Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XXVII.

Der nächste Tag brachte die Antwort Dr. Berricks auf Silas Hempels Kabeldepesche.

Sie erklärte alles, was man noch nicht wußte, auch warum der Aufruf nach den Erben nicht gleich nach Rudolf Woodmans Tod, sondern erst so viele Jahre später erfolgt war.

Rudolf Holzmanns abenteuerlicher Sinn hatte ihn zuerst nach vieler Herren Ländern, ja sogar bis in die Südsee geführt. Von dort war er später wieder nach Nordamerika gekommen und sogleich nach dem wilden Westen aufgebrochen, indem er sich einer Gesellschaft von Pelzjägern anschloß.

Erst jetzt war ihm das Glück hold. Es gelang ihm in der Nähe des Felsengebirges eine reiche Goldader zu entdecken. Da er sich durch den Pelzhandel bereits ein nettes Sümmchen zurückgelegt, kaufte er das Land rings um seine Goldader, ohne indes zu verraten warum, wie er überhaupt stets ein verschlossener Mensch gewesen war, der niemand in seine Karten gucken ließ. Einen einzigen Freund besaß er, einen armen Teufel, Deutscher wie er. Den allein zog er ins Vertrauen und mit ihm zusammen beutete er seinen Schatz aus. Als beide nach Jahren sich in Montreal niederließen, kauften sie große Landstrecken zusammen und verdoppelten so noch den mitgebrachten Reichtum durch Bauspekulationen. Indes galten beide schon damals als Sonderlinge, und als der Freund starb, wuchs sich bei Holzmann, der sich schon als Goldsucher Woodman nannte, die Neigung zum Sonderling erst recht aus.

Er verkehrte mit niemand, außer wo es seine Geschäfte erforderten, mied besonders alles Weibliche fanatisch und sammelte alte Bücher, über denen er all seine freie Zeit verbrachte.

Woodman hatte sich außerhalb der Stadt ein schloßartiges prächtiges Heim erbaut, in dem er mit zwei Dienern, einer alten Wirtschafterin und deren Tochter, die Krankenpflegerin war, lebte.

Er hatte sich ausbedungen, diese Tochter, wenn sie daheim war, nie sehen zu müssen, und danach richteten sich Mutter und Tochter streng.

Mr. Woodmans Vermögen wurde auf nahezu eine halbe Milliarde Dollar geschätzt.

Als er sich seinerzeit für den Rest seines Lebens in Montreal niederließ, ernannte er Dr. Berricks Vater, der eben damals als junger Anwalt sein Bureau eröffnet hatte, zu seinem Sachverwalter gegen ein hohes Jahresgehalt.

Kurz darauf errichtete er ein Testament, in dem er seinen Bruder und dessen Frau oder in deren Todesfall ihre direkten Nachkommen zu Universalerben einsetzte.

So wurde er 70 Jahre alt, als er ganz plötzlich an einem schweren Nierenleiden erkrankte, das, wie der Arzt erklärte, unbedingt stete Pflege erforderte.

Auf seinen Wunsch übernahm die Tochter seiner Wirtschafterin, Alice Wilson, nun das Amt einer Pflegerin bei Mr. Woodman. Sie übte es mit einer solchen Hingebung und Pflichttreue aus, daß sie dem Kranken bald unentbehrlich wurde. Nach einem halben Jahr erklärte Miß Wilson plötzlich, sie könne nicht länger als Pflegerin bei dem alten Herrn bleiben, denn ihr Ruf litte darunter. Und dabei blieb sie, allen Bitten, Zureden und Gehaltserhöhungen zum Trotz.

Woodman aber konnte und wollte sich nicht an die Vorstellung gewöhnen, fortan eine fremde Person um sich zu haben.

Er versuchte noch einmal einen Sturm und bot Fräulein Wilson ein Kapital an, das sie für alle Zukunft sichergestellt hätte, wenn sie bis zu seinem Tod bei ihm bliebe.

Vergebens. Sie schüttelte den Kopf und sagte ruhig: »Ich brauche Ihr Geld nicht, Mr. Woodman, denn es geht mir nicht um Geld, sondern um meinen Ruf. Und ich wundere mich, daß, falls Sie mich halten wollen, Sie mir nicht das einzige bieten das mein Verbleiben ermöglichen könnte – Ihre Hand!«

Der Alte war verblüfft und – empört.

Heiraten – er! Der eingefleischte Weiberhasser und Ehefeind! Unmöglich!

Fräulein Wilson nickte dazu lächelnd.

»Ich wußte das, darum gehe ich!«

Aber schließlich besann sich Woodman doch. Alice war ihm unentbehrlich als Pflegerin, sie durfte nicht gehen.

»Also ja – in . . . . . . . Namen ja! Ich biete Ihnen meine Hand an! Holen Sie den Pfarrer, damit er uns zusammengibt, und verständigen Sie den Friedensrichter!«

Aber Fräulein Wilson hatte noch eine Bedingung. »Alles soll geschehen, wie Sie es wünschen, Herr Woodman, bloß müssen Sie vorher Ihrem Testament noch eine Klausel beifügen für den Fall, daß wir Kinder haben sollten. Ich selbst brauche keinen Cent von Ihrem Gelde, aber wenn ich ein Kind habe, soll es nie in die Lage kommen, daß wildfremde Leute ihm sein Vatererbe wegnehmen können. Fügen Sie also Ihrem Testament die Erklärung bei, daß es erst dann Ihren Verwandten zugute kommt, wenn Sie selbst keine Kinder hinterlassen oder diese ohne Nachkommen gestorben sind.«

Mr. Woodman starrte sie wild an.

»Ja, sind Sie denn verrückt? Ich bin über 70 Jahre alt . . .«

»O, das tut nichts. Ältere Männer als Sie haben Kinder in die Welt gesetzt!«

Da ergab sich der alte Mann auch in diese Bedingung. Die Klausel wurde in das Testament gesetzt, und die Hochzeit fand statt.

Frau Alice war ihrem Mann nun nicht nur Pflegerin, sondern die denkbar treueste, aufopferndste und fürsorglichste Gattin. Er lebte ordentlich auf unter ihrer Hand und bereute es nie, sie gegen seine sonstigen Grundsätze geheiratet zu haben. . . .

Im zweiten Jahr ihrer späten Ehe wurde dem Paar ein Knabe geboren, der Thomas getauft ward. Es war ein zartes, schwächliches Kind, das eigentlich immer kränkelte.

Auch nach dem Tode des Vaters, wo die Mutter alles tat, dem Sohn durch Bäder, Kuren und Wunderdoktoren aufzuhelfen, blieb er klein und schwach.

Trotzdem wurde er vierzig Jahre alt, in welchem Alter er sogar eine Ehe schloß, der hintereinander drei Knaben entsproßten. Indes waren sie alle noch schwächlicher, als der Vater gewesen war. Im dritten Kindbett starb die Frau Thomas', bald danach er selbst und seine Mutter. Die zwei älteren Knaben starben noch im Kindesalter, der jüngste kräftigte sich allmählich, verunglückte aber in seinem dreißigsten Jahr anläßlich einer Segelpartie. Nun erst konnte das ursprüngliche Testament in Kraft treten.

Dr. Berrick sen. war inzwischen längst gestorben. Sein Sohn, der seine Praxis übernommen hatte und mit ihr auch das Testament des alten Woodman, ließ nun in ganz Europa Aufrufe an die etwa noch lebenden Nachkommen Johann und Anna Maria Holzmanns ergehen.

Kurz danach meldete sich auch ein Erbe bei ihm. Er gab vor, der einzige noch lebende Nachkomme des erwähnten Paares zu sein, Ernst Holzmann zu heißen und bisher ein kümmerliches Dasein als Schreiber geführt zu haben. Das seinerzeit von Woodman zurückgelassene Dokument und die zweite Ringhälfte – die erste fand sich in Woodmans Nachlaß – besaß er freilich nicht. Beides sei schon vor Jahren verlorengegangen, erzählte er. Außerdem könne man sich ja nach ihm erkundigen. Und er gab verschiedene Namen und Anschriften in Berlin und Wien an, die seine Identität bezeugen sollten.

Die eingeholten Auskünfte lauteten auch durchaus sehr günstig, und man bestätigte nach einer Photographie die Identität Ernst Holzmanns ohne Zögern.

Dennoch hegte Dr. Berrick von Anfang an ein gewisses Mißtrauen gegen diesen ersten und einzigen Anwärter auf die Erbschaft, das nicht allein auf dem Fehlen der Ringhälfte beruhte. . . .

Vielmehr hatte, als Holzmann nach Montreal kam, um sich als Erbe vorzustellen, ein zufällig bei Dr. Berrick anwesender Herr nachher dem Rechtsanwalt gegenüber behauptet, diesen Mann wohl zu kennen. Er heiße nicht Holzmann, sondern John Cliffton, und führe ein abenteuerliches Leben. Erst habe er sich in den Golddistrikten Kaliforniens herumgetrieben, sei dann in St. Louis als Spieler berüchtigt gewesen und habe zuletzt in Begleitung seiner Geliebten, die er für sein Medium ausgab, die Städte des Nordens bereist, um durch hypnotische und spiritistische Vorstellungen Geld zu verdienen.

Ernst Holzmann leugnete all dies mit Entrüstung. Aber der erwähnte Herr blieb hartnäckig bei seinen Behauptungen. Er kenne Cliffton, wenn er ihm auch nie vorgestellt worden sei, doch von frühester Kindheit an, denn sie stammten beide aus derselben Stadt.

Daraufhin entschloß sich Dr. Berrick mit der Entscheidung doch noch zu warten und begründete dies mit dem Fehlen des halben Ringes. Er wiederholte dann noch einmal die Zeitungsaufrufe in europäischen Blättern. Der angebliche Erbe aber verließ Montreal, um sich nach Europa zu begeben. Wie er sagte, wollte er dort noch einmal nach dem verlorenen Ringfragment und Dokument in dem Nachlaß seines Vaters forschen, von dem noch ein paar Kisten bei Verwandten in Berlin ständen.

Seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört, und auch die Nachforschungen nach dem Hypnotiseur John Cliffton blieben ergebnislos. Er existierte offenbar, denn sein Name war in dem Kirchenbuch seiner Heimatstadt eingetragen, viele behaupteten ihn auch zu kennen oder seinen Vorstellungen beigewohnt zu haben, doch blieb sein gegenwärtiger Aufenthaltsort unauffindbar.

Von all diesen Dingen standen nur die Hauptsachen als Schlagworte in der Kabelantwort, die Silas erhalten hatte. Im vollen Zusammenhang stellte sie erst ein acht Tage später einlangender Brief Dr. Berricks dar.

John Cliffton, der sich in G. als »Dr. Foster« gemeldet hatte, suchte anfangs alles, was man ihm zur Last legte, zu leugnen. Als man darüber hinweg zum Beweisverfahren schritt, hüllte er sich in Schweigen und beantwortete keine einzige Frage.

Seine »Mutter«, die sich gleich nach der Verhaftung als junges schönes Weib entpuppte, war weniger stark. Auch sie leugnete anfangs, gab aber dann allmählich dies und jenes zu und legte endlich ein volles Geständnis ab.

Sie war eine geborene Lothringerin, kam als Erzieherin nach St. Louis, wo sie John Cliffton kennen lernte und seine Geliebte wurde. Von da an reiste sie als sein Medium mit ihm herum, bis er ihr eines Tages sagte, sie müßten nach Deutschland, weil er im Begriffe stehe, eine ungeheure Erbschaft anzutreten, wozu er noch Dokumente beschaffen müsse. Er erklärte ihr, daß sie dort unter anderen Namen und völlig unbeachtet leben würden, daß sie eine alte Französin und seine Mutter vorstellen müßte, weil ein falscher Erbe ihnen alles streitig machen wolle und sie scharf beobachten lasse, ja ihm sogar nach dem Leben trachte.

Sie und Sally, die ihr seit vielen Jahren treu ergeben war, wurden genau instruiert und glaubten tatsächlich, alles müsse so geschehen der Erbschaft wegen. . . .

Jeanette Romain, wie Clifftons Geliebte hieß, wußte, daß zuweilen eine junge Dame kam, die dieser hypnotisierte. Aber sie dachte nichts Schlimmes dabei, weil er ihr sagte, es sei eine Kranke, die zu Heilzwecken von seiner Gabe Gebrauch mache. Indes sei dies vor jedermann auf das strengste geheimzuhalten, da es nach hiesigen Gesetzen strafbar sei, jemand zu hypnotisieren.

Als Jeanette Romain erfuhr, wie die Dinge in Wahrheit lagen und daß ihr Geliebter zur Erreichung seines Zieles kaltblütig einen Mord begangen hatte, war sie so entsetzt, daß sie Nervenkrämpfe bekam und in das Inquisitenspital geschafft werden mußte.

Das Verhör mit der Negerin bestätigte dann nur die Wahrheit von Jeanettens Aussage.

Die beiden Frauen waren tatsächlich völlig im Dunkeln gehalten worden über Clifftons Handlungen und Ziele, und da man ihnen nichts Strafbares nachweisen konnte, wurden sie nach einigen Tagen in Freiheit gesetzt.

Als der Richter Cliffton die Aussage der beiden Frauen vorhielt, zuckte nur ein verächtliches Lächeln um seinen Mund.

Am nächsten Morgen fand man ihn in seiner Zelle tot vor. Er hatte aus Streifen seines Bettuches einen Strick gedreht und sich damit erhängt. –

Hartwig Henter war am Tage nach Clifftons Verhaftung auf freien Fuß gesetzt worden. Eine große tiefe Freude erfüllte ihn, als er seiner Wohnung zuschritt. Denn erst jetzt, im Augenblick, wo ihm seine Freiheit angekündigt worden war, hatte er vom Untersuchungsrichter erfahren, wie tapfer und unerschrocken Fräulein v. Eltz sich als seine Braut und diejenige erklärt hatte, die im Ybbenburgerpark mit ihm zusammengetroffen war.

Am 6. Dezember war Serenas 21. Geburtstag gewesen. Heute war der 22. Sie war nun frei und Herrin ihrer Handlungen.

Würde er daheim ein Wort von ihr finden, das ihm die Unverändertheit ihrer Gefühle bewies?

Es war nichts da.

Freilich – wie konnte sie wissen, daß er gerade heute in Freiheit gesetzt worden war?

 


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