Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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II.
Recensionen und Vorreden.

 

A. Recensionen.

 

G. S. Steinbart's System der reinen Philosophie oder Glückseligkeitslehre des Christenthums. Züllichau 1778, vermehrt 1780. 8.Diese gleichzeitige Beurtheilung blieb ungedruckt und ist erst in den Werken veröffentlicht worden. – D.

Steinbart's System der reinen Philosophie (er hat's Glückseligkeitslehre des Christentums nennen wollen) ist, wie mich dünkt, seinem philosophischen Theil nach ein schätzbares Buch, das Manche wol nicht schreiben könnten, die es verachten. Ein sehr klarer Blick auf die Dinge, die er vor sich nimmt, eine bündige Kette von Bemerkungen und Schlüssen, eine gewisse Freiheit des Geistes und Leichtigkeit des Stils unterscheiden den Schriftsteller sehr; daher er auch so ausgebreitet gelesen und gelobt worden. Das Principium seiner Moral, freie, kindliche Liebe zu Gott, unserm Vater, ist unwidersprechlich nicht nur für die Vernunft das edelste, sondern auch so sehr aus der Lehre und dem Sinn Christi. Noch auffallender hat der Verfasser dies Alles gemacht, da er seine natürliche, kindliche, freie Moral den drückenden, engen Grundsätzen der Schule entgegensetzt, in der er nach seinem Vorbericht erzogen worden, und aus welcher er sich zu dieser freien, lichten Gottesansicht, wie er sagt, nicht ohne Mühe hervorgearbeitet. So weit ist, dünkt mich, das Buch unwidersprechlich schön und brauchbar. Nun aber wundert es mich, warum der Verfasser nicht, ohne sich weitern Anstoß zu suchen und herzuholen, sein Gebäude auf die freie, lichte Höhe, die er erstiegen zu haben glaubt, frei aufführt; warum er immer in die Tiefe des Nebelthals, wie es ihm dünkt, vom Athanasisch-Augustinisch-Anselmischen System zurückblickt und dies nicht an dem ruhigen Orte läßt, wo ihm so wohl ist. Die meisten dieser Lehren sind, nahe betrachtet, wirklich nicht das, wofür sie der Verfasser ansieht; wenigstens sind sie's nicht im Vortrage besserer ältern und neuen Theologen und gewiß nicht im Munde der Schrift, die uns endlich der erste Theolog sein muß. Auch nach der Geschichte sind die Dogmata nicht so gestanden, wie sie der Autor vorstellt; und den besten Gesichtspunkt zur Anwendung hat er ihnen nicht gegeben. Vom Alten Testament hält der Verfasser so wenig, daß manche Ausdrücke darüber ärgerlich sind, selbst wenn er dasselbe auch nur als zubereitende Geschichte zur Erscheinung Christi betrachten wollte. Auch als solches verdient es studirt zu werden; denn Christus studirte es, und in jeder weltlichen Wissenschaft hält man die genetische Geschichte, die zu- und vorbereitenden Schritte zum System für den wahren Kern der Entdeckungen, für die bildendste, lehrreichste Lectüre. Im Schimmer der Morgenröthe und bei jedem Schritt der steigenden Sonne giebt's Regungen und Schönheiten der Natur, die bei der höchsten Mittagshöhe nicht sind; durch jene muß das Auge auf diese bereitet und fortgeführt werden. Warum, warum ließ uns Gott diesen ganzen Gang einer lebendigen Geschichte? etwa weil sie unnütz war? und sollte sie unnütz sein, weil Dieser und Jener sie nicht benutzen mag und dessen nicht werth findet? Bezieht sich nicht alle Folge auf die Vorzeit sowie die Vorzeit auf die Folge und alle Theile eines Gebäudes auf einander? und sollte man die Gestalt, selbst den Zweck Christi recht sehen können, wenn alle Anstalten und Zubereitungen auf ihn in den Schatten gedrängt würden? Auch des Verfassers Classification der Documente des Christenthums mache Niemand irre; sie sind nicht so verschieden, als er sie angiebt. Diese und andere Aeußerungen der Art gehörten alle zu seinem eigentlichen Zwecke wenig. Da dieser eigentlich nur philosophische Moral sein soll, warum stand diese nicht allein? warum mischte sie sich in die Geschichte und in ein System, das nur aus Geschichte besteht und auf ihr ruht? Uebrigens schätze ich den Scharfsinn und Vortrag des Verfassers sehr, so daß ich, was er versprochen hat, Unterrichts- und Lehrbücher in mehrern Wissenschaften (nur nicht theologischen Inhalts) von ihm wünsche. Nicht theologischen Inhalts; denn das eigentliche System der Schrift hat, dünkt mich, das Buch nicht berührt, viel weniger umgestoßen oder etwas an die Stelle gesetzt, was in jenem nicht ursprünglicher, besser, kräftiger erschiene.

 

Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Nach der Dichterin Tode nebst ihrem Lebenslauf herausgegeben von ihrer Tochter C. L. von Klenke, geb. Karschin. Berlin. Zweite Auflage, mit dem Bildniß der Dichterin. 1797.Aus den »Nachrichten von gelehrten Sachen, herausgegeben von der Akademie nützlicher Wissenschaften zu Erfurt« 1797, Stück 25. Die Beurtheiler unterschrieben sich in dieser Zeitschrift mit ihrem vollen Namen. Vgl. »Von und an Herder«, I. 229 f. – D.

Man macht uns Deutschen nicht unbillig den Vorwurf, daß wir das Gute, das unter uns aufkeimt, nicht gnug schätzen, nicht gnug aufmuntern und oft die Ersten sind, es zu verachten. Auch die Dichterin, deren Nachlaß hier erscheint, ist davon ein Erweis. Von Kindheit auf brachte sie die schönsten Jahre ihres Lebens unter Menschen zu, über deren Rohheit unter den armseligsten Umständen man beinahe nicht gnug erstaunen kann. »Ist das«, sagt man zu sich selbst, wenn man die erste Hälfte der wohlgeschriebenen, äußerst merkwürdigen Lebensbeschreibung liest, die hier die Tochter von ihrer Mutter giebt. »ist das eine Provinz Deutschlands? oder sind wir in Polen, in der Moldau? Leben so cultivirte Menschen mit einander?« Die talentreiche Mutter der Karschin, ihr Oheim, dem sie das schöne Lied: »Kommt herauf gestiegen aus dem Sande«, gesungen hat, sodann ein Hirtenknabe, der ihr Bücher zum Lesen verschaffte, sind die einzigen Gestalten, die uns in dieser Wüste noch einige Freude gewähren. Der Baron Kottwitz brachte sie endlich nach Berlin, wo sie zuerst angestaunt, leider aber von den Meisten nur angestaunt ward. Man ließ sie singen und glaubte zuletzt ihr eine Ehre zu erweisen, wenn man ihre Gesänge nur annahm. Natürlich stieg in dieser lobsingenden Sphäre ihr Flug nicht höher mit den Jahren, und es ist sehr zu verwundern, daß sie noch so lange immer mit einigen guten Tönen ihre Stimme behalten. Ihr letztes Gedicht an die Herzogin von York (s. Zueignung dieser Sammlung, S. 2) ist vom October 1792, und sie starb am 12. October. Wenn einst eine nicht nur dem Namen nach, sondern im Gemüth cultivirte deutsche Nachwelt diese Lebensbeschreibung lesen und mit den unstreitigen Talenten unsrer Dichterin, die aus vielen Gedichten hervorleuchten, zusammenhalten sollte, wird sie diese wilde Blume in Schwiebus, in Fraustadt, in Glogau verlassner finden oder unter den Vornehmen der Hauptstadt, deren Vortrefflichkeiten sie rühmte? Man lese den letzten Theil der Lebensbeschreibung mit Vergleichung der Gedichte, die zu ihm gehören, und übersehe ja dabei nicht S. 185, 188, 235, vor Allem S. 153, 154.

Ein sonderbares Gefühl drängt sich uns bei dieser Vergleichung auf. Die besten Gesänge sang die Karschin in den Jahren 1761, 1762, vielleicht noch bis 1768. Da hielt sie sich an große Gegenstände; die bewundernde Aufmunterung ihrer Freunde hob sie gleichsam über sich selbst empor. Als sie durch ihre oder durch fremde Schuld sich überlassen blieb oder gar nur lobte, nur rühmte, da sank ihr Flug. Der steigenden Lerche fehlte die Himmelsluft, die ihren Gesang weckte. Unstreitig sind die Gedichte, die sie in den Jahren der Freundschaft mit Gleim, Sulzer, Bachmann u. s. w. dichtete, die vorzüglichsten unter allen; Gleim insonderheit ward auch dadurch ihr größter Wohlthäter, daß er ihrer Harfe die kühnsten, die seelenvollsten Töne entlockte.

Will man von den Gedichten unsrer Sängerin mit einiger Billigkeit reden, so muß man in ihnen Natur und Kunst unterscheiden. Alle reinen Empfindungen über Gegenstände der Schöpfung, über Gott, Vorsehung, über die Schicksale und Erfahrungen ihres eignen Lebens, über Menschenpflichten, über sich selbst sowie auch über große Situationen der Menschheit, insonderheit im Kriege, beim Brande, in Hunger, Kummer und Elend, über tröstende Hoffnungen der Religion u. s. w. setze ich in die Sphäre ihrer hohen und starken Naturempfindungen. Die meisten, auch spät geäußert, stammen bei ihr aus Jahren ihrer Kindheit und Jugend her; sie geben ihrer Muse die wahrsten Bilder, die treffendsten Ausdrücke und sind oft mit Flammenschrift geschrieben. In der älteren Sammlung der Karschischen Gedichte (Auserlesene Gedichte von A. L. Karschin. Berlin 1764) sind die Oden, Gesänge und Lieder dieses Inhalts z. B. an Gott, als die Dichterin bei hellem Mondschein erwachte S. 3, an den Schöpfer bei ihrem Geburtstage S. 7, das treffliche Lied: Erheb auf mich Dein Angesicht S. 23, der Morgengesang an ihre Seele S. 25, Der Frühling S. 33, An den Mai S. 39, An einen Freund, der den Tod einer Freundin beweinte S. 43, Vom Vertrauen auf Gott S. 46, An den Reichsgrafen von Stolberg S. 89, an ihren verstorbenen Oheim S. 92, Die Gesänge S. 120, 141, Der Tod S. 47, An Palämon S. 211, 217, 228, das Klagelied über den Tod eines Vogels S. 239, das Harzmoos S. 339, ihre beliebtesten Gedichte. Sie schließen ihr Herz auf; sie äußern ihre inneren Gesinnungen, meistens Erinnerungen aus ihrer Jugend und aus dem Lauf ihres Lebens. Auch in dieser Nachlese tragen die Gesänge solches Inhalts, obgleich oft in schwächeren Zügen, denselben Charakter, z. B. Der sichre Fromme S. 41, An Gleim S. 72, über den Unbestand des Ruhms S. 80, An Gott S. 129, Das Loblied S. 141, Belloisens Lebenslauf S. 197, An die Ostersonne S. 270. Rede an Gott S. 306. Und unter ihren frühesten Gedichten Das Schicksal S. 358, Der Tag des Schreckens S. 362, Die göttliche Vorsehung S. 389. Es wird vielleicht eine Zeit kommen, da man die erlesensten Stücke beider Sammlungen, die das reine Volksgefühl der Dichterin über Gegenstände der Religion, der Natur und des menschlichen Lebens mit starken Herzenstönen besungen, werth halten wird, und da diese Gefühle allezeit individuell bezeichnet sind, so bleibt schon mit ihnen der Dichterin Name und ihre Sprache dauernd.

Gerade diesem Gefühl entgegen stehen die bloßen Gegenstände der Pracht: Illuminationen, fürstliche Einzüge, gnädigste Herablassungen u. s. w. Was konnte die Naturdichterin hier singen, hier beschreiben? Zehntausend Lichter, gedrängte Gassen voll gaffender Augen, schallende Brücken, schmetternde Posthörner, und dann eine Verbeugung, ein Compliment, einen über allen Ausdruck herablassenden, erhabenen Anstand? Alle neunundneunzig Musen wären zu beklagen, wenn sie wie die arme Karschin dies Alles so oft und so reichlich und so unbelohnt singen müßten. Und doch lag es in der Sphäre der Lebensumstände und der Denkart einer im niedrigsten Stande erzogenen Dichterin, daß sie sich von diesen Gegenständen bis an ihren Todestag nicht trennen konnte. Friedrich der Einzige mag auch hier eine Ausnahme bleiben. Vom allgemeinen Enthusiaßmus ergriffen, sang ihm unsre Erinna die schönen Gesänge, die in der ersten Sammlung S. 115, 120, 122, 167 und in dieser Nachlese S. 7, 11, 40, 52, 121 blühende Lorbeerblätter seines Kranzes in einer Sprache sind, die er verachtete. Auch einige Gesänge an die Königin, den Prinzen von Preußen, die beiden Prinzen Heinrich, den Herzog Ferdinand, der immer ihr Freund blieb, den jetzigen König, ihren Wohlthäter, reden die Sprache des dankbaren Herzens. Der Gesang auf den Tod des Prinzen Heinrich's von Braunschweig, S. 74 der ältern Sammlung:

»Wo ist er, daß ich ihn mit Thränen salbe«,

ist eine der schönsten Threnodien unsrer Sprache. Findet man aber dagegen die Dichterin genöthigt, an die königliche Hofbauadministration wegen ein paar geschenkter eiserner Sparöfen folgende Verse zu erlassen:

»Vergebung von der königlichen
Administration bitt' ich,
Weil auch des Winters Länge sich
So nach und nach hinweggeschlichen,
Eh die dankbare Karschin sich
Mit großem Dank hat abgefunden
Für ein paar Oefchen, ihr geschenkt« (S. 188),

so werden wir wie die Dichterin selbst unmuthig, als sie, S. 28, in ihrer Dachstube den Apoll bat, daß er die Leyer zurücknehmen möchte:

»O helfender Apoll, geschändet
Wirst Du, wenn Deine Vaterhand
Mir nicht die goldnen Saiten sendet,
Die der Sabiner aufgespannt,
Wenn mich des dritten Cäsar's Rechte
Nicht über Glück und Pöbel hebt,«

welcher Wunsch ihr aber nicht oder zu spät erfüllt wurde.

Merkwürdig ist's, daß unter den Empfindungen, die diese Muse sang, sich die schmelzende, Sapphische Liebe nicht finde; in dieser Hinsicht konnte sie also wol nicht Sappho heißen. Nirgend weniger als in den Gärten des Adonis hatte sie ihre besten Jahre verlebt; alle Lasten und Qualen der Ehe hatte sie kennen gelernt, aber keine Freuden der Liebe. Und wollen Empfindungen der zartesten Art nicht in den frühesten Jahren geweckt sein? Erfordern sie nicht eine weiche, vielleicht üppige Bildung der Seele, die sich mit dem wilden Feuer der Phantasie oder mit Noth und Kummer am Wenigsten verträgt? Nach dem Fragment zu urtheilen, das wir vom Pindar (beim Athenäus, XIII. 11) über die Liebe haben, besang auch er die Liebe ohngefähr in unsrer Dichterin Weise. Die Flamme glänzt, brennt und leuchtet; aber sie erwärmt nicht, sie kann nicht zerschmelzen. Die Gaben der Musen sind mancherlei.

Nähern wir diesen Reichthum dichterischer Talente einer sogenannten Kunstregel; wohin werden wir die Karschin stellen? denn einen Zunftrang muß sie bekommen nach deutscher Art und Kunst.

Das Horazische Kunstfach wird gegen sie protestiren; und wie konnte man es von einer also erzogenen Sängerin fordern oder hoffen, daß die Kunst des Horaz die ihrige werden sollte? Jede Ode des Römers ist eine fein eingelegte Arbeit; er rühmt sich selbst des Verdienstes, seine Leyer zum Nachhall der griechischen Kamöne gemacht zu haben; dies gilt vom Plan seiner Gesänge sowol als von ihrer Junctur in Bildern und Worten. Dergleichen Kränze konnte und wollte die arme Karschin nicht flechten. Statt lyrischer Griechen schwebten aus ihrer Jugend ihr etwa Kirchenlieder im Ohr; diese enthielten und gaben aber keine Horazischen Weisen. Auch Ramler's Gesangesart nähert sie sich daher am Glücklichsten nicht; und wo sie den Horaz selbst nachbildet, geschieht es mit Auflösung seines Kunstwerks ganz in ihrer eignen Art, z. B. Der unnachahmliche Pindar (S. 167 der älteren Sammlung) und die Ode Eheu labuntur (S. 32 dieser Nachlese). Eher nähert sie sich der zwanglosen Gesangesart Uz', Kleist's, Gleim's u. s. w. Das schöne Gespräch S. 276:

»Du Wonne meiner jungen Tage«,

mehrere insonderheit moralische Züge in großen und kleinen Gedichten setzen uns in die patriarchalische Zeit unsrer Poesie, in die schöne Einfalt der eben genannten drei Dichter zurück. Von Gleim vor Andern scheint die Dichterin sich in ihrer kühnen, nervenvollen Sprache viel eigen gemacht zu haben.

Aber warum wollten wir einem eigentümlichen Genie nicht auch einen eignen Platz einräumen und es nicht lieber mit seinem als mit einem fremden Namen nennen? Die Phantasie dieser Dichterin hat einen so fest bezeichneten Gang; ohne Kunstregeln kennt sie den Flug der Muse, der sich zu verirren scheint und doch nicht verirrt; oft endet sie am unerwartetsten Ort und hat aus ätherischen Bildern ein Ganzes gewebt, das ein angenehmeres Erstaunen wirkt. Wenn Localzüge in diesen Umriß fließen, so ist dies Natur der Sache, kein Fehler. Dieser kühne Schwung der Gedanken, der süße Wahnsinn, das Wesen jeder Begeisterung, am Meisten der lyrischen Poesie, ist ihr charakteristisches Göttergeschenk. Er kann nach Horaz allein nicht gemessen werden; denn Horaz ist nicht ausschließend das Muster aller Gesänge und Oden. Sonst wären Pindar und die Psalmen vom Anfange bis zum Ende – Fehler.

Statt vieler stehe hier eine Probe, eines Inhalts, dessen Erfüllung auch wir wünschen (S. 129).Dieser Wunsch vieler Millionen Menschen ist jetzo erfüllt. Es ist Friede! Und wer könnte wol dieses edle Geschenk des Himmels würdiger besingen als Herr Herder! – Herrmann. [Anm. der Redaction.]

An Gott

Bei dem Ausruf des Friedens

    Was hör' ich? rauschen goldne Flügel?
Posaunet in zertheilter Luft
Ein Seraph, welcher über alle Grabeshügel
Daher fährt und die Todten ruft?

    Was reißet mich empor? Ich fühle
Den nahen Himmel; bin ich schon
Hoch über der Gebirge Gipfel, über Stühle
Der Scepterführer weggeflohn?

    Hör' ich, Du Gott der Erdengötter,
Dich loben durch den ganzen Raum
Der neuen Schöpfung, selbst von Deines Glanzes Spötter,
Der Deine Wunder nannte Traum?

    Erblick' ich Myriaden Sterne
Um Deines Sonnenthrones Fuß,
Hellleuchtend, daß davor ich zitternd in der Ferne
Mein Angesicht bedecken muß?

    Horch' ich erstaunt dem hohen Liede
Der Sänger Deines Namens zu?
Gott, welch ein Saitenspiel! es tönet: Friede! Friede!
Und, Kronengeber, den giebst Du!

    Du lässest Deinem Volke wieder
Die Ruhe schmecken, rufest laut
Und aus dem Schmerzensschlaf zum Jubel neuer Lieder
Bei den Altären, Dir gebaut.

    Wir lagen gleich den Blumenstengeln,
Wenn sie der Nordost niederbeugt;
Du hebst uns auf und hörst Dein Lob von allen Engeln,
Wenn unsre stumme Freude schweigt.

Welch eine süße Trunkenheit der Freude! Hienieden wird der Friede ausgerufen; aber aus dem Munde der Menschen hört ihn die Dichterin nicht. Auf den Schwingen des Seraph's hebt sie sich über Sonnen und Sterne empor und vernimmt den Ausruf Friede! Friede! aus dem Saitenspiel der Seligen, ja aus dem Munde Gottes selbst. Ein Blick auf die Erde hienieden endet das Lied in der erhabensten Andacht stummer Freude. Und dies ist nicht der einzige Gesang von so glücklicher Inspiration, von einer Einhauchung, die ihr seelenvolles Bild gleichsam mit einem einzigen Zuge zeichnet. In dieser Begeisterung gelingen der Sängerin die kühnsten Wortcompositionen, mit denen sie oft Pfeile schießt wie Pindar.Ol., II. 150. – D.

Zu wünschen ist's, daß eine zweite Nachlese Karschischer Gedichte erschiene (aus dieser hätten viele, viele Gedichte wegbleiben mögen), die uns noch manche, in beiden SammlungenIm Jahr 1772 ist eine Sammlung Karschischer Gedichte, Mietau und Leipzig, herausgekommen; ich besitze sie nicht und weiß nicht, ob sie in dieser Nachlese wiederholt oder genützt sei. – H. nicht befindliche bessere Gesänge aufbewahre. In Gleim's, in Ebert's und andern Briefsammlungen sind deren gewiß vorhanden; selbst von den einzeln gedruckten Gesängen ist hier manche schöne Begeisterung nicht befindlich. S. z. B. der Gesang an das Vaterland 1763: »Der seinen Stuhl hoch über alle Thronen«, die malerische Ode Der Einzug: »Mit hunderttausend Stimmen ruft«, eine andre: »Was hör' ich? mit dem Klang von zehntausend Flöten«, ein Lied im Ton der Kriegslieder (1759): »Wuth und Verwüstung waffnen sich«, an den Ueberwinder der Russen (1758): »Held! und Monarch! aus feindlichen Gefilden«, an das zerstörte Cüstrin: »Schwarz wie die Pforten der Nacht«, u. s. w.

Einige dieser Stücke scheint ein neidiger Zufall der Sammlerin entzogen zu haben; denn sie gehören zu den schönsten Begeisterungen der Karschischen Muse, von der man wie von der Erinna sagen kann: Ἑτέρων πολλῶν δυνατώτερος Ἠρίννης πόνος,Anthol., VII. 11. 1–3. – D. »Vor vielen andern ist ihr Gesang mächtig«.

 

Geschichte der Religionsschwärmereien in der christlichen Kirche. Von M. C. F. Duttenhofer, Prediger an der Hauptkirche zu Heilbronn. Erster Band (in zwei Abtheilungen). Mit einem Kupfer Heilbronn 1796.Erfurter Nachrichten 1797, Stück 36. – D.

»Schwärmer, Schwärmerei«, sagt Lessing,S. »Lessing's Leben und literarischer Nachlaß«, Th. 2. S. 157. – H. kommt von Schwarm, schwärmen, so wie es besonders von den Bienen gebraucht wird. Die Begierde, Schwarm zu machen, ist folglich das eigentliche Kennzeichen des Schwärmers. Aus was für Absichten der Schwärmer gern Schwarm machen möchte, welcher Mittel er sich dazu bedient, das giebt die Classen der Schwärmerei. Nur weil diejenigen Schwärmer, welche die Durchsetzung gewisser Religionsbegriffe zur Absicht haben und eigne göttliche Triebe und Offenbarungen vorgeben (sie mögen Betrüger oder Betrogene, betrogen an sich selbst oder von Andern sein), um zu jener Absicht zu gelangen, die vielleicht wiederum nur das Mittel ist, eine andere Absicht zu erreichen; nur weil diese Schwärmer, sage ich, leider die zahlreichste und gefährlichste Classe der Schwärmerei ausmachen, hat man diese Schwärmer κατ´ ἐξοχήν Schwärmer genannt.«

So Lessing. Und wer wollte diesem Begriff nach eine Geschichte der Religionsschwärmereien in der christlichen Kirche nicht gern lesen? Es versteht sich eine Geschichte, in der durchhin Zeiten, Gegenden, Völker, Absichten, Mittel unterschieden, die Schwärmereien selbst nach ihren innern oder äußern Antrieben classificirt, jede Art der Schwärmer in ihr Licht gestellt und auch bei ihnen Ursachen, Mittel, Zwecke, die Zeiten der Aufgährung und Abgährung ihres Ferments gesondert würden. Bruchstücke einer solchen Geschichte haben wir in Menge; es fehlte also nur die Hand eines Baumeisters, die sie zu vereinigen und nach einem festen Umriß zusammenzusetzen wüßte.

Strenge sowol als milde Schonung sind dieser Geschichte wol unentbehrlich. Schwärmerei ist eine Krankheit, eine ansteckende Krankheit, vielleicht die ansteckendste, der unsre Menschennatur ausgesetzt bleibt, eben weil der Mensch ein geselliges, teilnehmendes, sympathisirendes Geschöpf ist. Starke Bewegungen in der Seele des Andern, in seiner Art Bilder, Phantasien oder Phantome zu erwecken, sich und Andern ein Reich der Glückseligkeit, einen Plan des Lebens zu entwerfen, gehen so bald in Andere über; und gerade die gewaltsamsten Bewegungen, wirkliche Krämpfe und Contorsionen am Leichtesten, am Stärksten. Ein mächtiger Wille gebietet; reizbare Naturen, Sinne, Triebe folgen. Sie folgen oft ungern und werden wider Willen gezogen, wie der betäubte Vogel ängstlich der Klapperschlange zufliegt. Diese Verwirrungen menschlicher Gedanken zu entwickeln, diese Tendenzen menschlicher Kräfte und Anhänglichkeiten in ihren Bahnen zu bestimmen, dazu ist die kälteste Vernunft sowie das teilnehmendste Herz, kurz, eine Semiotik nöthig, die viel fordert. Jedes Uebel muß der Arzt an Stelle und Ort, jeden Kranken in seiner Lebensweise nach seinen eigensten Symptomen kennen und ja nicht über oder gegen ihn declamiren.

Der Verfasser dieser Geschichte bekennt selbst (Vorrede, S. XXI), »daß bis zu den ersten Quellen der Kirchenväter und der ältern Kirchengeschichtschreiber zurückzugehen, ihm weder seine Zeit noch die Lage seiner jetzigen Umstände gestattet habe, und daß die Quellen oder Hilfsmittel, woraus er bei diesem ersten Bande geschöpft, hauptsächlich die sehr ausführliche und gelehrte Kirchengeschichte von Herrn Prof. Schröckh, Mosheim's, Spittler's, Henke's Kirchengeschichten und dann noch Zimmermann's Buch »Ueber die Einsamkeit« gewesen. Tiefer zu schöpfen, habe ihm seine Zeit nicht verstattet.« Eigentlich also hat er gar nicht geschöpft; denn Hilfsmittel sind keine Quellen. Die angeführten Bücher sind in Jedermanns Händen, und ihre Verfasser werden sich von dieser Art Zusammenstellung, da alle sogenannten Religionsschwärmereien aus dem Zusammenhange anderer Begebenheiten, in welche sie solche stellten, genommen sind, ziemlich lossagen. Zimmermanns Buch »Ueber die Einsamkeit« bliebe etwa allein unserm Verfasser zur Seite; denn auch in ihm sind die angeführten Begebenheiten gänzlich ihrem Boden entpflückt und effleurirt. Geschichte ist also dieses Buch nicht, sondern ein Auszug aus den neuesten, spätesten Compendien. Studium der Quellen, Entwicklung jeder Schwärmerei im Zusammenhange ihrer Umstände fehlt ihm. Daß der Autor seine Excerpten chronologisch giebt, hilft diesem Mangel nicht ab, da der innere Faden einer philosophischen Entwicklung dem Buch mangelt, das nur ein ausgerissenes Aggregat ist.

Zweitens. Offenbar hat der Verfasser den Begriff der Religionsschwärmereien in der christlichen Kirche zu weit genommen, indem er auch die feinste Staatslist, die kältesten Entwürfe der Hierarchie darunter begreift, gegenseitig wiederum, was nach Zeit und Ort vielleicht reiner Enthusiasmus war oder mit ihm enge zusammenhing, zur Schwärmerei rechnet. Ehrenhalben mußten Christus und die Apostel abgesondert werden; sonst ist hier in der christlichen Kirche beinahe die christliche Kirche selbst bis zur Mitte des fünften Jahrhunderts (so weit geht dieser erste Band) fanatisch. Wie nun? wenn ein Spötter die zwei nicht gewagten Schritte auch zurückträte und nach einem so wankenden Begriff von Schwärmerei fragte: »War Der, waren Die, die Volk an sich zogen, die darauf hinausgingen, eine Kirche zu gründen, die sich für inspirirt hielten und gehalten wissen wollten, die darüber Ungemach, Verfolgung, Schmach und Tod ertrugen, nicht auch Schwärmer?« Bekanntermaßen haben Viele, nicht nur Spötter, sondern auch Redliche, so gefragt und sich durch glänzende Declamationen nicht beruhigt gefunden. Sie suchten ein ächtes Kriterium, wo Enthusiasmus aufhöre und Schwärmerei anfange. Schwerlich werden sie es in diesem Buch finden. »Wollte man«, sagt der Verfasser, »die Einwendung machen, eine solche Schwärmergeschichte könne doch in der Hauptsache nichts Anders werden als eine chronique scandaleuse oder Lästerchronik des Christenthums, so frage ich, was ist denn aber unsre ganze Kirchengeschichte Anders als eine Geschichte der Verirrungen des menschlichen Verstandes?« Ich halte sie nicht dafür und bin überzeugt, daß Mehrere, die sie studirt haben, sie für etwas Besseres halten. Sobald bei Darstellungen die scharfe Linie des Umrisses fehlt, hört alle Kunst, also auch die Kunst der Geschichte auf.

Drittens. Beredsamkeit und ein leichter Spott sind an ihrem Ort schöne Gaben; sollten sie aber in einer Geschichte der Religionsschwärmereien ganz an ihrem Ort sein? Schwärmerei ist Krankheit; Religionsschwärmerei, wo sie nicht absichtlicher Betrug war, ist die mitleidenswürdigste Krankheit; sollte gegen sie das Salz des Spottes die beste Arznei sein? »Ich will hoffen,« sagt unser Verfasser, »daß, wenn sich etwa beim Anblick allzu auffallender Narrheiten mein Mund unwillkürlich in ein satirisches Lächeln verzieht und in seinen Ausdrücken die der Geschichte so wohlanständige Würde vergißt, meine Leser in der Erinnerung an das Dichterwort: Difficile est satiram non scribere,Juv., 1. 30. – D. mir verzeihen und den Spott nicht auf die Rechnung eines gegen die Wahrheit übelgesinnten Herzens an meiner Seite schreiben werden.« Ich glaube, daß dies kein billiger Leser thun werde; er wird's aber auf etwas Anderes mit Recht schreiben. Denn da alle die Schwärmereien und Sitten, die der Verfasser in diesem Bande darstellt, längst erloschen sind und in dieser Gestalt zu unsrer Zeit nicht leicht Eingang finden werden, wozu der Spott über alte Todtengebeine? Zwar meint unser Autor, daß seine Darstellung recht für unsre Zeit gehöre, »da in ihr der an seine hergebrachten, mit einem heiligen Dunkel umgebenen Geheimnisse, Dogmen und Kirchengebräuche gebundene Geist des Fanatismus seine lang usurpirte Oberherrschaft über den Verstand so vieler Völker und Menschen von Zeit zu Zeit mit neuen, wenngleich wenig haltbaren und oft gnug widerlegten Gründen unterstützt; da in ihr Schwärmerei, Bigotterie und Intoleranz, durch unsre Zeitumstände begünstigt, sich aufs Neue zu erheben und mit dem Interesse der Großen und Mächtigen auf Erden in einen noch engern Bund zu treten scheinen, indem sie vorgeben, die vom alten Wust scholastischer Spitzfindigkeiten gereinigte Vernunftreligion führe geraden Wegs zum gänzlichen, alle Thronen und Herrschaften zu Boden stürzenden Atheismus hin, und Alles, was in unsern Tagen nur Böses geschehe, sei nichts Anders als das Werk der sogenannten neuen Aufklärung« u. s. w. Gesetzt, daß dem Allem so wäre, sollte eine Spottgeschichte christlicher Schwärmereien dagegen das gelegenste, das kräftigste Mittel sein? Wird die bigotte Intoleranz, wenn sie sich mit dem Interesse der Großen und Mächtigen vereinigt, sich durch Spott bessern lassen und ihren Bundesplan aufgeben?

Mit viel mehrerem Rechte, wie mich dünkt, sagt in der vorangezogenen Schrift Lessing: »Gegen die Schwärmerei im weitesten Verstande, was thut der Philosoph? Der Philosoph! Denn um den Lucianischen Geist bekümmere ich mich hier nicht. Wie dessen Bemühungen gegen den Enthusiasmus nicht weit her sein können, weil er selbst Enthusiast ist, so können auch seine Bemühungen gegen die Schwärmerei von keinem wahren Nutzen sein, weil er selbst Schwärmer ist. Denn auch er will Schwarm machen. Er will die Lacher auf seiner Seite haben. Ein Schwarm von Lachern! Der lächerlichste, verächtlichste Schwarm von allen! Die Frage ist also, was der Philosoph gegen die Schwärmerei thut. Weil der Philosoph nie die Absicht hat, selbst Schwarm zu machen, sich auch nicht leicht an einen Schwarm anhängt, dabei wol einsieht, daß Schwärmereien nur durch Schwärmerei Einhalt zu thun ist, so thut der Philosoph gegen die Schwärmerei – gar nichts. Es wäre denn, daß man ihm das für Bemühungen gegen die Schwärmerei anrechnen wollte, daß, wenn sie speculativen Enthusiasmus zum Grunde hat oder doch zum Grunde zu haben vorgiebt, er die Begriffe, worauf es dabei ankommt, aufzuklären und so deutlich als möglich zu machen bemüht ist. Freilich sind schon dadurch so manche Schwärmereien zerstoben. Der Enthusiast und Schwärmer sind daher auch gegen ihn sehr erbittert. Sie möchten rasend werden, wenn sie sehen, daß am Ende doch Alles nach dem Kopf der Philosophen geht und nicht nach ihrem.« Eine Geschichte der Kirchenschwärmerei wie jeder andern Schwärmerei kann und sollte nichts Anders als eine dergleichen aufhellende, philosophisch-ruhige Geschichte sein. Alles, was geschah, hatte seinen Grund; auch jede Verirrung des menschlichen Verstandes, jede falsche Anhänglichkeit des menschlichen Herzens. Naturbegebenheiten erklärt man; vor gefährlichen Naturbegebenheiten sucht man sich und Andre zu sichern; tadelnder Spott bewirkt Keins von Beiden.

Wahrscheinlich werden noch zwei Bände dieses Werks folgen. Wenn der Verfasser auf seinem Wege so fortgeht, so gewinnt die Geschichte nichts, der erörternde menschliche Verstand auch wenig. Leichte Leser bekommen eine oberflächliche Lectür; es ist aber nicht zu wünschen, daß unter uns dergleichen Bücher sehr vermehrt würden. In Frankreich wurden während der Revolution Schriften solcher Art, Histoire du Monachisme, de la Sorbonne, Le coup fatal du Christianisme u. s. w. ausgeworfen; sie sollten ihre Wirkung thun und haben sie zum Theil nicht verfehlt. In Deutschland haben wir uns vor Religionsschwärmereien in der christlichen Kirche schwerlich zu fürchten; und was gegen Mönchsorden, Hierarchen, Scholastiker, Enthusiasten und Religionsschwärmer gesagt werden kann, ist von Protestanten und Andern oft, auch mit Zusammenhang und Würde, gesagt worden. Auf weit andre Dinge geht jetzt der Fanatismus.

 

Geschichte der Religionsschwärmereien in der christlichen Kirche. – Zweiter Band. Ebendas. 1797.Erfurter Nachrichten 1797, Stück 74. Wir lassen diese Anzeige unmittelbar auf die des ersten Bandes folgen, da sie nur eine Antwort auf das Schreiben des Verfassers des angezeigten Buches wider die Anzeige des ersten ist. – D.

Nur eine Anzeige dieses Bandes, daß er erschienen sei, keine Recension desselben: aus folgendem Grunde.

Der Verfasser hat in einem Schreiben an die Herausgeber dieser Nachrichten sich erklärt, daß ihm in der Recension des ersten Bandes Punkt für Punkt Unrecht geschehen sei. Denn:

  1. »Ob er gleich die Materialien oder den Grundstoff seiner Geschichte aus den in seiner Vorrede (S. XXI) angezeigten Schriften hergenommen (welches er noch einmal gern eingestehe; »denn wo soll doch«, schreibt er, »ein Geschichtschreiber seine Materialien anders hernehmen als entweder aus ältern oder aus neuern Geschichtschreibern?« Er konnte freilich nicht zu den ersten Quellen hinaufgehen, wie er es auch an dem angeführten Orte selbst bekannt habe, und daß hieraus für sein Buch einiger Mangel an mehr umfassender und tieferer Beurtheilung entstehen mußte, das fühlt er selbst wohl. Aber da des Herrn Professor Schröckh's sehr ausführliche Kirchengeschichte immer sein Hauptbuch gewesen, dem er gefolgt sei, und mit dem er Alles, was Zimmermann oft mit zu grellen und falschen Farben aufgetragen hat, genau und sorgfältig verglichen habe; und da Herr Professor Schröckh gewiß nicht eines Mangels an Studium der Quellen beschuldigt werden könne, da er vielmehr sehr oft die eigentlichen Worte seiner Quelle, woraus er schöpfte – denn auf das Schöpfen wolle der Verfasser hiermit Verzicht thun, wenn aus einer so gründlich und kritisch bearbeiteten Kirchengeschichte seine Materialien herzunehmen, nicht geschöpft heißen solle –, sehr umständlich anführt), so glaube er doch, und er denke auch mit Recht, einem solchen Geschichtschreiber sicher, und ohne sich nach früheren Quellen umzusehen, folgen zu können. Und da er den aus der Schröckhischen Kirchengeschichte hergenommenen Geschichtsstoff immer so bearbeitet, daß er die in der christlichen Kirche entstandenen Schwärmereien aus den Zeit- und Ortsumständen, aus der zu jeder Zeit herrschenden Philosophie oder aus den besondern, von Zeit zu Zeit in Umlauf gebrachten und mit der christlichen Religion amalgamirten Meinungen entwickelt und sie also sowol in ihren ersten Keimen als auch in ihrem weitern Wachsthum und Fortgang aus den Ursachen, die er in Zeit, Ort und Charakteren der Hauptpersonen gefunden, hergeleitet: so sei sein Buch kein Aggregat von Excerpten, denen es am innern Faden einer philosophischen Entwickelung mangle
  2. »Den Begriff der Religionsschwärmereien habe er nicht zu weit genommen; denn warum führe der Recensent seine, des Verfassers Erklärung, die er von der Religionsschwärmerei gleich im Anfange seiner Vorrede gegeben, nicht an? statt einer bloßen Worterklärung, die Recensent aus Lessing anführe. In was für eine Verbindung die Hierarchie mit der Religionsschwärmerei gekommen, das werde wol im zweiten Bande vorkommen, aber hier im ersten noch nicht. Er habe die Gründe, um deren willen Jesus und seine Apostel für keine Schwärmer gehalten werden können, sondern als weise, vernünftige, ruhig denkende und mit kaltem Blut argumentirende Männer geschätzt werden müssen, in den drei ersten Paragraphen seiner ersten Abtheilung im ersten Bande so deutlich, so bestimmt, so überzeugend und unumstößlich dargelegt, daß Niemand an der Wahrheit seiner Ueberzeugung davon zweifeln könne. Das Kriterium, wo Enthusiasmus aufhöre und Schwärmerei anfange, sei in seiner Vorrede zum ersten Bande, S. VIII und IX, so bestimmt und deutlich dahin angegeben, »daß der (in einem guten Sinn) begeisterte Enthusiast die Zügel der alle seine niedrigern Empfindungen lenkenden Vernunft nie aus der Hand lasse, daß er seine exaltirte Einbildungskraft nie in eine so wilde, regellose Verrückung gerathen lasse, daß sie die Leitung und Oberherrschaft des Verstandes von sich werfen könnte. Also freier Gebrauch des Verstandes, stäte Anwendung der Vernunft, der Ueberlegungskraft, das sei das Kriterium des Enthusiasmus. Hingegen Richtung nach ungefähren dunkeln Gefühlen und Einbildungen mit Verachtung aller ruhigen Vernunft und Ueberlegung, das sei das Kriterium des Phantasten und Schwärmers.«
  3. In Ansehung des vom Verfasser seiner Geschichte eingestreuten Spottes beschwert sich derselbe, »daß man ihm nicht so viel gesunden Verstand und Anspruchlosigkeit zutraue, daß er sich nicht anmaßen wolle, alle Schwärmer durch seine Geschichte von Grund aus zu heilen, sondern daß er nur Diejenigen dafür bewahren wolle, die etwa noch davon angesteckt werden möchten. Warum man ihm dies nicht zutraue, da er es doch selbst S. XVII und XVIII in seiner Vorrede so deutlich zu verstehen gebe? Den alten Todtengebeinen der ägyptischen und syrischen Mönche werde sein Spott doch wol nichts schaden; ob aber jene Schwärmereien erloschen, zerstoben seien, wie man zu glauben scheine, das möge doch wol eine andere Frage sein. Freilich möchten jene Schwärmergestalten, wie die vom heiligen Antonius u. s. w., in den nächsten hundert Jahren, wenigstens bei uns Deutschen, nicht wieder zum Vorschein kommen können oder Beifall finden; aber könne es denn wol unbekannt sein, wie viele Swedenborgianer, Apokalyptiker, Mystiker, Lammsbrüder, Geisterseher, Chiliasten, Betrüger, die sich für den Messias ausgeben u. s. w., es noch in unsern Zeiten gebe? Oder gesetzt, diese Schwärmereien seien durch die Alles aufklärende Philosophie unserer Tage gänzlich zerstoben, ob nicht das Andenken davon, historisch lebhaft dargestellt, nicht auch noch für die zukünftigen Zeiten heilsam und nützlich bleibe? In der ersten Abtheilung des ersten Bandes wisse sich der Verfasser fast gar keines Spottes zu erinnern; in der zweiten Abtheilung aber, da möge zwar etwas mehr von dem »Lucianischen Geist«, der durch das Lesen des Zimmermannischen Buchs von der Einsamkeit auf ihn übergeflossen sei, anzutreffen sein. Uebrigens könne der Verfasser Autorität gegen Autorität setzen, da nicht nur zwei andre Recensenten ihm ihren Beifall nicht ganz versagt, sondern auch von ** seine Geschichte zweimal, S. 417 not. d und S. 466 not. d, angeführt worden.«   Ohe, jam satis!

Unbefangen, mit Auslassung alles Ungehörigen, werden die Worte des Verfassers angeführt; ohne alle Gegenrede; denn die Auseinandersetzung jedes Quid pro quo würde ein Buch erfordern. Bei Bücheranzeigen, deren Verfasser sich nennen, sagt Jeder nur seine Meinung; er will nicht im Namen des ungesehenen Areopagus oder Minotaurus, den man das Publicum nennt, sprechen und richten. Weiß also der Autor, wissen Andre es besser, desto besser! Jeder sage sein Wort an seiner Stelle; denn eine Zeitung kann doch nie ein gelehrter Gerichtshof werden. Wenn ich, der Recensent, jetzt aufs Neue meine Meinung unterstützte und von den Herausgebern der Zeitung dem Verfasser, der mit dieser Meinung noch nicht zufrieden wäre, die zweite Replik abgeschnitten würde, wie denn? Also behalte der Verfasser von seinem Buch seine Meinung. Mir scheint's, daß in dieser Rechtfertigung selbst seine eignen Worte im Wesentlichen gnugsam entscheiden.

Blos was den Menschen angeht, ein Mißverständniß entferne ich sehr gern. Ich war und bin nämlich weit entfernt, »an der innigsten Ueberzeugung« des Verfassers von der schwärmereilosen Vernunftmäßigkeit der Stifter des Christentums zu zweifeln. Das Wort »ehrenhalben«,Oben S. 613. – D. das dem Zusammenhange nach sehr unschuldig zu diesem Mißverstande Anlaß gegeben hat, ändere ich sehr willig in ein volles: »Allerdings hat der Verfasser u. s. w., wie die drei ersten Paragraphen seiner ersten Abtheilung im ersten Bande zeigen«.

Vom zweiten Bande also kein Wort. Denn da der Verfasser es dem Recensenten übel deutet, »daß er über den ersten Band geurtheilt, gerade als ob er schon das Ganze vor Augen gehabt hätte«, so würde er wahrscheinlich dasselbe auch von der Recension des zweiten Bandes sagen. Ein Schriftsteller, der eine nach seiner eignen Angabe und nach dem Richtmaß eines unparteiischen Dritten, der hier Lessing war, bescheiden vorgetragene Meinung als eine Beleidigung ansieht, mag über und von sich selbst meinen.

 

Griechische Vasengemälde. Mit archäologischen und artistischen Erläuterungen der Originalkupfer. Herausgegeben von C. A. Böttiger. Ersten Bandes erstes Heft. Mit fünf Kupfern in Folio, außer dem Titelkupfer. Weimar 1797.Erfurter Nachrichten 1797, Stück 46. – D.

Es ist ein zu enger Gesichtskreis, wenn wir die heiligen Reste der griechischen Kunst nur Alterthumsforschern und eigentlichen Künstlern überlassen wollen; in unsern Tagen kann Niemand, der Geschmack des Schönen hat oder haben will, derselben entbehren. Von allen Seiten drängen sich uns griechische Kunstvorstellungen in Büchern, in Zierrathen, auf Gefäßen, bei Geschenken zum Schmuck, in Gemälden, in Beschreibungen der Dichter, in Anspielungen fast jeden Vortrages zu, die wir verstehen müssen, wenn uns ihr Werth einleuchten und uns nicht die Schande drücken soll, sie als Barbaren zu besitzen oder zu betrachten. Fast keine Lectür zur Bildung findet jetzt statt, die nicht diese Kenntnisse voraussetzt; ebenso fordert sie der Umgang des feinern Lebens. In Verzierungen der Häuser, der Säulen, der Gärten, an Wänden, an Tischen und Theetischen treten griechische Vorstellungen vor uns, und Niemand sagt gern: »Das ist mir unverständlich, griechisch.« Vollends Jünglinge, die die Alten lesen, können die Kunstvorstellungen der Alten gar nicht entbehren. Ohne sie wird sich ihr Geschmack nie wohl befestigen; die Composition der griechischen und römischen Schriftsteller wird ihnen ohne Kenntniß der Composition ihrer Künstler nie helle werden, wie solches der unselige Fleiß und die unwissende Frechheit mancher gelehrten Kritiker gnugsam bezeugt.

Nun sind die Kunstvorstellungen der Alten von mancher Art, und alle sind sehr belehrend, Statuen, Gemmen, Münzen, Büsten, Gebäude; keine aber lehrreicher als Basreliefs und Gemälde. In ihnen ist eigentliche Composition; denn in ihnen treten mehrere Figuren, eine ganze Fabel oder Geschichte in schöner Anordnung, oft mit einer schönen Umfassung, tritt uns vor Augen. Hier bildet sich der Geschmack am Meisten; denn was ist Geschmack, als die schnelle Umfassung des Mehreren zu Einem mit der angenehmen Empfindung des Vollendeten, des Schönen? Hier lernen wir unsere Gedanken ordnen, den unnützen Ueberfluß hinwegthun, das Entbehrliche absondern und völlig durchdacht das Prägnantste, das Meiste im schönsten und richtigsten Umriß geben. Oft steht hier ein ganzes Gedicht, ein philosophisches Buch in einer Vorstellung da.

Da uns nun leider so wenig griechische Gemälde übrig geblieben und die prächtigsten Basreliefs von Barbaren zerstört sind, wie froh müssen wir dem Genius der Kunst und des guten Geschmacks danken, daß er viele seiner Heiligthümer unter die Erde rettete und sie auf der zerbrechlichsten Materie, auf Vasen, unsterblich machte! Diese enthalten einen Schatz schöner griechischen Vorstellungen, deren viele gewiß den alten und den besten Meistern nachgebildet und uns eine Schule griechischer Kunst und Denkart sind. Wenn Barbaren in Gräbern Schätze verbargen und andre Barbaren diese Schätze suchten, so verbargen die Griechen auch in ihren Grabkammern schöne Weisheit. Glücklich ist, wer sie darin fand! glücklich, wer aus der gefundenen lernt!

Es ist bekannt, welche Mühe sich der britische Gesandte in Neapel, Ritter Hamilton, seit vielen Jahren um die griechischen Vasen gegeben, die in Campanien und sonst bei eröffneten Grabmälern häufig gefunden werden. Er brachte deren eine Menge zusammen, ließ sie mit Farben stechen und durch d'Hancarville prächtig beschreiben, verkaufte sie darauf ins Londner Museum für 8000 Pfund Sterling. Da stehen sie nun, und das kostbare d'Hancarvillische Werk in vier Foliobänden ist so Wenigen, die es brauchen konnten, zum Gebrauch gekommen als jene Vasen, die ins Londner Museum verkauft sind. Unter dem Schutz und Gewahrsam der britischen Nation sind sie dort aufs Neue begraben.

Durch einen deutschen Künstler ist die zweite Hamiltonische Sammlung griechischer Vasen gemeinnütziger worden. Herr Tischbein, Director der Malerakademie in Neapel, lieferte sie mit unermüdeter Sorgfalt, bei der mehrere verfehlte Zeichnungen strenge verworfen wurden, in bloßen reinen Umrissen, die uns bei dieser Art von Kunstvorstellungen Alles sagen, was wir zu wissen begehren. Dadurch ward die Sammlung wohlfeil und konnte in Deren Hände gelangen, die sie zu brauchen verstehen und werth sind. Tischbein that mehr. Aus unbelohnter Liebe, die auch auswärtige Deutsche für ihr Vaterland haben, bestimmte er reine, sehr gute Abdrücke für sein Vaterland und sahe dies als das Olympia seines Fleißes und der aus alten Gräbern erbeuteten griechischen Kunst an. Er hat in Deutschland einen Erklärer gefunden, mit dem der Erklärer der ersten Sammlung, d'Hancarville, nicht zu vergleichen steht, und dem auch der Erklärer der zweiten Sammlung, Hr. von Halinski, gewiß willig den Platz räumt. Fast um ein Nichts bekommen wir arme Deutsche hier, wogegen andere reichere Nationen sich vielen Unsinn mit schwerem Golde erkaufen. Alles ist zweckmäßig eingerichtet, zur vielseitigsten Lehre, zur angenehmsten Bildung, nicht der bloßen Pracht geschenkt.

Der ersten Abtheilung des ersten Bandes steht ein Kupfer voran, die innere Ansicht eines Grabes bei Nola mit Skelett und Vasen; Hamilton's Zueignungsschrift und Einleitung ins Studium der Vasen, mit Zusätzen und Anmerkungen des Herausgebers, auch mit Nachrichten von Tischbein und Meyer begleitet (S. 1–75), geben hierüber den bestimmtesten Aufschluß, den man über das Ganze der Sache jetzt noch zu geben vermag. Die künftige Zeit wird Mehreres darthun; und eben daß der Herausgeber dieser Sammlung der Zeit nicht vorgreifen, sondern sowol Lücken als Hoffnungen hie und da nur andeuten wollte, zeigt von seiner auf den Fortgang der Zeit merkenden Klugheit. Jeder, der von Vasen spricht und sie gewöhnlich für Aschengefäße ansieht, sollte diese kurzen Abhandlungen lesen; ihre Notiz ist unserm vasenliebenden Jahrhundert, auch jeder Lesegesellschaft, die Vasen liebt, sehr zu empfehlen. Wer Vasen liebt, muß doch auch wissen, was eine griechische Vase sei, woher sie sei, wozu sie gewesen u. s. w.

Die Nachrichten und Winke in Meyer's Briefe (S. 71–75) sind für Jeden, der sich mit diesem Studium abgab, höchst merkwürdig. Nach zehn Jahren werden wir hierin wahrscheinlich weiter sein, als wir jetzt sind; und wer wünschte nicht, mit diesen Jahren mitzugehen und ihre Ausbeute zu fördern?

Eine Abhandlung über die Vasenarabeske zur dritten Kupfertafel folgt (S. 76–100). Mit einem angenehmeren Unterricht konnte diese Sammlung kaum eingeleitet werden; denn wo wir auch griechische Vorstellungen nicht haben können, wollen wir doch griechische Verzierung; wir müssen diese also verstehen lernen. Der Verfasser leitet sie aus dem rechten Grundsatz her, und sowol die Blumeneinfassungen (die Blätterarabeske) als die Windungen, die man Mäander nannte, endlich auch die Thierpflanzenarabeske erhalten hier eine sehr durchdachte Erläuterung. Die letzte ließe sich ohne Zweifel weiter hinauf und früher in den Orient verfolgen, für griechische Vasen aber gehörte dieser Verfolg nicht; dagegen ist der Uebergang dieses schönen Spiels der Einbildungskraft nach Griechenland neu und genau bemerkt.

Zwei Gemälde werden erklärt, die außer dem Titelkupfer, dem Kupfer mit Umrissen verschiedener Formen und Verzierungen der Vasen diese erste Lieferung ausmachen: Bellerophon's Kampf mit der Chimära und eine griechische Braut in ihrem Putzgemach. Beim ersten wird die Fabel erklärt, muthmaßlich die Entstehung der Fabel gezeigt, sodann das Gemälde betrachtet, mit andern Kunstwerken verglichen und seine Bestimmung nur mit einem Winke gedeutet. Die Erklärung ist mit einem großen Ueberblick und mit classischer Genauigkeit geschrieben; sie hält sich in den rechten Schranken und ist Blatt für Blatt, insonderheit Jünglingen zu lesen sehr nutzbar. Der Erklärer hat seinem Pegasus nicht den Zügel gelassen, sondern heißt ihn an der Quelle trinken. Mit einem sehr glücklichen Blick, der alte und neue Zeiten erläuternd zusammenfaßt und in jenen sowol die Provinzen der Sage unterscheidet als ihre Kunstwerke verständig aneinanderreiht, zeigt er uns gleichsam die aus griechischer Natur wachsende Fabel. Die Muthmaßungen selbst sind belehrend; und wenn z. B. das phönicische Koph auf Bellerophon's Pferde auch nicht gestanden hätte, so sollte es diesmal statt der Schlange darauf gestanden haben. Im Gemälde der Braut überrascht die Deutung, daß es nicht die Schmückung derselben zu einer wirklichen, sondern zur Hochzeit der Mysterien sei, wozu der geflügelte Genius allerdings den Wink giebt, mit einer reichen Aussicht. Es kann nicht fehlen, daß der Erklärer, wenn er mit seinem Scharfsinn bei mehreren Vasen diese Idee verfolgt, eine Menge Vorstellungen ins Licht setzt, die bei Gori, Passeri u. s. w. in wirklich geheimer Dunkelheit lagen. Hierauf sowol als auf die andre Hoffnung, die der Erklärer giebt, auf den eigenthümlichen Geist des gewiß früh gebildeten westlichen oder Großgriechenlandes besondere Rücksicht nehmen zu wollen, muß sich jeder Sachverständige freuen und dem Erklärer, der in die Schranken einer großen Laufbahn tritt, einen patriotischen, allgemein nützlichen Siegeswunsch zurufen. Ein großes Feld der schönsten Geschichte des menschlichen Geistes, der griechischen Poesie und Kunstfabel, liegt vor ihm; in Manchem derselben kann eine neue Epoche werden.

Noch ist zu bemerken, daß zu diesen Vasengemälden eine frühere Schrift des Erklärers: »Ueber den Raub der Kassandra, auf einem Gefäß von gebrannter Erde, mit Erklärungen von Meyer und Böttiger« (Weimar 1794), in Vielem gehöre. Sie ist so reich an Erläuterungen, daß sich darauf gewiß oft bezogen werden wird. Und wenn diese Vasengemälde rasch und glücklich geendigt sind, so ist zu wünschen (die Arbeit selbst wird dem Verfasser dazu Trieb und Muth geben), daß er mit seiner Erklärung sich in einem Nachtrage auch an die Herculanischen Gemälde und an die d'Hancarvillische Vasensammlung füge. Beide warten auf ihn; denn überhaupt ist über Statuen, Gemmen und Münzen des Alterthums unstreitig mehr, weit mehr geleistet worden als über Basreliefs, Vasen und Gemälde. Erscheine also bald die zweite Sammlung, und Jeder, der zu ihrer Förderung beitragen kann, trage dazu bei, daß die wieder erstandene campanische Muse sich Deutschlands freue!

 

Griechische Vasengemälde. – Ersten Bandes zweites Heft. Weimar.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 38. Wir lassen hier die Anzeige der Fortsetzung unmittelbar folgen. – D.

Dies zweite Heft enthält die Originalkupfer Nr. 3–9, deren die meisten archäologisch und artistisch merkwürdig sind und es durch die Erläuterungen des Herausgebers dem Alterthumsforscher sowie dem Kunstliebhaber noch mehr werden. Ihr Inhalt wird für sich selbst reden.

  1. Zuerst ist die Sammlung von Gefäßen in gebrannter Erde zu Florenz von Herrn Professor Meyer in Weimar in der meisterhaften Manier beschrieben, die mit jedem Wort gleichsam zu Werk geht, in der, treffend, kurz und gut, man alle Denkmale der Art beschrieben wünschte. Ueber die Entstehung der Schüsseln und Vasen von gemalter Majolika ist S. 14, 20, 21 Auskunft gegeben.
  2. Es folgen Auszüge aus Briefen über die Vasensammlungen in Rom von unserm gelehrten Landsmann Uhden (S. 22–26), über die Vasensammlungen in Paris vom Conservateur des Museums der Antiken, Millin, mit der Beschreibung eines merkwürdigen Vasengemäldes von Orest und Pylades, dessen Bekanntmachung mit Erläuterungen unsers Herausgebers auch in Deutschland zu wünschen wäre (S. 27–35); sodann ein kurzer Brief von D. Scherer über die Glasur der Alten auf ihren Vasen (S. 35 f.).
  3. Nach diesem Vortrabe, der nach und nach eine allgemeine Vasennotiz werden kann, folgen die Erläuterungen der in diesem Heft gelieferten Gemälde selbst. Das dritte enthält Mantelfiguren. Was über diese gesagt werden kann, scheint hier fast erschöpft zu werden; die Materie wird aber auch lehrreich durch mehrere Excurse, z. B. über die Vorstellung des Volks (δῆμος) in einer Gestalt oder in Gestalten (S. 48) als Zuschauer u. s. w. (S. 50), Regeln des Anstandes im Kleiderumwurf bei den Alten, mit Erklärung der dabei gebräuchlichen Worte (S. 52–64), ein zum Kunstverständniß der Draperie der Alten nicht zu übersehender Aufsatz mit ein paar Beilagen.

Das vierte Gemälde, Iris, die Waffenüberbringerin, giebt bei Auseinanderlegung des Panzers eines alten griechischen Heros zu mehreren Berichtigungen Anlaß, da in dieser Abbildung die alte Rüstung in ihren Theilen und Verzierungen sehr deutlich erscheint. Sodann wird die Kleidung der Iris, ihr Kopfputz, ihr Kleid, ihre Flügel, ihr Caduceus vorgezeigt und bei Gelegenheit des letztgenannten Symbols die Entstehung des Mercuriusstabes, als eines phönicischen Kaufmanns- und Handelszeichens, das ursprünglich mit Zweigen umwunden und mit dem Kunstknoten, als einer Firma, bezeichnet gewesen, so leicht und anschaulich gemacht, daß man fortan bei dem griechischen Hermes an den ägyptischen Thot schwerlich mehr denkt. Zu wünschen wäre es, daß der Verfasser diese glückliche Exposition weiter verfolgte. Wie sich die Ilias und Odyssee auch durch ihre Botschafter, die Iris und den Hermes, unterscheiden, ist S. 112 nicht übersehen worden.

Beim fünften Gemälde, Gruß und Handschlag, wird die Sitte des alten Handschlages ans Licht gesetzt, und aus der Frage: »wer der junge Held sei, der die Hand dem Könige beut«, entspringt die andre: »wen oder was der Ring am Fuße des jungen Helden bezeichne«. Ein paar Beilagen hierüber von Tischbein und Uhden folgen.

Die Erklärung des sechsten Gemäldes, Theseus bestraft den Fichtenbeuger, stellt jenen Heros nicht nur in der Unternehmung dar, die das Gemälde zeigt, sondern überhaupt als den Hercules der Athenienser, in dessen Thaten, die fast alle auf Entwilderung und Veredlung der Menschheit, auf Bestrafung und Beschränkung der Bosheit abzweckten, von den Griechen selbst eine Moral in Beispielen und Abbildungen auf öffentlichen Plätzen und in Tempeln als das sprechendste Erweckungsmittel zur Tugend und Pflichtmäßigkeit gegeben ward, dem also auch Euripides (wahrscheinlich nach der Bestrafung des Skiron) die Worte in den Mund legt:

»Schön ist's, den Frevler zu bestrafen, schön!«

Das bemerkte eigentlich Attische in der Geschichte und den Vorstellungen Theseus' giebt manche weiter zu verfolgende neue Seite.

Das siebente Gemälde, Medea beredet die Töchter des Pelias zum Vatermorde, ist sehr anschaulich; daß es indeß die Stelle der tragischen Muse vertrete (S. 161), ist nicht zu wünschen. Vielleicht möchte auch Einiges in der Geschichte der Medea hier zu künstlich ausgelegt sein – eine Scylla, die wol ebenso vorsichtig zu vermeiden ist, als die gegenseitige Charybdis zu gemeiner Vorstellungen, in die unsere neuere Alterthumsauslegung der lieben Simplicität wegen hinsteuert. Die Zauber- und Hexengeschichten der Griechen werden hier mehrmals wohl orientirt.

Endlich das achte und neunte Gemälde, Erscheinung des Triptolemus, ist in diesem Heft selbst eine schöne Erscheinung. Die Deutung des Gemäldes auf diesen Liebling der Ceres, sein Flügelwagen, die Drachen oder Schlangen desselben, seine Darstellung in den Mysterien u. s. w. (auf eine scharfsinnige Zusammenstellung gebaut, die das Titelkupfer auf einmal darstellt), sie geben eine so neue Ansicht dieser Flügelthrone und Drachenflügelwagen, daß man insonderheit auch auf die künftigen Gemälde von Mysterien- und Theatererscheinungen aufmerksam wird, zu denen dem Verfasser, der kleine Winke so lebhaft zu benutzen weiß, in den folgenden Gemälden reiche Anlässe kommen werden. Möge der dritte Heft dem zweiten bald folgen!

 

Hume's und Rousseau's Abhandlungen über den Urvertrag. Nebst einem Versuch über Leibeigenschaft, den livländischen Erbherren gewidmet, von G. Merkel, erster und zweiter Theil. Leipzig 1797, mit fortgehenden Seitenzahlen, 8.Erfurter Nachrichten 1797, Stück 55. Herder hatte Merkel persönlich kennen gelernt. Vgl. Gleim's Brief an Herder vom 9. Juni 1797. – D.

Der Verfasser dieser Uebersetzung ist durch seine patriotische Schrift: Die Letten, vorzüglich in Livland, am Ende des philosophischen Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Völker- und Menschenkunde, aufs Rühmlichste bekannt. Er hat das Elend der livländischen Nation in der Leibeigenschaft so herzergreifend geschildert, daß   er nicht etwa nur in Deutschland Beifall und Lob erhalten (eine sehr unbefriedigende Belohnung), sondern daß seine Schrift da, wo sie wirken sollte, schon Gutes gewirkt hat. Mehrere der wahren Edeln, sagt man, sollen gemeinschaftlich Beschlüsse genommen haben, denen die durchgreifendsten Folgen zu wünschen sind, zur Ehre der Provinz und zur Emporhebung der unterdrückten Menschheit.

Im Busen unsers Verfassers glüht ein Funke, der ihn sein Werk fortzusetzen aufregt. Von Hume ist hier sein Essay of the original Contract aus den Essays and Treatises on several subjects (Vol. I. Essay 25), von Rousseau der berühmte Contrat social übersetzt, der in den letzten Jahren so große Wirkungen hervorbrachte. Der Anmerkungen des Uebersetzers sind wenige, und sie sind sehr bescheiden. Wenn er in der Vorrede sagt: »Wie Hume zu mancher Behauptung kam, die von seiner Feder überraschen muß, weiß ich nicht. Er war einst Rousseau's Freund, zerfiel aber bald mit ihm; zur Ehre der Philosophie müssen wir annehmen, daß dieser Umstand nichts erklärt«: so kann wol, auch der Zeit nach, dieser Umstand nichts erklären. Hume's Essays erschienen 1753, Rousseau's Contrat social 1763. Die Geschichte ihrer Freundschaft und Feindschaft ist von späterem Datum. Hume dachte durch sich selbst, wie er dachte.

»Ich strebte«, sagt der Verfasser, »nach etwas mehr als nach Uebersetzerehre.« Dies beweist denn auch sein Nachtrag über Leibeigenheit (S. 461–572), zu dem die Abhandlungen beider Philosophen kräftig bereiten. Hinter ihnen und nach ihren Grundsätzen dies Gemälde von der Leibeigenschaft, welch ein Gemälde! Der Verfasser zeigt die Wirkung, die diese schreckliche Mißform der menschlichen Gesellschaft auf die Unterworfenen sowie auf ihre Beherrscher und auf den Staat hat; er schreibt gelassen, mit gefaßter Wärme und inniger Bedeutung. Gegen seine Grundsätze kann durchaus nichts gesagt werden. Möge man Thatsachen entschuldigen, wie man gewöhnlich thut; so lange die Einrichtung, d. i. die Unverfassung selbst besteht, ist ein ewiges Feld zu dergleichen und zu ärgern Thatsachen gegeben. »Daß ich doch«, sagt er, »hinrufen könnte bis an die Ufer der Newa!« Daß die vereinte Stimme aller Guten, aller Edeln das Ohr jenes weisen Fürsten zu erreichen vermöchte, der im Stillen zur Gerechtigkeit reifte, und dessen erste Thaten eine so glorreiche Laufbahn versprechen! Ihr, die Ihr wie Boten des Heils um seinen Thron steht; Ihr, zu denen Unzählbare mit sehnsuchtsvollen Blicken hinaufsehn: wer von Euch ist erhabenen Geistes gnug, seine Wahl dadurch zu rechtfertigen, daß er ihm sage: »Jetzt, da die Menschheit überall sich fühlt, überall mit Unwillen und Ingrimm ihre Ketten schüttelt, jetzt, mächtiger Beherrscher von hundert verschiedenen Nationen, guter, weiser Fürst! jetzt ist es Zeit, die schimpflichen und unnützen Schranken niederzuwerfen, die Dich von dem nützlichsten Theil Deiner Unterthanen trennen, sie alle wie Kinder zu Dir zu versammeln, sie alle wie Kinder Dich lieben zu lehren. – Paul! Du verheißest mehr als Größe; Du verheißest Güte und allgemeine Gerechtigkeit. Mit einer einzigen That kannst Du Alles verdunkeln, was alle Deine Vorgänger vermochten. Schaffe sie fort, die Leibeigenheit, dieses Brandmal barbarischer Vorzeit! Es steht da im aufgeklärten Zeitalter wie ein Krebsgeschwür in einem schönen Gesicht, wie ein Scheiterhaufen der Inquisition in einem blühenden Gefilde. Uebe Gerechtigkeit und rette die Ehre Deines Reichs, Deines Jahrhunderts! Du kannst es: werde uns Vater!«

Finde diese Apologie eines Jahrhunderte lang gekränkten und erniedrigten Menschenstamms bei edeln Menschen ein günstiges Gehör und eine wohlwollende Berathung! Einen Kranz um seine Stirn wird unser junge Thrasybulus nicht erwarten; einst aber, wenn nach erfüllten Hoffnungen er in sein Vaterland zurückkehrt, mögen ihm beide Nationen Livlands auch für das, was er so stark gewünscht und in Regung gebracht hat, durch eine gewonnene neue Existenz danken.

 

Meine Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechts, von dem Verfasser (des Buchs) Lienhard und Gertrud. Zürich 1797 bei Geßner.Erfurter Nachrichten 1797, Stück 60. – D.

Lienhard und Gertrud ist als eins der besten Volksbücher in der deutschen Sprache anerkannt, und an innerer Kraft ist's vielleicht das erste. Voll warmen Mitgefühls für alle Classen unsers Geschlechts griff der Verfasser gerade in den Knoten, aus welchem alles Elend, alle Verdorbenheiten der verschiedenen Stände hervorgehen, und in welchem sie sich, zusammengewebt, wechselseitig einander unterstützen und festhalten. Nach Ansicht der Dinge im Gange seines Lebens konnte er diesen Knoten nicht anders als provinciell knüpfen und auflösen; jeder Leser, jede Leserin aber von Geist und Herz sagte: »Hätten wir in unserer Provinz auch einen Lienhard und Gertrud, ebenso wahr, ebenso provinciell geschildert!« und nahm sich aus demselben mit Schmerz und Freude, was für ihn, was für sie diente.

Die gegenwärtige Schrift ist auch eine Geschichte, die Geschichte eines großen Kampfs und Zwiespalts, nicht aber in einzelnen Auftritten zwischen wenigen Personen, sondern in sämmtlichen Zuständen unsers Geschlechts und bei jedem Menschen in der Folge seiner Verhältnisse und Lagen. Der Knote liegt in unserem Herzen, im reichen Keim unsrer Kräfte und Anlagen, deren Schlaf und Wachen, deren verschiedener Gebrauch und Mißbrauch im fortgeleiteten Bande der Gesellschaft allenthalben neue Knoten schlägt, neue Keime des Guten und Bösen fördert. Kurz, die Widersprüche in der menschlichen Natur und Gesellschaft nimmt der Verfasser scharf und bestimmt nach allen Wechselfarben ins Auge, indem er sich fragt: »Was bin ich? und was ist das Menschengeschlecht? Was hab' ich gethan? und was thut das Menschengeschlecht? Ich will wissen, was der Gang meines Lebens, wie es war, aus mir gemacht hat. Ich will wissen, was der Gang des Lebens, wie er ist, aus dem Menschengeschlechte macht. Ich will wissen, auf was für Fundamenten mein Thun und Lassen ruhe; von welchen Gesichtspunkten meine wesentlichsten Meinungen eigentlich ausgehen und unter den Umständen, unter denen ich lebe, ausgehen müssen. Ich will wissen, auf was für Fundamenten das Thun und Lassen meines Geschlechts ruht, von welchen Gesichtspunkten seine wesentlichsten Meinungen eigentlich ausgehen und unter den Umständen, unter denen es lebt, ausgehen müssen.« Die Untersuchung dieser Fragen macht das ganze Buch zum ernstesten Gespräch mit uns selbst und mit unserm Geschlecht in allen Classen und Ständen. Wehe dem vertrockneten Herzen, wehe auch dem Thiermenschen, der, wenn er die drückendsten hier aufgestellten Contraste vor sich sieht, nicht zu sich sagt: »Auch ich leide unter diesen Widersprüchen und trage sie in mir. Ich bin nicht besser als Jedermann.« Wohl aber Jedem, der in diesem strengen Dialog zu sich sagen kann: »Ich that, was ich konnte, um diesen Widersprüchen zu entkommen, ja, sie mir selbst zuerst aufzulösen.«

Drei Zustände setzt der Verfasser im Menschen und im menschlichen Geschlecht fest, d. i. drei Arten, die Welt anzusehen und auf sie zu wirken. Der erste ist der Zustand des Thiermenschen, dessen Unschuld nur kurze Zeit, nur einen Augenblick dauert; selbstgefälliger Gebrauch der Kräfte ist seine Tendenz, ungestörter sinnlicher Genuß sein Ziel. Sobald er in einen Conflict mit andern Anstrebungen und Gelüsten kommt, hört seine Unschuld wie seine Seligkeit auf, und es öffnen sich gräßliche Scenen. Der Zustand der Gesellschaft begehrt ein Recht, ein gemeinsames Recht, zu dem den Menschen ein tausendfaches Elend, Noth und Jammer treiben. Mit unglaublicher Stärke, mit einem furchtbaren Reichthum an Beweisen zeigt der Verfasser, daß auch im Zustande der Gesellschaft der Mensch immer ein Thiermensch bleibe, der sich selbst gern Alles ist, der seine Macht, seine Ansprüche zügellos ausdehnt, wenn ihn nicht ein gemeinsames Gesetz bindet und einschränkt, der unter tausend sinnreich erlogenen Formen und Blendwerken jetzt und immer nur seinen Sinnengenuß zu sichern und zu erweitern trachtet. Mit schrecklicher Wahrheit, in Anspielungen auf alle Classen und Stände ist dies Gemälde dargestellt, das unsre Zeit, in welcher dieser Kampf nicht etwa nur hie und da von außen, sondern inwendig in den Herzen fast aller Menschen zum Ausbruch gekommen ist, leider sehr bewährt. Das Elend der »Rechtlosigkeit im gesellschaftlichen Zustande« schildert der Verfasser mit einer Stärke und Vielseitigkeit, wie sie vielleicht kein Schriftsteller, selbst Rousseau nicht, geschildert hat. Er reißt uns die Binde von den Augen und beleuchtet den lieblichen Wahn, »daß gesellschaftliches Recht und sittliche Tugend eins sei«, mit einer flammenden Fackel. Alles in diesem zweiten Zustande von innen und außen drängt uns, in einen dritten Zustand zu treten, sittliche Menschen zu werden. Dies wird Jeder für sich, aus innerer Kraft, durch reine Bestrebung seines Willens; die Gesellschaft kann ihm diesen Zustand nicht geben, wohl aber ihn daran hindern und ihn verfälschen. Nur durch die Uebel, die sie veranlaßt, durch die ungeheuern Contraste und Widersprüche, die sie bloßstellt, treibt sie den Menschen, daß er diesen Zustand sich selbst gebe. Und nun zeigt der Verfasser, wie der also veredelte, sittliche Mensch Kenntniß und Wissen, Erwerb und Eigenthum, Recht und Macht, Ehre, Beherrschung und Unterwerfung, Adel, Handel, Kronen, Gesetze, Freiheit, Staat, Wohlwollen, Liebe, Religion ansehe und anwende; wobei er jedesmal, was diese Dinge dem Natur- und dem gesellschaftlichen Menschen sind, mit deutlicher Abzeichnung bemerkt. Im ganzen Buche steht der Mensch in dreierlei Rücksicht vor uns: als Werk der Natur im unverdorbnen und verdorbnen Zustande; als Werk seines Geschlechts, was die Gesellschaft aus ihm macht und machen will, wie sie ihn formt und bildet; endlich als Werk seiner selbst; da erschafft, da sucht er sich Recht und Wahrheit.

Man sieht, daß die Grundlage dieser Gesichtskreise in Rousseau liege, dessen Schriften der Verfasser stark und frühe gelesen haben muß, mit dem er auch in seiner männlichen Beredsamkeit und Liebe zur Wahrheit eine Aehnlichkeit hat, die sich leider auch bis auf traurige Erfahrungen seines Lebens zu erstrecken scheint. Geborgt aber ist in diesem Buch nichts. Der Strom, sowol wo er sanft fließt als ungestüm sich fortwälzt, quillt aus dem Herzen; wir lesen das reif durchdachte Resultat eines über die Hälfte hinaus gelebten, thätigen, wenigstens im Wollen thätigen Menschenlebens.

»Tausende«, sagt der Verfasser (S. 232), »gehen als Werk der Natur im Verderben des Sinnengenusses dahin und wollen nichts mehr. Zehntausende erliegen unter der Last der Gesellschaft, ihres Hammers, ihrer Nadel, ihrer Elle und ihrer Krone; sie wollen nichts mehr. Ich kenne einen Menschen, der mehr wollte; in ihm lag die Wonne der Unschuld und ein Glaube an die Menschen, den wenige Sterbliche kennen; sein Herz war zur Freundschaft geschaffen; Liebe war seine Natur und Treue seine innigste Neigung. Aber er war kein Werk der Welt; er paßte in keine Ecke derselben. Und die Welt, die ihn also fand, die nicht fragte, ob durch seine Schuld oder die Schuld eines Andern, zerschlug ihn mit ihrem eisernen Hammer, wie die Maurer einen unbrauchbaren Stein zum Lückenfüllen mit den schlechtesten Brocken. Noch zerschlagen glaubte er an das Menschengeschlecht mehr als an sich selber, setzte sich einen Zweck vor und lernte unter blutigem Leiden für diesen Zweck, was wenige Sterbliche können. Allgemein brauchbar konnte er nicht mehr werden, und er wollte es auch nicht; aber für seinen Zweck wurde er es mehr als irgend Einer. Er erwartete jetzt Gerechtigkeit von dem Geschlecht, das er noch immer harmlos liebte, und erhielt sie nicht u. s. w.

»Das war das Sandkorn auf der stehenden Wage seines Elends. Er ist nicht mehr; Du kennest ihn nicht mehr; was von ihm übrig ist, sind zerrüttete Spuren seines zertretenen Daseins. Er fiel. So fällt eine Frucht, wenn der Nordwind sie in ihrer Blüthe verletzt und nagende Würmer ihre Eingeweide zerfressen, unreif vom Baum. Wanderer, schenk ihr eine Thräne! Noch im Fallen neigte sie ihr Haupt gegen den Stamm, an dessen Aesten sie ihren Sommer durchkrankte, und lispelte dem Horchenden hörbar: »Auch vergehend, will ich seine Wurzeln noch stärken«.«

In so trauriger Gemüthsstimmung schloß der Verfasser sein Buch. Aber die Auftritte der Welt wechseln; gegenwärtiger Schmerz ist nicht ewiger Schmerz, und hinter dem Sommer giebt es auch schöne Herbsttage. Dem Verfasser werde eine solche Jahreszeit auch für die Frucht, die er uns mit diesem Buche geschenkt hat! Jeder, wenn er es gelesen, nehme ein Blatt und schreibe seinen Lebenslauf dazu, was er als Werk der Natur habe sein sollen, was aus ihm die Gesellschaft, was endlich er aus sich selbst gemacht habe. Einem überlegenden Gemüth bietet dies Buch zu solchem Blatt viel Ansichten dar.

Ob sich nun gleich einem Genius, bei dem gleichsam nur der starke Verstand und das verwundete Herz redet, die kleinfügige Kritik nur schüchtern nahen sollte, so wäre es doch, selbst zur Darstellung mancher Wahrheiten, gut, wenn vor einer zweiten Auflage der Verfasser sein Buch einem Freunde, dem er vertraute, nicht nur zur helleren Interpunction, sondern auch hie und da zu Bemerkungen mittheilte. Durch kleine Veränderungen, durch die Wegnahme manches Ueberladenen fielen andere äußerst wichtige Stellen reiner ins Auge; sie stünden, wie Kastor und Pollux auf dem berühmten Römischen Berge, riesenhaft da. Es wäre diese Ausheilung einer Schrift zu wünschen, die so ganz wie diese die Geburt des deutschen philosophischen Genius ist, der weder francisirt, noch anglisirt, am Wenigsten aber sich daran gnügen läßt, ein Principium in der Form aufgestellt zu haben. Eben daß unser Verfasser tief in die Sache griff und den seit Jahrtausenden geschürzten Knoten der Menschenverfassung »unsers alternden Welttheils« mit einem Hiebe nicht zu lösen begehrte, vielmehr ihn fester zusammenzog und nur die aus- und eingehenden Enden zeigte, eben dies ist der Werth seines Buchs. Trete nun ein Andrer hinzu und zeige, was die wachsende Sittlichkeit einzelner Menschen einzeln und fürs Ganze uns an frohen Aussichten gewähre: wir wollen ihn hören.

 

Phamenophis, oder Versuch einer neuen Theorie über den Ursprung der Kunst und Mythologie, von K. F. Dornedden. Göttingen 1797.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 7. – D.

Schade, daß, wenn der lesende Theil des Publicums auf Materien einer Art zu sehr gespannt ist oder von Recensenten gespannt wird, andre denkwürdige Bemühungen des menschlichen Geistes so leicht übersehen werden! Dreißig Jahre früher wäre die eben genannte Schrift mit lauterm Ruhm verkündigt worden als in unsern politischen Romanzeiten. Sie hat indessen ihren Werth in sich, der zu seiner Zeit gewiß hervortreten wird.

Jeder Kenner der Literatur weiß, wie viel und Mancherlei über die sogenannte heilige oder Hieroglyphenschrift der Aegypter, über ihren Götter- und Thierdienst, ihre Mysterien, über Osiris, Isis, Memnon's klingende Statue u. s. w. gemuthmaßt und geräthselt worden; Alles ohne festen Bestand, weil späte, einander widersprechende Griechenmärchen und wenige Etymologien die einzigen Gewährsmänner waren. Nach dem verdienstvollen Gatterer thut unser Autor den ersten festen Tritt in diesem dunkeln Felde. Indem er eine wahre Idee von dem giebt, was vor Erfindung der Buchstaben oder eigentlicher Wortzeichen eine Sachenschrift sein mußte, indem er diesen Begriff entwickelt, festhält und mit lebhaftem Geist sich ganz in die Zeiten versetzt, da man, der Buchstaben völlig unkundig, durch Zeichen, Gebräuche, Feste, Handlungen sprach (d. i. Ideen, die man bekannt machen, fixiren, aufbewahren wollte, in Sachcharakteren andeutete und wiederholte), giebt er zugleich Proben, wie solche Sachen- und Handlungssprache, in Worte gefaßt, gesagt werden mußte, und wie man aus diesen Worten auf die Ideen jener zurückkommt. Er hat sich hiemit am Cyklus der ägyptischen Zeit- und Jahresbestimmung versucht und (ohne daß man eben annehmen darf, die Aegypter hätten nur Zeitideen symbolisirt) hierin viel geleistet. Ueber Osiris, Isis, die Neith, Osiris' Grab, den Phönix, Apis, Amenophis, d. i. die sogenannte Memnonssäule, den Thierdienst der Aegypter, die ἱεροὺς λόγους u. s. w. ist nie so viel Verständiges und Einleuchtendes gesagt worden als hier; Alles ist angemessen dem Geist damaliger Zeiten. Da des gelehrten Zoëga Werk über die Obelisken seit mehreren Jahren zu Rom im Druck ist (zu wünschen, daß es bald erscheine) und dieser vielbelesene Mann seinen ganzen Fleiß auf dies Studium gewandt hat, so wird man neugierig, zu wissen, ob und wo er sich mit dem scharfsinnigen, gelehrten Verfasser dieser Schrift begegnen werde. Begegnete er sich aber auch nicht mit demselben, so sind die Regeln und Proben, die hier zur Auslegung einer Sachen- und Handlungssprache, ehe man Buchstaben kannte, nicht minder zu Einverständigung dessen, was griechische Buchstabenschreiber von dergleichen Anordnungen berichten, gewiß doch der erste Versuch einer Logik über die gedachte Sachen-, Zeichen- und Handlungssprache.

Mithin ist diese Schrift nicht etwa dem ägyptischen Alterthumsgelehrten allein, sondern Jedem lehrreich, der von der Weise alter Völker, über Sachen und Ideen gemeiner Ordnung vor Erfindung der Buchstabenschrift etwas Gewisses zu ordnen, eben bei dem Volk der ältesten und fruchtbarsten Cultur eine Probe zu sehen begehrt. Nicht nur wird er bei der Ansicht dieses beschwerlichen Ganges der Zeichensprache den fast unermeßlichen Werth der Buchstabenschrift neu schätzen lernen, sondern auch zu Beurtheilung andrer ähnlichen Nationen und für die Geschichte des menschlichen Geistes überhaupt mancherlei Grundsätze selbst folgern.

Es ist zu wünschen, daß der Verfasser dieser Schrift mehrere seiner Untersuchungen, ohne welche dieser Phamenophis nicht erscheinen könnte, mit Wahl und Absicht ans Licht fördere, und wenn diese, wie aus einigen Winken zu ersehen ist, sich auf die Bildung der ältesten griechischen Mythologie erstrecken, solche nicht vorenthalte. Die Entstehung der schönsten, d. i. der griechischen Mythologie ist immer noch, bei allen dazu gelieferten trefflichen Solutionen, für kein völlig aufgelöstes Problem zu achten; jeder neue Beitrag dazu, wenn er aus der wahren Mnemonik der alten Zeit schöpft, ist schätzbar. Mit dem Titel des Buchs scheint der Verfasser sich dazu verbindlich gemacht zu haben; denn eine Theorie über den Ursprung der Kunst und Mythologie ist mit diesem Phamenophis noch nicht gegeben. Wir sehen es also nur als den ersten Ton an, den Memnon's Statue tönte; die septem vocales mögen folgen!

Zweitens wäre vielleicht zum Vortheil der Sache bei ferneren Geistesarbeiten des Verfassers zu wünschen: Erstens in Materien dieser Art eine strenge Enthaltung von Kantischer Schulsprache. Was soll sie beim Phamenophis? was soll sie überhaupt im Garten der Musen? Entwicklungen dieser Art sollen gelesen werden, wenn jene Schulsprache vergessen oder von einer andern verdrängt sein wird. So lange der Verfasser in seiner eigenen Sprache redet, schreibt er leicht, sogar genialisch; wenn er den philosophischen Panzer anlegt, geht er schwer, die Arm- und Beinschienen klappern. Zum Glück griff er selten nach dieser entbehrlichen Rüstung. Zweitens. Hie und da hat der Verfasser, wie es scheint, Lessing's polemischen Ton nachgeahmt; er ist aber schwer nachzuahmen, und am Ende hält er doch die Materie auf. Laß Andre vorher gesagt haben, was sie wollten; ist es nicht schön und würdig, mit Vergessenheit ihrer etwas Besseres zu sagen oder sie, wenn es die Sache fordert, schlicht zu widerlegen? Jablonsky und Andre thaten, was sie konnten; jener verdiente Mann hat wenigstens treu gesammelt und koptische Worte interpretirt. Verfehlte er den wahren Weg, wie schön ist's, diesen zu finden und den Leser ungestört, ohne Rücksicht auf fremde Irren, diesen Weg zu leiten! Wenn in Untersuchungen solcher Art sich ein Begriff nach dem andern, ein enträthseltes Symbol nach dem andern frei und anschaulich hervorhebt, so ist's, wie wenn ein guter Demonstrator, die Fackel in der Hand, uns die Statuen des Capitol's oder Vatican's zeigt. Wie sich die Fackel schwingt, treten sie aus der Nacht hervor; sie bewegen sich, sie leben. Unser Verfasser hat Kenntnisse und das Talent, in der Nacht des Alterthums uns diesen Kunstgang lehrreich weiter zu führen.

 

A. L. Schlözer's Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen. Erstes, zweites, drittes Stück. Göttingen 1795. 1796. 1797. 23 Bogen in gr. 8.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 32. – D.

In einer Zeitenkrise, wie die unsrige ist, wo dem in Ohnmacht gesunkenen, sein Schicksal erwartenden Deutschland so mancher eingeborne Deutsche in ausländischen Phrasen Hohn spricht, kommt ja wol ein Buch recht, das dem Charakter der Deutschen nicht etwa nur, wie man laulich sagt, Gerechtigkeit widerfahren läßt, sondern ihre Verdienste aus Thatsachen entwickelt und in Thatsachen darstellt, das die Geschichte aufruft, zu sagen: »Das waren und wollten wir! das waren wir unter mancherlei Himmelsstrichen, früher als andere Völker um uns her; das haben wir geleistet!« Von dem Verfasser eines solchen Buchs darf man doch wol sagen: »er habe sich um seine Nation verdient gemacht«.

Ein solches Buch sind diese drei Stücke kritischer Untersuchungen zur Geschichte der Deutschen in Siebenbürgen von Schlözer. Nicht um diese Deutschen »in Siebenbürgen« allein (deren Urkunden theils ganz, theils in Auszügen das erste Stück, und deren Haupturkunde, das Privilegium Königs Andreas II. vom Jahr 1224, das dritte Stück mit einem kritischen Commentar giebt) hat sich der Verfasser verdient gemacht, indem er ihre Geschichte darstellt und ihre Rechte vertheidigt, sondern um die Ehre der Deutschen, wo sie auch leben, indem er das ihrem Charakter früh angebildete gute Gefühl von rechtlicher Ordnung, ausharrendem Fleiß, treuer Sittlichkeit, mithin ihr Verdienst um die praktische Cultur der Menschheit durch Thatsachen erweist. Der Unterschied zwischen Lebensart der Deutschen und Magyaren wird hie und da schneidend. Indem der Verfasser den wahren Blick strenge verfolgt: »Thiere müssen Menschen, ziehende Horden Völker, Völker Menschenvölker werden«, und die Eigenschaften oder sogenannten Vorzüge jeder Periode dieses Fortschrittes in treffenden Zügen nebeneinanderstellt, so tritt das Verdienst der Deutschen durch ihre frühe Municipaleinrichtung, die eine bürgerliche Freiheit und Selbstregierung mit sich führte, sowie auch ihre Bemühung um die Cultur vieler Gegenden Europa's durch Betriebsamkeit und Künste in einem bescheiden schönen Lichte gleichsam von selbst hervor. Der größte Theil des zweiten Stücks dieser historischen Untersuchungen, der vom deutschen Municipalwesen, von den Colonien der Deutschen in Oestreich, Ungarn, Siebenbürgen, Bremen, Holstein, Meißen, Mecklenburg, Preußen u. s. w. sammt den verschiednen Rechten, die sie daselbst erlangt und festgesetzt haben, mit historischer Präcision redet, ist jedem Liebhaber seines Volks und der Geschichte desselben unentbehrlich; auch was sich aus der Geschichte andrer Unternehmungen, z. B. der Spanier in Languedoc, der Johanniter und Tempelherren in Ungarn, hineinmischt, die Chronik der Petscheneger und Komaner selbst ist hier gleichsam neu entdecktes oder neu befestigtes, gewonnenes Land. Dem Verfasser steht ein Ausdruck zu Gebot, der mit Bündigkeit und Kraft Schärfe des Witzes und Urtheils so glücklich vereint, daß manche kurze Stellen seiner Vorreden, seiner Anmerkungen und Einschaltungen mehr sagen und weiter hinweisen als lange schale sogenannt philosophische Commentare. Die wahre Philosophie der Geschichte ist nicht, die Geschichte a priori ersinnen oder malen, sondern Facta darstellen und ordnen.

Das Meistertalent des Verfassers, historische Kritik, hat sich also auch in dieser Schrift erwiesen. Gleichviel, woran es geübt werde, ob an einem Privilegium der Siebenbürger oder dem Recht einer Colonie, es wird lehrreich für die ganze Geschichte der mittlern Zeiten, ja für die Menschengeschichte überhaupt; denn Alles hat in dieser eine Tendenz und strebt zusammen zur Cultur oder, wie der Verfasser sagt, zur Völker-Menschwerdung. Schlözer's Commentar zum Privilegium der Siebenbürger ist auf allen Blättern lehrreich.

Sonderbar wird es vielleicht manchem Leser, wenn er in unsrer wortschäumenden Zeit die Stimme eines solchen Veteranen hört; denn Veteranen nennen unsre Neulinge (die sich für die jetzt herrschende Generation halten) ihre Lehrer. Manches wird diesen deutschen Magyaren zu scharf, zu hart gesagt scheinen; manches Andre wird ihnen Mikrologie dünken; denn es hat viel Fleiß, viel Untersuchung gekostet und ist nicht a priori erfunden. Lasse der Himmel uns aber noch lange solche Veteranen, deren einige goldne Worte und scharfe Blicke mehr werth sind als lange Speculationen und malerische Tiraden. Wir verbinden also zugleich mit diesem Buch ein anderes Werk voll ächten kritischen Geistes und Fleißes:

A. L. Schlözer's kritisch-historische Nebenstunden. Origines Osmanicae. Papiergeld, eine mongolische Erfindung im 13. Säculum. – Ideal einer Anleitung zur Kenntniß der asiatischen Staatengeschichte im Mittelalter. Göttingen, bei Vandenhöck und Ruprecht. 1797. 12 Bogen gr. 8.

Indem der Verfasser im ersten Aufsatz die einheimischen Quellen der älteren osmanisch-türkischen Geschichte untersucht und von ihren Geschichtschreibern So'ad-eddin und Abulgasi Nachrichten und Proben giebt, sodann die osmanischen Origines nach byzantinischen, arabischen und anderen, meist zuverlässigeren Berichten verfolgt, bahnt er sich den Weg zum Entwurf einer allgemeinen türkischen Geschichte von der ersten Bekanntwerdung dieses Volks und seines Stammlandes bis zur Gründung des osmanischen Reichs, mit neun Hauptepochen der Bekanntwerdung dieser Länder und Völker, von Cyrus und Alexander bis auf den Einfall der Mongolen. Sodann zeichnet er das Ende des Staats von Chowaresm und von Iconium und den Anfang des osmanischen mit einem Resultat vom wahren Ursprunge der Osmaner und Osman. Alle diese sechs Abschnitte sind keines Auszugs fähig; denn sie sind aus den verschiedensten Untersuchungen selbst Auszug. Ebenso im siebenten die Parallele zwischen Kleinasien und Italien im Mittelalter, zwischen Osman, Sforza und andern Condottieri. Ausgerissene Resultate stünden hier am unrechten Ort; man muß die Schrift selbst lesen. Allenthalben zeigt sie Lücken und weckt Gedanken. Weckte sie auch Fleiß, diese Lücken auszufüllen, die hingestreuten Gedanken zu realisiren! Mit innigem Vergnügen sieht man hier europäische Kritik an morgenländische Geschichte und Geschichtschreiber gelegt; die Anwendung davon auf die Geschichte andrer morgenländischen Stämme und Völker mache sich Jeder.

Der Aufsatz: Mongolen, Erfinder des Papiergeldes im 13. Säculum, überrascht angenehm, und er ist mit Zeugnissen belegt. Der Anfang endlich, »über deutsche Orthographie asiatischer Namen«, verdient allgemeine Beherzigung und Einverständniß. Es ist ein wirklicher Gräuel, daß Jeder orientalische Namen nach seinem Sinn schreibt. Volney u. A. haben deshalb Vorschläge gethan; wir Deutsche sollten wenigstens unter uns übereinkommen, wie wir arabische und persische Worte schreiben. Des Verfassers Regeln sind sehr annehmbar, wenn sie gleich nicht Alles erschöpfen.

Noch verdient das dem Buch vorstehende Schreiben an Herrn Hofrath Meusel eine besondre Erwähnung, sowol des biedern freundschaftlichen Tons wegen, in dem es abgefaßt ist, als seines Inhalts halber. Es spricht von der bisherigen Bearbeitung der asiatischen Geschichte und gewährt uns die Freude, diese Nebenstunden als eine Vorarbeit zum dritten Theil der Schlözer'schen Weltgeschichte ansehen zu können. Werde sie bald erfüllt, diese Hoffnung! Hora ruit..

 

Briefe über das Studium der Wissenschaften, besonders der Geschichte, an einen helvetischen Jüngling politischen Standes. Pulchrum est benefacere reipublicae; etiam benedicere haud absurdum. Sallust. Von J. G. Müller. Zürich 1798Erfurter Nachrichten 1798, Stück 33. – D.

Wie wenn auf einem Gastmahl unter vielen unverdaulichen, schlecht zubereiteten Speisen uns ein Körbchen reifer, gesunder, wohlschmeckender Früchte gereicht wird, an denen man sich nicht nur erholt, sondern erquickt und stärkt, so wird den Lesern, alten und jungen, vorzüglich Jünglingen, die noch unverdorbenen Gemüths den Garten der Wissenschaft und den Markt des Lebens mit Lust und Anmuth überschauen, dies kleine Bündchen Briefe sein, in denen ein Freund zum Freunde, ein mit reiner Wissenschaft, mit reicher Lectür alter, mittlerer und neuer Schriften, vorzüglich aber mit richtigem Blick und edelm Gemüth begabter Mann zu Jünglingen seines Vaterlandes, insonderheit politischen Standes, redet. Kathederbücher, literarische Geschichten und Anweisungen zur Geschichte haben wir in Deutschland gnug; manche Ostermesse kommen sie in halben Dutzenden zum Vorschein; meistens aber nur als Kathederhilfe, hölzerne Schemel, darauf der Herr Professor sitzen wird, daß er docire.

Fast von Wiederherstellung der Wissenschaften an kann man mehreren Schweizerschriftstellern das Lob nicht absprechen, daß sie, in einem Vaterlande lebend, auch die Geschichte desselben als Bürger ansahen, treu beherzigten, treu erzählten. Der Bruder unsers Verfassers, Johannes Müller, hat mit seiner über die Hälfte vollendeten Geschichte der Schweiz sich und seinem Vaterlande ein Denkmal gestiftet, das dauern wird, so lange unsre Sprache dauert; und in mehreren oft kleinen Landesproducten jener Bergrepubliken war statt eines Kathedervortrages biederer Geist, männliche Kraft unverkennbar. Aus neuerer Zeit darf ich die Namen Haller, Bodmer, Breitinger, Waser, Schinz, Fäsi, Füßli, Balthasar, Escher, Pestalozzi nur nennen.

Unser Verfasser verbindet diese biedre Schweizertreue nicht nur mit einem übersehend weiten Blick des großen Feldes der Menschengeschichte in den verschiedensten Verfassungen, Reichen und Zeitaltern, sondern auch mit einer liebenswürdigen Innigkeit, einer andringenden Sanftmuth. Allenthalben sieht man, daß er aus Vielem nur das Beste gewählt habe, daß vorzüglich Schriftsteller, die auf Bildung des Gemüths und der Sitten wirkten, seine Lieblingsschriftsteller gewesen, aus welchen er dann, in so verschiedenen Zeiten sie lebten, Kernwahrheiten, die in ihm selbst reif geworden, seinem Freunde vorträgt oder vielmehr als neue Keime des Wahren, Schönen und Vortrefflichen, wozu Wissenschaft und Geschichte dienen soll, in ihn pflanzt. Ein summarischer Auszug dieses kleinen Buchs wird und muß dies Lob bewähren.

In wenigen Zeilen ist es dem edeln Zeugen und Märterer politisch-historischer Wahrheit, Friedrich Karl von Moser, zugeeignet; und die kurze Vorrede stellt den Gesichtspunkt des Buches fest. Brief 1 macht eine schöne Grundlage, das Gemüth des jungen Staatsbürgers in Ansehung seiner künftigen Betriebsamkeit, seiner Hoffnungen und Erwartungen zu ordnen; er sagt viel Vortreffliches in kurzen Sprüchen und schließt mit einer schönen Stelle Claudian's. Brief 2. Wie sich der künftige Staatsbürger durch Wissenschaften zu seinem Beruf vorbereiten solle. Natürlich, daß der Verfasser hier gegen die Uebel unserer Zeit, insonderheit gegen Deutschlands Gelehrtenübel (über die man wie Tissot ein eignes Buch schreiben könnte) reden mußte. Er spricht bescheiden, andringend wahr und herzlich. Brief 3 tritt in das Detail näherer Vorschläge beim Lesen, insonderheit beim Lesen der Alten. Als Beilage ist ein Brief des vortrefflichen Caspar Barläus (geschrieben 1641) übersetzt, und ein andrer ungedruckter desselben Inhalts vom Mathematiker Stephan Spleiß im Auszuge mitgetheilt. Der Barläische Brief enthält eine Encyklopädie zum Lesen der Alten, sogar mit ausgezeichneten Stellen derselben, auf wenigen Blättern. Brief 4 über die Kunst der Composition. Uebung in Composition schriftlicher Aufsätze ist jedem aufgeklärten Mann, zu unsrer Zeit jedem rathschlagenden wirksamen Staatsmitgliede nöthig; dieser Brief enthält seine Regeln. Brief 5 spricht von der Philosophie. Daß aber ja Niemand hier eine Einbläuung oder Einkeilung des jetzt geltenden Averrhoismus erwarte! Der Brief spricht von Logik des gesunden Menschenverstandes, von Geschichte der Philosophie, sowol in Systemen als populär vorgetragen, und in einer Nachschrift von Religion, Theologie, dem geistlichen Stande u. s. w. Das Lob, das Shaftesbury mit einer Hinweisung zum Gebrauch seiner Schriften gegeben wird, steht hier sehr an rechtem Ort; von den Averrhoisten des vierzehnten Jahrhunderts dagegen wird in einer Note (S. 69) aus Petrarca's Leben angeführt, »wie sie die Lehren des Averrhoës als Orakelsprüche verehrt und jeden Zweifel an denselben sehr übel aufgenommen. In Venedig habe diese Philosophie damals besonders unter jungen Leuten viel Anhänger gefunden und ihnen einen solchen Stolz eingeflößt, daß sie sich anmaßten, über die Verdienste Petrarca's ein förmliches Gericht zu halten, worin sie ihn dann zwar für einen guten Mann erklärten, ihm aber den Namen eines Gelehrten und eines Philosophen gänzlich absprachen. Die größten Kirchenlehrer hießen bei ihnen schwache Köpfe so wie alle Diejenigen, die ihre Kniee vor dem Aristoteles nicht beugten und nicht blindlings die wunderlichsten Meinungen Averrhoës' annahmen.« Uebrigens hält sich dieser Brief sowie das ganze Buch von allem Streit frei. Brief 6. Nachdem der Verfasser über die Wissenschaften und das Studium überhaupt leitende Ideen (notiones directrices, die beste Methode!) gegeben, kommt er zum Studium der Geschichte, sucht zu demselben zuerst Lust einzuflößen und zeigt sodann, wie Geschichte, allgemeine und besondere, gelesen, studirt, genutzt werden müsse. Die Rathschläge alter und neuer Geschichtforscher werden dabei angeführt und als Beilage eine Stelle aus Walther Raleigh's Vorrede zu seiner Weltgeschichte gegeben, die den großen Verstand des Mannes zeigt. Ein kleiner Auszug aus Bodin's Methode zur Geschichtskenntniß folgt. Brief 7 giebt Bemerkungen über den Nutzen der Geschichte für die Beurtheilung politischer Gegenstände. Eine Stelle Plato's, »Von den Gesetzen«, leitet sehr gesunde Gedanken ein über den Ursprung und Zweck bürgerlicher Gesellschaft in verschiedenen Verfassungen, mit Beispielen aus der Geschichte Griechenlands, Rom's und der Schweiz beurkundet. Sodann trägt der Verfasser (S. 176 ff.) einige einzelne bescheidene Ideen über die Geschichte der europäischen Menschheit und ihre moralische Bildung vor, voll heiterer, großer Blicke. Otanes', Megabyzus' und Darius' Reden über die verschiedenen Regierungsformen (aus Herodot) folgen (S. 200), und als eine zweite Beilage sehr interessante Gedanken aus einem der Lieblingsschriftsteller des Verfassers, William Temple (S. 205). Der achte Brief verbreitet sich über den Geist der Geschichte verschiedener Völker, Zeitalter und Geschichtschreiber, mit guten einzelnen Winken auch auf die Geschichte der mittleren Zeiten, die der Verfasser nicht mit einem verachtenden Blick wegwirft, sondern charakterisirt. Als Beilagen, d. i. Proben, folgen: Anfang der Gesetze des Zaleukus; eine Exposition von Sallustius' Catilina; einige Proben von der Erzählungsart der Geschichtschreiber des Mittelalters; und dann (merkwürdiges Stück, S. 277) aus Temple's »Memoirs« ein Plan Richelieu's, der – in unsern Tagen seine Vollendung erreicht hat. Der neunte Brief über die Kirchengeschichte und Lebensbeschreibungen schließt das kleine Buch, das in Ansehung seines Inhalts das Lesen vieler Folianten voraussetzt, in Ansehung seines Vortrages ein schön geordnetes Ganze und in Betracht des Geistes, der dann herrscht, eine historisch-politische Blumenlese, d. i. eine Sammlung der besten Gedanken und Rathschläge ist, die der Verfasser aus alten und neuen Schriftstellern sowol als aus eigner Erfahrung zog und in sich bewährte, das, ohne Anmaßung gesagt, Bolingbroke's Briefen »zu Erlernung der Geschichte« an Nutzbarkeit weit voransteht.

Möge das kleine Buch in die Hände jedes guten Jünglinges kommen und ihm ein Leitfaden zu eigner Bewährung so mancher goldnen Wahrheiten und Grundsätze im Labyrinth der Geschichte und des heutigen politischen Lebens werden! Möge dem Verfasser, der nach dem Wahlspruch seines Titels de republica bene dixit, bei der jetzigen Umbildung seines Vaterlandes auch Gelegenheit zu dem höheren Schönen werden, reipublicae bene facere! Dann hätte er sich (denn das Buch ist vor der unerwarteten Revolution geschrieben) durch eine vieljährige stille Bildung in Kenntnissen und Grundsätzen dieser Art zur edelsten Nutzbarkelt wie durch eine höhere Bestimmung bereitet.

 

Blüthen aus Trümmern. Von G. A. von Halem. Bremen 1798. 264 Seiten in 8.Erfurter Nachrichten 1798. Stück 37. – D.

»Nicht jeder Marmor allein, auch jeder Laut weckt auf dem classischen Boden Griechenlandes unwillkürlich das Andenken des alten Hellas« (S. 27). »Hier«, sagt der Verfasser S. 3 der Vorrede (auf den Inseln des griechischen Archipelagus) »lebt ein Völkchen, das, vom festen Lande und dessen Verderbniß getrennt, seine ursprüngliche Eigenheit meist erhielt und ohne viele Gesetze, ohne große Wissenschaft nahe blieb der Natur. Sie kennen nicht die türkische Sonderung der Geschlechter, welche die Griechen des festen Landes schon nachahmten; nur die Tugenden ihrer Landesleute, die griechische Gastfreiheit, Nüchternheit, Keuschheit, Arbeitsamkeit, Mildthätigkeit, sind einheimisch bei ihnen. Auch über sie ward die Lebhaftigkeit der Griechen und deren leidenschaftliche Liebe für Gesang, Saitenspiel, Tanz und Poesie in reichem Maße ausgegossen. Ihre Frauenzimmer sind große Künstlerinnen im Sticken. Sie versammeln sich vor den Häusern und unterhalten sich während der gemeinschaftlichen Arbeit mit kleinen Erzählungen (Paramythien) oder fordern Andre auf, sie damit zu unterhalten« u. s. w.

Aus dieser Idee, aus dem Eindruck nämlich, den dem Verfasser die Beschreibungen Tournefort's, Le Roy's, Choiseul-Gouffier's, Spon's, Wheler's, Guys', Chandler's, Savary's und andre Reisende gaben, entstanden diese zarten Darstellungen, Schilderungen und Erzählungen, die dem größten Theil nach selbst Paramythien sind.Vgl. Herder's Werke, II. S. 213. – D. Ihr Inhalt ist sehr abwechselnd, ihre Einkleidung nicht minder. Leid und Freude, süße und bittere Empfindungen, in Poesie und Prose, in Schilderung und Erzählung treten uns in wohlgeordneten erlesenen Scenen vor und überraschen oft mit einem unerwartet schönen Ausgange. Allesammt sind sie Kinder der ächten Naturempfindung; Unschuld, Thätigkeit, Liebe und Großmuth, häusliche und gesellige Tugenden sind hier in einem Kranz von Blüthen über Trümmern alter Zeiten mit Grazienhänden gewebt. Der Verfasser hat süße Stunden genossen, da er die Erinnerungen seiner idealischen Reisen in diese Dichtungen ordnete; er schafft sie auch seinen Lesern.

Unter den Erzählungen macht 1. der Pilger auf Patmos (S. 9) mit Recht den Anfang. Die Erfahrungen des Papas und die Geschichte des Theobald's geben uns ein neues Interesse für diese Gegenden und für alle folgenden in ihren dargestellten Scenen. 2. Der Bischof von Damala. Das griechische Wiegenlied, das von ihm handelt, sagt uns in einer dreifachen Anwendung, die sich gleichsam von selbst giebt, die weiseste Lebenslehre. 3. Im Schahculi sind nach einer anmuthigen Einleitung mehrere Sentenzen Saadi's als gesungene Lieder in eine treffende Situation gesetzt. Das schöne Ufer von Stambul konnte nicht besser gefeiert werden. 4. Delli von Casos. Der Contrast zwischen dem barbarischen Wohlleben des Türken und dem menschlichem Leben der Casioten konnte schwerlich einen glücklichern Moment geben als diese Scene des Wiederfindens einer getrennten ehelichen Liebe und Freundschaft. 5. Die Quellenmädchen, 6. Clelia, 7. Die Stickerin, 8. Gemil und Zoë, 10. Der Traum, 11. Der Zauberer auf Naxos, 12. Die Eifersucht sind griechische Paramythien; ein paar derselben sind aus Guys aufgefaßt, die andern in dieser Manier gedichtet. Die Gaben des Zauberers auf Naxos und die Ehrenrettung des weiblichen Geschlechts im Munde der Zelia sind von der zartesten Art. 9. Die Mutterklage beim Tode der Tochter könnte in einer griechischen Anthologie stehen. 13. Die Laube zu Tenedos ist wie ein Idyllengespräch Geßner's. 14. Das Grab Homer's auf Nio (Ios) hätte auch ohne die zweite Scene einen andern Ausgang gewinnen mögen; dieser indessen macht das Andenken Homer's sinnlich. 15. Der Franke in Scio preßt den Wunsch aus, daß alle Franken in allen Welttheilen sich so verhielten wie dieser Franke, und 16. Die Blume Oschaddi erregt den Wunsch, daß unser Verfasser mehrere Bilder der Hindus so anwenden möge, wie er hier den Sohn des Himmels und der Täuschung, Kama, den indischen Liebesgott, mit seinen Symbolen gewandt und angewandt hat. Das Lied der Indianerin (S. 174 f.), die ihrem Geliebten in die Flamme folgt, ist schauerlich-groß. 17. Die Schlange Python, als ein Symbol der Pest betrachtet, leitet sehr edle Gesinnungen ein, diese und andre Pestschlangen zu überwinden. 18. Der Felsenbewohner am Libanon, der einen harten Knoten zwischen Glauben und Liebe mit dem kalten Eisen des Todes zerschneidet, läßt uns in einer Betäubung zurück, die vielen Gedanken den Weg öffnet. Als Anhang erscheinen Collin's bekannte Idyllen Hassan der Kameeltreiber und Die Flüchtlinge, und als Nachtrag Cytherens Verheißung, ein schöner Homerischer Hymnus. Die Anmerkungen (S. 221–254) sind Früchte einer reifen Lectür, sehr wohlgefällig zu lesen, sowie das Ganze eine Lustfahrt auf den griechischen Inseln, anmuthig und belehrend. Möchte ein sanfter Zephyr jener Inseln diese Blätter in die Hand unsrer Töchter und Jünglinge führen, daß sie, statt langer berauschender Romane, sich nach und nach an kurze Erzählungen, an stille und wahre Scenen der Natur gewöhnen! Die Griechen liebten Gemälde solcher Art, d. i. einzelner häuslichen und öffentlichen Ereignisse; ihre schönste Mythologie ist daraus entstanden; mit dem Andenken an dergleichen örtliche Begebenheiten schmückten sie Lustplätze, Tempel und Haine. Auch andre gebildete Nationen folgten ihnen hierin nach, und zu wünschen wäre es, daß gleichsam an Ort und Stelle jede Gegend der Erde gefeiert würde, die der Genius der Menschlichkeit, der Liebe, des Erbarmens mit seinem Fußtritt je berührte. Denn wie heiliger sind die Stätten als Schlachtfelder, Prunkorte des leeren Wahnes! Auch geben dergleichen kleine Erzählungen etwas, was lange Romane selten geben, nämlich den Geist eigner Erzählung und geselliger Unterhaltung. »Erzählt,« rufen sie uns zu, »wie Ihr hier erzählen hört, Eure Begebenheiten und Vorfälle des Herzens und Tages! Vergnügt Andre mit Euern Paramythien; und die schönsten Züge, die Euch in solchen Erzählungen gefallen, eignet Euch zu, zu welchem Zweck (die in der Erzählung vorkommenden Lieder ausgenommen) in dieser Dichtungsart die Prose vor der Poesie Vortheile zu haben scheint!«

 

Etwas von meinem Lebenslauf und etwas von meiner Muse auf der Festung. Ein kleiner Beitrag in der selbst erlebten Geschichte meines Vaterlandes. Vom Regierungsrath Dr. Huber. Stuttgart 1798.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 40. – D.

Ein zu volles Gemüth, das gar zu viel zu sagen hätte, schweigt; so werde auch dies kleine Buch schweigend angekündigt! Lese es Jeder, der den Traum von Freiheit und Sicherheit eines Staatsbürgers deutscher Nation unter der Willkür des gesetz- und straflosen Despotismus träumt; lese es Jeder! Der Verfasser ist ein Greis; er erzählt sein Leben weise, wie ein Mann von Geschäften, und dabei rein wie ein Genius, und heiter. Er charakterisirt Fürsten, Adel, Söldner, Volk, Stände so bedeutend, daß man von ihm sagen möchte: »Sein Schweigen redet.« Dabei ist seine Schreibart nett und klar, so natürlich und rein deutsch, daß sie seiner gebildeten »ehrlichen Denkart« nicht nur entspricht, sondern gleichsam selbst zu ihr gehört. Eine Nachlese classischer Denk- und Schreibart aus einer fast verlebten Zeit.

Möge das Beispiel des Verfassers, der seine Geschichte so ganz ohne Bitterkeit treu und rein erzählt, mehrere seiner Landsleute wecken, die ihrige auch zu erzählen! Außer der Kriegs und Staatsmarionette hat ja Deutschland keine andre als die Gelehrten- und Dienstgeschichte; jede Dienstgeschichte wie diese ist des Bemerkens und Aufhebens werth.

Ein edler Mann, ein treuer Freund, der Regierungspräsident von Gemmingen, den Deutschland aus seinen jüngeren Jahren auch als Dichter kennt, und dem unser Verfasser ein eignes Denkmal errichtet hat, erscheint in dieser Lebensgeschichte seines Freundes, obgleich, wie es der Despotismus gebot, vorsichtig und furchtsam, dennoch bis an den letzten Lebenshauch treu, bieder und ehrlich. Die Namen Gemmingen und Huber, ob sie gleich in verschiedenem Licht glänzen, werden von jedem Rechtschaffenen mit Liebe genannt werden.

Seinem verstorbnen Freunde also eignet der Verfasser dies sein Leben zu:

    Mein Bruder! Gönne mir die traute Zuschrift!
Es mögen's die Magnaten alle wissen!
Im Himmel, wo Du bist, erschallt kein Titel
Als der – des Bruders.

    Welch einen Theil die Bürger des Olympus
Am Schicksal der zurückgelassnen Freunde
Entweder nehmen können oder dürfen,
Ist heil'ges Räthsel.

    Vielleicht, Ihr Glücklichen, wird Erdenschicksal
Für Euch zu klein, vom Himmel aus gesehen.
Noch ist es Trost für uns, mit Euch zu reden,
Als wenn Ihr hörtet.

Der Lebensbeschreibung sind einige wenige Gedichte beigefügt, die, obwol der Verfasser treffend sagt, »daß Asperg kein Helikon sei«, dennoch dem größten Theile nach den Gedichten Uz' und Gemmingen's an die Seite gesetzt zu werden verdienen. Hier ein paar Proben.

In den zwei ersten Stunden seiner Gefangenschaft sang der Verfasser also:

    Ich ehre Dich, o Du des Himmels Wille,
Du rufst; ich bin bereit.
Sei mir gegrüßt in dieser schwarzen Stille,
Balsam'sche Einsamkeit!

    Wo bin ich? und ist dies der Weg der Wahrheit?
Und diese Schmach ihr Lohn?
So heitre sie des Kerkers Nacht mit Klarheit
Und glänze durch den Hohn!

    Ist's Hochverrath, zu mahnen einen Prinzen
An Pflicht, an Fürstentreu'?
Zu sagen, daß vom Wohlstand der Provinzen
Sein Glück untrennlich sei?

    Sei ruhig, Herz! O, keine einz'ge Klage
Entweihe Dein Geschick!
Der Muth ist Ruhm, und unverdiente Plage
Ist ein wahrhaftes Glück u. s. w.

Ein anderes: Mein Auszug aus Tübingen

    Für Macht und für Despoterei
Und für achthundert Bärenmützen,
Wer kann den Biedermann beschützen,
Daß er kein Raub des Unglücks sei?

    Noch weicht sein Fuß nicht von der Bahn,
Worauf der Mann der Wahrheit wandelt,
Und jeder Feind, der ihn mißhandelt,
Feu'rt ihn zu größrer Tugend an.

    Die That allein ist Schmach und Ruhm;
Der Hohn, der Kerker und die Bande
Sind Zeichen von der wahren Schande,
Wie Lorbeern von dem Heldenthum –

d. i. trügliche Zeichen. Fürchte Niemand, hier eine widrige oder mit Dunst einer falschen Anmaßung angefüllte Kerkerstube zu sehen; die sanfte, die bescheidne Muse hat sie erleuchtet. Im ganzen Büchelchen herrscht klare Ansicht der Dinge, ein wackres Herz und ein reiner Verstand.

 

Rede zum Andenken des Grafen A. P. von Bernstorff, gehalten im großen Hörsaal der Universität zu Kiel, den 28. August 1797 vom Professor Hegewisch. 4 Bogen, 8. Kiel.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 40. – D.

Auf diesen vier noch nicht vollen Bogen tönt eine sanfte Rede, die von Jedem, dem das allgemeine Wohl der Staaten, die allgemeine Billigkeit und Ordnung heilig sind, gehört werden sollte; sie ist, dem Charakter Bernstorff's gleich, die erquickende Stimme der Mäßigung und Wahrheit. Jener ruhig denkende, mit den besten Grundsätzen der Gesammtgeschichte ausgerüstete Geist, der alle Schriften Hegewisch's charakterisirt, spricht auch hier zum Andenken eines großen Mannes der Geschichte. »Unter vielen glänzenden Namen«, so endet die kurze Rede, »wird Bernstorff's Name mit reinem Glanz strahlen; denn es ist der Glanz der Rechtschaffenheit und Wahrheit.«

Um ihn in diesem Glanze zu zeigen, läßt der Redner blos Thatsachen sprechen, die er auf Grundsätze zurückführt; die Rede enthält nichts als die Geschichte von Bernstorff's Leben. Diese wird interessant, nicht etwa durch ihre äußere Merkwürdigkeit allein, da sie einem großen Theil nach in das Zeitalter der wunderbarsten Begebenheiten und Verwirrungen Europens fällt, sondern vielmehr durch ihre innere Merkwürdigkeit, durch die Grundsätze selbst, die Bernstorff in dieser gefahrvollen Krise als Staatsmann für Dänemark mit unerschütterter Festigkeit befolgte. Diese entwickelt der Verfasser mit einer so einleuchtenden Heiterkeit, daß sich der Hörer, nach und nach über das Gewirr falscher Staatstendenzen erhoben, in einer Region der Wahrheit, die Menschenglückseligkeit ist, gleichsam an Bernstorff's Seite fühlt. Dem Unterzeichneten wenigstens kam beim Lesen dieser Schrift das Bild des edel und schön gebildeten, gedächtnißreichen, einnehmend beredten, Ordnung und Billigkeit liebenden Mannes, das ihm der persönliche Genuß eines Tages mit ihm auf dem Lande eingedrückt hatte,Im Mai 1783. – D. sehr angenehm wieder.

Einen besondern Vorzug erhält diese Rede dadurch, daß sie (was so viele Lobreden thun) nicht philosophisch deduciren will und nie zu viel, nie übermäßig lobt. Sie erzählt Lebensumstände, z. B. wie Bernstorff's Denkart sich gebildet (auch Jacobi in Celle, ein Fénélon in seinem Kreise, steht unter Denen, die die religiöse Denkart des Jünglings bestimmten; in andern Fächern waren es Staatsmänner, Gelehrte, Künstler); welchen Gang er unter Führung seines großen Oheims in Geschäften genommen, wie er Geschäfte desselben nach dessen Ableben glücklich vollendet, welche Grundsätze er bei dem amerikanischen, russisch-türkischen und dem unseligen Kriege der Coalition standhaft, gerecht, weise und menschenfreundlich befolgt, welche große Anstalten zum Besten der Menschheit unter seinem Ministerium im Innern des Reichs bewirkt wurden. »Jener die Menschheit entehrende Handel, der Handel mit Menschen, wurde abgeschafft. In den europäischen Staaten des Königes wurden Vorbereitungen gemacht, dem leibeigenen Landmann Freiheit und Eigenthum zu verschaffen. Die öffentliche Mittheilung der Gedanken, ohne die keine wichtigen Fortschritte zur Vervollkommung des menschlichen Geschlechts möglich sind, wurde in einem reichen Maße gestattet, zu einer Zeit, wo andere Regierungen in dieser Freiheit eine Quelle tausendfacher Uebel zu erblicken glaubten und aus ängstlicher Besorgniß sie zu vernichten suchten. Den Furchtsamen, die immer noch die wohlthätigen Folgen solcher Maßregeln bezweifeln, die das Stillstehn auf der einmal erreichten Stufe als Klugheitsregel betrachten, diesen furchtsamen Zweiflern wollen wir Bernstorff's Namen nennen.«

Doch die ganze Rede müßte abgeschrieben werden, wenn die trefflichen Maximen bemerkt werden sollten, an die sich Bernstorff's öffentliches und Privatleben schließt und reiht. Kein schöneres Andenken giebt's, als auf diese Weise fortdauernd in menschlichen Seelen und guten Einrichtungen zu leben: Bernstorff lebt in ihnen. Er lebt in der Geschichte als der Friedehalter zur Zeit der unglücklichsten Kriegsstürme, als der im Namen eines Reichs an große europäische Mächte sprechende Schutzgeist und Vertheidiger allgemeiner Menschen- und Völkerrechte in einem Orkan von Zeiten, wo die laute Stimme wilder Luftgeister jene Rechte aberkannte und verhöhnte. Wer zu Aufrechthaltung der Menschheit an Grundsätze dieser Art glaubt, oder auch wer nicht an sie glaubt, lese diese Rede! Vielleicht überrascht ihn eine Schamröthe, die er sich selbst verbergen möchte.

Unserm bescheidenen Redner sagen wir, verlassend seinen Hörsaal, nichts als ein treues: »De bono viro bene dixisti.«

 

Worte der Lehre, des Trostes und der Freude, von J. Jac. Mnioch, Görlitz 1798.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 48. – D.

»Den 22.«, sagt eine Reisebeschreibung, »kamen wir an einen schönen Ort. Vor ihm begegnete uns eine Procession, die in der Landessprache (sie feierten eben das Frühlingsfest des Neujahrs) Bitten und Gebete sang fürs Wohl der Menschheit. Weiterhin empfing uns ein Hain von Cypressen und Oelbäumen, in dem Inschriften und Bilder uns bald belehrten, wo wir waren. Der Jüngling mit der Fackel, Embleme von trauriger Saat und fröhlicher Ernte, Inschriften wie diese:

    »Alles kehret wieder,
Was wir geliebt mit reinem Herzen, was
Als gut und schön sich unserm Geist vermählte«,

führten uns zu einem Rosenhügel, auf dem, von Thränenweiden und Myrten bedeckt, in weißem Marmor eine jugendliche Gestalt ruhte. Ein Kind im Arm haltend, reichte sie die andre Hand zwei Kleinen, die diese Hand mit gesenktem Haupt küßten. Unser Begleiter sagte uns, daß sich auf diesem Hügel zuweilen ein Gesang in rührenden Tönen hören lasse, dessen Endworte seien:

    »Ach, wozu empfingt Ihr Herzen,
Menschen, wenn Ihr Euch nicht liebt?«

Mehr wußte er von dem Gesange nicht. Die Nachtigall schlug lieblich auf dem Grabe.«

So weit die Reisebeschreibung. Der Leser bemühe sich um dieselbe nicht; sie ist des obengenannten Buchs Inhalt. Sein Verfasser, der dem Leser wahrscheinlich schon durch frühere Schriften bekannt ist,Er war von Herder in seiner großen Noth vor zwölf Jahren unterstützt worden. Vgl. Herder's Brief an Gleim vom 5. Februar 1787. – D. hat zu ihm eine traurige Veranlassung gehabt, den Tod seiner Gattin, deren kleine, aber sehr schätzbare Hinterlassenschaft er mit einigen seiner eignen Aufsätze einleitet und verflicht. Wir wollen, wie in jener Reisebeschreibung, seiner Einleitung folgen.

 

1) »Litanei, oder allgemeines moralisch-politisches Gebet. Ein Zeitgedicht zum Neujahr 1797 nebst erläuternden Anmerkungen«. Eine herzlich-vertrauliche Anrede an den Vater Aller nach den Bedürfnissen der jetzigen drückenden Zeit. Kein Menschenherz wird sie ohne Theilnehmung lesen. Aber warum heißt sie Litanei? Hinweg den verbrauchten Namen! So hätten wir auch dem Verfasser

 

2) »Den Versuch über eine zwiefache Hinsicht, in der ein Versmaß behandelt werden kann«, so viel Gutes er enthält, an diesem Ort verziehen. Der Herausgeber der Terpsichore, der dazu Anlaß gegeben zu haben scheint, ehrt und liebt mit dem Verfasser den Jambus im hohen Grad; und wie sollte er's nicht, da er ihm in Shakespeare, Milton, Thomson, Kleist, Lessing, Gleim, Klopstock, Wieland, Goethe, Bürger u. A. oft und viel Freude gemacht hat? Seine Absicht war – doch hier ist nicht der Ort dazu. Es folgen:

 

3.) »Zwei Gebete für eine aufgeklärte und gebildete christliche Gemeine, mit besonderer Hinsicht auf moralisch-religiöse Bedürfnisse unsrer Zeit«. Sie sind in Prose, voll desselben Herzens und Geistes, die das erste Stück beleben.

 

4) »Ueber Bilder und bildliche Vorstellungen des Todes und über einige damit verwandte Gegenstände. In Form einer Rede«. Nicht künstlerisch werden diese Vorstellungen erwogen, sondern herzlich, menschlich.

 

5) »Tod und Unsterblichkeit. Eine Cantate. Voran einige Gedanken über Cantatengesänge und Cantatenmusik«. Die Gedanken sind sehr gut; so auch das Urtheil über Ramler's Cantaten. Indessen streben sie zu einem Einförmigen hin, das der Musik nicht wohl thut, dem auch, ihres rein menschlichen Inhalts ungeachtet, die beigefügte Cantate schwerlich entgehen möchte. Die Musik ist Bewegung und liebt Bewegung. Sie will nicht nur stark nüancirt sein, sondern fordert Abwechselung, Handlung. Ihrer Natur selbst nach ist sie Melodrama; dies schafft sie in Tönen; die Griechen belebten es mit Gestalten. Unleugbar aber sind in dieser Cantate rührend schöne Stellen und Strophen. Dies wäre dann der erste Eingang zu dem kleinen Denkmal, das den Namen Maria Mnioch jedem Leser von reinem Sinn werth machen muß. Es heißt:

 

6) »Zerstreute Blätter, beschrieben von A. M. D. E. Mnioch, geb. Schmidt. Angeschlossen ein paar Worte über das Leben der Verfasserin«. »Diese hinterlassenen Proben«, sagt der Herausgeber, »von der stillen Geistesthätigkeit einer guten Frau enthalten eine Darstellung, einen lebendigen Abdruck von einer wahrhaft weiblichen Seele in Empfindungen und Meinungen über Gegenstände, die nicht außerhalb dem Cultur- und Geschäftskreise des Weibes liegen. Die Verfasserin hat nie vermuthet, daß diese Blätter von fremden Augen würden gelesen werden. Ihre Urtheile über Bücher und Schriftsteller sind mit voller Unbefangenheit aus dem Herzen niedergeschrieben und aus einem Kopf, der mit dem Herzen in unschuldiger Freundschaft lebte. So originell, dreist und kühn manches dieser Urtheile scheinen mag, so wollen wir doch hoffen, daß darin mehrere weibliche Seelen das Bild ihrer eignen Gedanken und Gefühle erkennen und begrüßen werden.« »Sie las selten,« sagen die paar Worte über ihr Leben, »wenn sie allein war; am Liebsten las sie ihrem Mann vor oder ließ sich von ihm vorlesen. Aber sie schrieb nur in einsamen Stunden, wenn sie, von den übrigen Haushaltungsgeschäften befreit, sich mit der Nadel beschäftigte und ihr mitten unter der Arbeit irgend ein Gedanke, eine Empfindung so lebendig wurde, daß sie solche auszudrücken wünschte. Dann nahm sie ein Blättchen Papier, das ihr zur Hand lag und schrieb, oft nur mit Bleifeder, nieder, was sie im Ausdruck beinah schon vollendet gedacht hatte. Sie legte Papier und Feder sogleich beiseite, wenn sie merkte, daß ihr der Ausdruck fehle. Mit dem strengsten Ernst war sie dagegen, daß man einem Fremden Einiges dieser Blätter zeige. »Ich fürchte,« faßte sie, »daß, wenn ein Fremder diese Versuche sähe, man mich vielleicht für ein literarisches Frauenzimmer halte; ich würde es dann schwer haben in Gesellschaften. Man würde mich nach Dingen fragen, die ich nicht verstehe; auch merke ich, daß man sich gegen literarisch geglaubte Frauen öffentlich mehr erlaubt als gegen ein stilles, alltägliches Weib. Man setzt jene öfter in Verlegenheit, um zu sehen, wie ihr Witz ihnen heraushelfen wird; man behandelt sie beinahe wie Männer. Wie es mir dabei gehen würde, weißt Du am Besten«.« Also aus der Hand dieser bescheidenen Hausfrau zur Probe ein paar beschriebene Blättchen.

Friede, Geduld.

Friede, mein Lieber, Friede! Schon oft versöhnte mein Kuß Dich
    Mit den Menschen, die, ach! Ruhe suchen   im Streit.
Laß uns mit fröhlichem Sinn ertragen wollen das Unrecht,
    Das nicht schlechter uns macht! Liebe träget ja mit.
Wahrlich, Du hast Dich geübt in langem stillem Erdulden,
    Aber nie mit Geduld, nie mit der innern, mein Freund.

 

Unser Vergißmeinnicht
Blühet im Auge der Kinder,
Blühet, so lange von uns
Einer lebet, in Herzen,
Die wir nach unsern erziehn.
Liederchen sprechen nur dann,
Wenn wir sie lesen.

 

Mit dem Herzen nur glauben und zweifeln die Menschen. Die Unschuld
    Fürchtet kein Unglück; die Schuld athmet im Frühlinge schwer.

Von derselben Zartheit sind N. I. Die literarische Hausfrau. II. Glaube und Zweifel. V. VI. Pygmalion und Elise. VIII. IX. Glück und Unglück der Frauen. XI. Dir, an Deinem Geburtstage. XVI. Ueber Terpsichore. XVII. Hin ist hin, kehrt nicht wieder. XVIII. Gedanken nach Lesung des Schmidtischen »Kalenders der Musen und Grazien«. XIX. Allerhand Bemerkungen, einige darunter fürs Haus. XX. Gedanken nach mancherlei Lectür. XXI. Liebe. Ein Gedicht voll heilsamer Lehre:

Lernet das Gute genießen, ertragen das Böse! Die Liebe
    Beut Euch willig die Hand; sie ist des Lebens Gefährte;
Aber täuschet sie nicht mit dem Ziele;
          Myrte kränzet den Sieger nicht.

XXIV. Bitte an die Weisheit. XXV. Furcht und Hoffnung. Warum dürfen wir sie nicht abschreiben? Es folgen:

 

7) »Schattenrisse nach dem Leben«. Gezeichnet in Stunden der Muße.

 

8) »Bilder, benannt nach ihren Rahmen«. Gesammelt auf einer Reise durch Südpreußen. Mann und Frau haben sich mit diesen kleinen Gesellschaftsgemälden und Charakterzügen erlustigt; und der Mann wird es nicht verübeln, wenn man die zartere weibliche Hand, auch ehe man auf die Unterschrift sieht, wahrnimmt. Ohne die Personen zu kennen, greift es sich gleichsam, daß manche Gattungen treffend geschildert sind, z. B. der Kantianer, manche Geschäftsmänner, so auch die Humanen nach der neuesten Art, desgleichen national der Pole, die Polin in mehreren Rücksichten. Die Zeichnerin trifft meistens den naivsten Ausdruck, z. B.:

Unsern täglichen Dichter in unserm eigenen Herzen,
    Der uns erfreut und betrübt, der uns erniedrigt und hebt,
Diesen Sohn der Natur zu bilden mit Weisheit und Güte,
    Sind uns, prosaischer Freund, Dichter vom Himmel gesandt.

 

          Langsam zu lesen.

Immer vernünftig, liebe Herren.
Fein vernünftig laßt uns bleiben!
Auch mit Narren wollen wir weise,
Immer weis' und besonnen reden.
Hat doch Jeder nicht für Andre,
Für sich selbst nur seine Vernunft.

Unter den Bildern, benannt nach ihren Rahmen, sind Nr. 3, 9, 13, 16, 17, 19 naiv und schön, Nr. 20 edel und groß; das schöne Lied endlich zu singen im Kreise der allzu kühnen Weltreformatoren.

 

10) Das unmenschliche Streben zum Ziel der Menschheit ist vor andern einer Composition werth. Man höre die ersten Strophen:

                          Solo.

Ihr strebet und ringet zum Ziele der Menschheit,
Doch selten aus Liebe fürs herrliche Ziel.
Ihr strebet und ringet aus Dünkel und Ehrsucht
Und tretet zu Boden,
Was neben Euch in gleicher Würde stand.

                          Chor.

Ach, wozu empfingt Ihr Herzen,
Menschen, wenn Ihr Euch nicht liebt?

                          Solo.

Von diesen Altären der menschlichen Hoheit
Steigt Jammer und Klage der Menschen empor,
Empor zu den Sternen! Dort sollen sich freundlich
Und brüderlich grüßen
Der Priester und sein blutig Opferthier.

                          Chor.

Ach, wozu empfingt Ihr Herzen,
Menschen, wenn Ihr Euch nicht liebt?

Die zwei folgenden Strophen führen den Inhalt fort. Ein Lied für unsre Zeiten! Der Mitverfasser verspricht (S. 294) eine Nachlese aus den Papieren der Verstorbenen nebst einer Schilderung derselben, die bisher wegen Krankheit, Sorge und Gram unvollendet geblieben. Befreie ihn der Himmel bald von diesen Plagegöttinnen, damit er sein Versprechen erfülle und dieser jungfräulich mütterlichen Carità ein rühmliches Denkmal stifte!Im Jahre 1800 erschien dies Denkmal unter dem Titel: »Zerstreute Blätter von Maria Mnioch«. – D.

 

Klopstock's Werke. Oden, erster und zweiter Band in gr. 4. und in gr. 8. Leipzig 1798.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 51. – D.

Mit dieser anständigen Ausgabe der Klopstock'schen Werke haben wir in der ersten Lieferung, den Oden des Dichters, viel gewonnen. Nicht nur sind die, die in der Ausgabe 1771 bei Bohn erschienen und öfter nachgedruckt sind, hier nach der Zeitordnung, in der sie der Dichter schrieb, also biographisch geordnet, sondern auch nochmals von Klopstock mit strenger und linder Hand vollendet. Im ersten Gesichtspunkt erhalten wir hier, sofern Oden Abdrücke der Seele, Darstellungen aus der Ansicht der Dinge und den Empfindungen des Dichters sind, eine Folge von Zeichnungen der innern Welt eines schönen Gemüthes von seiner Jugend her bis zu den Erinnerungen eines fröhlichen Alters, von 1747 bis 1797. Im zweiten Gesichtspunkt findet der Jüngling, der beide Ausgaben mit der frühesten Bekanntmachung einzelner Stücke vergleicht, eine Ernte feiner Bemerkungen über Wohlklang und Angemessenheit des Ausdrucks. Hie und da ist das Aelteste zurückgenommen, als das Bessere und Beste; denn es war der erste Ausdruck der Empfindung. So freute es mich z. B. in einem der schönsten Gemälde (Der Zürchersee, S. 86) den »Goldhäufer« nicht mehr, sondern den alten Ausruf: »Ist, beim Himmel! nicht wenig« wiederzufinden; dagegen ist's angenehm, andre jugendliche Stücke, die unter Klopstock's Siegel hier zum ersten Mal erscheinen, z. B. Salem (S. 39), Petrarca und Laura (S. 45), Der Abschied (S. 57), Die Stunden der Weihe (S. 65), An Gott (S. 68), hie und da verändert zu lesen, so daß der Liebhaber dieser alten Jugendfreunde vielleicht nur eins oder zwei Stücke, z. B. Verhängnisse (»Königen gab der Olympier«) und »Am Thor des Himmels stand ich«, vermißt.Beide wurden irrig Klopstock zugeschrieben, dagegen fehlte die Ode »Als ich unter den Menschen noch war«. – D. Sonst sind im ersten Bande Das Rosenband (S. 123), Edone (S. 311), Der Kamin (S. 302), Die Roßtrappe (S. 306), Der Unterschied (S. 312), Klage (S. 317), und Warnung (S. 319) der vorigen Sammlung hinzugekommen, deren jedes in Silbenmaß, Ausdruck und Inhalt seinen eignen Charakter an sich trägt.

Der zweite Band ist, ein paar Stücke ausgenommen, ganz neu – ein Schatz von Sprache und Ausdruck, von Silbentanz und lyrischer Bezeichnung der verschiedensten Gegenstände. Diese schildert das innere Leben des Dichters von 1775 bis 1795; da sie also auf die merkwürdigsten, zum Theil schrecklichsten Vorfälle der neuern Jahre trifft, an denen der Dichter mit ganzer Seele Theil nahm, welche Welt steht vor uns da, verschieden in jedem Gedichte! Um über diesen Reichthum nur Einiges bestimmt zu sagen (eine Anzeige, wie sie sein sollte, würde ein Buch), mag Folgendes gnug sein:

Erstlich. Alle diese Stücke, kleinere und größere, die in der jetzigen Ausgabe correct, rein und schön da stehn, sind lyrische Gedichte, d. i. Gesang. Also erhebe man die Stimme und lese sie vor, auch wenn man sie sich selbst liest. So heben sie sich vom Blatt und werden nicht nur verständlich, sondern lebendig, im Tanze der Silben eine Gedankengestalt, sich schwingend auf und nieder; in den meisten Fällen aber, vom einfachen Laut an bis zur vollsten Modulation werden sie ein sich vollendender Ausdruck der Empfindung. Dazu sind hie und da Silbenmaße vorgesetzt und auch im Context, wo es nöthig war, einzelne Silben bezeichnet. Das Auge soll nicht stumm lesen, sondern was Laut des Herzens ist, soll Laut werden. Klopstock's Muse, wie sie vor dieser Ausgabe sich zeigt, als Harfenspielerin und Sängerin Siona oder als Weissagerin Teutone (ein vortreffliches Bild in einer schönen Stellung) ist Rednerin ans Herz, die von jedem Bilde der Empfindung gleichsam nur den Seelenlaut nimmt und ihn dem Ohr bald zulispelt, bald zutönt. Um dieser Kunst inne zu werden, lese man die Oden, in denen Klopstock sie selbst entwickelt hat, im ersten Bande Siona (S. 208), Sponda (S. 211), Thuiskon (S. 215), Der Bach (S. 245), Die Chöre (S. 258), Teone (S. 264), Unsere Sprache (S. 270). Und im zweiten Bande Teutone (S. 3), Die Lehrstunde (S. 9). Die Maßbestimmung (S. 55), Die Sprache (S. 66), An Voß (S. 77), Die Vortrefflichkeit (S. 99), An Zigno (S. 102), Die deutsche Sprache (S. 104), Das Gehör (S. 106), Hemis und Telon (S. 124), Die Rathgeberin (S. 235), Die Lerche und die Nachtigall (S. 250), Das Fest (S. 272), Einladung (S. 287). Wem bei diesen Nachweisungen Ohr und Seele sich nicht aufthut, zu hören, was geschrieben ist, nicht es mit stummem Auge zu lesen, der lege das Buch weg und sage, es sei unverständlich. Wenn aber, wie Horaz meint, die Muse stummen Fischen sogar Sprache verleihen kann: sollte ein melodisches Vorlesen dieser Gedichte jedem nicht ganz tauben oder verbildeten Ohr, ohne Commentar, durch bloße Biegung der Stimme, nicht auch Verstand dieser Gedichte mittheilen? Kaum hat unsre Sprache ein Buch, in dem so viel lebendiger Laut und Wohllaut in melodischer Bewegung so leicht und harmonienreich tönt wie in diesem. Für Schulen ist es ein wahres Odeum der verschiedensten Gesang- und Ausdrucksarten, Stimme und Vortrag aufs Unterscheidendste zu bilden. Wie Alcibiades zu Athen in jeder Schule einen Homer verlangte, so sei in Deutschland keine Schule ohne Uebung der Stimme an Klopstock! Der Dichter konnte sich mit Recht das Lob geben (Band 2. S. 50):

    »Die Erhebung der Sprache,
Ihr gewählterer Schall,
Bewegterer, edlerer Gang,
Darstellung, die innerste Kraft der Dichtkunst, –
    Haben mein Mal errichtet.«

Zweitens. Im großen Umfange der Ansichten und Empfindungen, der uns in diesen Bänden vorliegt, mußte jeder Gegenstand seine Farbe, jede Empfindung ihren Ton, jede Situation ihre Haltung haben, wodurch dann natürlicherweise kein Stück dem andern gleich wird. Demnach unterscheiden sich diese Oden nicht etwa nur, wie man blöde wähnt, nach den Lebenszeiten des Dichters, etwa als Jugend- und reifere Stücke; denn obwol allerdings ein Unterschied dieser Art stattfindet, so sehen wir dennoch auch in den spätesten Jahren den Dichter nichts weniger als altern. Die letzte Ode, an die Freude, Sie (S. 295), eine ähnliche An meinen Bruder (S. 285), Der Wein und das Wasser, an Gleim (S. 274), Neuer Genuß (S. 264), An die nachkommenden Freunde (S. 261), Aus der Vorzeit (S. 259), Der Capwein und der Johannisberger (S. 225), Die Wiederkehr (S. 206), Erinnerungen (S. 298), alle diese in spätern Jahren geschriebenen Gesänge zeigen in der Seele des Dichters die Abendröthe so schön als die allerdings raschere Morgenröthe. Der tiefere Grund des Unterschiedes der Oden liegt in ihren Gegenständen und in der Stimmung des Dichters. Da sein Gesang die höchsten und niedrigsten, die schrecklichsten sowie die anmuthigsten Scenen umfaßt hat, so konnte er ja dort und hier nicht auf einer und derselben Saite leiern. Abstracte oder moralische Wahrheiten, z. B. Die Ankläger (S. 25), Verschiedene Zwecke (S. 28), Der rechte Entschluß (S. 53), Mein Wissen (S. 58), Der Nachruhm (S. 69), Die Verwandelten (S. 88), Der Grenzstein (S. 91), Der Gottesleugner (S. 115), Das Gegenwärtige (S. 128) u. a., konnten nicht als Psalme oder als Dithyramben gesungen werden; Gesänge über Kunstgegenstände, z. B. über die Wortordnung der Griechen, Der Kranz (S. 60), Die Grazien (S. 111). Aesthetiker (S. 75), Die Jüngste (S. 282), noch minder. Wenn also Klopstock's Oden hie und da prosaisch leicht, andre verwickelt sind, so frage man, warum sie es sind und an diesem Ort sein mußten. Leichter und einfacher kann z. B. nichts gesagt sein als Das Rosenband (B. 1. S. 123), Edone (S. 311), im zweiten Bande Die Lehrstunde (S. 11), Die Trennung (S. 122), Die beiden Gräber (S. 170), Das Wiedersehn (S. 290), und wer wünscht nicht ein Bändchen solcher Oden? Sie sind die Sprache der Wahrheit und Empfindung, wie ein Kind sie ausspricht. Dagegen ist in den lehrenden Oden sein Ton lehrend, in den vertraulichen vertraulich, in den strafenden scharf, in den zermalmenden zermalmend. Eben die Verschiedenheit solcher Umrisse und Schattirungen macht jede Ode zu dem, was sie ist, und das Buch zu einem Museum; denn das Feinste in jeder Sache ist Verhältniß, Maß des Umrisses in jeder Bewegung. Wer einige von Gluck, Schulz, Reichardt, Kunz u. A. glücklich componirte Oden Klopstock's in diesem höhern Rhythmus gehört hat, wird auch im Lesen der andern nichts weniger als immer denselben Trott erwarten. Rückt die Lese- und Bezeichnungskunst einst weiter, als sie bisher gekommen ist, so wird man wahrscheinlich auch eine Manier finden, jedes lyrische Stück nach Gehalt und Ton charakteristisch zu bezeichnen.

Drittens. Gesinnungen sind's, die jedes Kunstwerk eines denkenden Wesens als göttlich oder als gemein charakterisiren: Klopstock darf sich in keinem seiner Werke seiner Gesinnungen schämen. Seine jugendlichsten Gesänge hauchten eine jugendlich-paradiesische Liebe; mit dem Händedruck der männlichen Freundschaft schlossen sich andre dem Leser ans Herz; andre belebte Religion und eine heitre, richtige Weisheit. Die hier zuerst erscheinenden Stücke aus dem reiferen Alter des Dichters verleugnen ihre jüngeren Schwestern nicht; der süße Most ist guter alter Wein worden im goldnen Becher deutscher Treue, mit griechischen Rosen umlaubt. Also herrschen in diesen neuen Gedichten:

1) Vaterlandsgesinnungen. Jedermann kennt Klopstock's Denkart hierüber aus den ältern Stücken und (eins für alle zu nennen) aus dem einzigen: Mein Vaterland. (B. 1. S. 296). In den neueren Gedichten spricht diese herrschende Empfindung, eben weil es die Zeit gebot, lauter. An der Roßtrappe (B. 1. S. 306) gehen zwei Schatten hervor, deren Werth eine kurze Zeitfolge bewährt hat; der Dichter ward Barde.So ist statt des sinnlosen »war Vater« in den »Erfurt. Nachr.« und den Werken zu lesen. Klopstock bezeichnet sich hier als Barde der Bude. Die Schatten, die er sieht, sind die Friedrich's II. und Joseph's II. – D. Seiner frühen Gesinnung Fürstenlob (B. 2. S. 12) ist Klopstock getreu geblieben; das Urtheil, das er von je her über den Einzigen fällte (B. 1. S. 129, im Jahr 1752), hat er in den späteren Gedichten nur entwickelt, nicht verleugnet (Band 2. S. 32, 33, 35, 62, 72, 73, 74, 86). Die Gesinnung, die Klopstock über Fürstengroße, Kriegergröße, Eroberergröße von seinen Jugendjahren an geäußert hat (B. 1. S. 88, 91, 98, 108, 139, 235 u. s. w.), tritt hier in Gründen ans Licht, die auch die strengste Untersuchung am Licht des Mittages nicht fürchten. Dahin gehört Der Krieger (B. 2. S. 19), Der jetzige Krieg (S. 43), An Freund und Feind (S. 49), Der Nachruhm (S. 69), Der Grenzstein (S. 91), Der Ungleiche (S. 122), Der Fürst und sein Kebsweib (S. 132), Der Freiheitskrieg (S. 147), ein unsterblicher Zuruf!

2) Gesinnungen der Menschlichkeit. Das Vaterlandsgefühl, das der Dichter für seine Nation hegte, konnte ihn nicht ungerührt lassen bei dem, was in der Nähe vorging, bei dem Unerwarteten, das er in seinen reiferen Jahren erlebte. Hoffnungsvoll schrieb er im Jahr 1788 die États généraux (S. 117); wie viel Weise und Würdige in Europa theilten damals die Erwartung mit ihm! Als die Sache anders lief, da Zuckungen und Gräuel eintraten, vor denen die Menschheit schaudert, als das heilige Wort, auf welches der gute Dichter gebaut hatte: kein Eroberungskrieg! gebrochen wurde und sich von allen Seiten der Himmel schwärzte: welcher Staatskluge in Europa dürfte wol über sein momentanes Urtheil dann und dort weniger erröthen als Klopstock, selbst wie er uns über getäuschte Erwartungen seine Empfindungen nach Jahren hier aufstellt? Ludwig XVI. (S. 126), Kennet Euch selbst! (S. 130), Sie und Wir! (S. 141), An Cramer, den Franken (S. 144), Der Freiheitskrieg (S. 147), Friedrich, Kronprinz von Dänemark (S. 150), Die Jakobiner (S. 153), Die Erscheinung (S. 155), An La Rochefoucauld's Schatten(S. 158), Das Wort der Deutschen (S. 161), Mein Irrthum (S. 164), Der Eroberungskrieg (S. 170), Die Verwandlung (S. 172), Die Denkzeiten (S. 176), Der Belohnte (S. 181), Das Neue (S. 182), Hermann aus Walhalla (S. 187), Die Trümmern (S. 191), Der Schooßhund (S. 196), Das Denkmal (S. 200), Die Mutter und die Tochter (S. 203), Die Wiederkehr (S. 206), Das Versprechen (S. 210), Nantes (S. 215), Der Sieger (S. 221), Zwei Nordamerikaner (S. 223), Die Bestattung (S. 230), Die Vergeltung (S. 239), Die Sonne und die Erde (S. 245), Mein Gram (S. 267), Die zweite Höhe endlich (S. 278) sind ein schreckliches Pöcile, eine Wand von Gemälden, bei deren jedem die Stimme des Dichters dem Vorgange gemäß, immer aber menschlich, menschlich tönt. Vielleicht besitzt die lyrische Poesie nichts Schauderhafteres als Carrier's Ankunft in der Hölle, Die Vergeltung (S. 239), nichts Grausigers als Die Erscheinung (S. 155), An La Rochefoucauld's Schatten (S. 158), Die Verwandlung (S. 172), Die Mutter und die Tochter (S. 203). Die vom Dichter, damit er nicht trostlos würde, zwischengespannten zarten Saiten sind über allen Ausdruck. Ob jene zweite Höhe, die der Dichter einer fortstrebenden Macht selbst ohne Zuversicht empfiehlt (S. 278), werde gewählt werden, mag die Zeit lehren; fahre der Weissager fort, seine Empfindungen über die Ereignisse unsrer Zeit, über den Sturz Rom's ohne Schwertschlag, über das Beinhaus von Murten, Malta's Eroberung u. s. w. in herzergreifenden Gemälden darzustellen, und erlebe er das Ende derselben im folgenden Jahrhunderte fröhlich!

3) Gesinnungen der Weisheit. Sie stehen wie Blumen im Thal zwischen Cedern, Cypressen, Thränenweiden und Eichen. Der Unterschied (B. 1. S. 312), Die Warnung (S. 319), Der Denkstein (B. 2. S. 14), Die Beruhigung (S. 16), Verschiedene Zwecke (S. 28), Der rechte Entschluß (S. 53), Mein Wissen (S. 58), Der Frohsinn (S. 109), Der Psalm (S. 119), Das Gegenwärtige (S. 128), Die Freude (S. 295) gehören dahin nebst vielen andern. Daß des Dichters Weisheit nicht eben die neue Philosophie sei, möge die folgende Ode zeigen:

                        Der Genügsame

»Forschung des Wahren, geb' ich Dir mich ganz hin,
Ernt' ich Erkenntniß, die mir den Geist erhellet,
Löscht des Herzens Durst. Zwar nicht Garben ernt' ich,
Aber doch Halme.

»Laß mir den Stern, der Dir auf Deinem Scheitel
Funkelt, Hesperus gleich erscheinen, daß ich
Froh im Suchen bleibe und nicht zu wenig
Finde der Halme!

»Sende mir Deinen Blutsfreund, den, o Theure,
Du mit Innigkeit liebst, daß er mir treuer,
Wahrer Leiter sei, daß er streng mir sei, der
Warnende Zweifel!

»Ihm ist ein Wechselbalg, der Tiefsinn lüget,
Jetzo untergeschoben, der Gedanken
Spinnwebt, der das Licht, das herab Du strahlst, kunst-
Wörtelnd umdünstet.

»Weise! beschütze vor dem blauen Balge,
Wer selbst denket und nicht großäugig anstaunt,
Schülert; wer die Kenntniß nicht nur, das Gut' auch
Liebt und das Schöne.«

Also erscholl im deutschen Eichenhaine
Mit Begeisterung eines Jünglings Stimme,
Und mit Kälte. Leuchtender ward ihm da, ward
Röther die Frühe.

Dank dem Dichter für jedes neue Wort, womit er die Wortgrübeleien darstellt!

Der Dichter setzt sein Denkmal sich selbst. Der unsrige hat es sich gesetzt in der Ode An Freund und Feind (B. 2. S. 46). Lange kehre ihm noch die Freude wieder, die er in dem neuen Genuß (S. 264) schildert! Und dann endlich,

»Wenn von dem Sturm nicht mehr die Eiche rauschet,
Keine Lispel mehr wehn von dieser Weide,
  —      ᴗ    —   ᴗ    —     ᴗ    ᴗ
Dann sind Lieder noch, die vom Herzen kamen,
Gingen zu Herzen.«Diese vier Zeilen bilden den Schluß der Ode »Mein Wäldchen«. Bei Klopstock steht das Schema seiner Sapphischen Strophe über der Ode. – D.

 

Ueber die Ideale weiblicher Schönheit bei den Morgenländern. Ein Versuch von Anton Theodor Hartmann. Nebst einem Anhang von einigen literarischen, historischen und kritischen Bemerkungen über einzelne angeführte Schriftsteller. Düsseldorf 1798. gr. 8.Erfurter Nachrichten 1798, Stück 52. – D.

Zwar, wie es schon der Titel giebt, eher Collectaneen zu einem Buch, als ein Buch selbst; indessen auch solche sind angenehm und nützlich.

Ein bestimmtes Ideal weiblicher Schönheit existirt eigentlich nur bei Völkern, die Kunst haben; denn diese ist's, die das Unwesentliche vom Wesentlichen, das Fremde vom Eigenthümlichen sondert, unter dem Gemeinen das Vorzügliche wählt und das Vorzüglichste zur Regel bildet. In diesem Verstande hatten nur die Griechen ein Ideal menschlicher, d. i. männlicher und weiblicher Schönheit nach Lebensarten, Charakteren, Classen und Graden. Keine morgenländische Nation hatte es, auch die Indier nicht, die in Manchem den Griechen sehr nahe kamen.

»Aber«, wird man sagen, »auch der Dichter hat ein Ideal der Schönheit; ja, warum sollte es nicht jeder fein organisirte Mensch, jede fein organisirte Nation in sich haben?« Warum nicht? wenn es erweckt, geläutert, ausgebildet worden; dies hängt aber von mancherlei Umständen ab. Wo Wollust die Weckerin ist, wird die Idee des Schönen weiblicher Gestalt sich selten rein ausbilden; sogar die fremdesten Reize können als wesentliche Bestandtheile in ihr Bild aufgenommen werden; Nasenringe z. B., Schminke an Augenlidern, Wangen, Fingern u. dergl. Das gemeine, oft eigensinnige Costüme des Landes wird vom Liebhaber, wenn er ein Dichter ist, mit Begeisterung genannt und gepriesen. Oder er hält sich an die schmachtenden Augen, an solche und solche Theile des Körpers nach Dichtersitte und nach Landesgebrauch.

Bei den Morgenländern, aus denen unser Verfasser Beschreibungen und Bilder sammelt (Ebräern, Arabern, Persern), finden sich gewisse Umstände, die die Idee des Schönen eben nicht zum Ideal gedeihen ließen, wären es auch keine andre als diese:

Erstlich. Die frühe Blüthe des weiblichen Alters. Sie macht das Kind zur Braut und die Frühverblühte zur Alten.

Zweitens. Die tiefere Unterordnung des weiblichen unter das männliche Geschlecht. Sie macht das Weib zum Zweck der Begierde oder zum Zeitvertreib des Mannes; da sie aber, zumal in der Abgeschlossenheit eines Harems, ihm größtentheils die feinere, sittlich-geistige Bildung entzieht, die nach unserm Begriff die Seele der Schönheit, die moralische Grazie ist, so müssen von dieser Seite selbst die entzücktesten Beschreibungen körperlicher Schönheit ebenso wollusttrunken als an geistigem Reiz leer sein. Geleugnet wird damit nicht, daß sich auch von diesem treffliche Züge in den Morgenländern finden; gemeiniglich sind sie um so bezaubernder, je seltner und unerwarteter sie erscheinen.

Endlich. Die bilderreiche Sprache dieser Morgenländer (der Ebräer, Araber, Perser), je kühner sie die Schönheit malt, desto unbestimmter und fremder muß sie oft, wenigstens für uns werden. Die Gazellenaugen sind für uns, die wir keine Gazellen sahen, ohne das Anziehende, das sie dort haben mögen, viele andre, weit kühnere Vergleichungen ungemeldet. Für uns verschwindet dies Ideal in der Nacht rabenschwarzer Haare, im Glanz schneeweißer Sandhügel, mit Rosen bekränzt, oder im Schmuck blinkender Edelgesteine und Perlen.

Sehr unterhaltend wäre es gewesen, wenn der Verfasser diese Umstände in ihren Ursachen und Folgen näher beäugt und in dem großen Haufen angenehmer Beschreibungen und Bilder Lebensarten, Zeitalter, Völker, Sprachen gesondert hätte. In Hirtenzeiten der Ebräer schilderte man die Schönheit nicht, wie sie der Araber und Perser unter den Khalifen schilderte; die Indier hätten ganz für sich betrachtet werden sollen, und Ossian's Galen scheinen gar nicht hieher zu gehören. Wenige Bilder und Gleichnisse ausgenommen, die Völkern auf dieser Stufe der Cultur unter allen Himmelsstrichen gemein sind, hat der galische Dichter ein vom Morgenländer sehr verschiedenes Ideal der Schönheit. Hier hat also der Verfasser seinem Leser viel Anlaß gegeben oder nachgelassen, sich manches morgenländische Sonderbare selbst zu erklären und auf der reichen Au die Blumen selbst zu sondern, zu ordnen.

Der zweite Theil des Buchs (S. 175 bis zu Ende) wird manchen Lesern noch willkommener sein; er enthält Notizen und Auszüge aus verschiedenen morgenländischen Sammlungen, z. B. eine Notiz vom Inhalt der sechs ersten von A. Schultens herausgegebenen Consessibus Hariri, Sentenzen aus den von Erpenius, Schultens u. A. gelieferten Sammlungen arabischer Lehrsprüche, allgemeine Betrachtungen über die sieben, im Tempel zu Mekka aufgehangenen Gedichte, sogar einige Nachrichten von dem durch Champion englisch versificirten Ferdosi, von W. Jones' neun asiatischen Gedichten (die in Altenburg nachgedruckt sind) und seinen Essays darüber, von Sullivan's auserlesenen Fabeln des Saadi, von einem indischen Roman The loves of Camarupa and Camalata, englisch übersetzt durch Franklin, von Cardonne's Mélanges de Littérature Orintale u. s. w. So gut dies Alles für Den, der diese Uebersetzungen nicht kennt, sein mag, so sind doch die daraus gemachten Auszüge meistens zu unvollständig, als daß sie auch als zureichende Nachricht dienen könnten. Besser hätte der Verfasser gethan, wenn er einige im Deutschen noch nicht erschienene Uebersetzungen, z. B. der Moallakats, des Kamarupa u. s. w., wenn auch nur aus dem Englischen, deutsch gegeben hätte. Er war aber von diesen Büchern selbst entfernt und nutzte blos seine in Göttingen gemachten Auszüge. Gnug, diese Collectaneen sind Blüthen; den Blüthen, hoffen wir, werden Früchte folgen.

Eine gute Nachricht giebt der Verfasser S. 176. »Herr Prof. Berg in Duisburg, unstreitig einer unsrer gründlichsten orientalischen Philologen, besitzt in seiner ungewöhnlich starken und auserlesenen Bibliothek außer einem seltnen Schatz von mehr als 60 arabischen, vielen persischen und andern orientalischen Manuscripten auch alle 50 Consessus Hariri.« Möchte es dem gelehrten Philologen gefallen, diese Schätze, da, wo Albert Schultens die Arbeit liegen ließ, der Welt mitzutheilen! Die Mühe, die er nach dem Bericht unsers Verfassers auf den Golius verwandt hat, muß ihn vor Andern in den Stand setzen, wie Eichhorn es in den Monumentis war, ein Fortsetzer des verdienstreichen, unsterblichen Albert Schultens zu werden.

 

Einige Nachrichten von den vornehmsten Lebensumständen Gottfried August Bürger's nebst einem Beitrag zur Charakteristik desselben. Von Ludwig Christ. Althof, Doctor und Prof. der Arzneiwissenschaft in Göttingen. Bei Dietrich, 1798. Nebst dem Bildniß des Dichters.Diese Anzeige blieb zur Zeit ungedruckt. – D.

Traurige Nachrichten, vom Arzt und Freunde des Dichters treu, aber schonend gegeben. Jeder studirende Jüngling lese sie als Warnung. Er sieht hier einen Mann von edeln Anlagen des Geistes und Herzens nicht nur nicht werden, was er sein konnte, sondern sieht auch die Ursachen, warum er's nicht ward, auf eine schreckhafte Weise.

Auch in dem feinsten Vergnügen giebt es ein Uebermaß, das, wenn die Seele sich dazu gewöhnt, Ausschweifung (débauche) wird. Es entwöhnt von Berufsgeschäften, von Ausdaurung bei mühsamen oder ungefälligen Arbeiten; es macht zuerst leichtsinnig, dann oberflächlich und gegen sich selbst gelinde, zuletzt matt und über sich selbst verzagend. Wer seine Kräfte nicht fortwährend auch an den ungefälligsten Arbeiten, sobald sie uns Pflicht sind, üben lernte, ward nie Meister über sich selbst, genießt also auch nie die edelste Gewißheit, sich selbst gebieten zu können, und geht, wenn ihn das Glück nicht außerordentlich anlacht, mit dem besten Gemüth, mit den schönsten Anlagen drohenden Gefahren entgegen. Bürger's Lebensgang zeigt dieses Schritt für Schritt. Er lernte Vieles, nur nicht sich selbst bezwingen, anhaltend ausdauern, Maß und Zweck seiner Bestimmung kennen; er ward also nie sein selbst mächtig.

Und wenn wir hier deutlich wahrnehmen, woher dies kam, woher einem liebenswürdigen Gemüth diese Zwecklosigkeit und eigentlich so zu nennende Unart zur Gewohnheit werden konnte, ja werden mußte: so erschrickt man über die Sammelplätze, genannt akademische Institute, auf denen als auf anerkannten Plätzen der Freiheit sich selbst überlassene Jünglinge leichter nichts als diese Licenz, eine Losgebundenheit auch in Beschäftigungen und Arbeiten, kurz, akademische Willkür lernen und üben. Jeder studirt, was er will, wie viel und wie lange er's will, ohne Zwang und Aufsicht, aber auch ohne Zucht im edleren Wortverstande. Alles kommt auf die Zeit an, in welche er trifft, welche Mode, welcher Geschmack, welche Sucht eben in dem Wirbel, der ihn aufnimmt, herrsche; er folgt dem Wirbel oder schafft einen neuen um sich her. Sehr gut ist's, daß in unserer Zeit auch hierüber das Verborgene an den Tag kommt; Lebensbeschreibungen wie Laukhart's u. A., die, was zu ihrer Zeit auf Akademien als Lebensweise galt, unverhohlen sagen, sind die nützlichsten Wecker und Warner: indem sie einen Abgrund aufdecken, der in den Fastis der Universitäten gewöhnlich nicht gemalt steht, sagen sie Eltern, Vormündern, Lehrern, Curatoren, Fürsten dringend nützliche Worte.

Bürger's erste akademische Jahre fielen in die Zeiten der Klotzischen Schule; ein Unglück war's, daß er zu lange auf Universitäten, nachher einer Universität zu nahe blieb und in sie gleichsam zurückfiel. Da verkam und verschmachtete er im Altgesellenstande. Einem Petrarca, der in seinen jüngern Jahren Manches mit unserm Dichter gemein hatte, kam seine Nation, seine Zeit zu Hilfe; sie hoben ihn und halfen ihm auf. Dem armen Bürger half nichts auf, und zuletzt war ihm nicht aufzuhelfen; er ging zu Grunde.

Dank den Guten, die ihm wenigstens gutmüthig die Hand reichten, seinem Freunde Boie, der sich seiner, wie er konnte, annahm, Kästner, der seinen Almanach unterstützte, und dem namenlos Edeln, auf den der Lebensbeschreiber auszeichnend deutet. Auch der Frau sei Dank, die sich seiner verlassenen Kinder annahm! Denen aber, die ihn ins Unglück brachten oder ihm den Weg der Errettung verrennten, denen möge ihr Herz – doch dies wird ihnen nichts sagen.

Statt einzelner trauriger Lebensumstände lassen aus diesen Nachrichten sich besser ein paar literarische Anmerkungen ausheben.

1) Da neuerlichst von einigen Engländern die Originalität der Bürger'schen Lenore abgestritten ist, wird S. 37 ff. diese mit Recht behauptet und dabei die Strophe angeführt, die Bürger singen hörte, und die ihm Veranlassung zur ganzen Romanze gab. »Nach dem alten Liede, wovon jene Laute ein Theil sein müssen, erkundigte sich Bürger immer vergebens.« Der Verfasser dieser Anzeige kennt dies Lied zwar nicht; aus seiner Kindheit aber erinnert er sich, daß er in einer Weltecke, wohin kein Suffolk-Miracle jemals drang, in Ostpreußen, ein Zaubermärchen oft erzählen gehört hat, in dem der Refrain (und zwar mit einer Antwort vermehrt) gerade die Strophe war, die Bürger singen hörte. Der Geliebte nämlich reitet mit der Geliebten in einer kalten mondhellen Winternacht und spricht, je weiter sie kommen, wiederholt sie an:

»Der Mond scheint hell,
Der Tod reit't schnell.
Feinsliebchen, grauet's Dir?«

Worauf sie antwortet:

»Und warum sollt mir's grauen?
Ist doch Feinslieb mit mir.«

Hätte Bürger diese zwei letzten Zeilen doch auch gehört! Vielleicht hätte er seiner ganzen Lenore einen gefälligern, ich möchte sagen menschlichern Ausgang gegeben.

2) S. 112 f. werden von den Ovidischen Versen, die Bürgern zur Uebersetzung aufgegeben waren:

Si nisi quae forma poterit te digna videri,
  Nulla futura tua est, nulla futura tua est,

drei seiner Versuche in Alexandrinern angeführt; und natürlich bleiben diese dem Ovidischen Wortspiel nach. Aber warum mußte der Versuch in Alexandrinern sein? Bleibt bei der Versart des Originals, und es ist gewiß nicht unmöglich, auch den Klingklang des Ovidischen Pentameters auszudrücken, auf den es hier eben ankam. Z. B.

Wird nur Eine, die Dir an Schönheit gleichet, die Deine,
    Keine sonst: o, so wird Keine die Deine, mein Freund,

und noch wäre der Ausdruck zwei-, dreimal zu variiren.

Bürger's Leben ist in seinen Gedichten; diese blühen als Blumen auf seinem Grabe; weiter bedarf er, dem in seinem Leben Brod versagt ward, keines steinernen Denkmals. Möge eine freundschaftliche Hand Bürger's Gedichten die Flecken nehmen, die zuweilen in den besten Stellen eben aus seinen Lebensumständen ihnen wie angeflogen sind, daß eine Ausgabe solcher gewählten Stücke zum bleibenden Ruhm des Dichters veranstaltet werde! Wer könnte dies zarter und besser thun als Bürger's Freund, Boie?

 

Elegien von Properz. (Sehr sauber gedruckt mit voranstehender Vignette, von Meyer gezeichnet, von Guttenberg gestochen, ein mit Hercules' Rüstung beschwerter Eros.) Leipzig 1798.Erfurter Nachrichten 1799, Stück 2. – D.

Ein schönes und dauerndes Geschenk für unsre Sprache sowol als für jedes Gemüth, das den Reiz sanfter und großer Empfindungen, mit Kunst in Dichtungen ausgesprochen, zu empfinden und zu schätzen vermag.

Man hat längst eine zwiefache Art Uebersetzer von einander unterschieden. Die eine sucht das Urbild Wort für Wort, ja wo möglich mit den Tönen der Worte herüber zu tragen; man hat sie Uebersetzer genannt, indem man den Ton auf das Ueber legte. Die andre Gattung über setzt, d. i. sie drückt die Gestalt des Autors aus, wie er für uns, wäre ihm unsre Sprache zu Theil geworden und er seine Gedanken in seinem Umriß uns mittheilen wollte, etwa sprechen würde. Dies ist die Art männlicher Uebersetzung; denn wie weit es jene Gattung auch bringen und wie nutzbar sie zu andern Zwecken sein mag, kommt sie doch nicht zum Ziel, indem sich unmöglich eine Sprache in die andre verwandeln läßt.

Unser Uebersetzer gehört zur zweiten Gattung; er hat sich darüber in der männlich schön geschriebenen Vorrede selbst erklärt. Nachdem er die Dichtkunst, besonders die erotische, und dann seinen Properz mit treffenden Gründen in Schutz genommen, auch die Veranlassungen berührt hat, die ihn, in »einem Zeitpunkt, der durch seinen unglücklichen politischen Einfluß jedes Herz erschütterte«, erst in Prose, dann in Silbenmaßen zum Uebersetzer des Properz machten, fährt er fort: »In der That, ein Properzisches Distichon immer wieder in die ähnlichen deutschen Zeilen zu schließen, ist eine Aufgabe, die zuweilen ihre Schwierigkeit hat. – Der Pentameter ist immer unsrer Sprache unbequem, weil er durch die wenige Abwechselung, die wir ihm verschaffen können, und durch öftern Mangel des freiern Ausganges der letzten Hälfte gar leicht in Mattigkeit und Monotonie verfällt. – Uebrigens ist seit einiger Zeit viel, vielleicht zu viel über unsre Sprache und Silbenmaße geschrieben und geklügelt worden –; sonst könnte es scheinen, man wolle, statt den Kern zu nehmen, sich lieber mit der Schale belustigen.« Und fügt folgende Bemerkungen hinzu:

»Eine Sprache ist eine feste bleibende Sache. Sie ist mit der Natur des Menschen, seiner Vorstellungsart und Empfindung innigst verknüpft, so daß, wer davon abweicht, unsre Empfindungsart gewaltsam verändert. – Jede Nation hat ihre eigne Empfindungsart, durch ihre Sprache ausgedrückt, und jede Sprache hat ihren eignen Wohllaut, dem Sinn und Organ der Nation angepaßt, die sie spricht. Daher fremden Wohllaut in unsre Sprache mischen oder solche durch gezwungene Stellungen gleichsam verzerren, äußerst widrig ist und jederzeit für Barbarismus gelten muß. Der Dichter dürfte dies am Wenigsten wagen; denn da er für die Gefühle spricht und dem Zuhörer den in ihm selbst verborgenen eignen Laut gleichsam nur abzulocken sucht, so beleidigt und verwirrt er sein Gefühl durch fremde und gezwungene Töne aufs Gewaltigste. Nur wenn der Dichter Gegenstände auf eine Weise singt, die ein gelehrteres Ohr erfordert, darf er Abweichungen wagen; doch müssen solche nicht als Nothdurft oder Forderung erscheinen, sondern als ein Geschenk, von dem man den Gewinn sogleich gewahr wird.

»Aller Vortheil scheint hauptsächlich darin zu liegen, daß man die Sprache gut spricht, das heißt, auch gut ausspricht. Hierin hat die Natur einen gewaltigen Unterschied in das Organ der Menschen selbst gelegt; und hierin ist auch am Meisten Verfeinerung und Verbesserung anzubringen. Wohlgesetzte Töne, wohlgesprochen, entzücken jedes menschliche Ohr, aber am Meisten in der Sprache, die uns zugehört, und durch die ein reicherer Empfindungsquell uns zuströmt. Bei Gedichten ist dieses Studium der Aussprache am Meisten zu empfehlen, da sie auf Ohr und Herz zugleich die Wirkung thun sollen. – Die bessere Aussprache unsrer Verse wird hauptsächlich auch darin mit bestehen, daß wir gleichgiltigern Silben zur gehörigen Zeit einen vollern Ton zu geben wissen, vorzüglich nach gewissen Ruhepunkten, und daß wir das Rauhe und Schwere gewisser Töne durch die Aussprache lindern. Nicht alle Härte übrigens ist Uebellaut, so wie nicht immer das Weiche Wohllaut ist. – Wir haben durch Nachahmung der griechischen und römischen Gesang- und Versweisen gleichsam den Harnisch der Alten angezogen. Einige kleidet er wie Waffen des Achill's, Andre thun sich vielleicht zu viel darauf zu gut. Möge er uns auch den Geist und die Kraft der Alten verleihen, damit eine glückliche Aera unter uns gebildet werde und die Enge und Kleinseligkeit entweichen möge, die noch überall den Geist unsrer Nation zu beschränken scheinet.«

Nach Grundsätzen dieser Art wird man keine gemeine Uebersetzung des Properz in rasselnden Hexametern und hinkenden Pentametern erwarten; auch auf eine eigne Art der Scansion, die der Uebersetzer hie und da mit Fleiß und Geschmack anbringt, ist man bereitet. Uebrigens ist zu wünschen, daß sich die guten Köpfe und Organe unsrer Nation nicht sowol über die Länge und Kürze als über die Schnelle und Langsamkeit (moras) gewisser Silben, Worte und Regionen vereinigen möchten; denn hieran scheint es besonders zu liegen. Kein Sprachconcilium, auch keine gebietende Zeitschrift,Herder denkt an die »Allgemeine Literatur-Zeitung«, in welcher A. W. Schlegel über Knebel's Uebersetzung geurtheilt hatte. – D. allein die Einstimmung mehrerer Dichter und der daher unmerklich entstehende Gebrauch, Usus, penes quem est arbitrium et jus et norma loquendi,Hor. A. P., 71. 72, wo »quem penes arbitrium est« steht. – D muß und kann sie allein vereinigen. Der Verfasser gegenwärtiger Anzeige erinnert sich der Stunden, in welchen er diese Uebersetzung Properz' von einem guten OrganKnebel selbst. – D. vorlesen hörte, mit innigem Vergnügen.

Vom Stil zum Werk! Der Uebersetzer hat seinen Dichter in dem großen Sinn genommen, der ihm gebührt; dies beweist sowol die getroffene Wahl als die Uebersetzung und die ihr beigefügten kurzen Anmerkungen über die Properzische Elegie. Ein falscher Begriff ist's nämlich, daß diese schöne Dichtungsart sich nur mit Klagen, ja gar nur mit Klagen der Liebe abgebe, mithin so gut als planlos sei; denn welche Abwechselung, welcher Reichthum des Stoffs bliebe dem elegischen Dichter, der immer nur klagen und klagen müßte? Schon Horaz hätte diesen falschen Begriff entfernen sollen, der ausdrücklich sagt:

Versibus impariter junctis querimonia primum,
  Post etiam inclusa est voti sententia compos.
A. P., 75. 76. – D.

Die Ueberbleibsel der griechischen Elegie (Schade, daß ihrer so wenige sind!), noch mehr die Nachrichten, die wir von ihr haben, am Meisten Properz selbst, der es ausdrücklich unternahm, die griechische Elegie, wie Horaz die Lyra der Griechen, in ihrem ganzen Umfange seiner Nation und Sprache, sofern diese es gestattete, zu schenken, zeigen das weite Gebiet dieser Dichtungsart, das an Umfange sowol als Einheit der Regeln der Ode nicht nachsteht. Den höchsten Gegenständen fügt sich, obgleich in dem mildern Ton, den ihr Silbenmaß gebietet, die Elegie an, sogar das Schreckliche, Grausende fürchtet sie nicht. Kühn kann man sagen, daß Properz in seiner Art so reich, ja vielleicht reicher als Horaz in der seinigen sei, und daß er von der griechischen Elegie in jeder künstlichen Gattung eine Probe zu geben gesucht habe. Eine Abhandlung hierüber von unserm Uebersetzer würde belehrend gewesen sein; belehrend ist, was er hievon durch Wahl und That erweist. Die vielartigsten, zugleich die schwersten Kunstwerke des Römers, der sich durch sie mit dem ganzen Fleiß und Ernst seines Lebens ein unsterbliches Denkmal zu errichten strebte, sind durch ihn mit feiner und fleißiger Nacheiferung in unsre Sprache verpflanzt.

Buch I. Elegie 1. Cynthia. »Der Ausbruch einer Leidenschaft vom ersten Funken zu einem unlöschbaren Brande.« Elegie 2. Der Dichter mißräth der Geliebten den Putz und preist ihr statt dessen die Grazie der ungeschmückten Schönheit. Sanft und harmonisch. Elegie 3. Die Schlummernde. Ein Gemälde des größten Malers werth; ein Nachtstück voll Leben. Elegie 4 (lat. 6). Kampf zwischen Liebe und Freundschaft, in dem jene bei Weitem siegt. Der Dichter kann sich nicht trennen von seiner Geliebten. Elegie 5 (lat. 8). Cynthia will ihn verlassen; er hält sie zurück, zuletzt mit trunkner Freude. Elegie 6 (lat. 6). Rathschläge an seinen Freund, den Heldendichter Ponticus, über die Liebe. In eignem Ton theilnehmend, neckend und selbst voll Liebe. Elegie 7 (lat. 11). An Cynthia zu Bajä. Leise warnend und sehnend:

»Du bist, Cynthia, mir mein Haus und Vater und Mutter,
    Du mein einziges Gut, Du mein Verlangen allein.
Geh' ich traurig einher, begegn' ich fröhlich den Freunden,
    Traurig und fröhlich, es kommt, Cynthia, Alles von Dir.«

Elegie 8 (lat. 14). Glück der Liebe, verglichen dem Glück des Reichthums:

»Doch ist die Göttin mir hold, was frag' ich nach lydischen Schätzen?
Auch des Alcinous Reich ist mir des Wunsches nicht werth.«

Elegie 9 (lat. 17). Et merito! Mitten auf der See, in Gefahr des Schiffbruchs, mit Wünschen nach dem Ufer und seiner Geliebten:

»Hätte das Schicksal bei ihr mein langes Leiden begraben –
    O, so deckete dann leichter die Erde den Staub!«

Elegie 10 (lat. 18). »Hier eine einsame, öde Gegend.   Nur geheime Klagen nimmt der Ort auf, den außer des Zephyr's Hauch Niemand bewohnt.« Elegie 11 (lat. 19). »Hier führt uns der Dichter in das Todtenreich«:

»Ueber des Schicksals Fluth schreitet der Liebe Gewalt.«

Elegie 12 (lat. 20). Geschichte des Knaben Hylas. »Eine genauere Vergleichung zwischen der Erzählung, wie sie unser Dichter darstellt, und der vom Theokrit müßte allerdings unterrichtend sein.« Zweites Buch. Mit ihm steigt der Dichter von den simpeln Formen des ersten Buchs zu höheren Formen. Elegie 1. Die Elegie ist wie ein Portal zum Eingang in ein neues Buch bestimmt. »Indem der Dichter versagt, erhabnere Gegenstände zu singen, zeigt er, daß er sie singen könne, und hebt Cynthiens Lob desto höher.« Elegie 2. 3. Die letzte hat fast den Gang einer Ode. Elegie 5–7. Voll kühner Uebergänge, zum Theil selbst zerrissen. Auch über diese zerrissenen, von den Herausgebern umhergeworfenen Stücke sind die Bemerkungen unsers Uebersetzers nicht unmerkwürdig. Elegie 8 (lat. 12). Ein treffliches Gemälde! Elegie 9 (lat. 17). »Liebe und Dichtkunst wetteifern; die Richterin des Gesanges erhält ebendenselben Preis, den Liebe und Schönheit ihr zusagt.« Elegie 10. (lat. 19). »Warum weinst Du?« Elegie 11 (lat. 24). Die Kranke:

»Schönheit ist sterblich! Es ist kein Glück ausdaurend auf Erden;
    Früh senkt oder auch spät Jeden sein Schicksal ins Grab.
Aber o Du, mein Leben, aus großen Gefahren entronnen,
    Gieb im Tempel den Tanz, den Du Dianen versprachst!«

Elegie 12 (lat. 25). »Alle Liebesgötter nehmen sich der Verlassenen an und zeigen auf sie als auf den Reichthum aller Schönheit.« Buch 3. Elegie 1. »Mit diesem Buch nimmt der Dichter einen neuen Schwung. Er versetzt sich unter die Manen der griechischen Elegiaker.   Die Muse bereitet ihm einen Triumphwagen; er verspricht sich, dem Neide zum Trotz, die Unsterblichkeit:

»Nicht der köstliche Schatz des mausoleischen Grabmals
    Mag der verheerenden Zeit letztem Verhängniß entgehn:  
Aber des Genius Ruhm mag kein Zeitalter verwüsten;
    Ewig steht er und blüht auf mit erneuetem Glanz.«

Elegie 2. Ein Traum auf dem Parnassus. Elegie 3. »Liebende lieben den Frieden.« Der Dichter zeichnet die Beschäftigungen und das Glück seines künftigen Lebens aus, eines friedlichen, nicht kriegerischen Lebens. Elegie 4 (lat. 10). Die Musen selbst wecken den Dichter, den Geburtstag seiner Cynthia zu feiern; das Stück feiert ihn, wie je einer gefeiert ward. Elegie 5 (lat. 11).Knebel glaubte, daß diese Elegie unvollständig sei. – D. Elegie 6 (lat. 12). An einen Gatten, der aus Ruhmsucht seine Gattin verlassen hatte; »voll Wärme für die eheliche Verbindung und voll Würde«. Buch 4. Elegie 1. Von der Stadt Rom, an einen Sterndeuter. Eine Elegie von 150 Versen, enthaltend Rom's Beschreibung und des Dichters eigene Geschichte. Elegie 2 (lat. 3). Arethusa an Lykotas; »eine der zierlichsten und herzlichsten aller Elegien«. Elegie 3 (lat. 6). Der Actische Sieg, eine Lobesfeier August's; voll Dichtkunst. Wahrscheinlich ein Tribut, den der Dichter einmal für allemal brachte; und er brachte ihn reich, prächtig. Elegie 4 (lat. 7). Cynthiens Schatten:

»Auch die Manen sind Etwas! Nicht Alles endet im Tode;
    Ueber der Flamme schwebt bleich noch der Schatten davon.
Cynthien sah ich  «

Sie macht ihm Vorwürfe, hat Forderungen an ihn, spricht erst wie ein Schatte; dann

          »endete sie den klagenden Zwist; und umarmen
Wollt' ich sie; sie verschwand meiner umfassenden Hand.«

Elegie 5 (lat. 8). Das Lanuvische Fest. Ein Römisches Sittengemälde. Endlich die Königin aller Elegien des Alterthums: Elegie 6 (lat. 11). Cornelia an Paulus. Die sterbende oder vielmehr gestorbene Römerin, ein Abkömmling der Scipionen und Libonen, spricht ihrem Gemahl und ihren beiden Kindern mit allem edeln Stolz ihres Geschlechts, mit aller Würde einer Matrona und dem häuslich zartesten Gefühl für Gatten und Kinder ihre letzten Worte, nach welchen sie fest und stolz vor Minos erscheint:

»Meine Sach' ist gesprochen! Ihr thränenden Zeugen, erhebt Euch! –
    Sitten erheben zum Himmel!«

Schon diese Anzeige macht auf den Reichthum an Dichtungen aufmerksam, den wir mit diesem Geschenk in unsrer Sprache besitzen; trete nun ein Andrer hinzu und füge die hier vorübergegangenen Stücke bei! So viel die Ode vor der Elegie an Schwünge sowol als an lyrischer Abwechselung voraus hat, so hat diese gegentheils das vor ihr voraus, daß sie in ihrem sanfteren Schwünge tiefer ins Herz gräbt, die Empfindungen, indem sie sie spielen läßt, vielartiger verwebt, leiser entwickelt und gewiß künstlichere Wendungen nehmen muß, als ein gebundnes lyrisches Silbenmaß nöthig hat oder erlaubt. Mit ihrer rührenden Doppelflöte kann sie die Weckerin aller unsrer Empfindungen von der höchsten und stürmischen bis zur sanftesten sein, eine Heroide der Dichtkunst, wie auch ihr Name sagt. Unserm Uebersetzer, der den Wunsch des Properz:

»Sanft hin fließe mein Vers unter gefälliger Kunst«,

erfüllt hat, werde in seiner Nation ein Zweig vom Kranze des römischen Dichters! Das Werk verdient, daß sein Name genannt werde: von Knebel

 

Die Kunst, immer gesund zu sein. Ein Lehrgedicht aus dem Englischen des D. John Armstrong, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Georg Justus Friedrich Nöldecke, Doctor beider Heilkunde u. s. w. Bremen bei Wilmanns. 1799.Diese Anzeige blieb zunächst ungedruckt. – D.

Dem Uebersetzer gebührt Dank, daß er sich durch den Rath seiner Freunde, das Armstrongische jambische Gedicht: The Art of preserving health, in Hexameter zu übersetzen, nicht irre machen ließ, sondern die schwerere Arbeit übernahm, es in deutschen Jamben nachzubilden. Zuerst nämlich wäre durch diese Vertauschung der Silbenmaße der ganze Gang und Charakter des Gedichts verfehlt worden, wie, um nur ein Beispiel anzuführen, eine Vergleichung der Zachariä'schen und Bürdischen Uebersetzung von Milton's Verlornem Paradiese beurkundet; an sich aber auch wäre die Arbeit des Uebersetzers in Hexametern für unsre Sprache weniger verdienstlich gewesen. Durch die Bearbeitung des Jambus nämlich ist die poetische Sprache der Briten unstreitig mehr gebildet und ausgebildet worden als (da sie keine Hexameter haben) durch ihre oft eintönigen Reime; dessen sind Shakespeare, Milton, Young, Thomson, Akenside, Churchill, Cooper, Grainger u. s. w. Zeugen. Der reimlose Jambus, recht bearbeitet, giebt einer Abwechselung der Abschnitte und Cadenzen, einem Reichthum der Wortfügungen und Redeverbindungen Raum, die der Hexameter kaum erlaubt. Schlotternde Hexameter haben wir in unsrer Sprache gnug; der abwechselnde harmonische Jambus, mit welchem Kleist, Gleim, Klopstock, Lessing in seinem Nathan, Zachariä in seinem Cortes und nach ihnen neuere dramatische Dichter den Gang unsrer Sprache gehoben und vielseitiger gemacht haben, ist zu Fortbildung derselben ohnstreitig die geradere Straße. Armstrong behauptet unter den oben genannten Jambendichtern bei seinen Landsleuten einen anerkannten Rang; und der Deutsche hat dem Briten trefflich nachgeeifert. Daß nicht jede Schönheit und Zierlichkeit des Wort- und Silbenbaues übertragen werden konnte, ist durch sich verständlich; zu rathen wäre es vielmehr jedem Uebersetzer solcher jambischen Gedichte, z. B. wenn uns Jemand Akenside's Pleasures of Imagination u. s. w. in Jamben gäbe, daß er den mit Beiwörtern überladnen Ausdruck, der den Briten geläufig, uns aber widrig ist, verständig simplificirte.

Eine Probe der Uebersetzung mag der Schluß des Werks sein, wie nämlich auch Musik zu Erhaltung der Gesundheit beitrage (B. 4. V. 582 ff.):

    »Da, wo es der Vernunft an Kräften oder
An List zum Kampf gebricht mit schlauen und
Gewalt'gen Mächten, da wollt' ich für Euch
Zu Hilfe neue Leidenschaften rufen.
Durch Unmuth wollt' ich dämpfen Furcht, durch Furcht
Und edles Mitleid siegen über Wuth,
Durch Ehrgeiz über Liebe; der Gewalt
Wollt' ich Gewalt gerad' entgegenstellen.

    »Da giebt es einen Zauber, der die Brust
Beherrscht, jedwede Leidenschaft erweckt
Und stillt, zur Wuth begeistert oder uns
Jedwede Sorge scheucht, Zerstreuung und
Verzweifelung besänftigt, Deine Macht,
O Tonkunst! Weit erhaben über jene
Sinnlosen Kehlen unsrer Bühnensänger u. s. w.

    »Der nimmt mit Recht der Muse Lorbeer,
Ein Dichter, angeweht von Geniusfeuer
Des Himmels, der mit kühner Raserei
Die Seele oder mit dem Feuerpomp
Der Tön' entflammt, erhöht und mit sich fortreißt.
Jetzt zärtlich klagend, fast zu Qualen süß
Löst er Euch auf in Liebe, hauchet jetzt
Mit raschem Ton ein freudiges Entzücken
In den durchbebten Busen Euch; nun schmelzt er
Mit himmlisch sanften Liedern Euch das Herz.
Dann weckt zu Schauder er die kühnen Saiten.
Ein solcher war der Barde u. s. w.

    »Die Tonkunst flügelt jede Lust, wiegt ein
Jedweden Gram, treibt Siechthum aus, besänftigt
Der Qualen jegliche, bezähmt die Wuth
Des Giftes und der Pest; und darum ehrten
Der Vorwelt Weisen göttlich im Vereine
Des Tons, des Sanges und der Heilkunst Macht.«

Zu einem Commentar über einzelne Stellen, z. B. die Härte mancher kurz gebrauchten sehr langen Worte, über die Leere mancher Ausgänge mit und, und daß etc. gewährt dies Blatt keinen Raum;

– ubi plura nitent in carmine, non ego paucis
Offendar maculis.
Hor. A. P., 351. 352. – D.

Die Kritik der Briten fand es nicht unter der Kritik, sich über einzelne Eigenheiten des Jambus bei Milton, Shakespeare, Thomson u. s. w. selbst in Wochenschriften zu verständigen; wir Deutsche, bei denen Manches noch so willkürlich schwankt, sollten ein Gleiches thun.

Ein eignes Gedicht des Uebersetzers, Hymnus an den Apollo, leitet Armstrongs Lehrgedicht ein; ein andres, Hymnus an die Gesundheit, beschließt es; beide in Hexametern, das erste in der Homerischen, das andre in der Orphischen Weise. Beide haben schöne Stellen, z. B. wenn Apollo sich im Gegensatz seiner Schwester, der Jägerin Diana, eine Lebensart wählt, heilbringend und wohlthätig den Menschen:

»Aber in seiner Seele ging auf der große Gedanke,
Unter den Menschen ein Gott, ein Mensch zu sein bei den Göttern
Und so würdig allein zu werden der himmlischen Abkunft.«

Von je her waren Aerzte Freunde der Musen; alle neueren gebildeten Sprachen, die lateinische nicht ausgeschlossen, zeigen Aerzte als ausgezeichnete Dichter. In der unsern sind die Namen Haller, Withof u. A. verehrt; noch grünt ein Lorbeerwald für andre Namen: denn war nicht Apollo selbst Arzt und Dichter?

 

Ludwig Theobul Kosegarten, Brittisches Odeon. Erster Band. Oder: Denkwürdigkeiten aus dem Leben und den Schriften der neuesten brittischen Dichter. Von L. Th. Kosegarten. Berlin 1800.Erfurter Nachrichten 1800, Stück 41. – D.

Seit einer Reihe von Jahren waren wir in Ansehung der britischen schönen Literatur ziemlich zurückgeblieben; jene rasche Theilnahme, zu der Bodmer, Ebert, Lessing, Meinhard, Blankenburg, Eschenburg u. A. so viel beitrugen, hatte sich (Romane etwa ausgenommen) ziemlich gelegt. In Kosegarten tritt ein Mann auf, der sie wieder erwecken kann, und zwar hat er sich ins rechte Feld, die lyrische Dichtkunst (das Wort im weitesten Sinne genommen), mit großem Glück gewagt. Unglaublich steht ihm die Sprache zu Dienst; wie ein Genius herrscht er in ihr und weiß ihre Fülle, ihren Reichthum und Wohlklang mit einer Gewandtheit und zugleich mit einer Natur anzuwenden, die oft überrascht, oft bezaubert. Fast möchte man sagen, er habe diesen Theil des britischen Parnasses, der in der Ursprache bisweilen sehr eintönig hallt und widerhallt, zu einem Odeon gemacht und, indem er manche Bilder von ihrem drückenden Schmuck entlud, für uns Deutsche wenigstens genießbarer, freier und schöner naturalisirt.

Die Dichter, die in diesem Bande vorgeführt werden, sind Chatterton, Graeme, Bruce, Penrose, Jago, Jenyns, Lovibond, Blacklock. Die Denkwürdigkeiten ihres Lebens stehen voran, wohlgewählte Proben aus ihren Werken folgen. Im folgenden Bande, dessen Erscheinung sehr wünschenswerth ist, dürfte man jene, die Lebensumstände der Dichter, hie und da kürzer, die Gedichte selbst aber mit einer strengeren Würdigung begleitet wünschen, daß auf solche Weise das britische Odeon für uns Deutsche auch ein Kritikon würde. Die Dichter, zu denen uns einige, obwol leider ungewisse Hoffnung gemacht wird, sind Dodsley, Langhorne, Shaw, Whitehead, Warton, Cotton, Day, Dyer, allesammt rühmlich bekannte Namen.

In diesem Bande sind Chatterton's Gedichte eine Erscheinung, die, wie der Liebhaber weiß, zu ihrer Zeit viel Aufsehen erregte, viel Streit veranlaßte; des Dichters Leben ist der Aufschluß des Räthsels, ein trauriger Roman. O, daß der kalte Horaz Walpole, der den Jüngling bei seiner vorhabenden Täuschung des Publicums vornehm von sich stieß, genialischer gefühlt, ihn bei der Hand ergriffen und gefahrloser in die Welt eingeführt hätte! Dadurch wäre ein Genie gerettet, und sich selbst hätte er den edelsten Kranz geflochten. Oder wäre, da der junge Mann einmal mit seinem genialischen Blendwerk »gefundner alter Gedichte« zu weit vorgeschritten war, der hilfreiche Freund, der den Tag nach seinem Tode, ihn aufzusuchen, in London ankam, einen Tag früher angelangt: Nun ist Chatterton eine poetische Rakete, die glänzend emporstieg, um schnell zu sinken; sein Leben aber bleibt eine sehr denkwürdige Lection der Menschheit.

In einem andern Betracht ist Blacklock's Leben merkwürdig, des bekannten blinden Dichters, Predigers, Philosophen und Musikers, der wenige Monate nach seiner Geburt das Gesicht völlig verloren hatte. Einige Strophen von ihm mögen ihres Inhalts wegen hier stehn.

(On the refinements of the Metaphysical philosophy.)

                        Absagung

    Falsche Weisheit, fleuch mit Deinen Eulen!
Deines Schulstaubs, Deiner Spinngewebe
Hat der lang Getäuschte einmal satt.
Diese Hefte, die ich, Deinen Sprüchen
Gleich Orakeln lauschend, mühsam füllte,
Opfr' ich, siehe! dem Vulcan.

    Lange hab' ich mich durch Sinn und Unsinn,
Mich durch Reim und Unreim durchgewunden,
Dir nachtappend, blinde Leiterin.
Nachgeschlagen hab' ich manches Deutschen,
Manches Niederländers dicke Bände,
Sehnlich harrend auf den lieben Tag.

    Nimmer tagt' es. Dunkler nur und dunkler
Ward es rings um mich, wie um den Maulwurf.
Welcher in die Tiefe gräbt.
Vor der Formeln Wust, dem Wörterschwalle
Flohen zürnend Menschensinn und Wahrheit,
Bis ihr letzter Schimmer mir verblich. –

    Wozu doch so vornehm Dich geberden?
Wozu Deine Armuth so verlarven,
Wörterselige Gelehrsamkeit?

    Deine steife Würde, Deine Dreifußsprache
Wiegt den Laien wol in dummes Staunen;
Aber allem Regelnkram zum Trotz
Achteten die Weisen aller Zeiten
Deinen Tummelplatz (bei Licht besehen)
Für der Narren Paradies.

    Glücklich, wer mit unverrücktem Gleichmuth
Lehrgebäude steigen sieht und fallen,
Wie die Lüftchen wechseln im April,
Sieht, wie Jegliches die Lanze schwinget,
Seines Gegners Blöße zu durchbohren,
Und wie Jeglichem der Stoß gelingt. –

    Laßt mich! laßt mich! nichtige Phantome,
Der Verrückung und des Stolzes Kinder,
Friedenstörer der gepreßten Brust!
Heil'ge Einfalt, lächle Du dem Blöden,
Leite mich in Platon's Schattenhaine,
Wo die Schönheit und die Liebe wohnt!

Zu wünschen wäre es bei diesem und einigen andern Gedichten, daß der Uebersetzer sich (wie z. B. Uz bei seiner Uebertragung des Gesanges an die Weisheit) dem Silbenmaße des Originals näher gefügt hätte. Mit verändertem Rhythmus ändert sich mehr oder weniger sogleich der Geist, wenigstens die Stimmung und Farbe des Gedichtes. Da indessen die Originale nebenan stehen, so hat der beider Sprachen Kundige einen doppelten Genuß, zu sehn, wie sich derselbe Gedanke, dieselbe Empfindung englisch und deutsch sagen ließ. In diesem Betracht ist Kosegarten's Odeon das, was Klopstock's Ode besang, ein Wettstreit der beiden Musen, nicht selten ein kühner, glücklicher Wettstreit.

 

Ein andres gutes Werk hat Kosegarten gethan, da er folgende, im Ganzen schöne und nützliche Schrift übersetzte:

Der Prediger, wie er sein sollte. Oder Denkwürdigkeiten aus dem Leben und den Schriften des Robert Robinson, gewesenen Baptistenpredigers zu Cambridge. Nach dem Englischen des Georg Dyer für den Standpunkt des deutschen Publicums bearbeitet von L. Th. Kosegarten.Dyer's »Memoir of the life and writings of Robert Robinson« war 1796 zu London erschienen. – D. Leipzig 1800.

Für diesen Standpunkt scheint der gewählte Titel: »Der Prediger, wie er sein sollte«, nicht recht gewählt; denn ein Dissenter und Baptistenprediger, der sich vom Haarkräuslerjungen zu der Sphäre von Wirksamkeit, in der er als Mittelpunkt stand, hinaufarbeitet, kann in Manchem das Vorbild unsrer Prediger nicht sein. Sein Eifer für die Dissenters gegen die herrschende Kirche, untersuchend und praktisch, insonderheit seine Gabe, das Größte neben das Kleinste zu stellen, und die daraus entspringende oft scharfe Ironie, die ihm selbst manchen Gegner machte, mögen ihm eigen bleiben. Vielmehr, wenn man den engen Kreis von Ideen betrachtet, in welchem jenseit des Meers die Dissenters sowol als die Streiter der herrschenden Kirche umherfechten, fühlen wir Deutsche mit Freuden, daß wir gottlob aus dieser Enge hinaus im Freieren sind und bisweilen kaum begreifen, wie man über solche Nußschalen so hitzig, so eigensinnig und verengt streiten könne. Nicht also der Prediger unbedingt.

Aber der Mensch, der edle Mensch, der helle durchdringende Kopf, der unablässig thätige Mann, der wie ein Genius wirkende reine Charakter des Mannes, sie seien Vorbild! Nicht etwa dem Geistlichen nur (denn wer wünschte nicht, wenn er dies Leben liest, Robinson auf einer andern Stelle, als auf der er stand? ob er gleich auch auf ihr so zahlreiches Gute geleistet), sondern Jedem, der sich durch Meinungen durchzuarbeiten, seine Ueberzeugung frei zu sagen, das rein menschliche Gute wirksam zu befördern hat (und wer hätte dies nicht?), ihm sei dieser arme Dissenter Vorbild. Dem Lebensbeschreiber selbst, seinem Freunde, dem Dichter Dyer, ist offenbar Robinson's Charakter zu groß gewesen; er erliegt gleichsam unter den Materialien und hat Jenen nicht ganz zu der lichten Höhe gehoben, auf welcher man ihn zu sehen wünscht. Man halte sich daher, wenn man dies Leben liest, vorzüglich an Robinson selbst, an die Thatsachen seines Lebens, an seine Plane, Entwürfe, Anschläge, Schriften, Bestrebungen, vor andern an seine Briefe. Sie sind mit so freiem Geist und bei Gelegenheit mit so feinem Salz geschrieben, daß man den Mann ebenso lieb gewinnt, als man seine Talente und seinen Charakter verehrt. Proben davon sind der ökonomische Brief, wie Robinson einen Tag verwandte (S. 167), und ein andrer, den Tod seiner Tochter betreffend (S. 235). Im ganzen Buche sehnt man sich, mehr aus Robinson's eignem Munde zu hören, ihn zu sehn, zu sprechen, oft zu umarmen.

Ungemein schön würde es sein, wenn der Uebersetzer dieses Lebens aus Robinson's eignen Schriften, aus seinen Predigten (selbst seine Dorf- und sogenannten Scheunenpredigten haben herrliche Stellen), aus seinen Arcanis, den Historien und Mysterien des Charfreitags, den Untersuchungen über die Kirchengeschichte u. s. w. die Stellen aushübe, in denen sich das große Herz, der helle Verstand, der warme Freiheitssinn, der glänzende Witz und Scharfsinn des seltnen Mannes gleichsam entscheidend zeigt. Es müßte ein schöner zweiter Theil seiner Eusebia werden.

Dyer's Elegie auf Robinson's Tod ist am Ende des Buchs wohlklingend übersetzt; überhaupt freut man sich des unvermuthet sanften Hinscheidens des thätigen Mannes, nachdem seine Kräfte erschöpft waren.

 

Friedrich von Hagedorns poetische Werke. Erster Theil, Lehrgedichte und Epigramme. Zweiter Theil, Fabeln und Erzählungen. Dritter Theil, Oden und Lieder. Vierter Theil, Leben, Charakteristik, Nachtrag von Gedichten, Abhandlung über die Gesundheit und die Trinkgefäße der Alten und Nachträge vermischten Inhalts. Hamburg 1800.Erfurter Nachrichten 1800, Stück 45. – D.

Längst ist geklagt und geklagt worden, daß wir Deutsche in der Achtung, die den verdienstreichen Männern, sie seien Denker oder Künstler, Dichter oder andrer Art Schriftsteller, gebührt, andern Nationen weit nachstehen. Wie verehrt ist Newton bei den Briten! Unsers Kepler's Schriften sind weder gesammelt noch commentirt, ein großer Theil derselben noch nicht einmal ans Licht gestellt worden. Die Ausgabe unsers Sleidan's, die ein Gegenstück des de Thou sein sollte, unterblieb. Die Sammlung Hutten'scher Schriften schloß mit dem ersten Theile. Opitz' Ausgabe von Bodmer blieb unvollendet; seine Ausgabe der sogenannten Minnesinger steht nackt und dürftig, ohne Einleitung, ohne Commentar da. Der Dutensischen Ausgabe Leibnizischer Schriften ist noch kein Nachtrag zugeführt u. s. w. Doch was bisher nicht geschehen ist, wird geschehen; schweige der feige Verzweifler! Und je unübereilter, vielleicht desto zweckmäßiger, desto pertinenter. Wenn nur nichts vom Nachlaß der Verstorbnen verloren geht, wie es bei Canitz, Liscov u. A. der Fall war.

Die Verdienste, die sich Eschenburg bereits um eine Reihe merkwürdiger Deutschen, insonderheit Dichter, z. B. Tscherning, Weckherlin, Zincgref, Homburg, FilidorAuserlesene Stücke der besten deutschen Dichter, von Martin Opitz bis auf gegenwärtige Zeiten. Dritter Band. Braunschweig 1778. – H. und Burcard Waldis,Fabeln von Burcard Waldis. – H. sodann um seiner näheren Freunde, Zachariä's, Arnold Schmidt's,Statt seiner hätte Herder Schiebeler nennen sollen. – D. Lessing's, Ebert's u. A. Schriften erworben, sind bei Jedem, der an den Gedanken und Bemühungen der Besten unsrer Nation Theil nimmt, in rühmlichem Andenken. Jetzt führt er unsern Hagedorn (wir wollen nicht sagen von den Todten herauf; denn Hagedorn war nie verstorben), er führt ihn mit dem bescheidnen Kranze hervor, der ihm gebührt. Seine Werke sind unverändert geblieben; denn an so vollendeten, so oft durchgearbeiteten Werken, wer wollte, wer dürfte ändern? Auch Hagedorn's Anmerkungen zu seinen Gedichten stehen unversehrt da, zum Dank der Leser. Außer der Vorrede des Herausgebers zum ersten Theil ist der vierte Theil als Zusammenstellung Eschenburg's Jedem gewiß willkommene Arbeit. Hagedorn's Leben ist erzählt; als Dichter ist er charakterisirt, d. i. geschätzt, aber nicht übergeschätzt worden; Hagedorn selbst könnte Beides lesen und würde wahrscheinlich sagen: »Der war ich! Der befliß ich mich zu sein!« Aus den vom Dichter selbst verworfnen Jugendstücken sind Proben gegeben, aber mit Auswahl, nie ermüdend. Als Nachtrag aus Hagedorn's Papieren erscheinen von S. 114 einige poetische Schreiben, unter denen die beiden in des guten Brockes Manier, insonderheit das zweite an Liscov (S. 118) voll glücklichen Humors sind; sodann einige Lieder, Sinngedichte, Gesundheiten, allesammt Kinder des Frohsinns und der Freude:

O, nicht den Königen! nein! uns den starken Wein!
Denn Bathseba hat Recht.Sprüche Salomon. 31, 4. – H. Ihr Herren, schenket ein!

                                *

                        In Arbeit ungestört!
                        Im Bitten erhört!
                        Im Glück unbethört!

                                *

              Gesunden Leib, gesunde Scheitel
              Und viel Gesundheit in dem Beutel.

S. 137 sehen wir, daß das vielgesungene Lied: »Mein Herz gleicht den zufriednen Herzen«, auch von Hagedorn sei.

Das Interessanteste des Nachtrags aber sind ohne Zweifel die Briefe, vorzüglich Hagedorn's eigne Briefe. Welch eine schöne Seele spricht in ihnen! und so classisch schön, so verständig, so freundschaftlich, an seinen Bruder so brüderlich, an Nothleidende unermüdet hilfreich, aufmunternd an junge Freunde und allenthalben so fern vom Egoismus, so bescheiden und weise! In wie schöne Zeiten wird man versetzt, die man das Jugendalter des deutschen Geschmacks nennen könnte! Mit Kühnheit und Freudigkeit rang dieser sich aus und in der tiefsten Armuth hervor, ununterstützt von Mächtigen und Großen, verkannt, ja verfolgt von den damaligen Geschmacksinhabern, den Altfranken. Die Bessern aber hingen fest an einander; die Sache war ihnen Ernst; die Jüngern strebten nacheifernd weiter. Und Hagedorn am Ufer der Elbe, allen Streitigkeiten abgeneigt, steht wie die schöne, alte, große Linde zu Harvstehude da (S. 139), die aber – längst nicht mehr ist. Die Zusammenstellung dieser Briefe an und von Hagedorn ist in vielerlei Betracht, auch zu Schätzung unsrer Zeiten, lehrreich; die Briefe des Dresdner Hagedorn's an unsern Dichter, die der Herausgeber verspricht, wünscht ohne Zweifel ein Jeder, der die Baden'sche Sammlung oder auch nur die wenigen, die sich auf Hagedorn's Gedichte beziehen, in dieser Sammlung liest.

 

Wir können nicht umhin, dem Verdienst Eschenburg's um Hagedorn ein andres älteres beizufügen:

Denkmäler altdeutscher Dichter. Beschrieben und erläutert von J. J. Eschenburg. Bremen 1799.

»Seinen und der vaterländischen Dichtkunst ehrwürdigsten Freunden, Gleim und Klopstock gewidmet«. Mit Recht ihnen gewidmet. Einige Notizen dieser Denkmäler waren in periodischen Schriften, z. B. dem Deutschen Museum, Lessing's Beiträgen, dem Bragur erschienen, sie verdienten gesammelt zu werden; und außer ihnen erscheinen hier sieben neue Nummern. Das gegenwärtige Blatt verstattet nur eine Anzeige des gesammten Inhalts dieser Sammlung. I. Ueber das Rittergedicht Wigamur. II. Ueber Engelhart und Engeldrut, von Conrad von Würzburg. III. Ueber die Wolfenbüttel'sche Handschrift von Ulrich's von Türheim Rittergedichte, Wilhelm von Narbonne. Zu beklagen ist's, was Casparson 1798 dem Verfasser schrieb: »Nachdem der erste Theil (des Wilhelm's von Narbonne) durch den nun verstorbnen Buchhändler Cramer in die deutsche Welt gekommen, so habe ich den auch abgedruckten zweiten unter keiner Bedingung, selbst unter der billigsten nicht, anbringen können. Der dritte liegt also in der übrigens mit Mühe gemachten Handschrift todt.« IV. Ueber das Spruchgedicht Freidank. V. Ueber den Welschen Gast. VI. Ueber das Gedicht Salomon und Markolf. VII. Zur Literatur und Kritik der Boner'schen Fabeln. VIII. Ueber das alte niedersächsische Gedicht von Flos und Blankflos und über die Quellen und bisherigen Bearbeitungen dieser Gedichte. IX. Studentenglück. Eine alte niedersächsische Erzählung. X. Gespräch in plattdeutschen Reimen über die Liebe. XI. Fragment einer Erzählung in plattdeutschen Reimen. XII. Zwei altdeutsche Lehrgedichte, Tobias' Segen und Cato' des Meisters Rath. XIII. Auszug aus Sebastian Brant's Narrenschiff. XIV. Ein alter Meistergesang mit seiner Melodie. XV. Ueber des Cyrillus Fabeln und deren gereimte Einkleidung von Daniel Holzmann. XVI. Priameln, 77 Stück nebst einem Anhange. XVII. Altdeutsche Lieder, 16 an der Zahl.

Der Reichthum dieser Sammlung erhellt durch sich selbst; die sorgfältige Bearbeitung derselben zum Verständniß des Lesers durch historische und literarische Erläuterungen, Erklärung dunkler Worte u. s. w. ist sichtbar auf allen Blättern. Gefiele es dem Verfasser, aus der Helmstädtischen und andern Handschriften uns endlich den Renner, dies in der Sprache so schöne, durch seine Abwechselung so angenehme Denkmal des altdeutschen Witzes und Verstandes nach seiner Weise herauszugeben, so erfüllte er auch dadurch einen Lessing'schen Wunsch zum Dank aller Freunde unsrer Nation, unsrer Sprache und Dichtkunst.

Ein paar kurze Priameln mögen diese Anzeige schließen:

                        XIX.

Morde, raub, henk und stiehl,
Und treib alle Bosheit, wo man will,
Und treib das also lange Zeit an,
Bis daß Du wirst ein alter Mann,
Hast Du Geld, Kleinod und gute Wat (Kleidung),
Die Herren nehmen Dich noch in den Rath.

                      XXXIV.

Sehen, hören und wünschen umsunst,
Gedenken Weisheit und lehren Kunst,
Fromm gegen Gott und Mäßigkeit,
Wahrheit, Zucht und treue Arbeit
Und fromm' Ehleut, die gute Kinder bär'n.
Die vierzehn Ding' kann Niemand wehr'n.

                        LXII.

Gott gebe, daß ich lange leb',
Daß ich wenig hab' und viel geb'
Und viel wiss' und wenig sag'
Und antwort' nicht auf alle Frag'!

 

Gedichte von Sophie Mereau. Erstes Bändchen. Berlin 1800.Erfurter Nachrichten 1800, Stück 46. – D.

Wie diese Gedichte aufzunehmen, also auch zu beurtheilen sind, sagt der Name der Verfasserin und die bescheidne Vorrede, eine beliebte Stanze von Schiller:Im »Musen-Almanach für das Jahr 1796«. – D.

»Nicht länger wollen diese Lieder leben,
Als bis ihr Klang ein fühlend Herz erfreut,
Mit schönern Phantasieen es umgeben,
Zu höheren Gefühlen es geweiht;
Zur fernen Nachwelt wollen sie nicht schweben;
Sie tönten, sie verhallen in der Zeit.
Des Augenblickes Lust hat sie geboren;
Sie fliehen fort im leichten Tanz der Horen

So wenig man nämlich in einer weiblichen Bildung, in weiblichen Sitten, Gesprächen, im Ton ihres Umganges und ihrer Lebensführung sogenannt männliche oder gar Riesenformen erwartet, vielmehr solche flieht und verabscheut, so wenig wird ein Verständiger in den zartesten Reden einer weiblichen Seele, in Aussprüchen ihres Herzens, in den Schildereien ihrer Empfindung den männlichen Tritt oder gar ein Riesenmaß suchen und erwarten. Gerade umgekehrt, was der Mann nicht liefern, was er nicht oder wenigstens nicht so sagen konnte, das erwartet man in weiblichen Gedichten.

So betrachteten alle gebildeten Nationen die Sache; wenn wir Deutsche sie anders betrachten und im literarischen oder im wirklichen Umgange nur einen Ton, eine Form (natürlich ist dies unsre eigne) haben wollen, so ist dies, aufs Lindeste zu sagen, ein »Unbenehmen«, das selbst jede Ueberlegung ausschließt. Da ein Geschlecht nicht statt des andern da sein oder an seiner Stelle, in seiner Weise wirken kann und soll, vielmehr beide auch im Umfange des Geistes, in Bildung der Empfindungen, der Grundsätze und Sitten einander an die Hand gehen, einander in die Hand arbeiten müssen: so zeigt die Geschichte gnugsam, daß in Griechenland und Italien, in Frankreich und England auch weibliche Hände zum Altar der Grazien mit beigetragen, d. i. zu Bildung und Feinheit der Sprache, des Geschmacks, der Sitten, der Phantasie, ja der praktischen Grundsätze selbst die weibliche Muse mitgeholfen habe. Woraus aber auch folgt, daß weibliche Gedichte Männern schlechthin und ohne Ausnahme absolute Muster weder sein können, noch sein wollen. Ein Jüngling, der das Weib nachahmt, das er doch nie darstellen kann, ist dem Weibe selbst verächtlich, sowie dem Mann die Henne widrig ist, die wie ein Hahn kräht.

Nach so geschiedenen Grenzen der männlichen und weiblichen Poesie blühen die Gedichte unsrer Verfasserin in einem schönen Garten. Sie tritt nie über die Grenzen ihres Geschlechts hinaus; ihre Empfindungen und Empfindnisse in Leid und Freude, in Kummer und Sehnsucht, in Hoffnung und Zufriedenheit, sowie ihre Malereien der Natur, selbst ihre ersten Vor- oder Grundsätze sagt sie aus dem Herzen, mithin weiblich. Wem hie und da ein Gemälde zu lang, eine Schilderung zu ausführlich vorkommt, der stimme sich ins Gefühl der Singenden oder spare die Ansicht auf eine andere Stunde. Nie können Empfindungen oder Empfindnisse, in denen sich Herz und Phantasie zu einander mischen und verweben, rein gnug ausgesprochen werden. Herz und Phantasie sprechen sich gleichsam nie ganz aus.

Eine bloße Anzeige des Inhalts der Gedichte (da zu langen Proben es diesem Blatt an Raum fehlt) rechtfertige unsre Einleitung. Frühlingsabend. Zukunft:

»O Unsterblichkeit, dem Erdenwaller
So entzückend und so fürchterlich!
O, der Gottheit großer Wille webte
In sein Wesen selbst den Wunsch hinein,
Und des Herzens ewig reges Sehnen
Muß ihm Bürge der Erfüllung sein.«

An **. Dank für die edleren Freuden des Lebens (S. 10). Abschied. An einen Freund. An einen Baum am Spalier. An ein Abendlüftchen. Dichterglück; voll großer Empfindung, in schönem Ausdruck. Der Hirtin Nachtlied; keine Parodie, aber eine Sopranstimme zur beliebten Reichardt'schen Gesangweise: Jägers Nachtlied. Frühling (S. 24). Ein frohes Aufathmen voll Leben, voll Liebe. Schwärmerei der Liebe:

»Die Lieb' ist ewig. Ihren Harmonieen
Folgt treu die ganze bildende Natur.
Im Schöpfungskreis, von Dir stets angezogen,
Vermählt uns ewig heil'ge Sympathie;
Im Sternentanz und im Gesang der Wogen
Weht uns ein Geist, der Liebe Harmonie.«

Das Bildniß (S. 32). Eine kräftige Beurkundung, daß die Sprache der Dichtkunst der Dichterin nicht Spiel und Tand, sondern eine unentbehrliche Sprache des Herzens sei. Klage. Die letzte Nacht. Schwermuth. Andenken (S. 42); ein süßes Andenken. Frühling (S. 44); voll inniger Empfindung. Schwärmerei. Die Landschaft. Licht und Schatten. Der Liebende. Gebet (S. 58):

    »Wie ein Götterstrahl, dem Nichts entflogen,
Ging die Sonne einst am Himmelsbogen,
Ewiger, auf Deinen Wink hervor:
O, laß auch des Geistes Nacht entfliehen,
Deiner Weisheit Strahlen in uns glühen;
Heb zu Deiner Liebe uns empor!

    »Gieb, Erhabner, die Natur uns wieder,
Mach uns wahr, gerecht und gut und bieder;
Allerkannt sei Deine Göttlichkeit!
Deine heiligen Gesetze binden
Die Natur; doch Deine Menschen finden
Nur in Freiheit ihre Seligkeit.«

An Cynthien (S. 61). Der verkürzte Hexameter nimmt sich in diesem Mondhymnus wohl aus. Mitgefühl:

»O Mitgefühl, der Menschheit Glück!
Was trocknete den nassen Blick,
Was hielt an der Verzweiflung Rand
Zurück, wär's nicht der Freundschaft Hand?«

Die Farbe der Wahrheit (S. 67).

»Ich weiß eine Farbe, der bin ich so hold,
Die achte ich höher als Silber und Gold,
Die trag' ich so gerne um Stirn und Gewand
Und habe sie Farbe der Wahrheit genannt.«

Welches diese Farbe sei, und warum die Dichterin sie so nenne, lese man bei ihr selbst. Ihr voraus gehen die Farbe der Liebe, der Treue, der Unschuld, der Hoffnung. An meines Vaters Grabe; schöne Empfindungen. Die Herbstgegend. Das Lieblingsörtchen. Vergangenheit. Des Oertchens Wiedersehen. Erinnerung und Phantasie. Natur. Liebliche Gedichte; das letzte ein warmer Hymnus. Die Morgenstunde. Der Garten zu Wörlitz. Bergphantasie. Schwarzburg. Leichter und ernster Sinn. Ein Gespräch zwischen Mirtha und Lina, in angenehmer Haltung. Psyche an Amor. Verschiedne Eindrücke des Frühlings, auf das Kind, den Unglücklichen, den Reisenden, die Mutter, den Zufriednen; ein schattirtes Gemälde voll zarter Züge. Die Schwärmerin (S. 136). Hier ist ein Druckfehler, der irre machen muß, vorgegangen. Es soll nämlich dies Gedicht auf der folgenden Seite ohne neue Ueberschrift fortgehen, obgleich auf 136 in der Seitenzahl 147 folgt. Der Kalte (S. 149); eine furchtbar eiserne Denkart. Einige Epigramme in der sanften griechischen Manier bergen sich unter den zu bescheidnen Namen Einfälle; sie sind mehr als dies, z. B. Der Dichter, Rakete und Schwärmer, Die Nachtigall, Die Wolke, Der Wein, Der grüne Schleier, Liebe des Dichters. Sie fügen sich den schönsten Epigrammen dieser Art, die wir in unsrer Sprache haben, bei.

»Einmal lieb' ich, und einmal leb' ich. Unsterbliche Götter,
    Wenn Ihr das Eine mir raubt, nehmt auch das Andre dahin!«

Aus diesem ganzen Verzeichniß erhellt, daß die Dichterin nicht etwa nur im gemeinen Sinn des Worts durchaus moralisch, sondern gerade auf der feinen Saite des Herzens moralisch sei, wo das poco di più so sehr beleidigt; diese Saite betrifft Schmerz und Liebe. In beiden beobachtet sie fast schüchtern den innern Wohlstand des Herzens, der ihrem Geschlecht der größte Schmuck ist. Lieber unterwirft sie sich dem Vorwurf der Monotonie, als daß sie »Flammen sprühen« oder auch den empfindlichsten Schmerz zu laut singen wollte. Auch muß es ihr zum Lobe angerechnet werden, daß sie den neuesten Dichterjargon nicht nachahmt, nicht affectirt. Allenthalben spricht sie ihre eigne, sehr gebildete Sprache.

Neckereien über einige Provincialreime, z. B. Reime zwischen d und t, kleine Fehler im Silbenbau u. s. w. mögen unsern Criticis, Grammaticis atque Prosodicis überlassen bleiben. Schon im Lesen verbessert man sie leicht. Und so bleibe der Sängerin denn ihr schönes Musengeschenk, die ernste Lyra, fernerhin die Begleiterin ihres Lebens und mit ihr jenes höhere Gut, das sie sich S. 48 wünscht:

»Was nur allein des Zufalls Laune trotzet,
Die schöne Blüthe reiner Menschlichkeit,
Das uns allein zu freien Wesen gründet,
Woran allein sich unsre Würde bindet,
Dies höchste Gut, es heißt – Selbstständigkeit

 

Rhapsodien. Von L. Th. Kosegarten. Dritter Band. Leipzig 1801. Mit dem Bildniß des Verfassers.Erfurter Nachrichten 1800, Stück 48. – D.

Dem größten Theil des Inhalts nach stehen diese Rhapsodien dem Britischen Odeon desselben Verfassers zur Seite; die englischen Gedichte, die diesen größten Theil ausmachen, sind mit gleichem Geist in unsre Sprache nicht sowol übersetzt, als im Hauch herübergetragen. Die vier prächtigen Lobgesänge auf die Tonkunst, auf welche die Briten stolz sind, Alexandersfest von Dryden, Congreve's Hymnus an die Harmonie, Pope's und Smart's Oden am Cäcilienfest machen den Anfang. Die drei ersten waren ins Deutsche, einige mehrmals, übersetzt; in dieser Zusammenstellung geben sie zur Kritik nicht nur Anlaß, sondern fordern zu ihr auf. Der Uebersetzer hat sich indeß dieser Kritik enthalten. Bei der ersten werden es Manche bedauern, daß sich der deutsche Wortbau hie und da etwas zu weit von der Ursprache entferne, in der Händel fast jedes Wort, jeden Einschnitt des Rhythmus durch seine Composition canonisirt hat; bei den andern waren dem Uebersetzer weniger die Hände gebunden. Hier also treten Timotheus, Orpheus, Amphion, die Harmonie selbst auf und lassen in Worten und Gängen ihre melodischen Stimmen hören. Was folgt, ist: Etwas über Gray's Schicksale und Charakter. Ohngeachtet Gray's Briefe und die meisten seiner Gedichte, einige mehrmals, übersetzt sind, so wird man doch dies kurze Etwas mit den darin aus dem Latein übertragenen Oden, sodann die bekannte und beliebte Elegie auf den Dorfkirchhof, die beiden Pindarischen Oden, nicht minder die nachgebildete Niederfahrt Odin's und die wälische Elegie gern lesen; der Uebersetzer hat (wie es auch nicht anders sein konnte) Gray's Ausdruck simplificirt; in Odin's Niederfahrt hätte er immer noch einige Ueberladungen weglassen mögen. Dann folgt das Lob des Eisens, ein Hymnus des Verfassers, von einem Elogium des Briten Jago, des Deutschen Neubeck, des Franzosen Ramond de Carbonnières auf eben dieses unentbehrlich-furchtbare Metall begleitet. Des Philologen Hieronymus Wolf's Denkwürdigkeiten seines Lebens, von ihm selbst beschrieben, folgen. Den Gelehrten waren sie in Reiskens Sammlung griechischer Redner der schönen lateinischen Ursprache nach bekannt; hier lese sie, wer sie latein lesen nicht mochte oder konnte. Ein trauriges Leben. Nur Reiske, der diesem Selbstbiographen in Manchem so ähnliche Reiske, er verdiente eine andre Erwähnung, als die ihm Kosegarten schenkt. Die Mexicanische Weissagung nach Scott steht, so hingestellt, fremd da; sie erforderte eine nähere Einleitung. Drei Reden, einem Landesgebrauch nach am Ufer gehalten. Sodann abermals Gedichte. Aristoteles' Hymnus an die Tugend. Das vielbekannte Skolion, hier in regelmäßigem Metrum übersetzt. Agathon und Thelxione. Eleonore und Jutta; eine altenglische Ekloge. Er und Sie; schottisch. Admiral Hosier's Geist; eine der gepriesensten britischen Balladen, nach Glover. Des blinden Dichters Blacklock Wehklage. Eben desselben Hymnus an die ewige Liebe. Im Britischen Odeon ist das Leben dieses Mannes kurz erzählt; beide Gedichte sind, jedes in seiner Art, herzlich. An die Jungfrauen, nach dem Engländer Logan. Zwei Gedichte des Verfassers, eins an seine Tochter, das andre Erinnerungen an eine Freundin. Das letzte ist die Schilderei einer hohen und weiten rügischen Aussicht; wie sehr dergleichen dem Verfasser gelingen, weiß man aus der größeren Sammlung seiner Gedichte; das erste ist eine herzlich-väterliche Lehre.

Da zum Urtheil über jedes einzelne Stück hier kein Raum ist, so wiederholen wir den Wunsch, der sich beim Britischen Odeon dem Leser aufdrang, nämlich »eine Würdigung der übersetzten Stücke vom Uebersetzer selbst«. Bei einer Sammlung so verschiedenen Inhalts wissen manche Leser und Leserinnen schwerlich, wohin sie das Stück setzen sollen, was sie mit ihm zu thun haben. Dem reich und süß sprechenden Dichter selbst wäre vielleicht hie und da die freundschaftliche Stimme nöthig: Ne quid nimis! Auch der süßesten Worte und Bilder laß nicht zuviel sein! Ohnstreitig haben wir auch mit diesen Rhapsodien einen schönen dichterisch-moralischen Erwerb aus einer fremden Sprache.

 

Maximum s. Archimetria. Ἐκ πάντων ἓν καὶ ἐξ ἑνὸς πάντα. Berlin 1799.Erfurter Nachrichten 1800. Stück 47. Von Prof. Thorild in Greifswald. – D.

Ohne Vorrede und Druckort ist dies merkwürdige Buch am Ende vorigen Jahrs erschienen; einige Blätter haben es deutsch angekündigt unter der Aufschrift: »Die Gelehrtenwelt. Sapere aude. Nr. 1«, in denen außer der Ankündigung eine Uebersicht des Werks gegeben und mit einem Programm zum neuen Jahrhundert der Schluß gemacht wurde. Dies Programm handelte vom Heidenthum der Gelehrten.

So sonderbar Manchem diese Titel klingen mögen, so ist doch die Idee des Werks sowie sein ganzer Bau sehr einfach. Abstracte Ideen nämlich sind dem Verfasser minima, das Kleinste, das man von der Sache weiß, Schemen; die Sache selbst kennen, ist das maximum unsrer Erkenntniß. Dazwischen giebt es Stufen, also ein Maß; dies Maß bestimmt das »tantum, so viel weiß, so viel erkenne ich, so viel kann und soll ich thun«. Dies So viel ist das Ur- und Erzmaß, der Archimeter unsers Verstandes und Willens, unsrer Handlungen und Kräfte; mittelst seiner ordnen sich Wissenschaften, Künste, Einrichtungen unsers Geschlechts; mittelst seiner entsteht auf der höchsten Stufe eine Panharmonie, eine All-Einstimmung des Universum, die den Sinnen, dem Verstande, dem Willen der höchste Genuß und Lohn ist. Ohne dies Maß der Dinge schweben wir in Nacht und Dunkel, dichten, träumen, schwätzen, rasen, betäuben uns selbst und die Welt, machen uns und Andre unglücklich.

Man sieht, daß in seinen Grundzügen dies System das älteste, ja eben die Wahrheit ist, die durch Mißgriffe und Träume dies- und jenseits oft traurig gnug erprobt worden. Protagoras schon nannte den Menschen das Maß des Universum; außer uns haben wir kein anderes, uns denkbar. Mit diesem Maße sind wir aber auch reich versehen; das Universum stimmt zu uns; wir stimmen zum Universum. Und was wir in ihm zu empfinden, zu thun, zu leisten haben, ist von der Natur, mittelst unsrer Natur, wo diese recht angewandt wird, so bestimmt, daß wir fast nicht fehlen können, indem uns nur die Vernachlässigung des Soviel, tantum, irre macht und zu Thorheiten oder Tollheiten verleitet. Eine genaue Bemerkung dessen, »wie viel weißt Du? wie viel kannst, darfst, mußt Du wissen, haben und anwenden, um Dies zu thun, um Jenes zu sein oder zu erreichen?« ist der alte Sokratische Unterricht, den nach Jahrhunderten Baco auf die gesammten Wissenschaften anwandte, den im Einzelnen und Stillen jeder bescheidene Liebhaber der Natur befolgte, dem aber desto lauter der ganze Schwarm tönender Worthelden, überspannter Enthusiasten und Bilderkrämer, endlich sämmtlicher Transscendentalisten in Abstractionen, Wünschen und Leidenschaften entgegentrat. Worin kann menschliche Bildung bestehen? worauf muß sie nothwendig zurückkommen? Auf Maß. Auf ihm beruhen alle Gesetze der Natur sowie alle unsre klaren und richtigen Begriffe, unsre Empfindungen des Schönen und Edeln, die Anwendung unsrer Kräfte zum Guten, unsre Seligkeit, unser Genuß. Maß allein zieht und erzieht uns; Maß macht, erhält und bildet die Schöpfung (κοσμεῖ κόσμον).

Wie der Verfasser dies Alles, den gefundenen Archimeter, bestimmt und angewandt habe, muß man bei ihm selbst, in seinem originellen Werk lesen. Dies ist ein fortgehendes Gespräch, in welchem der Fragende kurz fragt, der Antwortende desto reicher antwortet. Kraft und Geist, Begeisterung sogar wehen und weben vom Anfang des Buchs bis zum Ende, treffend auch in der Wahl der Worte, im Bau der Perioden. Ungewöhnlich (zumal in unsrer Zeit) steht unserm philosophischen Meßkünstler die kräftige lateinische Sprache zu Gebot; die Glocke hallt und schlägt dies- und jenseit kühn, prächtig, oft gewaltig.

Sehr zu wünschen ist also die versprochene Uebersetzung dieses Buchs; nicht etwa blos, weil Wenige Latein lesen und Manche, für die es geschrieben ist, gewiß nicht so weit sind, dies Latein zu verstehen, sondern der Sache selbst wegen. Soll im Deutschen die Schrift so treffend werden, wie sie im Lateinischen klingt, so müssen nothwendig ebenso scharf bezeichnende Ausdrücke gleichsam das Siegel ihrer innern Wahrheit mit sich führen. Eben diese Verpflanzung würde bewähren, daß nicht etwa nur im Lateinischen, sondern in jeder Sprache dies System Wahrheit sei, weil der innere Sinn der Bezeichner und Ausleger aller menschlichen Empfindungen, Beschlüsse und Gedanken ihm so ganz, so innig zuspricht. Daß der Verfasser ein dergleichen Sinn- und Sprachwerk leisten könne, zeigen die vorgenannten deutschen Aufsätze, in denen ebenderselbe mächtige Eudämon spricht wie im Lateinischen. Eine deutsche Uebersetzung fixirte und sicherte also den Geist dieses Werks, das Urmaß menschlicher Gedanken, auch unsrer Sprache.

Aber Qu'en dira-t-on? Was wird zu diesem Werk die Schule sagen? Wahrscheinlich wird sie es großmüthig als ein minimum verachten oder als ein maximum des Unverstandes und der Mißdeutung, voll gefährlicher Sätze und Meinungen, lästern. Je unverschämter und geistloser dies geschieht, desto besser! Nur daß sich der Verfasser von der deutschen Ausgabe seines Werks weder durch Schimpfreden noch durch innere Schwierigkeiten abschrecken lasse! Sie muß ein Probirstein seiner Sätze, sie kann und wird im Wesentlichen und Meisten (in maximo) sein Siegeskranz werden.

Eben dieser deutschen Bearbeitung wegen äußern wir einige Wünsche:

1) So wahr es ist, daß das tantum, So viel, einzig die richtige mathematische Erkenntniß und Anwendung einer Sache giebt, so hat der Verfasser gegen das tale, ita est, gegen das So, Dies ist u. s. w., in manchen Stellen, scheint es, zu hart geschrieben. Nicht nur ist, wie er's selbst mit großer Energie ins Licht setzt, ohne Datum kein Quantum, ohne was Meßbares kein Messen, ohne Materie keine Form möglich, sondern da diese Form den Dingen der Natur wie unserm Verstande wesentlich ist, so möchte Bacon's Weg: »Was ist da? was giebt's?« erst strenge zu verfolgen sein, ehe man an das Gefundene oder Empfundene Maß legen und fragen kann: »Wie viel giebt's? wie viel muß es geben?« Dies Maß ist immer doch nur eine Bezeichnung, die auch fruchtlos werden kann und muß, wenn sie in das zu Subtile geht und sich vom Bemerkbaren losreist. Maß ist nichts als Maß; was soll ich mit Elle, Metze, Zahl und Wage, wenn ich nichts zu messen, zu zählen, zu wägen habe? Dies Was und Wie zu erforschen, gehört nicht der Phantasie, sondern der Empfindung und dem prüfenden Verstande sowie im Praktischen dem Gewissen zu; das Wie viel ist nur eine schärfere Prüfung. Um Mißverständnissen zuvorzukommen (denn im Grunde behauptet der Verfasser dasselbe, indem er unter seinem quanto das quid und quale, Organisation, Form u. s. w. mit begreift), müßte hie und da mehr Gewicht auf die treue Erkenntniß des Was und Wie gelegt, mithin diese, wenngleich verworren gegebenen Data nicht blos in ihrer Verwirrung als Traum der Phantasie, sondern als das, was sie sind, wesentliche Substrate des quanti, mit gleicher Aufmerksamkeit wie das quantum selbst behandelt werden. Ein kleines poco di più e poco di meno zerstört auch hier das Maß der Haltung. Wer zählen will, ehe er hat und ganz hat, was soll er zählen?

2) Gegen den Mißbrauch der Phantasie hat die Archimetrie, wie billig, scharf gesprochen und in Hirngespinnsten sowol als in Kunstlarven und phantastischen Bestrebungen die Gräuel ihrer Wirkungen gezeigt; um indessen auch hier dem Mißverstande vorzubeugen, wäre dem rechten unentbehrlichen Gebrauch der Phantasie auch das Wort zu reden. Ohne sie nämlich, ohne das wunderbare Vermögen in uns, das allenthalben ein Eins constituirt, ist kein quantum sowie kein reines quid und quale denkbar. Von der ersten sinnlichen Empfindung an begleitet uns Phantasie bis zur hellsten Anschauung der Sache als Sache, als eines Eins, eines Ganzen. Alle ihre Hilfsmittel, Aehnlichkeit, Gleichung u. s. w. sind unentbehrliche Werkzeuge zu Erforschung, zu Berichtigung, zu Findung der Wahrheit. Das Maximum und Minimum unsrer Erkenntniß sind Punkte einer Curve mit abnehmenden oder wachsenden Größen zu beiden Seiten, nicht etwa der oberste und unterste Punkt einer geraden Linie. Die träumende, schwärmende, rasende Phantasie werde verbannt; nicht aber die, die ein Ganzes bildet und in seinen Theilen constituirt. Auch diese Archimetrie hat sie geschaffen; sie belebt jeden Erfinder.

3) Daß in der deutschen Uebersetzung manche Wiederholungen wegfallen, manche heftige Stellen müder erscheinen werden, folgt von selbst. In einer Sprache spricht sich aus, was sich in einer andern nicht sagen läßt; in einer todten, was eine lebendige schon durch sich untersagt. Die lateinische ist eine Sprache der kühnen Freiheit; die deutsche begnügt sich mit kräftigem Nachdruck. Im Latein reizt der glückliche Ausdruck selbst zur Kühnheit; der kältere Deutsche behilft sich, zumal in der Philosophie, die es auf eine instauratio magna scientiarum, auf eine neue Anrichtung des ganzen Gebäudes der Wissenschaften anlegt, mit architektonischer Genauigkeit, Stärke und Schönheit. Bei einer Schrift, die vom Maß, vom Urmaß handelt, gilt auch das Maß des Affects im Ausdruck, das tantum.

Hätte die kritische Philosophie nur dies Buch veranlaßt, so müßten wir ihr Dank wissen; mit der Zeit werden wir ihr noch manches andre Gute danken. Ziehe den einen Arm der Wage mit Gewalt nieder, der andre stiegt um so höher aufwärts.

Noch muß von diesem Buch bemerkt werden, daß es nicht blos aus dem Kopf, sondern auch aus Brust und Herz geschrieben sei; es erfaßt und wägt die Sache der Menschheit. Daher sein Feuer, seine Wärme, oft seine Gluth. Es vereinigt Geist mit Kraft, Wissenschaft- und Sprachkenntniß mit Völker- und Weltkenntniß, Güte des Herzens mit Muth. Sein Wahlspruch ist: Sapere aude!Die von Herder in den Erfurter Nachrichten 1800, Stück 48 gegebene Anzeige von Gräter's »Bragur« (Band 6. Abth. 2) enthält größtentheils Inhaltsangabe und bleibt deshalb ausgeschlossen. – D.

 


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