Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Einundzwanzigstes Kapitel.

Die Nacht verging ihm fast schlaflos. Zu dem Aufruhr in seinem Innern, den er nicht zu stillen vermochte, gesellte sich noch ein heftiger Sturm, der bis an den Morgen forttobte und einen jähen Wettersturz ankündigte.

Es war schon über Tag seltsam schwül gewesen, und man hatte ein Gewitter für den Abend erwartet. Doch kam es nicht dazu. Die elektrische Spannung schien sich in einem starken Wetterleuchten fern am Horizont zu entladen. Als aber der Morgen kam, war die Luft noch schwerer und grauer, als am Abend vorher, und so blieb es den ganzen Tag, und die Insassen des Klosters empfanden den Druck der Atmosphäre ganz so nervenlähmend, wie die Bewohner des Windheimer Talkessels.

Am schwersten schien der Maler darunter zu leiden.

Er ging mit einer Ecce-Homo-Miene umher, sprach bei den Mahlzeiten, wo er kaum einen Bissen genoß, kein Wort, und die Zellengenossen hörten ihn bis spät in die Nacht auf seiner Geige in schwermütigen Dissonanzen phantasieren, nachdem er vorher dem Kaplan erklärt hatte, er fühle sich zum Musizieren nicht aufgelegt.

Es war allen nicht geheuer erschienen. Carus aber konnte es bei müßigem Herumraten nach der Ursache nicht bewenden lassen. Am nächsten Vormittag trat er bei ihm ein und fand ihn auf seinem Sofa liegend, halb angekleidet, die Augen nach der Zimmerdecke gekehrt.

Zugleich sah er, daß das Bild Helenes umgekehrt auf der Staffelei stand.

Guten Tag, lieber Freund, sagte er. Verzeihen Sie, daß ich bei Ihnen eintrete, ohne auf mein Klopfen Ihr Herein! abzuwarten. Aber ich hätte lange warten können. Fieberkranke pflegen schwerhörig zu sein, und daß Ihr Puls nicht normal ist, seh' ich, ohne ihn zu fühlen. Sie müssen mir schon erlauben, mich nach Ihrem Befinden zu erkundigen.

Peter Paul hatte sich langsam aufgerichtet, als ob er aus einem schweren Traum sich mühsam ermunterte.

Ich danke Ihnen, sagte er mit heiserer Stimme, aber ich befinde mich ganz wohl.

Erlauben Sie mir, das zu bezweifeln. Ich habe Sie gestern genau beobachtet. Ihre Farbe gefiel mir nicht, Sie tranken gegen Ihre Gewohnheit einen Schoppen Wein, rührten aber die jungen Spargel, Ihre Lieblingsspeise, kaum an. Ich fürchte, eine ernstliche Krankheit ist im Anzug, und ich kann das nicht mit ansehn, ohne Sie ausführlich zu untersuchen.

Der Maler hatte sich während dieser Worte wieder zurückgelegt und die Augen geschlossen. Er schien sich in ein hartnäckiges Schweigen verstocken zu wollen.

Plötzlich sprang er von seinem Lager auf, fuhr sich wild durch die buschigen Haare und ging mit großen Schritten durch das Zimmer auf und ab.

Lassen Sie mich allein! rief er. Wozu wollen Sie mich mit Ihrer Teilnahme quälen, da Sie doch mit all Ihrer ärztlichen Weisheit nicht ergründen können, woran ich leide? Es sitzt tiefer, viel tiefer, und ich weiß, daß ich daran zugrunde gehen werde!

Oho! machte Carus. Ist das Fieber so hitzig? Und so rasch hat es Sie überfallen? An dem Nachmittag, wo die beiden Damen bei Ihnen waren, befanden Sie sich noch ganz wohl, aber sobald sie gegangen waren – freilich, der Wetterumschlag –da sollte ich Ihnen wohl etwas Kalmierendes verschreiben.

Er hatte sich auf einen Stuhl am Fenster gesetzt und schien seinen Patienten nicht anzusehn, obwohl ihm keine seiner Bewegungen entging.

Auf einmal stand der Unstete dicht neben ihm.

Verehrter Freund, hörte er ihn mit mühsamem Tone sagen, ich sehe, es ist umsonst, meinen Zustand vor Ihnen zu verbergen. Ja, mein Fieber, das immer schon an mir zehrte, ist vorgestern zu diesem hohen Grade gestiegen, als ich hörte, sie würde wohl nur noch wenige Tage bleiben, ihre Mission sei so gut wie beendet. Doktor, sagen Sie selbst: wie soll ich weiterleben, wenn diese Frau, die ich vergöttere, sich für immer entfernt hat! Wenn ich dies Gesicht nicht mehr sehe, diese Stimme nicht zuweilen höre, mir sagen muß, das schönste, liebenswürdigste Wesen, das je die Sonne beschien, soll nur noch wie ein Sternbild über mir schweben – nicht anders, wie ein totes Bild auf der Leinwand in irgendeiner fernen Galerie, das man einmal gesehen hat und nie, nie vergessen kann. Es ist furchtbar!

Er war nach dem Sofa hingewankt und wieder darauf niedergesunken. Carus ging zu ihm hin und legte ihm die Hand auf die heiße Stirn.

Lieber junger Freund, sagte er, beruhigen Sie sich! Für diese Ihre Influenza habe ich freilich kein Heiltränkchen in meiner Apotheke, da kann nichts helfen als Ihre eigene Vernunft, Ihre Jugend und die große Krankenpflegerin, die Zeit. Sie müssen sich eben sagen: die Sterne, die begehrt man nicht, statt sich den Stachel immer tiefer ins Herz zu drücken. Und dann: zum Glück ist bei euch Künstlern die Hälfte jeder zärtlichen Empfindung rein ästhetisch. Ein reizender Kontur, eine blühende Farbe – dabei sind die Augen das Verliebteste, und deren Passion wird von dem nächsten schönen Gegenstand verdrängt. Sie haben selbst mit Ihrer ärztlichen Behandlung den Anfang gemacht, indem Sie das Bild umkehrten. Schaffen Sie's ganz aus dem Atelier, machen Sie eine Reise nach Italien, wo es viel schöne Gesichter gibt, und ich stehe Ihnen dafür, in vier Wochen sind Sie wieder ein munterer junger Mann mit einer neuen Schwärmerei, und denken an diese hoffnungslose Liebe wie an die Bella des Titian oder ein Bild von Rubens.

Der Maler sah tiefsinnig vor sich hin.

Hoffnungslos? Sie mögen recht haben. Und doch: »Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung auf!«

Wie das? Sie könnten im Ernst –

Eh' man ganz verzweifelt, wissen Sie ja, klammert man sich an den dünnsten Hoffnungsstrohhalm. Sie halten mich nicht für einen solchen Toren, daß ich mir einbildete, diese herrliche Frau fühle nur einen Hauch von der Leidenschaft, die mich erfüllt. Aber daß ich ihr ganz gleichgültig, daß sie mir nicht ein wenig freundlich gesinnt wäre – das kann ich nicht glauben, dem widerspricht die unermüdliche Güte, mit der sie mir die Sitzungen bewilligt hat, das Interesse an meinem Talent, ihr Vorschlag, meinen Plafond zu retten, indem sie ihn in ihrem Schlosse anbringt, und der Ausdruck ihres Gesichts, wenn sie zu mir sagt: Lieber Herr Peter Paul – oder Peter Paul schlechtweg.

Sie lächeln ungläubig. Aber am Ende – war's denn so ganz undenkbar? Hat man nicht Beispiele, daß Königinnen eine Schwäche sogar für ihre Hofnarren gefühlt haben, reiche Ladys einen Bergführer heirateten? Ich bin fünf, sechs Jahre jünger als sie, ein armer Teufel und noch unberühmter Künstler. Aber wer hindert mich, mit der Zeit mir einen Namen zu machen, der ihre fünfzackige Krone aufwiegt? Und da sie überhaupt jetzt wohl noch nicht daran denkt, sich wieder zu vermählen, weil sie ihren ersten Mann sehr geliebt zu haben scheint –

Gewiß, lieber Freund, fiel ihm Carus mit etwas gereiztem Ton ins Wort, das alles sind sehr schöne plausible Zukunftsgedanken, und es freut mich für Sie, wenn sie Ihnen ein wenig Trost in Ihrem Liebeskummer gewähren. Was das aber mich angehen soll –

Peter Paul errötete.

Ich habe von Anfang an so viel Freundschaft von Ihnen erfahren, obwohl ich nicht wußte, wie ich es verdient haben möchte – Sie werden es begreiflich finden, daß ich auch in diesem Fall, wo sich's für mich um ein Lebensglück handelt, meine Zuflucht zu Ihnen nehme. Sie stehen der Dame näher als ich, Sie sprechen sie wohl noch vor ihrer Abreise, – wenn Sie eine Gelegenheit ergriffen, meinen Namen zu nennen, auf den Busch zu klopfen, wie sie von mir denkt, natürlich ohne irgendeine direkte Anspielung, nur daß ich ihr auf Tod und Leben ergeben sei –

Carus stand auf.

Was Sie von mir wünschen, lieber Freund, ist unmöglich. Außer in meinem ärztlichen Beruf enthalte ich mich grundsätzlich jedes indiskreten Auskultierens und Hineinhorchens, um zu ergründen, wie es im Innern einer Menschenbrust beschaffen ist. Wenn Sie Ihrer Sache sicher sind, klopfen Sie selber an und warten, ob Ihnen aufgetan wird.

Meiner Sache sicher? rief er schmerzlich. Aber davon bin ich ja eben himmelweit entfernt! Ja, in lichten Augenblicken sehe ich die Sache vielmehr als hoffnungslos und unmöglich an, und oft habe ich gedacht, daß gerade Sie – denn ich habe wohl bemerkt, daß ihr Gesicht einen ganz besonderen Ausdruck annimmt, wenn sie mit Ihnen spricht, daß niemand von unsrer Tafelrunde so andächtig von ihr angehört wird, wie Sie, und habe mir sagen müssen, daß sie, wenn sie wirklich zu wählen hätte zwischen Ihnen und mir, keinen Augenblick schwanken und die Hand nur nach Ihnen ausstrecken würde.

Er hatte zu Boden geblickt, als er dies hastig hervorstieß, sonst hätte er gewahren müssen, wie Röte und Blässe auf dem ernsten Gesicht des Doktors wechselten. Seien Sie meinetwegen ganz ruhig, hörte er ihn jetzt sagen. Ich stehe Ihnen gewiß nicht im Wege. Selbst wenn die Baronin ein Interesse für mich fühlte, das über eine allgemeine Wertschätzung hinaus ginge – von da bis zu einer tieferen Neigung ist noch ein weiter Schritt, und da ich selbst ein für allemal mit dem Leben abgeschlossen habe und die spärlichen Blumen des Glücks, die ich etwa noch pflücken sollte, sogleich in mein Herbarium legen werde, statt sie in Wasser zu stellen und weiterblühen zu lassen – nein, mein Teurer, so schöne Zukunftsträume, wie Ihr junger Kopf sie ausbrütet, beunruhigen meinen Schlaf nicht mehr. Und jetzt will ich gehn, da ich nichts für Sie tun kann, als Ihnen guten Erfolg wünschen, oder – gute Besserung!


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