Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XIX.

Um die Mittagsstunde des Tages, an dem Lydia Holzmann im Bureau Dr. Wasmuts, wo sie verhört worden war, in Ohnmacht fiel, wurde der Zivilingenieur Hartwig Henter in seinem Bureau als Mörder Holzmanns in Untersuchungshaft genommen.

Noch ehe die Nachricht in die Zeitungen kam, erfuhr sie Oberst v.  Eltz vom Untersuchungsrichter selbst, den er zufällig traf, als dieser von seinem Bureau nach dem Hotel Elefant ging, wo Dr. Wasmut gewöhnlich zu Mittag speiste.

Der Oberst war weder kleinlich noch boshaft, wie ihm unedle Regungen überhaupt fern lagen. Wenn er diesmal die eben erfahrene Nachricht trotzdem mit einer gewissen freudigen Genugtuung nach Hause trug, so war es nur, weil er eben einerseits seit langem überzeugt war, in Henter wirklich den Schuldigen zu erblicken, anderseits dieser nun durch Lydias Geständnisse bei Serena endgültig ausgespielt hatte.

Denn so zäh seine Tochter sonst auch an einmal gefaßten Überzeugungen und Entschlüssen festzuhalten pflegte, diesmal mußte es nun doch aus sein damit.

Der Mann, der ihre Freundin nach deren eigener Aussage mit Liebesanträgen verfolgt hatte, während er zugleich auch ihr Liebe heuchelte, konnte in Serenas Herzen keinen Platz mehr haben. Es würde ein bitteres Erwachen, aber darum doch ein Erwachen für immer sein.

Aber wieder einmal kam es, wie schon öfter in dieser Sache, ganz anders, als der Oberst erwartet hatte.

Denn als Serena aus seinem Munde das Geschehene erfuhr, brach sie durchaus nicht zusammen, wie der Oberst angenommen hatte.

Wohl wurde sie blaß bis in die Lippen hinein und ihre sonnigen Augen bekamen einen trüben Schein, während sie erschrocken ausrief: »Verhaftet! . . . Wirklich verhaftet? Armer Hartwig, wie schwer und entsetzlich wird ihn, den Unschuldigen, das treffen!« Indes lag gerade in dem Ton, wie sie es sagte, ein so tiefer absoluter Glaube an Henters Unschuld, daß der Oberst sie ganz fassungslos anstarrte.

»Serena – ist es möglich . . ., ja, hast du denn nicht verstanden, was ich dir mitteilte? Deine Freundin selbst hat doch zu Protokoll gegeben, daß Henter sie liebte, und sie war doch Zeugin der Tat!«

Seine Tochter machte eine geringschätzige Handbewegung.

»Lydias Aussage hat doch gar keine Bedeutung, Papa, denn sie ist ja leider geistig erkrankt, du weißt doch, daß ich sie eben deshalb neulich aufsuchte!«

»Ja, ich weiß und daß es auf Henters Veranlassung geschah. Er allein hat bisher diese Behauptung aufgestellt . . ., aber, liebe Serena, ich weiß doch auch, daß du damals sehr beruhigt von dem Besuch bei Marchstättens heimkehrtest. Und auf meine Frage nach dem Befinden deiner Freundin sagtest du, daß sie sich offenbar schon beruhigt habe, denn du habest in ihrem Benehmen nichts Auffälliges bemerken können, obwohl sie schlecht aussehe und ernst und schweigsam geworden sei. Aber das erklärtest du selbst als natürlich nach dem, was sie durchgemacht habe!«

»Ja, so sagte ich. Aber es war ein kurzer Besuch, und natürlich vermied ich jedes tiefere Gespräch, besonders jedes Wort, das auf den Mord Bezug haben könnte. Hartwigs Name wurde ebenfalls nicht genannt. Aber ich bin nun erst recht von Hartwigs Behauptung überzeugt, die arme Lydia leide an Wahnvorstellungen. Ihre Angaben vor Gericht sind einzig und allein darauf zurückzuführen. Sei versichert, daß man das auch dort bald erkennen wird!«

»Nun, vorläufig ist man dort felsenfest von ihrer Richtigkeit überzeugt. Der Untersuchungsrichter, dem ich meine Nachrichten verdanke, sagte mir ausdrücklich, er habe gestaunt, mit welcher ruhigen Sicherheit Frau Holzmann ihre Angaben machte. ›Bewundernswert klar und bestimmt‹, sagte er.«

»Es ist ja möglich, daß Geisteskranke ihre Wahnvorstellungen als klares Bild vor sich sehen und ihre Aussagen danach den Eindruck von wirklich Erlebtem machen,« sagte Serena achselzuckend. »Ich kann das nicht beurteilen. Aber sicher werden doch auch Sachverständige zu Rate gezogen werden?«

»Gewiß. Dr. Wasmut sagte mir, daß der Gerichtsarzt Dr. Schwarz Major v. Marchstätten riet, den Professor Königshofen, der einen großen Ruf als Psychiater hat, bei Frau Holzmann, deren Nervensystem arg mitgenommen scheine, zu Rate zu ziehen. Marchstätten wird dies sicher auch tun, schon um Lydias willen, deren Zurechnungsfähigkeit wahrscheinlich von gegnerischer Seite angefochten wird. Ich wette, Henters Verteidiger wird sein Heil nur darin sehen, die Anklage durch die Behauptung von Lydias Unzurechnungsfähigkeit zu entkräften. Etwas anderes bleibt ihm ja kaum übrig, auch ist das jetzt sehr modern.«

»Es würde vor allem wahr sein, Papa!«

»Du bist verblendet, mein armes Kind, sonst würdest du die Wahrheit ganz anderswo erblicken! Sie ist so klar: Als Henter merkte, daß es ihm an den Kragen gehen sollte, schrieb er dir von Lydias ›Geisteskrankheit‹. Dadurch wollte er von vornherein ihre Aussage entkräften; denn daß sie früher oder später doch die Wahrheit sagen würde, damit mußte er rechnen. Nun, und . . .« schloß der Oberst mit Bitterkeit, »seine Absicht hat er ja auch erreicht. Alle Welt glaubt nach Frau Holzmanns Aussage fester denn je an seine Schuld, nur du allein glaubst nicht daran, weil du an die von ihm behauptete Geistesstörung glaubst!«

»Nicht darum, Papa, sondern weil ich Hartwig Henter besser kenne als andere und weiß, daß er solch einer Tat nie fähig wäre!«

»Lassen wir den Streit darüber; ich sehe schon, daß dich nur die Zeit belehren kann. Indes versprich mir wenigstens, daß du nun angesichts der gegenwärtigen Lage alles vermeiden wirst, was deinen Namen in diese häßliche Angelegenheit verwickeln könnte.«

»Wie meinst du das, Papa?«

»Nun, vor allem, daß du nicht Partei ergreifst. Leider wissen ja unsere Bekannten, daß du Henter kennst und mit Lydia befreundet warst, aber ich erwarte, daß du dies jetzt mindestens totschweigst vor den Leuten. Du weißt nichts von der ganzen Sache und darum sollst du auch zu niemand darüber sprechen, sonst könnte es noch passieren, daß du als Zeugin vorgeladen wirst. Und das möchte ich denn doch nicht erleben!«

»Diese geforderte Zurückhaltung kann ich dir nicht unbedingt versprechen, Papa. Ganz gewiß werde ich das strengste Schweigen gewöhnlichen Bekannten gegenüber beobachten; wenn ich aber Hartwig oder der armen Lydia irgendwie helfen könnte, so würde ich es sofort, ohne Bedenken und mit Freuden tun. Damit mußt du rechnen!«

»So gib jetzt wenigstens den Verkehr mit Frau Holzmann auf!«

»Unmöglich! Gerade Lydia kann eine treue Freundin in der nächsten Zeit sehr nötig haben. Ich weiß nicht, was kommt, aber ich kann kein Versprechen geben, das ich unter Umständen nicht halten würde.«

»Vernichte den Brief Henters, wenn du es nicht schon getan hast!«

»Auch das muß ich ablehnen. Der Brief enthält eine kurze, aber klare Darstellung jener Begegnung Hartwigs und Lydias, aus der Hartwig die Überzeugung gewann, daß Lydias Geist gestört ist. Auch er kann unter Umständen für die Untersuchung von Bedeutung werden, und darum werde ich ihn keinesfalls vernichten.«

»Also alles nur ihm – nichts mir zuliebe willst du tun, Serena!« entrang es sich schmerzbewegt der Brust des Vaters. »Habe ich dich denn schon ganz verloren um dieses Menschen willen?!«

Auch um Serenas Mund zuckte ein schmerzlicher Zug, als sie, die Arme um ihres Vaters Hals schlingend, ihm bewegt in die Augen sah.

»Sprich nicht so, Papa! Nie kann ein Vater sein Kind verlieren, nie ein Kind vergessen, daß das Herz des Vaters das erste und treueste war, das ihm im Leben schlug! Sieh, was jetzt zwischen uns steht wie eine Mauer, ist ja nur, daß du mich nicht verstehen willst . . ., oder vielleicht nicht kannst. Daß du mir ein Glück aufnötigen willst, das mir keines ist, und zum Widersacher wirst, wo es sich um mein wahres, heißersehntes Glück handelt! Glaubst du, ich leide nicht auch schwer unter diesem Zwiespalt? Glaubst du, es sei leicht, um sein Glück kämpfen zu müssen gegen einen geliebten Vater? Glaubst du nicht, daß ich gerade jetzt diese schweren Tage tausendmal leichter tragen würde, wenn du an meiner Seite stehen würdest, mit mir fühlend, mit mir leidend, mit mir hoffend?! Wenn ich mir sagen könnte: Sobald Hartwigs Unschuld erwiesen ist, wartet das Glück auf mich, das wahre, volle Glück: zwischen den zwei Menschen leben zu dürfen, die mir die liebsten, teuersten auf Erden sind! So aber – wie dunkel liegt die Zukunft vor mir! Hartwigs Freiheit kann mir nur ein halbes Glück bringen, solange es erkauft werden muß mit Kampf, Qual und Herzweh, solange der Kampf zwischen Glück und Pflicht mir die Seele zerreißt! Es ist so hart und bitter, all diesem Schrecklichen allein gegenüberzustehen, sich jeden Tag sagen zu müssen: Wie lange noch wirst du es tragen können. . . .!?«

Sie vermochte nicht weiter zu sprechen, denn Tränen erstickten ihre Stimme. Es war das erstemal, daß sie in dieser Weise die Not ihres Herzens vor dem Vater enthüllte, und der Oberst fühlte sich tief erschüttert.

Denn er spürte es ja aus jedem Wort, wie sehr Serena ihn liebte und wie furchtbar sie litt unter der Erkenntnis, daß er sich gegen ihr Frauenglück, das Hartwig Henter hieß, stellte.

Und zum erstenmal tauchte ein Gedanke in ihm auf, den er bisher nie in Betracht gezogen: Kann ein Mann, der von einem so edlen, reinen, hochstehenden Wesen wie Serena so unerschütterlich und hingebend geliebt wird, – ein schlechter Mensch sein?!

War es wahre Vaterliebe, ein geliebtes Kind in Seelennot und Verzweiflung zu stürzen, nur weil man seine Gefühle für einen andern nicht begreift?

Müßte man nicht eher zu verstehen suchen? . . .

Während diese Gedanken seinen Kopf durchzogen, strich seine Hand zärtlich immer wieder über Serenas Haar und die tränennassen Wangen.

»Du sprichst, als wäre ich dein Feind,« sagte er endlich sanft. »Das sollst du nicht denken, mein armes Kind! Sondern immer nur: Er ist mein bester, treuester Freund, der mich verstehen will, auch wenn er nicht immer gleich den richtigen Weg dazu findet! Willst du das immer in dir festhalten, Serena?«

»Ja, Papa.«

 


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