Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Zwanzigstes Kapitel.

Greiner aber, als kaum die Tür hinter den beiden sich geschlossen hatte, war an das Fenster gestürzt, das nach dem Bergabhang und der Stadt im Grunde hinuntersah.

Auf dem freien Platz oben vor der Klostermauer wandelte eine schlanke schwarzgekleidete Frau. Zuweilen blieb sie am Gittertor stehen und spähte hinein, dann setzte sie ihr unstetes Hin- und Hergehen fort, den Kopf wie in schweren Gedanken tief auf die Brust gesenkt. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, ein Schleier fiel ihr über die Stirn herab. Plötzlich aber hob sie den Kopf und blickte gerade nach dem Fenster hinauf. Der Mann dahinter fuhr erschrocken zurück, als hätte er sich auf etwas Verbotenem ertappt gefühlt. Aber so kurz die Blicke der beiden Menschen sich getroffen hatten, es hatte dem Späher droben genügt, das blasse junge Gesicht wiederzuerkennen, das ihm so lange Jahre nur noch im Traum begegnet war.

Nichts hatten ihm diese Jahre an Lieblichkeit und weicher Anmut genommen, nur einen Schmerzenszug ihm eingegraben, der ihm einst fremd gewesen und jetzt wie eine Klage und Anklage um die stummen Lippen schwebte. Ein tiefes Mitleid mit ihr, die er aus seinem Leben verbannt, durchbebte ihn, er stürzte an das Fenster zurück, seiner nicht mehr mächtig und drauf und dran, ihren Namen zu rufen und mit einem Wort alles auszulöschen, was zwischen ihnen stand. Da sah er, daß sie nicht mehr allein war. Helene mit dem Kinde hatte sich zu ihr gefunden, und die drei näherten sich schon dem Pfade, der durch das Gehölz hinunterführte. Da war's vorbei mit der jähen Wandlung in ihm. Er seufzte bitter auf. Der Gedanke, daß es von neuem darauf abgesehen war, ihn zu überrumpeln, hatte wieder Gewalt über ihn gewonnen.

Es klopfte an seiner Tür. Als er sich umwandte, sah er Simon eintreten.

Das stille, sonst von einer leisen Schwermut überhauchte Gesicht hatte den Ausdruck einer lebhaften Freude.

Ich kann mir's nicht versagen, lieber Freund, bei Ihnen einzudringen, um Ihnen sogleich meinen Glückwunsch zu bringen. Sie wissen, wie herzlich wir alle, ich nicht zum letzten, an all Ihren Geschicken teilnehmen. Daß nun alles Schwere, was Sie bedrückte, von Ihnen genommen, alles Trübe sich gelichtet hat –

Ich verstehe Sie nicht, unterbrach ihn Greiner schroff. Was hat sich zugetragen, wozu Sie mir Glück wünschen könnten?

Simon sah ihn erstaunt an. Verzeihen Sie, sagte er, wenn ich von etwas rede, was Sie vorläufig vielleicht nur mit sich selbst abzumachen wünschen. Sie wissen, ich habe nie an das zu rühren gewagt, was Ihr Leben verdüstert und aus der ruhigen Bahn gerissen hat. Auch weiß ich die näheren Umstände nicht, nur daß Sie Haus und Heimat aufgegeben haben, da Sie sich von der, die Ihnen die Teuerste war, schwer gekränkt fühlten. Nun aber hat sich ja, wie ich soeben von Carus erfuhr, alles zum Guten gewendet, Frau und Kind haben den Weg zu Ihrem Herzen zurückgefunden, und Sie selbst –

Was weiß Carus von mir und meinem Herzen? brauste der andere heftig auf. Was soll sich zum Guten gewendet haben? Daß ich schwach genug war, in die Falle zu gehn, die Weiberlist mir gestellt, von dem Anblick meines Kindes mich betören zu lassen, das hat die Lage nur verschlimmert. Ich habe nun erst ganz erkannt, was ich entbehre und nie wieder gewinnen soll, und wenn ich in Zukunft strenger auf der Hut sein werde vor ähnlichen Überfällen, werd' ich's nur mit bittrerem Schmerz tun können. Aber nie werd' ich vergessen, was ich meiner Mannesehre schuldig bin.

Es war ein paar Minuten still zwischen den beiden Männern. Simon hatte sich auf das Ruhebett gesetzt und das schwarze Käppchen gelüftet, als würde es ihm zu warm darunter. Dann sagte er mit seinem klaren, herzlichen Ton: Es gibt mancherlei Arten von Ehre. Nicht alle sind mir verständlich. Zum Beispiel begreife ich nicht, was in dem Verhältnis zwischen Mann und Frau das Wort bedeuten soll. Wo sich's um Ehre handelt, kommt immer das Urteil der Welt ins Spiel, also fremder Menschen, von deren guter oder übler Meinung wir ja so vielfach abhängen, die uns so wenig lieben, wie wir sie. Eine Soldaten- und Offiziersehre also, eine Beamtenehre – davon kann ich mir eine Vorstellung machen. Da ist eine Hierarchie, die ihre Vorurteile hat, und denen sich unterwerfen muß, wer einmal in diesen Kreis eingetreten ist. Aber für den einzelnen, unabhängigen Menschen erkenne ich kein anderes Gebot der Ehre an, als die Stimme seines Gewissens. Und ein Mann, der sich mit einer Frau fürs Leben verbündet hat, – ist er nicht eins mit ihr geworden, und das Urteil, wie er ihr gegenüber handeln soll, hängt das nicht allein von ihm selber ab? Wenn er Grund hat, ihr zu zürnen – nun ja, es mag Fälle geben, wo es ihn schwer ankommt, ihr zu verzeihen. Was aber hat das mit Ehre zu tun? Wenn sie ihm gezeigt hat, daß sie ihren Fehler bereut, wie soll es ehrenrührig sein, ihr entgegenzugehn und zu sagen: Du warst schwach und töricht, du bist es nicht mehr, so komm wieder an mein Herz!

Greiner, der mit gekreuzten Armen am Fenster stand, rührte sich nicht. Wie die Worte des Freundes auf ihn wirkten, ließ sich weder aus seiner Miene noch aus einer Gebärde erkennen.

Sehen Sie, teurer Freund, fuhr Simon fort, wie wunderlich verschieden doch die Menschen sind. Sie haben das, was ich verloren habe, könnten es wenigstens haben, wenn Sie Ihr Herz bezwingen wollten und tun, was es gewiß heftig begehrt, und Sie sträuben sich mit aller Gewalt dagegen. Ich habe kein Recht, Sie deshalb zu tadeln. In solchen Lagen entscheidet jeder nach dem Maß seines eigensten Urteils und Bedürfnisses. Was dem einen zur Versöhnung der in ihm streitenden Mächte verhelfen würde, ließe vielleicht den andern über einen inneren Zwiespalt nie hinauskommen. Darum sollte man eigentlich sich enthalten, bei so peinlichen Gewissenskämpfen sekundieren zu wollen, sondern nur den Zuschauer machen und mit stillen Wünschen des Ausgangs harren. Sie aber, Bester, sind mir so wert und teuer, daß ich Ihnen doch noch von meiner eigenen Erfahrung reden muß. Sehen Sie, ich hatte eine treffliche Frau, die ich sehr liebte. Und doch, da sie manchmal etwas tat, was mir nicht gefiel, kam es zu leidenschaftlichen Szenen. Denn gerade, weil ich sie so hoch hielt, nahm ich das Geringste, worin sie meinem Ideal von ihr nicht entsprach, ungeheuer schwer und ließ es sie empfinden. Nun, da ich sie verloren habe – wie oft wache ich in der Nacht auf, und ein oder das andere scharfe Wort, das ich ihr in gereizter Stimmung gesagt, so berechtigt es gewesen sein mochte, fällt mir mit brennender Scham und Trauer wieder ein und läßt mich lange nicht wieder los. Solch ein harter Mahner ist der Tod. Solange wir leben, tun wir gut daran, auf sanftere Stimmen zu hören.

Er stand auf. Nichts für ungut, lieber Freund, sagte er, dem tief Verstimmten die Hand bietend. Sie wissen ja, wes das Herz voll ist –

Greiner legte zögernd seine Hand in die des Freundes.

Ich danke Ihnen. Aber Sie haben recht, die Menschen fühlen verschieden, und jeder tut, was er nicht lassen kann. –

Er fühlte wohl, was er hätte tun sollen. Er hätte es auch gekonnt, da alles, was er soeben vernommen, ihm ins Innerste gedrungen war und den letzten Rest der alten Starrheit geschmolzen hatte. Es wäre ihm selbst wie eine Erlösung gewesen, jetzt hinunterzustürmen und das traurige blasse Gesicht in seinen Armen aufglühen zu sehn in jugendlicher Seligkeit. Und doch – die Worte und der Ton, mit dem die kluge Frau sie gesprochen, als sie ihn verließ, klangen ihm noch im Ohr. Jetzt unten bei den Frauen einzutreten, als wenn er der Vermittlerin ihr Spiel gewonnen geben müsse, konnte er nicht über seinen törichten Mannesstolz bringen. Warum hatte sie sich so beflissen eingemischt, statt Julianen alles zu überlassen?


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