Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Einunddreißigstes Kapitel.

Was die beiden Glücklichen während der langen Stunden in dieser Waldstille miteinander sprachen, möge ihr Geheimnis bleiben. Sie waren aber so darein vertieft, daß die Nacht hereingebrochen wäre, ohne daß Carus sich erinnert hätte, daß es außer dem Waldkapellchen und der Bank daneben noch eine Welt und Menschen darin gebe, die auf sie warteten. Das feine Ohr Frau Helenes aber hörte ganz in der Ferne das Glöckchen läuten, das zum Nachtmahl rief.

Wir müssen doch wohl heim, sagte sie lächelnd, denn ich fürchte, auch du, lieber Freund, obwohl du ein bißchen überspannt bist und in höheren Sphären schwebst, wirst von der Liebe allein nicht satt werden. Übrigens, da wir uns heut ja noch nicht »als Verlobte empfehlen« wollen, wär's unzweckmäßig, uns hier vom Mond überraschen zu lassen.

Sie konnten indes ihren Vorsatz so wenig durchführen, wie Greiner und Juliane Mittags den ihren. Besonders Carus trat mit einer so strahlenden Siegermiene in den Saal und gab auf verschiedene Fragen so verkehrte Antworten, daß man sofort argwöhnen mußte, er sei von süßem Wein oder noch süßerer Liebe trunken, und als Juliane der Freundin ein Wort zugeflüstert hatte, was diese über und über glühend nur mit einem Kopfnicken beantwortete, war kein Halten mehr, und die große Neuigkeit kam an den Tag.

Da die Mitglieder der Tafelrunde so brüderlich durch die Bande herzlicher Freundschaft verbunden waren, kann man denken, in wie freudiger Stimmung, erhöht durch den edelsten Wein, den der Klosterkeller bewahrte, der Abend verlief. Zum Glück fehlte der einzige, der durch eine trübsinnige Miene einen Mißklang in das heitere Konvivium hätte bringen können. Peter Paul hatte sich entschuldigen lassen, er sei von wahnsinnigem Kopfweh befallen worden und müsse in seiner Zelle bleiben.

Als sein Name genannt wurde, empfand der glückliche Bräutigam denn doch einen kleinen Stich ins Gewissen, als hätte er an jemand, der ihn um Hilfe angegangen, einen Verrat verübt und sich selbst angeeignet, wonach jenen verlangt habe. Helene aber, der er leise erzählte, wie ihn der Maler gebeten, bei ihr »auf den Busch zu klopfen«, und daß er sich nun eines »unlauteren Wettbewerbs« schuldig gemacht habe, tröstete ihn lächelnd, aus dem Busch wäre für den guten jungen Mann niemals eine süße Frucht herausgefallen, sie habe nur eine gewisse mütterliche Fürsorge für ihn gehegt und werde ihr Versprechen wegen des Plafonds jedenfalls halten, sonst aber seiner schwärmerischen Huldigung sich zu entziehen suchen.

Sie hatte dann mit der Freundin vieles insgeheim zu besprechen, während die Herren geschäftliche Sorgen berieten, zu denen die so veränderten Verhältnisse, der bisherige Gemeinbesitz des Klosters, das sie in Zukunft nicht mehr bewohnen würden, und die Höhe des für die Gründung der Kuranstalt nötigen Kapitals sie anregten. Als Simon sich einmal mit einer Frage deshalb an Helene wandte, erwiderte sie mit einem klugen Lächeln: Ich möchte den verehrten Herren ein für allemal erklären, daß sie mich sehr überschätzen, wenn sie mir zutrauen, von Geldsachen das geringste zu verstehen. Ich hab' es auch, seit ich auf dem Gute gelebt, nie zu lernen brauchen, da mein Mann mich mit der ausgedehnten Verwaltung verschonte, und als ich Witwe geworden, nahm mein Oheim von mütterlicher Seite sich meiner Unerfahrenheit an und besorgte all meine Finanzgeschäfte. Es ist das nicht ganz in der Ordnung, will ich gern gestehn, aber eine unüberwindliche Schwäche meiner Natur, da mich, wenn ich bloß Zahlen sehe, eine Gänsehaut überläuft. Die »praktische Natur«, die ich habe, bewahrt sich in andrer Weise, zum Beispiel bei der Einrichtung eines Krankenhauses, wie ich es auf unserm Gut gestiftet und geleitet habe, so daß ich auch für das Moorbad Windheim eine schätzbare Kraft sein werde. Bis es aber so weit ist, bitte ich die Freunde, ganz ohne meine Mitwirkung alles zu regeln, sie sollen carte blanche haben und meine Unterschrift zu allem, was sie beschließen.

In solchen Gesprächen vergingen die Stunden so geschwind, daß es weit über die übliche Zeit war, als man sich gute Nacht sagte und auseinanderging.

Carus hatte nicht gewagt, die schöne Geliebte beim Abschied zu umarmen, aber der warme Druck ihrer Hand, als er diese küßte, bestätigte ihm alles, was sie ihm von ihrer ernstlichen Neigung gestanden hatte. So schlief er unter so wonnigen Gedanken ein wie ein ganz junger Mensch, dem zum erstenmal ein unerhörtes Herzensglück beschert worden ist, und hatte beim Erwachen am andern Morgen eine Zeitlang sich zu besinnen, ob auch in Wirklichkeit alles sich so zugetragen, wie er es geträumt.

Mit dem Frühstück aber, das jeder in seiner Zelle nahm, brachte Andreas ihm einen Gruß Peter Pauls und einen Brief.

Der junge Herr habe schon am dunklen Morgen ganz leise seine Zelle verlassen, in der der Koffer mit all seinen Habseligkeiten zurückgeblieben sei. Nur eine Reisetasche habe er mitgenommen und gebeten, den Koffer unter der angegebenen Münchener Adresse ihm nachzuschicken, da er selbst schleunigst abreisen müsse und schwerlich wiederkommen werde.

Der Herr sei sehr blaß gewesen, wahrscheinlich noch von dem Kopfweh gestern abend und einer unruhigen Nacht. Er habe ihm ein groß Stück Geld aufgedrängt und gesagt, an Frau Marianne und ihren Mann werde er von München aus schreiben.

Der Brief aber lautete so:

»Verehrter Herr Doktor!

Mein Kopfweh hat so zugenommen, daß ich's nicht länger aushalten kann. Es scheint, daß ich den Frühling hier oben nicht vertrage, und so habe ich mich zu einer Luftveränderung entschlossen, und zwar ohne länger zu zaudern, ja ohne von den verehrten Klosterinsassen Abschied zu nehmen. Ich hasse Abschiede. Und vielleicht komme ich ja auch wieder. Also bitte ich Sie, hochverehrter Freund und Gönner, meine eilige Flucht mit meinen betrübten Umständen zu entschuldigen und allen, die in diesen Mauern wohnen, vor allen dem edlen Prior und Herrn Professor Simon, für das unendliche Liebe und Gute, das ich von ihnen erfahren, obwohl ich nicht den geringsten Anspruch darauf hatte, meinen innigsten Dank zu sagen. Ich hoffe noch einst vor der Welt zu beweisen, daß sie ihr Wohlwollen an keinen Unwürdigen verschwendet haben.

Leben Sie wohl!

Ihr Ihnen für immer verpflichteter                
Peter Paul.

N. S. Das Porträt, das ich auf der Staffelei zurücklasse, gehört dem Original, mit meiner ergebensten Empfehlung.

N. S. No. 2. Ich mache den Brief noch einmal auf – so kann ich ihn nicht an Sie abschicken, da er eine Unwahrheit enthält. Nämlich es ist kein Kopfweh, das mich forttreibt,. sondern das Leiden, für das ich eine Luftveränderung brauche, sitzt im Herzen. Gestern abend, als die gnädige Frau, die seit Mittag verschwunden war, immer noch nicht zum Vorschein kam, fing ich an mich zu ängstigen und dachte, sie hätte sich viel leicht im Walde verirrt. Ich ging also, sie zu suchen – da sah ich sie an Ihrer Seite daherkommen, Hand in Hand, und ihr Kopf lehnte an Ihrer Schulter.

Da wußte ich mein Schicksal.

Verehrter Herr Doktor! Ich bin kein solcher Narr, daß ich Ihnen grollen möchte, auch weiß ich, wo Sie sich bewerben, muß einer meines Schlages zurückstehen. Aber Sie können nicht erwarten, daß ich Zeuge eines Glückes sein soll, auf das ich selbst verzichten mußte, das geht über Menschenkraft. Alles, was ich über mein blutendes Herz vermag, ist, Ihnen Glück zu wünschen und mich irgendwo in einem dunklen Winkel zu verbergen, bis ich den Menschen wieder mit einem leidlich gleichmütigen Gesicht unter die Augen treten kann.

Nochmals leben Sie wohl!

Der Obige.«

Diesen Brief las der Doktor langsam noch ein zweites Mal, ehe er sich an den Schreibtisch setzte, ihn folgendermaßen zu beantworten:

»Lieber junger Freund!

Ich hasse Gemeinplätze, zumal in einer so ernsten Sache, wie die, um derentwillen Sie uns verlassen haben. Auch die Versicherung, daß ich mit aufrichtiger Teilnahme usw., will ich Ihnen ersparen. Sie möchte Ihnen nur ein bitteres Gefühl erregen und als Hohn erscheinen, ein Almosen des Begünstigten an den Unterlegenen. Das aber sollen Sie trotzdem wissen, daß wir beide, Sie mögen wollen oder nicht, Sie wie einen jüngeren Bruder betrachten und Ihr Schicksal als zu uns gehörig aus der Ferne verfolgen werden, bis das Leben uns einmal wieder zusammenführt, das so viel Heilmittel für jugendliche Schmerzen hat.

Ihren Auftrag an die Klosterbrüder werde ich ausführen. Von Frau Helene aber soll ich Ihnen bestellen, daß sie sehr glücklich ist, das treffliche Bild zu besitzen, als Geschenk aber es nicht betrachten kann, da Sie es auf ihre Bestellung gemalt haben, daß Sie ihr also erlauben müssen, durch eine Anweisung auf ihren Bankier ihre Schuld gegen Sie wenigstens zu einem kleinen Teile abzutragen.

In betreff des Plafonds werden Sie Näheres erfahren, sobald darüber beschlossen ist. Und so leben Sie wohl, lieber Freund!

Mit allen guten Wünschen

Ihr herzlich ergebener                                    
Carus.«


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