Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Zu Hieronymus' Savonarola Bildniß.Decemberheft 1777 des Merkur. – D.

Savonarola ist einer der Menschen, über welche die Stimmen wol immer getheilt, der größte Theil der Stimmen gegen ihn, die wenigen auf seiner Seite aber auch um so eifriger und wärmer sein werden. So war's in Florenz unmittelbar nach seinem Tode, so ist's die drittehalb Jahrhunderte seitdem gewesen, und noch hat sich nichts vorgefunden, das im Mindesten die Sache verändern könnte.

Seine Geschichte ist kurz und sehr bekannt. Gebürtig aus Ferrara 1452, war er zuerst Arzt, ward nachher Predigermönch, zuerst in Bologna, nachher in Florenz, that sich durch seinen Eifer, durch Strenge des Lebens, Gelehrsamkeit, Klugheit und hinreißende Beredsamkeit hervor, daß er bald die Mönche, die er laulich schalt, bald auch den päpstlichen Hof selbst gegen sich bekam, desto mehr aber das Volk in Florenz auf seiner Seite hatte. In den damals so unruhvollen Zeiten Italiens und seiner Republik besonders, die zwischen dem Regiment der Medicis und der Volksfreiheit im letzten Kampf schwankte, war er der Medicis strenger Feind und ganz auf des Volks Seite, ward Karl VIII., Könige in Frankreich, der damals Italien überzog und sich Florenz nicht im besten Sinn nahte, mit Friedensvorschlägen entgegengesandt und richtete sein Geschäft wohl aus, wie er auch immer nachher auf der Seite dieses Königes blieb und von ihm große Dinge hoffte. Der Haß der Mönche, die er angriff, der Bann des Papsts, den er auch nicht schonte, die Gegenpartei in der Republik, durch die die vertriebenen Medicis wirkten, übermochten endlich, durch einen sonderbaren und (wenn er sich nicht so grausam endigte) fast lächerlichen Proceß kam er auf eine jammernswürdige, harte Tortur und endlich zum Feuer. Seine Asche ward in den Fluß geworfen, damit sie den Resten seiner Partei nicht zum Heiligthum diente, und nun ward, wie gewöhnlich, über ihn geschrieben und raisonnirt. Von seinen Freunden zum Himmel erhoben, von seinen Feinden, weil das irdische Feuer ohne Zweifel nicht hinreichte, ihren Haß zu kühlen, in die tiefste Hölle verdammt; und die spätern Schriftsteller schlagen sich hie- oder dorthin, nachdem es ihnen gut däucht.

Ohne Zweifel hat die Geschichte und der Stand eines solchen Mannes zu viel Seiten, als daß ein flaches Urtheil auf einmal sie alle umfaßte oder beschriebe. Wir müssen also (ohne doch die mindeste Entscheidung geben zu können oder zu wollen), wenn ja über ihn ein Wort gesprochen werden soll, nothwendig theilen.

Als Religioser war er ohne Zweifel ein Mann von großen Talenten, von warmem Herzen, großer und guter Absicht. Der Verfasser dieses Aufsatzes hat nur ein Schriftchen von ihm, Von der christlichen Einfalt, und einige geistliche Briefe gelesen, in beiden aber viel scharfe Blicke, reinen Sinn und Ausdruck, ja selbst oft viel von der christlichen Einfalt gefunden, die er so sehr lobt. Diese Schriften machen nothwendig auf die Reden begierig, mit denen er eine Zeit lang Florenz umkehrte und so große Wirkung gethan hat; da die meisten ihm aber nur nachgeschrieben sind, und er selbst sich über so viele Lügen und Halbwahrheiten, die man ihm nachtrüge, beschwert, so sind sie vielleicht auch nicht immer richtig. Wer in diesem Betracht sein Bild am Hellsten gemalt sehen will, darf nur seines Freundes, des jüngern Picus, Leben von ihm lesen. Savonarola erscheint in ihm fast nicht als Mensch mehr, sondern als Heiliger und Engel; gerade aber das thut seiner Sache bei den Meisten Schaden. Ueber einen Glanz, den man nicht ertragen kann, kann man auch nicht urtheilen und wenig in ihm unterscheiden.

Als Haupt einer Partei, als Demagoge in der Republik betrachtet, verflicht die Sache sich noch mehr. Mr. Bayle findet's schlechthin très-blâmable, daß ein Geistlicher sich in Geschäfte des Staats mische. Er mag sehr Recht haben, wenn Savonarola zu unsern Zeiten und etwa gar in monarchischen Städten lebte; damals aber war leider noch ein ander Mönchscostüme; und in einer Republik, zumal in einer Krisis, wie damals Florenz war, wird offenbar die Sache anders. Savonarola stand eigentlich keinen bürgerlichen Geschäften vor, er verwaltete kein Staatsamt und kam weder auf Markt noch Rathhaus. Die ihn um Rath fragten, kamen in seine Zelle, und der Ort, wo er aufs Volk wirkte, war die Kanzel. Als er dem Könige in Frankreich entgegengeschickt ward, hatte ihn die Republik dazu als einen Mann von Beredsamkeit und Klugheit gewählt, und ich weiß nicht, welcher Bürger oder Geistliche dem Staate in solchem Nothfalle beizustehen sich weigern dürfte? Auch in den Reden scheint's, daß seine Wirkung aufs Volk von Religionsgesichtspunkten ausging. Er declamirte zuerst gegen öffentliche Laster, Aergernisse, Ueppigkeit u. s. w., wo es denn, in einem Freistaate zumal, schwer hält, die Grenzen zwischen dem Allgemeinen und Besondern zu finden. Auch kann man's nicht leugnen, daß eigentlich der Geist der Reformation und der Wissenschaften diese Grenzen erst recht bestimmt hat; vorher, in den Mönchszeiten, ging Alles durch einander. Wir thun also wenigstens Unrecht, ihn mit dem Maßstabe einer fremden Zeit oder eines andern Verhältnisses der Stände zu messen. Selbst Macchiavell ist dieses nicht in den Sinn gekommen, so schlecht er das Ding ansah! Warum? Weil er im Geist der Sitten der Zeit und des Landes dachte. Auch Guicciardini, Comines, Jovius sprechen mit Hochachtung oder wenigstens Mäßigung von ihm, und der neuere Schriftsteller, der in einer akademischen Jugendübung,I. F. Buddei Exercitatio politico-historica de artibus tyrannicis H. Savonarolai. Desselben Parerga. Jenae 1719, p. 277–398. – H. die wol blos eine politische Chrie sein sollte, am Schärfsten auf ihn losfuhr, nahm nachher in einer weit gründlichern Schrift sein übereiltes Urtheil von ihm als Demagogen zurück.

So viel ist gewiß, Savonarola glaubte an der Partei, die er nahm, die beste zu nehmen. Als er zu Lorenz Medicis' Todesbette geschickt ward, war die gerade Bedingung der Absolution: »er sollte das Andern gethane Unrecht erstatten und der Republik die Freiheit wiedergeben.« Beim Ersten sagte Lorenz, seine Erben würden es thun; da er ans Zweite nicht wollte, ging Savonarola stille fort, und Lorenz starb.

Nun ist's eine unendliche Frage: welche Partei die beste gewesen sei oder sein werde, ob Freiheit des Volks oder Regiment der Edeln oder Monarchie? Wer wird aber auf die einseitige Entscheidung dieser Frage das Urtheil über einen Demosthenes, Gracchus, Pisistratus bauen? Hätte Savonarola zu den Zeiten Dieser gelebt, wäre ihm eine Bürgerkrone worden; jetzt, als Mönch, dem päpstlichen Stuhl, den er aufgebracht hatte, so nah und so eine glänzende, reiche Partei zu Feinden habend, kam er auf die Tortur und ins Feuer. Die häßlichsten Dinge, die von ihm gesagt und geschrieben sind, kommen von Rom aus, und selbst die spätern Anhänger der Mediceischen Partei lassen ihm Gerechtigkeit widerfahren. Er ward offenbar als ein Opfer der Ruhe im Staate preisgegeben, sein Kloster im Auflauf gestürmt; man ging aufs Schändlichste mit ihm um; acht seiner ärgsten Feinde wurden seine Richter; die Tortur sollte Sachen aus ihm bringen, die des Todes werth wären, und noch mußten diese erzwungnen Aussagen, wie gleichzeitige Zeugen es melden, erst verfälscht werden und sind ihm nie öffentlich vorgelesen worden u. s. w. Savonarola ging ohne die mindeste Klage oder Vorwurf oder Aeußerung, wer Recht oder Unrecht habe, kalt und gesetzt wie Phocion zum Tode.

»Aber er soll doch auf der Tortur bekannt haben, daß seine Offenbarungen Betrug gewesen?« Er soll's, und seine Freunde sagen: »Er hat's nicht,« und seine Feinde selbst sagen: »Er that's nur verblümt, in dunkeln Ausdrücken, er hat's nur so zu verstehen gegeben.« Und mein! was ist's für Art, Jemand – durch die Tortur zu fragen, ob er ein göttlicher Prophet sei. Den göttlichen Propheten auf die Tortur legen und sagen: »Ich erwarte gleichgiltig die Wahrheit!« Auch die Art, das Volk gegen ihn aufzubringen, war so erbärmlich auf der einen Seite, als sie auf der andern genau fürs Volk calculirt war. Eine Feuerprobe der Wahrheit, welche Partei Recht habe, mit oder ohne Sacrament (weil dieses im Feuer leiden könnte!), das war die große Klippe, an der er scheitern mußte, der Jahrmarkt, von dem seine Gefangennehmung, Tortur und Alles abhing.Mit Bezug auf Fra Domenico da Pescia, der die Feuerprobe für ihn bestehn wollte, was aber nicht zur Ausführung kam, weil man seine Bedingung, eine Hostie mit ins Feuer zu nehmen, für gotteslästerisch hielt. – D.

Indeß ist hier nichts weniger unsre Absicht, als Savonarola in Allem zu rechtfertigen oder unsern Zeiten, die gar anders sind, als Muster anzupreisen. Bei Feuerrädern der Art weiß vielleicht ihr Schöpfer allein, was in der Flamme ihrer Einbildung, Wirksamkeit und Absicht rein oder unrein, himmlisch oder erdartig sei; oft wissen sie's selbst nicht und erfahren es erst, wenn sich ihr Feuer gelegt hat, das ist, meistens zu spät. Ein politischer Weissager steht auf dem unsichersten Grunde, er möge aus Weltklugheit oder Eingebung Prophet sein; je mehr er Eingebung (auch nur im lindesten moralischen oder poetischen Verstande) hineinmischt, desto mehr hat er Klugheit nöthig, und gerade auf der Stufe hört meistens alle Klugheit auf. Ueber das Glück in dieser ganzen Begebenheit hat Niemand besser als Macchiavell geurtheilt, der sie auch nur von der Seite des Glücks ansah, nämlich: ein Demagog könne durch Reden sich die Gunst des Volks bald verschaffen, ohne Waffen aber schwer erhalten. Es scheint nicht, daß es dem guten Savonarola (wenn er das war, was seine Freunde und Alle, die ihn gekannt haben, von ihm sagen), es scheint nicht, daß ihm um das Eine oder das Andere zu thun gewesen sei. Noch auf der Tortur sagte er, daß, wenn's ihm gelungen wäre, nur ein Concilium, eine Reformation der Sitten zu bewirken, ihm dies viel mehr als des Papstes dreifache Krone gewesen wäre. Die moralische Seite von Savonarola ist also, auch nach dem Geständniß seiner Feinde, die sicherste und offenbarste; das ihm Eigne in seiner Person und auf seinem Standpunkte ist verflochten, dunkel und mag ihm also (sei's Wahn oder Wahrheit) eigen bleiben!Durch Meier's »Girolamo Savonarola« (1836) u. A. sind wir über diesen von Lenau besungenen Blutzeugen der Wahrheit genauer unterrichtet. – D.

 


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