Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Siebzehntes Kapitel.

Wie von einem Feinde gejagt, der ihm auf den Fersen folgte, war der sonst so tapfere Mann fortgesprengt. besinnungslos, die Stirn von Schweiß benetzt.

War's ein Tagesspuk, der sich ihm plötzlich in den Weg gestellt hatte, aus den Träumen aufgestanden, die ihn stundenlang bei seinem einsamen Ritt umgeben hatten, oder doch lebendige Wesen, ihm so wohlbekannt, obwohl seit Jahren aus seinem Leben geschieden? Er konnte nicht zweifeln: diese schlank Gestalt in Trauerkleidern, das Kind, dessen schwaches Stimmchen gleichwohl an sein Ohr gedrungen war, sie waren sein Weib und sein Kind. Was aber hatte sie hierher geführt, da er sich eben von ihnen für immer losgesagt hatte, um sich seinen Frieden zu wahren? Und nun sollte der Kampf von neuem beginnen, der ihn so viel Herzblut gekostet hatte? Man hatte ihm einen Hinterhalt gelegt, wo ihn weiche Arme erwarteten, die sich um seinen Hals legen und jeden Widerstand ersticken sollten. Dagegen bäumte sein Trotz sich auf, in eine solche Falle, die man ihm listig gestellt hatte, durfte er sich nicht locken lassen, lieber fliehen, weit weg und sogleich, bis er sicher sein konnte, daß, wenn er zurückkehrte, keine Gefahr mehr für seine Ruhe sei und er nun in alle Zukunft das entsagungsvolle Leben fortführen könne, das ihm wenigstens das Gefühl verbürgte, seiner Ehre und Würde jedes Opfer gebracht zu haben.

Als er zu diesem Entschluß gekommen war, beruhigten sich seine Sinne, und er ließ davon ab, sein keuchendes Pferd zu spornen. Zwei Stunden war er so fortgeritten, endlich, da die Sonne sich neigte, dachte er an den Heimweg, hatte sich aber so weit in unbekannte Waldgebiete verirrt, daß er noch eine volle Stunde brauchte, bis er sich zurechtfand und in die Straße nach dem Kloster wieder einlenkte.

Er und das zitternde Tier waren in Schweiß gebadet, als sie an der Gartentür anlangten, wo der Klostervogt gerade beschäftigt war und seinen Herrn erstaunt über die Verspätung in Empfang nahm. Greiner trug ihm auf, für den Braunen besonders Sorge zu tragen, ihn gründlich abzureiben und ihm eine doppelte Portion Hafer zu geben, damit er sich völlig erhole, da er morgen mit dem frühsten ihn zu einem weiten Ritt wieder brauchen werde. Eben läutete das Glöckchen zur Abendmahlzeit. Er werde auf seinem Zimmer bleiben, wohin man ihm nur eine Flasche Wein und etwas Brot bringen solle. Den Herren lasse er eine gute Nacht wünschen, und sie bitten, sich nicht zu ihm zu bemühen, ihm sei ganz wohl, nur habe er ein eiliges Geschäft abzutun.

Die Freunde, als der Klostervogt ihnen diese Botschaft brachte, waren im stillen über die seltsame Grille ihres Priors verwundert, die keiner sich erklären konnte. Bis auf einen. Diesmal fiel es dem Doktor nicht ein, nachdem sie gespeist hatten, sich zu Greiner hinaufzubegeben und ihm den Puls zu fühlen. Es bedurfte für ihn keiner Untersuchung, um zu erkennen, daß es sich allerdings auch heute um ein Fieber handle, aber um ein moralisches, für das er kein Schlafmittel in seiner Hausapotheke hatte.

Er war gerade, da der Auftritt an der Waldkapelle stattgefunden, den Frauen draußen begegnet, die in tiefer Erschütterung daherkamen, um die Straße nach der Stadt hinunter einzuschlagen. Nach allem, was er von Helene erfahren, konnte er nicht im Zweifel sein, wer die junge Frau in Trauer sei und das kleine Mädchen, das zwischen ihnen ging, von beiden an den Händchen gefaßt. Auch daß etwas Tragisches sich ereignet habe, ahnte er sofort. Aber so warm seine Teilnahme war, hielt er es doch für schicklich, sich jeder Anrede und Frage zu enthalten. Er zog seinen Hut und wollte mit einer ernsten Verbeugung vorbeigehn, als Helene plötzlich stehen blieb und mit dem zürnenden, hoheitsvollen Blick, den er nur zu gut kannte, ihm die halblauten Worte zuschleuderte: Sagen Sie Ihrem Freunde, daß er die Wahl habe, von mir als ein Irrsinniger bemitleidet, oder als ein Unmensch verachtet zu werden!

Damit hatte sie ihren Weg fortgesetzt und ihn stehen lassen.

Als er dann, nachdem der Abend einsilbig vergangen und diesmal auch das Konzert in der Kirche unterblieben war, in seine Zelle hinaufkam, die der des Priors benachbart war, wunderte er sich, aus dieser keinen Laut zu vernehmen, da Greiner sonst noch eine geraume Zeit hin und her zu gehen pflegte, ehe er sich zum Schlafen niederlegte.

Er wußte freilich nicht, daß dieser gleich nach der Rückkehr in einen alten Mantelsack, der ihm schon im Feldzug gedient, das Nötigste an Wäsche und sonstigen Reisebedürfnissen gepackt, darauf einen Brief geschrieben hatte, um den Klosterbrüdern seine eilige Abreise anzuzeigen und sie auf eine längere Abwesenheit vorzubereiten. Während dieser Geschäfte hatte er die Flasche Wein hastig geleert, und der ungewohnte starke Trunk, da er sonst Abends nie einen Tropfen genoß, hatte im Verein mit der Erschöpfung durch den langen Ritt ihn so überwältigt, daß er schon nach einer Stunde zu Bett ging und in einen tiefen Schlaf versank.

Mit desto wacheren Sinnen und Gedanken saß sein Zellennachbar bei der kleinen Lampe, die in dem großen Raum nur einen kleinen Lichtkreis um den mit Büchern und Pflanzen beladenen Tisch ausbreitete. Kopf und Herz waren ihm schwer von Sorgen um das Schicksal des Freundes, das plötzlich eine so seltsame Wendung genommen hatte. Dazu peinigte ihn das feindselige Verhältnis, in das er zu der schönen Frau geraten war, und er grübelte darüber nach, wie er sie versöhnen möchte. An mehr dachte er nicht. Torheit, zu hoffen, daß er ihr je das werden könne, was sie ihm war. Über kurz oder lang würde sie Abschied nehmen und für immer aus seinem Leben verschwinden. Wie er es anfangen sollte, das Gefühl, das sie in ihm entflammt, zu bändigen, sich nicht in unfruchtbarer Sehnsucht nach dem Unerreichbaren zu verzehren, wußte er nicht. Es geht in einem hin! dachte er mit bitterer Resignation. Auf ein richtiges Leben hab' ich ja überhaupt verzichten müssen, selbst auf eine volle Tätigkeit. Nun gilt's, auch mit dem Wahn fertig werden, als gäb' es für einen Anachoreten noch irgendein Herzensglück.

So suchte er endlich in tiefer Verstimmung sein Lager auf, fand aber lange noch keinen Schlaf. Immer stand das schöne, von Zorn glühende Gesicht vor seinen Augen, und er suchte sich die Szene auszumalen, die sie so heftig aufgeregt hatte. Nur daß es zu einer Begegnung mit dem starrsinnigen Manne gekommen sein mußte, der unerbittlich geblieben, konnte er mutmaßen. Zuletzt beschloß er, am andern Morgen denn doch den Freund zu befragen, wodurch er den Groll ihres liebenswürdigen Gastes sich möchte zugezogen haben. Vielleicht würde sich aus seinen Äußerungen etwas ergeben, woran sich ein vermittelndes Wort, eine diskrete Einwirkung auf die unselig gespannte Lage anknüpfen ließe.

Das beruhigte ihn ein wenig, und gegen Morgen schlief er wirklich ein.

Lange vor ihm war der Freund aufgewacht. Aber der Vorsatz, den er am Abend gefaßt hatte, hielt im grauen Morgenlicht nicht stand. Mit einem Gefühl der Scham sah er den Mantelsack liegen und begriff jetzt nicht, daß er an Flucht hatte denken können. Fliehen vor wem? Vor einem Weibe, das kein Recht mehr besaß, an seinem Leben teilzunehmen, das nun endlich die Laune angewandelt hatte, sich den Platz neben ihm den sie verscherzt, mit allerlei Hinterlist zurückzuerobern? Wenn er, trotzdem er ihr unzweideutig jede Hoffnung dazu abgeschnitten, nun doch vor ihr floh, mußte sie nicht denken, daß er sich zu schwach fühlte, um ihrer Werbung zu widerstehen? Der Soldat in ihm empörte sich gegen eine solche Feigheit. Nein, er mußte bleiben, auf die Gefahr hin, eine weitere Belagerung zu erdulden. Der Schlaf hatte ihn gestärkt, die Erschöpfung des gestrigen Abends nur eine dumpfe Müdigkeit zurückgelassen, die er in der herben Morgenluft abzuschütteln suchte. So nahm er seine Siebensachen wieder aus dem Mantelsack und ging vor Tau und Tage hinunter, sich den Braunen satteln zu lassen.


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