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XIII. Kapitel.

Friedrich Wilhelms Gesicht war wie mit Asche bestäubt, grau, fahl, verdüstert. Er stand am Fenster, sah zu den Viktorien und kriegerischen Attributen des Zeughauses hinüber. Sein schmaler Fuß im Lackstiefel hämmerte den Boden.

»Eure Majestät erregen sich so sehr.« Weich, ergeben klang die Stimme des Grafen Haugwitz. Er war amtsmüde, wollte heim nach Schlesien.

Friedrich Wilhelm kam an seinen Schreibtisch zurück, riß mit zitternden Händen eine Depesche hoch, las laut:

»Der Herzog von Enghien, Sohn des Prinzen Condé, der Verbindungen mit England unterhielt und zu den Verschwörern gehören sollte, wurde am 15. März nachts zu Ettenheim in Baden durch französische Dragoner ausgehoben, nach Frankreich verschleppt und im Schloßgraben von Vincennes erschossen, obwohl die Untersuchung ergeben hatte, daß er mit Georges Cadoudal nicht in Verbindung gestanden.«

Der König wandte die entsetzten Augen auf Haugwitz:

»Bruch des Völkerrechtes. Unerhörte Beleidigung des Deutschen Reiches. Haugwitz, frage Sie, wie es möglich, daß wir diese Nachricht erhalten zugleich mit den Noten aus Rußland, Schweden, England, die gegen den Bruch des Völkerrechts in einem Augenblick protestieren, wo wir – die Sache erst erfahren?«

Graf Haugwitz formte eine beruhigende Gebärde:

»Böse Botschaft kommt früh genug. Doch wenn ich mir gestatten darf, zu erinnern, den auswärtigen Nachrichtendienst subventioniert Herr Kabinettsrat von Lombard. Ermesse, die genannten ausländischen Regierungen werden dafür größere Mittel auswerfen und infolgedessen besser bedient sein.«

Friedrich Wilhelms Finger schlugen hart, hammergleich auf die Tischplatte. »Wir müssen sparen, sparen, sparen. Es ist die erste Pflicht meiner Regierung, zu sparen. Können Lombard nicht leiden, Graf –«

Der König hatte wieder die Depesche in der Hand. »Wer ist dieser Cadoudal? Mir ganz unbekannt!«

»Ein Royalist, Eure Majestät. War verbunden mit einem gewissen Pichegru und auch mit General Moreau. Sie wollten den Ersten Konsul auf seinem täglichen Wege nach Malmaison stellen (auf dem Weg zu Madame Josephine nebenbei) und ihn zwingen, mit Cadoudal Duell zu machen. Dieser Zweikampf sollte ein Gottesurteil sein. Cadoudals Degen galt den Bourbonen.«

Der König zuckte zusammen: »Und hiervon – erfuhr ich nichts?« Graf Haugwitz wiegte den runden Kopf. »Dieser Royalistenstreich erschien mir zu – ridikül, ihn vor Eurer Majestät Ohr zu bringen.«

Der König schwieg. Haugwitz sprach leise, halb flüsternd, von seiner angegriffenen Gesundheit, von seiner Sehnsucht nach Schlesien.

»Bitte, rufen Sie mir Köckritz. Und bitte, senden Sie Kurier zum Reichstag nach Regensburg – oder nein, muß die Sache erst mit Militärs besprechen – – .«

Der gute Köckritz fand seinen geliebten königlichen Herrn ratlos und verzweifelt. Er nahm aus inniger Liebe zu Friedrich Wilhelm seinen ganzen Verstand zusammen, wozu er ein Weilchen brauchte. Dies schadete nichts, der königliche Herr beruhigte sich meist selbst, wenn er seinen Zorn aussprach. Seine Majestät sollte bald nach Potsdam hinaus. Wenn er seine Garden sah, war ihm wohl.

»Eure Majestät,« gab endlich Köckritz das Ergebnis seines Nachdenkens kund, »ich möchte sagen, es liegt nicht ein Bruch des Völkerrechts vor. Denn, wie man jetzt leider sagen muß, feu son Altesse le Duc d'Enghien war als königlicher Prinz exterritorial

Des Königs Gesicht wurde spitz, angeregt, erstaunt. »Ah, ein Standpunkt, Köckritz. Wird eine Persönlichkeit von exterritorialer Stellung irgendwo gefangengenommen, so bedeutet dies keine Verletzung der Hoheit des betreffenden Landes? Wir hätten also nur aufs tiefste den Tod des Enkels des großen Condé zu beklagen, nicht aber eine Hoheitsverletzung des Deutschen Reiches?« Sein Blick hing gespannt an Köckritz.

Köckritz hob seine steifen, schweren Wangen höher aus dem Uniformkragen. »So meine ich, Eure Majestät. Und wenn ich frei heraus sprechen dürfte, allergnädigster Herr, der Fall ist beklagenswert. Auch ich bedauere das Abscheiden Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs von Enghien aufs tiefste. Besonders die – Form seines Hintritts. Aber die Wahrheit zu sagen: Was geht die preußische Nation der Herzog von Enghien an?« – –

In einem anderen Raum des Palais vergoß jemand Tränen des Mitleids. Tränen des Zorns.

Die Worte der Königin kamen stürzend und heftig, gingen so weit, Bonaparte ein Monstre, einen Teufel zu nennen. Die Voß war etwas ratlos. Seine Majestät der König hielt doch neuerdings viel auf ein gutes Einvernehmen mit dem Ersten Konsul. Que faire?

Die Königin befahl der Kammerfrau, Trauersachen herauszulegen, und verschwand in ihr Ankleidezimmer.

Friedrich Wilhelm fand seine Frau, still weinend, in schwarzem Gewand.

Er wurde ärgerlich, denn er fühlte sich unsicher.

»Du wirst dich bitte gedulden, bis das Haus Condé uns offizielle Mitteilung macht. Dann ist es Sache des Oberhofmarschalls, nachzusehen, ob Hoftrauer stattzufinden hat. Solche – Demonstrationen macht man wohl in der Ferdinanderie. Aber nicht bei mir!«

Die Königin erbleichte. Ihr zuckender Mund festigte sich, wurde kalt, hochmütig. Sie wurde gescholten?

»So weine doch nicht mehr«, sagte Friedrich Wilhelm nervös.

»Nein«, Luise bezwang sich. Einen Augenblick herrschte Stille. »Gestattest du, daß ich heute Frau von Berg besuche. Es ist mein verabredeter Tag.«

Er zuckte die Schultern. »Wenn ich nur wüßte, warum du die Berg brauchst, um die Schauspiele dieses Herrn Schiller zu lesen? Herr Delbrück könnte dir doch auch die unverständlichen Stellen erklären.«

Die Königin, hoffnungslos, verstanden zu werden, antwortete leichthin: »Frauen lesen anders.«

Der Wagen der Königin fuhr einem Hause am Rande des Tiergartens zu. Blauer Schein war zwischen den Bäumen, ab und zu winkte schon ein grüner Schleier über den Weiden. Als sie ausstieg, näherte sich demütig ein jüngerer Mann der besseren Stände und überreichte Luise eine Bittschrift.

Sie wollte ein freundliches Wort sagen, doch der Mann enteilte.

Bei Frau von Berg war namenlose Bestürzung. Eine Gesellschafterin sank fast in die Knie. Denn: ihre Herrin war fortgeeilt, eigenhändig das Konfekt für Ihre Majestät zu wählen, niemand mache das Frau von Berg nach Wunsch.

»Ich komme also zu früh?« sagte Luise. Die Gesellschafterin stammelte: »Ihre Majestät geruhen allergnädigst, zwei Stunden vor der gnädigst befohlenen Zeit –«

Ja, mein Benehmen! Mein Benehmen läßt noch immer zu wünschen übrig, dachte die Königin erheitert. Sie ließ sich den Mantel abnehmen, den Hut. Hier war sie zu Hause. Ähnlich wie bei der Großmama in Darmstadt. Hier konnte sie ihr Wesen treiben. Hier war sie frei.

»Derangieren Sie sich nicht«, nickte sie der Gesellschafterin zu. »Ich lese solange. Frau von Berg hat gewiß die Bücher schon herausgelegt?«

Sie saß in einer Sofaecke, blätterte, fand einen ihr neuen Namen, August Wilhelm von Schlegel, las:

Die Opferung Isaaks.

Der schöne Jüngling kniet auf dem Altare
Nackt, blaß, gebeugt, die Arme auf dem Rücken,
Ein banges Weh in den erhobnen Blicken,
Als ob schon Tod mit Todesfurcht sich paare.

Der Vater steht, kraftvoll im greisen Haare
Geschürzt mit Glauben, sich in Gott zu schicken.
Den fest ergriffnen Stahl, er will ihn zücken,
Und morden allen Trost verwaister Jahre.

Doch wie er seine Stirn nach droben wendet,
Als spräch' er: Du befahlst es, Hort und Rater!
Rauscht ihm der Flügel eines Himmelsboten.

Mit deinem Wollen ist die Tat vollendet!
Allein behielt sich's vor der ew'ge Vater,
Den Sohn zu opfern für die ewig Toten.

Sie war sonderbar angerührt. »Die ewig Toten?« Wer sind sie? Alle Menschen, für die das Opfer gebracht wurde? Oder jene, die man der »Trägheit des Herzens« zieh?

Die Königin wurde blaß, verfiel der Stimmung, die jede edle Natur oftmals kennt, sie kam sich mancher Unterlassung schuldig vor. Luise tat das Nächstliegende: sie öffnete die Bittschrift, die sie mit in den Raum gebracht, und zwang sich, zu lesen. In einer deutlichen, Bildung und Heftigkeit verratenden Handschrift stand da:

»Vertrauter Brief an Ihre Majestät die Königin.

Allergroßmächtigste Königin, allergnädigste Königin und Frau!

Seine preußische Majestät, Friedrich Wilhelm, und seine hohe Gemahlin, Ihre Majestät die Königin Luise, haben dem Hofe, der Stadt Berlin und dem Lande das Beispiel einer herzlichsten Ehe und eines lautersten Familienlebens gegeben, und fahren täglich fort, als solche erhabenen Vorbilder zu wirken.

Die Einwohner von Berlin, Charlottenburg und Potsdam sehen das königliche Paar wie Bürgersleute mit ihren Kindern spazierengehen, sie kennen die strahlende, mütterliche Frau, kennen den einfachen, rechtlichen, hausväterlichen König mit eigenen Augen.

Das hohe Königspaar erscheint regelmäßig zu den Belustigungen des Volkes, zum Stralauer Fischzug, zu Schützenfesten und den Ehrentagen der Gilden. Der Königin schöne Menschenfreundlichkeit ist nicht eine hoheitsvolle Geste vom Throne herab, sondern ein immer betätigtes Auswirken ihres Naturells und ihrer angeborenen Herzensgüte.

Wie kommt es, daß zu der Zeit ihres unbefangensten, liebenswürdigsten Wirkens die Berliner Gesellschaft als die sittenloseste Europens bezeichnet wird und Berlin als eine der verderbtesten Städte?

Dem wahren Patrioten muß das Herz entbrennen und der rote Zorn hochsteigen, wenn er solches vernimmt, wenn er in ausländischen Gazetten es lesen, im Kaffeehaus, in der Weinstube, im Theater es hören muß, wie einen guten Witz, wie ein treffliches Amüsement. Wie ist solches möglich?

Schmerzbewegt unterfängt sich Untertanentreue der Königlichen Majestät, der Mutter auf dem Throne, die Gründe zu vermelden:

Drei schlimme Erbschaften hinterließ der nunmehr hochselige König Friedrich Wilhelm II. seinem erhabenen Sohne:

1. die ungeheuere Schuldenlast des Staates,
2. die Demoralisation der Nation,
3. das Kabinett, das heißt die unverantwortlichen Räte des vormaligen Königs.

Seine erhabene Majestät, unser König und Herr, haben Ihre ganze Kraft eingesetzt, die erste der bösen Erbschaften auszutilgen. Seine erhabene Majestät tuen das Äußerste an sparsamen Reformen bis hinein in Ihr Privatleben.

Große, verehrungswürdige, aber unheilvolle Pietät haben Seine erhabene Majestät bis dato gehindert, das Einzige zu vollbringen, was den Fluch jener Erbschaften restlos bannen konnte:

nämlich den Schlüssel auf das Grab Ihres höchstseligen Herrn Vaters zu legen.

Große, furchtbare Tat, Schauder der kindlichen Hand, aber heilige Pflicht dem Lenker eines Staates:

den Schlüssel auf das Grab eines Vaters, eines Königs zu legen. Das heißt in diesem höchst beklagenswerten Falle: ein Pereat sprechen der Demoralisation der Gesellschaft, heißt, die Räte in Ungnade zu stoßen, die dieser Gesellschaft gefällige Diener sind.

Erhabene Königin! Die Feder will sich sträuben, vor Dero teuren Augen nur etwas aufzudecken von der Sittenlosigkeit Berlins. Die Not gebietet unverhüllte Worte. In der Residenz hat man die physischen Genüsse so verfeinert, daß das Leben am Hofe grell davon absticht.

Die Weiber sind so verdorben, daß selbst vornehme, adlige Damen sich zu Kupplerinnen herabwürdigen, junge Weiber und Mädchen von Stande an sich zu ziehen, um sie zu verführen. Mancher Zirkel von ausschweifenden Weibern von Stande vereinigt sich wohl auch und mietet ein möbliertes Quartier in Kompagnie, wohin sie ihre Liebhaber bestellen und ohne Zwang Bacchanale und Orgien feiern, die selbst dem Regenten von Frankreich neu gewesen wären.

Es gibt Gräfinnen in Berlin, die sich nicht schämen, im Schauspielhause auf der Bank der öffentlichen Mädchen zu sitzen, sich hier Galane zu verschaffen.

Da Berlin der Zentralpunkt der preußischen Monarchie ist, von wo alles Böse und Gute sich über die Provinzen ausgießt, so hat sich jene Verdorbenheit auch dort nach und nach ausgebreitet.

Der Offiziersstand, den Wissenschaften entfremdet, hat es am weitesten in der Genußfähigkeit gebracht. Sie treten alles mit Füßen, was sonst heilig genannt wurde: Religion, eheliche Treue. Ihre Weiber sind Kauf-, Tausch- oder Gemeingut geworden. Die entnervten Offiziere, die ihre Uniformen auf den nackten Leib pressen, um schlank zu sein, wie wollen sie Strapazen eines Krieges ertragen?

Sind die Kabinettsräte Seiner Majestät besser als jene jugendlichen Greise?

Nein, sie sind Spieler, Wüstlinge, skrupellose Teufel in Heuchlergestalt. Was sie selbst heimlich treiben, schreiben sie andern zu: ihre Korrespondenz ins Ausland streut das Gift der Verleumdung aus.

Und was dringt ins Weite?

Daß Ihro Majestät, unsere erhabene Königin, all diese Sittenlosigkeit kenne und billige. Ja, daß Ihro Majestät selbst solchen Genüssen fröne.

Wie vermag ich, der Namenlose, der Schreiber dieser angsterfüllten Zeilen, etwas zu wirken?

Meine submissesten Suppliken haben das Auge des Königs nicht erreicht. Nach bitterlichstem Ringen faßte ich den Entschluß, mich Eurer Majestät zu Füßen zu werfen in Überreichung dieses Briefes.

Eure allergnädigste, allerhuldvollste Majestät: ich bin kein Mirabeau, der mit dem Passe-partout alten Namens seinen Worten Gewicht geben kann. Tief empfinde ich, wie ridikül es wäre, unter solch Schriftstück einen namenlosen Namen, an den kein Verdienst sich knüpft, zu setzen. So zeichne ich, Eurer Majestät zu Füßen

Ein Patriot.«

Sie hatte in widerstrebendem Empfinden gelesen – die Blätter waren auch einmal zur Erde geschleudert und wieder aufgenommen worden. Dann saß Luise still, ganz verlassen, und dachte nach. – –

Frau von Berg kam nach Hause. Eine Zitternde eilte in den Salon. Ein etwas zu kleiner, vielleicht zu redegewandter Mund begann das Manifest unauslöschlichen Bedauerns ob der Stunde, die versäumt war. Doch die Worte erstarben. Frau von Berg sah ihre angebetete Königin verändert, vernahm Anklagen von ihr, aus Zorn und Schmerz geboren.

»Helfen Sie mir doch, liebe, liebste Freundin. Ich bin ja so namenlos unwissend. Ich weiß nichts von der Wirklichkeit. Ich lebe in einem Dasein, das alle Dinge verschleiert, verwischt, verändert. Kann es denn wahr sein, daß Berlin eine so verdorbene Stadt ist, und daß man mich – mich für eine Person hält, die nur an Feste und Zerstreuungen denkt?« Luise bog die Schultern zusammen wie unter einer Last, sie duckte den schönen Nacken, saß plötzlich da wie eine Sprungbereite, die Fesseln abschütteln will.

»Ich habe einen Mann, auf dem Schwermut lastet. Ich habe einen Mann, der keine Entschlüsse fassen kann – einen vornehmen, einen rechtlichen Mann, dem man in der Jugend das Selbstgefühl zerbrochen hat.« Ihre Stimme war atemlos. – »Weiß denn jemand, was es heißt, einem solchen Mann, der die Hoffnungslosigkeit auf dem Grunde seiner Seele hat, hinüberzuhelfen, damit er diese Hoffnungslosigkeit zuweilen vergißt? Ich habe manche Nacht Gott gedankt, daß er mir von Natur das heitere Herz gegeben hat, und ich nicht den Fluch auf mir schleppe, Kränkung bewahren zu müssen wie ein Evangelium und eine herrlichste Erfahrung –«

Die Berg küßte die Hände der Erregten: »Meine teuere Majestät –« Die Königin bat: »Sagen Sie doch Luise zu mir, ich bin ja wie ein armes Kind, das sich einmal aussprechen muß. Nichts gegen den König – bei Christi Wunden, nichts gegen meinen Mann. Man muß ihn verstehen, man muß wissen, wie schwer ihm manches ward. Da mußt' er mit seiner Mutter, die er liebt, und mit mir, die ich doch so jung war, zu den Empfängen der Gräfin Lichtenau, mußt' in Gegenwart seiner Mutter der Mätresse des Vaters die Hand küssen – mußt' zusehen, wie die Mutter auf Befehl zu der Mätresse ihres Gatten vor versammeltem Hof gnädige Worte sagte. Man denkt, ein Mann trägt daran nicht so schwer. Aber solche Dinge – ach, und viele andere, die haben ihn rasend gemacht, die haben ihn so tödlich mutlos gemacht. Ich habe ihn hundertmal aus seinen Tristessen, seiner mürrischen Trostlosigkeit geholt. Liebe, liebe Freundin –« Luisens Blick war dunkel, beschwörend – »meinem Mann kann ich nicht schöne Gedichte und edle Gedanken vorlesen, wenn er seine furchtbare Erdenschwere vergessen soll – da muß ich tanzen, und lachen und reiten, und all seine kleinen Gewohnheiten pflegen: ich muß eine heitere, oberflächliche Frau sein.«

Sie sprang auf. Ihr Schritt stürmte durch das Zimmer. »Zweimal haben Fremde an mich geschrieben – neulich auf dem Maskenball – jetzt, hier. Ich soll die Königin – werden. Ich soll – mitregieren lernen. Ah, ich weiß ja, was ich tue. Ich lächle, lächle, lächle. Ich sage alten Leuten, Invaliden, Bettlern ein freundlich Wort. Man schreibt mir, das Land ist armselig, die Gesellschaft eine korrupte. – Was soll ich tun? Ich weiß es nicht.«

Sie sank plötzlich in einen Stuhl. Zucken flog über ihr Gesicht hin. Sie weinte. »Ich bin ja machtlos. Ich bin – kein Alexander, der vermag, sein Volk zu erlösen und zu befreien.«

Der Salon der Frau von Berg hatte einen solchen Sturm noch nicht erlebt. Die Erschütterte fand zunächst kein eignes Wort, sie tastete zu Schiller:

»Adel ist auch in der sittlichen Welt. Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind.«

Luise hob zuckende Hände.

»Was bin ich denn? Ein Mensch, der sich selbst noch nicht ertragen kann.« Das Ohr der Frau von Berg war hellhörig. Sie wußte wohl, in diesem schönen Geschöpf, in dieser sehr Erlesenen, ging ein großer Kampf. Luise hatte den Mann gesehen, der fähig wäre, ihr Weibtum zu seiner höchsten Blüte zu bringen, ihre Seele zu der großen Passion hinzureißen: Alexander.

Die hier saß und weinte, als sei sie eine Hilflose, war eine tapfere Kämpferin mit dem eigenen Herzen. Diese Frau, gequält von vielen körperlichen Leiden und immer wieder mütterlichen Leibes, tat in aller Stille die heroische Tat einer großen Entsagung.

Frau von Berg streichelte Luisens Hände und sagte ganz still: »Zu wissen, daß Sie existieren, Königin Luise, ist Hunderttausenden Trost, und mehr noch als Trost: Freude. Ihr Dasein bringt so viel Licht wie ein großes Kunstwerk oder edelste Gedanken. Nehmen Sie sich selbst, Königin Luise, wie Gott Sie gewollt hat.« –

Der König ging nach dem Souper in die Zimmer Luisens. Sie war überrascht. Sonst arbeitete er oder besuchte das Theater. Sein Wink entließ die Hofchargen. Sie waren allein, er näherte sich ihr:

»Bin heute – unfreundlich gewesen. Sache mit dem Duc d'Enghien peinlich fatal. Dürfen uns nicht gehen lassen, Luise, nicht demonstrieren.«

Sie sah ihn an, Erbarmen im Blick. Wir dürfen nicht, armes Wort. Er fragte, ohne Luise anzusehen:

»Hat dir die Berg von ihrem Freund, dem Reichsfreiherrn vom Stein, gesprochen? Sie möchte ihn ins Ministerium – sie macht sich wichtig.«

Luise verneinte. Dem König entfuhr es.

»Haugwitz will gehen.«

Luise wechselte die Farbe. Ihre Augen flammten auf. Vergessen war, daß Friedrich Wilhelm sie heute gescholten hatte, weil sie Trauer anlegen wollte um einen Hingemordeten. Sie sagte sehr still:

»Ich habe dich lange um nichts gebeten, Fritz. Darf ich es jetzt?« Sie sah so schön aus, so rührend. »Nun mein Herz?« Und Luise bat um die Berufung Hardenbergs als leitenden Minister. Der König bejahte. Sie stürzte in seine Arme wie ein glückliches Kind: »Er ist der Freund meiner Eltern gewesen, er ist so edel wie sein vornehmes Gesicht. Er wird sein Bestes für seinen König tun.« Friedrich Wilhelm lächelte: »Ich habe den Freiherrn vom Stein für den Herbst einberufen als Minister des Zoll- und Handelswesens.« –

Luise war beruhigt, war entspannt. Der Frühling kam ihr plötzlich wie ein unerhörtes Geschenk vor. Sie wußte, mit Hardenberg kam nicht nur ein Staatsmann, sondern auch ein geistiges Element an den Hof. Sie empfing den Minister in den hellen, heiteren Zimmern von Charlottenburg, zeigte ihm, wie ein Kind seine Schätze zeigt, die ganze Flucht der für sie eingerichteten Räume und bat gleich um seinen Rat: war es nicht angemessen, die berühmte Frau von Staël hier im Knobelsdorffschen goldenen Saal zu empfangen, und Schiller in ihren kleinen Wohnräumen, die so sehr an Weimarsche Einfachheit erinnerten? Ja, Schiller kam. Sie würde versuchen, ob er nicht nach Berlin übersiedeln wolle. Und die Staël kam. Was für Begebenheiten!

Aber so bewegend sie auch verliefen: ein Ereignis, das aufklang wie der unheimliche, alles übertönende Ruf der Clairons, der Schlachthörner, drängte die anderen Eindrücke in die Stille seelischen Erlebens zurück: Buonaparte hatte sich als Napoleon I. zum Kaiser der Franzosen ausrufen lassen.

Triumph und Jubel schallten aus Paris, aus ganz Frankreich; und selbst Blinde und Taube mußten es merken: eine ungeheuerliche Wendung war da!


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