Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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XVI.

Der Major und Silas wurden durch einen schmalen dunklen Vorraum, in dem die Schwarze erst im Durchschreiten das elektrische Licht aufdrehte, in einen kleinen eleganten Empfangsraum geführt, der ganz in moosgrüner Seide gehalten war.

Ein ebensolcher Perserteppich bedeckte den Boden, moosgrüne Polstermöbel standen um ein kleines schwarzes, mit Silber eingelegtes Tischchen und grüne Seidenvorhänge fielen zu beiden Seiten des Fensters herab. Auch die Beleuchtungskörper waren mit moosgrünen Seidenschirmchen abgeblendet, und da nur ein einziger davon – eine Stehlampe neben dem Tischchen – erhellt war, so herrschte in dem Raum nur ein schwaches grünes Dämmerlicht, an das sich das Auge erst gewöhnen mußte, ehe es die einzelnen Gegenstände deutlich erkennen konnte. Indes ließ sich nicht leugnen, daß eben durch diese diskrete Beleuchtung und die Einheitlichkeit der Farbe der ganze Raum sehr vornehm und stimmungsvoll wirkte.

In einer Sofaecke links von der Stehlampe saß eine ältliche Dame, ganz in schwarzen Samt gekleidet, mit einer Spitzencoiffüre auf dem silbergrauen Haar. Sie begrüßte die Eingetretenen mit deutlicher Zurückhaltung und fragte verwundert, was ihr die Ehre dieses Besuches verschaffe, da sie sich durchaus nicht erinnern könne, je im Leben die Bekanntschaft eines Majors von Marchstätten gemacht zu haben. Sie sprach rasch, kühl, aber höflich, nachdem sie zuvor gebeten hatte, die Herren möchten Platz nehmen.

Silas Hempel, der nach dem Eintritt, sich vorstellend, einen vollkommen undeutlich ausgesprochenen Namen, der wie Glaskopf oder so ähnlich klang, genannt hatte, nahm sogleich das Wort.

Er erklärte, daß sie eigentlich gekommen seien, den Besitzer der Villa »Lotos« in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen, und sehr erstaunt seien, daß Herr Alwingen und seine Familie, wie man ihnen gesagt habe, nicht mehr hier wohnten. Da die betreffende Angelegenheit sehr wichtig sei, hätten sie sich nicht abweisen lassen, weil sie hofften, Madame würde ihnen erklären können, wie all dies zugegangen sei und wo man nun Herrn Alwingen finden könne.

Silas Hempel beherrschte die französische Sprache vollkommen und flocht in seinen Wortschwall so viel liebenswürdige Phrasen ein, daß Mrs. Foster nicht umhin konnte ein paarmal beifällig zu lächeln. Ihre Antwort klang denn auch nicht mehr so kühl abweisend wie zu Anfang.

»Ich verstehe,« sagte sie. »Sie sind enttäuscht, statt Ihrer Freunde hier eine wildfremde Person vorzufinden, und doch erklärt sich dies ganz einfach dadurch, daß ich die Villa hier gemietet habe, als Herr Alwingen mit seiner Familie ins Ausland ging.«

»O – Alwingens gingen ins Ausland? Wann denn?«

»Schon im September, und ich wundere mich, daß Sie als seine Freunde dies nicht wissen!?« lautete die höhnisch erteilte Antwort.

Silas biß sich auf die Lippen, sagte aber rasch mit großer Unbefangenheit: »Auch dies erklärt sich sehr einfach dadurch, daß der Herr Major und ich erst vor kurzem von einer größeren Reise zurückkamen. Madame werden begreifen, daß wir deshalb über die Sache nicht orientiert sein konnten. Darf ich fragen, wo sich Oberstleutnant v. Alwingen mit seiner Familie aufhält?«

»Soviel ich weiß, wollten sie für ein Jahr nach Paris gehen. Ihre dortige Adresse aber ist mir unbekannt. Ich glaube auch nicht, daß sie mein Sohn weiß, denn die Mietung der Villa vollzog sich durch ein Bureau.«

»Wie schade – ich meine für uns. Denn nun wissen wir nicht, wohin wir uns wenden sollen. . . .«

Er schien nachzudenken. Dann sagte er teilnehmend: »Und gnädige Frau werden die ganze Zeit über, während Alwingens fort sind, hier in der Villa bleiben?«

»O, das weiß ich natürlich noch nicht. Es wird ganz von meinem Sohn abhängen. Er ist Arzt, übt aber seinen Beruf eigentlich nicht aus, denn er beschäftigt sich nur mit wissenschaftlichen Arbeiten und Versuchen. Dazu braucht er völlige Ruhe und darum sind wir nach Europa gegangen.«

»Ich dachte, Sie seien Französin?«

»Ja, ich bin in Paris geboren, habe dann aber nach Amerika hinüber geheiratet. Mein Mann war Bergwerksbesitzer, wir wohnten in New York, aber Charlie – ich meine meinen Sohn – studierte in Paris. Als Foster vor ein paar Jahren starb, übersiedelte ich zu meinem Sohn, der damals in Wien Vorlesungen über Gynäkologie hörte . . . aber Verzeihung . . ., das kann Sie wirklich nicht interessieren!«

»Im Gegenteil, jedermann wird Ihnen mit Interesse und Bewunderung zuhören, gnädige Frau. Ihre Stimme ist wie Musik, und die Art, wie Sie plaudern, entzückend!«

»Bah, man macht doch einer alten Frau keine Komplimente, Herr . . ., pardon, wie war Ihr Name?«

»Glasrotter. Übrigens, wie können Sie vom Alter reden, eine so reizende Frau. . . .«

»Aber sehen Sie denn meine grauen Haare nicht?« lachte Frau Foster.

Hempel beugte sich etwas vor, wie um besser zu sehen. Nichts als strahlende Bewunderung lag in seinem Blick.

»Grau? Nicht möglich, meine Gnädigste! Ich hielt sie für blond! Und wenn man diese schönen Augen, die das Feuer der Jugend ausstrahlen, und diese weiche junge Stimme dazunimmt. . . .«

Frau Foster gab sich einen Ruck, der sie noch tiefer in die Sofaecke brachte, wo kein Strahl der grünbeschirmten Lampe sie mehr zu erreichen vermochte, und lachte rauh auf.

»Genug, genug, Herr Glasrotter,« sagte Mrs. Foster ärgerlich, »sprechen wir von anderem. Wo waren wir doch gleich stehengeblieben?«

»Als Sie nach Wien zu Ihrem Sohn gingen,« entgegnete Silas.

»Ja, richtig. Und so kamen wir von dort aus dann nach G. Mein Sohn brauchte Ruhe zur Arbeit – wir lasen in der Zeitung eine Anzeige, daß eine stille Villa für ein Jahr vermietet werde – Charlie fuhr her, um mit dem Besitzer zu verhandeln. . . .«

»D. h. mit dem Bureau, von dem Sie sagten, daß es die Vermietung vermittelte. Oder habe ich falsch verstanden? Mietete Dr. Foster direkt von Herrn Alwingen? Dann würde er ihn doch persönlich kennen und wüßte vielleicht. . . .«

»Nein, ich glaube nicht. Er hat mir gesagt, es war ein Bureau. . . .« sie machte eine halb ärgerliche, halb ungeduldige Handbewegung und schloß: »Nein, ich weiß es wirklich nicht mehr! Es ist ja auch ganz gleichgültig!«

Der Major saß daneben und fieberte förmlich vor Ärger und Ungeduld.

Was sollte das alberne Gewäsch zwischen Hempel und dieser alten Französin bedeuten? War der Detektiv etwa hergekommen, um ihr den Hof zu machen? Das, was man wissen wollte, konnte man hier nicht erfahren – oder vielmehr war durch Alwingens schon vor zwei Monaten erfolgte Abreise doch der Beweis erbracht, daß Lydia nicht hier gewesen sein konnte. Warum also ging man nicht?

Da sagte Silas Hempel zu des Majors größtem Erstaunen: »Sie haben recht, gnädige Frau, es ist wirklich gleichgültig! Dagegen kam mir eben zum Bewußtsein, daß wir Freund Alwingens Adresse ja gar nicht zu wissen brauchen, weil er uns in der Angelegenheit, die uns herführte, gar keine Auskunft geben könnte. Nur wenn er noch hier wohnen würde, wäre dies vielleicht möglich gewesen, und eben wegen der Lage seiner Villa wollten wir uns an ihn wenden.«

Hempel machte eine kleine Pause, als erwarte er eine Frage; aber Mrs. Foster stellte keine. Da fuhr der Detektiv, als käme ihm der Einfall eben jetzt erst plötzlich, fort:

»Aber eigentlich könnten ja auch Sie, gnädige Frau, uns vielleicht Auskunft geben? Daß ich nicht gleich daran dachte! Denn obwohl wir Fremde sind und unsere Angelegenheit naturgemäß kein Interesse in Ihnen erwecken kann, so bin ich doch überzeugt, daß Ihre gütige Frauenseele auch Fremden gegenüber gern bereit ist zu helfen, wenn sie kann. Oder irre ich?«

»Ich denke nicht . . . natürlich bin ich bereit, jedermann zu helfen, wenn . . . aber, was wollen Sie eigentlich wissen?«

Es klang weder Neugier noch besondere Bereitwilligkeit aus Mrs. Fosters Ton, eher ein leiser Ärger, zu dieser Erklärung gedrängt worden zu sein.

Indes schien Hempel diesen Unterton gar nicht zu hören und fuhr lebhaft fort: »Sie werden es sich sogleich selbst sagen, wenn ich Ihnen meine Lage erkläre. Eine junge Verwandte von mir zeigte in der letzten Zeit Spuren von Geistesgestörtheit, die sich unter anderem auch darin äußern, daß sie oft plötzlich verschwindet – meist abends oder in der Nacht –, ohne daß man bisher feststellen konnte, wohin sie sich begibt.«

»Ja, haben Sie sie denn nicht danach gefragt?« sagte die Französin rasch.

»Doch, aber sie will oder kann sich nachher nie daran erinnern, wo sie gewesen – ja, daß sie überhaupt fortgewesen ist!«

Mrs. Foster saß unbeweglich da. Ob ihr Gesicht Interesse oder Langweile ausdrückte, konnte man nicht sehen, denn es lag ganz im Schatten des grünen Lampenschirmes.

Nach einer kleinen Pause klang aus diesem Schatten heraus die Frage: »Und wie kamen Sie auf den Einfall, sich bei Alwingens danach zu erkundigen? Vermuten Sie, daß Ihre Verwandte bei ihren geheimnisvollen Ausflügen hier in die Villa ›Lotos‹ kam?«

»Durchaus nicht! Was sollte sie hier gewollt haben, selbst wenn Alwingens noch hier wären – da sie die Alwingenschen Damen nie mochte und keinen Verkehr mit ihnen pflog? Nein, darum handelt es sich keinesfalls. Aber ich erhielt kürzlich einen Brief von unbekannter Hand, worin mir mitgeteilt wurde, daß meine Verwandte wiederholt nachts in dieser Gegend gesehen worden sei und allem Anschein nach in einer der hier verstreut liegenden Villen verkehre. Darunter sei eine, die der Schreiber nicht nennen wolle, von der er aber wisse, daß man sich darin viel mit Spiritismus beschäftige, oft die ganzen Nächte hindurch. Ich solle nur nachforschen, dann werde mir vielleicht klar werden, wo die Ursache der geistigen Störungen bei meiner Verwandten zu suchen sei. . . .«

»Spiritismus? Was ist das?« unterbrach Mrs. Foster Silas Hempels Bericht.

Er blickte erstaunt auf.

»Sie wissen das nicht, gnädige Frau. Ich dachte, gerade in Amerika und auch in Paris würde dieser Humbug viel betrieben?«

»Ich habe nie davon gehört! Aber erzählen Sie weiter. Sie haben also Nachforschungen angestellt. . . .«

»Nein, denn jede Möglichkeit dazu fehlt mir. Ich weiß nur aus der Generalstabskarte, daß sich auf dem fraglichen Territorium etwa zehn bis zwölf einzeln stehende Villen teils rechts, teils links von der Reichsstraße, teils näher, teils entfernter befinden, aber ich kenne keinen einzigen der Besitzer – außer den Oberstleutnant v. Alwingen. Zu diesem wollte ich daher, um nähere Auskunft zu erbitten. Ich dachte, wenn er hier wohnt, würde er die Besitzer der andern Villen sicher kennen und gewiß auch über ihr Treiben etwas gehört oder selbst beobachtet haben. – Sie fragten, was Spiritismus ist? Ich kann Ihnen darauf nur antworten, gnädige Frau, daß ich selbst alles damit Zusammenhängende für aufgelegten Schwindel halte und mich weiter nie darum bekümmert habe. Man soll dabei Geister beschwören und durch ein Medium allerlei Auskünfte von ihnen begehren. So ist es immerhin denkbar, daß ein junges Wesen durch solche Dinge Schaden an seiner geistigen Gesundheit leidet.«

»Gewiß wird solche Möglichkeit vorhanden sein. Aber wenn Sie nun von mir irgendwelche Auskünfte über das Leben und Treiben unserer Nachbarn erhoffen, so fürchte ich, Sie enttäuschen zu müssen. Denn ich weiß gar nichts darüber, wirklich gar nichts! Ich bin eine alte Frau, die die Ruhe liebt, das Haus nur verläßt, um im rückwärts liegenden Garten etwas Bewegung zu machen, und keine Ahnung von den Mitbewohnern dieser Gegend oder ihrem Leben und Treiben hat.«

»Aber Ihr Herr Sohn? Er ist doch jung und muß, ohne es zu wollen, doch manches gesehen oder beobachtet haben . . . z. B. daß in dieser oder jener Villa nachts länger Licht brennt . . . daß Leute gehen oder kommen. . . .«

»Mein Sohn ist ein Gelehrter, der sich erst recht nicht um die Welt kümmert und ganz in seine Studien versunken ist. Er geht wenig aus . . . aber warten Sie, mir fällt eben etwas ein. Einmal erwähnte mein Sohn, daß in einer der Villen drüben am Waldsaum oft die ganze Nacht Licht brenne. Aber in welcher Villa es ist, erwähnte er nicht weiter, und ich fragte auch nicht danach. Ich vermute, er hat es nur bemerkt, weil sein Studierzimmer rechts vom Hauseingang nach vorne zu liegt, also die Villen am Walde gerade gegenüber liegen.«

›Rechts vom Hauseingang,‹ dachte Silas, ›das ist das Fenster, wo das Licht erlosch. . . .

Laut sagte er: »Und glauben Sie, daß Ihr Sohn bereit wäre, mir diese Villa näher zu bezeichnen?«

»Gewiß – wenn er zu Hause ist!« Sie drückte auf eine elektrische Klingel, deren Taster sich an der Wand neben dem Sofa befand.

Sally erschien.

»Sally, ich lasse meinen Sohn einen Augenblick zu mir bitten!«

Aber Sally schüttelte sogleich den schwarzen Wuschelkopf.

»Massa Charlie nix sein zu Hause. Massa Charlie schon sein fortgegangen vor –« sie zählte an den Fingern ab, »eins – zwei – drei Stunden.«

Mrs. Foster zuckte bedauernd die Achseln.

»Ich fürchtete es beinahe. Denn gerade gegen Abend, wenn er nicht mehr bei Tageslicht arbeiten kann, unternimmt mein Sohn gewöhnlich einen Spaziergang, um sich Bewegung zu verschaffen. Davon kehrt er meist erst spät wieder heim.«

Hempel erhob sich, und der Major folgte diesem Beispiel in sichtlicher Erleichterung.

»Ich danke Ihnen auf das wärmste für Ihr außerordentlich freundliches Entgegenkommen, gnädige Frau!« sagte der Detektiv. »Darf ich nun noch mit Ihrer gütigen Erlaubnis ein paar Fragen an Ihr Dienstpersonal stellen? Vielleicht hat da jemand . . .«

»Fragen Sie, wen und so viel Sie wollen, Herr Glasrotter, nur fürchte ich auch da, daß Sie enttäuscht sein werden, denn unser ganzes Dienstpersonal besteht aus Sally und einem jungen Knecht, der die groben Arbeiten verrichtet, und dieser ist leider taubstumm. Sally,« wandte sie sich an die noch an der Tür stehende Negerin, »rufe Jakob.«

Jakob kam und machte den Eindruck eines Halbkretins. Auf seinem runden roten Gesicht lag das stereotype Lächeln eines Menschen, dessen Zufriedenheit davon abhängt, ob er gut und viel zu essen bekommt, was hier der Fall schien.

Er reagierte auf nichts, was man zu ihm sagte, schien also tatsächlich taubstumm zu sein. Sally's Antwort auf jede Frage, die Hempel an sie stellte, war ein grinsendes »Ich nix wissen«.

Hempel bedankte sich bei der alten Dame noch einmal für ihre »große Liebenswürdigkeit« und entschuldigte sich und seinen Begleiter wegen der Störung, die man verursacht habe, dann entfernte er sich, von dem Major gefolgt.

 


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