Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II. Kapitel.

Friedrich Wilhelm befand sich allein in einer kleinen Loge. Der Bruder Louis hatte nicht mitkommen mögen. War auch recht so. Man ist besser mal allein.

Man übersah hier sehr unvollkommen die wichtigen Gäste. Saßen hinter einem Gitter. Wie Nonnen in Klöstern. Kuriös, sollen doch verlobt werden, die jungen Herzoginnen. Und waren wie Inseparables in einem Käfig. Sehr kuriös.

Der Prinz saß steif und nüchtern da, im Hintergrund. Man konnte ihn nicht bemerken. Wenn er selbst nur besser sehen könnte. Diese dummen Fenstergitter. Teilten die Gesichter der jungen Herzoginnen so komisch. Welche war denn wohl die Luise? Die Größere natürlich. Aber sie plauderten immer mit dem Duc de Saxe, mit dem gut aufgelegten Weimar, er bog sich zu ihnen, sie zu ihm. Sie lachten. Ach, es ist doch hübsch, wenn man vergnügt sein kann. Man wäre auch gerne vergnügt. Hat aber nichts zu lachen.

Er hob den schmalen Kopf ein wenig zur Seite, ließ die schlanke, hagere Gestalt in den Lehnstuhl zurückgleiten. Ah, so sah er plötzlich besser.

.

Einen Augenblick lang war Luises weiches Gesicht, überspielt von strahlender Freude, im Rahmen einer Gitteröffnung. Mon Dieu, nein, man hatte nicht zuviel versprochen, welch ein entzückendes Geschöpf!

Plötzlich erhoben sich die jungen Herzoginnen. Der Prinz sah eine Biegung des Nackens, ward betroffen, ward angerührt in seinem Blut. Er sah eine Wendung der hohen Gestalt, stürmisch und edel zugleich. Wie wundervoll sie sich zu erheben vermochte. Auch die Kleine! Da war der Onkel gekommen, Prinz Georg.

Und jählings dachte Friedrich Wilhelm: So möchte ich auch begrüßt werden. Möchte wohl jemand haben, der mir so entgegeneilt, wenn ich vom Dienst komme. Mir ein gutes Wort sagt, ein frohes Gesicht macht, mir den Ärger kalmiert, den humeur épaisiert.

So dachte er, trocken, nüchtern, und doch ging sein Blut einen jähen, fremden Weg und Rhythmus – –

Friedrich Wilhelm fand keine Gelegenheit, die Herzoginnen am Ausgang des Theaters zu sehen.

Es will alles wohl überlegt sein, dachte er, in seinem Quartier angekommen, das er mit dem Bruder teilte. Louis war noch nicht da. Friedrich Wilhelm ließ sich bequemere Kleidung reichen, eine Flasche Wein aufsetzen und schickte die Bedienten weg.

Dann ging er mit steifen Schritten, ein wenig vornübergebeugt, auf eine methodische, pedantische Weise auf und ab im Raume, eher anzusehen wie ein sorgenvoller Magister, als ein Prinz und Kriegsmann. Er schien in sich gekehrt, aber seine stillen, melancholischen Augen nahmen doch jede Kleinigkeit im Zimmer wahr. Schmale Hände rückten einige Bücher in linealgerade Lage. Die Stühle am Tisch standen nicht in Reih und Glied wie Soldaten. Das mißfiel dem Dreiundzwanzigjährigen. Man hat keine geordnete Häuslichkeit. Hat nie eine gekannt. Überhaupt ödes Leben gehabt. Zu oft gehört von Erziehern, daß Verstand nicht lebhaft genug. Das kerbt sich ein. Andere stürmen los in starkem Selbstgefühl, und wenn sie dann Dummheiten machen, lächelt die Welt nachsichtig und redet von Most, der guten Wein verspricht. Selbst muß man alles sehr oft überlegen, weiß dann doch nicht, ob das Richtige getroffen. Hat zu oft gehört, man habe zu wenig Temperament. Das macht scheu. Das läßt festen Willen nicht fassen.

Wieder blieb Friedrich Wilhelm stehen. Da hing ein Kupferstich ganz schief an der Wand. Das ärgerte ihn. Er wollte dem Bedienten klingeln, hatte schon die Hand an der Schelle. Dann zog er die Finger wieder fort. Armer Kerl wird müde sein. Und muß doch auftaumeln vom Schlaf, wenn Bruder Louis kommt.

Warum heißen eigentlich alle Louis und Louise? Der Bruder und die Ferdinandschen in Bellevue, der tolle Vetter und seine ehrgeizige Schwester. Man hatte gesagt, sie wolle Kronprinzeß werden, diese Luise. Aber nein. Friedrich Wilhelm zog die schmalen Schultern höher. Vor der ganzen »Ferdinanderie« hatte er einen gewissen Schreck. Man saß immer auf dem Pulverfaß in ihrer Nähe. Immer gab es eine Explosion. Immer waren sie von irgendeiner leidenschaftlichen Angelegenheit besessen. Nein, nein. Die Herzogin zu Mecklenburg hieß auch Luise. Mußte sehr reizend sein, soviel man durch das Logengitter hatte sehen können. Und wie sie dann aufgestanden war – –

Friedrich Wilhelm fühlte im Erinnern wieder den Kälteschauer im Rücken, fühlte die sonderbare Erregung im Blut. Er zog einen Stuhl aus der glatten Reihe, setzte sich, stützte den Kopf auf die Hand.

Wenn er ein so schönes liebes, blondes Wesen ganz für sich bekommen könnte? Wenn sie zu ihm spräche, ich habe dich lieb, lieber als alle anderen Menschen? Und ich gehöre dir für das ganze Leben?

Wie mußte das sein? Er kannte nichts davon. Andere fanden es gewiß kuriös, daß er nie eine Liebschaft gehabt, daß er kaum zu reden wußte mit jungen Damen. Es ist aber Pflicht für einen Thronerben, sich zu vermählen.

»Na, Fritze, du schläfst wohl mit offenen Augen?« Prinz Louis, der Bruder, stand im Zimmer.

Friedrich Wilhelm erhob sich höflich und verlegen.

»Gut amüsiert im Theater?« Prinz Ludwigs kaltes Gesicht, trotz seiner zwanzig Jahre schon etwas verlebt, war vom Wein gerötet. »Ich sprach den König. Er ist entzückt von den Mecklenburgischen. Wir werden wohl dran glauben müssen. Ich sah sie nicht.«

Ludwig riß sich den blauen Uniformrock auf, warf sich lässig in einen Stuhl und umarmte die Lehne.

»Ich bekomme natürlich die Kleine. Soll apart sein. Nun, ich lege ihr nichts in den Weg, wenn sie sich dann in Berlin amüsiert. Ich amüsiere mich auch. Mein Liebchen wird ein paar Tränen weinen, wenn ihr Abgott zum Altar zieht, und nachher aus Angst vor der legitimen Konkurrenz um so gefälliger sein.«

Friedrich Wilhelm stand schwerfällig auf:

»Verabscheue solche Grundsätze«, sagte er hart.

Prinz Ludwig antwortete mit einer Verbeugung:

»Ich habe sie von Seiner Majestät, unserem allergnädigsten Herrn Vater, geerbt.«

Der Kronprinz machte eine mutlose Geste.

»Ich darf mich beurlauben. Gute Nacht.«

Eine halbe Stunde später war Friedrich Wilhelm noch einmal im Raum. Er hielt einen kupfernen Leuchter in der Linken und in der Rechten seinen Degen. Wollte er jemandes Ehre rächen, ehe noch die Mitternacht verklungen? Nein. Friedrich Wilhelm stieg auf einen Stuhl, hob den Degen gegen den Kupferstich an der Wand und rückte ihn gerade. Dann ging er befriedigt.

 

Die Prinzessin Georg war mit den Enkeltöchtern auf der Fahrt zum regierenden Bürgermeister. Luise saß nachdenklich im Wagen, Ika rutschte quecksilbrig auf den Kissen umher. Lieber Gott, immer waren Fenster und Gitter. Da konnte man all das Leben und Treiben in den Straßen nur mangelhaft sehen. »Großmama, werden wir heimwärts am Hirschgraben bei der Rätin Goethe halten lassen?«

Prinzessin Georg seufzte und wurde ärgerlich. »Wirst du dich niemals daran gewöhnen, daß der Tag seine feste Ordnung hat, Friederike! Bitte, erzähle jetzt nicht wieder allen Menschen von dem unsterblichen Specksalat bei der Goethen. Sonst sagt man mir, ich solle dich wieder in die Kinderstube stecken.«

Ika zog ein Mäulchen: »Ich bin doch nicht so furchtbar töricht, daß ich gar nichts merke. Wir sollen verheiratet werden, wir sollen selbst Kinderstuben gründen. Denn ewig können wir nicht bei der guten Gélieu Psalmen und reformierte Choräle lernen.«

Die Großmutter hob die schweren Lider von den gebietenden Augen. »Wenn du es also weißt, so sieh zu, ob du gefällst«, sagte sie trocken.

Da verlor Ika die lose Tonart. »Oh, Großmämme, müssen wir denn schon fremde Männer heiraten? Können wir nicht noch ein Weilchen tanzen? Weißt du, es muß doch furchtbar sein, wenn man für immer denselben Mann haben soll.«

Prinzessin Georg lachte ein heiteres Pfälzerlachen. »Keine Red', daß ihr müßt. Wir machen die Einladungen hier ab und fahren heim nach Frankfurt. Und wenn ich einmal tot bin, könnt ihr zu Schwester Charlotte nach Hildburghausen und zu Schwester Therese nach Regensburg ziehen und ihren Kindern gute Tanten sein.«

Da brauste die kleine Ika wie ein Wirbelwind auf, turnte in den Vordersitz neben die statiöse Großmutter und sah sie zornsprühend an:

»Wie? Welche Idee! Wir sollen lebenslänglich nur Tanten sein und uns freuen, wenn die verehrungswürdigen Schwäger ein freundliches Wort für uns haben? Nein, ich will meinen eigenen Mann. Einen schönen, richtigen Prinzen, der mir drei Kammerfrauen hält und mich auf den Händen trägt und alles schön findet, was ich tue. Und mich Tag und Nacht bewundert und mir alle hübschen Sachen kauft.«

»Ja, ganz so sind die meisten Ehemänner«, antwortete die Prinzessin Georg. »Erzähle das den Prinzen. Füge Specksalat und Eierkuchen und Pumpbrunnen der Rätin Goethe bei, vergiß auch ja nicht, zu sagen, eure Katz' hat sieben Junge, und deine Strümpfe und Schuhe haben alle Tage Löcher. Ich bin nicht bange, daß du dann Furore als ein Hofnärrlein machst!«

Enttäuscht lehnte Ika sich auf ihren Sitz zurück. Schweigend wurde die Fahrt fortgesetzt – –

Großer Augenblick! Man betrat die festlichen Räume. Ika warf ihre flinken Schwalbenblicke. Da war ein Offizier, stolz, seltsam, vom Hauch der großen Welt oder der Fremde umwittert.

Sie taumelte eine Sekunde vor Bezauberung. War rasch wie eine Eidechse, gewandt wie eine Siegerin: dieser Offizier mußte sich nähern.

Da ward er auch schon ihr und Luisen vorgestellt:

»Graf Medem aus Kurland.«

Ikas Herzchen flatterte auf. Sie fuhr schon in einer Kutsche nach Mitau. Sie hörte schon die baltischen Meere rauschen.

Der Graf Medem aber, hochmütig, als wär' er ein Kaiser, klug, ein ganz großer Herr, und zugleich angeweht von der ewigen tiefen Schwermut der russischen Seele, verstand im Augenblick: den süßen blonden Herzoginnen klang Kurland auf, wie ein Märchen. Sie sollten aber in kein Märchenland, sondern sachte nach Berlin geleitet werden. Und so sagte er, kälter als sonst seine Stimme klang:

»Seine Königliche Hoheit der Kronprinz von Preußen und Seine Königliche Hoheit Prinz Ludwig von Preußen sind voll Ungeduld, den durchlauchtigsten Herzoginnen vorgestellt zu werden.«

Eine Wendung, eine kleine Pause, ein neues Bild:

Vor Luise und Ika verbeugten sich die Söhne Friedrich Wilhelms II. –

Der Reichsgraf von Medem hatte seinen Tischplatz so, daß er die beiden jungen Paare überblicken konnte, selbst aber ein wenig verborgen war mit der schönen Frau Bethmann, die gar gern von Kurland hörte. Es war nicht schwer, sie zu unterhalten. Der Graf besaß ein gutes Repertoire, und die Beredsamkeit war bei Medems überaus heimisch. Sie vertraten die Stimmen von ganz Kurland. Geläufig ging es über Elise von der Recke und ihre Erlebnisse mit Cagliostro, von ihrem ungestillten Glauben an das Hereinragen überirdischer Dinge in die unsrigen. Dies hörte Frau Bethmann gern, besonders in Zeitläuften, die so wirr und aufgeregt waren und die irdischen bedrohten.

Der Graf, noch die Fassade des Geheimnisses, für sich selbst lange kein Rätsel mehr, sah gerührt, wie drüben diese beiden blonden Kinder Germaniens, diese süßen jungen Herzoginnen ohne viel Bemühung, mit der Kraft ihrer lebensvollen Wärme, an dem hölzernen Ladestock aus Potsdam, dem Kronprinzen, modelten. Man verstand kein Wort, was sie sagten. Dazu war das Stimmengewirr im Speisesaal zu groß. Man sah nur ihr Lächeln, das eine pikant, das andere hold und – schmerzhaft für einen, der ausgeglüht war wie der Reichsgraf von Medem.

Die Gesellschaft wurde aufmerksam, das merkte man unter all ihrer Form und Diskretion. Denn Friedrich Wilhelm erblühte zusehends. Dem Grafen fiel eine biblische Erzählung ein, von einem dürren Stab, der jählings Leben erhielt.

Wunder und Zeichen.

Man stand von der Tafel auf.

Die vornehmste Dame, Prinzeß Georg, hielt Cercle. Pomphaft und statiös stand sie da, ihre huldvollen Reden mit taktmäßigen Fächerbewegungen bekräftigend. Graf Medem hatte seine guten Bekannten im Saal. Man flüsterte bereits, die Verlobung der preußischen Prinzen mit den mecklenburgischen Herzoginnen sei eine beschlossene Sache. Das gab dem Grafen eine kleine Anregung. Er nahm einen Augenblick wahr, in Luises Nähe zu gelangen, und ein Gemälde von Seekatz, das eine etwas entfernte Wand schmückte, bot den Anlaß, sich in seiner Betrachtung etwas zu isolieren. Es war immerhin von Wert, sich mit einer künftigen Königin bekannt zu machen. Und welch eine anmutige Königin würde dieses junge Wesen sein!

»Durchlauchtigste Prinzeß erinnern sich wohl aus Erzählungen, daß im Goetheschen Hause hier der Graf Thorane, der sogenannte Königsleutnant, wohnte. Er bestellte viele Bilder bei dem Meister Seekatz und nahm sie mit in die ferne Touraine.

Darf ich fragen, ob Durchlauchtigste Prinzeß auf Ihrer niederländischen Reise die großen Gemäldegalerien des Landes besucht haben?«

Sie antwortete frisch, daß sie noch nichts von Gemälden verstünde, es gäbe überhaupt noch sehr viel, wovon sie nichts wisse.

Der Graf bezweifelte höflich und lenkte rasch und geschickt das Gespräch. Seine geübte Menschenkenntnis wußte bald, eine Femme savante war und würde sie nicht. Auch der heiße Atem ursprünglicher Genialität war ihr nicht geschenkt. Man sah das wohl auch schon den weichen, tief aus weiblichster Weiblichkeit geborenen Formen des blühenden Gesichtes an. Doch ein Anderes, ein Unwägbares in seiner Entwicklung ging von dieser so sehr holden Gestalt aus: eine Schönheit des Herzens und der beglückende Widerschein, mit dem Gefühlswärme die Dinge um sich vergoldet.

Sie war noch ungelenk im Wort. Sprach zwei Sprachen durcheinander, keine korrekt, keine eigentlich distinguiert. Sie fügte rheinische Mundart in ein höfisches Französisch. Aber alles strahlte an ihr von Jugend, von unbewußter Lebensfreude, von einem lichten Menschenglauben.

Graf Medem war noch mitten im Gespräch, wünschte noch, diese Blume – es gab kein selteneres Wort für sie, aber auch kein besseres – möchte sich noch freier ihm erschließen.

Da trat Friedrich Wilhelm heran. Wie immer hackte er seine Worte heraus, wie immer sprach er, als sei er sehr beschränkten Horizontes. Aber er lächelte scheu und zart, und in den melancholischen Augen glomm ein rührendes Licht auf:

»Darf fragen, ob Prinzessin mir heute abend Ehre erweisen, ersten Tanz, ja, und zweiten Tanz –«

Luise neigte mit einer unnachahmlichen Bewegung den Nacken.

Friedrich Wilhelm errötete.

Der Reichsgraf von Medem trat mit einer tiefen Verbeugung zur Seite. Er war Luisen gut. Und er wußte plötzlich: Wenn sie sich dem Kronprinzen anverloben soll, darf sie Prinz Louis Ferdinand zuvor nicht sehen. Darf sie dem großen Bezauberer nicht in seine verwirrenden Augen blicken.

Das muß verhindert werden.

Kaum war man zu Hause von diesem Frühstück, kaum hatten die Schwestern einen Augenblick Zeit, sich auszusprechen, wie ihnen die Prinzen gefallen, so trieb die Großmutter zu höchster Eile an. Umkleiden, Balltoilette machen, erneut in Form sein. Denn: es kam ja vor dem Ball allerhöchster Besuch! Ika bedrängte ihre Luise mit Fragen, ob man wohl den Reichsgrafen von Medem wiedersehen würde. Und ob er Herzog von Kurland werden könne. Und ob Luise bemerkt hätte, daß er Augen auf Ika geworfen, fürchterliche und wunderschöne Augen. Wie ein Wieselchen lief die grazile, flinke Ika durch den Raum, warf ihren Putz durcheinander, wählte, probte, zerrte Musselinschals aus Schachteln, drapierte sich damit, drehte sich vor Spiegeln. »Was hast du nur, Luis', denkst du an den hölzernen Kronprinzen? So rede doch!«

Luise war versonnen. »Ikamädchen, kannst du denn keinen Augenblick stille sein?«

»Prinz Ludwig hat mich gefragt, ob ich schon viele Verehrer hätte. Ich habe natürlich geantwortet: Tausende. Gefällt dir Prinz Ludwig? Willst du ihn vielleicht lieber als Friedrich Wilhelm? So sage doch ein Wort, Luise!«

Luise schwieg.

Die unermüdliche Schwester hatte schon eine neue Frage, wurde aber abgelenkt durch Geräusch unter den Fenstern:

.

Am »Weißen Schwanen« fuhr des Königs Majestät vor. Aufruhr in der Gasse. Hundert Gaffer. Vivatrufe. Alte und junge Rücken, die sich beugten. Weiber und Damen, die, von dem Ereignis überrascht, schnell eine Wirkung ihrer Gestalten anstrebten.

Der König stieg aus, blieb stehen, gönnte seinen Anblick. Er schien sogar ein Scherzwort zu vergönnen.

Komisch, dachte Ika, die Zuschauerin von oben. Denn wer hätte es vermocht, ihr den Fensterplatz zu verbieten, den erspähten Ausguck hinter einem Gitterladen? Komisch. Die jungen Prinzen standen steif wie bejahrte Generale, der Vater war munter wie ein fröhlicher Leutnant. Sonst ist das umgekehrt in den Familien, dachte Ika. Und dann rief sie ins Zimmer zurück:

»Luis', müssen wir uns jetzt auf der Stelle verloben?«

.

Graf Medem war in seine Wohnung geeilt, hatte sich umkleiden lassen und Pferde befohlen. Nun ritt er, von seinem Diener gefolgt, die Zeil' hinab, hielt vor einem Musikaliengeschäft an und fragte den Inhaber herrisch nach dem Allerneuesten aus Leipzig und Berlin. Nun, da kamen so allerlei Sachen der Modekomponisten; gut, gut, einpacken. Aber gibt es gar nichts Frisches, Anregendes?

Da trippelte der alte Ladenbesitzer in sein Hinterstübchen und kam mit einer Rolle zurück. Hier sei etwas in Handschrift, durch günstigen Zufall bekommen. Von einem vielversprechenden Talent in Bonn, einem gewissen Herrn van Beethoven.

»Gut, gut. Nehmen wir noch mit.« Graf Medems dunkles Gesicht überspielte Ironie. Mit etwas Geschicklichkeit und diesen neuen Musikalien würde es wohl gelingen, den Prinzen Louis Ferdinand heute abend dem Ball fernzuhalten. Er brauchte diese entzückende Luise von Mecklenburg nicht zu sehen, ehe sie verlobt war. Versprochen zu sein, würde für diesen Charakter bedeuten, einen ewigen Schwur getan zu haben. Medems große braune Augen blitzten auf. Es war auch nicht nötig, daß Louis Ferdinand die kleine Schwester erblickte, ehe sie in feste Hände kam. Spielen wir ein wenig den Hüter der Tugend.

Der unruhige Prinz hatte, eigenwillig wie immer, ein »Frühlingsquartier« vor der Stadt bezogen, ein kleines Patriziersommerschlößchen, das sein Wohlgefallen erregte. Graf Medem fand den Prinzen mit Schreiben beschäftigt und in Fritzischer Jugendtoilette, einem seidenen Schlafrock über einem barock garnierten Batisthemd, das höchst unvorschriftsmäßig aus Reithosen quoll.

Immer echt, dachte Medem spöttisch, Genialität muß sich auch in Kleidung und Unordnung ausleben.

»Untertänigst, untertänigst, störe ich doch Hoheit nicht? Ich wäre untröstlich.«

»Was für Flausen«, rief der Prinz, sprang auf und schüttelte Medem kordial die Hand.

»Untertänigst, untertänigst. Sind wohl verrückt, Graf?«

Medem verzog den Mund. »Bin noch so leidlich bei mir, Hoheit, komme nur von einem Déjeuner dînatoire, wo ich, untertänigst, untertänigst, Ehre hatte, allerhöchsten jungen Herrn aus Potsdam zu sprechen.«

»Großer Gott, verstehe, verstehe. Ich muß Sie entwickeln, Medem, entwickeln aus den Banden der steinernen Langeweile. Sind die königlichen Prinzen heute abend auf dem Ball? Ja? Die kleinen Mädchen aus Mecklenburg auch? Lohnt es sich, hinzugehen?«

»Sicherlich, mein Prinz. Die jungen Herzoginnen besitzen eine imponierende Großmutter. Eine wahre Feldherrin. Ich wette, die brächte tausend Enkelinnen unter die Haube.«

Der Prinz sah belustigt auf. »Ist die Prinzeß Georg denn so reich? Das wäre ja eine Neuigkeit.«

»Reich? Ja, an Tugend, an Frömmigkeit, an Moral.«

»Na – und die Prinzessinnen?«

»Sind wohlgeratene Enkelinnen. Nicht nur Äpfel fallen nicht weit vom Stamm, auch Enkelinnen, mein Prinz.«

»Enkelinnen! Welch ein Wort«, rief der Prinz lachend.

»Jawohl, Enkelinnen. Und mit Darmstädter oder Pfälzer Dialekt.«

»Dieu m'en garde!«

Louis Ferdinand klingelte, befahl einen Imbiß, wandte sich dem Grafen wieder zu und stieß hastig heraus: »Da versitzt man seine Tage, schlägt die Zeit tot – und irgendwo am Rhein könnte man die süßesten Stunden haben.«

Medem überreichte seine Noten.

»Ein Ritt nach Mannheim, Hoheit, was will das für einen so kühnen Reiter besagen?«

Der Prinz stürmte durch den Salon. Sein seidener Schlafrock fegte über Stühle, über Sofas hin, die mit Büchern und Zeitschriften behäuft waren.

»Sie haben gut reden, Medem. Ich kann nicht jeden dritten Tag Urlaub erbitten.«

Der Prinz eilte ans Klavier. Es verrann eine, die andere Stunde. Der Kammerdiener kam und meldete, es sei die höchste Zeit, daß Hoheit sich zum Ball ankleiden ließe.

Louis Ferdinand winkte ab. Medem lächelte.

Nun mochten drinnen in der Stadt die Söhne des Königs schon den Ball mit den jungen Herzoginnen eröffnen.

Wieder kam der Lakai, diesmal mit flehender Miene.

Da sprang Louis Ferdinand auf, warf einen Blick nach der Kaminuhr.

»Weiß der Himmel, Medem, wir müssen uns wirklich eilen.«

Auch Medem hatte sich erhoben. »Schade, schade, mein Prinz. Ich habe da nämlich noch ein Musikstück, frisch aus der Feder des Komponisten. Eine Sonate. Soll ein sehr begabter Bursche sein, der dies geschrieben hat.«

Louis Ferdinand griff hastig nach dem Manuskript, las einige Takte, las gefesselt weiter – und stürmte wieder zum Klavier zurück.

»Medem, das scheint mir ganz frappant –«

Der Lakai ging kopfschüttelnd hinaus.

Medem ließ sich behaglich nieder in einen Sessel fallen. Aber plötzlich horchte er auf. Wie anders diese Musik klang, wie neu. Und er sah des Prinzen kühnes Gesicht mit angespanntem Ausdruck sich über die schwer leserlichen Noten beugen, hörte Töne von wunderbarer Kraft und Seltsamkeit aufklingen –

»Das ist, das ist etwas ganz Ungeheuerliches«, rief der Prinz.

Medem lächelte: nun war er versorgt, nun war der schöne Verführer fern von der allerholdesten Prinzessin.


 << zurück weiter >>