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VIII. Kapitel.

Sie wurden aus dem Glück von Paretz gerissen: Friedrich Wilhelm II. starb seinen schweren, schweren Tod. Luise hatte ihn noch besucht: Madame Rietz entfloh auf so lange dem Gemach. Der Kronprinz, gepeinigt von den entsetzlichen Leiden des Verscheidenden, war halb gebrochen, ging nur hart immer den Weg ins Marmorpalais. Prinzeß Luise Radziwill saß bei Luise. Die überlebhafte Prinzeß fühlte Sensationen: ob die Zöllner und Bischoffswerder nun wohl die Hilfe der Geister für den König herbeirufen konnten? »Welcher Geister?« fragte Luise. Die Radziwill enthüllte: Wisse es denn die liebe Cousine nicht, daß im Gartenpavillon von Charlottenburg und in einer Pyramidengrotte am Neuen Garten und wohl an vielen anderen Plätzen dem König die Revenants erschienen wären? Und daß er alle für Freigeister und Gottesleugner hielte, die nicht an Revenants glaubten?

Sie witzelte, lächelte in nervösen Schauern: die alten Herren hätten sonderbare Gelüste: der König nach Geistern, Onkel Henri in Rheinsberg nach dem Anblick geschminkter Leichen. »Sie wollen hinter das Geheimnis des Todes kommen«, flüsterte sie kränklich.

Über Luisens Haut lief Kälte. Geister, Gespenster, geschminkte Leichen – wie gräßlich, wie unnatürlich.

»Ja, und man hat die weiße Frau gesehen im Berliner Schloß. Ein Leibjäger begegnete ihr.«

»Die weiße Frau?« »Nun, die von Orlamünde, das Todesgespenst der Hohenzollern. Sie meldet an. Es ist wirklich wahr. Gentz hat es der Rahel erzählt, die Rahel meinem Bruder. Kleist behauptet –«

»Der Major von Kleist?« »Nein, nein, Heinrich, der Vetter und Adorateur der Kleisten.« Luise Radziwill lachte auf: »Mein Bruder sagt, man solle die Offiziere des Regiments Gensdarmes für eine Nacht ins Schloß schicken, dann würde die weiße Frau bald eine weise Frau nötig haben.« Sie kicherte. Nun, lachte die Kronprinzessin nicht über den Witz?

»Glaubt der kranke König nicht an den gütigen Gott?«

»Das ist etwas schwer, wenn man die Wassersucht hat«, meinte Luise Radziwill leichthin.

Sie wurden unterbrochen. Die Voß trat ein. Sie neigte sich bis zur Erde. »Monsieur de Bischoffswerder demande à parler à Votre Majesté.«

Sie – sie, Luise, war nun die Majestät? Die Königin? Das Blut strömte ihr zum Herzen, vor ihren Augen war ein Flimmern. Unsägliches floß über ihre Seele hin. Welch ein Augenblick, der sie erhob zum stolzesten Gipfel ihres Lebens! Sie streckte die Hände aus, als suche sie Halt in der schwindelnden Erkenntnis – sie fühlte ihre Hände geküßt, sah die Prinzeß, die eben noch mit ihr gescherzt, fast zu ihren Füßen liegen. Die Königin! Großer Gott, wie ertrag' ich es? Und jählings wußte sie: ihr Fritz, ihr liebster Fritz, hatte den Vater verloren. Ihr Fritz war gerufen zu Last und Verantwortung. Für sie selbst ging nun der Weg hinein in ein Leben, das der Nation gehören mußte.

Luisens Augen entstürzten die Tränen.

 

Die Berliner betrauerten den toten König und jubelten dem neuen Königspaar zu. »Ein Regiment der Gerechtigkeit, der Ordnung und der Sparsamkeit beginnt«, mit diesen Worten begrüßte der französische Gesandte in Berlin Friedrich Wilhelms III. Thronbesteigung. Er drückte aus, was von Friedrich Wilhelm zu erwarten war. Weniger gute Psychologen hatten anderes erhofft: die Erneuerung des Ministeriums, einen frischen Zug in der auswärtigen Politik, eine lebensvolle Wendung aus dem steinernen Prinzip kleinlicher Neutralität, ängstlicher Friedenssehnsucht um jeden Preis, die Graf Haugwitz vertrat.

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Es kam nichts von allem. Die Königlichen Erlasse sprachen von Sparsamkeit und Rechtlichkeit, von der Ordnung der Finanzen der einzelnen Etats. Die Schuldenlast über dem Lande bedrückte den neuen König am meisten.

Prinz Louis Ferdinand ließ im Kreise der Vertrautesten seinen Witz spielen. Es war fast die erste Regierungshandlung des Königs gewesen, daß er die Verhaftung von Madame Rietz, Gräfin Lichtenau, der langjährigen Mätresse des Königs, befahl. Sie sollte Staatsgelder und Dokumente beiseite gebracht haben. Schön oder nicht schön, die Rietz war dem König unentbehrlich gewesen, auch in der Krankheit. Man hätte Friedrich Wilhelm III. seinen moralischen Ernst auch ohne diese Verhaftung geglaubt.

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»Der König belebt die Finanzen des Staates durch Entleerung der Hamsterhöhle von Madame Rietz«, sagte Prinz Louis Ferdinand. »Er wird das Heer durch Einführung eines neuen Knopfreglements erfrischen. Aber wir sind vom Tabaksmonopol befreit. Wir dürfen rauchen, rauchen, rauchen. Es geschehen Zeichen und Wunder: bei diesem Friedrich Wilhelm gibt es Rauch und kein Feuer! Bei dem anderen Friedrich Wilhelm hat es Geister und keinen Geist gegeben. Vogue la galère.«

Der Prinz war wieder in Berlin. Draußen in Schönhausen lebte die Witwe Ika. Man ist kein homme de lettre, kein Literat, wie Herr Schiller, mais non. Doch dem gefielen auch zwei Schwestern. Und weil die eine zu »wolzogen« war, nahm er die andere. –

Königin. Königin –

Hatte Luise einen holden Traum gehabt, daß mit der Krone sich ein Schimmer von Allmacht über sie senke? Eine Art ewigen Frühlings, der Blüten ausstreut und die Erde vergoldet?

Sie, ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts, erwachsen in den Anschauungen kleiner Höfe – unberührt erhalten von der Botschaft der Revolution, die über Jammer, Blut und Schrecken, über Zusammenbruch und Gemetzel doch die unvergängliche Forderung auf die natürlichen Rechte jedes Erdgeborenen in die Welt warf – sie, die dreiundzwanzigjährige Luise, konnte nicht sozial denken. Aber sie hatte eine schöne, stille Hoffnung gehabt: sie würde die Macht besitzen, den Armen, oder doch den Ärmsten zu helfen. Es war ihr so etwas vorgeschwebt von unerschöpflichen Händen voll Dukaten, zu verteilen an arme Mütter, mühselige Menschen, Invaliden, Kranke, an Kinder für ihre Erziehung. Einst, bei ihrer Hochzeit, als der König ihr eine Bitte vorschlug, hatte sie um die Handvoll Dukaten für Arme gebeten.

Nun? Der König – sie mußte der Umgebung gegenüber dieses Wort annehmen, und es schlich leise auch in ihre Gedanken – der König war wie desperat über die ungeheuere Staatsschuld, die seine Regierung übernahm, und dachte nur an Sparen, Sparen, Sparen. (In einem Aufblitzen alter Laune fand sie wohl, das fürchterliche Wort müsse mit drei oder sechs »a« geschrieben werden.) Der König blieb im kronprinzlichen Palais wohnen, um zu spaaaren. Alles im Hause mußte seinen unveränderlichen Platz behalten, Möbel, Gewohnheiten, Gesichter. Sein Wille regelte auf die Minute die Mahlzeiten, bestimmte die Pferdezahl vor dem Wagen der Königin, die Stunden der Audienzen.

Wenn Luise gedacht hatte, in den Audienzen würde sie nun Menschen aller Stände sehen, so war das ein Irrtum gewesen. Es klirrte von Waffen in den Vorzimmern. Es blendete der Goldglanz von Diplomaten und Beamtenuniformen. Die Hoftrauer war vorüber, die Feste begannen wieder.

Sie war Königin.

Das hieß: Sie war die große Dekoration der Monarchie.

Und sie war die Ehefrau eines überbeschäftigten Mannes mit nüchternen, engen Gewohnheiten. Luise sah es in Bangen: mit der Krone hatte sich eine ungeheuere Last auf Friedrich Wilhelm herabgesenkt. Nicht eine Befreiung, nicht ein stürmisches Erglühen hatte ihn ergriffen, auch kein Herrschertaumel, kein Machtgefühl. Es schien, als müßten seine immer noch etwas schmalen Schultern nun alles, was mühselig und schwer war, tragen: die unsäglichen Akten, die täglich in den Schreibkammern der Monarchie gefertigt wurden, die Errechnung der Einkünfte, die Gehaltsnöte der Beamten, die Dienstvorschriften des Heeres. Sein braver Köckritz saß bei ihm und sagte zu all dem Ängstlichen, Sparsamen, was befohlen wurde: Vortrefflich, vortrefflich.

Sie aber mußte huldvoll und gnädig lächeln und sich auf hundert Festen von Hunderten von Lippen die Hände küssen lassen. Es waren Lippen dabei, die man weit wegwünschte – –

Im Frühling ging man in die Eiskammern des Schlosses von Potsdam. Der »Lustgarten« starrte von Soldaten und Offizieren. Der König war des Abends todmüde und hielt doch darauf, daß man in schicklichem Gespräch sich wach hielt über schleppende, grausame Stunden. Sie taumelte oft vor Erschöpfung. Husten quälte sie. Und sie erwartete wieder. –

»Dank einem Berg glühender Kohlen und einem fürchterlichen Feuer« wurde man manchmal ein wenig warm.

Plötzlich kam eine Nachricht aus Schönhausen: Ikas jüngstes Kind war tot. Luise fuhr durch ein Frühlingsschneegestöber. Sie fand die kleine Ika aufgelöst in Tränen.

»Ich habe dich so lange nicht gesehen, seit du Königin bist, Luis' – und daher – ist alles gekommen.«

Die Weinende zog Luise fort von dem Sarg, in dem ein armes Wachspüppchen lag, das Prinz Karl von Preußen geheißen – führte sie in ein Boudoir, kuschelte sich ein mit ihr in ein buntes Sofa.

»Der Gloster wollte, ich solle meine Kinder in Deutschland zurücklassen, und fast hätte ich eingewilligt«, schluchzte Ika. »Nun ist der Tod von meinem süßen kleinen Karl die Strafe des Himmels. Aber nun, nun – nun werde ich eben doch Louis Ferdinand heiraten, wenngleich er mehr an dich dabei denkt – ach, ich habe wenig Glück in der Liebe.«

Ein Regen von Tränen, ein Regen von Neuigkeiten für Luise. »Ika, und du sagtest mir kein Wort vom Prinzen Gloster –«

Ika verzog das Rokokogesichtchen. »Du stillgewordene Anmut, sollst du noch Wirrnisse begreifen? Bitt' jetzt für Louis Ferdinand und mich bei deinem Friedrich Wilhelm.«

»Jetzt, wo dein Kind –«

»Ich kann nicht nur traurig sein«, sagte Ika schlicht. –

Friedrich Wilhelms Wesen wurde mürrisch, sein Ton offiziell: »Für die Prinzessin Friedrike von Preußen dürfte sich zunächst ein Trauerjahr um ihr Kind schicken.«

Luise streichelte seine Hand. »Ika fühlt sich so verlassen, sie – braucht wieder etwas für ihr – Temperament. Die Jahre, wo man sonst am tollsten ist, verlebt sie in Schwermut und Trauer.«

Der König sah unjung und versorgt aus. »Wir sind mit Prinz Louis Ferdinand schon nahe genug verwandt. Er – gewiß, sicherlich – würde gerne Gelegenheit haben, die Königin oft und vertraulich zu sprechen. Wünsche diese Sache nicht«, schloß er ab.

Sie wußte, alles Weitere war vergeblich. Sie ging zu ihren Kindern. Da war es immer gut. –

Der König überraschte Luise mit der Bitte, ihn zur Krönung nach Königsberg zu begleiten, mit ihm die Huldigungen in Pommern, Danzig, Ostpreußen, Warschau und Schlesien entgegenzunehmen. Dieser Beweis ihrer Unentbehrlichkeit machte sie froh. Sie schrieb dem Bruder George, der meinte, die Reise würde sie überanstrengen:

»Es werden alle Wege um meiner teueren Person willen ausgebessert. Und ich reise, weil mein Mann es wünscht. Dieser Wunsch macht mich sehr glücklich. Sonst reiste ich nach Frankfurt, um Krönungen zu sehen, jetzt lasse ich mich beinahe doch selbst krönen. Alsdann weiß ich mit Zuverlässigkeit, daß ich meinem Mann von Nutzen bin, du weißt, er liebt nicht Cour, Gène, Etikette und wie die Dinger alle heißen, und diese Reise ist eine Kette von solchen Dingerchen. Ich werde sie also ehrlich mit ihm teilen und alles anwenden, um ohne Zwang die Liebe der Untertanen durch Höflichkeit, zuvorkommendes Wesen und Dankbarkeit da, wo man mir Beweise der Anhänglichkeit geben wird, zu gewinnen und zu verdienen –«

In letzten Maitagen zog man aus. Und die Fahrt ward zu einer Triumphreise, zu einem ununterbrochenen Fest. Aus Dörfern und fernsten Gehöften brachen die Menschen auf, ihre schöne Königin zu sehen. Ihr Name klang wie ein Lied, ihre Anmut war schon zur Legende geworden, zu einem Glauben, einem Märchen, einem Glück. Sie kam im schönsten Monat, den Germanien kennt, im Blühen der Junitage, kam in den Tagen der triumphierenden Sonne, kam in Licht und Glanz, in Jugend und mit dem Zeichen ihrer mütterlichen Mission.

Wie neu war alles für sie! Pommern, das treue, vielumstrittene Land. Oliva mit der erschütternden Meeresaussicht. Das stolze Danzig in der Feierlichkeit seines Barocks, dem Lebensfieber seines Handels. Dann Königsbergs ernster Aufruhr, von den Schauern preußischer Geschichte umwittert. Das mystische Fest der Krönung, funkelnd in Pracht und Glanz, im Schimmer der Unvergeßlichkeit. Dann Warschau: polnische Eleganz, polnisches Elend. Zuletzt Schlesien: Sie weinte vor Glück, als sie schlesische Erde betrat. Teuerste Provinzen, errungen aus tiefster Not. Und wieder stiegen ihr Tränen auf, als sie durch die Industriebezirke kam, durch die Wohnungen der Bergleute. Sie hätte den Männern, den Frauen, die sich dem Wagen näherten, sagen mögen, daß sie auf der Fahrt durch diese Bezirke etwas begriffen hätte von der Erhabenheit und von der tiefen Resignation unermüdlicher Arbeit – unermüdlicher Arbeit von Generationen um karges Brot und um des Gemeinwohles willen: aber wie sollte sie solche Worte finden?

Sie hörte die Glocken von Breslau aufklingen: Sie tastete nach der Hand ihres Mannes, wiederholte ihm das Wort des großen Königs, in Sanssouci zu dem Knaben gesprochen:

»Du wirst dir Schlesien nie nehmen lassen.«

 

Sie kam wie trunken heim von dieser Reise. Sie hatte eine bewußte, starke Freude an sich selbst. Sie begriff von einer Seite her den Sinn des Königtums: einem Menschenpaar unter uns, einem Menschenpaar, aus unserer Heimaterde erwachsen, geht es gut. Sie beide umgibt das Licht, sie beide haben die Macht und die Herrlichkeit, die ein Gipfel von Menschentum ist. Dieses Wissen konnte Trost, könnte Genugtuung sein für viele. So wie im Kreise einer Familie man aus tausend Nöten und Sorgen heraus froh und stolz auf ein einzelnes Glied blicken kann, dem es gut geht. Denn: im Beispiel liegt Hoffnung! –

Aus dem heiligen Willen der Natur – wer hatte doch so gesagt? Die Königin war müde, müde, ja doch, der junge Hirte, nein, der junge Architekt von Paretz hatte dies gesagt – aus dem heiligen Willen der Natur empfing Luise nun die kleine Tochter. Über Charlottenburg stand der hohe Sommer. Sie sollte Charlotte heißen, die hier geboren, und am Geburtstag des Vaters getauft werden sollte. Die Gräfin Vieregg mußte die Einladungen schreiben. An alle, alle Geschwister.

Wie gut war Friedrich Wilhelm. Für den August und den September dieses goldigen Jahres durfte sie all die Ihrigen bei sich haben. –

Friedrich Wilhelm war gut, aber er hatte es nicht gut. Peinvoller Tag, höchst fataler Tag. In den Schloßhof von Charlottenburg rasselten die Kutschen ein. Das Tor, mit dem Stern des Schwarzen Adlers als sonnengleichem, immer wiederkehrendem Ornament, stand offen. Der Hof füllte sich mit Adjutanten, Offizieren. Parademarsch heranziehender Truppen. Außerordentliche Botschafter mußten empfangen werden.

Friedrich Wilhelm, aussehend, als kleide er sich niemals um, stand in seiner blauen Gardeinfanterieuniform schlechtgelaunt in der köstlichen Tressenkammer, mit den Purpur- und Goldborten an den Wänden, barocker Goldschnitzerei an Spiegeln und Decke. Hier hatte Friedrich I. sich glücklich gefühlt. Friedrich Wilhelm tat es nicht.

Graf Haugwitz auch nicht. Er blickte sehnsüchtig die Flucht der Gemächer mit den weißen Türen ins Freie entlang. Wären doch die alten Zeiten noch, da man hier zu Charlottenburg um die letzten Einweihungen in das Rosenkreuzermysterium rang! Jetzt sollte man sich darum kümmern, daß Nelson die französische Flotte vernichtet hatte, französische Soldaten unter General Buonaparte Ägypten eroberten? Mochten sie doch! War es nicht Ausgleich? Flotte geschlagen, Heer siegreich? Köckritz sehnte sich nach seiner Pfeife. »Die Russen und die Österreicher könnten Ruhe geben«, sagte er kurz. »Was brauchen sie sich mit England zu alliieren gegen die Franzosen? Eure huldvolle Majestät haben glorios recht, wie immer: französische Angelegenheiten gehen die Franzosen an. Nicht uns. Parbleu, nicht uns.«

»Bin entschlossen, mich in meiner Politik des Friedens und der Neutralität nicht stören zu lassen«, stieß der König heraus. »Verabscheue den Krieg. Kenne kein größeres Gut auf Erden, als Erhaltung von Frieden und Ruhe. Ist einziges, für Glück des Menschengeschlechtes geeignetes Mittel.«

Er sah dumpf vor sich hin, suchte nach Worten. »Kenne Krieg. Habe Regiment geführt. Fürchte nichts für meine Person. Würde lieber selbst Leben hingeben, als ohne Not Landeskinder opfern. Kann untergehen, aber nicht gegen mein Gewissen handeln. Ich will nicht Krieg.«

Die Gesandten wurden gemeldet.

Der König litt Pein.

Sie blieben sechs Stunden in Charlottenburg.

Friedrich Wilhelm blieb bei seinem: Ich will nicht Krieg.

Er kam zitternd und erschöpft zu seiner Frau. »Laß mich doch teilnehmen, erkläre mir doch die Lage, die dich so beunruhigt«, bat Luise. Er winkte mit der Hand. »Wie geht es dem Kind?« –

 

Sie saßen im Park, unter dem blauen Himmel des August – im Überschwang der bunten Sommerblumen, im Glück der Vereinigung. Bruder George, ein Herr, ein modischer Stutzer mit Lorgnon und eleganten Kleidern knapper, neuester Mode aus England, fing an, Papa zu gleichen. Die Schwester Charlotte, die Freundin Jean Pauls, rührte Luise durch ihr unendlich gütiges Lächeln aus den großen, dunklen Augen. Sie war sehr hold und wich aus, wenn Therese, die Frau Postmeisterin, kategorische Imperative stellte. Ika flatterte zwischen allen, lächelte ihr Grübchenlächeln und antwortete leichthin auf Luisens besorgte Frage: Prinz Louis Ferdinand stürbe wohl nicht aus Sehnsucht. Man wisse doch, nicht wahr, er hätte draußen auf seinem Gut Schricke eine kleine Familie.

So – war das Spiel aus? Ika sagte weder ja noch nein. Manchmal bekam sie Briefe, ward erregt davon und erklärte, nun ja, Prinz Solms sei ein bißchen verliebt, aber was ginge sie das an?

Ikas Kinder spielten mit Luisens kleinen Söhnen. Bruder George war ein würdevoller Onkel. Ach, der liebe Junge. Er feierte gleich dem König Geburtstag in diesem blauen August – Luise lachte und tollte wie einst in Darmstadt und Hildburghausen. War wie ein Wirbelwind überall, und brachte es doch fertig, auf eine unbegreiflich rührende Weise auch jedem kleinsten Wunsche des Königs gerecht zu werden: einsamen Spaziergängen, Zusammenkünften in der Kinderstube, Alltagsgesprächen, ein wenig Musik. Sie schien sich verzehnfachen zu können. Sie erteilte Audienzen, nahm mit dem König kleine Paraden ab – und war doch auch immer da für Schwestern und Bruder.

Plötzlich merkte Luise, die Blicke der Schwestern, des Bruders hatten zuweilen eine gewisse Befangenheit. Wenn sie unvermutet zu ihnen trat, war es, als rängen sie mit Entschlüssen, etwas auszusprechen. Sie führte ein Alleinsein mit Therese herbei.

»Habt ihr etwas gegen mich?« fragte Luise geradezu.

Die Prinzessin von Thurn und Taxis antwortete: »Du weißt, daß wir dich lieben. Lies den Spruch, den ich dir aufschrieb, nimm ihn wie ein Stammbuchblatt, er liegt auf deinem Schreibtisch.«

Luise kam, den ihr so leicht fließenden Tränen nahe, zu der Schwester Charlotte, gab ihr das Blatt, auf dem stand:

»Wem in der Jugend Schönheit und Anmut zu Gebote stehen, der hat einen Empfehlungsbrief an die ganze Welt. Wer aber Schätze des Geistes und des Herzens sammelt, dem wird es stets wohl ergehen, weil das Bessere sich vom Besseren angezogen fühlt, wie die verwandten Stoffe in der Natur überhaupt.«

»Ihr – wißt nicht, wie gerne ich meinen Geist weiterbilden wollte – aber niemand hilft mir.« Die sanfte Schwester streichelte Luisens Hände: »Vergiß das Beste nicht, Luise. Vergiß nicht, daß deine Seele Flügel hat, sie darf nicht immer unter Blumen schlafen.«

Sie waren enttäuscht von ihr, die Schwestern? In einer zornigen Wallung suchte sie Bruder George auf.

»Liebster bester George, hab' ich auch deine Ungnade?« Sie lachte ihn an und erblaßte, als er eine Sekunde verlegen wurde. Sie gingen an der Heroengalerie im Park – die Kinder spielten unfern davon auf dem Rasen. Der Erbprinz stieß heraus:

»Du sollst unser ganzer Stolz sein, Luise. Du sollst auch eine Krone in der geistigen Welt tragen. Sieh, unsere Zeit ist durchpulst von großen Ideen, unser Vaterland ist überreich an großen Geistern, und du – stehst dem so fern –«

Luise ging zu einer Steinbank. Wie hold sie ist, empfand der Erbprinz stürmisch, und er mußte ihr weh tun.

Er riß ihre Hand an seinen Mund. »Luis', Luis', verzeih' mir.«

Sie saß ganz still. In ihren Augen lag der Widerschein innerer Bewegung.

»Ich habe Kinder geboren«, sagte sie, Dämmerung und Dunkel in der Stimme – »Kinder geboren wie tausend und tausend Mütter im Lande. Wir empfangen, wir tragen, bringen und stillen die Kinder. Wir gehorchen dem ewigen Willen der Natur. Ach, lieber George, vielleicht sind die Mütter die Leibeigenen der Erde. Sie tragen keine Kronen des Geistes – sie wiegen in der Wiege ihres Leibes immer wieder kleine Seelen, die dem Leben entgegenträumen.«

Der Bruder schwieg erschüttert. Aber in ihrer biegsamen Lebhaftigkeit war Luise jäh eine Verwandelte. »Ich danke euch, ich danke euch«, rief sie frisch. »Ich weiß doch Menschen, die mir helfen können, wenn ihr fort seid. Die Kleist in Potsdam – die Berg. Die Kleist hat einen Vetter, der Heinrich heißt und Verse macht. Und die Berg liest Goethe und Schiller. Mein Mann liebt es nicht, wenn ich mit ihnen verkehre. Aber ich suche die Wege, ich verspreche es dir, George.«

 

Die Verwandten waren abgereist. Der Hof ging nach Potsdam, Ika auf ihren Wunsch nach Schönhausen zurück. Die Königin besuchte Frau von Kleist und Frau von Berg. Wenn sie etwas von den Büchern, die die Welt bewunderte, kennenlernen wollte, mußte sie es in fremdem Hause tun. Friedrich Wilhelm hatte von Kaminfeuern gesprochen, in denen unnütze Lektüre gar wohl aufgehoben sei. Er liebte es, wenn Luise viel ritt. Er hielt dies für ihre repräsentativste Erscheinungsform. Im Hofe der Kleistschen Wohnung wurde nun manchmal das Pferd der Königin auf und ab geführt, während Luise bei Marie von Kleist saß, das heiße Gesicht über Bücher der Großen aus Weimar gebeugt – –

Im Dezember dieses Jahres – das Berliner Hofleben ging wieder seinen gewohnten Gang – fühlte Luise eine wachsende Beunruhigung um Ika. Sie war lange ohne Nachrichten, ohne Besuch von ihr. Der peinlich genau geregelte Tageslauf der Königin, der Repräsentantin, ließ nicht den Ausflug nach Schönhausen zu. Sie bat den Oberst von Massenbach, einen Vertrauten ihres engeren Zirkels, doch mal sich in Schönhausen umzusehen und ihr direkte Nachricht von der Schwester zu bringen. Massenbach, der der Königin jetzt zuweilen Bücher besorgte, wurde verlegen. Untertänigst, untertänigst fragte er, ob nicht besser eine Dame diese Botschaften einholen solle.

Die Botin aus Schönhausen stand betreten vor Ihrer Majestät. Es tat dieser Auserkorenen außerordentlich leid, Ihrer Majestät berichten zu müssen, daß Ihre Königliche Hoheit die Frau Prinzessin Ludwig Witwe – – etwas ratlos – – und in, in – anderen Umständen war – – Sie und Seine Durchlaucht der Prinz Friedrich von Solms seien sich vertraulich näher getreten, während Ihre Majestäten auf der Reise zur Krönung waren. Da Seine Majestät der König bisher Heiratsplänen Ihrer Königlichen Hoheit so wenig gnädig gestimmt gewesen, habe die Prinzessin noch nicht gewagt, davon zu sprechen.

Luise entfloh in ihr entlegenstes Gemach, weinte vor Enttäuschung und Kränkung über das verlorene Vertrauen der Schwester, über ihren Leichtsinn, über die schauderhafte Lage. Zorn stand auf über die Unbesonnene – wandelte sich in zärtliches Erbarmen. Die Arme! Das kleine Ikamädchen. Wie würde es ihr ergehen? Ach, und nun mußte sie, Luise, vor ihren sittenstrengen Mann treten und ihn um Hilfe bitten für den »Fehltritt« der Lieblingsschwester. Der Weg schien so hart, als sei sie eine fremde, armselige Bittstellerin. –

Der König berief einen Familienrat, beschloß und befahl die sofortige Vermählung dieses ungewöhnlichen Paares. Er schickte den Garderittmeister Prinzen Solms und den Prediger vom Invalidenhaus zu der in Bangen harrenden Ika. Zugleich bekam Solms seine sofortige Rückversetzung zum Husarenregiment nach Ansbach.

Der König diktierte bleichen Gesichts, Luise dürfe ihre Schwester erst wiedersehen, nachdem sie rehabilitiert war. Des andern Tags sollte Ika nach Potsdam abreisen, erst da ihren nunmehrigen Gatten zu der Reise in die »Verbannung« treffen.

Luise fuhr in Gefühlen nach Schönhausen, als sei sie selbst die Büßerin. Ihr Wesen floß hin in Trennungsweh. Sie fand aber keine Büßerin, keine Schmerzbewegte, sondern eine Strahlende, die ihr mit ausgebreiteten Armen entgegenkam und rief: »Gott sei Dank, daß ich dich noch sehe, Luis'. Ich werde jetzt das Glück genießen, was in Hütten wohnt, nicht das, was in Thronen und Kronen besteht. Ich liebe und bin geliebt.«

»Du hattest mich ganz vergessen«, klagte Luise.

Ika umarmte sie mit geläufiger Zärtlichkeit: »Ich bin ja toll glücklich, Luise.«

Luise saß und schluchzte. »O Gott, wenn ich mir vorstelle, daß du fern von uns allen unglücklich werden könntest, Ika, Ika, kennst du denn Solms auch genau, genug?«

»Männer sind immer Überraschungen«, antwortete Ika frisch. Zog aber dann doch ein Mäulchen: »Sozusagen in Nacht und Nebel abreisen zu müssen, ist nicht schön. Hättest du deinen Friedrich Wilhelm nicht um etwas mehr Grace in meiner Affäre bitten können? Nein? Nun, so schmeichle ihm wenigstens ein bißchen, daß du mich bald besuchen darfst.«

Die Königin sah müde vor sich hin. Ihr war es, als zerbräche mit Ikas Abschied ein Stück der Jugend.


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