Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Sechstes Kapitel.

Sie hatte heute ein helles Kleid angetan, das sie noch jugendlicher erscheinen ließ, und einen leichten Strohhut mit seegrünen Schleifen aufgesetzt. Für die Rolle, die ihr unter den Kardinaltugenden zugewiesen war, schienen ihr heitere Farben notwendig, und für alle Fälle hatte sie noch einen silbergrauen, mit Gold durchwirkten Schleier in Bereitschaft, da sie an den anderen Figuren einen ähnlichen Kopfputz wahrgenommen hatte.

Peter Paul, der sie schon ungeduldig am Gittertürchen erwartete, war von ihrem Anblick völlig bezaubert und stammelte etwas, das nach einem Komplimente klang. Auch Hinrich stand in einiger Entfernung und glotzte die schöne Frau ebenfalls wie eine höhere Erscheinung an, da ihm etwas Ähnliches in seinem siebzehnjährigen Leben noch nicht begegnet war. Der Maler aber beeilte sich, während er fragte, wie die gnädige Frau in der schlechten Herberge geschlafen habe, sie durch die Tür des Seitenflügels einzulassen und die Treppe zum oberen Geschoß hinaufzuführen. Oben traten sie in einen breiten, hellen Korridor, auf den die Türen der Zellen sich öffneten. Es sind ihrer zwölf, sagte der Maler, und ebenso viele lagen in dem zerstörten anderen Flügel. Da wir aber nur unser sechs sind und keine Klosterregel uns einschränkt, bewohnt jeder von uns zwei Zellen, ein Schlaf- und ein Wohngemach. Dort hinten am äußersten Ende haust der Prior, neben ihm der Doktor, dann der Professor. Hier der Herr Rabe, unser Politikus, neben ihm der gute Kaplan, und diese beiden letzten sind mein Reich. Ich habe hier zwei Fenster, eines nach dem Flusse zu, das andere mit reinem Nordlicht, durch das ich auf den kleinen Turm und eine Seite des Kirchleins blicke. Ein schöneres Atelier – bis auf die etwas kleinen Raumverhältnisse – hätte selbst mein großer Namensvetter sich nicht wünschen können.

Er öffnete die Tür und ließ Helene eintreten.

Doch gönnte er ihr nicht lange Zeit, die Skizzen und Studien, mit denen die Wände behängt waren, zu betrachten, oder sich an der Aussicht aus den beiden Fenstern zu weiden. Ein hoher Sessel stand schon auf einem Podium dem Nordfenster gegenüber, die Staffelei mit einem Blendrahmen davor. Er brannte offenbar darauf, die Arbeit zu beginnen, und sie zauderte nicht, den Sitz, den er ihr anwies, einzunehmen. Den Hut mußte sie ablegen und ihr blondes Haupt sich mit dem Schleier umwinden lassen. Er selbst hatte schon einige andere Tücher und Bänder in Bereitschaft gehalten, die nun nicht gebraucht wurden. Mit ein paar Nadeln wurde das seine Gewebe an den Schläfen befestigt, so daß der reizende Kopf nun höchst malerisch umrahmt auf dem freien Halse saß. Sie lächelte, als sie sich in dem kleinen Spiegel betrachtete, den er ihr vorhielt. Sie haben Talent zur Kammerjungfer, Herr Peter Paul! sagte sie.

Bei solcher Herrin ist's keine Kunst, versetzte er errötend. Ich kann Ihnen nicht genug danken, daß Sie mir diese Gunst gewährt haben. Es wird mein bestes Bild werden.

Dann, nachdem er ihre Haltung noch angeordnet hatte – die Figur, zu der sie saß, sollte auf einem Rosenhügel zwischen den sechs anderen thronen, – ging er eilig an die Arbeit und blieb die erste halbe Stunde fast stumm, sich entschuldigend, daß er sie langweilen werde, aber der Natur gegenüber versagten ihm die Worte. Sie störte auch nicht seine Arbeitsstimmung. Endlich aber entfielen ihr die Worte: Da Sie ein solcher Naturanbeter sind, wie können Sie's nur jahrelang in dieser Abgeschiedenheit aushalten, fern von allem lebendigen Leben?

Oh, gnädige Frau, erwiderte er mit einem Seufzer, es ist auch nicht gern geschehen. »Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe«! Ich habe Unglück gehabt und war arm wie eine Kirchenmaus geworden, als ich mich in diese Kirchenmauern flüchtete. Bitte, das Kinn um eine Linie niedriger. So! Danke! Ja, wenn es Sie interessiert, wie das zugegangen –

Es interessiert mich in hohem Grade.

Sehen Sie, gnädige Frau, ich war zeit meines Lebens, was man einen Idealisten nennt, das törichtste, was man in dieser realistischen Zeit sein kann. Von all dem modernen Schwindel, Impressionismus, Sezession, bloßem Palettenzauber ohne feste Zeichnung und so weiter hielt ich nichts und mußte mich schon auf der Akademie von meinen Kollegen als Reaktionär verhöhnen lassen. Und das war ich doch wahrlich nicht. Ich habe nie die Verdienste moderner Meister, wenn sie nur nicht ihre eitle Person über die heilige Kunst stellten, verkannt, freilich aber Feuerbach, Böcklin aufs andächtigste verehrt und studiert. Daß ich damit kein Glück machte, da mir ein so großes Talent, wie diese beiden hatten, nicht gegeben war, konnte mich nicht wundern. Aber ich war doch in meinem Gott vergnügt und brachte mich schlecht und recht durch. Da schien endlich einmal auch mir das Glück zu lächeln. Bei einer Preisaufgabe, den Plafond einer großen neuen Tonhalle mit einem Gemälde zu schmücken, das die Macht der Musik darstellen sollte, gewann ich den ersten Preis, und auch die Ausführung wurde mir übertragen, – bitte, gnädige Frau, den Kopf ein klein wenig auf die linke Schulter neigen – das ist zu viel – so ist's recht! Wo bin ich nur stehen geblieben? Richtig, bei meinem Bilde für den Konzertsaal. Nun, ich ging mit Feuer an die Arbeit. Die Insel der Seligen sollt' es werden, ganz anders als die Böcklinsche natürlich. Allerlei schöne Menschen von jedem Alter und Geschlecht in einer paradiesischen Gegend, in der Mitte drei singende junge Frauen, um sie her musizierende Jünglinge mit verschiedenen Instrumenten, in den Zweigen der Bäume große bunte Vögel, die in das Konzert mit einzustimmen schienen, und im Hintergrunde Liebespaare, die sich näherten, von der Magie der Töne herangelockt. Eine sehr figurenreiche Komposition, wie Sie sehen. Sechs Wochen arbeitete ich an der Farbenskizze und hatte die Freude, sie von dem Komitee, dem ich sie vorlegte, einstimmig gebilligt und mich zur Ausführung angespornt zu sehen.

Ich machte mich nun voller Freuden an die Arbeit. Was ich mir bisher durch Porträtmalen und allerlei Kitsch erspart hatte, ging natürlich in den zwei Jahren, die dieser große Auftrag in Anspruch nahm, drauf, und beträchtliche Schulden wurden kontrahiert. Vom Komitee erhielt ich bloß einen geringen Vorschuß auf Abschlag der Preissumme, die auch nicht bedeutend war. Was kümmerte mich das alles? Ich war so froh bei der Arbeit, wie die seligen Götter, und wurde endlich zu meiner Zufriedenheit fertig.

Die neidische Kritik meiner Kollegen gab mir die Versicherung, daß ich was Rechtschaffenes zustande gebracht hatte. Als ich aber die Herren vom Komitee in mein Atelier lud, sah ich zu meinem Befremden lauter lange und kalte Gesichter.

Der Vorsitzende erklärte mir endlich rund heraus: so, wie es sei, könne mein Bild unmöglich im Saal angebracht werden. Was in der kleinen Skizze nicht aufgefallen – die vielen »Nuditäten« – das holde Wort, das damals Mode wurde – vor den züchtigen Augen der Zuhörerinnen würden die so anstößig erscheinen, daß die Abonnenten ihre Frauen und Töchter zu Hause lassen würden. Ich müsse mich entschließen, das viele Fleisch sittsam zu übermalen und auch den nackten Bübchen anständige Höschen anzuziehen.

Sie können denken, daß ich mich entschieden weigerte, zu einem solchen Selbstmord mich zu bequemen. Auch nachdem die drei Tage Bedenkzeit verflossen waren, die mir die Herren bewilligt hatten.

Ich hatte inzwischen gehört, die Seele der ganzen Agitation gegen meine armen nackten Geschöpfe sei ein Konsistorialrat, der von der Sache Wind bekommen. Und hinzu kam, daß einer meiner damals unterlegenen Mitbewerber auf ein schlaues Mittelchen verfallen war, sich im Komitee Gönner zu verschaffen.

Sein erster Entwurf war ein Gartenkonzert, wo an kleinen Tischen allerlei gute Bürger mit Weib und Kind saßen, während in einem Pavillon gegeigt, geblasen und gepaukt wurde – das ödeste Genrebild, das man sich vorstellen konnte, und lächerlich: gleichsam ein Spiegelbild, das das Publikum von unten auf den Plafond hinaufwarf! Nun aber kam er auf die Idee, in den Köpfen seiner Figuren Porträts von verschiedenen bekannten Persönlichkeiten anzubringen, besonders von Mitgliedern des Komitees, und in dem den Taktstock schwingenden Herrn den allgemein beliebten Kapellmeister des Konzertvereins. Nicht wahr, ein famoser Witz? Und daß er einschlug, konnte nicht fehlen.

Mir wurde also mit höflichem Bedauern mitgeteilt, daß Sittlichkeitsrücksichten nicht gestatteten, mein übrigens so ausgezeichnetes Deckenbild zu erwerben, und mein Rivale, der so geschickt ins volle Menschenleben gegriffen hatte, konnte sich ins Fäustchen lachen.

Die Stimmung, in die mich dies Schildbürgerstückchen versetzte, werden Sie begreifen, gnädige Frau. Zwei schöne Jahre meines Lebens verloren – nicht für meinen inneren Menschen. aber für meine äußere Lage. Ich war gerade mit meinen Finanzen reinlich aufs trockene geraten, nein, in einen Sumpf von Schulden, aus dem ich mich nur auf die Insel der Seligen hätte retten können. Nun saß ich fest.

Ein rechtskundiger Freund riet mir, das Komitee zu verklagen. Ich zog es – vielleicht törichterweise – vor, diese übersittliche Gesellschaft, die für das Edelste und Höchste, was die Natur geschaffen, nur einen Schimpfnamen hat, mit schweigender Verachtung zu strafen. Am liebsten hätte ich ihnen auch ihre Vorschüsse wieder vor die Füße geworfen, das verbot sich aber aus einem sehr natürlichen Grunde. Mein armes Bild, das ich in der ersten Wut hatte verbrennen wollen, rollte ich zusammen und gab es einem Freunde in Verwahrung. Ich selbst schüttelte den Staub der tugendhaften Stadt von den Schuhen und wanderte in die Welt hinaus, arm an Beutel, krank am Herzen.

Aber nun müssen wir eine Pause machen, gnädigste Frau. Ihre Augen sehen ein wenig ermüdet aus.

Er stand auf und legte den Pinsel weg. Sie aber blieb sitzen und sagte: Sie erzählen mir so trübselige Erlebnisse, wie kann ich da hell und heiter aus den Augen sehen! Ich nehme herzlichen Anteil an Ihrem Geschick, das im Augenblick sich ja günstig gewendet zu haben scheint. Aber auf die Länge – für Sie ist doch in einem klösterlichen Leben nicht der rechte Platz, Sie brauchen künstlerische Anregung, alles Schöne muß Ihnen erreichbar sein, und so fördernd der Umgang mit diesen Ihren Hausgenossen im übrigen sein mag, den frischen Hauch unter Ihre Flügel, den Sie im Verkehr mit jungen Gleichstrebenden erhielten, kann er Ihnen nicht ersetzen.

Der Maler war sehr ernst geworden.

Verzeihen Sie, verehrte Frau, sagte er, Sie täuschen sich über meine Lage. Ich habe ja eben erlebt, daß ich keine Kollegen finde, die Gleiches mit mir erstreben. Vielleicht bin ich ein Narr, ein verrückter Träumer, daß ich so gegen den Strom schwimme. Aber das muß ich bleiben, wenn ich ein ruhiges Gewissen behalten soll, und kann's nur in der Einsamkeit, wie sie mir hier geboten wird, wo ich mich freilich ohne das lebendige Verhältnis zur Natur behelfen muß. Doch vor allem – ich bin hier vorm Verhungern geschützt.

Wie ich hierher kam vor zwei Jahren, ein armseliger Landstreicher – ich wollte mich bis München, wo ich Freunde habe, mit Brot und Wasser durchschlagen – der Ruhm des Klosterkirchleins reizte mich, hier oben anzuklopfen ohne jeden Nebengedanken – aber die Herren bekamen mich zu Gesichte und nahmen mich ins Verhör – nun sehen Sie, für einen Schicksalsgefährten hat man ja immer Interesse. Auch diese Herren hatten üble Erfahrungen damit gemacht, gegen den Strom schwimmen zu wollen. Den Herrn Hauptmann kennen Sie wohl näher als ich. Der Professor hat ein großes Unglück erlebt, das er immer noch nicht verwinden kann.

Er ist aus einer jüdischen Familie, aber sein Vater, ein sehr reicher Bankier, hat sich und seine Kinder taufen lassen, und dieser Sohn, der Mathematik studiert hatte, brachte es zu einer Professur an der technischen Hochschule. Da er aber weder mehr Jude, noch innerlich Christ geworden war, konnte er's nicht ertragen, seinen Sohn, ein Bübchen von acht Jahren, am Religionsunterricht teilnehmen zu lassen. Darüber geriet er in heftige Händel mit der Schulbehörde, blieb aber fest, und der Kleine wurde von der Religionsstunde dispensiert. Jetzt aber war er die Zielscheibe für die Verfolgung seiner Kameraden, die auch den Judenhaß gegen ihn losließen. Bei einem Angriff auf den wehrlosen Knaben, dem nur ein paar Freunde beisprangen, wurde er über den Haufen geworfen, mit Füßen getreten und dann schwer verletzt den Eltern ins Haus gebracht. Einen Monat noch dauerte das Hinsiechen, bis er starb. Als er dann begraben war, legte sich die Mutter nieder, die aufopfernde Pflege und der leidenschaftliche Kummer brachen ihr das Herz. Den einsamen Witwer litt es nicht länger in der Stadt, wo er um das Liebste gekommen war. So ist er endlich hier im Hafen angelangt, aber Ruhe kann er auch hier nicht finden.

Und so ist auch unser guter Kaplan aus seiner Welt hinausgedrängt worden. Er hat gewagt, eine Broschüre zu verfassen gegen irgendeine Institution seiner Kirche, in der besten Meinung, einen Schaden zu heilen und eine Gefahr abzuwenden, denn im übrigen ist er ein gläubiger Katholik. Man kennt ja aber die Eifersucht der Herren in Rom auf ihre alleinseligmachende Einsicht von dem, was der Kirche not tue. Unserm Westfalen wurde bedeutet, seine Irrtümer zu widerrufen, und als er das Opfer des Verstandes nicht übers Herz bringen konnte, wurde er exkommuniziert.

Wie er sich hierher gefunden, weiß ich nicht. Nur daß er mit mir im gleichen Falle war, auf die Caritas der Klosterherren angewiesen zu sein. Ich verdiene mir meinen Unterhalt wenigstens durch ein bißchen Gepinsel. Wenn das Refektorium ausgemalt ist, haben die Brüder ihre Porträts bestellt. Der Kaplan macht sich durch seine Musik nützlich und des Abends als Vorleser, wo wir noch eine Stunde beisammen bleiben und der Professor gewöhnlich ein Buch mitbringt, Historie oder Philosophie. Aber wenn die gnädige Frau jetzt die Güte haben wollte, mir noch eine Viertelstunde stillzuhalten –

Er ging wieder an seine Staffelei.

Nach einer Weile sagte sie: Ich danke Ihnen, daß Sie mich mit den merkwürdigen Schicksalen Ihrer Hausgenossen bekannt gemacht haben. Nur der Herr, der gestern sich über dem Zeitungslesen verspätet hatte, und der Herr Doktor –

Von dem kann ich Ihnen nichts Näheres sagen, niemand weiß, was ihn hierhergebracht hat, da er doch gewiß ein vortrefflicher Arzt ist und hier nur eine Patientin hat, das Evchen, denn wir andern erfreuen uns einer prachtvollen Gesundheit. Der Herr Rabe aber – ja, wie soll ich ihn bezeichnen? – nun, er ist so eine Art verkrachter Politiker. Erst wollt' er eine Laufbahn als Dozent an einer Universität ergreifen, ein bloßes Auditorium war ihm aber zu eng, um seine Ideen unters Volk zu bringen, er wollte in den Reichstag, fand aber keine Partei, mit deren Tendenzen er ganz übereinstimmte, trat hie und da als Kandidat auf und verdarb es überall mit seinen Wählern, da er auf kein Programm sich einschwören lassen wollte. Ich verstehe nicht viel von Politik, aber es heißt ja, sie verdirbt den Charakter, weil sie nötigt, seine Überzeugungen zum Teil zu opfern, um sich blindlings einer Partei anzuschließen. Unser hitziger Rabe nun wollte sich nicht darein finden, sondern bis ins kleinste, wie er sagt, sich treu bleiben. Ein richtiger Deutscher mit dem heiligen Eigensinn eines Querkopfs. Nun ist er aus dem politischen Leben ausgeschieden und betrachtet den Kampf auf dem weiten Felde drunten von einer höhern Warte, als von der Zinne der Partei, womit er sich selbst beständig aufregt, uns andere aber entsetzlich langweilen würde, wenn es nicht Hausgesetz wäre, nicht über Politik zu sprechen. Auch lesen wir anderen keine Zeitungen.

Während dieser Mitteilungen hatte er eifrig gemalt. Da klopfte es an der Tür, und herein trat mit der Frage, ob er nicht störe, der Doktor, der sich höflich gegen das Modell verneigte und dann hinter der Staffelei Posto faßte.


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