Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXV.
Zwei gleichgestimmte Seelen …

Sich behaglich zurücklehnend, bläst Edine die blauen Rauchwolken von sich, dabei den Prinzen spöttisch von der Seite anlächelnd.

»Also in katzenjämmerlicher Stimmung sind Durchlaucht? Wohl eine Folge des neulichen Schocks, als Irene im schönsten Augenblick unter Donner und Blitz im Wolfecker Park wie der Erdgeist vor Ihnen auftauchte?«

»Sie – wissen

»Alles! Ich bin doch Irenes vertraute … Freundin!« Unverhohlener Spott in den glitzernden blauen Augen begleitet die Worte.

»Und was denken Sie über die Sache?«

»Hm – daß derartige Gewitter in der Liebe nichts Ungewöhnliches sind – mögen sie auch für den Augenblick gerade nicht immer angenehm sein. Wie zum Beispiel in diesem Fall – für Sie

»Liebe! Wenn ich bloß das Wort höre, wird mir schon übel! Man ist immer ein Narr, wenn man sich mit der Liebe befaßt …«

»Ist immer meine Meinung gewesen! Sie trübt den Blick und macht unfrei. Übrigens für Sie, Durchlaucht,« fährt Edine vorsichtig forschend fort, »wird das letzte Gewitter ja nur angenehme Folgen haben: die süße Versöhnung! Da Sie Irene lieben und sie nur allzu versöhnungsbereit ist …«

Sascha hebt beide Hände in heftiger Abwehr.

»Sprechen Sie um Gottes willen nicht weiter! Wer denkt an Versöhnung? Wer spricht von Liebe? Diese Frau soll mich endlich zufrieden lassen, weiter wünsche ich nichts von ihr!«

Edine tut grenzenlos erstaunt.

»Durchlaucht – ich falle aus den Wolken! Seit Jahr und Tag bilde ich mir fest ein, Sie liebten Irene Gott weiß wie heiß und – wollten sie nach erfolgter Scheidung – sogar – heiraten! Auch Irene glaubt dies …«

»Traurig genug, wenn sie noch immer nicht begriffen hat, daß ich mit keinem Gedanken daran denke! Gezeigt habe ich es ihr wahrlich deutlich genug in letzter Zeit.«

»Sie glaubt, nur eine vorübergehende Leidenschaft für die Benedikt habe Sie ihr entfremdet, und hofft jetzt bestimmt auf Aussöhnung.«

»Da kann sie lange warten!« wirft Sascha brutal ein.

»Dann ist es wohl gar nicht wahr, was sie mir einmal im Vertrauen mitteilte, daß Sie Irene beschworen haben sollen, sich scheiden lassen, und ihr die Ehe versprochen hätten, wenn sie frei wäre?«

Der Prinz rückt unruhig auf seinem Sitz hin und her und schleudert seine eben angerauchte Zigarette in weitem Bogen von sich.

»So – das hat sie Ihnen gesagt? Nun, möglich ist es ja … man sagt Frauen vielerlei, wenn sie einen durch ihre Koketterie mal ein bißchen in Feuer gebracht haben … jedenfalls war es dann aber nicht ernst gemeint und nur eine … Irene v. Schlomm konnte es dafür nehmen.«

»Und die … andere?«

»Welche andere?«

»Nun die Benedikt … die Ihr Herz ja auch in Flammen setzte, Durchlaucht?«

»Ach die …! Selbstverständlich auch nur ein Spiel wie das andere, um die langsam ertötende Langeweile für eine Weile zu bannen. Verstehen Sie das nicht, Sie, die Sie mir einmal gestanden, daß Sie manchmal am liebsten mit Händen und Füßen um sich schlagen würden, nur um dies ewige Einerlei, in dem wir hier zu leben verdammt sind, leichter ertragen zu können?«

»Ja, das sagte ich … und verstehe auch sehr wohl, daß ein Mann sich dies Einerlei auf jede Art zu verkürzen trachtet … seiner jeweiligen Anlage entsprechend. Bei Ihnen ist es eben die Liebe …«

»Sagen Sie das nicht, Baronesse! Ich bin gar nicht für die Liebe veranlagt – ebensowenig wie Sie! Ich glaube nicht an die Liebe und habe mich noch nie durch sie ausgefüllt oder befriedigt gefühlt. Bloß aus Langerweile und um mich zu zerstreuen, griff ich zuweilen nach ihr. Phantasie und Sinne allein sind leicht entzündlich bei mir, dann träumt man sich eben in so etwas hinein … redet sich ein, man sei verliebt. Aber der Trank wird schal, ehe man getrunken hat. Und auf seinem Grund lauert schon neue Langweile … soweit bin ich nun wieder mal. Wenn Sie ahnen könnten, wie gleichgültig mir alles ist … wie zuwider vor allem die Weiber …«

»Danke! Sie sind äußerst liebenswürdig, Durchlaucht!«

»Oh – Sie sind doch ausgenommen – selbstverständlich! Sie sind so ganz anders als alle Frauen, die ich bisher kennenlernte! Aber sagen Sie doch selbst, könnten Sie sich zum Beispiel Irene oder auch die Benedikt, so apart sie mit ihrem silberblonden Haar auch ist, als meine Frau vorstellen, ohne daß ich nach einem halben Jahr aus Langerweile stürbe?«

»Schwer!« lächelt Edine. »Aber ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß Sie je ans Heiraten denken könnten. Einfach weil Sie nicht für die Ehe, die doch immer eine Fessel ist, taugen

»Das käme doch nur auf die betreffende … Frau an …« sagt Sascha langsam, während ein Blitz aus seinen halbgeschlossenen, verschlafenen Augen wie zufällig zu ihr hinübergleitet.

Edines Herz beginnt plötzlich rascher zu klopfen. Ehrgeizige Gedanken, die schon einmal unklar in ihr aufgestiegen sind, beleben sich wieder …

»Sie hätten nie hieherkommen dürfen, Durchlaucht. Lobstein ist kein Boden für Sie,« sagt sie anscheinend gleichgültig und greift nach einer neuen Zigarette aus der zwischen ihr und dem Prinzen liegenden Tabatiere. »Sie brauchten Leben, beständig buntbewegtes Leben um sich, Menschen, Abwechslung – warum kauften Sie sich gerade hier an?«

»Aus Zufall. Man bot mir das Gut an – ich nahm es. Ich war Flüchtling, fremd, ermüdet von den Strapazen der Flucht, sehnte mich nach Ruhe … mir war alles einerlei.«

»Warum gingen Sie nicht auf Reisen oder ließen sich in Paris nieder, wo Sie schon einmal lebten?«

»Weil auch Paris und Reisen langweilig sind – allein

»Sie konnten sich ja eine Begleitung suchen.«

»Wen? Freunde besitze ich nicht, denn meine russischen Freunde sind tot. Und eine Frau? Ich fand keine, mit der ich es hätte wagen mögen. Ich sagte Ihnen ja, daß mich alle diese Durchschnittsweiber langweilen …«

»Und die … besonderen?«

»Ich lernte nur eine besondere kennen, und die ist nicht mehr frei.« Wieder schießt ein rascher Blitz aus seinen Augen hinüber zu Edine, die tut, als bemerke sie ihn nicht.

»Mit dieser einen,« fährt Sascha langsam wie in Gedanken versunken fort, »hätte ich es wohl wagen mögen, ein ganzes Leben zu verbringen, ohne mich zu langweilen.«

»Weil Sie sie – lieben

»O nein – ich liebe sie nicht – wenigstens nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes, und sie liebt mich auch nicht, weil Liebe ihr überhaupt nicht liegt. Aber sie wäre der Frauentyp gewesen, der für mich paßt. Gleiche Anlagen und Neigungen, gleiche Lebensauffassung hätten uns verbunden. Sie ist äußerlich schön und reizvoll in einer besonderen Art, die ich liebe – nämlich sie ist apart und weiß sich wundervoll zu kleiden, worauf ich Wert lege …« Saschas Blick ruht mit großer Eindringlichkeit auf Edines schickem erbsengrünem Seidenkleid, das mit ihrem glänzenden, dunkelroten Haar und den hellen blauen Augen eine hübsche Farbensymphonie bildet. Dann fährt er fort:

»Ihr Inneres gleicht einem buntschillernden Chamäleon, das meine Neugier reizt, und ich traue ihr zu, daß sie es verstünde, diese Neugier nie zu stillen, sondern stets wach zu erhalten … nein, mit ihr könnte man sich nie langweilen. Mit ihr müßte es schön sein, zu reisen, und überall interessant … Leider ist sie bereits gebunden – noch dazu an einen Tölpel von Mann, der sie weder verstehen noch je nach Gebühr schätzen wird … Sagen Sie, Baronesse Edine – ist das nicht Pech für mich und auch für – sie?«

»Je nach dem. Eine Frau ist immer nur so lange gebunden, wie sie es sein will. Aber ich glaube nicht, daß irgendeine Frau so töricht wäre, sichere Bande zu lösen für … unsichere,« antwortet Edine mit kühlem Sphinxlächeln.

»Unsichere … wieso?«

»Durchlaucht sagten vorhin selber, als von Irene die Rede war, man sagt Frauen viel, wenn man gerade mal ein bißchen im Feuer ist, aber man meint es nicht ernst! Glauben Sie also, daß … jene andere Frau so dumm sein könnte, sich freizumachen, um eines Tages mit denselben Worten abgetan zu werden? Zweifellos würde sie von Ihnen vorher ganz bestimmte Garantien verlangen …«

»Die ich nur zu gerne geben würde!« Er rückt dicht an sie heran, nimmt ihre Hand und sieht ihr in die Augen.

»Edine – glaubst du nicht selbst, daß wir ausgezeichnet zueinander passen würden?«

»Ja, das war wohl immer meine Überzeugung …«

»Wärest du bereit, deine Verlobung noch heute oder morgen aufzulösen, wenn ich dir ein schriftliches Eheversprechen gebe und unsere Verlobungsanzeigen sofort bestelle? Wir könnten sie dann am Tage unserer Abreise versenden und es den Leuten überlassen, sich über das Wie und Wieso die Köpfe zu zerbrechen. Ich möchte nämlich so rasch wie möglich von hier fortkommen, und du und deine Mutter sollt mit mir gehen. Wir reisen nach Paris oder in die Schweiz oder wohin es dir sonst beliebt und lassen uns dort so rasch trauen, als es den Gesetzen des Landes nach möglich ist. Genügten dir diese Garantien?«

Edine blickt Sascha lange stumm an. Eine so rasche Erfüllung ihrer geheimsten, kaum für möglich gehaltenen kühnen Wünsche kommt selbst ihr überraschend und fast wie ein Märchen vor. Prinzessin Kelim! Reichtum … Reisen … Paris … die große Welt …

Welches Leben liegt auf einmal vor ihr! Ihr schwindelt vor Glück. Kann es wirklich sein? Und wie konnte nur alles so schnell kommen? Als sie sich vor einer Stunde hier mit Sascha auf der Bank niederließ, hätte sie auch nicht im Traum an Derartiges gedacht …

Und doch ist es Wirklichkeit – sie liest es in Saschas Augen, in seinen Zügen … Diesmal spielt er nicht, ein ernster Entschluß steht in Blick und Mienen …

»Ja,« sagt sie endlich ruhig, »sie genügen mir.«

»Wie lange braucht ihr, du und deine Mutter, um reisefertig zu sein?«

Edine denkt einen Augenblick nach.

»Sagen wir bis übermorgen früh.«

»Gut, solange brauche auch ich. Wohin willst du dann fahren?«

»Ich denke, Paris wäre als erste Reisestation und Ort unserer Vermählung am besten. Dort können wir dann weiter beraten.«

»Dann wollen wir jetzt nach Lobstein gehen, wo ich gleich die Verlobungsanzeigen bestellen werde.«

»Sehr gut. Trachte, daß sie bis morgen vormittag fertig sind, und laß sie gleich zu mir senden. Ich werde mit meiner Absage an Ronald bis dahin warten, weil ich ihm gleich eine Anzeige beilegen will. Auch Irene möchte ich eine schicken. Die anderen haben dann Zeit. Ich schreibe die Adressen nachmittags, und wir geben sie übermorgen früh gleich am Bahnhof auf.«

»Und warum willst du diese zwei schon früher absenden? Bedenkst du nicht, daß Irene in ihrer Überspanntheit dann vielleicht eine Szene bei dir oder – mir versuchen könnte?«

»Ich glaube nicht, daß du das zu befürchten hast. Es wird sie vollkommen niederwerfen, sie wird Krämpfe vor Wut bekommen, und bis sie sich davon erholt hat – sind wir fort. Warum ich es will? Sie hat sich meine Freundin genannt und mir in einer Stunde tiefster Demütigung ihre Hilfe versagt. Das habe ich ihr nicht vergessen. Es soll keine Stunde länger als nötig vergehen, daß ich mich dafür revanchiere. Ronald aber soll mit der Absage zugleich erfahren, warum er den Laufpaß erhält. Daß die Karten bereits gedruckt wurden, ehe ich die Verlobung mit ihm löste, wird mindestens seinem Stolz einen Stoß versetzen. Leider ist das alles, womit ich an ihm Revanche üben kann …«

Kein Kuß besiegelt diese seltsame Verlobung, die nur der Verstand geschlossen hat. Kühl und ruhig, aber beiderseits sehr befriedigt, treten die Verlobten den Weg nach Lobstein an – nicht anders, als wie sie oft zuvor ein Stück Wegs miteinander gegangen sind, wenn der Zufall sie zusammenführte …

Erst daheim angelangt und mit der Mutter allein, fällt die kühle Maske von Edines Wesen.

Jubelnd und mit vor triumphierender Freude funkelnden Augen fällt sie der Baronin um den Hals – ein nie dagewesener Ausbruch töchterlicher Zärtlichkeit, der die Mutter sprachlos macht.

»Mama, laß schnell unsere Koffer vom Dachboden holen und uns mit dem Packen beginnen! Übermorgen früh verlassen wir dies gräßliche Haugenbichl auf Nimmerwiedersehen und reisen nach Paris!«

»Bist du verrückt?«

»Beinahe … aber vor Freude! Ich habe mich eben mit Prinz Kelim verlobt, und die Hochzeit soll der Verlobung in Paris so rasch folgen, wie es die gesetzlichen Vorschriften nur irgend gestatten! Was sagst du nun zu deiner Tochter?«

Die Baronin sagt gar nichts, sie ist zum zweitenmal sprachlos …


 << zurück weiter >>