Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Zweites Kapitel.

Das helle Landschaftsbild draußen, vom dunklen Torbogen eingerahmt, nahm sich sehr malerisch aus.

Nach einem sanften Anstieg von etwa hundert Schritten erhob sich der Nonnberg plötzlich in steilem Abfall zu einer ansehnlichen Höhe, und der Gipfel, der das Kloster trug, trat frei aus der Waldung hervor. Von den alten Gebäuden droben ragten freilich, aus dieser Tiefe gesehen, nur die schieferdunklen Dächer und die feine Spitze des viereckigen Turmes über die Umfassungsmauer hinaus. Doch gerade diese verkürzte Silhouette zeichnete sich reizvoll gegen den lichten Himmel ab und erweckte das Verlangen, dem ehrwürdigen Altertum näher auf den Leib zu rücken.

Die Fremde, nachdem sie sich mit den Augen einer landschafternden Dilettantin eine Weile an diesem Anblick geweidet hatte, setzte endlich ihren Weg fort, zunächst auf der Fahrstraße, die gerade auf den Fuß der Anhöhe zulief. Da aber nach fünfzig Schritten der breite Weg sich nach links wandte und Miene machte, in weitem Bogen kreisend sich sacht zur Höhe hinaufzuwinden, entschloß sich die schöne Spaziergängerin kurz, den Fußpfad einzuschlagen, der ziemlich steil bergan im Schatten eines Buchen- und Eichenwäldchens zur oberen Platte hinaufstieg.

Die starken, aber nicht sehr hohen Bäume, mit denen der Berg bestanden war, trugen noch vom Winter her ihr rostbraunes Laub. Dazwischen aber schimmerte in den hellgrünen Frühlingsfarben ein reichliches Unterholz, das sich bis an den Fußpfad herandrängte. An dichteren Stellen, wo sich das Nesterbauen verlohnte, fehlte es nicht, und schon jetzt huschten und schwirrten allerlei kleine Vögel geschäftig zwischen den Zweigen hin und her und begrüßten mit Zirpen und Zwitschern die unbekannte Frau, die zwischen ihren Verstecken hinaufwandelte.

So langsam sie es tat und so frisch die Luft hier im Schatten ihr Gesicht umspielte, wurde ihr doch, da sie eine Bewohnerin der Ebene war und bei aller Schlankheit etwas zur Fülle neigte, von der Mühe des steilen Anstiegs warm genug. Sie lüftete das Pelzchen am Halse und band den Hut ab, den sie sich an den linken Arm hängte. Das Sonnenschirmchen erwies sich zum Bergstock nicht eben passend. So war sie froh, als sie endlich oben anlangte und aus den letzten Waldschatten auf die freie Kuppe hinaustrat.

Hier aber fand sie sich für das beschwerliche Klettern reichlich belohnt.

Ehe sie sich nach der Klostermauer wandte, die noch eine Strecke zurück lag, blieb sie wohl zehn Minuten stehen in Betrachtung des weiten Landschaftsbildes ringsum in der Tiefe. Zur Linken dehnte sich schier unabsehlich das Heideland mit seinen Sumpflachen, schilfigen Wiesenflächen und rötlicher Erika bis zu der schwarzen Fichtenwaldung am Horizont. Rechts, vom Städtchen sanft ansteigend, war der Grund, in saubere bunte Felder streifenweis abgeteilt, mit Gemüsebeeten der verschiedensten Art bedeckt, die eben frisch aufzugrünen begannen. Sie zogen sich zu dem höheren ebenen Gelände hinan, wo einige Landhäuser bescheidener Gestalt, Garten- und Warmhausanlagen und ein Gebäude, das sich durch Tische und Bänke unter dichten Kastanien als ein Sommerkeller darstellte, den Abschluß machten. Von hier oben konnte man auch den Lauf des ruhig strömenden Flusses, der unterhalb der Stadt ein Nebenflüßchen aufnahm, wie auf einer Landkarte verfolgen. Die Stadt selbst aber, in der Tiefe zwischen den beiden grünen Bezirken, nahm sich aus dieser Vogelperspektive so blank und zierlich aus, als hätte ein väterlich gesinnter Riese sie seinem Töchterlein aus einer Spielzeugschachtel zum Geburtstag aufgebaut. Die goldenen Kreuze auf den beiden einander verträglich anblickenden Kirchlein glänzten hell über die grauen oder ziegelroten Dächer weg, die Schule war eben zu Ende, und ein Gewimmel kleiner Köpfe und Beine drängte sich, Mägdlein und Buben wild durcheinander, aus dem niedrigen Schulhause auf die Straße. Bis hier herauf konnte man den Lärm und das Jauchzen der jungen Stimmen vernehmen, in die Wette mit dem Gezwitscher und Gezeter der Spatzen, die sich vor der daherstürmenden Bande der Schuljugend in die Wipfel der Kugelakazien um den Marktbrunnen flüchteten.

Das alles betrachtete die Fremde droben nur mit einem zerstreuten Blick. Durch ihre schöne glatte Stirn, über die das weiche Haar hereinfiel, gingen ganz andere, viel weniger friedliche und idyllische Gedanken. Endlich aber schien sie sich zu besinnen, daß sie nicht bloß der schönen Aussicht wegen hier heraufgekommen sei; das Haar zurückstreichend und den Hut wieder aufsetzend, wandte sie sich um und schritt rasch auf das große Tor der Klostermauer zu.

In den starken Bohlen und Brettern, aus denen es gezimmert war, öffnete sich links ein schmales Pförtchen, mit schwarzen Eisenstäben vergittert. Durch diese konnte man einen Teil des Inneren überblicken, den kleinen Grashof, in dessen Mitte sich ein altertümlicher Schöpfbrunnen erhob, dahinter eine Fassade aus sorgfältig geschichteten grauen Quadern. Das mittlere Portal war mit Sandsteinpfeilern eingefaßt, darüber in einem Halbrund eine verwitterte Skulptur, wahrscheinlich die Heilige darstellend, der das Kloster geweiht war, zwei kniend anbetende Engelchen zu ihren Seiten. Den Eingang verschloß eine Tür mit grünlichen Bronzeplatten belegt, zur Seite je zwei schmale Fenster und im oberen Teil fünf andere, die blind zu sein schienen. Das hübscheste aber war links neben den Stufen, die zum Portal hinaufführten, eine geräumige Laube, rings mit Efeu umwuchert, dessen Ranken auch an der Mauer des Hauses hinaufgekrochen waren und alle Risse und Schrunden, die hier der Zahn der Zeit genagt, mit grüner Blätterfülle überdeckt hatten.

Auch innerhalb der Laube sah es lieblich aus. An einem Steintisch saß ein kleines Mädchen, kaum älter als sechs oder sieben Jahr, die bloßen Ärmchen aufgestützt, das Gesichtchen schlummernd auf ein Buch gesenkt, so daß die braunen Locken auf das Blatt herabfielen. Neben ihm auf der Bank, den struppigen Kopf zwischen den Vorderpfoten, lag ein riesiger Leonberger, der offenbar das Kind hatte bewachen wollen, aber darüber eingeschlafen war. Sonst war in dem kleinen Gebiet, das man durch das Gitterpförtchen überblicken konnte, nichts Lebendiges zu sehen, als ein paar Tauben, die auf dem Brunnenrand saßen und ebenfalls eine kleine Siesta zu halten schienen.

Nur ein paar Augenblicke betrachtete die Fremde dies Stillleben. Dann zog sie entschlossen an einem rostigen Glockengriff, der neben der Pforte herabhing, und sogleich ertönte drinnen der Hall einer etwas heiseren aber lauten Glocke, die plötzlich die feierliche Nachmittagsruhe aufschreckte. Die Vögel flatterten in die Höhe, der Hund richtete sich mit drohendem Knurren auf und sprang von der Bank herunter, das Kind hob den Kopf und spähte mit großen Augen nach der Stelle, von wo der Schall herkam, und ein paar Minuten später erschien mit trägem Schritt hinter der Gitterpforte ein langaufgeschossener Bursch in Hemdärmeln, eine verschossene Mütze auf dem dicken roten Haarschopf, kleine blaue Augen in dem mit Sommersprossen getigerten jungen Gesicht. Er spähte schläfrig und verdrossen durch das Gitter hinaus und fragte mit grober Stimme, was die Dame hier suche, und ob sie nicht wisse, daß Fremde nicht eingelassen würden?

Die schöne Frau betrachtete den tölpelhaften jungen Pförtner mit ruhigem Lächeln, ein scharfes Wort aber, das ihn an die Pflicht der Höflichkeit erinnern sollte, blieb ihr auf der Zunge, da sie an seinen matten Augen sah, daß sie ihn aus einem Nachmittagstraum aufgestört hatte. So fragte sie nur kurzweg, ob der Herr Hauptmann von Greiner zu sprechen sei.

Nee, der sei vor einer Stunde weggeritten. Wann er wiederkomme, könne er nicht sagen.

So wolle sie auf ihn warten. Er möge sie nur einlassen.

Das ginge nicht an. Ohne Erlaubnis dürfe er das Tor für niemand aufmachen. Frauenzimmer dürften überhaupt nicht 'rein.

So? sagte die Fremde, belustigt durch die wohlweise Miene, mit der der Bursch sie abzufertigen dachte. Ist es denn noch ein geistliches Kloster, und wer hat dies Gebot gegeben?

Der ironische Ton, mit dem sie das sagte, machte nun doch Eindruck auf den ungeschliffenen Jüngling. Auch war er inzwischen völlig aufgewacht. Er kratzte sich am Arm und sagte: Es is verboten. Ich darf niemand 'reinlassen. Kusch, Nero! rief er dem Hunde zu, der jetzt bellend in großen Sätzen herangesprungen kam. Das Kind war aufgestanden, blieb aber am Eingang der Laube stehen und betrachtete mit erstaunten Augen die fremde Dame draußen vor der Gitterpforte.

In diesem Augenblick öffnete sich das Portal des Hauses, ein junger Mann trat heraus und stieg, ein Liedchen pfeifend, die Stufen herab. Als er die Gruppe am Pförtchen erblickte, kam er eilig heran, umging den Brunnen und rief dem Hunde, der erst auf seine Mahnung sein rauhes Heulen einstellte und mit dem Schweife wedelnd zu ihm herantrabte.

Der junge Mann war eine schlanke Gestalt von mittlerer Größe, mit einem feinen Gesicht, das etwas an die bekannten Van-Dyck-Porträts erinnerte. Die Haare aber, die buschig unter dem zurückgeschobenen Strohhut vorkamen, und Schnurr- und Spitzbärtchen waren tiefschwarz, im übrigen kündigte sein Anzug und die ganze Haltung einen Kunstjünger an. Denn der Kittel aus grauer Leinwand, vorn offen, so daß eine dünne blaue Halsbinde heraushing, trug in verschiedenfarbigen Flecken die Spuren malerischer Tätigkeit.

Als er nah genug herangekommen war, um die Dame, die draußen stand, deutlich zu erkennen, blieb er mit einer Gebärde lebhafter Überraschung stehen. Das schöne helle Gesicht hinter den schwarzen Eisenstäben, das zarte Blondhaar und die reizende Gestalt hätten ohne Zweifel sein Herz rascher klopfen machen, auch wenn er ein richtiges Mönchsgelübde abgelegt hätte.

Nun aber war er ein Künstler und brauchte seinen Gefühlen keinen Zwang anzutun.

Er trat vollends an das Pförtchen heran, lüftete ehrerbietig den Hut und fragte, mit wem er die Ehre habe und womit er der gnädigen Frau dienen könne.

Sie wiederholte ihre Frage, ob der Herr Hauptmann zu sprechen sei. Ihren Namen nannte sie nicht.

Herr von Greiner sei in den Wald geritten, wie alle Nachmittage, werde aber gewiß bald zurück sein. Wenn die gnädige Frau so lange im Klosterhof verziehen wolle –

Damit gab er dem Burschen einen Wink, das Pförtchen aufzuschließen, und trat höflich beiseit, als die Dame über die Schwelle trat. Du kannst gehen, Hinrich, sagte er. Ich brauch' dich nicht mehr.

Der junge Mensch zog sich linkisch zurück, etwas zwischen den Zähnen murrend, und rief dem Hunde, der ihm aber nicht folgte, sondern jetzt ganz zahm sich der Dame näherte, seinen dicken Kopf an ihrem Kleide rieb und treuherzig zu ihr aufblickte.

Nun stand sie im Innern des Grashofs und sah sich um. Rechts erblickte sie, die ganze östliche Seite einnehmend, den wohlerhaltenen Flügel des Klostergebäudes, der mit zwei Reihen kleiner Fenster übereinander in den Hofraum hinabsah. In der Mitte eine kleine, rundbogig abgeschlossene Tür, das Bildwerk darin so verwittert, daß man den Gegenstand nicht erkennen konnte. Aber auch auf dieser Seite hatte sich Efeu überall aufgerankt, aus armsdicken Stämmen emporwuchernd, und selbst in dem engen Raum zwischen dem Mittelbau und dem Seitenflügel, der hinten durch einen Querbau geschlossen wurde und nie einen Sonnenstrahl empfing, setzte sich das grüne Gerank fast bis unter den First des spitzen schwarzen Daches fort, nur daß die Rosenzweige, die sich vorn zwischen den Efeu gedrängt hatten, in der feuchten Enge des Sackgäßchens nicht Wurzel gefaßt hatten.

Wie schön ist es hier! sagte die Fremde. Auch im Winter muß es sich gut hier wohnen lassen.

Er antwortete nicht sogleich. Er stand regungslos neben ihr und verschlang ihr Bild mit großen bewundernden Augen. Ihn deuchte, nie ein feineres Profil gesehen zu haben, und freilich hatte er so lange hier in der Wildnis gelebt, ohne daß Frauenschönheit seine durstigen Maleraugen erquickt hatte.

Endlich besann er sich doch, daß er eine unbeholfene Figur machte, und sagte: Wenn Sie sich setzen wollen, gnädige Frau – dort in der Laube –

Ich danke, ich bin nicht müde. Auch gibt es hier so viel zu sehen. – Ist der rechte Flügel dort von der Zerstörung ganz verschont geblieben, und wie mag das Kloster ausgesehen haben, eh' es der Krieg teilweis in Trümmer legte?

Sie sehen da drüben links noch die Spuren der ursprünglichen Anlage, versetzte der Maler. Ein Rest der Mauer ist hinten noch stehn geblieben, wo sich ehemals der andere Flügel anschloß, dort aber lief er um einen Kreuzgang herum mit zierlichen Säulchen und umschloß einen kleinen Hof, in den man durch die Fenster des Refektoriums hineinblickte. Das wiederherzustellen verlohnte nicht der Mühe. Denn die Herren, die die Ruine kauften, um hier zu wohnen, bedurften nicht mehr Zimmer, als in dem einen ziemlich gut erhaltenen Flügel sich befanden, im ganzen zwölf. Die oberen Fenster erhellen den Korridor, die Zellenfenster gehen nach Osten ins Freie hinaus, darunter liegen allerlei Wirtschaftsräume und Vorratskammern. Alles sehr einfach und schmucklos, aber das Alter ist an sich schon ein Schmuck solcher ehrwürdigen Mauern, zumal wenn die Natur sie grün dekoriert. Wie Sie sehen, gnädige Frau, geht der Rundbogen durch. Ich schätze die Gründung des Klosters daher ein paar Jahrhunderte vor dem Kriege, der den Kreuzgang zerstörte und sonst noch manches verwüstete. Nur die kleine Kirche, die man von hier aus nicht sieht, ist verschont geblieben.

Sie wandte den Kopf nach der anderen Seite, wohin der Pförtner sich zurückgezogen hatte. Dort lagen einige niedere Gebäude, die als Ställe und Schuppen, zu mancherlei Bedürfnissen bestimmt, zu erkennen waren.

Das ist die unmalerische Kehrseite unserer Siedelei, sagte der Maler lachend, Pferde- und Kuhstall, Holz- und Futtermagazin und eine kleine Kabuse für den großen Schlingel, der die Tiere besorgt und dabei freilich nicht eben lernt, mit Menschen manierlich umzugehen. Sonst ist die Wirtschaft in guten Händen, ein Hausmeister, der zugleich den Garten besorgt, wohnt mit seiner Frau, einer wackeren Köchin, in den Zimmern, die in der Sackgasse liegen. Sie haben ein liebes Töchterchen, die Kleine dort in der Laube. Komm doch her, Evchen, und gib der schönen Dame eine Hand.

Die Kleine näherte sich langsam, doch ohne Schüchternheit. Man sah nun, daß sie den linken Fuß nachzog.

Unser Doktor behandelt sie elektrisch, flüsterte der Maler, es bessert sich schon. Sie hat sich das Gebresten vor drei Jahren durch einen Fall zugezogen.

Das Kind war herangekommen, die Fremde beugte sich zu ihm herab und küßte es auf die Stirn. Sie fragte, wie alt sie sei und ob sie schon lesen lerne. Dann nahm sie die Kleine bei der Hand und sagte: Darf ich wohl noch die Rückseite des Klosters sehen? Man hat mir die Kirche so gerühmt, die dort liegt, und der Herr Hauptmann läßt auf sich warten. Komm, Evchen. Und dein Freund, der Nero, soll uns auch begleiten.

So schritt sie, zwischen der Kleinen und dem Hunde, ohne die Erlaubnis abzuwarten, nach links, an dem Mittelbau und der Laube vorbei, und der junge Mann, der einen Schritt hinter ihr blieb wie ein Hofkavalier hinter einer Prinzessin, hing wieder mit glücklichen Augen an jeder ihrer Bewegungen.

Auf einmal aber sah er an sich selbst herab, blieb mit einer erschrockenen Gebärde stehen und sagte: Herrgott, gnädige Frau, was müssen Sie von mir denken!

Auch sie blieb stehen und wandte sich verwundert zu ihm.

Was meinen Sie?

Daß ich mir herausnehme, in meinem Arbeitsschmutz Ihnen meine Begleitung anzubieten. Ich bitte, es mit der Überraschung zu entschuldigen, mich plötzlich einer so schönen vornehmen Dame gegenüber zu sehen, nachdem ich zwei Jahre einen solchen Anblick entbehrt habe. Denn nach der Hausordnung, wie Ihnen der Tölpel Hinrich gesagt haben wird, hat das Ewigweibliche in diesen heiligen Hallen allerdings keinen Zutritt.

Ist das selbst in einem weltlichen Kloster die Regel?

O gnädige Frau, erwiderte er lachend, wir sind nicht auf die drei Mönchsgelübde verpflichtet, aber es ist nun so hergebracht. Die Herren Oberen wünschen der Welt völlig abzusterben, sie haben wohl ihre Gründe dazu. Von meiner Wenigkeit gilt das nicht, ich bin nicht einmal ein richtiger Ordensmann und nur aus Güte als eine Art Laienbruder hier aufgenommen. Meines Zeichens, wie Ihnen dieser buntbefleckte Kittel schon gezeigt haben wird, bin ich ein Maler, habe mit meiner Kunst Schiffbruch gelitten, und als mich eine gnädige Welle an dieses Vorgebirge der Hoffnungslosigkeit spülte, nahmen die Bewohner den Gescheiterten auf und hielten ihn hier wie in einem gastfreundlichen Hafen fest. Das Nähere kann Sie nicht interessieren. Ich will nur bemerken, daß ich gesucht habe, mich dankbar zu bezeigen, indem ich das Refektorium ausmale. Dort hinter den vier hohen Fenstern, die in den ehemaligen Kreuzgang schauen, ist mein täglicher Arbeitsraum, von dem ich eben herkam, in der Absicht, mir die Hände zu waschen und meine Bluse mit einem anständigeren Kittel zu vertauschen. Wenn Sie zehn Minuten hier verziehen wollen – ich springe nur in meine Zelle hinauf und komme in etwas präsentablerer Toilette zurück.

O nein, erwiderte sie freundlich, bleiben Sie nur, Herr – darf ich um Ihren Namen bitten.

Mein Name ist noch ganz unberühmt, ich habe auf keiner Ausstellung eine Medaille bekommen, oder hätten Sie von Paul Marbach jemals etwas gehört? Hier im Kloster nennt man mich, wie meine Kameraden auf der Akademie mich nannten nach meiner leidenschaftlichen Verehrung für Rubens: Peter Paul. Wenn Sie die Gewogenheit haben wollten, mich auch mit diesem Spitznamen anzureden, den ich mir zur Ehre rechne –

Gewiß, Herr Peter Paul, ich finde den Namen ganz hübsch. Aber nun machen Sie keine Umstände wegen Ihrer Toilette. Jeder soll die Uniform seines Berufes tragen. Kommen Sie und sagen Sie mir, warum die großen Steinhaufen dort hinten an der Mauer aufgeschichtet sind.

Die stammen von dem zerstörten Flügel, gnädige Frau, und die Herren haben diesen Rest dort beiseite bringen lassen, nachdem die zertrümmerte Ringmauer damit ausgeflickt und alles übrige restauriert worden ist. Unser Prior –

Also haben Sie doch einen Prior, wie ein geistlicher Orden?

Wir nennen scherzweise den Herrn Hauptmann so, weil ihm die ganze Leitung und Verwaltung übertragen ist. Er war bei der Artillerie und dem Geniekorps und versteht sich am besten auf alles Praktische und Technische. Auch ist er der Älteste. Ein ganz ausgezeichneter Mann, und wenn er nicht Unglück gehabt hätte, würde er's in seinem Beruf weit gebracht haben. Aber allerlei Schicksalsschläge, von denen man nur so aus dritter Hand erfährt, brachten ihn in seinen Nerven so herunter, daß er in eine Heilanstalt flüchtete. Dort lernte er die beiden andern Herren kennen, die ebenfalls, aus andern Gründen, sich eine Weile von der Welt zurückziehen wollten, den Professor und den Doktor. Wer von ihnen auf den Gedanken kam, die Ruine zu kaufen und sich hier zurückzuziehen, weiß ich nicht. Sie hatten alle drei die Mittel dazu und machten gemeinsame Kasse. Das war vor etwa fünf Jahren, fast ein Jahr dauerte es, bis der alte Kasten wohnlich gemacht war, dann fanden sich noch zwei Weltüberdrüssige hinzu, und wie ich eines Tages heraufkam, da ich mit meinem Skizzenbuch hier herumstrich, fand ich die Brüderschaft schon eingesessen und sah es als ein großes Glück an, daß ich nicht am Tor abgewiesen wurde. Es lag mir besonders an dem alten Klosterkirchlein, das ziemlich berühmt ist, als ein besonders zierliches Spezimen frühgotischer Architektur. Sie werden sehen, wie hübsch das kleine Ding an den romanischen Mittelbau angegliedert ist, das feine Maßwerk in den Fenstern, die schöne Grundform des Chorabschlusses. Am reizendsten freilich ist das Innere, und sogar die rohe Soldateska, Ligisten wie Schwedische, scheinen eine gewisse Ehrfurcht vor einem solchen Kunstwerk gefühlt und darum mit ihrer Zerstörungswut davor haltgemacht zu haben.

Währenddessen waren sie an dem Platz vorbeigekommen, der ehemals von dem Kreuzgang eingeschlossen war. Von diesem sah man nur einen Rest, den Anfang der oberen Galerie, von der noch ein paar Bogen mit ihren zierlichen Säulchen übrig geblieben waren. Der Grund unten war mit hohem Graswuchs bedeckt, eine weiße Ziege graste darin, deren topasfarbene Augen sich neugierig auf die fremde Erscheinung richteten, bis sie den langbärtigen Kopf wieder in ihr Futter senkte.

Daran vorbei gelangten sie nach der Rückseite des Klosters und standen nun betrachtend still. Um die Mauer herum sah man verwitterte Grabsteine und Steinkreuze, einige in den Sockel der kleinen Kirche eingelassen, andere freistehend mit Efeu umkleidet.

Zwischen dieser und der Ringmauer lag noch ein ziemlich großer Bezirk, der mit einem Gärtchen bestellt war, auch das sorgsam gepflegt, zu dieser frühen Jahreszeit aber noch nicht im Flor. Das ist die Domäne des Klostervogts Jonas, unseres Hausverwalters, sagte Peter Paul. Vier Wochen später, und ich könnte Ihnen einen hübschen Strauß pflücken, aber hier oben sind die Nächte noch kalt. Der Weg zwischen den Pflanzen führt zu einer Türe, durch die man in den Wald gelangt. Sie müssen wissen, der Höhenzug, dessen Vorgebirge unser Nonnberg ist, streckt sich unabsehlich weit nach Norden und ist mit herrlichem Eichen- und Buchenwald bestanden. Wenn wir uns Bewegung machen wollen, ohne unsre Klausur aufzugeben, brauchen wir bloß die Tür aufzuschließen, dann können wir stundenlang einsam durch den Wald schweifen. Der Prior macht sich das zunutz und reitet täglich hinaus. Sehen Sie, da kommt er eben zurück. Ich will nur hin, ihm aufzumachen. Dann muß ich mich von Ihnen beurlauben, gnädige Frau, da Ihr Besuch einem Höheren gegolten hat.

Er verneigte sich mit einem leisen Seufzer vor der schönen Fremden und lief durch den mittleren Gartenweg nach der Mauerpforte, vor der eben ein Mann auf einem etwas schwerfälligen Braunen anhielt. Der Maler, während er die Tür aufschloß, sprach zu ihm hinauf, während der Reiter die weibliche Gestalt bei der Kirche mit einem scharfen Blick musterte. Dann trat Peter Paul beiseite und ließ das Pferd an sich vorüber.

Als es das Gärtchen durchschritten hatte, stand es still und der Reiter stieg ab, die Zügel seines Pferdes dem Maler überlassend, der es in den Stall zurückführte.


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