Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Dreizehntes Kapitel.

Am folgenden Nachmittag, als Helene pünktlich auf der Höhe des Nonnbergs erschien, stand Peter Paul schon ihrer wartend in der offenen Gitterpforte. Es war eigentlich kein Malwetter, ein trüber Dunst, von den Moorgründen unten aufsteigend, hatte den Himmel übersponnen, auch war der Maler einen Augenblick im Zweifel gewesen, ob er sein Modell trotzdem heraufbemühen solle, statt ihr absagen zu lassen. Aber das Verlangen, das holde Gesicht wiederzusehen, hatte dennoch überwogen.

Er trug wieder seinen leinenen Arbeitskittel, aber einen neuen, ohne den geringsten Flecken. Sein hübsches, schwarzbärtiges Gesicht strahlte vor Freude, als er sie herankommen sah, mit vom Steigen geröteten Wangen und im Winde flatternden Haaren.

Ich werde Sie nicht lange bemühen, gnädige Frau, sagte er. Das Licht ist heute nicht günstig. Aber ein paar Linien möchte ich doch feststellen, damit ich dann auf eigene Hand weitermalen kann. Wie schön Sie heute aussehn!

Keine Komplimente, lieber Freund! Sie kennen unsre Abrede. Wir sind doch allein im Refektorium?

Ganz allein. Der Prior ist nicht ganz wohl.

Oh!

Er hatte gestern abend ein wenig Fieber, war heut mittag noch sehr stumm und hat sich gleich wieder in seine Zelle begeben. Der Doktor ist zum Botanisieren in den Wald gegangen. Er war sehr voll davon, daß er am Morgen eine Blume gefunden hat, die weit verbreitet ist, doch sonst nur in höheren Regionen wächst, Polemonium heißt sie. Nun will er sehn, ob von der Art noch mehrere sich nach dem Nonnberg verirrt haben. Die anderen Herren studieren. Aber kommen Sie, verehrte Frau. Ich war sehr fleißig den ganzen Vormittag. Aber das Beste fehlt noch. Dazu brauch' ich wieder Natur.

Er führte sie über den totenstillen Hof – selbst die Vögel flogen nicht um den Brunnen – ins Haus und ließ sie ins Refektorium eintreten.

In der Tat war's trotz der frühen Stunde schon dämmerig in dem weiten Raum. Ich muß wirklich die Lampe anzünden, sagte der Maler. Auch jetzt will's nicht Tag werden, aber zu dem, was ich machen muß, seh' ich genug.

Sie war vor die Wand mit den Kardinaltugenden getreten. Die mittlere Figur der Anmut war seit dem Morgen fertig untermalt worden, bis auf den Kopf, von dem nur der Umriß mit schwachen Linien auf die weiße Mauer gezeichnet war. Auf der Staffelei zur Seite stand das Ölbild. Statt des Kleides aber, in dem Helene gesessen hatte, trug ihr allegorisches Ebenbild ein reizendes Gewand von phantastischem Schnitt, unter dem schönen Busen mit einem goldenen Gürtel umfangen. Sie saß auf einem Blumenhügel, die kleinen Füße leicht gekreuzt wie Raffaels »Poesie« auf dem Bilde in den Stanzen, die Hände lagen ruhig im Schoß. Zu ihren Füßen spielten zwei nackte Kinder mit einem Reh.

Lassen Sie mich jetzt nur eine kleine Weile Ihr Gesicht studieren, bat er, so gegen die Lampe gewendet und die Augen auf mich gerichtet. Ich konnte mich an den Kopf auf dem Porträt nicht halten, weil Sie, als Sie mir dazu saßen, den Blick abgewendet hatten, zum Fenster hinaus. Wie Sie da den Kopf ein wenig neigten, gefiel mir die Pose über alle Maßen, und ich wollte keine andere versuchen. Auch hätte mich's verwirrt, wenn Sie mich beständig angeschaut hätten. Aber hier auf der Wand müssen Sie durchaus zum Bilde gerade heraus und den Beschauer ansehn, so ruhig in sich gekehrt und doch das Licht Ihrer Augen ausstrahlend, wie es in Ihrer Rolle liegt. Sie glauben nicht, wie gut Ihnen das steht! Ich hab' es gestern beobachtet, als Sie so liebenswürdig unbefangen von dem sprachen, was Sie mit meinem Plafond vorhaben. Ich wäre am liebsten Ihnen zu Füßen gefallen und hätte den Saum Ihres Kleides geküßt, so überwältigte mich die Anmut Ihres Blickes.

Sie drohte ihm leise mit dem Finger. Werden Sie nicht zum Dichter, sondern tun Sie Ihre Malerpflicht! Aber wissen möcht' ich, warum Sie sich für diese Tugend, die Sie doch wohl unter ihren Schwestern etwas zu hoch stellen, nicht lieber ein jugendliches Modell gesucht haben? Unter den Töchtern Windheims sogar ist mir gestern eine begegnet, die man nur ein wenig hübscher zu kleiden brauchte, damit sie den Platz hier mit Ehren ausfüllen könnte.

Es war schon beschlossene Sache, ehe wir so glücklich waren, Sie kennen zu lernen, erwiderte er, daß hier keine unmündige Grazie hergehöre, keine Backfischlieblichkeit, sondern, wie der Professor sich ausdrückte, reife, frauenhafte Holdseligkeit, die über den Wandel der Jahre hinausdauert. Er sagte noch viel kluge Dinge, die ich aber nicht so wiederholen kann, auch würden Sie mir wieder den Mund verbieten, als ob ich Ihnen schmeicheln wollte. Bitte, halten Sie nur ein klein wenig still!

Er war auf ein Leiterchen gestiegen, wandte sich aber mit seinen prüfenden und messenden Augen zwischen den Strichen seines Pinsels immer zu ihr zurück, die vom rötlichen Lampenlicht überhaucht neben der Staffelei stand. So verging eine stille halbe Stunde, während deren der Kopf farbig auf dem weißen Halse hervortrat.

Ich danke, sagte er und sprang von der Leiter herab. Ich habe nun, was ich brauche. Zum Fertigmachen genügt jetzt das Porträt, ja ich brauchte auch das nicht einmal. Ich weiß Sie so auswendig, daß ich Sie aus dem Kopf sprechend ähnlich malen könnte.

So haben Sie ja auch keine Sitzung mehr nötig, was mir sehr lieb wäre, denn täglich heraufzusteigen, ist nicht gerade ein Vergnügen.

Er errötete, da er sich verschnappt hatte. O verehrte Frau, rief er, denken Sie an die Monna Lisa! Ich möchte wenigstens auf der Leinwand noch etwas mehr ins Detail gehen. Zwei, drei kurze Sitzungen –

Sagen wir zwei, und zwar nach einer Ruhepause von einigen Tagen, in denen ich anders beschäftigt sein werde. Ich komme dann auch an einem hellen Vormittage eigens hierher, um mir all diese allegorischen Damen vorstellen und ihre Attribute erklären zu lassen. Nur das lustige wilde Fräulein dort am Ende, das auf dem hübschen Eselchen daher gesprengt kommt und es mit einer rosenumwundenen Geißel antreibt, was die vorstellt und was die Tugend an ihr ist, möchte ich gleich erfahren.

Gnädige Frau, sagte er etwas verlegen und fuhr sich mit der Hand durch das dichte Haar, daran hängt eine Geschichte. Ich sollte den Humor personifizieren, aber wie ich die Skizze vorlegte, meinte Herr Simon, das sei der Übermut, der wilde Leichtsinn, nicht der Humor, der zwischen Lachen und Weinen tiefsinnig die Welt betrachte und sich über ihre Mängel und Widersprüche tröste. Da mußte ich mit der Wahrheit herausrücken, daß mir zu den Zügen dieses Wildfangs eine Skizze gedient habe, die ich vor Jahren nach einem jungen Mädchen gemacht, für das ich leidenschaftlich geschwärmt hatte. Es war meine erste Liebe gewesen, und ich hatte es sehr ernst gemeint. Aber, obwohl sie mir auch ein bissel gut war, behandelte sie mich so schlecht sie nur konnte und war dabei so lustig und witzig, daß ich ein ganzes Jahr mich nicht aus ihrem Netz loswinden konnte. Nun wollt' ich die Hexe hier verewigen und in der Erinnerung an meine süße blöde Jugendeselei mein Selbstporträt, »des Künstlers eigenes Bildnis«, allegorisch hinzufügen. Als ich den Herren den Zusammenhang erklärte und sagte, das sei ja eben der Humor davon, lachten sie, und der Doktor meinte, es sei wenigstens von meiner Seite Ernst mit der Kardinaltugend, und so möge die Figur in Gottes Namen auf die Wand kommen.

Sie betrachteten nun beide in der heitersten Stimmung den Eselritt.

Haben Sie sie wiedergesehen, oder sich ganz aus dem Sinn geschlagen? fragte Helene.

Ganz und für immer. Die Dornennarben von ihrer Rosenpeitsche sind geheilt. Doch freilich – seitdem habe ich auch keine Rosen mehr erlebt – und ich fürchte – wenn ich wieder in den Fall käme – ich würde durch Schaden nicht klüger geworden sein und ewig der alte Esel bleiben müssen.

Er sagte das mit einem schwermütigen Ton und wandte sich ab. Sie konnte sich mit dem feinen Verständnis des Weibes nicht verhehlen, wem der Seufzer galt, aber wie ernst es damit stand, kam ihr nicht in den Sinn. Ich lasse Sie jetzt mit Ihrer Arbeit allein, lieber Freund, sagte sie. Auch ich habe allerlei Wichtiges zu tun. Wenn der Himmel sich aufgeklärt hat, frage ich bei Ihnen an, wann die Fortsetzung folgen soll.

So verließ sie ihn und ging in den Hof hinaus, im nächsten Augenblick schon vergessend, daß sie einen Verehrer mit hoffnungslosen Liebesschmerzen zurückließ.


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