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XII. Kapitel.

Es war im März des nächsten Jahres. Die preußische Politik hatte sich in nun schon traditioneller Weise weiter durch ein kunstreiches Lavieren bewegt. Man kam den Hannoveranern nicht zu Hilfe, man überließ dieses Reichsland, das nach Völkerrecht nichts mit den englisch-französischen Feindseligkeiten zu tun hatte, unter französischer Besatzung. Man sah bedauernd, aber untätig zu, wie verratene hannöversche Soldaten flüchteten und in die deutsche Legion des Königs von Großbritannien eintraten.

Luise verstand die Ursachen all dieser wirrsäligen, traurigen Dinge nicht. Wie sollte sie auch! Es gab die widersprechendsten Anschauungen darüber. Fragte sie den König, so wurde er mürrisch und irritiert. Fragte sie die Minister, so bekam sie glatte, höfische Antworten. Eines nur wußte sie, was alle Welt kommen sah und auch der König: in Paris war eine erneute Veränderung zu erwarten.

Der König hatte sich entschlossen, an Stelle der Versicherungen zärtlicher Freundschaft dem Zaren einiges Politische zu schreiben, ohne aber ein festes Bündnis zur Sprache zu bringen.

Die freundliche Antwort Alexanders kam mit Geschenken und Glückwünschen zu Luises Geburtstag. Er sollte mit besonderem Glanz gefeiert werden. Viele Wochen lang gingen schon die Proben für einen Maskenball, der alles überbieten sollte, was Berlin bisher an einer solchen Veranstaltung gezeigt. Die ganze königliche Familie, alle Gäste, Hofstaaten und Minister hatten ihre Teilnahme zugesagt, die Gesellschaft von Berlin fieberte vor Erregung, die Offiziere der Regimenter Garde du Corps und Gensdarmes rüsteten Aufwendungen zu, als wären sie alle reiche Leute. Die Gesandten versprachen sich einen ungeheuerlichen Spektakel. Die Zeitungen machten ihre Vorberichte:

»Zur Feier des Geburtstages der teueren und holden Landesmutter werden die königlichen Prinzen und mehrere der ersten Männer des Staates einen großen Maskenball geben, der sich durch sinnreiche Erfindung historischer, mimischer und charakteristischer Darstellungen, durch Eleganz geläuterten Geschmacks und durch fürstliche Pracht in dem Kostüme besonders auszeichnen wird. Alles entspricht der schönen Absicht, einer gefühlvollen und geistreichen Fürstin durch das, was die Bildung der Zeit Edeles beut, würdig zu huldigen. Das Nationaltheater, reich erleuchtet und im Innern wie eine Weinlaube verziert, wird die Szene des Festes sein –«

»Was die Zeit Edeles beut«, war die Darstellung der Rückkehr Alexanders des Großen von seinem Streifzug nach Susa, dem Sitz der Perserkönige, und seine Verheiratung mit der Tochter des Darius, Statira genannt.

Sie darzustellen hatte die Königin übernommen.

Die alte Gräfin Voß war beschäftigt, die Listen der Eingeladenen und Teilnehmer zu durchlaufen. Selbst diese Großmeisterin der Etikette erschrak vor der ungeheuerlichen Menschenansammlung, die der Maskenball bringen sollte. –

Trompetengeschmetter kündigte den Einzug Alexanders des Großen an, den Prinz Heinrich gab. Die Abgeordneten der von ihm besiegten Völker stellten sich in gefälligen Attitüden auf, füllten den Hintergrund der großen Szene. Das Fest der Sonne zu feiern, kamen die Magier und gruppierten sich zum Opfer um den Altar. Das Gedränge nach der Bühne zu wurde wie ein Kampf ums Leben. All die tausend Masken, die in überreichen, blendenden oder verwegenen Kostümen das Theater füllten, waren von sich selbst berauscht. Man hatte eine solche wilde, exzentrische, überschwengliche Pracht noch nie gesehen. Man war sich selbst neu. Offiziere, die plötzlich statt des engen Waffenrockes nur ein Pantherfell umhüllte, Hofherren, die heute über Reihen schöner, leichtbekleideter Sklaven geboten, Legationssekretäre, die als Paschas mit einem Harem auftreten konnten, fühlten ihre Sinne verwirrt, fühlten alle Grenzen und Bande gesprengt.

»Ihr müßt doch gepeitscht sein«, schrie Herr von Lombard, griff an nackte Schultern und Rücken, zog Rötelstriche über schimmernde Haut. Hektische Stimmen flatterten auf. Abwehrende Arme streckten sich in Begehrlichkeit. »Sie sind verrückt, Lombard.« Der Barbierssohn kreischte mit Fistelstimme: »Wollt ihr die Peitsche lieber wirklich?« Er hatte die Hand fest um die Taille einer reifen Schönheit, flüsterte entzückt: »In Rußland gehört die Peitsche zur Liebe.« – »Auf die Knie«, schrie ein Garde-du-Corps-Offizier seinen Sklaven zu, blickte süßlich über gebeugte Nacken hin. »Beim Parademarsch, wollen wir Asien nach Berlin verpflanzen! Ich kann euch den Kopf abschlagen lassen – wie? Juckt es euch schon?«

»Ah, werden die Gefangenen hingerichtet?«

»Nein, alle schönen Frauen werden heute hingerichtet. Aber man martert sie vorher ein wenig.«

»Unsinn, Perser. Ihre huldvolle Majestät martert heute alle grünen Leutnants.«

»Nee, nee, schöne Pilgerin, wir werden Prinz Louis am Kreuze hängen sehen. Süperb. Er soll wieder ganz toll nach ihr sein.« – »Jawoll. Er hat Paulinchen Wiesel und die Fromm. Und fünfhunderttausend Taler Schulden. Er spielt sich unter den Tisch – um die Königin.«

Eine überhitzte, überreife Gesandtin kicherte: »Ihre huldvolle Majestät hält es mit Alexander – Lombard hat es schon nach Paris berichtet, es wird sicherlich im ›Moniteur‹ stehen. Sie kniet heute abend vor – Alexandern. Süßer Witz, es ist der törichte kleine Prinz Heinrich.«

»Kniet sie wirklich vor – dem Namen Alexander?«

»Sie ist die verruchteste Tugend Europas –«

»Madame – und wir haben den göttlichsten Witz Europas.«

Posaunengeschmetter. Die Hälse reckten sich: die Königin trat auf.

Sie war blaß und schien irritiert, fast befangen. Kam es von den schweren weißen Gewändern, stand ihr der komische Kronreif mit dem gezähnten Rand so seltsam?

»Eine hochmütige Büßerin«, sagte ein sonderbarer Mann, dem die Haare tief in die Stirn fielen.

»Scharnhorst, Sie verstehen nichts vom Hofleben und von Maskenbällen.«

»Denke auch nicht daran, bin kommandiert.«

»Hat – diese Schaustellung wirklich der König befohlen?« Rüchel zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Aber Seine Majestät hält es jetzt für gute Politik, daß Berlin durch Extravaganz von sich reden macht.« »Unmöglich, lieber Rüchel –« »Doch nicht. Oder er – sieht das alles gar nicht. Er – träumt.« »Vom ewigen Frieden?« »Auch davon – wenn's beliebt.«

Statira, die Königin, war zum Altar geschritten, kniete nieder, nahm die Opferschale und vollendete das Opfer durch die Ausgießung in das heilige Feuer.

Ihre Hände waren nicht ganz ruhig. Ihr Gesicht hatte den Ausdruck eines erstarrten Hochmuts.

Tumult auf der Bühne. Der Held Alexander erschien.

Die Königin, Tausende von Blicken auf sich wissend, war plötzlich degoutiert von ihrer Brautrolle. Sie beschleunigte die stumme Zeremonie, spielte steif, kalt – fand erst wieder zu ihren anmutigen Bewegungen, als sie sich herabbeugte, die Fesseln der Gefangenen zu lösen. Ihr Blick suchte den König, fand ihn nicht.

Sie war unruhig, verwünschte innerlich das Fest, dem sie doch standhalten mußte. Was kommt nun? besann sie sich. Die Neger, die Bergschotten, der wandelnde Turm, die Schmetterlinge? Sie war ganz wirr, hatte, als sei sie von Lampenfieber befallen, die Szenenfolge vergessen. Wehende Fahnen mit dem Halbmond gaben ihr Bescheid. Die Karawane der Pilger näherte sich mit dem künstlichen Wunderwesen, dem Kamel. Ein Aufgebot von hundert malerisch gekleideten und durch die fremde Aufmachung zu Kühnheit aufgestachelten Personen füllte die Bühne.

»Gen Norden, durch das weihrauchvolle Saba
Trägt sicher wandelnd das Kamel
Den Feierzug aus Mekkas heil'ger Kaba
Gehorsam Muhamets Befehl.

Hier ward ein Wunder uns zu schau'n verheißen,
Der Wallfahrt mehr, denn Mekka wert.
Du holde Königin, beglückter Preußen,
Die auch der Orient verehrt.

Uns überrascht ein nordisches Walhalla
Voll Glanz, und in den Staub geneigt,
Flehn tausend Segen wir herab von Allah
Der Holden, die er uns gezeigt.«

Die Königin – lächelte. Sie lächelte über das Kamel. Sie lächelte, denn es war ihre Pflicht, froh und unbesorgt zu scheinen. Der König hatte es gewünscht, hatte es befohlen. –

»Mit wem tanzt die Königin?« »Mit ihren Schleiern.« »Nein, nein, Louis Ferdinand hängt am Kreuz der bangenden Erwartung.« »Die königlichen Schultern sind – nicht gerade aus Holz.« »Aber die einzigen, die er nicht zu küssen wagt.«

Musik wirbelte auf. Ein Chaos von Tönen schrillte ineinander. Dann: reiner, zuletzt von jedem Beiklang verlassen, die Pfeifen der Bergschotten, der Hochländer.

Der englische Gesandte führte die Königin. Sie hatte das orientalische Gewand abgelegt, schleierdünne Seide flutete über ihre blühende Gestalt – ließ im Schreiten den wundervollen Aufriß ihrer Glieder ahnen. Die Menge verstummte jäh.

Luisens Blick triumphierte. Eine Welle von halbverschollener Küste her hatte sie wieder erreicht. Die Lebenslust, die alte tolle Lebenslust aus Jungmädchentagen flutete über sie hin.

Sie winkte mit der Hand. Eine »Eccossaise,« setzte ein. Luise tanzte, sie vergaß die glitzernde Menge. Vor ihren Augen verflimmerten die Farben, Lichter, Brillanten, Orden zu einem einzigen Rausch: War dieser wilde Rhythmus, der durch die Säle tobte, nicht wie das Brausen des Meeres? Sie schloß die Augen, ihr Herz flog einer fernen Küste zu.

Der Lord-Gesandte erschrak: wird sie mir ohnmächtig? Er fragte, ob er die Königin für einige Minuten in einen weniger überhitzten Raum führen dürfe. Sie lächelte schon wieder.

Der Engländer sah spöttisch über die Menge hin: mein Gott, diese Preußen sind toll geworden. Sie schwimmen in Luxus und Vergnügungsgier, während an ihren Grenzen der Feind lauert. Und diese – diese verrückt schöne Königin weiß wohl von allem – nichts?

Luise, den Gesandten entlassend, trat in einen aus Oleanderbüschen aufgebauten kleinen Hain. Ein Page, der dort Fruchteis verschlang, ließ bei ihrem Anblick den Teller fallen, riß das Taschentuch an den Mund, stürzte auf die Knie. Fieberglänzende Jungensaugen starrten die Königin an.

»Was ist, Page?« fragte sie. Er stammelte: »Wir sind alle rasend, küssen Eure Majestät doch einen einzigen von uns – mich!« Ihr Nacken beugte sich ein wenig, ihre Hand streichelte wirre Locken. »Stehen Sie auf, Page!« Der Junge stand zitternd.

»Kind, haben Sie keine Mutter, die Sie küßt?« Der Page verleugnete eine sanfte Frau auf einem Landschloß in der Uckermark. Die Königin beugte den Mund zu seiner Stirn. »Melden Sie sich einmal beim Kronprinzen«, sagte sie gütig und winkte dem Erglühenden, auszuweichen.

Der König kam, Luise zum Souper abzuholen.

Die Menge wich zurück, nackte Schultern bogen sich bis zur Erde, eine wie durch Zauber bewirkte Bändigung floß über die wilden Gestalten einer unwahrscheinlichen Welt.

Im oval eingebauten Konzertsaal war für den Hof serviert, in den Nebenräumen standen Büfette. Das Licht der Kronen flimmerte, Girlanden von Weinlaub senkten sich über die Tische.

Zu der königlichen Tafel drang schon das Lallen Betrunkener – drangen Stimmen, die heiser oder weinerlich waren. Unter den Aufwartenden bemerkte Luise den Pagen von vorhin. Er sah aus, als wäre er gestraft worden. Sie winkte ihn heran, befahl ein Glas Eis. »Nun?« fragte sie. Der Page flüsterte: »Verzeihen Eure allergnädigste Majestät, ich habe eine Mutter.« Sie sah ihn still an. »Du wirst das nie mehr vergessen.«

Als die Königin in den großen Theatersaal zurückkam, spielte die Musik: God save the king. Die Menschen jubelten, schrien mit: »God save the queen!«

Sie stand – in bewußter Wirkung – minutenlang da als Preußens große Repräsentation. –

Eine hohe Gestalt in unscheinbarer Maske, Pilger unter Pilgern, hatte von ferne den Anblick Ihrer Majestät genossen. Der Wallfahrer mit dem halbverhüllten Gesicht ging den Oleanderbäumen mit den Moosbänken zu. Es war kein junger Mann mehr. Er sagte vor sich hin:

»Sie hätte doch eine unglückliche Amour haben sollen, sie ist nicht das geworden, was sie versprach.«

Der Pilger schrak zusammen, Prinzeß Radziwill war ihm gefolgt. Sie sagte rasch, heiß: »Sie sprechen von der Königin, Medem? Es weiß doch keiner, was sie an sich leidet.« Medem stand betreten. Er glaubte eine Tarnkappe in seinem Pilgerhut zu besitzen.

Luise Radziwill glitt auf eine Moosbank. »Wie sich die Königin selbst erträgt, ist bewunderungswürdig. Diese Ewig-Bewegliche, dieser Quell, den man zwingt, ein Tugendbrunnen zu sein –« Die Radziwill flüsterte:

»Wäre sie Regentin, das Land würde auferstehn –« Eine spöttische Stimme klang hinter dem Gebüsch: »Sie meinen, sich zu Tode tanzen, schöne Maske?« Kichernd entwich Lombard.

»Verfluchter Ort,« stieß Medem heraus, »überall Lauscher. Wollen Sie den König pensionieren, Prinzeß?«

Sie lachte krankhaft auf. »Adieu, Medem, ich muß meinen Bruder suchen.« Sie rief einen Offizier herbei. »Wo ist der Prinz?«

Sie fand Louis Ferdinand unter Zechern.

Über Luise Radziwills Gesicht flog Zorn. Nicht gegen den Angebeteten. Gegen sein Schicksal. Sie flüsterte ihm ein Wort zu.

Der Prinz riß die Weinranken von der Stirn, straffte die Gestalt. Er war in Sekundenschnelle in Form –

»Allergnädigste Majestät haben geruht, zu befehlen?«

Die Königin nahm seinen Arm. Ging langsam mit ihm zu der breiten Freitreppe, die zu dem Platz führte, wo Friedrich Wilhelm Cercle hielt.

Sie fragte rasch: »Sie waren der Pilger, der mir den Zettel mit der verstellten Schrift gab, Prinz Louis?«

»Ich bin ein ewiger Pilger, Eure Majestät. Aber ich habe Eurer Majestät nichts zu Füßen gelegt als meine unwandelbare Verehrung –« Rot stieg in Luisens Wangen.

»Sie waren es, auf Ehre, nicht, der mir den Zettel gab?«

»Nein, Luise. Wurden Sie erschreckt?«

Sie hob das Gesicht zu ihm – –

Die Radziwill sah dieses Paar im Glanze körperlichen Adels. Eine Sekunde der Spannung war zwischen ihnen. Die Königin – der Bruder: Menschen unter Larven! Die Radziwill hatte es von ihrem katholischen Gatten gelernt, sie schlug das Kreuz: »Wir sind alle Sünder neben ihr.« –

Der Hof verließ das Fest. Schimmernde Nacken bogen sich bis zur Erde. Eine wie durch Zauber bewirkte Bändigung floß über die wilden Männergestalten einer unwahrscheinlichen Welt. Der Hof ging.

Johlen, Musik, Geschrei. Chaos blieb zurück, Halbbetrunkene stürzten sich brüllend in neuen Tanz. –

Die Straßenkehrer schlurften heran zum Opernplatz. Versprengte, armselige Leute warteten noch von der letzten Auffahrt her oder kamen von neuem geschlichen. Vielleicht verlor jemand etwas beim Einsteigen, ließ es fallen, und wollte es nicht zurück. Wenn es nur ein Band oder eine Schleife ist, man kann es brauchen. Vielleicht werfen die Herrschaften auch den Bettlern etwas zu. Trug man ein Kind im Arm, taten sie es doch oft. Manchmal fand man auch einen Atlasschuh, ein Spitzentuch, das kaufte dann der Trödler.

Es war noch finster; nasser Nebel fiel. Das Betteln ist ein harter Beruf. Ehe man es sich versieht, hat man den Husten, die lahmen Beine, die man vortäuscht. Den Hunger im Leibe und die Lumpen am Leibe, die hat man freilich ohne alle Bemühung. Hunger und Lumpen sind gratis.

Der königliche Wagen überquerte den Platz.

Die Königin blickte nicht aus den Fenstern. Sie las auch den Zettel nicht, den ihr der Pilger gegeben. Aber sie wußte die Worte auswendig, trotzdem das Papier vernichtet war:

»In kurzer Zeit wird es ein französisches Kaiserreich geben. Und dann wird Preußen sich zu entscheiden haben, ob es zu den Waffen greifen oder zur französischen Provinz herabsinken will. Luise, – werden Sie endlich – die Königin


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