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XIX.
Der Stein des Anstoßes …

Edine schwankt noch, als Irene sagt: »Wenn du schon nicht Ronald zuliebe bleiben willst, so tue es aus Freundschaft für mich! Ich befinde mich in geradezu trostloser Stimmung, und die Abende sind jetzt zum Auswachsen langweilig, seit mein Mann auf die unglückliche Idee verfiel, wenn wir keine Gäste haben, die Benedikt mit den Kindern zum Abendessen zuzuziehen.«

»Oh – das ist ja eine interessante Neuerung,« wirft Edine aufhorchend ein, »und ich begreife – abgesehen von den Kindern, die ja an sich nicht zu den Annehmlichkeiten bei Tisch gehören –, daß dir die Gegenwart der Benedikt besonders unangenehm ist!«

»Gräßlich – sage ich dir!« klagt Irene. »Schon der bloße Anblick dieser dreisten Person, die sich erfrecht, mit Sascha zu kokettieren, regt mich jedesmal auf!«

»Siehst du nun wohl, wie klug es gewesen wäre, sie damals nach dem Auftritt mit mir sofort zu entlassen? Aber du wolltest ja nicht!«

»Ich habe es seitdem tausendmal bereut! Obwohl – mein Mann und Ronald hätten es ja gar nicht gestattet. Sie haben einen Narren an dieser Person gefressen und halten wie die Kletten gegen mich zusammen in diesem Punkt, weil sie sie für – unersetzlich halten. Hans sagt, er wolle die Kinder beim Abendessen haben, wenn wir allein sind, weil er das Familiengefühl in ihnen pflegen wolle, aber ich bin überzeugt, sie wollen nur die Benedikt bei Tisch haben, um sich mit ihr zu unterhalten!«

Dieser Ansicht ist auch Edine, die fest davon überzeugt ist, daß diese Neuerung nur von Ronald ausgeht.

Er will sie in seiner Nähe haben, und steckt sich dabei hinter den Vater …

Dieser Gedanke macht Edines Schwanken ein Ende. Sie will die beiden doch einmal beobachten … wie sie im »Familienkreis« miteinander verkehren. Man muß daraus doch auf den Grad ihrer Liebe schließen können, und es kann für die Zukunft nicht schaden, darüber genau informiert zu sein …

So wider Erwarten großmütig sich Ronald heute auch ihr gegenüber gezeigt hat, es ist doch ein starker Rest von Unzufriedenheit nach der Szene mit ihm in Edine zurückgeblieben.

Erstens ein Gefühl des Gedemütigtseins, das sie mit Groll gegen ihn erfüllt und das sie ihm nie verzeihen wird – zweitens ist es ihr klar geworden, daß sie jeden Einfluß auf ihn verloren hat. Das paßt ihr gar nicht, trotz der gemachten Zugeständnisse …

Eine Frau, die gar keinen Einfluß auf ihren Mann hat, kann im gegebenen Augenblick auch nicht durchsetzen, was sie will …

Anders wäre es, wenn sie ganz genau wüßte, daß er wirklich eine starke Liebe für Elisabeth Benedikt im Herzen trüge, nicht bloß ein flüchtiges Interesse. Das gäbe dann schon eine gute Waffe für die Zukunft …

Nun, davon kann sie sich ja gleich heute abend überzeugen.

»Wenn dir wirklich so viel daran gelegen ist, daß ich zum Abendessen bleibe, so will ich es dir zuliebe also tun,« sagt sie lässig.

»Gott sei Dank! Und die Benedikt schneiden wir natürlich beide! Ich habe noch kein einziges Wort mit ihr gesprochen seit jener Szene, die ich neulich mit ihr Saschas wegen im Garten hatte. Aber davon habe ich dir ja erzählt.«

»Ja, und ich habe nur bedauert, daß du nicht auch gleich die Kündigung folgen lassen konntest. Übrigens ließe sich das immer noch machen …«

»Mein Mann hat es mir geradezu verboten, und ich habe gesehen, daß, so gut und nachgiebig er sonst in allem gegen mich ist – er in diesem Punkt dennoch unbeugsam sein würde. Ich tröste mich seitdem mit dem Gedanken, daß ich hoffentlich all dies nicht mehr lange mitmachen muß …! Wenn ich nur erst wieder mit Sascha versöhnt wäre …«

Edine kräuselt spöttisch die Lippen. Sie weiß viel besser als Irene, daß es Sascha Kelim gar nicht um Versöhnung zu tun ist, denn er hat sich in letzter Zeit öfter zu ihr über Irenes »Sentimentalität« und »Tyrannei« beklagt.

Sie weiß also ziemlich gut Bescheid über Saschas »Liebe« und hat auch nie versäumt, als »gute Freundin« Öl ins Feuer zu gießen – schon weil sie sich dadurch bei Sascha den Platz einer hochgeschätzten Vertrauten und Beraterin errungen hat.

Aber davon braucht Irene nichts zu wissen …

Ohne auf deren letzte Bemerkung einzugehen, wirft sie spöttisch hin: »Aber liebste Irene – was bedeutet ein Mann, wenn eine Frau etwas ernstlich will? Laß doch deinen Mann reden und handle in der Stille selbst in bezug auf die Benedikt!«

»Ich verstehe dich nicht. Was könnte ich denn tun, wenn ich ihr nicht kündigen darf?«

»Ach – es gibt doch Auswege! Wo einem der gerade Weg verlegt wird, sucht man sich eben ein Hintertürchen …«

»Sage mir, was ich tun soll!«

»Ja, im Augenblick weiß ich das auch nicht. Man muß nachdenken. Ich werde es für dich tun, laß mir nur ein paar Tage Zeit, dann wird mir schon etwas einfallen.«

Der Gong ruft zum Abendessen, und nachdem Irene rasch ihren bequemen Kimono mit einem blaßblauen Seidenkleid vertauscht hat, begeben sich beide Damen hinab nach dem Eßzimmer.

Ronald begrüßt seine Braut mit ausgezeichneter Höflichkeit und widmet sich ihr auch im Verlaufe des Abends vorzugsweise im Gespräch. Weder der servierende Diener noch die Tischgenossen merken einen Unterschied gegen früher.

Beide machen ganz den Eindruck eines zwar modernen, aber glücklichen Brautpaares, das Zärtlichkeiten als geschmacklos und unzeitgemäß aus seinem Verkehr verbannt, sich im Grund aber ausgezeichnet versteht …

Herr v. Schlomm stellt das bei sich mit Befriedigung fest. Gottlob, es war eine Täuschung, als er Ronny für unglücklich hielt; – zwischen den Brautleuten ist alles wieder ausgeglichen … wie Ronald ja vorausgesagt hat.

Nur Edine selbst fühlt mit scharfem Instinkt, daß alles anders geworden ist zwischen ihr und Ronald …

Sein Benehmen ihr gegenüber ist nicht mehr gedrückt oder gezwungen wie vor ihrer Semmeringfahrt, es hat etwas Zielsicheres, Ruhiges – und was sie am meisten ärgert – Überlegenes bekommen.

Elisabeth gegenüber, die sich fast gar nicht am Gespräch beteiligt und sich fast ausschließlich mit den Kindern befaßt, offenbar weil sie sich durch Irenes und Edines völlige Nichtbeachtung bedrückt fühlt, ist Ronald von brüderlicher Unbefangenheit.

Er scherzt mit ihr und seinen kleinen Geschwistern und richtet öfter das Wort an sie – wie sein Vater, sichtlich bemüht, die Ungezogenheit seiner Stiefmutter und seiner Braut dadurch auszugleichen – aber Ton und Blick sind dabei nicht um ein Haar anders als gegen die Kinder oder die anderen.

Trotzdem hat Edine schon beim Eintritt Elisabeths die Gewißheit erlangt, daß ihr Verdacht nur zu gerechtfertigt ist. Ronald sprach in diesem Augenblick eben mit ihr und Irene. Er sprach ruhig weiter und schien gar nicht bemerkt zu haben, daß die Kinder mit ihrer Erzieherin eintraten. Aber, ihm selbst unbewußt, zuckt für den Bruchteil einer Sekunde etwas Heißes in seinen dunklen Grauaugen auf, das diese fast schwarz erscheinen läßt …

Und später, im weiteren Verlauf des Abends, als sie selbst mit ihrem Schwiegervater plaudert und Ronald sich unbewacht wähnt, hat sie dieselbe Flamme wieder in seinen Augen aufzucken sehen, während sein Blick anscheinend gleichgültig über Elisabeth hinstreift.

Für Edine, die Ronald so genau kennt, kann danach kein Zweifel mehr bestehen, daß er Elisabeth Benedikt tatsächlich liebt.

Aber wie gut und geschickt er Komödie zu spielen gelernt hat! denkt sie erstaunt.

Elisabeth selbst richtet den Blick nicht ein einziges Mal auf Ronald. Sie gibt ruhig Antwort, wenn er das Wort an sie richtet, beschäftigt sich dabei aber stets mit dem kleinen Walter und scheint ganz unbefangen. Ihr Gesicht ist die ganze Zeit über von so vollkommener Verschlossenheit, daß auch der schärfste Beobachter keine Schlüsse daraus hätte ziehen können, was hinter diesem eisernen Vorhang sich verbirgt …

Eine gefährliche Person, ist Edines Urteil. Auch sie hat gelernt … Damals las ich ihr die Gedanken vom Gesicht ab … heute ist sie ein Buch mit sieben Siegeln …

Ronald begleitet Edine nach Haugenbichl zurück. Aber von dem Augenblick an, wo man Wolfeck verläßt, ist er ein anderer und hüllt sich in eisiges Schweigen. Nur wenn man unterwegs Leuten begegnet, fängt er ein belangloses Gespräch an, das rasch wieder versickert, sobald man außer Hörweite ist.

Offenbar findet er es nicht für nötig, die Komödie weiterzuspielen, sobald man allein ist. Das hat er Edine ja heute oben in seinem Zimmer auch schon gesagt.

Aber obwohl ihr selbst nichts an einer Unterhaltung mit ihm liegt, empfindet sie das Demütigende seines Schweigens doch mit Erbitterung und bedauert, es ihm nicht auf der Stelle heimzahlen zu können.

Indes, auch dafür wird die Stunde kommen …


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