Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XXVI.

Und was wurde aus Rudolf Holzmann?« fragte Silas nach einer Pause des Nachdenkens.

»Sein Schicksal ist unbekannt. Anfangs soll er noch ab und zu aus Amerika geschrieben haben, dann aber ließ er nichts mehr von sich hören. Wahrscheinlich gilt auch von ihm der Spruch, der auf so viele paßt, die drüben ihr Glück suchten . . . verdorben – gestorben!«

»Hat Ihr Schwiegersohn Ihnen den halben Ring einmal gezeigt?«

»Nein, denn der war wohl im Lauf der Zeiten verlorengegangen. Schon Gerhards Vater fand ihn nicht mehr im Nachlaß seiner Mutter. Schließlich hätte er ja auch nur Pietätswert gehabt.«

»Aber beschrieben hat er ihn Ihnen doch?«

»Ja, so wie sein Vater, der als Knabe die Ringhälfte noch gesehen hatte, ihn Gerhard beschrieb: Die Hälfte eines glatten Goldreifens, innen eingraviert ein R. H. und die Zahl 23.«

Silas hatte in die Tasche gegriffen. Jetzt legte er die Ringhälfte vor den Major auf den Tisch.

»Also ungefähr wie dies?«

Der Major fuhr wie elektrisiert in die Höhe.

»Ja . . . so . . . genau so . . . es muß derselbe sein, nach dem Gerhards Vater vergeblich suchte! Aber wie . . . Herr Hempel, sagen Sie mir um's Himmels willen, wie Sie zu diesem halben Ring kommen?«

Hempel berichtete es in kurzen Worten.

Der Major fuhr sich über die Stirn.

»Mir fehlen noch die Zusammenhänge . . . und in einem Geheimfach war es?«

»In einem Geheimfach des Schreibtisches, der von Frau Anna Maria Holzmann nach dem Tode ihres Gatten in Gebrauch genommen wurde. Ich wundere mich, daß ihr Sohn nichts wußte von dem Geheimfach?«

»Sie soll eine sehr stille, verschlossene Frau gewesen sein, Gerhards Großmutter. Und sie starb plötzlich an Herzschlag,« murmelte der Major. »Seltsam!« setzte er dann hinzu, »daß der Mörder darum wußte!«

»Er wußte es nicht, sonst hätte er nicht zuerst im Schuppen gesucht und dann von Frau Holzmann in dem großväterlichen Schränkchen suchen lassen. Er stieß eben beim Suchen zufällig darauf.«

»Aber warum suchte er? Warum tötete er den armen Gerhard?«

Statt aller Antwort zog Hempel den Ausschnitt aus der Leipziger Zeitung heraus und legte ihn vor Marchstätten hin.

»Lesen Sie dies!«

Der Major las, und es war interessant, dabei sein Gesicht zu beobachten, dessen wechselndes Mienenspiel auf eine ganze Stufenleiter von Empfindungen schließen ließ. Verständnisloses Staunen blieb als letzte darauf stehen.

»Ich weiß wirklich nicht, was ich aus diesem Aufruf machen soll?« sagte er endlich kopfschüttelnd. »Es scheint ja, daß der arme Gerhard Anspruch auf eine Erbschaft gehabt hätte . . . aber wer ist dieser Woodman, und warum wird, obschon er bereits 1877 gestorben, jetzt erst nach den Erben gesucht?«

»Letztes weiß ich allerdings auch nicht, doch werden gewiß Gründe dafür vorliegen. Erstes aber . . . Sie sprechen nicht Englisch, Herr Major?«

»Nein, nur Französisch und Italienisch. Warum?«

»Weil Sie in diesem Fall wüßten, daß wood Holz heißt – Woodman also eine Übersetzung von Holzmann ist. Es handelt sich daher hier zweifellos um den verschollenen Rudolf Holzmann, der sein einst gegebenes Versprechen doch halten wollte . . . wenn die Erfüllung auch aus uns unbekannten Gründen erst in die dritte Generation fiel.«

»Also doch! Nein, das hätte wirklich niemand mehr von ihm erwartet! Und darum, meinen Sie, mußte Gerhard sterben?«

»Zweifelsohne! Er mußte beiseite geschafft werden, damit ein anderer die Erbschaft einheimsen kann. Entweder ein Miterbe. . . .«

»Entschuldigen Sie! Miterben kann es nach dem klaren Wortlaut des Aufrufes ›als Erben kommen nur direkte Nachkommen des Ehepaares Johann und Anna Maria Holzmann in Betracht . . .‹ ja gar nicht geben, denn Gerhard war der einzige Nachkomme dieses Paares!«

»Dann wollte eben ein Schwindler drüben als ›Gerhard Holzmann‹ auftreten, jedenfalls der Mörder.«

»Das werden Sie doch verhindern?«

»Selbstverständlich! Ich habe auf dem Weg hieher bereits an Dr. Josuah Berrick in Montreal eine Kabeldepesche aufgegeben und um sofortige, möglichst ausführliche Auskunft über den Aufruf ersucht. Die Sache wird ja einen hübschen Batzen Geld kosten, aber da Sie mir seinerzeit so ansehnliche Mittel zur Verfügung stellten, glaubte ich. . . .«

»Ich danke Ihnen, Herr Hempel! Sie haben mich ganz richtig verstanden: Ich würde freudig alles bis auf den letzten Kreuzer opfern, um die Ehre und Reinheit meiner Tochter vor der Welt zu erweisen!«

»Dies wird nun geschehen. Schade, daß die Holzmannsche Erbschaft Sie nicht für das ausgelegte Kapital schadlos halten wird. Aber ich fürchte, da Ihr Schwiegersohn tot ist, wird der kanadische Fiskus die Erbschaft für die britische Dominion einstreichen.«

»Tut nichts! Wir werden deshalb nicht Not leiden müssen, und vollends Lydia erbt ja mehr als genug von ihrem Mann.«

Es klopfte. Der Diener erschien und meldete Fräulein von Eltz an. Der Major blickte Hempel fragend an. Dieser nickte lächelnd.

»Bitten Sie die junge Dame herein,« wandte Marchstätten sich an den Diener.

»Wir wollen sie gleich mit der frohen Nachricht überraschen, daß nun auch für Hartwig Henter alle Not ein Ende hat,« meinte Silas schmunzelnd. »Das wird eine gute Einführung für mich sein bei der jungen Dame.«


Eine Stunde später fuhr Silas Hempel in Begleitung des Polizeikommissars und zweier handfester Burschen nach der Villa »Lotos« hinaus, wo man sich zunächst mit den Detektivs Wanke und Hormaier in Verbindung setzte.

Diese berichteten, daß sich tagsüber nichts von Bedeutung ereignet habe. Niemand hatte die Villa verlassen, und nichts deutete auf eine beabsichtigte Reise hin.

Silas instruierte seine Kollegen genau und wies jedem den Platz an, den er in dem Augenblick einzunehmen habe, wo er selbst Einlaß in die Villa begehre.

Kommissar Heidinger war bereits auf der Herfahrt von Silas über alles informiert worden.

Nun schritten die beiden auf das Haustor zu, und Hempel setzte den Türklopfer in Bewegung.

Diesmal half es Sally nichts, daß sie hoch und teuer versicherte, Mr. Foster sei noch in Wien . . . Hempel hörte sie gar nicht zu Ende, sondern schritt rasch an ihr vorüber nach der Türe rechts vom Eingang, wo, wie er wußte, Fosters »Studierstube« war.

In der einen Hand den entsicherten Revolver, öffnete er mit der andern blitzschnell die Tür und überraschte Foster völlig, der mit lauschend vorgebeugtem Kopf inmitten des Zimmers stand.

Vom Öffnen des Tores durch Sally bis zu Hempels Eintritt in die Stube waren nur Sekunden vergangen. Foster hatte also weder Zeit gehabt zu fliehen noch das Licht auszuschalten oder eine Waffe zu ergreifen.

Offenbar gewöhnt, sich in ähnlichen Fällen blindlings auf Sally verlassen zu können, die den Auftrag hatte, jeden etwaigen Besuch ausschließlich an Mrs. Foster zu weisen, war er nun völlig überrumpelt worden.

Indes faßte er sich rasch und fragte in völlig unbefangen höflichem Ton, was die Herren von ihm wünschten.

»Nichts, als daß Sie die Liebenswürdigkeit haben, uns zu begleiten, Mr. Foster,« antwortete Hempel trocken. »Unser Auto wartet draußen.«

»Aber ich kenne Sie doch gar nicht! Wer sind die Herren?« fragte Foster hochmütig.

Um Silas' Lippen zuckte ein ironisches Lächeln. »In der Tat? Haben Sie ein so schlechtes Physiognomiengedächtnis? Ich denke doch, wir sahen uns erst heute nacht in der Villa Holzmann zum letztenmal! Aber wenn Sie darauf bestehen, daß wir uns vorstellen – auch gut. Polizeikommissar Heidinger und meine Wenigkeit: Silas Hempel, Detektiv der Kriminalpolizei.«

»Ich erinnere mich wirklich nicht. . . .«

»O das tut nichts, wir sind das von Leuten Ihres Schlages gewöhnt. Die Erinnerung wird schon kommen, wenn . . . halt,« unterbrach er sich, »keine Scherze, wenn ich bitten darf!«

Und er trat hastig auf Foster, der langsam gegen den Schreibtisch zurückgewichen war, zu und packte dessen Arm. Indes hatte dieser bereits einen Revolver aus der Tasche gerissen, den Silas aber unschädlich machte, indem er im Augenblick des Abdrückens Fosters Arm nach oben schlug, so daß der Schuß in die Decke drang.

Im nächsten Augenblick entsank die Waffe Fosters Hand, und mit einem dumpfen Stöhnen ließ er den Arm schlaff niedersinken. Hempels Stoß war mit solcher Kraft geführt worden, daß Fosters Arm aus dem Achselgelenk sprang.

Durch den Schlag des Detektivs war Foster wehrlos geworden, und die auf einen Pfiff ihres Vorgesetzten herbeieilenden Geheimpolizisten Wanke und Hormaier hätten ihn leicht fesseln können.

Hempel hinderte sie noch daran.

»Einen Augenblick,« sagte er, »es wäre unnütze Quälerei, einen Menschen, dessen Arm ausgerenkt ist, fesseln zu wollen! Aber ich verstehe mich ein wenig aufs Einrenken. Damit packte er Fosters Arm und beförderte ihn durch einen geschickten kräftigen Griff wieder in seine natürliche Lage zurück.

»So, nun die Handschellen, und fort!« drängte Heidinger. Foster leistete keinen Widerstand mehr. Offenbar hatte er begriffen, daß ihm diesmal kein Ausweg mehr blieb.

Draußen vor dem Haus standen die zwei andern Detektivs, in ihrer Mitte Mrs. Foster und die Negerin, starr vor Entsetzen mit angelegten Handschellen.

Als Foster die Gruppe erblickte, verlor er zum erstenmal seine ruhige Sicherheit. Seine hellen Augen öffneten sich weit, und ein seltsamer Ausdruck lag in dem Blick, den er auf seine angebliche Mutter richtete. Befehl und Bitte vereinigten sich darin, und der Blick selbst hatte etwas so unheimlich Scharfes, als gingen leuchtende Drähte von Fosters Augen zu der Frau hinüber, die darunter förmlich zusammenknickte.

Indes meldete einer der Detektivs dem Kommissar: »Die beiden Weiber wollten sich hinten herum durch den Garten fortpaschen, da nahmen wir sie fest.«

»Recht so, aber wir werden nicht alle in dem mitgebrachten Auto Platz haben. Warten Sie also mit Ihrem Kollegen und den Frauen, bis wir Ihnen einen andern Wagen herausschicken.«

»Sehr wohl, Herr Kommissar.«

»Verschließen Sie auch alle Zugänge zum Haus ordentlich und bringen Sie die Schlüssel mit. Innen darf nichts angerührt werden, verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Kommissar.«

Dann ging es fort, nach der Stadt zurück. In Judendorf machte man einen Augenblick halt vor dem Haus der Gendarmerieabteilung, die dort stationiert war. Kommissar Heidinger ersuchte, einen Mann als Wache an die Villa Lotos zu beordern.

Spät abends und todmüde kehrte Silas Hempel in die Villa Holzmann zurück.

»Zum letztenmal nehme ich heute Ihre Gastfreundschaft in Anspruch,« sagte er zu dem erstaunten Hauswart. »Morgen übersiedle ich wieder in mein altes Quartier, denn meine Arbeit im Fall Holzmann ist beendet. Seit einer Stunde sitzt der Mörder hinter Schloß und Riegel!«

Natürlich mußte Silas Rosner nun alles ausführlich erzählen, und dieser kam gar nicht aus dem Staunen heraus, als er erfuhr, wie alles zusammenhing.

 


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