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IV. Kapitel.

Am Himmel der Nacht stand das schöne Bild des Schwans in Scheitelhöhe. Auf den Feldern reifte das Korn. Die Natur ging in die große Hochsommerstille ein.

Immer aber noch lagerte die Armee des Königs vor Mainz, erneute Angriffe auf die Entsetzung der goldenen Stadt zu machen. Eine »zentnerschwere Langeweile« quälte die Truppen, die Offiziere. Dieser Feldzug, mit soviel Begeisterung und Mut unternommen, wollte keinen entscheidenden Sieg bringen. Friedrich Wilhelm ging vor seinem Zelt auf und ab. Er wünschte inständig die Beendigung dieser Affäre. Was half denn alles Tun? Er hatte mit dem Regiment von Borck das Dorf Kostheim erstürmt, die Einschließung von Mainz auf der westlichen Seite mitbewirkt, er durfte sich sagen, daß er Mut bewiesen, den Soldaten ein gutes Vorbild gegeben. Doch dieses Lagerleben und der ganze, schleppende Krieg, der viel Blut kostete und doch eigentlich resultatlos blieb, kaum Einfluß auf die Schreckensherrschaft in Paris hatte, war ihm lange verleidet. Friedrich Wilhelm sehnte sich fort, sehnte sich nach der Erfüllung eigener Wünsche.

Eine Verlobung ist doch nur eine halbe Sache, empfand er. Freilich, es war wunderschön, wenn er nach Darmstadt hinüberreiten konnte, Luise zu besuchen. Sie hatten sich oft gesehen in den Monaten seit den Frankfurter Tagen. Und wie wunderschön war das immer gewesen: die große Verwandtenzusammenkunft in Darmstadt, offizielle Verlobungsfeier genannt, der köstliche Ausflug nach Heidelberg und an den Wolfsbrunnen, die Lagerbesuche der beiden Schwestern in Dörfern des Kriegsschauplatzes. Aber es blieb doch kuriös genug, immer der Bräutigam zu sein, wenn man so recht herzlich wünscht, nun ans Ziel zu kommen. Luise freilich hatte es scheinbar gar nicht so eilig mit Hochzeitsgedanken. Sie kostete das Leben in der alten Heimat noch so recht fröhlich aus.

Friedrich Wilhelm lächelte plötzlich. Er mußte doch den Brief Luisens wieder lesen, in dem es stand, daß sie nicht immer ganz so schreiben durfte, wie sie wollte.

Er ging in sein Zelt zurück, saß beim Scheine eines Windlichtes nieder. Seine schmalen, geschlossenen Finger glitten weich über die vielfach gebrochenen Papiere, er entfaltete das oberste, überlas einzelne Sätze:

Darmstadt, den 27. März 1793.

»Es wird Ihnen vielleicht auffallen, lieber Freund, daß ich viele Punkte Ihres Briefes schweigend übergehe. Wundern Sie sich darüber nicht. Papa und Großmama wollten, ich solle ihnen meinen Brief zeigen, und letztere vor allem empfahl mir, ich sollte Ihnen nicht zu zärtlich schreiben. Ein Glück, daß die Gedanken und Empfindungen zollfrei sind, darüber kann sie keine Etikette legen.«

Er lachte auf. Wie gut, daß der nächste Brief für ihn allein war:

Darmstadt, den 16. April 1793.

»Grüne Peterzielge, grüne Peterzielge, grüne Peterzielge und Krautsalat.«

Das war eine Überschrift! Gewiß hatte es diese Genüsse zu Tisch bei der Großmama gegeben!

»Diese wenigen Worte mußte ich Ihnen unbedingt aufschreiben, lieber Prinz, trotzdem Herr Maric mir die Haare dreht und mich behindert, denn wissen Sie: ich schreibe auf den Knien, auf meinem Buch. Es ist zwar groß, bietet aber nicht genug Platz für meine beiden großen Pfoten, qui comme vous savez au reste sind die zierlichsten ihrer Art. – Wenn Sie nach Frankfurt kommen, werden Sie selbstverständlich in die Herberge gehen, wo wir uns befinden et alors pour le Willkomm, je chanterai: unsere Katz' hat sieben Junge. Was für ein schauderhafter Brief. Tausendmal Verzeihung.

Wenn Sie mit meinem Geschreibsel zu Ende sind, werden Sie sagen: Fi donc, wie hat die Jungfer Luise geschrieben. Monseigneur, ich kann nichts dazu, und damit Amen.

Luise.«

War eine lose, lustige »Jungfer«, die teuerste Prinzeß. Konnte aber auch anders schreiben. Friedrich Wilhelm beugte das lange, schmale Gesicht über die Blätter. Leider stand manchmal zu lesen, daß sie »beängstigend huste, bald rauh, bald ganz kläglich«. Sie würde ihm doch gesund bleiben?

Das Windlicht flackerte auf. Eintönig klangen durch das Lager die Signale der Soldaten.

Friedrich Wilhelm wartete noch, daß sein Bruder bei ihm eintreten würde. Er brachte ihm gewöhnlich zur Nacht Wünsche oder Befehle des Königs für den nächsten Morgen. Friedrich Wilhelm tastete nach einem Buch. Luise hatte ihm da etwas geschickt: »Kodrus, ein Trauerspiel von Cronegk.« Er blätterte ein wenig darin, aber komische Geschichten gefielen ihm besser.

Vor dem Zelt wurden Schritte hörbar. Friedrich Wilhelm verbarg hastig die Briefe. Sporenklirrend, die Mütze etwas aus der Stirn geschoben, trat Prinz Ludwig ein. Er begrüßte den Bruder, reckte seine schon etwas volle Gestalt höher und berichtete: »Morgen gilt es wieder Damendienst, Königliche Hoheit. Wie die Germanenjungfrauen kommen unsere Prinzessinnen wieder ins Feldlager. Überraschung, vom König entriert. Na, mein lieber Fritz, da du dich freust, wollte ich dir die Nachricht nicht vorenthalten.«

Friedrich Wilhelms Augen strahlten auf.

Noch lag die Erde und ihr Grün beglänzt vom Tau, noch war der Morgen quellenkühl und ferne Wälder blauten in Schatten, als Luise ins Lager zu ihrem Verlobten fuhr. Sie hörte nicht so recht hin zum Geplauder der Schwester, sie lächelte halb, als sie von der Großmutter vernahm, im Vollmondschein würde man zurückfahren. Wer mag schon an das Zurück denken, ehe die Freuden beginnen! Luise war glücklich. Sie hatte ihren Friedrich Wilhelm nun so recht herzlich lieb. Er bot ihr keine Probleme, er war offen, wahr, treu und rechtlich. Nichts von Geheimnis lag um ihn, woran man rätseln mußte. Wenn sie erst verheiratet sein würden, dann sollte die Ehe aus seinem Gesicht wohl die gar zu steifen Züge und den manchmal ein wenig mürrischen Ausdruck verwischen. Sie lachte leise in sich hinein. Eigentlich hatte sie sich einen Verlobten manchmal ein wenig anders gedacht. So lustig wie Bruder George, oder so stürmisch, wie manchmal Schwager Taxis war.

Die Großmutter fing plötzlich an zu plaudern. Nach der Art des Alters hielt sie jetzt manchmal Monologe. Man verstand oft nicht so recht, was sie meinte. »Es geht noch, ja es geht noch. Das alte Reich hält den Anprall noch aus. Es ist gut, daß die Kinderchen sich jetzt versorgen. Man weiß nicht, was die Zeit bringt. Denn den Geist der Zeit hält man nicht mit Kanonen auf. Und wiederum, eine Idee mordet man nicht in einer Person. Jetzt haben die Kinderchen ihren Frühling. Da müssen immer Stürme gehn, wenn Frühling wird. Aber ihre Zeit wird in einem anderen Jahrhundert sein. Ein anderes Jahrhundert, ein anderer Wind – ein anderes Gebot – eine andere Forderung.«

Fern in der Ebene sah man schon in vagem Umriß das Lager. Die Rosse griffen stärker aus. Die Sonne brannte heiß. Luise rückte am hellen Florentiner Hut. Ika sprang plötzlich hoch. »Ein Reiter«, rief sie.

Friedrich Wilhelm kam entgegen.

Sie waren in seinem Zelt. Er hatte es festlich schmücken lassen. Die Großmutter ließ sich gleich pompös nieder. Sie schloß zum Schein ein wenig die Augen, und Ika las zum Schein ein wenig in einem Buch. Nun konnten Luise und Friedrich Wilhelm ungestört plaudern. Von der künftigen Häuslichkeit. Wie war das hübsch!

»Wir haben jede fünfzehntausend Taler, Prinz«, sprudelte Luise heraus. »Ist das viel, ist das kläglich, lieber Prinz? Ich weiß es nicht. Ich habe bisher nie mehr als zehn Taler auf einmal gehabt. So kommen mir fünfzehntausend enorm vor.«

Friedrich Wilhelm lächelte nachsichtig und wiederholte: »Enorm! Und was werden Sie alles anschaffen, liebste Luise?«

Sie wippte Takt mit dem Fächer, lachte vor Glück und zählte auf: Seidenstoffe aus Lyon, Schmuck aus Frankfurt, Spitzen aus Brüssel und schöne, schöne Möbel von Ruschewey.

»Ach, wenn wir erst unser ganz eigenes Zelt haben, dann kann ich immer ›mein lieber Fritz‹ sagen, nicht wahr?« Sie schüttelte lachend die blonden Haare zurück. »Wir dinieren jetzt beim König? Mon Dieu, dann heißt es wieder Altesse hin und her.«

Jawohl, nun saß man bei Seiner Majestät zu Tisch, im untertänigsten Respekt und wie auf dem Armesünderbänkchen, denn aller Augen waren auf die Gäste gerichtet. Hunderte von Augen. Eine ganze Armee von Offizieren tafelte mit. Das muß alles überstanden werden, sagte Luise sich weise. Ihr war es ja immerhin noch leichter als dem guten Fritz. Er wurde immer wieder scheu und schüchtern, sobald viele Menschen da waren. Auch stotterte er dann ein wenig. Und sagte nie ich, sondern: habe, möchte, wünsche, hoffe. Ob man ihm das abgewöhnen konnte?

Beim Cercle nach der schier endlos langen Tafel flüsterte Luise dem Verlobten zu:

»Wünschte, könnte, möchte, dürfte, wollte gerne ein bißchen tanzen?«

Er verstand weder die kleine Nachahmung noch den Scherz. Ganz ängstlich sagte er: »Liebste Luise, geht hier nicht, geht leider wirklich nicht.«

Und wie als Antwort drang plötzlich ein sonderbares Geräusch in den Saal. War ein Gewitter heraufgezogen? Nein, nein. Der König winkte, eine Reihe von Offizieren verließen rasch den Raum. »Sie schießen wieder ein wenig«, sagte der König.

Die Großmutter kam in hellem Schreck herangeeilt. »Wir müssen fort!« Doch der König beruhigte sie. Solche Scherze von den Mainzern sei man schon gewöhnt. Das bedeute nicht die Übergabe. Die Herrschaften möchten sich doch ja nicht abhalten lassen, wie versprochen, den Herzog von Weimar in seinem Zelt zu besuchen; er freue sich ganz unbändig, die verehrte Prinzeß und die lieben Engel zu sehen.

Luise ging zu Fuß mit Friedrich Wilhelm. Sie wurden hundertmal gegrüßt und angestarrt auf dem kurzen Weg, und der Blick verwirrte sich vor hundert Dingen. Da kochten Soldaten ab, da waren Marketenderinnen in roten Flanellröcken, hingen eine greuliche Wäsche über Reste von Gartenzäunen oder alte Halfterstricke, ließen jäh die Arme sinken, knicksten und tauchten die triefenden Hemden in den Staub der Straße. Da kamen blutjunge Burschen lässigen Gangs, rissen sich jäh zusammen und standen wie Mauern. Auch Kinder gab es im Lager. Denn wo nähme sonst der König die Soldaten her? Rotznäschen streckten Bettelhändchen aus. Ach, und Luise hatte nichts zu verschenken.

»Darf ich eine Anleihe bei Ihnen machen, mein Prinz?« Ihr Lachen flirrte hoch. »Sie wissen, ich besitze fünfzehntausend Taler.« Friedrich Wilhelm sah sie ratlos an. Er war nicht gewohnt, Geld bei sich zu tragen. Das besorgte doch der Adjutant.

»Guter Rat teuer«, sagte Friedrich Wilhelm unbeholfen. Aber Luise wandte sich zu den Kindern: »Wartet nur ein wenig, dort am Zelt des Herzogs von Weimar.«

Karl August begrüßte seine Gäste. Fest und fröhlich stand er da, wußte das Schönste zu sagen, war der liebste Hausherr, ließ Tee, Liköre und Kuchen reichen. Das war einmal schön.

»Sehen Sie nur nicht her, Durchlauchtigster,« sagte Luise zwanglos beim Nehmen, »ich bin so furchtbar hungrig.« Und als er laut lachte, plauderte sie aus, draußen stünden Kinder, von ihr bestellt. Sie spiele die heilige Elisabeth auf anderer Kosten.

Luise winkte Friedrich Wilhelm mit den Augen. Und dann waren sie in einem spitzbübischen Vergnügen bei dem kleinen Bettelvolk, gingen mit Karl August ein paarmal im Abendschein auf und ab.

Und der Herzog dachte: Die schöne Luis' braucht nicht in Wolfgang Goethes dunkle Feueraugen zu sehen. Denn es sollen ihr doch die melancholisch-stillen von ihrem Kronprinzen auf ewig gefallen.

Während sie so wandelten und redeten, als sei es wirklich ein Jahrmarkt und nicht ein Kriegslager, das sie durchschritten, erhob sich von ferne ein sonderbares Brausen, das anschwoll und sich aus dumpfem Getön zum Klang des Jubels formte.

»Der König wird durchs Lager gehen«, meinte Karl August. Luisens Herz wurde feierlich angerührt. Der König! Wenn man einst ihren Fritz so nannte! Wenn ihn einst der Jubel des Volkes umbrauste. Ach, welch ein Augenblick!

Reiter sprengten heran, trieben die Pferde zurück, als sie die Herrschaften erblickten.

»Was habt ihr, Kerls?« rief der Herzog.

Da sprangen ein paar Reiter ab, näherten sich respektvoll und meldeten wirr durcheinander: Man hatte soeben einen Ausfall auf der westlichen Seite zurückgeschlagen, es war zu scharfem Kampf gekommen, die Österreicher vorndran. Und da hatte – ja, da hatte Seine Königliche Hoheit der Prinz Louis Ferdinand selbst, mitten im Kugelregen, einen versprengten österreichischen Soldaten, der sonst verloren gewesen, aus dem Feuer geholt.

Dieser Bericht kam noch in einiger Haltung. Dann aber jubelten die Soldaten hemmungslos auf:

»Der Schöne, der Einzige, unser Obrist, unser Prinz, der hat einen Gemeinen, unsereinen, aus dem Kugelregen geholt. Vivat unser Obrist, vivat unser Prinz!«

Luise, hingerissen von dieser Begeisterung, erglühte. Ward jäh erschrocken, tastete nach Friedrich Wilhelms Hand. Es mußte ihm peinlich sein, einen anderen Prinzen so gefeiert zu sehen. Der Herzog lachte auf: »Der Draufgänger! Donnerwetter, ist doch ein Kerl.«

»Vivat Louis Ferdinand, vivat unser Prinz!« Die Rufe schollen wieder auf, drangen nun auch aus der Ferne heran.

»Immer Extravaganzen, immer Bravaden!« Friedrich Wilhelm sagte es trocken und mürrisch. Winkte dann einen Offizier heran: »Warum mir Ausfall nicht gemeldet?« Der Offizier stand steil: »Wir wurden überrumpelt. Meldereiter gingen ab, Königliche Hoheit.«

Es brauste die Gasse zwischen Zelten herauf, überholte eine schwerfällige Reisekutsche.

Im letzten Schein des Abends, der noch Macht hatte vor dem stillen Gestirn des vollen Mondes, kam, von Pechfackeln begleitet, ein jubelnder Soldatenzug.

»Vivat Louis Ferdinand! Vivat unser Prinz!«

Sie schrieen, sie jauchzten, sie waren wie eine Welle und Woge des Rausches.

Der Herzog und der Kronprinz hatten die Damen unter den Eingang des Zeltes zurückgeführt. Von dem Lärm aber waren seine Insassen aufgeschreckt hervorgekommen. Wortwechsel. Fragen. Der Reichsgraf von Medem vergaß seine Pflichten gegen die alte Prinzeß, eilte vorwärts, der Straße zu.

Da sah man, getragen von enthusiastischen Gestalten, einen wunderschönen Jüngling, halb lachend, halb widerstrebend, über den Köpfen der Leute auftauchen, hörte ihn mit klirrender, fanfarenhafter Stimme etwas rufen. Ruckweise, schräg hingeweht, stand die Mannschaft. Louis Ferdinand, Prinz von Preußen, schlank und glühend, sprang zur Erde, hob den Soldatenhut vom puderentstäubten Blondhaar und rief ein paar lachende Worte. Dann schritt er, erhobenen Gesichtes, auf den ihm entgegeneilenden Herzog Karl August zu.

Luisens Blick umfaßte sekundenlang den Jüngling, der vor ihre Augen trat als der Abgott der Soldaten, der, umweht von Tollkühnheit und Jugend, daherstürmte, als käme er von frohem Tanz.

»Hat ihn ein Weib geboren?« dachte sie in unfaßlichem Erschrecken. Sie senkte den Blick. Und hörte dann Karl Augusts Stimme:

»Ich darf Ihnen Seine Hoheit den Prinzen Louis Ferdinand präsentieren, liebste Luise.«

Sie verbeugte sich leicht. Der Prinz aber suchte ihre Hand, heftige Lippen streiften sie. Und dann sah sie leidenschaftliche, trunkene, abgründig süße Augen auf sich gerichtet, sah einen bezaubernd edlen Mund im Spiel beredter Worte. Sie verstand die Worte nicht. Es ging ein Fieber von diesem Menschen aus, das einem entgegenschlug wie der Wirbelwind rätselvoller Träume.

»Haben neue Gloire errungen, Vetter Louis. Gratuliere.«

Trocken und hart sprach Friedrich Wilhelm.

Der Prinz lachte sorglos auf. »Pardon, Pardon. Komme zu spät für die Einladung. Komme sehr oft zu spät. Der Krieg durchkreuzt manchmal die frohen Plauderstunden. Die Mainzer haben tüchtig geschossen und manchen blessiert.« Eine Sekunde Pause, dann: »Eure Königliche Hoheit befinden sich wohl?«

Es war sehr höflich gesagt. Es waren gleitende Worte im Tone äußersten Respekts. Und es war eine Kritik.

Luise, dies instinktiv fühlend, war sofort die Partei Friedrich Wilhelms. Sie winkte ihm zu, trat mit ihm in das Zelt zurück. Hinter ihr klang Ikas Stimme auf, eine Frage des Prinzen enthusiastischen Tones erwidernd.

Luise hörte, daß Graf Medem der Großmutter den Wagen meldete.

Der Aufbruch war rasch da. Abschied. Die Herren kamen noch einzeln heran; zuletzt Louis Ferdinand. Er küßte der Großmutter und Ika die Hand – heftete dann die flammenden Augen auf Luise, sah sie sprachlos an und legte seine Hand mit einer wie unwillkürlichen Bewegung auf sein Herz. So sah sie ihn – fast unwirklich schön – sah einen süßen und herrischen Mund und Blondhaar, das wie ein Lichtschein über der freien Stirne stand.

Verwirrung überfiel sie. Aber sie mußte, wie von unbegreiflicher Gewalt bezwungen, in seine Augen sehen –

Der Wagen setzte sich in Bewegung. Sie fuhren durch das Lager. Im Dämmern der sinkenden Sommernacht klangen noch die versprengten Rufe: »Vivat Louis Ferdinand – Vivat unser Prinz – Vivat Louis Ferdinand –«

Luise fuhr hinein in die geheimnisvolle Sommernacht. Das schöne Gestirn des vollen Mondes beglänzte das Land. – Fern sah man das Silberband des Stroms durch dunkelnde Ebene ziehen. Am Himmel leuchtete der mystische Schein der Sternbilder und der Planeten.

Grenzenloses Sein – grenzenloses Leben.

Warum weinte Luise plötzlich, warum fielen Tränen auf ihre Hände?

Sie war doch glücklich!


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