Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVII.
Die Stimme der Versuchung …

Edine erfährt noch am selben Abend durch einen Zufall von Ronalds Heimkehr. Ein gemeinsamer Bekannter, der am Bahnhof war, als Ronalds Zug einfuhr und der sich abends zum Tee bei Landrats einfindet, teilt es ihr mit – überzeugt, der Braut durch diese Nachricht eine freudige Überraschung zu bereiten.

Aber Edine vermag nur ein konventionelles Lächeln auf die Lippen zu zwingen. Innerlich schäumt sie vor Wut.

Also doch! Gerade heute, wo sie nur noch anderthalb Tage von dem Rennen trennen. Konnte er nicht noch zwei Tage in Wien bleiben? Aber sie hat es geahnt – er verdirbt ihr wirklich jedes Vergnügen …

Sie wirft Frau v. Hergel, die auch zum Tee mitgekommen ist, über den Tisch hinüber einen verzweifelten Blick zu, den diese ziemlich richtig deutet und mit einem beruhigenden Lächeln erwidert.

Dann überlegt Edine. Ist es nicht doch noch möglich, an dem Rennen teilzunehmen? Wenn sie Ronald recht herzlich bäte …? Aber nein, das wäre ganz aussichtslos. Er würde es keinesfalls gestatten. Er hatte kein Verständnis für die prickelnden Aufregungen des Sportes, betrachtete zumal die Autorennen als ein mutwilliges Spiel mit den geraden Gliedern, würde es unpassend finden, daß sie am Tage, nachdem er von der Reise zurückgekehrt, fortführe, und er mochte vor allem Frau v. Hergel nicht, weil sie als tollkühne Fahrerin und emanzipierte Sportdame, die noch dazu ihre Verachtung des männlichen Geschlechts offen zur Schau trug, bekannt war. Schon öfter hatte er sein Mißfallen über Edines Umgang mit Frau v. Hergel ausgesprochen und sie gebeten, ihn aufzugeben.

Nein, es war aussichtslos, ihn zu bitten …

Und verheimlichen ließ es sich auch nicht gut. Er würde ja zweifelsohne morgen kommen, um sie zu begrüßen, und morgen nachmittag wollte man die Fahrt nach dem Semmering antreten …

Als die Teegäste eine Stunde später aufbrechen, nimmt Frau v. Hergel Edine beiseite.

»Nun, warum machen Sie denn noch immer ein so betrübtes Gesicht, Kind? Sie lassen doch sonst das Köpfchen nicht so leicht hängen!«

»Ach, Sie haben ja gehört, liebste Paula, was Herr v. Winkler mir mitteilte – daß mein Bräutigam zurück ist!«

»Na – und?«

»Nun kann ich doch nicht am Bergrennen teilnehmen! Und ich hatte mich so närrisch darauf gefreut! Ronald aber würde es nie erlauben.«

»Sie sind ein kleines Schaf, Edine, wenn Sie sich durch Ihren Tyrannen wirklich um das harmlose Vergnügen bringen lassen!«

»Aber es geht doch nun einmal nicht anders! Er ist solch schrecklicher Dickkopf …«

»Bah, alles geht, wenn man will. Hören Sie, was ich mir ausgedacht habe: Wir fahren einfach statt morgen nachmittag morgen, ganz in aller Frühe – ehe er noch Gelegenheit hat, Ihnen seine Aufwartung zu machen …«

»Das wollten Sie wirklich tun mir zuliebe?« unterbricht sie Edine freudestrahlend.

Frau v. Hergel nickt.

»Aber gewiß! Mit großem Vergnügen sogar! Wo es gilt, den sogenannten ›Herren der Schöpfung‹ ein Schnippchen zu schlagen, bin ich allemal mit Begeisterung dabei! Wenn wir also morgen zeitig starten, brauchen Sie offiziell noch gar nichts von Ihres Bräutigams Ankunft zu wissen. Oder ist Herr v. Winkler ein intimer Freund von Ronald Schlomm?«

»Gar nicht, sie kennen einander nur ganz oberflächlich.«

»Desto besser, dann hat also Herr v. Winkler kaum Gelegenheit, seine Mitteilung Ihrem Bräutigam gegenüber zu erwähnen. Ihren Verwandten müssen Sie auf alle Fälle streng einschärfen, ebenfalls darüber zu schweigen und kein Wort von dem Rennen zu sagen. Sie könnten ja, wenn Herr v. Schlomm morgen zu Besuch kommt, um Ihre Abwesenheit in ein gutes Licht zu setzen, sagen, Sie seien mit mir nach Wien gefahren, um – ihn durch Ihren Besuch zu überraschen, weil Sie schon so heftige Sehnsucht nach ihm gehabt hätten!« schließt Frau v. Hergel mit boshaftem Lachen.

Auch Edine lacht.

»Eine glänzende Idee! Sie sind ein Engel, Paula! Mama muß noch heute Onkel und Tante auf das genaueste instruieren. Sie werden es nicht gern tun – denn sie sind altmodische Leute, denen selbst Notlügen peinlich sind, aber Mama setzt es schon durch – dafür kenne ich sie.«

»Also abgemacht! Um sieben Uhr hole ich Sie und Ihre Mama hier ab.« –

Der Landrat und seine Gemahlin erklärten es für ausgeschlossen, Ronald ein solches Märchen aufzutischen. Alles, was die Schwägerin nach Entfaltung stundenlanger Beredsamkeit erreichte, war das Versprechen des Landrates, morgen für den ganzen Tag mit den Kindern einen Autoausflug nach einem ziemlich entfernten Kurörtchen zu unternehmen.

» Das will ich dir in Gottes Namen versprechen, um so allen Erklärungen aus dem Wege zu gehen. Aber Ronald offen ins Gesicht zu lügen, damit deine Prinzessin Tochter nicht um ihr Vergnügen kommt – nee, da müßten Sephine und ich uns ja die Seele aus dem Leib schämen!«

Dabei blieb er. Seine Schwägerin ging, immerhin zufrieden mit dem Erreichten, hinab zum Portier und instruierte diesen genau über Zweck und Ziel ihrer morgigen Reise … »falls während unserer Abwesenheit irgendwelche Besuche kämen …«

So geschieht es, daß Ronald, als er am nächsten Tage gegen Mittag mit einem Strauß auserlesener schöner Rosen, das Herz voll guter Vorsätze, in Haugenbichl vorspricht, niemand zu Hause trifft.

»Der Herr Baron hat mit seiner Familie einen Ausflug nach Sankt Barbara gemacht, und die beiden Damen sind heute morgen für ein paar Tage verreist,« meldet der Portier auftragsgemäß. Und dann setzt er mit einem kleinen Schmunzeln noch hinzu: »Die Damen werden übrigens untröstlich sein, Herrn v. Schlomm versäumt zu haben, denn sie fuhren ja eben darum nach Wien, um den gnädigen Herrn zu überraschen!«

»Mich …? Wieso …? Wußten sie denn nicht, daß ich …«, er bricht ab. Allerdings – wie hätte Edine wissen können, daß er zurück sei? Er kam doch erst gestern abend an!

»Sagte die Frau Baronin ausdrücklich, daß die Damen nach Wien wollten, um mich dort aufzusuchen?«

»Ja, das sagte sie ausdrücklich. Und sie deutete auch an, daß die Baronesse schon so arge Sehnsucht nach dem Herrn Bräutigam habe, weil er solange wegbleibe.«

Ronald läßt die Rosen zurück, damit man sie in Edines Zimmer stelle, und entfernt sich langsamen Schrittes.

Er ist mehr verwundert als – enttäuscht. Eigentlich hätte er Edine einen solchen Schritt nicht zugetraut. Verbirgt sich doch mehr Gefühl hinter ihrer kalten Außenseite, als er bisher angenommen?

Enttäuscht? Nein, das ist er gar nicht. Im Gegenteil. Hat ihn doch nicht sein Herz, sondern nur das Pflichtgefühl hergetrieben, und der unerwartete Zeitgewinn ist ihm sehr willkommen. Draußen in der Fabrik hat sich während seiner Abwesenheit so viel Korrespondenz und andere Arbeit angesammelt, daß ihm schon ein gelinder Schauder aufgestiegen ist, wie er alles dies würde bewältigen können, wenn er Nachmittage und Abende Edine widmete, wie er sich vorgenommen hatte.

Nun konnte er heute und morgen – denn vor morgen abend würde Edine mit ihrer Mutter kaum zurück sein – das Dringendste aufarbeiten.

Mit einem Gefühl der Erleichterung, dessen er sich fast schämt, biegt Ronald in die Lobsteiner Hauptstraße ein, um das Städtchen auf dem kürzesten Wege zu durchqueren.

Am Marktplatz grüßt ihn jemand. Mechanisch dankt er und will an dem Herrn, in dem er Herrn v. Winkler erkennt, ohne sich aufzuhalten vorüber. Aber Winkler bleibt stehen und reicht ihm mit verschmitztem Lächeln die Hand.

»Guten Morgen, Herr v. Schlomm! Freue mich, Sie zu sehen! Kommen wohl von Haugenbichl, wo Sie ein seliges Wiedersehen gefeiert haben? Hoffentlich habe ich nicht den Spielverderber gemacht? Mir fiel erst nachträglich ein, daß Sie vielleicht Ihre Braut überraschen wollten? Wenn es so wäre, dann bitte ich tausendmal um Entschuldigung!«

»Wofür? Ich verstehe nicht …«

»Nun, daß ich Ihrer Braut Ihre Ankunft verraten habe. Ich war nämlich gestern abend zufällig am Bahnhof, als Ihr Zug ankam, und sah Sie aussteigen. Und abends war ich bei Landrats zum Tee und erzählte dies der Baronesse. Erst nachträglich fiel mir ein, daß ich Ihnen damit vielleicht eine Überraschung verdarb.«

Ronald ist erblaßt und starrt den Sprecher stumm an.

»Sie zürnen mir doch hoffentlich nicht, liebster Herr v. Schlomm?«

»O nein, es war ja nicht mehr als selbstverständlich … leider traf ich meine Braut nicht an. Die Damen mußten plötzlich verreisen.«

Herr v. Winkler blickt verdutzt drein, schlägt sich dann aber plötzlich mit der flachen Hand auf die Stirn.

»Ja, richtig … jetzt besinne ich mich erst! Als ich hinkam und wir noch im Salon saßen, war davon die Rede, daß die Damen Frau v. Hergel nach dem Semmering begleiten wollten. Frau v. Hergel, die auch zum Tee bei Landrats war, erzählte ja noch, daß sie ihrem neuen Mercedeswagen die Sportstaufe bei dem morgen am Semmering stattfindenden Bergrennen geben wolle! Komisch, daß ich das ganz vergessen konnte! Na ja … das ließ sich im letzten Augenblick wohl nicht mehr rückgängig machen … Frau v. Hergel wollte bei dem Rennen ihren Wagen selbst steuern, obwohl offiziell als Fahrer ein Vetter angemeldet ist. Armer Herr v. Schlomm … ja, das muß heute dann wohl eine arge Enttäuschung für Sie gewesen sein! Aber machen Sie sich nichts daraus … Damen sind mal so, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt haben …«

Er hätte in seiner Verwirrung wohl noch ins Endlose weitergeredet, wenn Ronald nicht den Hut gelüftet, sich mit dringenden Geschäften entschuldigt und ihn einfach stehengelassen hätte …

Wie vor den Kopf geschlagen, wandert Ronald weiter. Zum Städtchen hinaus, einen Fußpfad zwischen Wiesen und Feldern einschlagend, auf dem er um diese Stunde nicht befürchten muß, Menschen zu begegnen.

Heiß brennt die Mittagssonne auf ihn nieder. Die Wiesen stehen voll Löwenzahn und Frühlingsenzian, ein sanfter Lufthauch bewegt die üppig emporwachsende Wintersaat, daß die Felder wie ein grün wogendes Meer aussehen. Im Walde ruft der Kuckuck, würziger Duft strömt von den Nadelbäumen herüber.

Ronald merkt nichts von alledem.

Noch ist er ganz fassungslos, noch ist sein Kopf ein Chaos wild durcheinanderjagender Gedanken.

Edine hat also gewußt, daß er hier war! Und ist. dennoch fortgefahren … bewußt … absichtlich … um ihm auszuweichen! Weil sie mit Recht annahm, daß er ihr die Beteiligung am Rennen übelnehmen würde … besonders in Begleitung Frau v. Hergels.

Kaltblütig hatte sie ein Lügengericht gekocht, das der Portier ihm bei seinem Kommen auftischen sollte. Offenbar hatte der Landrat, der ein Ehrenmann war, es abgelehnt, sich damit zu besudeln und war darum lieber fortgefahren … O ja – alles war nun ganz klar … auch daß Edines stets zur Schau getragene Liebe eine elende Komödie war …

Und einem so falschen, verlogenen Geschöpf sollte er seine ganze Zukunft, sein Lebensglück zum Opfer bringen?

Wild stürmte es in ihm empor.

Nein, nein! Tausendmal nein! Sie selbst hat das Band zerrissen, das sie seinerzeit berechnend um ihn geschlungen.

War dies schändliche Lügenspiel nicht Grund genug, die Verlobung zu lösen?

Greif zu! flüstert die Stimme des Versuchers in ihm, Dann bist du frei …! Edine selbst bietet dir den besten Vorwand, du brauchst ihn nur zu benutzen und kannst der seligste Mann auf Erden werden …

Ronald fährt sich über die glühende Stirn und atmet tief auf. Dann bleibt er erschrocken stehen, wie berührt von einer unsichtbaren Hand, und erschreckt über die eigenen Gedanken.

Wohin haben diese sich verirrt?

Nein – nie darf er dies tun! Eben weil es nur ein Vorwand wäre! Weil es nur geschähe, um den eigenen heimlichen Wünschen Gehör zu geben … sich ein Glück zu erringen, das er verscherzt hat.

Es wäre gemeiner Wortbruch, denn er geschähe nicht mit reinem Herzen. Wenn er Edine liebte und sein Herz frei wäre, würde er verzeihen … das weiß er genau. So wäre es nur die egoistische Ausnutzung eines willkommenen Vorwandes.

Und wenn ihn alle Welt unter den gegebenen Umständen vom Treubruch freispräche – er selbst würde es nie können! Es würde ihn zeitlebens quälen und ihn nie zur Ruhe kommen lassen. Nie auch könnte ihm auf solcher Grundlage ein neues, reines Glück erblühen …

Er denkt an Elisabeths klare Augen, vor denen er die seinen senken müßte. Er denkt auch an seinen Vater, der soviel Selbstlosigkeit und Opferwilligkeit bekundete, als er »nicht für sich, sondern für andere zu leben« als höchstes Lebensziel erklärte.

Auch vor ihm müßte er die Augen schamvoll senken … er, der nur an sich dachte …

Ronalds Entschluß ist gefaßt. Eine Lösung seiner Verlobung durfte nie von ihm ausgehen. Höchstens von Edine selbst. Aber nie würde diese daran denken, es zu tun … selbstverständlich nie.


 << zurück weiter >>