Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XI.

Serena hatte Hartwigs Brief erhalten und, nachdem sie ihn gelesen, den Entschluß gefaßt, Lydia Holzmann sofort aufzusuchen.

Hastig hatte sie sich angekleidet und wollte eben ihr Zimmer verlassen, als ihr Vater eintrat.

Oberst v. Eltz war eine große, stattliche Erscheinung mit regelmäßigen Zügen, klaren grauen Augen und noch sehr üppigem dunklem Haar. Etwas vornehm Gebieterisches drückte seinem Wesen den Stempel auf und verlieh diesem in Verein mit großer Redegewandtheit eine beherrschende Macht.

Man sah es auf den ersten Blick: Das war ein Mann, gewohnt zu befehlen und eisern auf seinen Befehlen zu bestehen. Das hatte seine Frau gewußt und es hatte ihr grenzenlos imponiert, das wußte auch die Dienerschaft des Hauses, die den Herrn nicht liebte, aber unbedingt respektierte und nie gewagt hätte, seinen Zorn herauszufordern. Das wußte auch Serena. . . .

Und doch hatte dieser herrische Mann eine weiche, verwundbare Stelle in seinem Innern, die ihm seine unbeugsame Strenge zur eigenen Qual machte: Die Liebe zu der Tochter! Ihr wehe tun zu müssen, quälte ihn oft namenlos. Aber davon ahnte niemand etwas – am wenigsten Serena selbst.

Serena hatte wenig von ihrer eigenen Mutter, aber fast alles von ihrer Großmutter, des Obersten Mutter, der sie auch äußerlich außerordentlich glich.

An dieser Mutter, die voll hinreißendem Liebreiz, voll Güte, Weichheit und unvergleichlicher Zartheit der Empfindungen gewesen war, hatte der Oberst sehr gehangen. In Serena fand er all das wieder, was er an seiner Mutter so sehr geliebt, aber auch den stillen festen Willen, der sich nur dann beugen ließ, wenn er sich im Unrecht wußte.

Und gerade dies großmütterliche Erbteil führte, seit Serena Hartwig Henter liebte, öfter zu Reibungen und Zusammenstößen zwischen Vater und Tochter. Serena beugte sich nicht, weil sie sich im Recht wußte, und der stille, feste Wille, mit dem sie an ihrer Liebe festhielt, war wie eine Mauer, an der des Obersten Wille und Beredsamkeit abglitten ohne den geringsten Erfolg.

Aber immer wieder hoffte er, daß es seinen Bemühungen doch endlich gelingen werde, Serena auf andere, vernünftigere Gedanken zu bringen.

Diese Hoffnung begleitete ihn auch jetzt, als er sie in ihrem Zimmer aufsuchte, um ihr einen Vorschlag zu machen, von dem er sich viel versprach.

»Ach, du willst ausgehen, Liebling,« sagte er, »und ich wollte dich gerade auffordern mit mir einen Besuch bei lieben Freunden zu machen. Hast du es sehr eilig oder kann ich auf deine Begleitung zählen?«

»Wenn du Wert darauf legst, Papa, gewiß. Ich wollte eben auch einen Besuch machen, aber das kann auch nachmittags geschehen. Wohin willst du denn?«

»Rate! Es ist nämlich eine Überraschung dabei! Aber ich will dich nicht zappeln lassen. Denke dir, wer heute morgens angekommen ist?«

»Nun?«

»Mrs. Camptree und ihr Sohn Cecil, du weißt, die wir drüben bei deinem Onkel kennen lernten und nachher in Paris wieder trafen, wo wir so vergnügte Wochen mit ihnen verbrachten.«

Serenas Gesicht nahm einen Ausdruck an, der nicht gerade nach freudiger Überraschung aussah.

»So?« sagte sie gedehnt, »die Camptrees sind hier?«

»Ja. Freust du dich nicht darüber?«

»Offen gestanden – nein, Papa!«

Der Oberst betrachtete aufmerksam seine Fingernägel.

»Das tut mir sehr leid, mein liebes Kind, um so mehr, als wir natürlich in der nächsten Zeit gezwungen sein werden, viel Zeit mit Camptrees zu verbringen!«

»Gezwungen . . .

»Nun ja, du mußt dies doch selbst einsehen! Camptrees sind unsertwegen – ausschließlich unsertwegen hieher gekommen. . . .«

»Aber dafür können wir doch nichts, Papa! Wir haben die Leute doch nicht gebeten zu kommen! Sie haben es ganz allein auf ihre eigene Verantwortung hin getan!«

Eine leichte Verlegenheit spiegelte sich in Herrn v. Eltz' Zügen, während er, immer noch seine Fingernägel betrachtend, sagte: »Vielleicht doch nicht so ganz, liebe Serena! Du wirst dich erinnern, daß seinerzeit in Paris die Rede davon war, wir würden gemeinsam Rom besuchen. . . .«

»Wobei ich dir dann aber auch gleich sehr deutlich erklärte, daß ich selbst diese Reise in Mrs. und Mr. Camptrees Gesellschaft niemals mitmachen würde! Ich hatte schon in Paris ganz genug von dem Beisammensein mit ihnen. Außerdem habe ich für lange Zeit vom Reisen genug!«

»Schade! Mrs. Camptree kam nämlich eben darum nach G., um uns zur Reise nach Italien abzuholen, und ich gestehe dir ganz offen, daß ich sie sehr gerne in ihrer Gesellschaft mitgemacht hätte. Die Leute sind mir außerordentlich sympathisch!«

»Mir gar nicht!«

»Das wundert mich wirklich! Der junge Camptree ist ein geistig sehr bedeutender Mann, bewandert auf allen praktischen und schöngeistigen Gebieten und, wie man drüben überall hören konnte, wahrscheinlich noch zu großen Dingen bestimmt! Auch hat er sich wirklich alle erdenkliche Mühe gegeben, Gnade vor deinen Augen zu finden, und ich muß sagen, daß ich diesen Bewerbungen sehr sympathisch gegenüberstehe!«

»Das würde mir leid tun, denn du hättest dir gleich anfangs sagen müssen, daß sie völlig aussichtslos sind!«

»Du wirst dir das immerhin erst noch zehnmal überlegen, liebe Serena! Mr. Cecil Camptree wäre ganz der Mann, den ich mir als Schwiegersohn wünschen und der auch dich glücklich machen würde!«

»Ausgeschlossen! Übrigens wundere ich mich sehr über dich, Papa! Als ich dir erklärte, daß ich Hartwig Henter zum Gatten nehmen würde, begründetest du deine Ablehnung damit, daß Hartwig nicht vom Adel sei und für eine Eltz darum nicht in Betracht kommen könne. Und jetzt – Cecil Camptree ist doch auch nicht von Adel!«

»Allerdings, aber er würde dir trotzdem die hervorragende Stellung geben können, die ich für meine Tochter vor allem wünsche! Camptree gilt politisch drüben so viel, daß er allen Ernstes als künftiger Präsidentschafts-Kandidat genannt wird. Bedenke, welche Stellung das für dich bedeuten würde!«

»Es tut mir leid, dir darauf sagen zu müssen, lieber Papa, daß du mich sehr wenig kennst, wenn du annehmen kannst, daß ich mich durch solche Dinge verlocken lassen könnte, ja daß sie überhaupt eine Verlockung für mich bilden! Das einfache stille Glück des Herzens an der Seite eines Mannes, der mich liebt und versteht, ist alles, was ich im Leben anstrebe, und es ist zugleich das Höchste, was ich erreichen will!«

Der Oberst runzelte finster die Stirn.

»Und dabei denkst du wohl immer noch an diesen Habenichts und Mitgiftjäger. . . .«

»Das ist Hartwig Henter nicht! Er verdient genug, um mich erhalten zu können, und er rechnet nicht im entferntesten mit dem Geld, das mir einmal zufallen könnte. Im Gegenteil, ihm ist der bloße Gedanke daran schon peinlich, und er würde mich am liebsten nehmen, wenn ich arm wie eine Kirchenmaus wäre! Wir verstehen uns auch darin so gut, Papa, denn auch ich mache mir gar nichts aus Geld. Behalte es nur, verschenke es, vermache es, wem du willst, nur denke nie, daß es für Hartwig und mich irgendwie in Betracht kommt! Es würde unsere Liebe nur beschmutzen.«

»Es ist jedenfalls sehr klug von ihm, dir dies einzureden,« sagte der Oberst hohnvoll, »er versteht, wie man mit kleinen dummen Mädchen verfahren muß. Aber ich bin kein solches. Es handelt sich jetzt auch gar nicht mehr darum, sondern bloß um die Tatsache, daß dieser Mensch heute unter einem häßlichen, gemeinen Verdacht steht, daß ihn die Öffentlichkeit so gut wie gerichtet hat, er also als Bewerber um deine Hand gar nicht mehr in Frage kommen kann! Es tut mir sehr leid, daß du dir das alles nicht selbst schon gesagt hast, Serena! Ich hoffte wirklich, daß du dir die Sache längst aus dem Kopf geschlagen hast, denn unmöglich konnte ich annehmen, du würdest auch jetzt noch festhalten an einem Mann, der einer andern Geliebter war und um ihretwillen zum Mörder wurde!«

»Das ist doch alles nur elende Verleumdung, Papa! Hartwig war nie Lydias Geliebter und hat mit dem Mord an dem armen Holzmann so wenig zu schaffen wie du oder ich!«

»So! Sagt er? Nun, wir brauchen darüber ja nicht zu streiten. Wenn du mir nicht glauben willst, wird dich ja die Zukunft belehren. Nach dem, was ich aus sehr guter Quelle weiß, wird Hartwig Henter nicht mehr lange auf freiem Fuß bleiben. Dann wird man ja weiter sehen. Lassen wir also dieses Thema. Wie ist's nun mit unserem Besuch bei Camptrees?«

»Ich bin bereit, wenn du meine Begleitung wünschest. Selbstverständlich werde ich es gegen die Herrschaften nicht an äußerer Höflichkeit fehlen lassen, bitte mir aber aus, daß du daraus weder Schlüsse ziehst noch Hoffnungen schöpfst, die sich niemals erfüllen würden!«

Der Oberst verbeugte sich schweigend. Während Serena nach ihrem Pelz griff, fragte er gleichgültig: »Wen wolltest du denn eigentlich vorhin besuchen, als ich eintrat, um dich zu Camptrees zu begleiten?«

Eines Atemzuges Länge zögerte Serena mit der Antwort. Dann aber sagte sie sich, daß Wahrheit immer besser sei als Lüge, und antwortete ruhig: »Ich wollte Lydia Holzmann aufsuchen, da ich gehört habe, daß sie krank ist.«

Der Oberst, der schon die Türe zum Fortgehen geöffnet hatte, schloß diese wieder und wandte sich rasch um.

»Habe ich recht gehört? Zu Lydia Holzmann wolltest du, obwohl du weißt, daß ich diesen Verkehr durchaus nicht mehr wünsche?«

»Ja, Papa. Ich habe deinen Wunsch, obwohl er ungerecht ist, dennoch respektiert, weil es sich eben um einen Wunsch meines Vaters handelt. Aber jetzt, wo Lydia krank ist und mich braucht, kann ich nicht länger Rücksicht darauf nehmen.«

»So! Und das hast du den Mut mir so offen ins Gesicht zu sagen?«

»Wäre es dir lieber, wenn ich eine Lüge sagte?«

In des Obersten Gesicht wetterleuchtete es. Nur mit größter Mühe bezwang er sich noch.

»Woher weißt du überhaupt, daß Lydia Holzmann krank ist und gerade dich braucht?«

»Von Hartwig Henter. Er hat es mir geschrieben.«

»Wie,« – jetzt schüttelte der Zorn den Obersten plötzlich so, daß er schwankte und instinktiv nach der nächsten Stuhllehne griff. »Wie – du stehst mit dem Menschen im Briefwechsel? Und das . . . das erfahre ich da so nebenbei?«

Ein hartes, kaltes Leuchten brach aus seinen Augen, und die zierliche geschnitzte Stuhllehne, nach der er vorhin wie nach einem Beruhigungsmittel gegriffen hatte, brach unter seiner Hand splitternd in Stücke. Mit einem Stoß schleuderte er den mißhandelten Stuhl in eine Ecke, wo dieser beinahe die Stehlampe und ein Tischchen mit Porzellanfiguren umgerissen hätte.

Serena, die solche Ausbrüche nicht zum erstenmal erlebte, war wohl bleich geworden, blieb aber ganz ruhig.

»Lieber Papa, du irrst. Der Brief, den mir Hartwig in dieser Angelegenheit schrieb, ist der erste und einzige, den ich vom ihm erhielt. Er selbst kann Lydia, die an einem Gemütsleiden erkrankt zu sein scheint, nicht aufsuchen wegen des elenden Klatsches, der über beiden schwebt, darum bat er mich, ich solle mich ihrer annehmen. Und dies ist doch so natürlich und selbstverständlich!«

Sie hatte, wie überhaupt bisher, mit der ihr eigenen unwiderstehlichen Sanftmut und Ruhe gesprochen, die ihre Wirkung auf den Vater selten verfehlte und auch jetzt nicht ohne Eindruck blieb. Trotzdem sagte der Oberst: »Und wenn ich dir nun allen Ernstes verbiete, den Verkehr mit dieser übel beleumdeten Frau wieder aufzunehmen?«

»Das wirst du nicht tun, lieber Papa; denn erstens bin ich kein Kind mehr, dem man einfach befehlen kann, und zweitens weißt du ganz genau, daß es sich für mich hier um eine Herzenspflicht handelt, der ich auch gegen deinen Befehl nachkommen würde. Zwinge mich also lieber erst gar nicht zum Ungehorsam.«

Einen Augenblick lang sah der Oberst seine Tochter schweigend an. Zorn und Schmerz stritten in seinem Blick. Dann wandte er sich zum Gehen.

Serena machte ein paar Schritte auf ihn zu.

»Wie ist es nun, Papa, wollen wir jetzt den Besuch bei Camptree's machen?«

»Nein! Geh, wohin du willst . . . mir ist die Lust, Besuche zu machen, vergangen!« kam es grollend zurück.

Eine Sekunde später war sie allein. Und jetzt erst spiegelte sich in dem sanften keuschen Schneeglöckchengesicht Serenas der Schmerz und die Trauer wider, die diese Unterredung in ihrem Innern aufgewühlt hatte.

 


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