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III. Kapitel.

Luise tanzte mit Friedrich Wilhelm. Schon den dritten Tanz. Schon den vierten. Es tanzte sich viel besser mit ihm, als man von seiner steifen Gestalt denken sollte. Freilich, er war ein wenig still, auch beim Souper. Da muß ich die Konversation führen, dachte Luise und nahm sich vor, nicht zuviel Pfälzer Deutsch in ihr Französisch zu mischen, weil man sie damit oft auslachte.

Der Kronprinz schien Vergnügen daran zu haben, wenn man ihm so vorplauderte. Die Geschichte des alten blinden Landgrafen von Hessen, der, von sechs weißen Hirschen gezogen, aus seinem einsamen Jagdschloß nach der Residenz gefahren, um Kaiser Franz zu sehen, machte ihm Eindruck, und auch die holländische Reise der Herzoginnen interessierte ihn sehr. Luise wurde ein wenig stolz. Sie hatte wirklich schon sehr viel erlebt, fand sie nun selbst. Munter erzählte sie, daß man damals eine kleine Anleihe bei der guten Base Polyxenia Leiningen machen mußte, um das Reisegeld zu vervollständigen. Zuerst kam man nach Cleve, dann auf ein Lustschloß Bellevue.

»Königliche Hoheit, dort sind die entzückendsten Damenzimmer, die ich jemals gesehen habe. So wundervoll elegant.«

In Friedrich Wilhelm blitzte ein Gedanke auf: Wie wäre das scharmant, für seine Braut oder Frau neue Zimmer einrichten zu lassen, ganz neue Räume, in denen noch niemand vorher gewohnt.

»Würde Ihnen das gefallen, Prinzessin, neue, elegante Zimmer zu haben?«

Sie lachte sorglos heiter. »Natürlich, natürlich. Das wäre noch viel hübscher als neue Kleider. Und neue Kleider sind doch schon so reizend –«

Sie unterbrach sich. Die Großmama schalt sie manchmal wegen ihrer Putzsucht. So lenkte Luise schnell wieder auf die wichtige Begebenheit ihrer holländischen Reise. Sie sprach von dem großen Schiff, auf dem sie von Amsterdam nach Saardam gefahren, und formte einen lehrhaften Satz über Peter den Großen:

»Que ce grand homme a fait du bien par là, car c'est par le commerce que provient leur plus grande richesse.«

Friedrich Wilhelm staunte über solche Kenntnisse und fühlte sich fast bedrückt. Dann merkte er (denn Luise konnte sich wirklich nicht versagen, den Eierkuchen der Frau Rat Goethe aufzutischen), sie war gewiß nur aus Pflichtgefühl zu der nationalökonomischen Betrachtung über den Handel gekommen.

Er sagte ihr eifrig, wie er sich freue, sie morgen beim König zum Mittagessen wiederzusehen.

Ikas Blicke hatten oft ihre Luise gesucht und in ihren Zügen gerätselt, ob sie denn wohl dem steifen Friedrich Wilhelm wirklich Geschmack abgewinnen könnte. Nun, bei der Fortsetzung des Tanzes näherte sich ihr der Prinz, aufmerksam gemacht von seinem Adjutanten, daß dies unerläßlich sei.

Als aber nun Friedrich Wilhelm, weil es doch seine Pflicht war, sich diese Prinzessin besser anzusehen wagte, wurde er von neuer Unruhe erfüllt. War die Kleine nicht die Schönere? Das heißt, von aristokratischerem Aussehen als die ältere Schwester?

Die kleine Ika, sehr gelangweilt von ihrem Tischherrn, der in Gedanken bei seiner Freundin in Berlin war, warf in unbewußtem Trieb, in schuldlosem Drang ihre Netze aus. Sie war geschmeidig wie eine Eichkatze, und über der Zartheit ihres ebenmäßig und vornehm geschnittenen Gesichtchens lag ein süßer, rätselhafter Esprit.

Ika pries ihre große Schwester in allen Tönen. Sie sang Luisens Apotheose. Zwischen den Figuren des Tanzes klangen wie Lockrufe abgerissene Worte zu Friedrich Wilhelm von Luisens engelgleicher Güte, von Luisens schwesterlicher Liebe, von Luisens goldenem Herzen, das die kleine Ika nie im Stich ließ. Denn die kleine Ika war doch nicht so klug wie Luise, war nicht so groß wie Luise, war überhaupt nur ein armes Ding neben der Schwester. Das kam alles in einem Ton, von dem Friedrich Wilhelm nicht wußte, war er ein wenig spöttisch, oder war er nur wirklich gerührt. Jedenfalls schuf er, daß man die Sängerin dieser Luisenhymne sich recht herzlich betrachten mußte, daß der leise Silberton ihres Haares und ihrer Worte einem ein recht sonderbares Gefühl gaben. Dieses grazile, zierliche, holde Geschöpf in die Arme zu nehmen, wäre so leicht.

Der gute, junge, schüchterne Herr, der es zwar wußte, aber manchmal doch nicht begriff, daß er als Kronprinz von Preußen eine große Partie war, kam sehr verwirrt von diesem Ball nach Hause. Dies steigerte sich am nächsten Tage noch mehr. Die Großmutter Prinzeß Georg erschien mit den beiden Lichtgestalten von Enkelinnen zu Tisch im roten Haus beim König.

Der Kronprinz war vor ihnen da. Er begegnete dem Reichsgrafen von Medem im Vorzimmer. Friedrich Wilhelm fragte erschrocken: »Ist Seine Hoheit Prinz Louis Ferdinand zur Tafel befohlen?«

Graf Medem verbeugte sich tief. »Seine Majestät haben soeben allergnädigst geruht, dem Prinzen einen kurzen Urlaub zu erteilen.« Friedrich Wilhelm nickte erleichtert. Graf Medem ging beschwingt. Seine Majestät war ein kluger Herr, ein sehr feinfühliger Herr. Es hatte nur eines leisen Wortes bedurft, und schon verstand Seine Majestät.

Nicht so leichten Sinnes wie Graf Medem verließ der Kronprinz das rote Haus wieder. Über seinem langen, hageren Gesicht spielten die Züge der Unentschlossenheit. Er fühlte wohl den Zug seines Herzens zu Luise. Doch neben dem dunklen Klang ihrer Stimme war der silberne Singsang Ikas in seinem Ohr.

Es ist doch so namenlos schwer, eine Entscheidung zu treffen. Hat man Marschorder, gut, so geht man den Weg, der Pflicht ist. Doch wenn man selbst bestimmen soll? Ja, da wartet man.

Der Marchese Lucchesini wurde gemeldet. Lucchesini, der einstige Kammerherr und Tischgenosse Friedrichs des Großen, jetzt zum preußischen Gesandten nach Wien bestimmt, tänzelte herein. Er war zwanzig Jahre älter als Friedrich Wilhelm, rechnete aber noch darauf, in seiner einstigen Regierung eine Rolle zu spielen.

Friedrich Wilhelm faßte sich ein Herz gegen den gewandten, klugen, geschmeidigen Diplomaten. Und auf seine scheue, vorsichtige Art begann er, von den Prinzessinnen zu sprechen.

Lucchesini, ganz Hofmann und schon den Wind kennend, der morgen wehen würde, sprach von der engelhaften Schönheit der beiden Prinzessinnen. Er pries Luise, pries Friederike, rühmte die Charaktereigenschaften und die gebietende Erscheinung der einen, die aparte Distinktion und Unterhaltungsgabe der anderen. Endlich aber gab er doch Bestimmteres von sich, schenkte Friedrich Wilhelm das Wort:

»Die Herzogin Friederike würde sehr gut passen für den Thron von Polen, der auch sehr apart und wechselvoll ist. Eure Königliche Hoheit aber haben die künftige Königin von Preußen zu erwählen.« – –

Im Gontardschen Hause war Konzert und Souper. Mit plötzlich erwachter Gewandtheit – er hatte das neulich dem Grafen Medem abgesehen – führte der Kronprinz Luise zu einem Wandgemälde. Es stellte eine Perspektive in ländliche Freiheit dar, und zwischen heroischen Bäumen im Stile des Claude Lorrain erblickte man ein fernes Herrenhaus und näher gelegen einen schönen Galanterie-Meierhof, vor dem engelhaft gesittete Kinder mit wohlerzogenen Lämmern spielten.

»So ein Besitz, still im Land, das wäre mein Wunsch«, sagte Friedrich Wilhelm. »Gefällt es Ihnen auch, Prinzessin?«

Luise lachte. Ob ihr das gefiel! Es gab doch nichts Hübscheres als das Landleben. »Der Lindenduft muß in die Zimmer wehen, und über die Wiesen hin zirpen die Grillen – ja, und man kann auch tanzen über die Wiesen hin. Wenn gemäht ist«, fügte sie ökonomisch hinzu. »Denn zu einem solchen Landsitz gehört auch ein Stall voll schöner Kühe, und es muß eine hübsche Milchwirtschaft sein. Denn, nicht wahr, ein Gut soll doch auch etwas eintragen. Sonst hat die gnädige Herrschaft kein Geld.«

Wie klug sie war und wie reizend. Friedrich Wilhelm sah sie entzückt an. »Im Reich ist es freilich schöner als im Sande der Mark Brandenburg«, sagte er. »Haben nicht diese freundlichen, grünbebuschten Hügel, nicht die sanften Täler, nicht die Ruinen auf den Bergen. Aber da ist das Seengebiet der Havel. Die blauen Wasserspiegel. Werde immer ganz glücklich, wenn ich dort bin –«

Luise ließ ihren Fächer auf und ab wippen. Unbewußt ahmte sie die Großmutter darin nach.

»Besitzen Königliche Hoheit ein Landgut an der Havel?«

»Hab' ich das gesagt?« Friedrich Wilhelm wurde ganz ängstlich. »Nein, mir gehört kein Gut. Nur das Palais Unter den Linden in Berlin. Habe auch Wohnung in Potsdam und Sanssouci. Aber möchte gerne schönes Zuhause, ganz still im Land, wie auf Bild hier. Wenn man etwas sehr wünscht, bekommt man es dann wohl?« Er sah Luise innig an. Sie antwortete sorglos: »Ja, man bekommt es.«

»Aber möchte nicht allein auf Landgut sein«, versicherte der Prinz. »Müßte jemand mit mir leben, der Lindenduft in den Zimmern haben will und gerne Zikaden hört –«

Luise errötete leicht, wollte dies durch ein Sichabwenden verbergen. Sie wurde noch verlegener, als sie merkte, die liebe Schwester Ika mit dem Prinzen Ludwig stand lächelnd hinter ihr.

In dieser Nacht erfuhr Luise, daß der Schlaf den Menschen fliehen kann. Sie war voll Unruhe. Wenn der Prinz wirklich fragen sollte, ob sie ihn liebhatte? Gewiß, sie konnte von Herzen sagen: Ja, ich habe Sie sehr gern. Doch, war dies auch genug? Sie hatte doch viele Menschen sehr gern. Wurde man mit einem Mann vielleicht dann erst ganz vertraut, wenn die Hochzeit vorüber? Sie hatte gelesen oder gehört, man müsse gleich beim ersten Anblick wissen: dieser oder keiner.

Sie saß aufrecht in dem hochgetürmten Federbett des »Weißen Schwanen«. Die Locken waren ein wenig aus dem Nachthäubchen gekommen, fielen über das heiße Gesicht. Sie strich sie mit einer zärtlichen Bewegung zurück, spähte im Scheine des Nachtlichtes nach der Schwester hinüber. Man sah kaum etwas mehr unter den Federbergen. Sie schlief zusammengerollt wie ein Ammonshörnchen im weißen Kalkstein.

Nein, sicherlich, beim ersten Anblick von Friedrich Wilhelm hatte sie nicht gedacht: dieser oder keiner. Sie wußte überhaupt nicht mehr, was sie gedacht. Und ob der Prinz bei ihrem ersten Anblick beschlossen: diese oder keine? Vielleicht, sann Luise, rechnen die Menschen den Augenblick ihrer Entscheidung als den ersten des Sehens. Doch konnte sie sich entscheiden?

Sie schlüpfte plötzlich aus dem Bett und glitt zu ihrer Schwester hinüber.

»Ikamädchen, ach, plaudere doch ein bißchen mit mir.«

Ika dehnte sich wie ein Kätzchen, gab kleine, verschlafene Laute von sich, war aber dann plötzlich hell wach und rief in das nächtliche Gemach hinein:

»Großer Gott, müssen wir uns denn auf der Stelle verloben?« Und bettelte dann: »Ach, komm doch ein bißchen mit unter die Decke, Luis', sonst fürchte ich mich.«

»Ich kann nicht schlafen«, klagte Luise. »Ich war schon vorhin eine Weile am Fenster, die Sterne scheinen so sonderbar, die Nacht ist so still. Sag' mir doch, Ikakind, gefällt dir denn der Prinz Ludwig? Er hat kein freundliches Gemüt. Er ist kalt und dreist.«

Ika rief munter: »Er ist Königliche Hoheit. Das klingt doch hübsch. Und ich wäre dann die jüngste verheiratete Prinzeß in Berlin.«

Luise gedachte jäh des Geistlichen, der sie beide vor einem Jahre in Darmstadt konfirmiert. Sie verfiel in einen gewissen sentimentalischen und pietistischen Ton, es klang auswendig gelernt, als sie nun von Tugend, von ewigem Glücke sprach und von den Prüfungen, denen man sich unterziehen müsse, ehe man Entscheidungen träfe.

Da lachte die lose kleine Schwester: »Ja, ich fürchte, du mußt dich entscheiden, ob du all deine Fehler ablegen kannst, die da heißen orthographische Fehler, Diätfehler, Leichtsinnsfehler. Wie klagt die Großmämme, daß du immer Regenschirme und Halstücher vergißt und dich erkältest! Und daß du so gern naschst und Zuckerwerk verschwinden läßt. Und ein bißchen zuviel Geld verbrauchst. Das wird dir Prüfungen genug bei deinem Kronprinzen verschaffen.«

»Meinst du, Ika?«

»Ach, Luis', wir müssen ja doch mal heiraten. Nein, wir wollen nicht später für immer zu unseren Schwestern ziehen. Dein Kronprinz gefällt dir doch ganz gut, nicht wahr?«

Über die siebzehnjährige Luise kam ein weiches, mütterliches Gefühl.

»Um mich ist mir auch nicht bange. Der Kronprinz ist edel, zuverlässig und gut. Aber wie es für dich sein wird, Ika, macht mir Sorge.«

Da schlang Ika ihr schmales Ärmchen um den Nacken der Schwester und sagte kindlich:

»Wo du hingehst, da will ich auch hingehen. Dein Weg ist mein Weg – ach Luis', und ich lasse dich auch nicht allein in die fremde Stadt. Bin doch dein Kleines.«

 

Die Großmama war den anderen Tag äußerst streng und nervös. Die Enkelinnen bettelten vergeblich, einen Gang oder einen Weg durch die Stadt machen zu dürfen. Nein, nein, sie sollten zugegen bleiben. Wahrscheinlich brachte der Tag Wichtiges. Prinzeß Georg hatte seit dem Augenblicke, da sie die Reisekutsche wieder ablenken wollte, ihre Anschauungen über den König sehr geändert. Gleich allen Damen in Frankfurt war sie bestochen von seiner Liebenswürdigkeit und hingerissen von den Schmeicheleien, die er ihr über die Enkelinnen gesagt. Und als er nun – ein feierlicher Augenblick – sich am späten Nachmittag melden ließ, verlor Prinzeß Georg vor freudiger Erregung fast die Sprache.

Schicksal weitete den Raum:

Des Königs von Preußen Majestät trat ein.

Auf seinen Lippen schwebte die große Frage, eingebettet in liebenswürdigste Vorworte.

»Als ich die beiden Engel in der Komödie zum erstenmal sah, war ich so frappiert von ihrer Schönheit, daß ich ganz außer mir wurde. Ich wünschte sofort, meine Söhne möchten sie sehen und ihre Herzen gewinnen. Nun, meine teuerste Prinzeß, ich tat mein möglichstes, daß sie sich oft sehen und kennenlernen konnten. Und nun, ja, nun ist die Liebe da.«

Die Großmutter kämpfte mit aufsteigender Rührung. Sie sagte nicht nein. Aber natürlich, ihre Enkeltöchter müßten erst die glückliche Kunde erfahren und dann selbst den Prinzen die Antwort geben. Um des Vaters Einwilligung zu erlangen, sollte eine Stafette aus Hildburghausen gesandt werden.

 

Der Kronprinz betrachtete sich schon als verlobt, um Luise und Ika lag noch das Schwebende des Vorspiels, als sie am gleichen Abend wieder miteinander in Gesellschaft waren. Sie saßen zu Tisch unter vielen Menschen, die ihnen wie Schemen verblaßten, verschwanden im sonderbaren Schein dieser wie unwirklichen Stunde. Kerzen leuchteten, Ordenssterne schimmerten auf, heftige, starke Farben von Uniformen, das Glitzern kostbaren Schmucks, all das versank im Wesenlosen vor ihnen.

Scheuer als sonst wandte Luise die Augen zu Friedrich Wilhelm. Und er, von feierlicher Erwartung über seine Nüchternheit hinausgehoben, empfand Luisens Holdheit so stark, daß es ihn drängte, zu sprechen. Nicht eigene Worte der Neigung, das war ihm vielleicht noch nicht gestattet. Im kargen Schrein seiner Erinnerungen und Empfindungen suchte er nach »Devisen«, nach Sinnsprüchen, wie sie Mode waren für Stammbücher oder seidene Bänder. Seine Stimme bebte ein wenig, und in den tiefliegenden, verschleierten blauen Augen war die Melancholie verdrängt von einer sanften Freude.

»Rien ne me console que vous, puisque mon cœur est à vous.«

Sie lächelte still. Ihr war keine Devise gegenwärtig. Leise gleitend ließ sie ihm die junge Hand – –

Er durfte ihrer wohl sicher sein. Doch als er am nächsten Morgen, den gleichmütigen Bruder Ludwig zur Seite, die Treppe im »Weißen Schwanen« hinaufstieg, war er verlegener als je. Seine eckigen, hölzernen Verbeugungen nötigten der Prinzeß Georg fast ein Kopfschütteln ab. Nun keine Umstände mehr, dachte die alte Dame, mochte jeder der Prinzen sehen, wie er den großen Augenblick meisterte. Luise stand mit dem Rücken an die Wand einer Fensternische gelehnt, als Friedrich Wilhelm eintrat. Sie ging ihm die schicklichen Schritte entgegen, strebte aber dann nach dem vorigen Platz zurück. Wie gut, daß er nicht klein ist, dachte sie, stolz auf den eigenen hohen Wuchs. Nein, zu seinem Mann muß man ein wenig hinaufsehen können.

Was würde der Kronprinz nun sagen? Sie mußte es sich genau merken, denn Ika hatte sie um die Wiedererzählung leidenschaftlich gebeten.

Friedrich Wilhelm begann zu stottern.

Luise sah seine Pein und wußte doch nicht, ob sie ihm helfen dürfe.

»Habe gedacht, teuerste Prinzeß lieben das Landleben, liebe auch das Landleben. Möchte so gerne auch Mensch sein dürfen« – er seufzte plötzlich auf – »und einmal so recht froh sein dürfen – und ein Haus still im Land haben, das jemand mit mir teilt, jemand, der so hell, so licht ist – – Hoffe so sehr, Gott wird mir das schenken, Gott wird mir ein häusliches Glück gewähren – mir später Kraft geben, meinen Beruf ehrenhaft zu erfüllen. Wird mir eine liebe Seele zu eigen schenken, ganz rein, ganz licht, Luise –«

Sie war erblaßt. Sie schloß die Augen, hob in einer traumhaften Bewegung das süße Gesicht.

Ein fernes Ahnen kam ihr, daß dies ein einziger Augenblick sei, der Geschlecht und Geschlecht zueinander führte, Repräsentanten alter Familien, vor denen sich eine unendliche Zukunft erschloß.

Ein Strom ging zu ihrem Herzen, floß aus ihrem Herzen, sie wußte nicht, welchen Weg.

Sie fühlte ihre Hände erfaßt, fühlte schmale, kühle Lippen darauf. »Luise, Sie würden mich so glücklich machen. Teuerste Prinzeß, mögen Sie meine Frau werden?«

Es war gesagt. Er atmete auf, nahm wieder eine straffe Haltung an.

Luise antwortete still, fast ruhig im tiefen Klang ihrer schönen Stimme:

»Ich vertraue Ihnen, Prinz. Ja, ich will.«

Er streckte mit eckiger Bewegung seine Arme aus. Und er fragte, ob er sie küssen dürfe –

Sie hatte sich dies bestürzender gedacht. Aber dann blühte ihr ein Lächeln auf. Wie konnte Papa, wie konnte Bruder Georg küssen! Friedrich Wilhelm konnte es noch nicht. Er mußte es erst lernen –

Er zog einen Ring hervor, golden und in Facetten geschliffen. »Ob er wohl paßt?« Sie gab ihm den eigenen Ring von der Hand. Er saß fest an seinem schlanken Finger.

Instinkt sagte Luisen, daß sein Herz vorher noch nie gesprochen. Sie fühlte die Treue, die Wahrhaftigkeit, die stille und unbeirrbare Vornehmheit seiner Natur. Erröten umspielte sie. Und wieder war es ihr, wie neulich im Theater, einen Augenblick lang, als wäre sie draußen unter einem blassen, schönen Frühlingshimmel und breite die Arme aus nach den ziehenden Wolken. – –

Sie, die kaum eine einzige kleine Stunde allein miteinander gewesen, und die nun für das ganze Leben verbunden sein sollten, waren wieder in die Konvention gestellt.

Und dann kam der Abschied. Die Großmutter drängte heim nach Darmstadt, um dorthin alle Verwandtschaft zu berufen für die große offizielle Verlobungsfeier. Der König drängte zur Belagerung von Mainz, das im Oktober des vergangenen Jahres auf so peinliche Weise in die Hände der Franzosen gefallen.

Aufbruch, Aufbruch! Soldatenbräute müssen die Sentimentalität verlernen, scherzte der König, der allergnädigste, neue Papa. Luise, ein wenig ermattet von all den Anstrengungen, der vollkommenen Ruhelosigkeit dieser Tage, dachte nicht, daß dem Kronprinzen Gefahren drohen würden. Sie wollten doch so recht glücklich miteinander werden. Und waren beide so jung. Gott würde ihnen viel, viel schöne Zeit lassen, mehr Frühlinge als der Kuckuck ausrief, wenn man zählte.

Es gefiel ihr, daß Friedrich Wilhelm tapfer war. Es gefiel ihr, wie er zu Pferd saß, schlank, blau, ein rechter Reiter und ein rechter Prinz.

Der Abschied ist nur um des Wiedersehens willen!

»Leben Sie wohl, Gott segne Sie.«

»Gott segne Sie, leben Sie wohl.«

Und nun stieg man wieder in die alte, hoch bepackte, gute Reisekutsche. »Haben Sie auch der Rätin Goethe meine Blumen gesandt, Prinz?« Friedrich Wilhelm nickte nur. Die Gegenwart vieler Offiziere und anderer Standespersonen verbot, daß man sich gehen ließ. Nur die kleine Ika winkte plötzlich heftig mit der Hand nach einem dunklen Herrn. Er eilte an den Wagenschlag, verbeugte sich tief.

»Warum ließen Sie sich nie mehr blicken, Graf?« rief Ika vorwurfsvoll und warf dem entglittenen Verehrer böse Augen zu. Prinz Ludwig, dem kein Abschiedsschmerz die Züge veränderte, wurde aufmerksam. In ihrer Gewandtheit erklärte Ika: »Graf Medem war es doch, der unsere Bekanntschaft vermittelte, mein Prinz.«

Der Reichsgraf von Medem richtete sich hoch auf und sagte voll Würde: »Daß ich diese Ehre hatte, wird mir ein ewig unvergeßlicher Augenblick bleiben.«

Der Wagenschlag war schon geschlossen. Da sprang Friedrich Wilhelm noch einmal heran, öffnete die Tür und warf errötend eine Handvoll Veilchen in Luisens Schoß.


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