Annie Hruschka
Der Feind aus dem Dunkel
Annie Hruschka

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II.

Während sich dies im ersten Stockwerk der Villa abspielte, stand der in Begleitung des Polizeikommissars gekommene Detektiv Silas Hempel längst mit dem Hauswart unten in der offenen Türe des Schuppens.

Silas Hempel, der später weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus berühmt gewordene Privatdetektiv, stand damals noch am Anfang seiner Laufbahn und arbeitete im Dienst der Polizei. Eigentlich war er in Wien angestellt; da aber die G . . . . r Behörde infolge einer Grippeepidemie vorübergehend gerade ihrer fähigsten Leute beraubt war, während anderseits dringende Fälle einer raschen Erledigung harrten, so hatte man in Wien um Zuweisung einiger tüchtiger Leute gebeten, ein Ersuchen, dem umgehend willfahrt wurde.

Unter den vorübergehend der G . . . . er Polizeidirektion zugeteilten Beamten befand sich dann auch Silas Hempel, der sich trotz seiner Jugend bereits den Ruf eines klugen und findigen Kopfes erworben hatte.

Nachdem er oben den Bericht des Hausarztes aufmerksam mitangehört, einen scharfen prüfenden Blick auf den Bewußtlosen und seine Umgebung geworfen hatte, verließ er still und unbemerkt das Zimmer, um sich nach dem Schauplatz der Tat, dem Schuppen, zu begeben, wo der Hauswart eben das Licht ausdrehen und die Tür schließen wollte, als ihn das Erscheinen des Detektivs daran verhinderte.

»Sie sind, wie ich vermute, der Hauswart Rosner?« begann Hempel das Gespräch.

»Ja, der bin ich . . .«

»Und Sie waren der erste Mensch, der Herrn Holzmann beisprang nach dem Unglück? Wollen Sie mir so genau und ausführlich als möglich erzählen, welche Wahrnehmungen Sie dabei machten?«

Bereitwillig berichtete der alte Mann alles von seinem plötzlichen Erwachen an bis zu dem Augenblick, wo er mit Pauls Hilfe seinen Herrn ins Wohnzimmer hinauf geschafft hatte.

»Sie hörten also den Schuß, der Ihren Herrn verwundet hat? Waren Sie sich klar darüber, aus welcher Richtung der Schall kam?«

»Nein, ich dachte auch gar nicht darüber nach, meine Gedanken waren nur mit dem Schuppen beschäftigt, in dem ich zu so ungewöhnlicher Stunde alles hell erleuchtet sah.«

»Hm, ja – es war ja Viertel vor drei Uhr morgens. Aber nun besinnen Sie sich noch einmal auf den Schuß, den Sie hörten. Klang es so, als wäre er im Freien abgegeben worden – etwa hier am Kiesplatz – oder als wäre er drin im Schuppen gefallen? – Sie verstehen – das müßte doch einen bedeutenden Klangunterschied ergeben!«

Der Hauswart überlegte. Dann sagte er nachdrücklich: »Ja, ich verstehe und ich bin nun ganz sicher, daß der Schuß im Innern des Schuppens fiel. Hier draußen hätte er ganz anders, lauter erklingen müssen. Der Schall war kurz und scharf, erstarb aber sofort ohne Echo oder Nachklingen, wie es im Freien gewiß der Fall gewesen wäre. Niemand sonst im Haus hat den Schuß vernommen, was mir gleich auffiel; auch war der gnädige Herr sicherlich schon verwundet, als er aus dem Schuppen trat, denn ich wunderte mich, daß er sehr langsam ging, wie wenn ihm jeder Schritt Mühe machte.«

»Welche Zeit verstrich zwischen dem Schuß und dem Augenblick, als Herr Holzmann aus dem Schuppen trat?«

»O, höchstens eine Minute!«

»Bemerkten Sie außer Herrn Holzmann noch eine Person, die den Schuppen verließ?«

»Nein, wenigstens nicht, so lange ich mich außerhalb des Hauses befand. Was später geschah, weiß ich nicht.«

»Und jetzt, als sie herabkamen, um den Schuppen zu verschließen, betraten oder durchsuchten Sie da denselben?«

»Nein, denn da das Licht brannte, konnte ich den ganzen Raum in allen Teilen genau übersehen. Er war völlig leer, bis auf die paar Maschinen, die darin stehen.«

»Es steht also fest,« faßte Hempel das Ergebnis zusammen, »daß der Schuß im Innern des Schuppens auf Herrn Holzmann abgegeben wurde, daß sich der Mörder zur Zeit, als der Ingenieur den Raum verließ, noch darin befand, daß er aber bereits fort war, als Sie kurz darauf herabkamen, um den Schuppen zu verschließen?«

»Ja, so muß es gewesen sein.«

»Welche Bedeutung hat der Schuppen für die Fabrik? Übrigens ist es ja gar kein Schuppen, sondern ein festes Gebäude . . .«

»Das ist es erst seit einem halben Jahr. Früher war es ein einfacher Holzschuppen, in dem Gerümpel untergebracht war. Als sich aber die Arbeitsräume in der Fabrik zu klein erwiesen für den erhöhten Betrieb, ließ Herr Holzmann den Schuppen aufmauern, mit elektrischem Licht versehen und stellte darin ein paar besonders heikle Maschinen auf, die der verfeinerten Ausführung bestimmter Erzeugnisse dienen.«

»Der Raum steht mit der Fabrik durch eine Tür in Verbindung?«

»Ja, aber diese ist stets versperrt, und nur Herr Holzmann, der allein den Schlüssel dazu hat, benützt sie zuweilen. Dies deshalb, weil das verfeinerte Verfahren wie auch die dazu verwendeten kleinen Maschinen seine eigene Erfindung sind. Das Verfahren ist zur Zeit noch nicht patentiert, also Geheimnis, und nur fünf als gewissenhaft erprobte Arbeiter sind dabei beschäftigt. Gestern kam eine neue Maschine, die heute in Gebrauch genommen werden sollte. Da denke ich mir, Herr Holzmann, der mit seiner Frau spät heimkam, wollte sich vielleicht noch überzeugen, ob bei der neuen Maschine alles in Ordnung sei.«

»Möglich, daß dies die Veranlassung zu dem späten Besuch im Schuppen war, aber dies ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, daß sich die Spuren des Menschen, der auf den Ingenieur geschossen hat, im Schuppen finden. Ich werde den Raum also einstweilen absperren und später wiederkommen. Übrigens – ist denn kein Hund im Haus?«

»Doch, Herr Holzmann hat kürzlich einen Schäferhund angeschafft, weil er meinte, es wäre gut, die Fabrik nachts durch einen Hund gegen Einbrecher bewachen zu lassen. Wenn die Leute wüßten, daß ein Hund da sei, ließen sie sich oft schon dadurch abschrecken.«

»Und dieser Hund? Läuft er frei herum?«

»Ja, sein Lager ist dort in der Ecke zwischen Schuppen und Fabrik, wo ich ihm einige alte Decken über Stroh legte. Sie können ihn von hier aus liegen sehen.« Der Hauswart rief den Hund, der sogleich schweifwedelnd herankam.

Es war ein junges, schönes Tier.

»Und der Hund hat nachts nicht angeschlagen? Wo doch ein fremder Mensch in den Schuppen eindrang?«

»Nein, ich hörte keinen Laut von ihm und fand ihn vorhin ganz ruhig schlafend auf seinem Lager.«

»Seltsam!«

»Ja, ich wunderte mich auch, aber dann erklärte ich es mir damit, daß Robby noch sehr jung ist und keine Dressur hat.«

»Immerhin – der natürliche Instinkt müßte . . .«

Der Detektiv sprach nicht weiter, war aber sehr nachdenklich geworden. Schweigend versperrte er den Schuppen, nachdem er das Licht abgedreht hatte, steckte den Schlüssel in seine Tasche und verlangte dann noch, daß der Hauswart ihm die Fabrik aufsperre.

Er müsse sich selbst überzeugen, ob die Tür vom Schuppen dahin wirklich versperrt gewesen in dieser Nacht.

Die Tür erwies sich als versperrt und völlig intakt. Durch sie also konnte der Mörder nicht in den Schuppen eingedrungen sein.

Inzwischen hatte Kommissar Heidinger, nachdem man die ohnmächtige Lydia in ihr Schlafzimmer geschafft und sie dort Dr. Wille und ihrer Jungfer überlassen hatte, die Dienerschaft im Eßzimmer zusammengerufen und jede Person einzeln einem Verhör unterworfen.

Es waren außer der Jungfer Rosa und dem Hauswart sechs Personen, die alle bereits seit der vor zwei Jahren erfolgten Verheiratung des Ehepaares Holzmann im Hause angestellt waren.

Über den Hergang des Verbrechens wußte keines von ihnen auch nur die geringste Aufklärung zu geben. Denn alle hatten in tiefem Schlaf gelegen, bis zu dem Augenblick, wo Rosner an den Gong geschlagen.

Was aber die Verhältnisse und Gepflogenheiten im Haus anbetraf, so gaben sie willig jede Auskunft und zeigten sich auch sonst in den Angelegenheiten ihrer Herrschaft sehr unterrichtet.

Was Kommissar Heidinger aus diesen Einvernehmungen erfuhr, war ungefähr folgendes:

Lydia, die einzige Tochter eines ehemaligen Offiziers, des Majors von Marchstätten, hatte den Ingenieur Holzmann vor drei Jahren auf einem Unterhaltungsabend im Militärkasino kennengelernt, und beide verliebten sich sogleich ineinander. Aber obwohl Holzmann sehr tüchtig und von Haus aus vermögend war – er gehörte der Tonwarenfabrik seines Vaters als Teilhaber an – waren Marchstättens doch von Anfang an gegen die Wahl ihrer Tochter.

Selbst vermögend und aus einem alten Adelsgeschlecht stammend, fanden sie, daß Lydia viel höhere Ansprüche zu stellen berechtigt war, als die Gattin eines einfachen Ingenieurs und kleinen Fabrikmitbesitzers zu werden, der eigentlich gar nicht ihren Kreisen angehörte. Auch behaupteten sie, der junge Mann, der ernst und strebsam, aber zugleich von trockener Nüchternheit sei und keinerlei Interessen außerhalb seines Berufes habe, passe durchaus nicht zu ihrer lebenslustigen, verwöhnten und in der Gesellschaft so gefeierten Tochter.

Es gab deshalb viele stille Kämpfe zwischen den Eltern und der verliebten Tochter, und man unternahm zahllose Versuche, Lydia von dieser Heirat abzubringen. Aber die Liebe Lydias hielt allem stand, und nach einem Jahr hatte sie doch die Einwilligung der Eltern erkämpft, und ihre Hochzeit mit Gerhard Holzmann fand statt. Kurz danach starb Gerhards Vater, und jener trat in den Alleinbesitz der Fabrik, der er mit Leib und Seele angehörte und die er nunmehr allmählich immer mehr vergrößerte.

Die junge Ehe ließ sich anfangs sehr glücklich an, solange nämlich Holzmann sich ganz den Neigungen seiner Frau anpaßte. Es wurde ein großes Haus gemacht, und wenn man nicht selbst Gäste hatte, suchte man auswärts Zerstreuung. So war es Frau Lydia aus ihrem Elternhaus gewöhnt.

Aber allmählich fand Holzmann keinen Gefallen mehr an diesem bewegten Leben, das ihn viel zu sehr von der Arbeit abzog.

Er sprach mit seiner Frau darüber, aber Lydia konnte nicht ohne Menschen und Zerstreuungen leben. Sie schlug vor, er solle also in Gottes Namen sich in seine Fabrik vergraben und sie werde mit ihren Eltern ausgehen wie früher.

Das aber lehnte er schroff ab. Er hatte sie viel zu lieb, um bei einem solchen Vorschlag nicht vor Eifersucht rasend zu werden. Und da sie nicht nachgab und er nicht in ihre Vorschläge willigte, setzte es in letzter Zeit viel Streit und Szenen ab. Alle Hausangestellten vom Hilfsmädchen in der Küche bis zum Autolenker Wanko waren oft Zeugen davon gewesen, aber alle gaben auch einmütig zu, daß sich das junge Paar nachher doch immer wieder aussöhnte und im Grunde sehr lieb hatte.

Wenn es manchmal ganz schlimm wurde, nahm Hartwig Henter die Sache in die Hand und brachte dann immer wieder das schönste Einvernehmen zwischen den Ehegatten zustande.

Hartwig Henter war Holzmanns bester Freund seit den Kindertagen. Henter besaß keine Eltern mehr und war arm. Ingenieur wie sein Freund, war sein Name durch eine flugtechnische Erfindung bekannt geworden, doch hatte er sich danach nicht, wie man allgemein erwartete, dem Flugwesen zugewandt, sondern ein Bureau für bautechnische Arbeiten in der Stadt eröffnet. Er galt als sehr tüchtig und genial und bekam so viel zu tun, daß er bald alle Hände voll Arbeit hatte und ein schönes Stück Geld verdiente.

Henters Bureau lag in der Nähe von Holzmanns Fabrik, und bis zu dessen Verheiratung hatten die Freunde jede freie Stunde gemeinsam verbracht. Später beschränkte sich der Verkehr beider auf die Abende und arbeitsfreien Tage. Henter verstand sich auch mit Frau Lydia sehr gut, und so war es nur selbstverständlich, daß, was immer das junge Paar auch unternahm, der gemeinsame Freund stets mit von der Partie war.

Als indes der Polizeikommissar auf den Strauch schlagend fragte, ob Herr Henter nicht vielleicht auch Frau Lydia besonders den Hof mache, verneinten alle entschieden.

O nein, das sei durchaus nicht der Fall. Er und Frau Holzmann sprächen einander wohl bei den Vornamen an, und diese ziehe Henter bei allen Vorkommnissen zu Rat, aber trotz der Ausnahmestellung, die er im Holzmann'schen Haus einnehme, habe es nie die geringste Vertraulichkeit zwischen ihm und der Frau seines Freundes gegeben. Wenn das je der Fall gewesen wäre, hätte man es sofort bemerken müssen, denn in diesem Hause gäbe es keine Geheimnisse. Sowohl der Herr als die Frau lebten ihr Leben offen vor aller Augen und hätten vor ihren Leuten nie ein Hehl aus ihren gelegentlichen Stimmungen oder Verstimmungen gemacht.

Darum seien sie alle der Herrschaft auch so ergeben, weil sie nie hochmütig als Dienstboten behandelt worden seien, sondern immer freundlich als Hausgenossen, die man für treu erkannt und vor denen man gelegentlich sich auch nicht zu verstellen brauchte, wenn es mal was gäbe.

Auch die Frage, ob Herr Holzmann vielleicht in der Fabrik einen Streit mit einem der Arbeiter gehabt oder sonst einen Feind besessen habe, wurde einstimmig und auf das bestimmteste verneint.

Die Arbeiter in seiner Fabrik seien ihm gerade so ergeben und gingen genau so für ihren Herrn durchs Feuer, wie sie selbst. Man brauche nur die Betriebsräte zu fragen, die würden es bestätigen.

Der Kommissar entließ die Leute endlich und ersuchte darum bei Frau Lydia anzufragen, ob er nun auch sie um eine Unterredung bitten dürfe, was ihm sofort gewährt wurde.

Indes bestätigten Frau Lydias Antworten auf alle gestellten Fragen nur, was der Kommissar bereits gehört hatte.

Es gab keine Geheimnisse im Haus, und Gerhard Holzmann hatte keinen Feind besessen . . .

»Aber irgend jemand muß doch auf ihn geschossen, und das muß schließlich auch einen Grund gehabt haben! . . .« dachte der Beamte kopfschüttelnd.

 


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