lassen? Warum hattest du es überhaupt so eilig, die Kinder selbst holen zu wollen? Mir kommt das sehr merkwürdig vor, und ich bitte mir eine Erklärung dafür aus, hörst du?«

Sascha ist etwas unbehaglich zumute, denn er hört aus Irenes Ton die Eifersucht heraus und ahnt das Aufsteigen eines Gewitters. Außerdem haßt er Szenen und fürchtet Irene in gewissem Sinne.

Denn diese Frau besitzt sein Wort, sie zu heiraten nach erfolgter Scheidung. Ein Wort in leidenschaftlicher Aufwallung gegeben, das ihn längst reut und das er durchaus nicht ernst nimmt. Die Leidenschaft seines leicht entzündlichen Herzens ist so rasch verflogen wie sie seinerzeit erwacht ist, und Sascha hätte Irene längst abgeschüttelt, wenn sie ein armes Mädchen aus dem Volk gewesen wäre.

Wie vielen hatte er Liebe geschworen und die Ehe versprochen! Hätte er alle die heiraten wollen … du lieber Gott …!

Aber Irene war eine Dame der hiesigen Gesellschaft, mit der man leider nicht so brutal verfahren konnte. Schon einmal hatte sie ihm gedroht, sie werde nie von ihm lassen, und wenn sie merke, daß er es nicht ernst mit seinem gegebenen Wort nähme, ihrem Mann einfach davonlaufen, um ihn durch den Eklat zu zwingen, sein Versprechen einzulösen.

Und so wie Sascha Irene in der letzten Zeit kennengelernt, wäre sie tatsächlich imstande, einen solchen Gewaltstreich auszuführen.

Man mußte also unbedingt trachten, im Guten von ihr loszukommen …

»Aber meine Teuerste … ich begreife wirklich nicht …« sagt er daher beschwichtigend, »worüber Sie sich erregen? Die Sache ist doch so harmlos, daß es nicht lohnt, darüber zu reden! Hätte ich eine Ahnung gehabt, daß es Ihnen unangenehm war, würde ich den Auftrag der Baronin einem Diener überlassen haben oder wäre sofort zurückgekehrt …«

»Warum sagst du neuestens immer ›Sie‹ zu mir, auch wenn wir, wie jetzt – allein sind?«

»Es geschieht doch nur aus Rücksicht für Sie. Wenn uns jemand zufällig hörte …«

»Was läge daran? Übrigens hast du mir noch nicht erklärt …«

»Aber es ist doch gar nichts zu erklären, Teuerste!«

»Du willst mich doch nicht im Ernst glauben machen, daß es die Kinder waren, die dich lockten – dich, der Kinder nie mochte!«

»Darin irrst du, Irene. Ich habe es immer bedauert, daß du die deinen so geflissentlich von mir fernhältst. Sie sind doch entzückend!«

»Sei lieber ehrlich und sage – ihre Erzieherin erscheint dir plötzlich entzückend!«

»Irene!?« Mit gut gespielter Betroffenheit tritt er einen Schritt zurück. »Ich will doch nicht hoffen, daß du so geschmacklos sein könntest … dich und mich mit Eifersucht zu plagen?«

»Schwöre mir, daß die Benedikt dir gleichgültig ist!«

Ihm riß die Geduld. Hinter der glatten Salonhöflichkeit zuckt plötzlich das wilde Blut des Halbasiaten auf, ererbt von der Mutter, die eine schöne Araberin gewesen ist.

Zornig stampft er mit dem Fuß auf, zornig flammen seine Augen.

»Das ist aber wirklich zu arg! Ich verbiete dir, mich durch solche Albernheiten zu beleidigen! Was schert mich eure Erzieherin? Und überhaupt – bin ich ein Knabe, der sich von dir abkanzeln lassen muß? Oder dein Sklave?«

Irene streicht sich wie erwachend über das erhitzte Gesicht. Sie fühlt, daß sie zu weit gegangen ist und einlenken muß.

»Verzeih, Sascha …« stammelt sie eingeschüchtert, »es war doch nur Liebe …«

Er lacht spöttisch auf.

»Als ob du überhaupt wüßtest, was – Liebe ist! Jedenfalls danke ich für diese Art Liebe.«

Grollend will er sich zum Gehen wenden. Irene legt schüchtern die Hand auf seinen Arm.

»Bleibe doch noch ein wenig, Sascha … sage, daß du mir nicht mehr böse bist und mich lieb hast …!«

»Wenn du dein Unrecht einsiehst …«

»Ja, alles sehe ich ein …«

Er streicht flüchtig über ihr rostbraunes Haar und denkt: Wenn sie wüßte, wie sie mich langweilt durch ihr sentimentales Wesen …!

Laut sagt er: »Nun laß uns aber gehen. Du bist Hausfrau, und deine Gäste werden dich bereits vermissen. Ich möchte nicht, daß man Bemerkungen über uns macht … deinetwegen.«


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