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VII. Kapitel.

Goldener Tag! Triumph über Schmerzen und bängste Not, Triumph über das Schwanken von Angst und Hoffnung. Goldener Tag: Luise lag matt und selig müde, und der Kronprinz hielt das Kind in den Armen, den Erben der preußischen Krone: den neuen, ganz winzig kleinen Friedrich Wilhelm. Wem glich das Fritzchen? Es waren gar keine Zweifel: der Mutter. Blauaugen und ein rundes Gesichtchen und ein Schöpfchen blonder Locken hatte es mitgebracht.

Luise strahlte vor Glück, war rasch genesen und wollte eine Tauffeier mit höchstem Glanz. Stafetten nach Darmstadt und Neustrelitz wurden abgesandt. Zu der Witwe Friedrichs des Großen begab sich Luise selbst, die Invitation zu machen. Sie fand die Achtzigjährige bei der Lieblingsbeschäftigung ihrer ja so zahlreichen Mußestunden: auf einem goldenen Rokokoschreibtisch lagen Broschüren, Bücher, beschriebene Blätter: die Königinwitwe übersetzte. Sie arbeitete gerade an »De la destination de l'homme« und gleichzeitig an »Leçons de morale«. Ja, ja, die Witwe Friedrichs des Großen übertrug Spaldings »Bestimmung des Menschen« und Gellerts »Moralische Vorlesungen« für ihre hohen deutschen Verwandten in die deutsche Bildungssprache, das Französische!

Luise sah darin keine Ironie, nur einen rührenden Fleiß. Die alte Königin lachte herzlich: »Kindtaufe? Kindtaufe. Habe mein Lebtag keine Kindtaufe abgehalten. Mein großer Gemahl, der Philosoph von Sanssouci, war nicht für solche bürgerlichen événements. Er begnügte sich mit Neffen.« Sie kicherte listig: »Haben hoffentlich netten Neffen beigebracht, liebes Mädchen?« Die arme alte Königin war ein bißchen wunderlich geworden.

Luise feierte den Ehrentag in vollem Glanz. Was hatte ihr Fritzchen auch für Paten: die Kaiserin von Rußland, den Kaiser, die britischen Majestäten. Nun, sie waren nicht zugegen. Aber der König, die Königinnen, Prinz und Prinzessin Henri aus Rheinsberg, Prinz und Prinzessin Ferdinand, ach, und der allerliebste Papa, der allerliebste Bruder George umgaben die junge Mutter. Sie wußte kaum, wen sie mehr küssen sollte an diesem Tag: das Fritzchen oder den George.

Nun folgte ein stiller Winter. Luise lebte ihrem Bübchen. Über die Voß war eine Rache hereingebrochen: sie hatte jetzt ihrem Tagebuch keine Affronts mehr anzuvertrauen, sondern sie mußte von großer Einförmigkeit berichten. Aus dieser hob sich aber doch ein phänomenales Karnevalsfest, eine Redoute im Opernhaus.

Im wilden Treiben des Balles konnte Luise nicht die Hüterin der Schwester sein. Sie war unaufhörlich beansprucht und wußte nun, daß alle Anwesenden von Rang ein Recht auf die »Huld« der Kronprinzeß hatten. Und da waren viele Anwesende von Rang: Ausländer, deutsche Prinzen, vornehmste Damen: die Herzogin von Cumberland, die Radziwills, Solms, Gualtieri, Wengersky, und ach, eine Flut wechselnder Aufführungen. Man mußte denken, es gab keine Sorgen, keine Armen, keine politischen Probleme im Land, wenn man dieses üppige Fest sah, und die wilden, lebenslustigen Offiziere von den Regimentern Garde du Corps und Gensdarmes. Ob sich Prinz Louis Ika wieder genähert hatte?

Ika schwieg.

Eine andere Angelegenheit kam. Die oranische Familie war aus Holland vertrieben. Der Erbstatthalter, Schwager des Königs, flüchtete, sein Sohn war mit Friedrich Wilhelms Schwester Mimi vermählt. Dieses junge Verwandtenpaar kam, von einer Reihe holländischer Familien begleitet, nach Berlin. Luise fühlte stolz, daß die Freundlichkeit den Vertriebenen etwas bedeuten könnte. –

Wundervolles brachte der Sommer: die erste Reise ins Ursprungsland und zu Vater und Bruder.

Sie überraschte Papa, der nun souveräner Herzog war, in Hohenzieritz.

Rosen leuchteten über den Gärten –

Jäher Wechsel.

Die blonden Schwestern waren plötzlich Krankenpflegerinnen. Sie taten es erst mit lieber, leichter Hand – und dann in quälender Sorge. Prinz Ludwig lag an einer schweren Halsentzündung, den Kronprinzen überfiel die gleiche Sache.

Luise pflegte ihren Mann. Er war wehleidig, sie übereifrig. An den Mienen des Hofarztes Brown sah sie plötzlich, es bestand Gefahr. Sie verwachte schauernde Nächte. War wie gebadet in Angst. Ein Morgen brachte die Nachricht, daß Ika Witwe geworden sei.

Der Kronprinz genas.

Ika, kleine geliebte Ika. Ihre Hofstaaten feierten sie wie eine Märtyrerin. Sie hatte dem Kranken alles Gütige erwiesen. Sie war wie eine kleine, rührende Mama zu ihm gewesen. Nun wogten Trauergewänder um sie, und sie besaß drei winzig kleine Kinder und war Witwe. Eine Verlassene. Der Kronprinz beweinte seinen Bruder. Für ihn ward Ludwig durch seinen jungen Tod ein Edelster geworden. Für die Witwe nicht. Trauergeläut dröhnte über der Stadt. Jeden Mittag, viele Wochen lang. Es hatte noch nicht geendet, da klangen die Glocken vom Dom für eine wunderliche Erdenpilgerin: die Witwe Friedrichs des Großen.

In Krepp und schwarze Wolle eingehüllt war Luisens Helle. Sie erwartete wieder. Für den März. Den blauen März. Der König schenkte Ika das Schloß Schönhausen bei Berlin zum Witwensitz. Sie lächelte ein kleines, spöttisches Lächeln über diese Wahl: er war wohl der habituelle Sitz für die ungeliebten Hohenzollernfrauen? Dann ergriff sie jählings mit Feuer den Wechsel.

»Ich kann dort mein Wesen treiben, wie ich will«, sagte sie der über die kleine räumliche Entfernung weinenden Luise.

»Dein Wesen treiben, Ika?« Angst lag im Ton.

Ika strich über ihr schwarzes Kleid. »Siehst du, Luis', mein Friedrich, das Friedrikchen, der Karl und ich, wir sind zusammen nicht ganz zweiundzwanzig Jahre alt. Laß uns nur unser kleines Wesen treiben, sei nicht bange.« –

Der Kronprinz war wieder frisch und gesund. Er mußte im »langen Stall« zu Potsdam seine blauen Soldaten exerzieren, in dem fürchterlich kalten Schloß wohnen. Er schrieb ihr alle Tage getreulich einen Brief. Sie lachte, Friedrich Wilhelm hatte ein Geheimnis. Friedrich Wilhelm hatte einen Ort »Still im Land« gefunden, wo er bauen wollte und sie damit überraschen. »Hast du das Paradies entdeckt?« neckte sie. Er antwortete: »Die drei ersten Buchstaben stimmen. Und nun suche es auf der Landkarte.« Der Kammerherr von Massow mußte Landkarten herbeischleppen. Luise war darüber gebeugt wie ein Feldherr. Suchte, suchte, suchte. Wo lag um Potsdam etwas, das wie Paradies anfing? Es war eine schlechte, erbärmliche Landkarte. Die Vossin wurde gerufen.

»Liebe Frau von Voß, wie heißt der Ort bei Potsdam, der wie das Paradies anfängt?«

Der alten Vossin fuhr heraus: »Oranienburg.«

Und dann errötete ihr pergamentnes Gesicht, und für Sekunden verlor die Oberhofmeisterin die Fassung. Luise reichte ihr spontan die Hand. »Ja, nicht wahr, wo wir jung gewesen sind, lag immer das Paradies.«

Die Vossin schluchzte: »Engel von einer Prinzessin.«

Luise fand, es sei wirklich nicht so schwer, sich beliebt zu machen und Oberhofmeisterinnen zu bezwingen.

Draußen in Oranienburg, wo die Hecken des Le Notreschen Gartens nun wie eine freie Wildnis wucherten, war einst die kleine Sophie Marie von Pannwitz – nicht die Mätresse ihres angebeteten Prinzen August Wilhelm geworden. Sondern eine Vossin. Aber der Sohn des Abgotts, der machte dann die Nichte, die Juliane von Voß, zur – Mätresse.

»Liebste Voß, schicken Sie doch Kundschafter aus, ich muß wissen, wie der Ort um Potsdam heißt, der wie das Paradies beginnt.«

Die Vossin sank in ihre Verbeugungen, entrauschte. Aber schon rief die Kronprinzeß: »Mir wird eigentlich recht sonderbar, bleiben Sie lieber.«

Die Voß begriff gleich. Mr. Brown mußte gerufen werden. Doch er kam eigentlich als ein Überflüssiger.

Überraschend und leicht, mit einem schier unerhörten Takt, verließ ein kleiner Prinz die schöne Mutter und zeigte ihr, wie sie ihn geweckt hatte für diese Erde: zeigte ihr ein vornehmes, zartes Gesicht, das zu ihrer Wonne dem Vater ähnelte. Dem Erwarteten war längst der Name Wilhelm bestimmt.

»Wilhelm ist da«, lächelte Luise.

Sie fühlte sich grenzenlos glücklich. Nun konnte sie wieder ihre ganze Familie zusammentrommeln zur Taufe. Schon deshalb allein war es entzückend, Kinderchen zu bekommen.

»Die Kinder sind wie eine Badekur für sie«, urteilte man am Hof und im Publikum. »Nach jedem wird sie schöner.«

Viel Schonzeit hatte Luise nicht. Gleich waren wieder alle Anforderungen ihrer Stellung da. Sie schrieb dem Kronprinzen nach Potsdam hinaus:

»Denke nur, Heinitz war gestern bei der Voß und hat ihr gesagt, er wisse, daß er unhöflich sei, aber trotzdem würde er morgen mit diesem schwedischen oder dänischen Maler kommen und mich porträtieren lassen, weil die Akademie, die Porzellanmanufaktur, kurz alle Welt danach begehre und schreie. Wohl oder übel muß ich dran.

Lebe wohl, ich will meine Anmut ausruhen, um für den heranbrechenden Morgen frischer zu sein. Du lieber Kriegsknecht, bleibe mir treu und gut, und mache mich stets so glücklich, wie ich es nun drei Jahre durch Dich bin.

Deine Luise«

Friedrich Wilhelm hatte längst enthüllt, wie der Ort hieß, der wie Paradies begann: Paretz. Nun wollte sie es sehen! So fuhr man, den Wagen offen, hübsch allein. Die Hofstaaten für sich.

Sie war so ganz selig. Aus den Gärten um Sanssouci rief der Kuckuck. Alles stand in lichtem Grün. Über den Teichen um Bornim hingen die Schleier der Weiden. Frösche riefen ihr wunderliches Lied. Ein Buchengehölz tat sich auf, eine smaragdene Kuppel, zauberhaft von den grauen Säulen der Stämme getragen. »Das ist ja schon das Paradies«, lachte sie versonnen. Dann wurde das Land anders. Düsterer. Die Felder kamen, auf deren Sandboden man fast die Hälmchen zählen konnte, Wiesen kamen, und plötzlich, o Glück, war's, als sei man daheim, daheim in der Bergstraße: all die Fruchtbäume an den Straßen über der sanft gewellten Ebene standen im Blühen, weiße, rötliche Himmelswolken hatten sich herabgesenkt, umhüllten den Weg. Luise sprang im Wagen hoch, breitete die Arme aus: Frühling, Frühling!

Anderes Land dann: Moorgrund mit Dämmen über geheimnisvollen Wassern. Sonderbare Gesichter zuweilen: Leute mit düsteren Augen, in denen vielleicht noch Spukbilder von Wendengöttern träumten. Ginster blühte, ach, wie zu Hause im Reich, am Neckar.

Und endlich kam ein grünes, lichtes Eiland – ein Dörflein, kam Park, hinfliehend zum See.

»Das wird unser ›Still im Land‹ sein, Luise, unser Paretz.« Und Friedrich Wilhelm lachte: »Hier wird uns so leicht niemand stören.«

Luise mußte laufen, rennen, alles besehen. Wirr genug lag es noch: Reste eines abgebrochenen Hauses, Mauern eines neuen. In aller Heimlichkeit hatte ihr Fritz bauen lassen! Ein langgestrecktes Herrenhaus mit einem Geschoß, das noch kein Dach besaß.

»Zum Herbst ziehen wir ein, Luise.«

Er stellte ihr Menschen vor: den Oberbaurat Gilly und seinen Sohn. Luise entschied, der Sohn solle sie führen. Köckritz und die »Voto« tappten herbei über den Bauplatz. Sie riefen: »Süperb« und »Köstlich« und sahen wahnwitzig enttäuscht aus. Die Einöde quälte sie schon jetzt.

Luise ging, mit dem jungen Friedrich Gilly alleingelassen, nachdem der Kronprinz ihr die Pläne erklärt. »Er sagt, man müsse eine Dame kennen, für die man Räume ausgestaltet, lasse dich kennenlernen«, betonte Friedrich Wilhelm.

Sie blickte in das Gesicht des jungen Architekten und ward seltsam angerührt. Es kam ihr vor, wie die Antike die Gesichter der Hirten oder der jungen Götter geformt hat. Gab es dies Widerspiel noch in diesen Zeiten?

»Sie sind aus der Kolonie?« fragte sie kurz.

Gilly bejahte. »Sie waren in Rom?« brachte sie einen Hinweis des Kronprinzen an. Gilly lächelte, sprach ein paar Worte, Musik in der Stimme und ein fernes Leuchten in den Augen. Ihr war, als rührten seine Worte ein Erinnern an. Vielleicht an die heidnischen Mythen und Sagen, in denen die Götter über die Erde schritten. Er sprach von dem Tempelgleichen, das jedes Haus tragen sollte. Denn war nicht jede Wohnung, auch der einfachsten Menschen, eine Kultstätte für den heiligen Willen der Natur oder die göttliche Kraft des Geistes?

»Sie sind Maçon?« fragte Luise unbeholfen. Friedrich Gilly lächelte. Nicht so, wie die Prinzessin meine. Nicht in Geheimbünden voll wirrer Zeremonien sind Zuflüsse zu suchen für den bildenden Künstler. Daß der Geist die Natur durchdringe und ihr letztes Wesen in Form erfasse, ist der Weg des Bildners.

Form? Geist? Luise kannte Etikette und kalvinistischen Protestantismus. Und einen Hauch aus Herder und Jean Paul. Sie fühlte schamvoll ihre Grenzen.

»Form und Geist«, sagte Friedrich Gilly, »spiegelt auch der Tanz. Er ist das Sinnbild von jenem ewigen Rhythmus, der durch das Weltall und durch unsere Adern rinnt.«

Sie hing an seinen Lippen. Ihre schönen Augen baten unbewußt. Der junge Gilly lächelte. Dort war eine Bank, ein paar Steinplatten, einfach geschichtet. Wolle Ihre Hoheit etwas verweilen? Er stand in ihrer Nähe, an einen Bergahornbaum gelehnt. Der blühte schön in dunklem Grün und von der Farbe des Blutes durchpulst.

.

»Ein Zimmer soll vom Geist des Bewohners Zeugnis geben, – wie das Denkmal vom Geist des großen Menschen, der Tempel vom Geiste Gottes.«

»Wie können wir uns vermessen, den Geist Gottes zu begreifen?« fragte sie rasch, in Temperament.

»Des erfaßten Gottes! Die Tempel, von Menschen aller Jahrhunderte, aller Himmelsstriche errichtet, geben Zeugnis davon, wie Menschengeist und Menscheninbrunst sich mühten, das Ewig-Verhüllte zu erfassen. Gott im Sinnbild der Sonne, des Zeus, des Jupiter und des Gekreuzigten. Gott als die ewige Quelle des Lichtes, der Fruchtbarkeit und des Ideals.«

Er hatte wie träumerisch eine schmale, feingliederige Hand zu den beschwingten Blütenbüscheln des Ahorns erhoben.

»Des Ideals?« Ihre Lippen waren wie dürstend. Friedrich Gilly, die Hand spielerisch teilend, ließ Blüten zur Erde fallen.

»Das Ideal ist die Erlösung von Zweck und dem Joche der Notdurft. Die Erlösung von der Erdgebundenheit. Es wird einmal für die Menschheit der Kreislauf vollendet sein, daß immer wieder die Urseelen zurücksuchen in eine neue Form der Inkarnation. Daß nicht mehr Frucht aus der Blüte wird, sondern Geist. In den Domen der alten Kirche steht heute in seiner ewigen Anmut das Bild der Madonna: der Mutter. Aber die Welt wird sich vollenden im Bilde der Flamme, die ihre Inbrunst und ihre Bestimmung allein sieht in der unendlichen Verbindung mit Gott.«

Sie, umflossen vom Schimmer der Jugend, sagte wie singend: »So wäre Sterben – einmal – fast schön? So würde der Tod – zum – Ideal?«

»Ja, denn dann würdigt uns Gott seiner Freundschaft.«

Der Blick des Künstlers umfaßte die Zärtlich-Schöne.

»Ich werde in die Zimmer Eurer Hoheit etwas von all den lieben Dingen der Natur bringen. Pflanzen und Blumen und Vögel und Schmetterlinge. Die Räume sollen vom immer sich erneuernden Leben sprechen. Ist es nicht süß, zu wissen, es gibt ein ewiges Erblühen? Der Stein, dem wir Form geben, war er nicht einst das Herz der Wasser, das Herz der Erde? Und die Blume ist das Lächeln Gottes, das Tier das Spiel seiner Kindheit – Es wird schön sein, dieses Haus zu gestalten.« Und er lächelte hinüber auf die rohen Mauern.

In Luise schwebte ein Dankgefühl. Sie konnte es nicht besser ausdrücken, sie sagte: »Und schön werden Sie einmal Ihr eigenes Haus erbauen. Und welchen Göttern wird es geweiht?«

Er lächelte sein Hirtenlächeln aus tiefer Versunkenheit: »Den Göttern der Freundschaft.« Das Wort verwehte, ehe sie es ergreifen könnte. Der Kronprinz kam. –

Der Sommer war verwirbelt, verglüht. Die Blätter gilbten schon.

Wieder fuhr die kronprinzliche Familie nach Paretz. Diesmal mit dem ganzen Train. Mit allen Hofstaaten, allem Gepäck und den beiden Prinzen.

Die Schritte der Hofstaaten klapperten hinter Luise, als sie mit Friedrich Wilhelm durch die neuen Zimmer schritt. Die »Voto«, auf hohen Stöckeln, rief taktmäßig ihr »Süperb« aus, Köckritz breitete Wohlgefallen über sein gutmütiges und tüchtiges Kartoffelgesicht, Massow wippte elegant seine Fülle. Süperb. Scharmant. Exquisit. Und die Schritte klappten. Luise durchflog die Zimmer der Front. Das Schlafgemach mit dem Betthimmel. Wie reizend, ihr Schreibtisch, ihr Spinett waren da. Die Salons. Ach, überall Blumen, Vögel, Schmetterlinge. Und die schönen, schönen Möbel. Alles ein wenig griechisch, wie jetzt die Kleidung wurde. Sie lief die eine Front hinauf, die andere, nach dem Garten, hin zum See, zurück. Da waren Zimmer für die kleinen Prinzen, eng anschließend in gleicher Flucht an ihre Wohnräume.

Sie blieb versunken stehen: alles war neu, alles war einzig für sie: in lichten Farben, in heiteren Maßen, – kühl, rein und geschmückt mit leicht stilisierten Pflanzen und Vogelgestalten. Sie versuchte zu erfassen: was sie hier sah, sollte das Widerspiel ihrer Natur sein?

Und erschüttert sah sie überall: Reinheit und vornehme Form.

Friedrich Wilhelm lachte.

»Nun haben wir unser ›Still im Lande‹, meine liebe gnädige Frau von Paretz. Und ich habe Macht und Gewalt hier, ich bin der Schulze von Paretz. Auf den Sonntag feiern wir Erntefest.«

»Und du wirst mit der ersten Großmagd tanzen?«

»Jawohl, und die gnädige Frau mit dem würdigsten Knecht.«

»Vielleicht lieber mit dem jüngsten«, sagte die Kronprinzeß.

Frau von Voß erstarrte. Sollte sie dies erleben müssen? Das war mehr als ein Rückfall! Das war – das war – – hat die Sprache Worte?

Man hatte diniert. Der gute Köckritz strebte nach der Tür. Die Kronprinzeß kam ihm zuvor. »Einen Augenblick Geduld«, bat sie. Sie ging in Friedrich Wilhelms Arbeitszimmer am Ende der Gartenflucht, kam mit einer gestopften Pfeife zurück. »Hier mein lieber Köckritz, Sie dürfen beim Schulzen und der Schulzin schon rauchen.« Er prustete vor Glück. Bedankte sich millionenmal, paffte und sah die Vossin recht herzlich an. Bin ich noch bei Hoheiten? dachte die Oberhofmeisterin. Sie war ein wenig lächerlich, und war es doch nicht, die gute Voß.

So stand es nun: der Kronprinz würde hier der Schulze sein, die Kronprinzessin sollte mit dem Großknecht tanzen. Wahrscheinlich beabsichtigte das Paar, wie es in Potsdam schon zum Vergnügen der Einwohner und zum mitleidigen Belächeln fremder Diplomaten geschehen, auch hier die Prinzensöhne auf dem Arm spazieren zu tragen.

Wahrscheinlich sah der Kronprinz genau die Bücher des Inspektors und des Küchenmeisters durch, und die Kronprinzeß fragte ab und an mal: »Habe ich auch keine Schulden?«

Sie wollten so recht herzlich glücklich sein und wie kleine Landedelleute leben.

.

Aber drüben in seinem Marmorpalais, gesellschaftet von der Madame Rietz, der man Treue nicht absprechen konnte, ging der König unerbittlich seinem Ende zu. Der König. Der Sohn Prinz August Wilhelms, des Abgotts ihrer Jugend, Ein Herr mit vielen großen Sünden. Aber ein großer Herr. Ein Souverän!

Wenn er die Augen zutat, dann wurde – der Schulze von Paretz König.

Er hatte Bravour bewiesen vor Mainz. Er drillte sein Infanterieregiment. Er hatte auch den Engel, die Luise, gut geleitet über eine schwere Versuchung hinweg.

Was konnte der Kronprinz sonst noch? Ohne alle Untertänigkeit stellte sie hart und nackt die Frage.

Übersah er die Weltlage, war er unterrichtet, daß der Parvenü namens Napoleon Buonaparte eine kriegerisch gestimmte Anhängerschaft besaß? Wußte der Kronprinz, wie sehr die fremden Militärs über das hohe Alter der preußischen Generale und die veraltete Ausbildung des Heeres witzelten? War es ihm bekannt, daß das Ansehen der preußischen Monarchie auf unerklärliche Weise Stück für Stück abbröckelte? Erfaßte er dieses? Ein König, dessen Haupteigenschaften Güte, Rechtlichkeit, Sparsamkeit sind, wird niemals ein großer König heißen! Und endlich, begriff er, daß die Revolution in Paris nicht tot war, sondern daß ihre Ideen durch die Welt wirbelten, wie Samen im Herbststurm?

Die alte Voß horchte in den Abend hinaus, als trüge er die Stimme der Zukunft.

Ein Jahrhundert ging bald zur Neige. Rauschte nicht schon der Flügelschlag des neuen auf? Das Brausen der Gefahr?!

Lachen klang von den Parkwiesen herüber. Die gnädige Frau von Paretz und der – Schulze von Paretz, die – hatten – ihr – kleines – Pläsier – – –


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