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V. Kapitel.

Die bittere Kälte einer Dezembernacht lag um den Aufbruch der Prinzessinnen aus Darmstadt. Glockengewimmer von den Türmen um einen jähen Brand, Flammenschein und das Getön des Spiels von der Stadtkirche »Jesus, meine Zuversicht« schärfte überreizte Sinne: Abschied, Abschied.

Die Wagen fuhren aus zur Hochzeit nach Berlin. Noch graute der Morgen nicht. Gott sei gelobt; Papa, Bruder George, die Großmutter reisten mit. Und Ika für immer!

Eingemummt in Pelze, Katzen nicht unähnlich, großen, wunderlichen, höchst seltsamen Katzen, reiste man dem Tag und vielen, vielen anderen Tagen entgegen.

Und nach langen Fahrten kam der Abend des 21. Dezember, und aus Nebel und Schnee lösten sich für das Auge die Türme von Potsdam. Und in das Herz fiel mit suggestiver Gewalt der unsterbliche Begriff des Namens der Stadt Friedrichs des Großen. Die Kälteschauer versanken über dem Schauer der Erwartung, der Empfindung für den Belang der Stunde.

Kanonendonner erschütterte die Luft. Vivatrufe erklangen. Die uniformierte Bürgerschaft empfing, geleitete die Wagen. Fackelschein beleuchtete Gebäude, die aus der Unwirklichkeit der Nacht jäh auftauchten. Und immer neu fluteten Menschenmassen heran an den nun aufgedeckten Wagen der Schwestern. Ein Blumenregen brach über sie herein, ein unermeßliches Vivatrufen pflanzte sich fort. Taumel von Stimmen, flirrender Lichtglanz umgab die Einziehenden wie eine berauschende Welle. Und aus Dunkel und Helle, Schatten und Schneenebel tauchte eine schwere, durch schimmernde Fensterreihen gegliederte Masse auf, rundeten sich Säulen zum Bogen.

Der Wagen fuhr in einen weiten Hof ein, der Wagen stand vor einem Portal.

Eine schmale, hohe, blaue Gestalt löste sich aus dem Widerschein von Licht und Finsternis:

Friedrich Wilhelm, Erbe der Monarchie Friedrichs des Großen, breitete, linkisch vor innerer Rührung, Luise die Arme entgegen.

Und in diesem Augenblick scheu-zärtlichen Umfassens, in den Sekunden, da Wiedersehen die stumme Frage tut: »liebst du mich noch?«, wußte Luise als ein Neues, was sie doch immer gewußt: sie besaß keine Mutter. Keine Mutter, die sie mit gütigster Hand hinüberleitete in das Land der Mütter. Sie, die arme Prinzeß, die den Boden ihres vaterländischen Erblandes noch nie betreten, die letztlich eine Heimatlose war, fühlte ein Erbeben. Und mit einer jähen Bewegung voll Schmerz und heißem Wollen glitt ihre eine Hand zu der Hand der Schwester. Sie stand ein wenig verlassen, ihr Verlobter hatte sie mit einer Verbeugung begrüßt.

Ein Flehen ging durch Luisens erschüttertes Herz.

Über den Winterhimmel jagte der Wind –

Luise überschritt mit ihrer Schwester die Schwelle des Stadtschlosses zu Potsdam.

»Adler Friederichs des Großen,
Rausche auf und decke du
Die Verlaßnen, Heimatlosen
Mit der goldenen Schwinge zu.«

Berlin bebte im Fieber der Erwartung. Heute zog die Braut des Kronprinzen ein. O Wunder und Zeichen im Hohenzollernland: eine geliebte Kronprinzenbraut. Man wußte es, hundert, tausend Zeugen und Geschichtchen gab es dafür: der Kronprinz hatte aus freier Herzensneigung seine Luise gewählt. Das erfüllte die Stadt mit Glück. Die guten Berliner jubelten, als käme das Glück damit über sie alle! Die Bürger- und Handwerkergilden waren schon im Morgengrauen bunt uniformiert ausgezogen, um Spalier zu bilden. Berittene Postillione stießen mutvoll in ihre goldglänzenden Hörner. Die Hofpostsekretäre standen an Uniformglanz kaum hinter Diplomaten zurück. Beim Dorfe Schöneberg warteten neue Pferde aus dem königlichen Marstall sowie ein Kommando des stolzen Regiments Garde du Corps. Die jungen Offiziere lächelten, als sie in ihrer Nähe eine farbenstrahlende und doch so sehr wenig kriegerisch dreinblickende Versammlung Fuß fassen sahen: blau- und pfirsichblütenfarbig geputzte »Kaufleute jüdischer Nation«.

Die Wagen kamen. Voran die Prinzessinnen. Hofmarschälle und Kammerherrn eilten entgegen. Die Oberhofmeisterin Frau von Voß begab sich auf den Rücksitz der Kutsche.

.

Die Vivatrufe erbrausten. Der Jubel in der Menge wurde leidenschaftlich. Wie schön die Prinzessinnen waren! Wie liebreich die Luise lächelte. Man drängte sich heran. Fing ihre Blicke auf. Sah sie nicht jeden an, daß er meinte, er wäre ihr lieb? –

Der Brautzug kam ans Brandenburger Tor. Luise, unaufhörlich sich verneigend, grüßend, sah die wundervollen Säulen, sah die triumphierende Viktoria mit ihrem Viergespann, hörte das Rufen der Menge und fühlte sekundenlang in aufbrausender Freude den Glanz und die Macht des Landes, dem sie nun angehören würde. Ehrenpforten schmückten die Triumphstraße. Vor jedem solchen Blumenbogen hielt der Wagen. Die Ansprachen, ja, nun kamen die Ansprachen. Luise sah auf eine Truppe meergrün gekleideter Knaben, zwei von ihnen näherten sich, begannen:

»Hommage de la colonie française à son Altesse sérénissime Madame la Princesse Louise de Mecklenburg-Strélitz: Avec ces fleurs, daignez, Princesse aimable, accepter le tribut de nos cœurs innocens –«

Ach, die kleinen Burschen. Endlos lang mußten sie weitersprechen. Luise lachte, nickte, dankte, der Wagen fuhr weiter, hielt erneut: In feierlichem Schwarz, Patriarchen gleich, begrüßten die Ältesten der Berliner Judenschaft. Sie hatten »vierzehn junge Frauenzimmer ihrer Nation in Weiß und Himmelblau« vorgeschoben. Die überreichten ein Körbchen mit fremden Blumen. Luise sah in affektvolle Gesichter, gedachte sekundenlang der tragisch-schönen Bibelworte von Rosen von Saron, Lilien auf dem Felde, dachte, ob sie wohl Mirjam und Rebekka heißen, die sie begrüßten?

Luise dankte, wunderlich ergriffen. Die Landfremden, die Heimatlosen, dachte sie.

Wieder fuhr der Wagen, hielt der Wagen.

Bekränzte Bürgerkinder lachten ihr entgegen, eines trat vor und stammelte sein Verschen. Luise sah blaue Augen, einen kleinen, zuckenden Mund. Ach, das kleine Mädelchen. Man hatte es gewiß furchtbar geplagt, bis es das Gedicht auswendig wußte. »Komm, Kleines, komm –«, rief sie und winkte, öffnete den Schlag, bog sich mit offenen Armen hinaus. Frau von Voß, die den Rücksitz einnahm, vergingen fast die Sinne. »Votre altesse, votre altesse«, stammelte sie. Aber die Prinzeß hatte das Kind ans Herz gedrückt, küßte es lachend auf den Mund und sagte: »Besuch' mich nur, ich schenke dir schöne rote Äpfel.«

Jubel brandete auf. Die Berliner schrien vor Freude. Das Kind kletterte aus der Kutsche, Luise winkte ihm nach –

»Ich beschwöre Eure Königliche Hoheit, die Etikette läßt so etwas nicht zu«, klagte Frau von Voß mit strenger Stimme.

Luise errötete. »Hab' ich etwas Schlimmes getan?« –

Der Wagen fuhr zum südlichen Schloßportal. Gott sei gelobt: Friedrich Wilhelm stand da. Und er erschien Luise nun wie der Kompaß, der unbeirrbare Führer, hinein in dieses ungeheure Schloß mit der ungeheuren Zahl fremder Menschen. – –

Hatte sie tausend Verbeugungen gemacht, hatte sie wie ein unermüdlicher Quell das Wasser, unermüdliche Worte gefunden? Sie wußte keine rechte Klarheit mehr über all die Dinge und Begebnisse der Tage. Da waren die unsäglich vielen Verwandten: Die Königin, die neue Mama. Die Witwe Friedrichs des Großen. Die Schwestern und Brüder Friedrich Wilhelms. Der Bruder Friedrichs des Großen, Prinz Ferdinand, seine Gemahlin und die Tochter Luise. Louis Ferdinands Schwester. Da war, und sie erschrak vor dem Verzerrten seines Gesichts, der alte Prinz Henri aus Rheinsberg, da war Prinz Wilhelm und – und –

Ach, sie alle kennen, ja nur auseinanderhalten lernen. Die Minister, die Adjutanten, die Offiziere. Die Hofstaaten. Ihre Damen, Ikas Damen. Ja, Frau von Voß hatte Luise noch einmal gesagt, die Kronprinzeß dürfe nicht Kinder auf der Straße küssen. Nun, Luise hörte das an. Sie lächelte auch dazu. Sie lächelte immer. Gottlob, alle ihre Verwandten waren da, verstreut in den Hunderten von Gemächern des Riesenschlosses. In diese Gemächer und dieses Gewirr von Sälen, die Trompeterkammer, Rote- und Schwarze-Adler-Kammern, Brandenburgische Kammern, Kurfürstenkammern hießen, ließ der strahlend fröhliche König am Nachmittag des 24. Dezembers seine lieben Berliner hereinfluten. Wer nur einen anständigen Rock trug, sollte Zeuge der königlichen Freude sein. Schlimm für die Minister, die Kammerherren, ja den König selbst: sogar er mußte seine Wohlbeleibtheit durch das jubelnde Gedränge zwängen. Da standen brave Handwerkerfrauen, sich »den Jlanz zu besichtjen«, da standen wackere Ladenbesitzer mit ihren Familien, kleine Beamtengattinnen vergaßen ihren Stolz und liierten sich mit Bürgerinnen in der Bitte um Auskünfte. Da reckte ein kleiner, armseliger Bocher den dunklen Kopf und flüsterte einem schönen Herrn begeistert zu: »Wenn ick so eine Braut hätte.« Der schöne Herr aber, der Achim von Arnim hieß, antwortete nichts, er sah nur auf Luise, »wie sie gesenkten Hauptes im Glanze ihrer Schönheit durch die gedrängten Säle schritt«. Dahin, dahin, nach dem weißen Saal, unter den Thronhimmel, in den Kreis des ganzen Hofes – und zum Altar. Luise fühlte kein Bangen mehr. Da stand ja Friedrich Wilhelm. Da stand der Hofprediger Sack, den er so gern hatte. Er würde wohl eine schöne Rede halten. Und ach, nicht zu rührend. Wie gut, empfand sie in diesem Augenblick, daß ihr Fritz das Rührende und Herzbewegliche nicht so sehr schätzte – –

Die Rede verklang, der Kanonendonner verklang – und endlich, endlich nach ermüdender Tafel, formte sich, wieder im weißen Saal, der Fackeltanz. Dieses wunderliche Bild, daß die wohlbeleibten Minister, voran Graf Haugwitz, mit Fackeln gleich Genien der Freude einherzogen, kam Luise zuerst ein wenig komisch vor. Dann senkte sich jählings wieder ein Bangen in ihr Herz: wie war hier alles so feierlich, so zeitlos, so anders als zu Hause in Darmstadt, ach, im alten guten Darmstadt. Was nun noch? Ach, noch viele solche Prunktage. Noch Ikas Vermählung, noch für sie all diese Durchmachungen! Die Wachsfackeln erloschen. Die Königin näherte sich Luisen. Ja, und nun führte man sie durch all diese unzähligen Kammern, die Adler- und Ordens- und Ritter- und Kurfürstenkammern hießen, in die eine, die seltsame, die Brautkammer. Erschauern faßte Luise. Eine fremde Königin – nicht eine Mutter, ach, nicht die Mutter – geleitete sie in das Land der Mütter – –

 

Nun waren sie installiert. Gott sei gelobt, der Himmel gepriesen, jetzt durfte man toll und verrückt vor Freude sein: sie waren installiert in einem so lieben, reizenden Palais Unter den Linden. Hübsche Zimmer, nicht zu groß. Eine köstliche Treppe mit Spiegelpodest. Da sah man sich herabschweben, und nebenan ritt Bruder George auf dem Geländer. Gottlob, die Großmama und er blieben noch. Sie inspizierten getreulich die neuen Hofhaltungen. Nur durch einen Garten getrennt, in dem kleinen Palais an der Oberwallstraße, wohnte Ika, die liebste Nachbarschaft. Wenn man die Hofstaaten nicht um sich hätte erdulden müssen, es wäre alles über die Maßen köstlich gewesen. Aber diese Hofstaaten machten selbst vor dem Kronprinzen nicht halt. Wollte Friedrich Wilhelm, wenn er vom Dienst kam, flink und schnell zu Luise ins Zimmer schlüpfen, so stand die treffliche Voß da, Madame Etikette, versperrte den Weg, verbeugte sich bis zur Erde und fragte, ob sie die Gnade genießen dürfe, Seine Königliche Hoheit Ihrer Königlichen Hoheit zu melden. Dann sagte er wohl ja. Aber da er die Türen und Wege besser kannte, gelang es ihm oft, schon bei Luise auf dem Sofa zu sitzen, wenn die Vossin pompös mit ihrer Meldung hereinrauschte. Ja, das waren Tänze und reine Lustspiele. Die Vieregg tat auch das Ihre, die Zeremonien zu verdoppeln. Sie hatten nun einmal das Métier und mußten sich darin überbieten. Drollig und ganz verrückt.

Friedrich Wilhelm hatte auch sein Métier. Er tat nun wieder den ganzen Tag Dienst. Namenlos pflichttreu. Schwager Ludwig war ebenso. Ika hatte ihn nun ganz gern und er sie auch. Er war doch ein tapferer Prinz. Er mußte auch fortwährend im blauen Rock in die Kasernen reiten und befehlen und herrschen.

Luise wanderte durch ihre Gemächer. Geblendet von dem eigenen Reichtum und Glanz. Sie besaß gewiß hundert Kleider. Und Schals und Tanzschuhe, Mäntel und Hüte ohne Zahl. Wunderschön. Sie mußte keine Schuhflickerin mehr sein wie einst zu Hause, nicht mehr zittern und beben um frische Handschuhe. Und jetzt besaß sie eine Apanage und ein Nadelgeld. Wunder-, wunderschön. Freilich, die Stirn krauste sich ein wenig, sie hatte der guten Gélieu hundert Taler geschickt, und dem Bruder George ein Händchen voll Dukaten gegeben. Würde Friedrich Wilhelm nicht schelten, daß es in ihrer Monatskasse jetzt, am 15. schon, Matthäi am letzten war? Nein, es mochte noch reichen, vom Hofkonditor schöne Sachen holen zu lassen. Denn auf den Nachmittag mußte ein süßer Kaffeeschwatz mit Ika sein. Vornehme Prinzessinnen essen nur zwei Mandeltörtchen, hatte die Voß gesagt. Ei, da irrte sie aber gewaltig. Wenn sie nicht vermochte, zuzusehen, um so besser. Fritz, der gute Fritz, machte ja auch oft ein mürrisches Gesicht, wenn er erfuhr, daß seine kleine Frau wieder zwischen den Mahlzeiten plötzlich die heftigste Lust auf Zuckerwerk, Tee oder Obst bekommen. Er war so bedürfnislos. Er war auch etwas sparsam. Ach, wie gut, daß er das für seine Frau mit abmachte.

Der arme, liebe Fritz mußte wieder den ganzen Tag bei seinen Soldaten sein. Abends mußte man tanzen, oder zu den Jours der beiden Königinnen, oder zu Hoffesten, in die Oper, auf Einladungen. Doch der liebe lange Tag, der war voll köstlicher Freiheit, wenn man nur Geschicklichkeit besaß, die Hofstaaten mattzusetzen. Ika verstand das ausgezeichnet. Sie sprach in tödlichem Ernst: »Ich bin unpäßlich und wünsche nicht gestört zu werden«, ließ ihre Hofdamen in ergebener Klage im Vorzimmer sitzen und schlüpfte durch den Park herüber zu Luise. Nein, nein, Ika log nicht, es waren ja nur Scherze. Sie hatten doch täglich so maßlos viel miteinander zu besprechen. Es fiel schwer, die Charaktere der vielen neuen Menschen zu erkennen. Dem Anschein nach waren sie alle Freunde: die ganze Familie, die Minister, die Gesandten. Sie sagten die süßesten Schmeicheleien. Sie streuten Zucker und Honig. Der Köckritz, der Haugwitz, Lombard und wie sie alle hießen.

Luise saß plötzlich nieder. Eigentlich hatte sie gedacht, ihr Mann würde ihr alles erklären, was sie selbst nicht so recht überblickte.

Aber Friedrich Wilhelm schwamm in Zufriedenheit, daß alle Welt seine Frau bewunderte und umschmeichelte, wollte sie dennoch recht einfach gekleidet und schien es nicht gern zu haben, wenn sie ihren Horizont erweitern wollte. Sie waren ja auch so selten ganz allein. Kam man in der Nacht endlich ins Schlafzimmer, so fand sich nicht Zeit mehr, zu reden. Er war dann lustig und liebte sie in ihrer primitivsten Form. Luisens Mundwinkel wurden flach – halber Hochmut erschien auf ihrem jungen Gesicht. Man hatte geträumt, es würde sich das Paradies öffnen – – und es war alles – so freundlich gewesen – – –

 

Hofball im weißen Saal! Eine verschwenderische Fülle von Wachskerzen schuf goldnes Licht. Und goldnes Licht ging von Luisens köstlichem Blondhaar aus. Wie süß sie tanzte. Wie anmutig sie schwebte. Friedrich Wilhelm mußte sie auch anderen überlassen, den Brüdern, den ranghöchsten Gästen. Er tanzte dann nicht, streifte durch die Gruppen in der rückgelagerten Galerie, sah wohl auch in den Gobelinsaal hinein. Es machte ihm Freude, wenn er in seinem unauffälligen Vorbeigehen Gesprächsworte auffangen konnte. Denn: man sprach ja nur von der Kronprinzeß. Die Königinnen und der König, die jüngsten Offiziere und die ältesten Generale, die schönsten und die häßlichsten Damen, alle beteten Luise an. Und solche Worte, nicht für sein Ohr bestimmt, zu hören, machte Friedrich Wilhelm glücklich. »Wie die Prinzeß einen ansieht«, hörte er eine alte, gewichtige Gräfin zu einer ebenso umfangreichen Ministerin sagen. »Als wäre sie in jeden verliebt. Sie hat einen unwiderstehlichen Reiz.« »Es ist auch die Jugend, Liebste, die uns so rührt an ihr.« »Freilich, die holde Jugend gibt ihr diesen Glanz. Aber auch ihr Herz, vor allem ihr Herz –«

Der Kronprinz glitt weiter, stand in einer Fensternische. Trupps von Offizieren kamen vorbei. »Welche finden Sie schöner, Kamerad?« Und ein Lachen quoll auf: »Schön sind beide, aber für die Kronprinzessin ginge ich drei Jahre auf Festung.«

Plötzlich stand der König vor Friedrich Wilhelm.

»Na, mein Sohn, die Kronprinzeß erobert täglich neu die Welt. Berlin liegt ihr zu Füßen. Mon Dieu, sie ist aber auch unwiderstehlich hold. Weiß es noch nicht. Dies ist ihr Geheimnis. Braucht es auch so bald nicht zu wissen.«

Friedrich Wilhelm errötete.

»Wir haben gehört,« fuhr der König fort, »die kronprinzlichen Hoheiten nennen einander du! Vor Zeugen und immerwährend. Brave Voß sieht Revolution darin, mein guter Fritz!«

Der König wandte sich, Friedrich Wilhelm stürzte in die Galerie, ein Tanz war zu Ende. Der nächste gehörte ihm.

In Luisens blauen Augen blitzte ein frohes Licht auf, als sie ihn sah. Ich bin vernarrt, dachte er, und war doch so selig, sie wieder im Arm zu halten.

Mitten im Tanz hielt Luise inne. »Ach, Fritz, dürfen wir heim? Die Großmama fährt doch morgen früh –«

Und schon schimmerten die Augen in Tränen. Ja, das war ein furchtbarer Abschied von Papa, Bruder George und der Großmämme. Wie ein Weltuntergang fast. Die alte ehrliche Kutsche konnte die Reisenden kaum bis Potsdam getragen haben, und Luise saß schon an ihrem Schreibtisch, Briefe nachzujagen.

Tränen flossen auf das Papier.

Die Dame Voß stand vor Luise:

»Eure Königliche Hoheit verspäten sich zum Tee bei der Fürstin Carolath.«

»Aber ich muß doch an meinen liebsten Bruder schreiben«, rief Luise.

»Königliche Hoheit, l'exactitude est la politesse des rois.«

»Ich bin ja noch keine Königin –«

Anderer Tag. Ika kam hereingewirbelt. »Ich bekomme einen Groom,« rief sie selig, »einen richtigen kleinen Groom mit Stulpenstiefeln und Lackhut. Wie ihn die eleganten Leute in Berlin haben. Ach, Luis', du weinst noch immer um unsern Schorschelbruder? Oh, heule nicht mehr, komm mit mir! Ich habe in der Spenerschen Zeitung gelesen, an der Charlottenburger Chaussee halten Frankfurter Händler ihren Kram feil. Wir werden dort sein. Wir müssen unsere heimische Sprache hören.«

Luise schluchzte und lächelte. Ika flüsterte, ihr Wagen, ganz ohne Begleitung, stünde in der Oberwallstraße – – Ach, es war Trost und Aufrichtung gewesen, die Frankfurter Krämer so ähnlich sprechen zu hören, wie es manchmal die gute Großmämme tat.

Aber bei der Heimkehr erhob sich vor ihnen, wie zur Salzsäule erstarrt, die Voß. Sie redete, redete, es sei gegen alle Etikette, daß die Prinzessinnen ohne Begleitung führen, es sei namenlos peinlich, Ihre Königlichen Hoheiten hatten für den Nachmittag die Einladung bei der Gräfin Haugwitz angenommen gehabt.

»Sie wird es schon verzeihen«, behauptete Luise. Ika flüsterte ihr zu: »Wir laden zu morgen uns ein bißchen amüsante Leute ein, damit wir unsern Kummer vergessen. Komm, schreibe die Billetts.«

Als Friedrich Wilhelm den nächsten Abend vom Dienst kam, stand die Voß wie angewurzelt vor ihm. Sie hob die Hände gegen die Decke und rief:

»Eure Königliche Hoheit, untertänigst, untertänigst. Ich protestiere. Ich klage an. Ihre Königliche Hoheit haben allergnädigst geruht, drei Kavaliere und vier Damen einzuladen, die nicht zum engeren Zirkel zugelassen sind.«

Aus Luisens Teezimmer klang Lachen, quellendes Lachen –

Ja, sie mußte sich zerstreuen, sie durfte nicht immer Papa und Bruder George herbeisehnen. Sie tanzte, tanzte, tanzte. Es waren unablässige Feste. Es war auch so herrlich, zu tanzen. Ein Fieber hatte sie überfallen. Ihr Temperament rief nach dem Verströmen. –

Es kam ein Tag, da sie eine Veränderung in ihrem Befinden merkte. Sie war erst erschrocken, dann sehr heiter. Ein Kind – ein kleines, winziges Kind? Wie wunderlich. Und ihr Leib war seine Wiege – –

Die alte Königin sagte ihr, sie dürfe nun nicht mehr soviel tanzen. Wieso könnte das die alte Königin wissen, die nie ein Kind gehabt? Ika fand auch, es schadete nichts. Sie hatte ebenfalls vom Arzt gehört, sie würde Mutter werden –

Durch das Kronprinzenpalais fluteten die Gäste. Luise war selig. Denn nicht wahr, an seinem Geburtstag darf man doch alles tun, was man will. Und sie war nun achtzehn Jahre alt, das ist doch sehr imponierend. Sie tanzte, tanzte, tanzte. Sie plauderte auch mit den alten Gardedamen, den Müttern. Sie war gerade in der Nähe der Prinzessin Ferdinand, als dieser eine Meldung gemacht wurde. Die Prinzeß geriet in Aufregung und verließ den Raum. Flüstern entstand, viele Blicke folgten ihr. Luise ging wieder zum Tanz. Ach, es war so über die Maßen köstlich, Geburtstag zu haben und einen Ball zu geben –

Er endete viel zu früh.

Im Schlafzimmer sagte Friedrich Wilhelm: »Unglaublich, unglaublich, der Sohn der Ferdinanderie, dieser wilde Louis, heute abend im Reitanzug, direkt von Reise, hier im Vorzimmer gewesen. Glaubte sich eingeladen mit lieben Eltern! Na, seine Mutter hat ihn heimgeschickt nach Bellevue –«

Luisens Lebhaftigkeit flatterte hoch. Wie, jemand, ein Prinz, war auf ihren Ball gekommen und hatte nicht tanzen dürfen? Sie fand dies über die Maßen grausam. Aber Friedrich Wilhelm zog die schmalen Lippen zusammen und antwortete mürrisch: »Schätze diesen Prinzen nicht. Ist zügellos, hat Schulden und böses Renommée. Ist leidenschaftlich-wirr, wie die ganze Ferdinanderie.«

In Luisens Blut schwang noch der Rhythmus des Tanzes. Sie war voll ehrlichen Bedauerns mit einem Tanzlustigen, der nicht hatte tanzen dürfen.

»Schulden werden doch immer einmal bezahlt, Fritz«, sagte sie lässig. »Aber warum hat denn der Prinz einen bösen Ruf?«

»Das sind Sachen, mit denen du dich gar nicht beschäftigen sollst«, antwortete Friedrich Wilhelm. Und er schwieg auf alle weiteren Fragen. Sie kannte das nun schon; wenn er nicht Bescheid geben wollte, blieb alle Mühe vergeblich. Aber sie mußte noch an Louis Ferdinand denken. Er war so schön und so kühn. Er war über die Maßen schön. Warum stand er in einem bösen Ruf? Was hatte er getan?

Erinnerung flackerte auf. Sie hörte im Ohr die Jubelschreie aus dem Feldlager vor Mainz: Vivat unser Prinz, Vivat Louis Ferdinand – – Louis Ferdinand! –

 

Im Vorzimmer klang es: »Ihre Königliche Hoheit geruhen wieder einen bösen Husten zu haben. – Ihre Königliche Hoheit haben wieder geruht, zuviel zu tanzen.«

Die alte Königin und die regierende Königin, sonst nicht gerade innigste Vertraute, stellten fest: die Kronprinzeß tanzt zuviel. Es müßte ein Riegel vorgeschoben werden. Der König nahm Notiz von diesem Riegel und versprach, gelegentlich mit dem Kronprinzen zu reden. Nicht heute, er mußte hinaus ins Marmorpalais fahren, denn er brauchte geistigen Rat von Madame Rietz, Gräfin Lichtenau. Drei, sechs Damen stellten fest, die Kronprinzessin wird sich zu Tode tanzen. Es waren Damen, deren Einladungen sie vergessen hatte. Sie fanden nun nicht mehr, daß Luise ein Engel sei, und verbreiteten dies rasch. Ohne Stafetten und Kuriere, nur durch die Macht ihrer Persönlichkeiten, Charaktere und Zungen.

.

Luise wußte davon nichts. Sie hatte wirklich recht gehustet. Aber nun war es schon besser, und so ein heller Märzentag. Sie überlegte gerade, wie eine Ausfahrt zu bewerkstelligen sei, da erschien Ika. O Wonne, wenn sie auftrat. Sie wußte immer etwas Neues. Und bebend vor Glück und Lebensfieber rief sie denn auch Luisen entgegen: »Am Halleschen Tor, denke dir, sind Seiltänzer. Die berühmte Familie Knie auf dem hohen Seil. Ach, Luis', wir haben sie doch in Hildburghausen gesehen! Ein blonder Junge trug seine Großmutter über das Seil. Ich vergehe, wenn ich nicht dabei bin.«

Seiltänzer! O du köstliches Gewerbe! Du tollkühne Kunst! Tanzen, tanzen, auf hohem Seil, über allen Köpfen weg, hoch in der Luft. Fast wie Flug über die Dinge hin.

»Wie kommen wir fort, Ika?« Aber das war schon geordnet. Man ratterte über grausames Pflaster und schlich durch Sand nach dem Halleschen Tor. Das schöne Schauspiel war schon in vollem Gang. Die berühmte Familie Knie tat ihr Bestes.

Die Mutter des Seilkönigs und der »Tochter der Luft« raste mit einem Zinnteller sammelnd durch die Menge. Plötzlich stand ein Offizier am Wagenschlag. Luisens Herzschlag setzte einen Augenblick aus. Durfte man sie hier finden? Sie hörte Ika hell auflachen, sie wandte sich – und sah in flammende Augen: Prinz Louis Ferdinand grüßte.

Wie kam er her? War sonst noch jemand vom Hof bei den Seiltänzern? Der Prinz antwortete mit heller, schmeichelnder Stimme: »Niemand vom Hof, Königliche Hoheit. Seine Majestät der Zufall ist es, der mir das unbeschreibliche Glück dieser Begegnung verschafft.«

Er blieb am Wagenschlag stehen, er plauderte, lachte, er war scharmant und spöttisch, kindlich und überheblich – ach, fast ein wenig wie Bruder George. Plötzlich sah er Luise bittend an: »Meine Schwester würde entzückt sein, wenn Ihre Königlichen Hoheiten ihr die Freude machten, den Tee bei ihr zu nehmen. Und wenn Ihre Königlichen Hoheiten geruhen, die Prinzeß Luise in Bellevue zu besuchen, so wird Frau von Voß sicherlich die Gnade haben, dies gelassener aufzunehmen als den Besuch der Seiltänzer.«

Was wußte der Prinz von der Voß? Luise sah auf die Schwester. Ika errötete. Die Kronprinzeß gab Befehl, nach Bellevue zu fahren. Louis Ferdinand eilte zu seinem Pferd.

»Ika, Ika, du hast mir verschwiegen, daß du mit dem Prinzen zusammengetroffen bist?«

»Es war doch nur zweimal«, antwortete Ika schlicht.

»Ohne einen Dritten?«

»Wir haben fast immer von dir gesprochen. Du warst dabei!«

»Und wo, um Gottes willen, wo? Ika, bedenke, dein Mann –«

Ika lächelte gleichmütig und wissend. »Mein Mann betrügt mich doch. Das weiß ich längst. Er ist nicht in mich verliebt. Prinz Louis Ferdinand ist gut. Ich bin so gern mit ihm. Mein Mann spricht nie richtig mit mir – – Und weißt du,« fuhr sie lebhafter fort, »Prinz Louis ist der klügste Mensch in Berlin. Wir verdummen ja ganz in unseren Ehen.«

»Ika!« Jäher Hochmut flog über Luisens Mundwinkel.

Da schlang Ika den schmalen Arm um die Schwester. Dieser Bewegung konnte Luise nie widerstehen. Wollte die kleine Ika auf Irrwege gehen? Dann war es Pflicht der Schwester, sie zu schützen. Sie mußte zugegen sein, wenn Ika den Prinzen Louis Ferdinand traf, was ja so leicht war, denn er wohnte bei seinen Eltern und der Schwester. Und der Prinz hatte einen so schlechten Ruf.

 

Nun flüsterten Luises Hofdamen nicht mehr, sie sagten es hart und laut zueinander: Die Kronprinzeß tritt die Etikette mit Füßen. Sie tanzte unaufhörlich. Sie wählte ihre Tänzer nicht nach Rang und Stand. Sie fuhr fort, willkürliche Einladungen zu erlassen, Einladungen zu versäumen. Und sie war etwas ganz Schrecklichem verfallen, etwas, das der Korrektheit fast so klang wie das Wort Revolution: sie war der »Ferdinanderie« verfallen.

Frau von Voß stand zitternd vor Friedrich Wilhelm und sagte dies an. Er blickte in das vornehme Gesicht der stattlichen Frau. Er hätte darin anderes lesen können als Protest, wenn er sich auf Enträtseln von Gesichtszügen verstanden hätte: eine Herzensangst und Herzensteilnahme, sich äußernd in höfischen Worten. »Sind Verwandte«, antwortete er kurz.

Er ging in die Zimmer seiner Frau. Durchwanderte sie. Luise war nicht da. Friedrich Wilhelm setzte sich steif in einen Sessel. Und wartete. Er wartete viele Stunden.

Endlich, die Zeit des Soupers war überschritten, kam Luise herein. Mit geröteten Wangen, mit strahlenden Augen, frisch, sprühend vor Lebenslust.

»Mein armer Fritz«, rief sie lachend. »Hast du warten müssen? Bist du böse? Ach, verzeih'. Wir müssen gleich wieder fort. Es ist Ball auf der englischen Gesandtschaft.«

Friedrich Wilhelm stand steil:

»Wir werden zu Hause bleiben. Und dies wird für längere Zeit dein letzter Besuch in Bellevue gewesen sein.«

Sie sah sein bleiches, mürrisches Gesicht, stutzte – ging zu einem Sofa und ließ sich nieder. Sie fragte hochmütig und kühl: »Darf ich um eine Erklärung für deine Eröffnungen bitten?« Wie fremd ihr selbst dieser Ton klang. War es nicht, als spräche des Prinzen Schwester, die herrische Luise aus Bellevue? Ja doch, man lernt durch Umgang!

»Bedarf keiner Erklärung. Ist mein Wille. Genügt.«

Sie starrte ihn sprachlos an. Sie war kindisch empört.

»Hast du wieder auf dieses ewige Gerede der alten Voß gehört? Mein Gott, ich bin doch jung. Ich habe doch nicht die Lebensprinzipien einer Greisin. Ja, läge in all den Etikettevorschriften klar ein edler Sinn, so wollte ich mich beugen. Aber du selbst hassest doch all die Beschränkungen, in denen weder Tugend noch Menschlichkeit sich offenbart.«

Friedrich Wilhelm wurde verlegen. Hundertmal hatte er selbst sich gegen lästigen Zwang aufgelehnt.

»Die Ferdinanderie paßt mir nicht«, stieß er heraus, milderte dann die Stimme: »Luise, können wir nicht einmal allein sein des Abends?«

Er fühlte ihre Arme um seinen Hals, hörte ihr süßes Lachen. »Aber wie gerne, Fritz. Ich singe dir Lieder wie in Darmstadt. Und du bist doch nicht mehr böse wegen Bellevue. Sieh, meine kleine Schwester – du weißt doch – ihr Mann – sieh, die kleine Ika, die ist so gern bei den lebhaften Menschen. Und wenn ich sie allein dort ließe – nicht wahr –«

Der Kronprinz fühlte Luisens liebe, zärtliche Gestalt. »Küsse mich«, sagte er. Und er fühlte die frischen Lippen, vermißte fehlenden Aufruhr nicht. –

So fuhr man denn wieder nach Bellevue: die lange schöne Allee auf das Schloß mit der klassischen Fassade zu. Jedesmal war es anders, wenn man kam, und immer war es, als sei man beflügelt, schwebe, tanze über den Dingen.

Louis Ferdinand stand am Tor. Sein Gruß war wie eine Fanfare. In seinen Flammenaugen spiegelte sich das Licht des Frühlingstages.

»Im Garten blühen schon Veilchen«, rief er –

Und dann ging man jungen, tanzenden Schritts durch den Garten. Der hatte seine Grotten und Obelisken, seinen künstlichen Hügel, seine Monumente, so kurz er existierte.

Der Prinz pflückte Veilchen. Zwanglos ließ er sie in Ikas Kleidausschnitt fallen. Sie lachte beseligt, ihr Mann tat dergleichen nicht. »Ich habe Verse auf diesen köstlichen Garten geschmiedet, wollen Ihre Königlichen Hoheiten geruhen, sie anzuhören?« Und er deklamierte schon: spöttische Worte der Warnung, daß die Besucher des Gartens den Berg nicht flach treten möchten und ihre Schoßhündchen nicht den See aussaufen.

Luise lächelte. Prinz Louis konnte alles: Verschen machen, musizieren, Soldaten retten, Krieg führen und so köstlich plaudern. Ach, er war der Prinz aus Genieland –

Nun saß er am Klavier und begleitete Luisens Gesang: »Ein Veilchen auf der Wiese stand« – – »Will sich Hektor ewig von mir wenden« –

Ika wirbelte heran. Das teure Lied aus Darmstadt: »Unsere Katz' hat sieben Junge«, war das etwa ganz verpönt?

Der Prinz umfaßte die schmale kleine Ika. Seine Lippen streiften ihr Haar. »Prinz Louis.« »Es war nur der Wind.« Und nun saß er wieder am Klavier. Verkündete: Eine Sonate von Ludwig van Beethoven. Und spielte.

Luise umklang diese Musik als ein unbegriffener Aufruhr, eine schauernde Gewalt. Wie der Prinz die Töne aufquellen, aufbrausen ließ. Er spielte den Sturm und die Nacht, den Frühling und den holdesten Morgen.

Wunderlicher Prinz. Wie sollte sein Temperament sich einfügen in das nüchterne, steife Wesen am Hofe! Man ertrug es doch nur, wenn man tanzte. Man konnte ja gar nicht sprechen mit all den andern Menschen. Er ist, so fühlte Luise, als sei er am Rhein geboren oder am Neckar. Alles blüht an ihm. Sie hatte die Stirn gesenkt. Ach, nun liebte er Ika. Und sie ihn wohl auch. Wenn doch das einst, einst gewesen wäre – –

Sie sah sich plötzlich mit Louis Ferdinand allein. Er war auf ein Taburett in ihrer Nähe geglitten, fast hingeflossen in seiner weichen Schlankheit.

»Wir führen Kriege ohne Ruhm«, stieß er heraus. »Am Rhein, da hatte es noch Sinn. Denn für eine große Idee gekämpft zu haben, adelt auch den Mißerfolg. Aber nun will Preußen sich in Polen vergrößern. Will zu seinem Sand noch Schnee und Steppe. Ein Irrsinn wäre mir lieber als dieser Flachsinn. Die Regierung hat keine politischen Instinkte mehr. Sie zertrümmert nicht den Staat Friedrichs des Großen – sie saugt ihm nur langsam den Lebensodem aus –«

Luise erschrak. Sie hatte dergleichen noch nie gehört. Sie wußte nur, alles war groß, glorreich und herrlich. Der Prinz sprudelte weiter seine heftigen Worte heraus. Sie verstand ihn kaum. Sie sah nur, wie schön er war.

»Ich habe mich gesehnt nach einer Seele, die den Gedanken zum Vaterland erfassen kann und fühlt, was ich weiß: Preußen hat die Mission, das Hirn, das Herz Germaniens zu werden. Es muß mit der Kraft seines Geistes den blühenden Süden aus seinem weichen Schlaf rufen –

Und dann wird es eine Vermählung geben zwischen Verstand und Gemüt: zwischen Norden und Süden. Dies ist der Weg Preußens.«

Sie lächelte traumhaft. Die ferne Heimat eins mit der neuen Heimat. Ein Groß-Germanien. Licht blühte in ihren Augen. Sie begriff Louis Ferdinands angeborene Genialität, sie begriff die Kühnheit seiner Natur – sie war hingerissen und flüsterte:

»Welch eine schöne Welle trägt Sie, Prinz.«

Er sprang hoch, hob die Arme:

»Diese Welle sind Sie, Luise –«

Ihr Herzschlag setzte sekundenlang aus. Sie ward wie blind. Ohne Fassung sagte sie mit dunkler, spröder Stimme: »Ika?«

»Ika? Wer sollte sie nicht bezaubernd finden? Wer sollte ihre Süße, ihre Einsamkeit nicht umschmeicheln wollen? Sie ist ein Kind – ein Spiel im Wind – eine Blume –«

Er lag plötzlich auf den Knien vor Luise –

Sie spürte, als eine Hilflose, den heißen Atem seines Mundes, sie sah die geheimnisvollen Augen von Schmerz durchflutet, und Worte rauschten auf:

»Ja, eine schöne Welle trägt mich – Sturm ist in meiner Seele, seit ich Sie gesehen. Luise, ich bete Sie an – ich vergehe nach dir – Luise –«


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