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XVIII. Kapitel.

In schlafloser Nacht schrieb sie ihm:

»Gott segne Dich auf allen Deinen Wegen, teurer, lieber Freund. Es muß Dir gut gehen, denn Du bist der bravste Mann Deiner Zeit. Morgen früh um fünf Uhr, den vierzehnten, geh' ich von hier weg über Erfurt, Langensalza, Mühlhausen, Heiligenstadt, wo ich zu Nacht bleiben will. Denn übermorgen, den fünfzehnten, will ich bis Braunschweig, wenn es möglich ist, und den sechzehnten nach Berlin. Ich bitte Dich kniend, schicke mir doch Nachricht von Dir, Du weißt nun, wie ich reise und kannst berechnen, auf welchem Weg Du am schnellsten mich etwas von Dir hören lassen kannst. Du begreifst, was mir daran liegt. Ich spreche von nichts, was uns sonst betrifft, es ist nicht der Augenblick, sich auf irgendeine Art weich zu machen. Ich liebe Dich und bete für Dich.

Ich darf Dich noch einmal bitten, nimm mehr Zutrauen zu Dir selber und führe das Ganze, es geht gewiß besser. Lebe wohl! Gottes Segen mit Dir. Laß mich nur nicht ohne Nachricht.

Auf ewig Deine Luise.«

Im Morgengrauen des Herbsttages, des vierzehnten Oktobers, der eine Entscheidung herbeiführen sollte, verließ die Königin das alte Weimar. Die Welt lag eingebettet in Kühle, fieberisch glänzten noch Sterne am erbleichenden Himmel. Der Wagen fuhr so rasch, als es seine Belastung erlaubte. Er war komplett, drei Damen bei der Königin, ein Kammerherr beim Kutscher, zwei Diener hinten auf. Die Räder ächzten über weimarische Landstraßen. Langsam entschleierte sich Gebüsch und Feld.

Die Königin dachte plötzlich ein böses, qualvolles, hoffnungsloses Wort, das in ihren frühesten Jugendtagen sie hundertmal gehört: Varennes. Sie fühlte es wie ein spitzes, unbarmherziges Brennen ins Blut dringen. Varennes, Varennes.

War sie denn schon, wie einst das unglückliche französische Königspaar – auf der Flucht? Waren die Schergen Napoleons schon hinter ihr her, sie einzufangen?

»Schneller, schneller, wir schleichen ja – um Gottes willen schneller«, rief sie. Die Hofdamen, blaß, übernächtig, fühlten sich krank vor Kälte, weinerlich, in tiefster körperlicher Entmutigung. Sie gaben kreischend das Wort weiter, »schneller, schneller«.

Landstraßen und Dörfer entschwanden. Landstraßen und Dörfer tauchten auf.

Über die Königin war eine glanzlose Schwäche gekommen. Sie sah und sah nicht, wie die Landschaften sich veränderten, wie ein anderer Gebirgscharakter auftauchte. Irgendwann fragte sie, was für wunderliche Bäume im Walde seien. So schwarze, vorweltlich geformte, ungeheuere Büsche.

»Das sind Eiben, Ihro Majestät,« antwortete Gräfin Voß, »wir fahren durchs Eichsfeld. Da gibt es noch die Eiben aus den Heidenzeiten. Böser Spuk hängt daran –« Lisinka Tauentzien begütigte rasch: »Schottische Balladeneiben, Ihro Majestät. Ossianische Eiben.«

Die Vieregg munterte auf: »Eiben wie in Sanssouci –«

Sanssouci. Das teuere Wort stieg auf wie eine Morgenröte! Der Neffe des Unsterblichen von Sanssouci war heute bei der preußischen Armee. Furchtbarer, und wenn Gott wollte, großer Tag.

Wenn Gott wollte! Die Königin beugte das Gesicht. Graue Schatten liefen darüber hin, vertieften sich.

»Großer Gott, gib dem bravsten Mann seiner Zeit heute einen Ehrentag. Großer Gott, nimm Louis Ferdinands Tod für viele! Großer Gott, segne Preußen!«

Heiligenstadt kam näher. Der Abendschein beglänzte das Land. Luises Blick starrte in die sinkende Sonne, – als sollte sie Antwort geben.

Es war der Abend, da die Sonne von Sachsen-Weimar blutrot verglühte – blutrot versank hinter dem Jammer des Schlachtfeldes von Jena, hinter dem Wirrsal der Niederlage bei Auerstädt. –

Neuer Reisetag. Man hatte sich in zwei Kutschen verteilt. Die Königin fuhr allein. Sie konnte die Gesichter ihrer Hofdamen nicht mehr sehen. Sie wollte ihnen den Zwang ersparen, sich immerzu in Form zu halten.

Der Kammerherr vom hohen Bocksitz, die Diener auf hohem Tritt, die Eskorten zu Pferd, alle spähten begierig durchs Land. Konnten schon Kundschafter kommen von den Ereignissen, die man für gestern bestimmt erwartet? Meldereiter vom König, oder Nachrichten, von Mund zu Mund getragen? Aber niemand kam.

Kurz vor Braunschweig, die Nacht war schon hereingebrochen, sprengte ein Postsekretär an die Wagen heran und schrie mit gellender Stimme: »Die große Schlacht ist gewonnen.«

Zitternd kletterte die Voß heraus, eilte zur Königin. Luise hatte die Hände ineinandergekrampft.

»Das war ein Gerücht«, sagte sie matt.

Man fuhr in Braunschweig ein, kam zum Schloß. Im Fackellicht der Halle stand der Hof: schwarze Gestalten, in Trauerkleidern um Louis Ferdinand, im Jammer um die Nachricht von dem Herzog: er war blind geschossen zum Beginn der Schlacht, außer dieser Botschaft gab es noch keine.

Wieder ging es weiter. Wieder fuhr die Königin allein. Fuhr ihre Fahrt »zwischen den Bergen der Hoffnung und den Abgründen des Zweifels hindurch«. Sie fühlte sich von aller Kraft verlassen. Ihre Angst wuchs ins Unsägliche. Sie wollte beten und fand keine Worte mehr. Ödes Feld lag um den Weg. Wie schwarze Fetzen, von Bränden weitergewirbelt, flatterten Krähen vor grauem Himmel. Tonlos, leiernd sprach die Königin vor sich hin: »Wir wissen nicht, was wir beten sollen, aber der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.«

Warum, großer Gott, kam keine Botschaft vom König? –

Sie kam.

Die Räder mahlten schon durch märkischen Sand – fern glänzten die Spiegel der Havel, da kam der Meldereiter! Massow brüllte ihm entgegen: Victoria, Victoria!

Der Meldereiter grüßte stumm. Er hatte ein schmales, preußisches Offiziersgesicht. Die Augen waren leer wie die einer Statue. Die Uniform war voll Schrunden und Schmutz, war überm Körper getrocknet.

Der Reiter schritt auf den Schlag des königlichen Wagens zu, als wäre er ein Schafott.

»Halt,« schrie Massow, »erst melden. Wen soll Ihro Majestät geruhen, allergnädigst zu empfangen?«

Der Offizier sagte seinen Namen so undeutlich, als müßte er aussprechen, er sei ein Henkersknecht. Dann, laut, kalt: »Meldung von dem Herrn Generaladjutanten von Kleist.«

Massow riß den Wagenschlag auf, schrak zurück vor Luisens Augen.

Der Meldereiter reichte ein Billett. Luise las:

»Der König lebt – die Schlacht ist verloren.

von Kleist.«

Vor Luisens Augen ward es dunkel. Sie hörte wie aus weiter, unbegriffener Ferne Stimmen um sich. Sie fühlte ihre Hände erfaßt, Riechsalzgeruch stieg auf. Der Wagen raste weiter. Nach Berlin – nach Berlin. In die fürchterliche Finsternis des Geschehens hinein sagte Luise plötzlich das Wort:

»Wir wollen uns zusammennehmen –«

Nach einer Zeit, die dem Herzen tödlich lange schien, fuhr der Wagen über holpriges Pflaster. Fuhr durch die Straßen von Berlin. Täuschende und jubelnd gefeierte Siegesnachrichten hatten das Volk in Taumel versetzt. Nun, da es die Wahrheit wußte, tobte es in fassungslosem Aufruhr. Den Wagen der Königin umraste Sturm. Man liebte sie, man wollte es im Unglück zeigen. Die Kammerherrn aber fürchteten Gefahr. Der Wagen jagte durchs Brandenburger Tor, die Linden entlang. Von ihrem Gefolge ängstlich umschichtet, erreichte die Königin das Palais.

»Wo sind meine Kinder?« rief sie, tödliche Angst in der Gebärde.

Sie sah eine Gestalt die große Treppe herabrasen – auf sich zustürzen.

»Sie sind in Sicherheit, sind nach Schwedt gebracht –« Wer ist doch die fremde Frau, besann sich Luise, hörte im nächsten Augenblick einen jammervollen Schrei:

»Mein Bruder, mein angebeteter Bruder –«

Die Königin sank in die Arme von Luise Radziwill. Fürchterliche Nacht. Der Reichsfreiherr vom Stein trat der Königin entgegen, machte ihr klar, daß sie Berlin in größter Eile wieder verlassen müsse. Das Heer war auf der Flucht, der Napoleonische Sieg ein unermeßlicher. Man mußte in den allernächsten Tagen mit dem Einzug Napoleons in Berlin rechnen. Man kannte seine Gesinnung. Er war imstande, die königliche Familie in Gefangenschaft zu setzen, wenn sie nicht seiner Machtsphäre entfloh.

»Und der König – und die Armee?« Immer wieder stieß Luise die Worte heraus. Stein gab ihr den Trost, daß der König inmitten seiner Armee gewesen, daß die furchtbare Niederlage durch das Versagen der Führung gekommen.

»Ich werde Eurer Majestät den Doktor Hufeland schicken, Eure Majestät dürfen nicht ohne ärztlichen Beistand weiterreisen«, sagte Stein, senkte den Blick vor ihrem Jammer und ging.

Die Gräfin Voß und die Prinzeß Radziwill betteten die Königin auf ein Sofa, scheuchten den Grafen Schulenburg von der Schwelle. Er, der Gouverneur von Berlin, wollte, die Königin solle auf der Stelle weiterfahren. Der Morgen schon konnte französische Truppen nach Berlin bringen. Prinzeß Radziwill flüsterte ihm zu: »Sind Sie ein Folterknecht? Die Königin muß ein paar Stunden Ruhe haben, sie vergeht uns sonst.«

Luise taumelte auf aus kurzem Schlaf. Sie hörte sich selbst noch sagen: »Prinz Louis, wie konnten Sie mich so erschrecken –« Sie hatte geträumt, Louis Ferdinand käme lächelnd in einen Saal und spräche, »wir wollen die ›Eroika‹ von Beethoven spielen«. Traum? Sie raste hoch, die Hände wie schutzsuchend in ihr aufgelöstes Haar verkrampft. Sie wußte sekundenlang nicht, wo sie war. Dann kam halbe Besinnung. Sie stürzte durch Räume – war wie eine Verwirrte. Ist hier schon Plünderung? Sie sah offene Schiebladen, herausgerissene Kleider, Mäntel, Schuhe – Plünderung? Angstgepeitschter Wahn. Klangen die Clairons, die Siegeshörner der Franzosen? Klang der Generalmarsch?

Es war nur der Stundenschlag vom Dom.

Die Voß stürzte herbei: »Wir packen noch, Eure Majestät. Wenn es möglich ist, in einer halben Stunde – der Wagen ist bereit.«

»Die Franzosen haben Erfurt, sie stehen schon vor Magdeburg«, gellte eine Stimme auf. »Schafft die Königin fort, der Napoleon will sie fangen.«

Luise floh von der Schwelle ihres Hauses. Sie schluchzte auf: »Ich werde nicht mehr zurückkommen!«

In Finsternis lagen die Linden. Eine Todesdunkelheit war über der Stadt. Aber in dieser Finsternis lebte eine kriechende, schauerliche Bewegung. Menschen drängten sich heran. Waren es noch – gute Preußen? War es Gesindel?

Der Wagen fuhr in das entsetzliche, lebendige Dunkel hinein. –

Im alten Markgrafenschloß von Schwedt an der Oder sah Luise ihre Kinder wieder.

In den Blicken der Kinder las sie, wie sie wohl aussah. Großer Gott, diese Augen. Sie riß die Kinder an sich, stammelte ihre Namen. Drückte die weichen Wangen an ihre fieberheißen, fühlte die jungen Körper, dachte: Ihr seid meine Kraft. Gebt mir etwas von euch, daß ich nicht vergehe. Ihr Mund lag in blonden, seidenweichen Haaren. Ihr Herz fühlte zitternden Herzschlag. »Ich will euch nicht zum Unglück geboren haben«, schrie ihre Seele.

Sie versuchte ein Lächeln zu den Kindern. Aber die zuckenden Lippen gehorchten nicht. Und aus den Augen flossen unaufhaltsam die Tränen.

»Ihr seht mich weinen,« raffte sie endlich ihre dunkle Stimme zusammen – »ich beweine den Untergang der Armee und ihres Ruhmes. Sie hat den Erwartungen des Königs nicht entsprochen.«

Der Kronprinz tastete scheu nach der Hand seiner Mutter, der stille, gute Wilhelm versuchte, sie zu küssen. »Wenn ihr einst groß seid, werdet ihr eurem Vaterland dienen – das bleibt meine Hoffnung –«

»Wo ist Papa?« fragte plötzlich die kleine Alexandrine.

»Wir reisen zu ihm«, antwortete Luise befangen.

In einem Vorzimmer des Schlosses verhandelten Offiziere mit den Kammerherren. Eile. Eile. Die Königin muß weiter. – Nach Stettin? Nach Küstrin? – Der König geht nach dem Osten. Vielleicht wäre es das beste, wir brächten die Königin über die Grenze, nach Kurland.


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