Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Vom Einfluß der Regierung auf die Wissenschaften und der Wissenschaften auf die Regierung.

1780.Zuerst erschienen als Separatdruck unter dem Haupttitel: »Dissertation sur l'influence des Sciences sur le Gouvernement et du Gouvernement sur les Sciences; qui a remporté le prix exposé par l'Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres pour l'année MDCCLXXIX. A Berlin, Chez George Jacques Decker, Imprimeur du Roi. MDCCLXXX.« Der zweite Titel lautet wie oben. Die Akademie hatte am 3. Juli 1779 die Preisaufgabe gestellt: »Quelle a été l'influence du Gouvernement sur les Lettres chez les Nations où elles ont fleuri? Et quelle a été l'influence des Lettres sur le Gouvernement?« Die Arbeiten mußten am 1. Januar 1780 eingeliefert sein. Der Preis ward in der Sitzung vom 1. Juni 1780 ertheilt. Vgl. den Brief von Herder's Gattin an Gleim vom 8. Januar 1781. – D.

In magnis voluisse sat est.Prop., II. 8. 10, wo aber noch et vor voluisse steht. – D.

Erste Frage.
Inwiefern und auf welche Art hat die Regierung auf Wissenschaften gewirkt bei den Völkern, wo diese blühten?

 

Es ist ausgemacht, daß nicht alle Wissenschaften zu jeder Zeit, unter jedem Volk und Klima geblüht haben; nur hie und da und jetzt und dann und meistens immer nur auf kurze Zeit ward ihr edelster Geist sichtbar. Das Licht der Wissenschaften hat nur einen schmalen Streif der Erde und auch ihn nur farben- und periodenweise berührt.

Woher nun diese Seltenheit und schnelle Abwechslung? Durchs Klima? Die Länder, wo die Wissenschaften blühten und verblühten, veränderten ihr Klima nicht oder wenig; Aegypten, Rom, Griechenland liegen, wo sie lagen, und wie anders ist ihre Verfassung an Literatur, Wissenschaften und Künsten, als sie ehemals war! Frankreich, England, Deutschland, Schweden haben sich seit Cäsar's und Tacitus' Zeiten durch Anbau und Aushauung der Wälder gewiß nicht dahin verändern können, wohin sie verändert sind. Auch der Stammcharakter eines Volks kann nicht die Ursache solcher Veränderungen sein; denn jener bleibt: er ist an Griechen, Römern, Galliern und Deutschen noch nach alten Zeiten kenntlich; Fähigkeiten und Geist sind dieselben und ihre Productionen und Früchte doch so verschieden. Kurz, warum wollen wir theilen, was die Natur verband? Klima mag immer das Erdreich sein, in dem der Same der Wissenschaft wächst, wo er hie und da besser gedeiht; Nationalcharakter mag die Art des Samens näher bestimmen, der in solcher und solcher Gestalt hie und da fortkommt: die politische Verfassung eines Volks im weitesten Verstande, seine Gesetze, Regierung, Sitten, bürgerliche Schicksale sind ohne Zweifel die nähere Bearbeitung des Ackers, die Aussaat des Samens und zugleich die Himmelswitterung im weitesten Sinne des Worts, ohne die nichts aufgehen, nichts gedeihen kann. Gerade mit ihr, wie die Geschichte der Welt zeigt, hat sich der Geist und die Blüthe der Wissenschaften verändert.

So allgemein gesagt, ist das Factum ziemlich bekannt und unleugbar; aber nun näher betrachtet, was war's eigentlich in der politischen Verfassung eines Volks, in seiner Gesetzgebung und Regierung, das die Wissenschaften förderte und zum Flor brachte? War's in allen Regierungen, unter allen Völkern, zu allen Zeiten dasselbe? für alle Wissenschaften dasselbe? Oder hat jede Wissenschaft etwa ihre Regierung, ihre Zeit, ihre Lieblingsstelle, wo sie am Schönsten gedeiht? Kommen in der Geschichte diese Fälle wieder, oder ist Alles nur einzeln gewesen und jede Wissenschaft wie jeder sonderbare Zeitpunkt der Regierung hat nur einmal existirt? Lassen sich allgemeine Grundsätze finden, wie gewisse Arten der Regierung sich zu Arten der Wissenschaft und Zeitpunkte der Regierung zu Zeitpunkten der Wissenschaft verhalten? oder ist in der Geschichte des menschlichen Geistes und Volks Alles ein Wald, ein Chaos? Da dies nicht zu vermuthen ist, lassen sich obige Gesetze und Bemerkungen auch anwenden? Kann man Zeiten, Wissenschaften, Künste wiederbringen, die nicht mehr sind? und welche Wissenschaften werden von unserem Zeitgeist der Regierung und Bedürfnisse des Staats genährt? Wie stehen wir darin gegen die Alten? haben wir gewonnen oder verloren? und was haben wir für die Zukunft, nachdem sich jetzt die politischen Räder des Schicksals drehen, für die Wissenschaften zu hoffen oder zu fürchten? Ich fühle innig die Verflochtenheit, Feinheit, Tiefe und Umfang dieser Fragen; sie sind der Knote, der die politische Geschichte mit der Geschichte der Wissenschaften, das Reich des Unsichtbaren menschlicher Kräfte mit der ganzen Sichtbarkeit seiner Anlässe, Triebfedern, Hindernisse, Veränderungen u. dergl. aufs Sonderbarste und in jedem Zeitraum auf eine so eigene Art verwebt, daß vielleicht nirgend die Allmacht und Ohnmacht menschlicher Bemühungen sichtbarer wird als in diesem so mühsamen, weiten und verflochtenen Gange. Indessen In magnis voluisse sat est! ist der Wahlspruch so meiner Geschichte als meiner Betrachtung. Die königliche Akademie kennt die Schwierigkeiten der Aufgabe besser, als ich sie kenne, und doch gab sie die Frage auf. Sie erwartet die Antwort eines Menschen, nicht den Aufschluß des Genius der Wissenschaften und der mancherlei Regierungen der Völker.

 

1.
Vom Einfluß des väterlichen Regiments auf den Keim der Wissenschaften.

Wo keine Regierung ist, findet auch keine Wissenschaft statt; wir können den Satz kühnlich annehmen, ob es gleich keine Beweise davon in der Geschichte giebt. Das Menschengeschlecht ist nie ohne Regierung gewesen; diese ist ihm so natürlich als sein Ursprung, als die Zusammenkettung seiner Glieder in Geschlechter; wo Geschlecht ist, ist sogleich Regierung da. Auch Völker, die eigentliche Wissenschaft nicht haben, Regierung haben sie immer, obwol unvollkommene Regierung; selbst Menschen, die unter die Thiere gerathen, lernen die Künste, Sitten und Lebensweise der Thierart, deren Mitbürger sie wurden, die sie ernährte und auferzog.

Von utopischen Träumen also hinweg, sehen wir auf die Geschichte der Regierung des menschlichen Geschlechts, wie sie ist, wie sie sein mußte. Der Mensch wird von Vater und Mutter, also im Schooß der Gesellschaft, unter der mildesten Regierung geboren, die ihm seine Schwachheit nothwendig macht, und von der er den Keim der Wissenschaft auf die leichteste, natürlichste Weise ererbt bekommt. Er lernt Sprache von seinen Eltern, und mit der Sprache empfängt er Kenntnisse, Nachrichten, Gesetze, Rechte. Die Begriffe seines Vaters, die Lehren seiner Mutter gehen in ihn mit der Milch, mit dem Anblick täglicher Gewohnheit, mit Uebungen und Jugendspielen über; und da kein Ansehen über väterliches Ansehen, keine Weisheit über Vaterweisheit, keine Güte über Elterngüte geht, mithin diese kleine Regierung die vollkommenste ist, die gefunden werden kann, so sind auch die Eindrücke davon sehr tief in den Herzen der Kinder und Kindeskinder, zumal in den Zeiten der Unschuld und frühen Einfalt. Sage der Väter war immer der Urquell aller Weisheit; ihr Urtheil, ihre Sprüche waren der höchste Beweis, über den nichts hinausging, wie das alte Buch Hiob in trefflichen Exempeln weist. Der Vater erbte seinen Schatz von Erfahrung, Naturkenntnissen, Unterricht, Lehre durch Tradition hinunter; dieser ward wie ein Heiligthum angenommen, vermehrt oder verfälscht. Die ältesten Proben und Keime menschlicher Wissenschaft sind Worte, bedeutende, mächtige Sprüche und Sprichwörter, sittliche Gebräuche, Weisheit- und Lebensregeln, meistens auf eine künstliche Weise dem Gedächtniß zur ewigen Erinnerung gesagt; sodann Fabeln, Geschlechtsregister, Lieder von Thaten, von Tugenden, Sitten der Väter, ihr Segen, ihre letzten Worte, Weissagungen, die über dem Geschlecht schweben, die ihm sein Glück, seine Zukunft prophezeihen – lauter Abdrücke der ersten, väterlichen Regierung. Selbst die Religion nahm diese Gestalt an. Der Vater der Menschen ward dieses Geschlechts Vater; der Gott ihrer Väter erschien gleichsam in der ersten, freundlichen Gestalt derselben, ihre Hütte ward Tempel, ihr Tisch Altar, Vater und Erstgeborner die Priester desselben. Alle ältesten Religionen sind voll solcher Geschlechts-, Vater- und Kindeszüge, und wie konnte den Menschen, was ihnen so nöthig war, Wissenschaft, Weisheit, Sitte, Religion, Tugend, sanfter empfohlen und angebildet werden als durch diese zarten Bande der väterlichen Regierung! hier bildete, hier lehrte Alles. Die erste Gesetzgebung war Natur, der erste Gehorsam zu lernen Erbtheil, Erziehung, Wohlthat.

Nachdem diese väterliche Hütte Stand, Gegend, Lebensweise, Geschäfte, Erfahrung hatte, nachdem war auch der Keim der Wissenschaft, den sie gab und forterbte. Ist die Gegend um sie her ein Garte der Natur, auf der ihre Kinder wie Lämmer auf der Aue umherspielen; ist ihr Klima, ihr Geschäft, ihr Blut leicht, ihr Leben angenehm, ihre Sitten gefällig: die ersten Sprossen ihres Geistes werden Blumen, werden Früchte hiernach zeigen. Eine Schäferaue giebt Schäferlieder, ein Tempe, ein Arkadien lockt einen Apollo vom Himmel herunter. Geschwister, die sich lieben, Braut und Bräutigam, die liebend um einander dienen, schöne Scenen der Natur, schönere Scenen des Herzens und der ungekünstelten Empfindung geben Idyllen, Liebesgesänge, Unschulderzählungen, Schäferpsalmen, eine Mythologie voll Hirtenweisheit. Ueberall in der Welt, wo es Flecken und Winkel von so glücklicher Verfassung giebt, sieht man auch die Blumen derselben, oft nahe dem Scepter des ärgsten Despotismus, gedeihen. Sicilien war von je her das Land der Idylle, was auch in den Städten für eine Regierung herrschte; Irland bis auf die Zeiten der Eroberung das Land der Schäferlieder, das beinah keine anderen Denkmale seiner Vorfahren kannte; der Hirt in Spanien, mit Armuth und seiner schönen Wüste vergnügt, singt und weiß nichts vom Druck und dem Gewühl der Städte; selbst in der Türkei und dem heißen Afrika giebt's viele solcher schönen Flecke, die, dem Despotismus der Bassen fern, in ihrer Wüste wie glückliche Inseln im Meer liegen und, wo nicht Früchte, so doch Blumen solcher Art tragen – Blumen, die bei ihnen Natur sind, in den Schulen aber und im Nebel der Städte Kunst, oft sehr entweihte, gemißbrauchte Kunst werden. Der Blumenstrauß solcher Empfindungen und Sprache entfärbt sich und verwelkt, wo ihn nicht mehr Athem der Natur anweht; zuletzt schiebt man bunte Papierblumen, wohlgeätzt und wohlgebunden, an seine Stelle, aber ohne alle Kraft und Wirkung. Alles mag die Kunst schaffen können, nur nicht Natur; die Naturstücke dieser Art aus dem ersten frühen Alter der Welt voll Kindereinfalt und Hirtenunschuld und Jungfrauenschöne werden die einzigen solcher Art bleiben, bis etwa wieder solche Zeit kommt.

Steht die väterliche Hütte nicht auf so glücklichem Grunde, der Lebensunterhalt wird ihr schwer, das Klima ist rauh und wüste, sie ist mit Gefahren umringt, muß streiten, muß jagen, muß wandern: sofort nehmen ihre Kenntnisse, ihre Gesinnungen andern Weg, der Ausdruck derselben bekommt andere Farbe. Treten viele Geschlechter und Stämme zusammen, so wird ein Khan, ein Sultan, ein Anführer, der zuerst gemeinschaftlicher Vater ist und, wo es nicht Umstände hindern, mit der Zeit ein eigenmächtiger Beherrscher wird. Wir betrachten ihn jetzt nur im ersten Falle, so lange Noth die Seinen wachend erhält, daß er nur Vater, nur Anführer bleibe. Mithin ist seine Horde entweder im Kriege oder im Frieden; hiernach und nach dem Zustande, den Gesinnungen, der Verfassung und Lebensweise in beiden formen sich auch ihre Ideen und Lieder. Die Araber, die ihre Wüste zwingt, ein Volk in Stämmen und frei zu bleiben, haben Jahrtausende durch ihren Charakter, ihre Sprache, ihre Religion und Dichtkunst erhalten. Letztere ist gerade das, was ihre Verfassung will und ihr zu sein gebietet: Geschlechtsregister, Ruhm des Stammes, Sage der Väter, Lehre der Weisheit in Bildern, in Räthseln, im Sprichwort, Gesang der Tapferkeit, der Rache und Stammesfreundschaft, Abenteuer in Muth und Liebe, wunderbare Erzählungen, die ihre Wüste und Einsamkeit, ihr Hin- und Herziehen, ihre Entfernung von einander, ihr Geschäft, ihre Lebensart so sehr begünstigt. Es ist wunderbar und fremde, wenn ein gelehrtes, sitzendes Volk aus lieber Muße und Langerweile ihnen hierin nachahmen oder zuvorkommen will, da weder von außen noch von innen etwas in ihm diese »Stammeswissenschaft und Dichtkunst« will oder fördert.

Die Sprache der nordischen Jagdnationen, die ebenfalls ihr Klima in solchem Zustande festhält, ist bekannt gnug in ihren Gesängen und Reden, und nicht minder mit ihrer Verfassung einig. Was kann in ihr gedeihen als Kriegestanz und Blutgesang, Wort des Führers und Heldenlied der Väter? Vielleicht waren die Gesänge der alten Deutschen ihnen ähnlich, so wie die Seele aller ziehenden Streitnationen in solchen Liedern gelebt hat. Die nordischen Völker, zu Lande oder auf Schiffen kämpfend, wußten von keiner andern Literatur als von Abenteuern des Muths und der Liebe. Sie mögen viel oder wenig von Ausländern angenommen haben, der Stamm ihrer Dichtkunst und Mythologie liegt in ihrer Verfassung, in ihren Sitten, in ihrer Regierung. Selbst die celtische Poesie, so zart und fein sie ist (vielleicht durch Macpherson geworden), ist hievon Zeuge; sie ist Poesie der Stämme, der Geschlechter. Ihr Fingal ist Held und Anführer, aber auch Liebhaber, Bräutigam, Gemahl, Freund, Vater; Ossian ist Krieger, aber auch Sohn des edeln Fingal's und in dieser Beziehung eben der Lobsänger seines Vaters, seiner Freunde, seiner Brüder, seiner Söhne. Die Poesie des Stammes, und zwar solcher kleinen schottischen Stämme, kann kaum in ein schöneres Licht gesetzt und die Situationen derselben ungeschmückter, natürlicher, reicher behandelt werden, als in diesen Gesängen (sie mögen alt oder neu sein) geschehen ist. Sie sind die Blüthe solcher Verfassung, solches Lebens von seiner schönen Seite, und es ist elendes Nachgesinge, wenn wir in unsern Städten und Häusern Ossiane sein und Fingals, Shilriks und VinvelasVgl. Ossian's Lied »Carricthura«. – D. singen wollen, wie sie dort waren und   nicht mehr sind.

Wo in der Verfassung die Zeit solcher Abenteuer, Stamm- und Ritterzüge wiederkehrte, kehrte ihr Abdruck in den Wissenschaften, zumal den Gesängen, wieder; ich darf nur an die Zeiten der Troubadours, der Provençalen und anderer Sänger ihrer Art erinnern. Einzelne Feldzüge, Fehden, Abenteuer lebten damals in Waffen und in der Liebe; der Abdruck davon war auch ihr Gesang, und die ersten Heldendichter Italiens haben aus dieser Quelle geschöpft. Würde Dante seinen Himmel, Hölle und Fegfeuer wol durchwandert haben, wenn er darin nicht seine Geliebte, seine Freunde und Feinde, die Feinde seines Geschlechts, die Familien seiner Vaterstadt hätte finden wollen? Io mi son un, konnte er sagen,

            che quando
Amore (odio) spira, noto e a quel modo
Che detta dentro, vo significando;
Purgatorio, Canto XXIV. 57–59. – D.

in solchem Geist der Zeit und der Verfassung ward Virgil sein Führer. Liebte Petrarca seine Laura, sein Vaucluse nicht wie ein ziehender Araber seine Selima und seine schöne Wüste? Pulci, Ariost, Scandiano nützten die Reste des Abenteuer- und Rittergeistes, schöpften aus Novellen und Sagen, die damals noch im Munde des Volks oder im Andenken der Erinnerung waren; sie lebten im Lande kleiner Staaten, berühmter Familien, Häuser und Personen, die einst so viel Zwiste gehabt, so viel Abenteuer und Wunder verübt hatten; der Geist dieser Verfassung war ihre Muse. Ja, was säume ich an diesen späten, schwächeren Nachbildern der Stammes-, der Geschlechts-, der Helden- und Vätersage? Der erste und größte Heldendichter der Welt, Homer, sang er nicht den Geist seiner Väter und ihrer Verfassung und Stämme und Thaten? Homer, hätte er in einem despotischen Lande gelebt, wo Alles Sultan oder Sclave, wunderbar oder verhüllt ist, hätte er singen können, wie er sang? Jetzt singt er ein versammeltes Griechenland, eine Aristokratie von Königen und Helden, zu einem gemeinschaftlichen Abenteuer versammelt. Der Ruhm seines Stammes, seiner Helden, ihrer Völker und Geschlechte ist vor ihm, und er zeichnet jeden und jedes frei und rein und unverhüllt nach dem Maße, wie es wirken soll; hiernach ist Wind und Welle, Roß und Mann, Gott und Göttin gewählt und geordnet. Sein Ulysses ist ein Abenteurer zu Schiff, wie sein Agamemnon und Achilles, Hektor und Paris zu Lande. Die griechischen Dichter vor ihm haben alle aus diesem Quell des Nationalruhms, der Geschlechts- und Stammessage geschöpft; ihre beste, auch spätere Dichtkunst ist daraus erwachsen, ihre Mythologie darnach verkleidet. Die ältesten Proben griechischer Weisheit waren, wie überall, Gesänge der Vorwelt, Thaten und Sprüche der Väter; auch in spätern Zeiten bedienten ihre Gesetzgeber sich dieses Mittels zur Bildung und wurden gleichsam ihrer Vaterstadt Väter. Kurz, die ersten Keime der Wissenschaft, die wir jetzt schon in sehr verwickelte Zustände verfolgt haben, wurden überall auf gleiche Weise gebaut und fortgepflanzt, nämlich durch Geschlechtsbildung, Stammesehre und väterliche Regierung. Hier durfte noch kein Gold, kein Zwang, keine Belohnung wecken; die Luft, worin man lebte, das ganze Medium der Verfassung, Erziehung, der Begriffe und Zwecke, in denen, für die man lebte, sie weckte den natürlichen Ausdruck, der an ihr hing, das Geschlechtslied, die Lehre, die Helden- und Liebessage. Diese waren nichts als der Schall, der aus solchem Zusammentreffen entstand, der elektrische Funke, der sichtbar wurde.

 

2.
Vom Einfluß der despotischen Regierung in die Wissenschaften.

Es scheint, die Natur habe den Zustand väterlicher Regierung nur als Einleitung ins menschliche Leben, als sanfte Vorbereitung verordnet, den Menschen zu härtern Zuständen und mehrerer Wirksamkeit zu gewöhnen. Bald fallen Stämme zusammen; so wird durch Stolz oder Güte ein Allgemeinvater, ein Allgemeinherrscher. Es wird ein Ehrgeiziger geboren, der unbewehrte Hirten jetzt selbst als Schafe vor sich treibt und Kinder allmählich als Sclaven behandelt. Verblendet von seinen Talenten, seiner Uebermacht und Größe, gewöhnt man sich, sein Joch zu tragen, mit der Zeit auch es zu küssen und mit Blumen zu umwinden; aus dem Menschen wird ein Gott, aus dem Vater ein Sultan.

Aller Despotismus des Orients, wo er aus vielen Ursachen recht zu Hause ist, hat darin etwas Göttliches, daß sein Wille als Gebot des Schicksals verehrt wird und dem Sultan immer ein Mufti zur Seite steht. Die Hauptwissenschaft eines solchen Staats muß also gewissermaßen immer Theologie, sein Hauptbuch ein Koran werden, neben dem eigentlich kein anderes aufkommen darf und soll. Der Iman deutet's, und zwar mündlich; der Kadi führt's mit schneller Gewalt aus; zu disputiren gilt hier nicht, noch weniger zu philosophiren; es sind Aussprüche Gottes und seiner Gesandten. Was soll Staatskunst, Philosophie der Gesetzgebung unter einem Sultan? Die zarte Pflanze kann unter dem drückenden, schwarzen Baum nicht gedeihen; der Sultan ist Gott, sein Wille Gesetz, sein Wort Tod und Leben. Was soll feine, neue, ergrübelte Kriegskunst, die nicht etwa von den Vätern geerbt ist? Glück und Unglück kommt aus den Händen des Schicksals und rauscht in der Fahne des Propheten. Selbst die Arzneikunst, wo sie nicht väterliches Gebot war, ist unmächtig; Leben und Tod kommt aus der Hand Gottes, und Islamismus, Ergebung in seinen Willen, ist Hauptwissenschaft und Weisheit. Ist diese mit Muth, Entschluß, Klugheit, Kühnheit, Glück verbunden, wie weit kann sie führen! zu welchem Reichthum! zu welcher Höhe! aber auch zu ebenso schnellem Fall. Alles Aeußerste grenzt hier zusammen, Höhe und Tiefe, Muth und Feigheit, Alles und Nichts. Kein Mittelstand, keine Dauer, und also auch nichts von den Pflanzen, die diesen Stand, diese Dauer, diese ruhige Pflege und Wartung fordern, wie's doch die meisten Wissenschaften sind. Was nicht lautester Hymnus ist, wird die versteckteste Räthselweisheit; was nicht als Gottes- und Königspflanze blüht, muß sich ein ruhiges Thal suchen, wo es für sich verborgen lebe und weder von drückendem Schatten noch brennender Sonnenhitze verzehrt werde.

Ich kenne unter spätern Schriften des Orients kein schöner Buch als das persische Rosenthal von Scheikh Saadi; es enthält, dünkt mich, die feinste Blüthe, die im Garten eines Sultans gedeihen kann.Vgl. Herder's Werke, VI. S. 89–160. – D. Seine Moral ist wahr, einfach, edel, fein eingekleidet und, wenn ich so sagen darf, mit göttlichem Ton menschlich. Sein Inhalt ist: »der Könige Gemüther und Sitten, der Derwische Art und Sitten, Resignation, Verschwiegenheit, Liebe und Jugend, Schwachheit und Alter, Kinderzucht und gute Sitten, Höflichkeit und Sprichwörter«. Mich dünkt, diese acht Capitel sind Hauptüberschriften von dem, was unter der sultanischen Regierung an Philosophie und Moral in Betracht kommt. Seine Vorrede fängt mit dem schönsten Hymnus auf Gott und mit Fabeln an, in denen seit den ältesten Zeiten die Morgenländer so einzig waren; sie endigt aber mit einer Dedication »an Abubekr, den Sohn Saadi, den König, der in der Welt der Schatte Gottes, König aller Könige, der Gewaltigste unter den Völkern, Beherrscher der Erde und des Meers, Erbe vom Reich Salomo« – und noch viel mehr ist; welche Dedication mit dem, was er sonst von seinen Lebensumständen anführt, Vieles in seinem Buch aufschließt. Wer in aller Welt den Hymnus, die Fabel, das Bild, das Sprichwort, die feinste Räthselweisheit u. dgl. suchen will, wird sie unter solcher Regierung finden. Hier blühn die gewürzreichsten Blumen unter den dicksten, breitesten Blättern; hier strebt die Ceder und der Palmbaum neben dem Dorn und Ysop empor, und um sie her ist weite Wüste.

Der reinste Despotismus sollte wol nach Absicht des Gesetzgebers die jüdische Theokratie werden; ihr Führer errettete sie ja eben aus dem Gluthofen der Dienstbarkeit Aegyptens und gab ihnen Gesetze gottesdienstlicher Verfassung, um sie künftig für Tyrannen und Pharaonen zu bewahren. Der Gott ihrer Väter ward König, der oberste Priester sollte sein erster Diener sein und das Volk Gottes Knechte und Kinder. Es ist nicht zum Ideal dieser Verfassung, mithin auch nicht zur Wirkung derselben gelangt; da indessen der Plan Moses' doch nicht ganz verworfen werden konnte und selbst unter den Königen, die durch ihn nicht eben aufkommen sollten, Stückwerk bleiben mußte, so sehen wir noch immer einige gute Folgen jener alten theokratischen Gebote, insonderheit auch auf Regierung und Wissenschaften. Auch der König sollte nur Vater des Volks und an der Stelle Gottes da sein; der lauteste Psalm besang nur Lob Gottes in seinem Lobe. Sprüche und Sittenlehren, selbst wenn sie aus dem Munde des reichsten, prächtigsten, wollüstigsten Königs flossen, mußten sich in »Furcht Gottes«, als »Anfang der Weisheit«,Psalm 111, 10; Sprüche Salomonis 1, 7. – D. kleiden und diese als das Ende aller menschlichen Betrachtung und Umsuchung zeigen. In den Zeiten des Verfalls konnten noch immer Propheten sein, die nach dem Gesetzbuch der Nation gegen ihren Despoten sprachen, wie Israel's König sein sollte. Aus dem Munde Gottes nahmen sie Segen und Fluch und hielten wenigstens die Augen des Volks wachsam über das, was recht und gut und erlaubt sei. Ihre Prophezeihung vertrat die Stelle der Staatsweisheit, wo in einigen verwickelten Fällen der Erfolg es gnugsam zeigte, wie übel es ging, wenn man davon wich. Kurz, der großen Seele des Moses, seiner Gesetzgebung und seinem Bunde haben wir eine Reihe der folgenden trefflichen Schriften in Dichtkunst, Geschichte, Lehre und Weisheit zu danken, die kein anderes Volk besaß. Propheten, Weise, Lehrer des Volks, Priester, selbst die guten Könige gingen auf seiner Spur; sein theokratisches Gesetzbuch ward die erste Vormauer gegen Gräuel der Abgötterei, Unmenschlichkeit und Unterdrückung sowie eine Pflanzschule reiner Begriffe von Gott, edler Hymnen, Psalmen, Anmahnungen und Lehren.Vgl. oben S. 13. – D. Wie glücklich, wenn's ganz in Erfüllung gegangen wäre! Nun waren viele ihrer Könige trotz des Gesetzbuchs schwache Despoten, kleine Tyrannen, und der Staat ging durch den Contrast solcher Grundsätze und Verfassung nothwendig um so eher unter.

Von der Regierung sowol als den Wissenschaften der Chaldäer, Aegypter und anderer alten monarchischen Völker wissen wir zu wenig, als daß wir davon urtheilen könnten. Bei beiden Nationen waren Wissenschaften und Künste erblich; ihr Gutes scheint sich also nach Vaterart herabgeerbt zu haben, wovon wir im vorigen Abschnitt geredet, und sofern hing's nicht vom Monarchen ab. Zudem stand bei den Aegyptern der Priesterstand, der die Wissenschaften besaß und verwahrte, dem Könige nah zur Seite, schränkte ihn zuweilen selbst ein und hing wenigstens nicht von ihm ab; wenn also auch hinter seinen heiligen Wissenschaften viel gewesen sein sollte, so war's altes Priestererbtheil, und der Thron war daran unschuldig. So auch mit der Polizei der Aegypter und ihrer gepriesenen Eintheilung des Landes. War sie, wie man sie preist, so ist sie kein Werk des Despoten, sondern des Vaters, der jedem seiner Kinder das Seine giebt und dafür wacht, daß es ihm erhalten werde; die Künste also, die hieraus entstanden, wurden abermals aus einer gerechten väterlichen Regierung. Drittens endlich, wozu man den Despotismus braucht, Städte zu bauen, Pyramiden, Obelisken, Kolosse, Labyrinthe zu errichten, wahrlich, dies trägt auch sein Gepräge an sich! Wozu diese ungeheuern Massen? zu welchem Nutzen des Landes? Ihr sprecht: »Zum Ruhm der Monarchen«; aber welcher Monarchen? wer nennt sie? wer kennt ihre Namen? wer nennt sie anders als Namen der Unterdrücker, die ihre Unterthanen zu nichts Besserem zu brauchen wußten und selbst dabei nichts thaten? Oder »bauten sie daran ihre Gräber?« und wer liegt darunter? und kann ein ellenlanger Despot nirgend als unter einer Pyramide liegen?Vgl. Herder's Werke, XV. S. 180. – D. Kurz, die älteste Geschichte Aegyptens ist zu ungewiß, als daß ich mir darüber etwas zu sagen getraue. Mit den Mauern der Semiramis, dem Schutte Persepolis', den Riesenwerken Indiens und China's ist's desgleichen. So viel man China rühmt, so sichtbar wird's aus Allem, was man sagt: das gerühmte Gute kommt nur von den Gesetzen und der Vorsicht ältester väterlicher Regierung; wo diese aufhört und der Despotismus anfängt, stockt alles Gute. Sprache, Gesetze, Wissenschaften, Künste bleiben Jahrtausende dieselben; sie können und wollen nicht fort, sie sind eingemauert und einbalsamirt in – alte Gewohnheit.

Ueberhaupt ist wol der entschiedenste Einfluß, mit dem sich Despotismus auf die Wissenschaften äußert, Pracht, Uebermaß, kolossalische Größe, Willkür. Was diese nährt, in Gedanken wie in der Baukunst, in Anordnungen wie in Festen, das wird beliebt, das hat Beifall. Alles soll ungemein, wunderbar, übernatürlich sein und verliert daher meistens sein Maß zum Staat und zur Glückseligkeit der Menschen. Auch wie in spätern Zeiten in Occident der Despotismus theilweise und in seinen Larven wiedergekehrt ist, hat er eben diese Wirkung bewiesen. Papst oder Sultan, Schach oder Kaiser – die Hymnen finden sich immer wieder, nur nach dem Geschmack des Zeitalters gekleidet. Die Legenden und Chroniken der Mönche unter dem Joch des Aberglaubens haben so viel Wunderbares als die Geschichte Tamerlan's, Afrasiab's, Rustem's. Die Zeiten des Lehnrechts, da Alles Herr und Sclave war, kleiden sich natürlich in die Zaubereien der Ritter und Riesen, die mit Lindwürmern und Drachen streiten. Ludwig's Despotismus liebte die Pracht und Alles, was diese nährte in Wissenschaften und Künsten. Der Charakter einzelner Menschen, die die Wissenschaften bauen, beweist selbst dies Verhältniß: es giebt einen Despotismus des Geschmacks wie der Regierung, der Gedanken sowol als der Gesetze und Sitten; und meistens ist derselbe mit Pracht, kolossalischer Größe und Uebermaß begleitet. Die Regierung, unter der allein Natur, rechtes Maß und Verhältniß stattfindet, ist – Freiheit.

 

3.
Vom Einfluß freier Gesetzgebungen auf Wissenschaften und Künste.

So sehr Homer die Monarchie preist, so sehr zeigt er sich zugleich als Sänger und Boten der Freiheit. Nichts ist in ihm verhüllt, unbegreiflich und riesenförmig, als was so sein mußte; Alles hat Maß, Stelle, Kenntlichkeit und Charakter, selbst sein Wunderbares ist menschlich, seine Wiederholungen süß und kindlich. Der schöne Umriß, der glückliche griechische Blick in Bezeichnung seiner Helden, die Weisheit und Menschlichkeit, mit der er auch rohe Leidenschaften und Scenen mildert, sie charakterisiren nicht den Sclavendiener, sondern den Sänger der Natur, der Menschlichkeit und Freiheit. Griechenland war das erste Land der Welt, das sich von seinen kleinen Tyrannen allmählich losriß und mit einer neuen Regierung auch neue Wissenschaften und Künste sichtbar machte.

Lykurgus zog die Seinen zu einem strengen Grundsatz, der Aufopferung und Liebe zum Vaterlande, zusammen; in diesem Raum mußten auch die Wissenschaften bleiben; hiernach formte sich selbst die Sprache des Lakonismus. Reichthum, Schauspiele, üppige Verse waren verschwunden; unnütze Redner, Sophisten und Schwätzer verbannten sich selbst, sie fanden keine Luft in Sparta. Kriegskunst war ihre Wissenschaft und Uebung, die Flöte war ihr Instrument und Tyrtäus ihr Dichter. Sparta ist das stärkste Beispiel, wie sehr ein Staat die Wissenschaften wählen, modeln und im Zaum halten muß, ja, auch im Zaum halten kann; denn welch ein Gegenbild gegen Athen war Sparta! Und doch war's vielleicht Lykurgus, der in Asien Homer's Rhapsodien gesammelt und den Griechen gegeben;Nach Ael. V. H., XIII. 13. Daß er sie nicht nach Sparta gebracht habe, ist durchaus unglaublich. – D. seinem Sparta gab er ihn nicht, wenigstens nicht als Muster.

Ganz einen andern Weg ging Solon, der Reichthümer mit Freiheit, Ueppigkeit mit Vaterlandsliebe zu paaren suchte, den Vornehmen die Berathschlagung, dem Volk die Entscheidung überließ und seine Republik also, wie Aristophanes sagt,Equit. 1098. 1099, wo freilich des Solon nicht gedacht wird. – D. zu einem Greise machte, der zu Hause klug, öffentlich kindisch war, oder, wie wir sagen wollen, der für sich weise sein konnte, öffentlich aber anständig, schön, beredt sein mußte. Nothwendig weckte Solon mit dieser Verfassung Alles auf, was man Volkswissenschaft nennen konnte: Rednerei, Poesie, Philosophie, Künste. Rednerei; denn der Redner war Demagog, und der Staat selbst unterhielt Redner. Ueber alle öffentliche Geschäfte, die fürs Volk kamen, ward geredet und nach dem Moment des Eindrucks die Sache entschieden. Welch ein Feld war dies für die Beredsamkeit! welche Schule! Ueber Geschäfte, Expeditionen, Wohl und Weh des Staats ward geredet, nicht über Worte. Zur jetzigen Entscheidung, nicht zum Vergessen und Ueberhören, im Ernst, nicht aus alter Gewohnheit und im Scherze. Der Redner sprach an sein Volk, einen Kreis, den er kannte, nicht für Fremdlinge und Despoten, ans Atheniensische Volk, eine Menge, die durch Poesie, Lieder, Künste, Schauspiele in der feinsten Sprache der Welt gebildet ward, nicht für Scythen und Longobarden. Ist's möglich, daß man eine Beredsamkeit, einen Rednerkreis, eine politische Verfassung zu reden, die römische einigermaßen ausgenommen, mit dieser vergleiche und insonderheit Dinge mit ihr vergleiche, die von der disparatesten Art sind: Reden und Complimente vor Despoten, Geschwätz an ein Volk, das kein Volk ist, über Materien, die keine Materien sind, ohne Zweck, ohne Absicht? Schafft uns ein Athen her, die Demosthenes und Perikles werden von selbst werden.

Ebenso war's mit dem Theater der Griechen; es diente der Demokratie wie die Rede. Das Volk sollte über Freiheit geschmeichelt werden, und so ward die Tragödie Tyrannenwürgerin, Rednerin der Freiheit. Es sollte, an alten Helden und ihren Thaten und Schicksalen genährt, gebildet, seine griechischen Vorzüge und Stammesherrlichkeit fühlen; darum lebten diese ihre Geschlechtssagen so prächtig auf der Bühne. Als Religionsfeierlichkeit war sie entstanden, in Kurzem ward sie Bedürfniß des müssigen, nach Ergetzung dürstenden Staats. Handel und Wohlstand blühten in Athen und sollten nach dem Plan des Stifters darin blühen; mithin zogen alle Lustbarkeiten, Musen und Grazien ein, die gebornen Liebhaber der Musik, des Tanzes, des Gesangs, der Freude zu vergnügen. Ob Solon gleich, der selbst ein Dichter war, sich über das erste Schauspiel, das er sah, unwillig bezeigte und seine übeln Folgen prophezeihte, so lag doch der Grund davon in seiner Verfassung und in der Natur des Volks. Ein Atheniensisches Theater kann eher nicht als unter ähnlichen Umständen wieder werden.

Die Philosophie der Griechen sproßte im Umgange, in Kreisen attischer Gesellschaft und hing mit ihrer Rednerei, Sophistik, Staatskunst, Poesie und Declamation nahe zusammen. Bekanntermaßen führte insonderheit Sokrates die Weisheit der Redner, Poeten und Sophisten seiner Zeit von ihrer Höhe herunter; sein Genius der Ironie und guten Gesprächslaune entkleidete die Bühne von ihrem Panzerschmuck, die Redner von ihrem Geschwätz, die Sophisten von ihrer falschen Staatsweisheit, um das Volk, die Kreise von Jünglingen, die Häuser, in denen er sprach, wahre Volks- und Lebensweisheit finden zu lehren. Solch ein Sokrates gehörte freilich nur für Athen, wo das Volk auf so etwas zubereitet und solcher Gespräche empfängig war. Unsere Gesellschaften hieße es beschimpfen, wenn man in ihnen und über solche Materien Sokratisch fragte. Darum glückt uns auch der Ton solcher Gespräche in Büchern selten, weil er uns im gemeinen Leben so fremd ist. So viel Sokratische Vernunft in so weniger Zeit, unter so wenigen Personen, auf eine so leichte, natürliche Weise! Dafür wollen wir lieber Beweise, freche Urtheile, Declamationen; da, glaubt man, habe man doch etwas! Freilich machte die griechische, zumal Atheniensische Leichtigkeit auch, daß Alles zu bald in leeres Geschwätz von System und Wortkram überging. Die Philosophen wurden Worttrödler, Sophisten leerer Systeme, und es ist Eigensinn des Schicksals und der unglücklichen Andacht gegen Griechen und Alterthümer, daß wir in manchen ihrer Worte unendlich mehr gefunden haben, als sie wahrscheinlich selbst hineinlegten. Vieles von ihrer Philosophie war Hypothese des Gesprächs, Griechenweisheit.

Da die Geschichte eines Volks Abdruck seiner Sinnesart und Regierung ist, so ist's auch die Beschreibung dieser Geschichte; Athen's Verfassung konnte also gewiß die besten Geschichtschreiber liefern. Xenophon und Thucydides waren selbst Feldherren, Männer von Geschäften; nur solche können vom Kriege und von Staatsgeschäften schreiben. In Athen lag Alles nahe zusammen, Philosophie und öffentliche Wirksamkeit, Redekunst und Grammatik; ein Geist war's also, ein und derselbe Atticismus, der ihnen die silberhelle Klarheit oder die goldne Würde ihres Stils, ihrer Reden, ihrer Reflexionen verlieh und die verschiedensten Talente mit größter Einfalt zu einigen wußte. Auch in den spätern Zeiten waren's Staats- oder Kriegsleute, kurz, Männer von Geschäften, die die Geschichte wiederherstellten und den Xenophontischen Geist, Staat und Geschichte zu betrachten, hie und da erneuten. Glückliche Republik für die Wissenschaften, wo der Schüler Sokrates' zugleich Feldherr und Staatsmann war!

Ohne mich auf die übrigen Staaten Griechenlands einzulassen, kann ich nicht übergehen, was überhaupt die Menge und Verschiedenheit der wetteifernden Städte und Staaten Griechenlands auf die Wissenschaften wirkte. So viel Städte und Republiken, die einander nah durch Sprache, Ehre des griechischen Namens, zum Theil durch Stammesart und Verfassung mit einander verbunden waren, mußten nothwendig mehr oder minder wetteifern in dem, was Ruhm ihres Geschlechts hieß, und da dies (nebst der Kriegskunst und Macht im Kriege) Freiheit des Vaterlandes, Liebe zu den Wissenschaften und schönen Künsten hieß, so blieb wenigstens kein Staat den Musen völlig fremde. Man wetteiferte mit Statuen und Gebäuden, Schauspielen und Dichtern. Da die gemeinschaftlichen Spiele Griechenlands gewissermaßen alles Blühende und Edle zu sich versammelten, so stritt man daselbst in Mehrerem als den eigentlichen Kampfspielen. Da las Herodot seine Geschichte und erwarb sich einen Nacheiferer;Thucydides. – D. da stellten Künstler ihre Werke der Bewunderung des ganzen Griechenlandes aus. Die Spiele selbst gaben Gelegenheit zu Gesang und Künsten; den schönsten lyrischen Kranz, den ein Grieche getragen, hat gleichsam die gesammte Hand Griechenlands geflochten. So viel Städte, so viel Völker, so viel Sieger und ihre ewig ruhmwürdigen Geschlechter, so viel Götter und Helden, die mit diesen Geschlechtern verwebt waren, sind Blätter und Blumen dieses Kranzes. Wer giebt uns ein Olympia und seine Spiele und seine Siege und das dabei versammelte Griechenland und sein Interesse, seinen Ruhm, seine Sprache wieder? selbst ein dickes Thebe wird alsdann einen Pindar nicht versagen.Berüchtigt war die dicke Luft Böotiens; daraus leitete man die Rohheit her, die man besonders später den Böotiern mit großer Uebertreibung Schuld gab. – D.

Aus Allem, was gesagt ist, erhellt, daß Griechenlands eigenste Wissenschaften und Künste, in denen keine Zeit sie übertroffen hat, in denen sie jetzt über zweitausend Jahr alle Zeiten und Völker übertroffen haben, Töchter ihrer Gesetzgebung, ihrer politischen Verfassung, insonderheit der Freiheit, der Wirksamkeit zum gemeinen Besten, des allgemeinen Strebens und Miteifers gewesen. Ich schließe Nationalcharakter, Sprache, Klima, Lage, Zufälle der Geschichte und manches Andere nicht aus; Alles dies ward schon erfordert, die griechische Verfassung zu gründen, es floß mit ihr zusammen und stand ihr treulich bei. Indeß zeigt die Geschichte, daß, sobald Freiheit dahin war (Sprache, Klima, Genius des Volks, Fähigkeiten, Charakter blieben), so war der Geist der Wissenschaften wie verschwunden. Ihre Poesie war hin; das Theater ward leere Zeitkürzung des überwundenen, müssigen Volks. Demosthenes war ihre letzte Stimme der Freiheit, Aristoteles und Theophrast ihre letzten Philosophen. Jener wurde verbannt, nach Dieses Tode gar ein Gesetz gegeben, daß Niemand öffentlich mehr Philosophie lehren sollte ohne des Senats Erlaubniß, und sonach gewissermaßen alle Philosophie auf eine Zeit verbannt. Die Lehrer ihrer Wissenschaften wurden nun bald Grammatiker, Sophisten, Literatoren, und was an Wissenschaften jetzt nach Asien, nach Aegypten überging, kam dahin wie in fremdes Land eine verpflanzte Blume, der ihr Naturboden mangelt. Unter den Römern erhielt Athen seine Wissenschaften, aber nicht lebendig; es handelte mit ihnen wie mit Samenkörnern, zu denen der Verkäufer etwa das Recept des Gedeihens und Gebrauchs hat. Die wohlmeinendsten römischen Kaiser konnten in Griechenland kein Griechenland schaffen; die Freiheit, die sie Athen gaben, war Schatte, und die Wissenschaft und Rednerei, die daraus erwuchs, war Schatte des Schattens, nichts als der Nachhall besserer Zeiten. Der Berg Athos hat jetzo Mönche gnug, aber keine Redner, Dichter und Philosophen; die schönsten Trümmern aller Provinzen erwecken keinen Künstler im Geist der Alten. Warum nicht mehr? Die Luft, das Klima, die Bildung, der Charakter der Griechen ist derselbe, aber Verfassung, Regierung fehlt ihnen, ohne die sie nie sein können, was sie gewesen. Der Geist ist weg, der ihre Talente und Glieder belebte; Talente und Glieder sind todt.

Und wie belebte er diese? was war eigentlich die Art, wie griechische Regierungsform auf Talente, Wissenschaften, Künste wirkte? Ich kann nicht anders sagen, als durch sich selbst, dadurch, daß solche Regierungsform, solche Verfassung zu einer solchen Zeit existirte. Sehet diese Pflanze an, wie wächst sie? woher ihre Blüthe, ihr Gedeihen? Sie steht auf ihrem Boden, auf ihrer Naturstelle, Luft, Witterung, Jahrszeit ist ihr günstig, dies ist gnug. Was sie werden soll, liegt in ihr und wird sich schon durch innere Kraft hervortreiben. Boden und Luft reichen ihr Nahrung und Säfte, die Sonne Wärme, der Wind Bewegung; nun wird sie, was sie sein soll. Der Pflug macht die Erde nicht fett, wohlriechendes Wasser die Blume nicht blühend. Was wachsen soll, muß natürlich wachsen, und so die feinste Blume der Welt, Wissenschaft, Seelenfreiheit. Was Athen that, war, daß es seinen Poeten, Rednern, Philosophen Saft zuführte, durch seine Bewegung und Einrichtung ihr elektrisches Feuer in Bewegung setzte. Seine Akademie hieß Ruhm, Griechenname, Vaterland, Freiheit. So sang der Dichter, so sprach der Redner, so schrieb der Geschichtschreiber und Weise. Sie waren Griechen, sie waren Bürger, spotteten des Satrapen, verachteten den Barbaren, glaubten durch ihre Wissenschaft und derselben Ausübung sich immer zum Besten des Staats wirksam. War Demosthenes einige Zeit nicht größer als Philippus? war Perikles in seinem Kreise nicht mehr als ein Sclavenkönig? Die Kränze, die Statuen, die den Dichtern wurden, was ging über die Kränze? Hatte Alexander eine andere Belohnung seiner Thaten, als daß die Athenienser ihn loben sollten? Und wer nun über den gemeinen Ruhm, über das Urtheil des Volks hinaus sein Vaterland wirklich liebte und ihm diente, ein Theseus, Thales, Lykurgus, Solon, ein Sokrates und Aristides, Phocion und Plato, so viel andere ruhmvolle Männer, jeder in seiner Kunst, in seinem Geschäft, in seiner Wissenschaft groß, und meistens dicht auf einander oder neben einander, sich durch ihr Beispiel, ihr Vorbild weckend, mit einander wetteifernd, einander übertreffend, durch Rede und That, Gesang und Wissenschaft das Scepter der Freiheit Griechenlands wechselsweise in Händen führend und damit als die Einzigen in der Welt weit über den großen König hinaus bis zur Reihe der Unsterblichen hinan siegprangend: was konnten Seelen der Art liefern! was konnten sie werden! Brauchten sie Stimmen der Aufmunterung, wo Alles sie rief, wo die ganze Verfassung ihres Vaterlandes das Medium ihrer Wissenschaft, ihrer Kunst war? Brauchten sie Sold, wo Alles sie besoldete, wo Ruhm, Ansehen, Unsterblichkeit, Ehre der schönste Sold war, wo endlich, wenn es auf Zahlung ankam, eine Ode Pindar's, eine Bildsäule Phidias', eine Rede Demosthenes' ja mehr bringen konnte, als jetzt – doch ich mag nicht vergleichen, die Verschiedenheit der Zeiten erlaubt auch keine Vergleichung. Athen verarmte durchs Schauspiel und die gemeinschaftliche Casse Griechenlands beinahe mit ihm.

Wir kommen zu einer andern Gattung von Republik, den Römern.

»Rom ward zu kriegerischem Stolz schon von der Wölfin gesäugt«, und es ist bekannt, daß in den ersten fünf Jahrhunderten die Wissenschaften in ihm wenig Platz fanden. Was Numa hineinbrachte, was aus der Nachbarschaft Etruriens sich etwa hinüber modificirte, war äußerstes Bedürfniß ihres strengen Gottesdienstes und Kriegsgeistes; dahin denn auch ihre etwanigen Gesetze, Rechte, Tagbücher und Lieder von Thaten ihrer Vorfahren gehören möchten. Rom war als ein kriegerischer Stamm, als eine Kriegsstadt anzusehen, die nicht, wie Sparta, sich blos schützen, vertheidigen, keine Eroberung machen und selbst den Feind nicht verfolgen wollte; Rom's Grundsatz war, keinen unüberwundenen Feind zu haben, selbst überwunden, ihn auch im Frieden zu verfolgen und sich zur Herrschaft der Welt zu rüsten. Hiernach richtete sich auch die Einführung der Wissenschaften bei ihnen. Sie kamen als Ueberwundene und flohen gleichsam zur Sicherheit in den Schooß der Mutter aller Eroberung. Die ersten Dichter Rom's waren Fremdlinge, Freigelassene, Knechte, ihre Schauspiele rohe Ergetzlichkeiten oder Lohnwerk. Im Senat ward's als ein Problem zu Ja oder Nein behandelt, ob man den griechischen Rednern und Philosophen in Rom Zutritt gestatten sollte; und Cato, der selbst kein Barbar war, entschied geradezu für Nein! So lange und so gut konnte sich Rom ohne Griechenlandes Wissenschaften behelfen; ja, es gehörte dazu, daß es sich ohne diese Wissenschaften zu einem Rom, der Erobrerin der Welt bildete. Es drängte und ward gedrängt, hatte also nicht Zeit zu schreiben, zu philosophiren, zu studiren.

Auch da Rom die Wissenschaften aufnahm, fanden eigentlich die allein glücklichen Boden, die mit ihrer Staats- und Kriegsverfassung zusammenhingen und diese nährten und stützten. Die Poeten des Schauspiels wurden wie Knechte mit Lohn bezahlt, und aus vielen Ursachen, die im Staat und Charakter der Römer lagen, ist ihr Schauspiel nie das erste der Welt worden. Zur Größe des Römers gehörte es nicht, ein großer Schauspieler zu sein, geraume Zeit auch nicht einmal, den Geist des Schauspiels zu fühlen. Wir wissen, wie sehr es noch zu Cäsar's Zeiten jenem RitterD. Laberius. Vgl. Macrob. Sat., II. 7. – D. schmerzte, den er auf der Bühne zu erscheinen zwang, und daß er gleichsam die Schmach nicht verwinden konnte. Aber Geschichte, Rednerkunst, thätige Philosophie, männliche, insonderheit lehrende Poesie, Kriegskunst, Wissenschaft der Rechte: sie waren die Zweige der Literatur, deren sich mit der Zeit auch der edelste Römer nicht schämte, ja, die eben dadurch, weil so berühmte und thatenvolle Männer sie trieben, eine Würde, eine Festigkeit, eine Größe erlangt haben, die wirklich die unschuldigste römische Größe ist. Ich gönne den Scipionen immer die Zerstörung der unglücklichen Nebenbuhlerin Rom's, der Stadt und Republik Carthago; daß edle Scipionen aber auch die Ersten waren, die ihren blutigen Lorbeer mit dem Oelzweige der Musen mischten, daß Scipio der Afrikaner den Vater der römischen DichtkunstEnnius. – D. an seiner Seite hatte, den Lucilius seiner Freundschaft, den Terentius seiner Mitarbeit werth hielt; daß Fabius und Publius Scipio sich des trefflichen Polybius nicht schämten und durch ihr Beispiel auch in andern edeln Jünglingen, einem Lälius, Furius, Tubero, Scävola Liebe zu römischer Wissenschaft weckten: mich dünkt, hierin und in ihren persönlichen Tugenden glänzt ihr Name schöner. Nie sind die Zeiten wiedergekommen, da in so wenig Jahren so viel große Männer auf dem Gipfel der Welt einander kannten, folgten und drängten, ja, da die meisten von ihnen auf mehr als eine Weise in Rede und That, in Geschäften des Kriegs und Berathschlagungen des Friedens, in thätiger Liebe der Wissenschaften und ihrer Kenntniß groß und wahre Römer waren. Cato und Scävola, Lälius und Scipio, Cornelia und die Gracchen, Crassus und Antonius, Hortensius und Cicero, Atticus und Nepos, Sallustius und Varro, Sulla und Cäsar, Hirtius und Brutus – sie gaben der römischen Sprache die Majestät, Fülle und Nachdruck (Jeder auf seine Weise), daß gleichsam auch ihr Wort That, ihr Gedanke Kraft und Anstand wurde. Die Ueberwinder der Welt, die Richter über das Schicksal aller Nationen krönten sich mit einem schönen Kranze, dem Kranz der Wissenschaft und thätigen Weisheit.

Es erhellt hieraus, was eigentlich in der römischen Verfassung es war, das zwar eine so kurze, aber eine so lichte und würdige Periode der Wissenschaft machte: es war nämlich theils Bedürfniß des Staats auf seiner jetzigen Höhe von Geschäften, theils das hinreißende Beispiel der edelsten Männer und Geschlechter. Der römische Redner, über wie wichtige Sachen sprach er! Für den großen Pompejus, gegen einen Cäsar, Sulla, Antonius zu reden, welch ein Geschäft! Ueber Kriegsbedürfnisse und Friedensanschläge zu rathschlagen, um welche Könige bettelten, von denen das Wohl und Weh eines Reichs, eines halben Welttheils abhing, welch ein Geschäft! Im Drang der Begebenheiten und gleichsam im Wettkampf menschlicher Kräfte zu sprechen, zu schreiben, Meinung oder Geschichte zu schreiben, welche Höhe, welcher Zeitpunkt! Der Gefährte Scipio's, der Geschichtschreiber sein selbst zu sein, wenn man ein Sulla, Cäsar, Lucullus, Brutus gewesen, der Geschichtschreiber Rom's zu sein, das solche Männer gehabt hat, in deren Anblick man gleichsam noch lebt – mich dünkt, da mußte der Geist der Thaten in den Geist der Worte übergehen und sich Majestät und Macht, Kürze und Ernst römischer Verfassung auch ihrer Schreibart mittheilen. »Wie Einer ist, so thut er; wie Einer thut, so schreibt er.« Cäsar's Leichtigkeit zu siegen ist auch an seiner Schreibart kenntlich; der Geist Lucullus' und Sulla's würde ebenso kenntlich sein, wenn wir ihre Denkwürdigkeiten noch besäßen. Ach aber, wie sehr hat uns das Schicksal mit Werken der Griechen und Römer beneidet! Stücke, um die wir Bibliotheken neuer Maculatur geben würden, die meisten Werke Aeschylus', Sophokles', Pindar's, Menander's, so viel von den Schriften Polybius', Diodor's, Ennius', Cato's, die Aufsätze eines Lälius und Scipio, Hortensius und Atticus, Sulla und Lucullus, Varro und Cäsar's – so viel anderer edler Römer Schriften, die gewiß von ihrer Seele zeugen würden, sind verloren! Wenn ein Varro, Cicero, Cäsar selbst über Sprache und Grammatik schreibt, konnten sie nicht anders als Varro, Cicero, Cäsar schreiben; und diese Leute haben nur einmal in der Welt gelebt. Auch nur ihr Freund, ihr Begleiter, ja, was noch mehr ist, ihr Wetteiferer, ihr Nebenbuhler zu sein – die Idee verschlingt beinah alle Vergleichung. Scipio und ein deutscher Reichsfürst! Cäsar und eines Fleckens Bürgermeister! Jene selbst Geschichtschreiber, Redner, Miteiferer in den Wissenschaften, die in ihnen nicht nach andern Gesetzen gerichtet werden konnten, gerichtet werden wollten als jeder Andere, der mit ihnen in die Schranken tritt! die Neuern so oft untüchtige Mäcenaten, zu loben, was sie nicht verstehen, und mit Pfennigen zu belohnen, worüber sich der Kluge schämt! Ueberhaupt hat der kurze Zeitpunkt der Blüthe römischer Wissenschaft an Veranlassungen und Folgen beinah nichts Gleiches in der Geschichte. Als Ueberwinder der Welt schmückten sie sich mit der Beute der Wissenschaft; thätig und miteifernd gingen sie schnell zur größten Höhe; denn sie standen gleichsam auf dem Gipfel der Zeiten. Ebenso schnell aber wich auch der Geist der Wissenschaft von ihnen; sie war ihnen nur Schmuck, nur Triumphkleid, oder wo sie zur Freiheit und Verfassung des Staats gehörte, sank sie mit dieser.

Wo in andern Zeitpunkten auch nur Nachbilder römischer Größe, Schatten ihrer Verfassung und Handlungsweise erschienen, fanden sich auch Spuren römischer Denk- und Schreibart wieder. Frankreichs und Englands Parlamente reichen nicht ans römische Forum; in beiden sind indeß treffliche Stücke der Redner- und Staatskunst über Gesetze und Begebenheiten erschienen. Die beste Geschichte zu allen Zeiten war die, die Helden und Staatsmänner selbst schrieben; nur durch die Denkwürdigkeiten solcher Männer ist in den neuern Zeiten die wahre Geschichte wieder erweckt worden: Comines, Sully, Clarendon, Retz, Thuanus, Turenne, Montecuculi u. s. w. sind Zeugen. Durch Betrachtung der römischen Geschichte ist nach Wiederherstellung der Wissenschaften der Geist der wahren Geschichte wieder erweckt worden, wie Macchiavell's Betrachtungen über Livius und so viel andere über Sallustius, Cäsar und Tacitus zeigen. Nichts in aller Welt ist aber vom Geist römischer Wissenschaft entfernter als unsere neuere Schulsprache in lateinischen müssigen Phrasen. Ein gedankenloser Grammaticus, ein von den Knaben selbst, geschweige von den Regierungen verachteter Declamator – was ist er gegen Cicero, Varro, Cäsar? wo ist da römischer Geist in der angeblichen römischen Sprache?

Es ist mir lieb, daß ich mich über die Zeiten des Verfalls der Wissenschaften nicht ausführlich und eigentlich einzulassen habe, was auch zu ihm die Regierungen beigetragen. Das Meiste trugen sie dadurch bei, daß sie die Freiheit und den Gemeinwerth (common-wealth) einzelner Republiken zerstörten und ein Gebäude aufrichten wollten, das in sich selbst zerfiel. Was trieb den griechischen Alexander nach Asien? was sucht' er dort? was konnt' er finden? Beschwerde, Mühe, Ueppigkeit, Tod, Auflösung seiner Kräfte und seines Reiches. Nun bringt freilich die Vorsehung ein Gutes hin, auch wo Menschen nicht darauf dachten: Alexander's Züge, die griechisches Blut bis am Indus verspritzten, breiteten auch griechische Sprache und Wissenschaft umher, errichteten hie und dort griechische Städte und Colonien. Die Reiche seiner Nachfolger machten neue Sitze der Wissenschaften in Syrien, Asien, insonderheit Aegypten. Das Museum, die Bibliothek, das Siebengestirn der Dichter, die Grammatiker, die Philosophen zu Alexandria sind so berühmt; auch kann man ihnen nicht absprechen, daß sie zur Erhaltung und Vermehrung der Wissenschaften in spätern Zeiten das Ihrige beigetragen haben. Indessen ist's wahr, diese Nachblüthe unter den griechischen Königen war nur ein schöner Herbsttag; seine Blumen hatten viel Farbe, aber wenig Geruch; der Frühling und Sommer war vorüber. Es ist meistens das Schicksal solcher Monarchien, wenn die Ernte vorbei ist, die Nachlässe prächtig zu sammeln, und man sucht durch Menge der Bücher, durch Bibliotheken und Gelehrsamkeit zu ersetzen, was der Wissenschaft an Werth und Kraft abgeht. Indeß hat Alles seine Zeit. Auch die Grammatiker zu Alexandria und die Bibliothek daselbst wäre ein Schatz gewesen, den man allein der Monarchie würde zu verdanken gehabt haben, wenn er bis auf die Zeiten der Buchdruckerei gereicht und ihn nicht eine strengere Monarchie zerstört hätte.

Bei der römischen Monarchie ist's vielleicht äußerst zu bedauern, daß Cäsar, ihr wahrer Stifter, sie nicht auch einrichten, Senat und Kriegsmacht gegen einander ordnen und wirklich erster Monarch, Cäsar, sein konnte. Die dreiundzwanzig Wunden, mit denen er starb, öffneten dem römischen Staat unendlich mehrere; und da der schwache Augustus nichts als Privatmann zu sein wußteAugust wird (nach unserer Meinung) hier zu sehr herabgesetzt. Der ohne schreiende Härte die vielgestaltete Römerwelt so frisch nach der Republik funfzig Jahre festhielt und auf sein Jahrhundert den Beinamen eines goldenen prägte, war der ein so gar schwacher Privatmann? Ein schwacher Mann, hätte er hingereicht, der (obwol müden) Welt eine Ordnung der Dinge anzugewöhnen, welche ein halbes Jahrtausend hindurch immer insofern blühte oder sank, so wie sie mehr oder weniger seinem Vorbild glich? Was kann eine ermüdete, vorhin schon höchst verdorbene, der Freiheit nicht mehr fähige, nicht mehr würdige Welt Besseres, Größeres sich wünschen als einen August! – Anm. J. Müller's. und also Alles nur schwebend erhielt, so konnte er freilich auch auf die Wissenschaften nicht anders als Privatmann wirken. Er gönnte Dichtern seine Freundschaft, den Zutritt in seinem Hause; er selbst und sein Mäcenas und sein Agrippa waren Dichter; dies konnte den Wissenschaften nicht anders als einen schönen Nachmittag geben. Schöne Stunden, auf die bald ein neidiger Abend, eine stürmische Nacht folgten! Als Tiberius Den, der ihn übertraf, mit dem Tode bestrafte;Hier schwebt wol Suet., Tib. 61 vor. – D. als Cajus Caligula den Homer, Virgil, Livius, ja die ganze Rechtsgelehrsamkeit vertilgen wollte;Suet. Cal. 34. – D. als Nero seine schlechten Verse durch alle Straßen singen, in allen Schulen ablesen ließ;Beruht wol auf Irrthum. – D. als selbst der bessere Hadrian klein gnug war, den Cicero, Homer und Virgil gegen sich zu verkleinern, und der Erste in jeder Art sein wollteHerder denkt wol an das, was Spartianus, Hadr. 17, berichtet. – D. – allerdings wirkte da die römische Regierung schlecht auf Wissenschaften und Künste. Und wiewol sie noch immer nicht Alles verderben konnte, da das römische Reich so groß und die guten Muster und wahren Römerseelen ihnen noch so nahe waren, ja insonderheit, da auch unter guten Kaisern die Welt mitunter einen schönen Sonnenblick bekam: dessenohngeachtet waren Rom's Wissenschaften nicht mehr, was sie zur Zeit der Republik gewesen; denn jetzo waren sie – im Staat müssig. Die Redekunst schwieg oder declamirte. Die Geschichte ward bitter oder log Schmeicheleien und tiefe Räthsel; die Poesie machte Epigramme oder Satiren; die Sprache verfiel mit jedem neuen Jahrhundert. Cajus hatte Wettstreite der Beredsamkeit, Nero Wettstreite der Poesie errichtet, die Domitian erneute; allein das konnte die Natur der Sache und das Wesen des Staats nicht ändern. Selbst die bessern Anstalten, die Vespasian, Titus, Trajan, Hadrian, Antonin, Marc-Aurel, Severus u. A. zur Aufnahme der Wissenschaft trafen, die Schulen, Bibliotheken, öffentlichen Belohnungen, die sie anordneten: so gut, so nothwendig sie waren, der mit Gewalt einbrechenden Barbarei zu steuern und wenigstens das Andenken guter Muster zu erhalten, so wenig konnten sie doch jene Welt wiederbringen, in der diese Muster wirkten und lebten. Nur was unentbehrlich, was jetzt nützlich und wirksam ist, das lebt. Und das waren damals, wenig bessere Menschen ausgenommen, meistens nur die Handwerks- und Brodstudien: Grammatik, Rechtsgelehrsamkeit, Astrologie, Sophisterei, Arzneikunst; die edleren Wissenschaften waren mit der römischen Luft verflogen.

Noch weniger will ich mich darauf einlassen, was nicht die Regenten, sondern die Regierung an sich selbst und im Ganzen zum Verfall der Wissenschaften beigetragen habe: die Unruhe derselben nämlich, das herrschende Soldatenregiment, die Schwachheit des Reichs, sich gegen die andringenden Barbaren nicht schützen zu können, sondern sie selbst in sich zu locken; das aller Welt gegebene Bürgerrecht endlich, wodurch selbst die römische Sprache verfiel, und so manche andere Dinge. Ein Reich, das sich nicht schützen kann, wie sollt's die Wissenschaften, feine Sprossen seiner Blüthe, vor dem Verfall bewahren? Ein in allen Gliedern verderbter Körper, wie sollte an ihm Haupt- und Lebenssaft gesund sein? Eine neue, schon sehr verderbte Religion kam dazu, die ein Orientalisches in Gesetze und Schreibart, Befehle und Redekunst brachte, das dem römischen Staat wenig anstand. Die Schwachheit der Kaiser nährte Verfolgung der Ketzereien, elende Sophistereien und Disputirkünste, die zu nichts dienten, aber äußerst verderbten. Kurz, womit konnte die Disharmonie einer so schwachen, unruhigen, sich selbst widersprechenden Regierung als mit Barbarei und dem Tode aller vernünftigen, nützlichen Literatur endigen? Hier war kein Griechenland, kein Rom mehr; Europa war ein dunkles Getümmel ziehender Barbaren.

 

4.
Vom Einfluß der Regierung in die Wissenschaften gegen die Barbarei und den Aberglauben.

Wir sind auf einer Stelle, wo schon nicht eigentlich die Frage ist, was gethan sei, sondern was habe gethan werden wollen. Folgende sind Ursachen, warum auch besseren Regenten und Regierungen mit allem guten Willen oft so wenig gelang. Zuerst. Europa war ein Gemisch von Barbaren, das in einer Fluth gekommen und hie und da wie erstarrte Wellen sitzen blieben war; diese hatten Sitten, Gesetze und Rechte, die den Wissenschaften nicht hold waren, und für deren Erhaltung sie doch, eben im Gefühl ihres Glücks und Werths, glühten. Zweitens. Wissenschaften sollten sie von Völkern annehmen, die überwunden, schwach, ihnen verächtlich und wirklich zum Theil selbst durch Mißbrauch der Wissenschaften so verächtlich worden waren. Das nähere Medium dieser Mittheilung waren Pfaffen, die mit ihnen, den Kriegern, den Wilden im härtesten Contrast standen, die sie theils ihrer sitzenden Lebensart wegen gering hielten, theils fürchteten wegen des Bandes mit Rom und der so oft entdeckten Spitzfindigkeiten und Betrügereien. Drittens. Die Wissenschaften selbst waren von der schlechtesten Art, Hülsen vom Kern alter Zeiten oder Klosterstudien, das bivium und quadrivium der Gelehrsamkeit, das ihnen wenig nütz war, und auf dem sie auch Pfaffen und Müssige zu werden glaubten. Diese und so viel andere Ursachen, die im Detail einzelner Zeiten und Umstände lagen, machten die Aufklärung schwer. Ein hartes Land mußte gepflügt werden, das noch niemals Samen angenommen hatte und lange erst umgekehrt an der Luft liegen, ja oft umgekehrt werden mußte, ehe es nur den feinern Geist der Fruchtbarkeit einsaugen lernte. Wie verschieden war diese Zeit von der Bildung Rom's und Griechenlandes! Dort einzelne Städte, ein Nationalcharakter, eine Verfassung, die dem Geist der Wissenschaft offen war und ihn zu seinen Zwecken als Bedürfniß verlangte. Hier von Allem das Gegentheil: rohe, disparate Medien, die ineinanderbrausten, den Wissenschaften eher feind als freund, wenigstens gleichgiltig und fremde waren, ein rauher Kriegsgeist, der den Geist der Wissenschaft vertrieb oder unnütz machte. Dort waren's Gesetzgeber, edle Männer des Stammes selbst, die aus eigenem Triebe die nächsten Anlagen ihres Staats weckten und als schwangere Keime gleichsam nur zur Reife beförderten, die dem Volk Schritt vor Schritt die Blüthen und Früchte davon in lebendiger Wirksamkeit wiesen; hier waren's todte Körner, mit denen man handelte, die von den Händen der Verkäufer nicht eben die größte Empfehlung erhielten. Die Wissenschaft sollte erleuchten, aber nicht zu viel; sie sollte bilden, aber ja nicht aus dem Joch des heiligen Gehorsams. Die Regierungen, die bilden wollten, hatten meistens an Denen, die bilden sollten, das größte Hinderniß; nothwendig ging die Sache langsam und kam nicht weit.

Um so ruhmwürdiger aber sind die Namen der Regenten und Regierungen, die auch unter der WolkeBiblische, Herder gangbare Redensart. – D. strebten, auch an dem harten Boden nicht verzagten. Sie thaten, was sie konnten, stifteten gegen die herrschende Unwissenheit Schulen, kauften Bücher, beförderten ihre Abschrift, suchten und ehrten die Gelehrten, setzten sich den Hindernissen des Lichts, dem Aberglauben und der Barbarei, entgegen. Ihr Werk war nicht verloren. Cassiodor brachte es mit seinen Anstalten weiter als manche Zeiten vor ihm, es ward wenigstens eine lichte Dämmerung am dunkeln Abend. Karl der Große zog aus allen Ländern, was er konnte, Lichtes und Guts zusammen, er machte Anstalten für die Wissenschaften, die seinen Namen bis jetzt erhalten. Der liebenswürdige, wirklich große Alfred that, was er konnte, machte Ordnung, stiftete Oxford, schrieb und übersetzte selbst. Er sahe sich nach Händen um, die ihm helfen sollten, und fand so wenig, er rüstete sie sich gewissermaßen selbst zu; von Noth gedrungen, that er in seinem dunkeln Jahrhundert mehr, als in lichten Jahrhunderten der eifrigste Prinz mit fremder Beihilfe thun mag oder darf, und obgleich Vieles in der Unruhe folgender Zeiten verloren ging, ging drum nicht Alles verloren. Fürsten solcher Art sind wir's schuldig, daß noch etwas von den Wissenschaften übrig geblieben ist, daß sie wenigstens hinter dicken Kloster- und Schulmauern Zuflucht fanden.

Ich will dem päpstlichen Regiment sein Verdienst um die Wissenschaften nicht absprechen;Vgl. Herder's Werke, XII. S. 121 ff. – D. wenigstens erhielt's die lateinische Sprache und die dürftigsten Kenntnisse der Alten. Klöster blieben die Trümmern heiliger Literatur, und auch das schlechteste Abschreiben alter Bücher bleibt noch Verdienst der Mönche. Indessen ist's eine andere Frage, ob dies erzwungene Verdienst Schadloshaltung gegen den größern Schaden ist, den der Aberglaube, die Streitsucht, der Verfolgungsgeist, der unruhige Despotismus des Papstthums über Völker und Reiche auch den Wissenschaften gebracht hat. Alles verdarb und ward eine trübe Quelle; die heiligsten, schönsten Wissenschaften wurden ein Zankapfel, der zuletzt Ekel und Furcht erweckte. Der Streit um den Primat, die Trennung der lateinischen von der griechischen Kirche trug allein schon so viel zur Barbarei Occidents bei, als die Verlegung des Kaisersitzes nach Constantinopel zu ihrer Zeit thun mochte. Rom's Bannstrahlen erleuchteten nicht, sondern machten auch die schwachen Schimmer des wahren Lichts feindlich. Immer ward mehr erfunden, die Finsterniß festzuhalten und ehrwürdig zu machen auf der Erde, insonderheit um den Thron. Auch in Klöstern verfielen mit der Zeit Schulen, Fleiß, Ordnung; die Bücher gingen unter, und zuletzt gerieth's dahin, daß selbst an PäpstenWie Silvester II. – D. Gelehrsamkeit Zauberei und Gotteslästerung hieß. Der römische Stuhl scheint selten und nur in rühmlichen Ausnahmen eigentliches Interesse gehabt zu haben, die Wissenschaft als Wissenschaft zu befördern.

Fast möchte ich hierin dem Papst den Mohammed und Mönchen die Sarazenen vorziehen. Sie haben wirklich die Wissenschaften aus Liebe zu ihnen selbst gesucht und getrieben, einige gelehrte Khalifen sie aus Liebe zu ihnen geschützt und befördert; auch sind die nützlichsten Wissenschaften, Chymie, Medicin, Astronomie, Naturlehre, mit Erfindungen und Tritten dieses Volks bezeichnet. Ein Khalif, ein Sarazen hatte gewiß mehr zu überwinden, wenn er die Wissenschaft lieben wollte, als ein Christ, ein Päpstler haben durfte; und doch, wie sehr haben sie diese übertroffen in Allem, was sie getrieben haben! Sie traten wirklich auf den Weg der Erfahrung; Al Mansor, Harun Al Raschid, Al Maimon u. A. begünstigten diese; aus ihren Händen haben wir Bücher und zum Theil Methoden erhalten, die zur Erweckung der nützlichsten Wissenschaften den Weg bahnten. Hier war die Macht und Wirksamkeit des Despoten an rechter Stelle; sonst würde Europa vielleicht länger in seiner Nacht geblieben sein.Vgl. Herder's Werke, XII. S. 142 ff. – D.

Auch die Herrschaft der Kaiser in Orient hat zur Erhaltung der Wissenschaft beigetragen, unruhig, schwach und zanksüchtig, wie sie war; Constantin hatte doch einmal den Wissenschaften einen Mittelpunkt bereitet, wo sie, geschützt vor der Zerstörung wilder Völker und wenigstens durch die Sprache dem feinen Griechenland nahe, Jahrhunderte durch erhalten wurden. Daß es gelehrte Kaiser und Prinzessinnen in Orient gegeben, ist bekannt, und die Namen eines Basilius, Porphyrogeneta, einer Anna Comnena sind durch Anmunterungen und eigene Schriften unvergeßlich. Wiewol nun ihre Wissenschaften nicht eigentlich dem Reiche selbst zu Nutz kamen, da die gelehrtesten Kaiser meistens die unglücklichsten waren und Alles unter Priestergezänk und Weiberherrschaft begraben wurde, Europa kamen sie sehr zu Statten. Die Eroberung Constantinopel's jagte gleichsam die Musen als Flüchtlinge nach Italien; mit ihnen bekam es griechische Bücher, griechische Sprache, auch hie und da griechischen Geist wieder. Der schwächste Versuch also des schwächsten Liebhabers der Wissenschaften war im Verfolg der Dinge nicht verloren.

Aber lasset uns näher sehen, was die Regierungen Occidents thaten und thun mußten, das Joch des Aberglaubens und der Barbarei, das ihnen selbst mit der Zeit so hart fiel, zu brechen oder zu mildern! Sie sahen, daß aus der Finsterniß nichts ward, daß Knechtschaft, Unruhe, Elend in ihrem Gefolge war. Von welchen Stürmen ward damals Europa erschüttert! welche Wirbel einheimischer und auswärtiger Zerrüttung verwüsteten die Welt! Keine Krone war auf dem Haupte des Regenten, kein Geschlecht desselben auf seinem Thron sicher; mächtige Vasallen, Geistliche und Päpste, die solche aufhetzten, machten eine ewige Verwirrung. Heller oder dunkler fühlten es die Regenten, daß sie nur durch Licht Ruhe gewännen, nur durch Wissenschaft ihren Ländern Ruhe gäben. Die Exempel so mancher unglücklichen Kaiser und Fürsten mußten endlich Gedanken wecken, und ewig werde der Name der schwäbischen Kaiser, insonderheit eines Friedrich's II., mit Ehrfurcht genannt, der selbst ein Märtrer der Aufklärung wurde, die er Europa zu geben geneigt war. Gelehrt und klug und tapfer ging er den Feinden des Lichts und der Ruhe unermüdet zu Leibe, nahm aus den Händen der Araber die besten Schriften verschiedener Art und ließ sie übersetzen und lehren, errichtete die Universitäten zu Neapel, Wien, vielleicht auch Padua, verbesserte die zu Bologna, zu Salerno, die wie Morgensterne die ersten Strahlen geworfen hatten. Sein unglücklicher Petrus de Vineis stand ihm treulich bei; es ward Dämmerung im Reich der Schatten. Streit also gegen drückende Mißbräuche hat überall das erste Licht befördert, und die Finsterniß hat sich mit ihrer übermachten Rohheit selbst geschadet. In mehr als einem Lande stand ein Ketzer auf, den die Regierung nicht zuerst und meistens nur dann verfolgte, wenn seine Meinungen schon verbreitet waren. Ueberall drang man auf Kirchenverbesserung, auf Reformation der Schulen und Klöster. Die Rechte der Fürsten sollten vertheidigt werden; dies brachte die Rechtsgelehrsamkeit hervor. Einzelne Gelehrte wagten's, sie selbst gegen den Papst in Schutz zu nehmen; dazu ward überlegene Wissenschaft erfordert, diese also gesucht und belohnt. Eine Reihe äußerer Umstände der Regierungen kam dazu, die entschlafene Wissenschaft von den Todten zu erwecken, unter denen öffentliche Züge, Expeditionen die vornehmsten waren. Man lernte sich, lernte fremde Reiche, Völker, Länder und Regierungen kennen, lernte fremde Sprachen, sah fremde Dinge, nutzte fremde Erfindungen; die Reiche bewegten sich in großen Massen auf einander, bis in ihrem Innern auch heilsame Gährung ward. In Amalfi fand Kaiser Lothar, wenn die Sage wahr ist, das Exemplar der Pandekten, das die Rechtswissenschaft in Gang brachte. Der Compaß ward ebendaselbst erfunden. Chymie, Medicin, Mathematik zogen sich theils aus Neapel, theils aus Spanien herauf, und im letztern war's Alphonsus der Weise, der mit eines Khalifen Großmuth die Mathematik unterstützte und mit dem Fleiß eines Privatmanns sie selbst vermehrte. Aus Reibungen an den Grenzen der Sarazenen sprangen die ersten Funken des Lichts; Raimundus Lullus, Arnoldus de Villanova, Roger Baco, kurz, die größten Erfinder damaliger Zeit sind der arabischen Wissenschaften Schüler.

Zwei Hilfsmittel insonderheit nutzten die Fürsten, den Geschmack an Wissenschaft zu verbreiten: die Akademien der Liebe und Universitäten für die Gelehrten. Jene, die unter dem Namen der Corte oder Parlamento d'amore bekannt gnug sind, verbreiteten sich von den Höfen der Berengare und anderer Fürsten aus Spanien und der Provence nach Frankreich, Italien und endlich nach Deutschland. Sie brachten die Muttersprache dieser Länder allgemach empor, und zwar durch Gegenstände und auf eine Art, die den allgemeinsten Eingang finden, Gesang und Liebe. Die Fürsten selbst waren von ihrem Kreise, und in allen diesen Ländern, England eingeschlossen, sind Namen bekannt, die sich sowol durch Gesänge als Thaten verewigt. Kaiser Friedrich I. und II., Heinrich VI., König Richard I., Alphons II., Wenzel, Conrad und so viel Herzoge und Grafen in ihrem Gefolge. Der Geist des Abenteuers und der Feldzüge hatte Lieder und Liebe erweckt; der Kriegsgeist schmolz in einige Milde, die der Sprache und auch andern Wissenschaften wohlthat. Universitäten waren damals die Lieblingsstiftungen der Fürsten; durch sie wurden die Gelehrten Glieder des Staats, von den Kaisern selbst auf ehrwürdige Weise eingeführt. Sie genossen Rechte des Adels; hiedurch ward der rohe Kriegsgeist und die stolze Unwissenheit des letzten etwas geschwächt. Allmählich sonderten sie sich von Klöstern und wurden eine Art literarischer Aristokratien, also ein Freistaat im Staate. Die Wissenschaften fanden eine Ehre und Sicherheit, die sie sonst nicht gehabt hatten; auch die sogenannten Ketzer zogen sich lange hinter den Schild literarischer Privilegien zurück und konnten schwerer angetastet werden. Disputationsweise ward Manches behandelt, wovon positiv reden zu können noch keine Zeit war; einzelne Lehrer traten oft auf die Seite der Fürsten, und zuletzt wurden die Universitäten selbst Rüstkammern gegen den Papst. Rechtsgelehrte wurden Orakel der Fürsten und ihre Räthe; die Facultäten standen als geschlossene Zünfte und Phalangen der Literatur im Staate da. Allerdings ist also durch sie die Wissenschaft sehr befestigt und ausgebreitet worden. Die Scholastik und andere Scienzen wurden, wo nicht sogleich nützlich, so doch sehr fleißig, formell, pünktlich getrieben; die Lernenden wallten schaarenweise dahin, meistens in ziemlich reifen Jahren, hielten sich auch länger darauf auf, als jetzo nur gedacht wird; das Studium ward überhaupt wie die Ritterwissenschaft gradweise und mit anhaltendem Fleiße getrieben.

So damals; aber was sind jetzt solche Universitäten, als Mittel der Wissenschaft in den Händen der Regierung betrachtet? Die Ritterzeiten sind vorbei, sie haben sich aus Schlössern, Schlachten, Häusern verloren; und im stillen Reiche der Wissenschaften, im Felde, wo die Jugend zur Wahrheit, Weisheit und Glückseligkeit gebildet werden soll, müßten sie noch Zuschnitt und Form erhalten? Die erste Einrichtung der Universitäten war klostermäßig; der Rittergeist und die Rittergrade schlugen sich hinzu, und so entstand mit der Zeit das gothische Gebäu von Gesetzen, Rechten, Facultäten, Würden, Uebungen der Universitäten – wahrlich, ein seltsam Gebäu zum Besten des Staats in unsern Tagen! Was sollen Schwüre auf den heiligen Aristoteles und auf ihm gleiche Abstractionen, wie der Ritter auf Mutter Gottes, Dame und Lindwurm schwur? Braucht die Regierung sich des Geistes ihrer Unterthanen so zu versichern? darf und soll sie's im Reich der Wissenschaften, wo sie selbst Partei ist, im Reich der freien, allgebietenden Wahrheit? Können Rechte der Akademien die Wissenschaft als einen Schuh behandeln, der so und nicht anders, von Dem und ja von keinem Andern gemacht werden soll? Und wenn sie hierüber nun gegen einander zu Felde ziehen; wenn Universitäten gegen Universitäten, Facultäten gegen Facultäten als geschlossene Corpora kriegen und die Wahrheit in ihrem Phalanx gefangen führen; wenn zum Aergerniß unakademischer Laien oft Rechthaberei, akademischer Stolz und Anmaßung die Insignien der Wissenschaften sind, mit denen sie kaiserliche Majestät begnadet: was soll das in unsern Zeiten? Damals war manches Streitgerüst und Gepränge solcher Art nützlich, wenigstens nothwendig der barbarischen Zeit wegen; aber jetzt? und für junge Leute? oft nur für Kinder (so haben sich die Zeiten verändert!), die auf solchen Tummelplätzen der Gelehrsamkeit und Aemulation erste Eindrücke der Wahrheit und stillen Brauchbarkeit aufs ganze Leben erlangen sollen? Die Facultäten und Handwerksgebräuche, nach denen der Knappe lernen, von Magistris nostris freigesprochen, und wenn er ihres Geistes und ihrer Hand ist, d. i. eine Disputation, ein Rittergefecht gegen drei oder vier waffenlose Schützen bestanden hat, nun facultatem bekommt, die ihm oft die Natur nicht gegeben, einen Trauring des Gehorsams gegen die alma mater, den Ehrenhut erhält, der sein Gehirn überschattet und von nun an mit allen Musen, die Grazien oft ausgeschlossen, zu Gast ist: ich begreife wol, wie das Alles habe entstehen können, nicht aber, wie es sich als Hilfsmittel der Wissenschaft in den Händen unserer Regierung forterbe. Daß außer den Facultäten keine facultas, außer den Universitäten kein Heil sei, daß sie Universitates literariae, d. i. die gelehrten Weltalle seien, aus denen Alles kommt, durch die Alles muß, auf denen Alles wohnt, was zum Licht und Frommen des Staats dient; daß der Weg, zu dieser Weisheit zu kommen, Prälectionen, ewige Prälectionen, daß ihr Meisterstück Disputation, daß ihre Frist ein triennium, quadriennium sei, in welches alle Weisheit und Wissenschaft gezwängt, zerschnitten, eingestopft werde; daß die meisten Lehrer von aller Uebung der Wissenschaft frei, ohne Ansicht des Staats, der Stände, der Nutzbarkeit des gemeinen Lebens, oft des gesunden Verstandes und Geschmacks, in Abstractionen und generalibus, in ewiger Wiederholung derselben Logik, Metaphysik, Dogmatik oder vielmehr ihres Schatten, Compendii, veralten und, weil sie in weniger Zeit alle eigene Wissenschaft wegsenden, zuletzt dürre Skelette fremder Kenntnisse sein müssen und sich also aus lieber Noth in den Dunst akademischer Polyhistorie und Pansophie hüllen, ihren Zöglingen auf diesen Tummelplätzen aller Wissenschaften und Künste so viel davon mitgeben, als in so kurzer Zeit, in der größten Verwirrung von Ideen, ohn' alles Gefühl von Anwendung, Würde und Weisheit in ihren Kopf will, und sie sodann zur glücklichen Vergessenheit desselben und von frisch auf im Leben etwas Besseres zu lernen entlassen müssen: sollten Einrichtungen der Art in den Händen unserer Regierung den Nutzen bringen, den sie bringen sollen? Ich habe nicht im Sinn, einen einzigen würdigen Mann, Lehrer oder Schüler, auf Universitäten mit meinen Zweifeln zu beleidigen; vielmehr, glaube ich, wird ein Jeder, der über den gemeinen Haufen denkt und nicht blos auf seinen Schritt vor sich sieht, selbst gnug die Bürde seines Standes, das Unbequemliche seiner Situation (wer fühlt nicht in seinem Stande dergleichen?) gefühlt, und wenn er's mit der Wissenschaft wohl will, dagegen gestrebt, Aenderung der Mißbräuche gewünscht haben. Auch rede ich nur ganz allgemein von Universitäten als Mitteln der Wissenschaft in den Händen der Regierung, nicht von einzelnen Existenzen und Ausnahmen der Studenten oder Professoren. Ich gehe auf diesem allgemeinen Wege weiter.

Und komme auf die schöne Zeit, da die Wissenschaften wiederkamen, da Päpste, Kaiser, Fürsten, Städte, reiche Kaufleute, Priester, Cardinäle so viel thaten, sie aufzunehmen, zu lieben, zu verpflegen. Die Familie der Medici, die Päpste Nicolaus und Leo, die Kaiser Friedrich und Maximilian, die Könige Alphonsus von Neapel, Franz I., Heinrich VIII., so viel andere Fürsten, Republiken, Städte haben sich dadurch unsterbliches Verdienst erworben. Es war ein Wetteifer, der beinah ein Jahrhundert dauerte und noch jetzt, wenn man von ihm liest, Muth macht. Die Berühmten in den Wissenschaften gelangten zu Ehrenstellen oder zur angenehmsten Ruhe des Privatlebens; es schien, als ob Kaiser und Fürsten kein milderes Verdienst kennten, als Lorbeern des Geistes zu verleihn oder selbst zu tragen. Ein oder zwei Gelehrte eines Landes wurden wie eine Akademie angesehen, geschätzt, geliebt, und die Gelehrten aller Länder machten gleichsam nur eine freundschaftliche oder wetteifernde Akademie aus. Vielleicht ist niemals schärfer gerichtet und das Urtheil, die Mitarbeit der Gelehrten näher an einander gewesen als damals; und doch gab's noch keine erdungene kritische Journale. Die Briefe und Werke der Gelehrten an oder über einander war das größte Journal der Zeiten. Buchhändler herrschten noch nicht, die Bücher bestellten, sondern Fürsten, die Werke belohnten, und man hat eben keine Urkunden darüber, daß sie deswegen verarmt oder die Sachen ihrer Regierung schlechter gegangen wären, weil sie gelehrte und tüchtige Männer dazu brauchten. Die Fürsten selbst hatten von Erneurung der Wissenschaften den größten Vortheil; mit ihnen und auch zum Theil durch sie fing sich in Krieg und Frieden, Herrschaft und Sitten eine ganz neue Periode Europens, Reformation, an.

Allerdings trat damals eine Menge Ursachen zusammen, die die Regenten zu thätigen Freunden und Beförderern der Wissenschaft machten. Nach langen Zeiten der Unruhe und Unterdrückung genossen große und kleine Regenten das erste Gefühl von Ruhe, Sicherheit und Herrschaft; sie sahen, was sie den Wissenschaften in vorigen Zeiten schuldig waren, und kränzten sie darum mit dem Laube der Dankbarkeit und pflegten sie darum mit Wohlthaten, um durch sie auch die Reste der Barbarei zu überwinden und gleichsam mit Blumenkränzen zur Ruhe zu fesseln. Alle Wissenschaften und Erfindungen machten Ordnung, mehrere Leichtigkeit im Handeln, Mechanismus, Friede. Die Gemüther wurden besänftigt und kämpften nicht mehr, sondern studirten, lasen; eine Ruhe, die den Regenten sehr zu gut kam. Die Reformation machte sie vom Joche des Papstes los und setzte sie gewissermaßen an seine Stelle. Viele Universitäten, Stipendien und Wohlthaten wurden von Klostergütern gespendet und fielen also nicht schwer; andere zogen sie gar an sich und bereicherten ihre Kammern. Der neue Zirkel, in dem Alles ging, die entdeckten Welttheile, die veränderte, blühende Handlung brachten Pracht, Ueppigkeit, Geschmack an Künsten des Großen und Schönen, mehr Geld und mehrere Reize nach Europa; den schönen Künsten also konnten die Wissenschaften nicht zurückbleiben. Wer besser baute, mußte auch besser schreiben; der Fürst, der Gemälde und Statuen liebte, lernte auch Schilderungen und Gedichte lieben. Mit einer feinern Pracht, einem ausgesuchtern Wohlstande kam auch Witz und Schlüpfrigkeit an die Tafeln der Fürsten; viele von ihnen sind des Einen und des Andern wegen bekannt. Jetzt lernten sich nicht neue Länder einander kennen, sondern neue Welttheile; aus ihnen kam Gold, Silber, Gewürze, Arzneien, so viel Wunderbares, so viel Fremdes. Dies nährte Wissenschaften, dies nährte Künste. Man brauchte die Mathematik zum Schiffbau, zur Seefahrt, zu Maschinen, zur Zeitrechnung; sie ward belohnt und nahm zu. Das einzige Pulver, die Nothwendigkeit der neuen Befestigung, des neuen Krieges erfand wie viel andere Künste! Die veränderte Art, mit einander umzugehen, zu tractiren, zu handeln, machte neue Wissenschaften und Ausbildung nöthig. Die erfundene Buchdruckerei gab so viel mehr Reize, Manuscripte aufzusuchen, Bücher zu schreiben, seinen Namen zu verbreiten. Die unendlich mehrere Bekanntschaft und Concurrenz der Reiche band alle Regierungen an eine Kette, trieb sie in ein Gefolge des Wetteifers, wie vieler andern Sachen, so auch der Wissenschaften und Künste. Auch in die dunkelsten Winkel Europens kamen Lichtstrahlen; der Wetteifer ward allgemein. Das Schönste bei der Sache ist, daß es viele Fürsten gab, die nicht als satte Mäcenaten, sondern als Liebhaber und Haushälter ihres Reichs die Sache trieben. Es war nicht dummer Stolz, sondern wahre Bewunderung oder gar Kenntniß und Gefühl des Nutzens, der Wahrheit, die sie zu Liebhabern machten.

Es ist nicht zu leugnen, daß auch aus dieser Zeit Manches sich überlebt habe und jetzt als leeres Gerüst da stehe. Wenn Maximilian I. alle Reichsfürsten antrieb, Universitäten anzulegen, so würde er ihnen jetzt vielleicht rathen, sie zu vermindern, sie in gute Schulen und Seminarien der mancherlei Classen von Menschen und Wissenschaften zu verwandeln. Wenn damals zu Vertreibung der Unwissenheit, zu Ausbreitung besserer Kenntnisse und Meinungen das viele Reden, das tägliche Predigen über dieselbe Sache, dieselben Materien auf eine und dieselbe Weise gut und nöthig war, so würden dieselben Reformatoren von Fürsten, Städten und Ständen, wenn sie jetzt lebten, es gewiß seltner anordnen und dafür den geistlichen oder Lehrstand mehr mit Schulenaufsicht, praktischer Unterweisung und bestimmter Nutzbarkeit für Menschen und mancherlei Stände verbinden. Wenn damals der Sectengeist, daß Jeder sich zu seiner Partei hielt und auf seinen Mittelpunkt drängte, arme Noth war und darnach auch Gesetze, Einrichtungen gemacht werden mußten: wie anders jetzo, da solche Bande erschlafft, solche Abzirkungen minder nöthig sind und Freiheit, Nutzbarkeit, Wahrheit allein die Grazien sein dürfen, deren Reihen die Wissenschaft einschließt. Besserten wir jetzt mit dem Eifer, dem Feuer, mit dem man damals allenthalben besserte, wir wären weiter, statt daß jetzt uns oft das Ruhmwürdige jener Zeiten Hinderniß am Ruhm und am Verdienst wird.

 

5.
Vom Einfluß der Regierung in die Wissenschaften nach Wiederauflebung der Literatur.

Wie alle Fermente abgähren und Alles unter dem Monde wechselt, so auch die starken Antriebe für die Wissenschaften von Seiten der Regierung. Mit der Zeit fand man, daß man hie und da im Uebermaß bewundert hatte, daß Ciceronianer deswegen noch keine Ciceronen, Commentatoren der Griechen und Römer deswegen noch keine Griechen und Römer wären. Die Kritik artete mehr und mehr in Streitigkeiten, die Kunst in Nachahmung, nutzbare Wissenschaften in bloße Gelehrsamkeit, sogenannte Reformationen in schädliche Sectirereien, in Unruhen und Wortkriege aus; die Gelehrten machten sich also unter dem Namen ungesitteter Pedanten den Regierungen selbst verächtlich. Es versteht sich, daß dies nicht allgemein und ohne Ausnahmen gesagt sei. Jedes Feld der Wissenschaften behielt seine würdigen Männer, und in den Ländern, wo das erneuerte Licht später hindrang, behielten sie auch länger ihr Ansehen, ihre Wirkung; in Republiken länger als in Monarchien, in Ländern, wo man eben nicht das Feine liebte, länger als in Sitzen üppiger Cultur. In diesen, sobald man merkte, daß man der Gelehrten nicht nöthig habe, setzte man auch die Gelehrsamkeit herunter; sobald man inne ward, daß man ohne Religion witzig sein könnte, ward der Priester wiederum als Pfaffe behandelt. Unglücklicherweise war die Reformation (ich will nicht untersuchen, durch wessen Schuld) nur auf halbem Wege stehen geblieben; man hatte reformirt, aber nicht ganz, und wirklich hie und da zu keinem Endzweck. Die Mängel mußten bald ins Auge fallen, und da die Regierungen das Ihre gethan hatten, überhaupt auch der erste Stoß vorbei war, so vergalt man die vorige Hitze jetzt mit Kälte. Man ließ die Gelehrten zanken, die Pfaffen disputiren, die Pedanten lesen und schreiben; man dünkte sich weise und klug ohne sie, ja, man verachtete sie in Geschäften und verlachte sie in der Gesellschaft. Da sie aus obangeführten Ursachen einmal so tief im Staat gesetzt und so unwirksam gemacht waren, so sanken sie immer tiefer zu mehrerer Unwirksamkeit herunter. Unglückliche Kriege, angeblich der Pfaffen und Religion wegen, mit der doch viele Wissenschaften verwebt waren, kamen dazu, und so entstand das Jahrhundert der Pedanterei, der Zänkereien, der politischen Verachtung. Glücklich, daß eine andere Quelle sich für Musen und Staat aufthat! es war Philosophie, Wissenschaft des Versuchs, Mathematik, Naturlehre, Staatskunst. Die Unterhaltung der Verbindung zwischen Reichen und Ländern konnte, wenn alle Wissenschaften, so doch nicht die Staatswissenschaft sinken lassen; das Recht der Völker bildete sich immer mehr. Aus ihm, aus mancherlei Behandlungen einzelner Geschäfte ist eine neuere Philosophie erwachsen, wie thätlich erwiesen werden kann. Baco, Grotius, Hobbes, Thuanus und so viel Andere sind Zeugen darüber. Glückliche Versuche fanden am Himmel eine neue Welt, also Raum der Wissenschaften unter den Sternen, als man ihnen auf der Erde einen Ehrenplatz versagte und sie in staubige Kerker zwang. Von Geschäften des Staats ausgeschlossen, erfanden die Musen Gesetze der Welt, gruben in die Geheimnisse der Natur, machten die frappantesten Erfindungen und ordneten gleichsam das Weltall. Auf Copernicus' Tritten Tycho, Cartesius und Baco, Kepler und Galilei, Harvey und Boyle, Tschirnhausen, Hevelke,Der Danziger Astronom Hevel, auch Hevelke (Hewel, Hewelke) genannt, lateinisch Hevelius. – D. Huygens, Newton und Leibniz, wenn solche Namen und ihre Erfindungen und Versuche die Regenten Europens nicht zu neuer Liebe der reellsten, erhabensten Wissenschaften hätten reizen können, was hätte sie reizen sollen?

Sobald also die Religionsstreitigkeiten und Wortkritik abgährte, kam der physisch-mathematische Geist empor. Die ersten Erfindungen und Versuche waren Unternehmungen von Privatpersonen; denn das Genie ist bestimmt, sich immer selbst seinen Weg zu bahnen. Baco's Atlantis fand beim sophistischen Könige Jakob kein Gehör; er selbst stand als Kanzler und nicht als Philosoph in Betrachtung. Cartesius war aus seinem Vaterlande verbannt; Copernicus entdeckte sein Himmelssystem erst am Tage seines Todes, und Galilei mußte wegen seiner Himmelsentdeckungen Ketten tragen. Es ist bekannt, daß Harvey wegen seiner Erfindung verklagt ward, und wie lange hat Newton's System kämpfen müssen, ehe es Zutritt in Gallien fand! Ueberhaupt ist's der Regierung vielleicht nicht zuzumuthen, daß sie sich der Wissenschaft in ihrer Empfängniß und Geburt annehme; gnug, daß sie das gesunde, durch Mutterkraft geborne Kind nur aufnehme, erziehe und zu ihrem Dienst verwende. Als die Erfindungen vollbracht waren, entstanden Akademien und Societäten; und auch von diesen waren die ersten beinahe das Werk von Privatpersonen.

Nichts ist rühmlicher für die Fürsten als diese edle Unterstützung, die sie den kostbarsten, nützlichsten, dauerndsten Wissenschaften gaben. Wenn der menschliche Geist in etwas den Funken seiner Göttlichkeit spürt, so ist's in Gedanken, womit er Himmel und Erde umfaßt, die Sterne wägt, den Sonnenstrahl spaltet, sich in die Geheimnisse der Tiefe wagt, die Körper theilt, die Gesetze der Natur erräth und die Unendlichkeit berechnet. Es ist edel, eine Versammlung und Verbrüderung der Geister zu stiften, die so etwas unternahmen, sie in ihrem Werk zu unterstützen und zu gemeinschaftlichen Zwecken zu leiten. Wenn alles Geschwätz des Wahnes und der Sophistik zerfressenes Holz sein wird, so werden wahre Versuche und Beobachtungen der Natur dauern und vielleicht in andern Theorien sich bewähren. Wenn Ludwig in nichts großen Geist zeigte, so war's in dem großen Gesichtspunkt, in dem er seine Akademie der Wissenschaften anlegen ließ, in dem ihm auch die meisten der folgenden Akademien gefolgt sind.Vgl. Herder's Werke, XIV. S. 34 ff. – D. Kamen die Untersuchungen ihrer Mitglieder nicht gleich seinem Lande und seiner Regierung, so kamen sie doch der Welt zu Statten, und was nicht ist, wird werden. Alle große Akademien laufen jetzt offenbar in einer Rennbahn; ihre Werke sind Denkmäler der Zeit, und es braucht nicht, wie ein Witzling gesagt, einer neuen Akademie, ihre Werke zu nutzen und anzuwenden. Die Zeit wird sie anwenden, die Lieblinge jeder Wissenschaft werden weiter bauen und ordnen; gnug der Weg, den sie nahmen, so abgerissen und Stückwerk er ist, dünkt mich in seiner Art der sicherste und beste.

Darf ich, der mit dieser Schrift vor der berühmtesten Akademie Deutschlands erscheint, bescheiden einige Gedanken äußern, wie auch den Einwendungen, die man diesen Areopagen der Wissenschaft macht, vielleicht zu begegnen wäre? Man rückt ihnen zuweilen Mangel an Erfindung, hie und da eingeschlossenen Gesichtskreis in Aufgaben, vielleicht Parteilichkeit in Beurtheilung der Antworten vor u. s. w. Entweder Unvollkommenheiten, die von jedem menschlichen Institut unabtrennlich sind, oder gewöhnliche Vorwürfe, die sich selbst widerlegen, die die Mißbräuche treffen und nicht die Sache selbst. Jeder Mensch hat seinen Gesichtskreis, folglich auch jede Versammlung, selbst der erleuchtetsten Menschen. Aus ihm geben sie Fragen, nach ihm entscheiden sie Auflösungen; hiemit werden sie selbst Partei, und das Publicum, Welt und Nachwelt ist Richter. Kein Gott auf der Erde hat noch jemals Köpfe unison stellen können; der Gott der Wissenschaften will's und soll's nicht; er spielt auf einer Leyer von vielen Saiten, von vielen Tönen. Mehr als einmal haben Akademien sich selbst widerlegt, theils in kurzer Zeit, theils im Verfolg ihrer Geschichte; die Akademie der Inscriptionen liefert davon frappante Beispiele, und die Wahrheit kommt vielleicht damit frei und vielseitig an den Tag. Zudem sind die meisten der Wissenschaften, denen die Akademien zum Heiligthum bestimmt sind, der Parteilichkeit minder fähig: Mathematik, Physik, Geschichte, Bemerkung; Meinung bleibt Meinung, und Jedermann steht wiederum die seine darüber frei. Jede Preisaufgabe der Akademie erzeugt ja meistens eine Menge Schriften, die der Preisschrift als Nebenbuhlerinnen nach- oder neben- oder vorfliegen; das Publicum kann sie alle genießen und wählen; die Akademie veranlaßte sie.

Allerdings wäre eine Akademie nicht unnützlich, die ohne bestimmte Fragen allgemein die Classe benennte, in der sie Schriften, Werke, Erfindungen, Beobachtungen anzunehmen und nach Befinden zu krönen bereit wäre. Vielleicht käme manches stille Genie mit einem Meisterstücke hervor, dadurch der Saal der Akademie nicht verunehrt würde. Alle Erfindungen nämlich müssen erfunden, alle Meisterstücke frei und im Stillen vollendet werden. Die beste Preisfrage stört sie vielleicht, berührt das Land nicht, wo die Erfindung liegt, oder trifft nur seitwärts auf sie. Die herrlichsten Gedanken des menschlichen Geistes wurden so im Stillen vollendet.

Es wäre schön, wenn das verborgne Genie ein solches Olympia wüßte, wo es sein Werk, die Arbeit seiner besten Kräfte und schönsten Stunden, einem versammelten Griechenlande darstellen, sein Urtheil hören, namenlos und verborgen, wenigstens keiner Schande der Entdeckung ausgesetzt, den Kranz seines Verdiensts empfangen könnte. Und wie, wenn die Akademie eine Reihe solcher wetteifernden Meisterstücke, alle frei, alle aus eigner Erfindung, in Wissenschaften wie im Saale der Kunst anträfe und, von ihnen überrascht, nicht Preise der Belohnung gnug hätte und einen Wetteifer, eine freie Concurrenz errichtete, die von der rühmlichsten, besten Art wäre? Jetzt hat vielleicht der beste Kopf eben zu dieser Frage nicht Lust, nicht Zeit; sie wird mittelmäßig beantwortet, und die Akademie muß unter dem Schlechtern das Bessere krönen. Oder er zwängt sich in die Frage, geht in Lieblingsgesichtspunkte ein, frappirt, bezaubert. Und denn, welch ein böses Richteramt, funfzig Beantwortungen einer Frage zu lesen und nun zu richten, zu wählen! viele andre Mißfolgen des Neides, der Mißgunst ungerechnet! Dort arbeitet ein Jeder frei; das stille Nein der Akademie läßt ihm sein Werk eigen, als ob's nicht eingesandt wäre. Mich dünkt, so würde eine Akademie die edle Mutter aller Wissenschaften, die vor ihr erschienen, ein treffliches Mittel der Regierung, allerlei Erfindungen zu wecken, zu prüfen, ans Licht zu ziehen, zu belohnen. Irre ich nicht, so würde eine freie Concurrenz der Art von den rühmlichsten und nützlichsten Folgen werden.

Ich fahre fort, von den Mitteln des Einflusses zu reden, dadurch in den neuern Zeiten die Regierungen auf Wissenschaften zu wirken gesucht haben, und da muß ich zuerst die Erziehungsmethoden nennen, um welche sich endlich die Gesetzgebung näher zu bekümmern gelernt hat. Bei den Alten war Erziehung Alles: sie wurde als das erste Mittel zur Bildung des Staats angesehen; die kleinsten Dinge, selbst Ergetzlichkeiten, Musik, Lebensweise, blieben nicht unbemerkt; der Aendrung von ihnen wurde das Aeußerste, das Größte zugeschrieben. Noch im Papstthum wissen wir, was theils überhaupt, theils von einigen Orden durch die Erziehung bewirkt ist. Wie? und bessere Grundsätze sollten nicht Wurzel schlagen? Grundsätze und Methoden eines Rousseau, Locke, Fénélon, Chalotais sollten unwirksam bleiben? Nur freilich ist die Einrichtung davon ein Werk der Regierung. So lange die Bestellung der Lehrer und Form der Schulen schlechten Unterobrigkeiten überlassen ist, die zu Vorstellungen der Art weder Sinn noch Lust haben und dem schnöden, schändlichen Gott Herkommen (Hercomannus) dienen, so lange bleiben unsere Schulen elend lateinisch, wo man für lauter Latein nichts und das Latein am Wenigsten lernt. Die bessern Anstalten, die hier erleuchtete Regenten und Regierungen gemacht haben (und sie sind gottlob an mehr als einem Orte gemacht worden!), sind wahre Ausbeuten für die Wissenschaften wie für den Staat und die Glückseligkeit der Bürger, Menschen, Geschlechter.

Die höhern Schulen erwarten vielleicht eben die Sorge der Regierung. Wenn Vieles von ihnen wirklich altes barbarisches Gerüst ist, das in unsern Zeiten fremde da steht; wenn so manche schreiende Verlegenheit des Lehrers, so manche rufende Mängel und Unbestimmtheiten ihrer unpraktischen Lehrart, so manche fehlgeschlagne Hoffnung bescheidner Jünglinge, die, überfüllt mit Kenntnissen und Universitätswahne, erst eine neue Laufbahn anfangen müssen, wenn ihnen zu rathen sein soll; wenn dies Alles oder nur Einiges davon wahr ist: sollten wir nicht darauf gestoßen werden, den innern Geist dieser Anstalten zu verändern? sie mit Schulen, Akademien, Seminarien, Geschäften, Aemtern anders zu verbinden oder vielmehr sie selbst ganz in Schulen und Seminarien wirklicher Geschäfte, und zwar classenweise, und nicht in einem wüsten Tumult aller Facultäten, jede Classe den Edelsten ihres Geschäfts unterworfen, zu verwandeln? So dauerte eine Universität nicht zwei Jahre, sondern so lange, bis wir zum Geschäft reif sind; so wären die Lehrer derselben nicht müssige Orakel, sondern Väter und Meister, jeder in seinem Stand und Amte; ganze Provinzen würden in Wissenschaften wie in Brauchbarkeit mit einander verbunden und gleichsam lehrend und lernend nur eine Akademie der Bildung. Ich bescheide mich, daß diese wenigen Linien, so unbestimmt angegeben, dunkel und vielleicht unpraktisch scheinen müssen; sobald ich sie erläutern könnte, blieben sie's nicht und dünken mich im höchsten Grade leicht und praktisch. Nur das Unnatürliche ist schwer, nur eine falsche Zusammenordnung macht Verwirrung. Jede Facultät zu einer praktischen Akademie an ihrer Stelle, an ihrem Ort geschaffen und hiernach die Wissenschaften der Provinz, des Landes geordnet   wo ist der Lykurg und Solon, der diese neue Atlantis wirklich mache?

Endlich haben die Regierungen in neuern Zeiten vorzüglich dadurch auf die Wissenschaften gewirkt, daß sie den praktischen, mechanischen Theil derselben aufgemuntert, nützliche Naturlehre und Oekonomie, Schifffahrt, Mechanik, Handel, Waffen und Künste. Die Kriegskunst hat durch ihre Anführer die eigentliche Gestalt der Wissenschaft erhalten und scheint sich dem Punkt zu nahen, mit der wenigsten Bewegung durch wenig entscheidende Schritte, gleichsam als Duell zweier Armeen, als zwei Körper, in denen der Gedanke ihrer Führer wohnt, Vortheile zu gewinnen und zu enden. Die Künste des Friedens sind insonderheit von der Seite des Nützlichen befördert worden. Akademien der Oekonomie wetteifern, die reichsten und ärmsten Länder auf ihre Weise. Wo Akademien fehlen, treten die Regierungen selbst zu durch Aussetzung der Preise auf diese oder jene Erfindung, so daß man das Jahrhundert in der Theorie beinahe das ökonomische nennen möchte. Die Cultur einzelner Länder und Provinzen wird befördert, und insonderheit in Deutschland wird, durch das Vorbild eines großen Monarchen aufgemuntert, hie und da gesucht, was sonst begraben lag, bekannt gemacht, was sonst verachtet geblieben wäre. Die vaterländische Geschichte einzelner Provinzen, die Quellen des Nützlichen und des Reichthums derselben, Handelsvorschläge, Plane zur Aufweckung der Industrie, Berechnung der Einwohner und ihrer Kräfte u. dergl. treten häufig ans Licht, von der Regierung theils veranlaßt, theils geduldet. Auch der unthätigste Fürst will durch Aufmunterung der Wissenschaften, der nützlichen oder schönen, berühmt sein, und obgleich bei dieser Aufmunterung Vieles ins Flittergold, in Eitelkeit und leere Nachahmung übergeht; obgleich so vieles Nutzbare vergeblich gedacht und erfunden ist, weil man's nicht anwendet und an dieser Seite der meiste Mangel zu liegen scheint: so muß man doch jede gute Gabe auch der Wissenschaft annehmen, wie sie uns die Vorsicht verleiht. Ganze Zeitalter wetteifern in Gedanken, andre werden im Thun wetteifern: jene in der Erfindung, diese in der Ausübung; und es ist unleugbar, daß schon vieles Nützlich-Erfundene, insonderheit zur Bequemlichkeit des Gebrauchs, ausgeübt werde. Der Handel aller Nationen, das Interesse der Völker gegen einander ist eine Wissenschaft worden, die zum feinsten Calcül reicht. Die Polizei sucht Alles licht, ruhig, sicher zu machen, und die Gesetzgebung selbst sucht im Tone der Menschlichkeit und Ueberzeugung zu reden. Grobe Eingriffe ins Recht der Völker fallen offenbar ins Auge und müssen von den Regierungen gegen einander selbst (was sonst unerhört war und nicht erfordert wurde) mit Wahrheit, Recht und Menschlichkeit beschönigt werden. Schiffe werden ausgerüstet der Entdeckung der Welt wegen, nicht zur tyrannischen Unterjochung der entdeckten Länder: man hat zwei Nationen Europens in einem erröthenden Vertheidigungsstreit gesehen, auch nur eine neue Krankheit wider Willen dem entdeckten Volk gebracht zu haben. Kurz, je mehr die Weisheit, Güte und wahre Menschenliebe der Regierungen gewinnt, desto mehr werden auch die Wissenschaften von solchem Genius beseelt, zu solchen Zwecken geleitet werden. Man wird ganze Wissenschaften und Stände nutzbarer machen, sie mehr verbinden, als sie verbunden sind, alte Vorurtheile ausrotten und, was Licht ist, auch zur Güte und Glückseligkeit gebrauchen. Ich setze, nachdem wir die Zeiten durchwandert sind und das Gebäude gleichsam ringsum von außen gezeichnet haben, einige Resultate hinzu, die es im Innern, im Aufriß zeigen sollen.

 

6.
Allgemeine Beobachtungen, wie die Regierung in die Wissenschaften einfließt.

Sie kann nicht anders in sie einfließen als durch Erlaubniß, Gelegenheit, Erziehung, Vorbilder, Uebung und Belohnung. Wir wollen die Stücke durchgehn und sie insonderheit mit Exempeln der Geschichte belegen.

1. Das leichteste Mittel ist die Nichthinderniß, die Erlaubniß, eine gute Sache zu treiben, die Gedankenfreiheit. Alle Inquisition ist dem Reich der Wissenschaften schädlich; sie macht die Luft erstickend und benimmt den Athem. Ein Buch, das erst durch zehn Censuren gelangen muß, eh es das Licht der Welt sieht, ist kein Buch mehr, sondern ein Machwerk der heiligen Inquisition, sehr oft ein verstümmelter, ein mit Ruthen gegeißelter, im Munde geknebelter Unglücklicher, immer aber ein Sclave. Es ist weltkundig, wie sehr die Reiche der Inquisition an Wissenschaften zurück sind; desto reicher sind sie an Aberglauben, Dunkelheit und Erbauungsschriften. Im Gebiet der Wahrheit, im Reiche der Gedanken und Geister soll und kann keine irdische Macht entscheiden; die Regierung kann's nicht, geschweige ihr bekutteter Censor. Im Reich der Wahrheit ist er nicht Richter, sondern Partei wie der Autor: er muß über sein Ausstreichen, über sein Nein so gut und schärfere Rechenschaft geben als der Verfasser über sein Ja; denn er fängt hochmüthig den Streit an; er ist Unterdrücker, und zwar Unterdrücker des edelsten Safts der Menschheit, des besten Geschöpfs der Schöpfung, des Lichts, der Gedanken-, der Seelenfreiheit. Alle Besserung kann nur durch Erleuchtung werden; ohne Kopf und Hirn regt sich weder Hand noch Fuß.

Ich bin ferne davon, eine zügellose Frechheit oder Gleichgiltigkeit der Gedanken zu empfehlen, insonderheit wo sie offenbar die Räder des Staats inne hält, sein Principium unwirksam macht und also gerade seine Zwecke und Glückseligkeit stört. Wohlsein geht dem Menschen über Speculation, das Wohlsein Vieler über die Speculationsglückseligkeit Eines. Ich glaube also, es sei dem Staat frei gelassen, ja nothwendig, gewisse Wissenschaften sowie Ergetzlichkeiten und Beschäftigungen gerade auszuschließen, wenn er sie mit seinem Principium der Wirksamkeit nicht binden zu können sich getraut. Alles darf nicht überall wachsen. So wie es selbst nicht allenthalben stehn will, so hat auch der Gärtner Freiheit, es nicht überall stehn zu lassen, wo es sich hindrängt; nur durch diese Einschränkung und Ausschließung wird Richtigkeit, Zweck, Ordnung, Schönheit und Nutze, d. i. Feld und Garte. Wer Unkraut ungestört wachsen lassen will, weil es zuweilen schön aussieht und doch auch in seiner Art gut ist, der darf nicht säen und ernten. Durch Ausschließung der Uebel fingen alle alten Gesetzgeber an auf das Gute zu wirken. Moses verbot seinem Volk die Abgötterei; die Bildnerei mußte er also mit untersagen und alle schönen Künste der Götterfeste. Wie strenge war Lykurg! nur durch Ausschließung der Ueppigkeit, wie in Wissenschaften so in Sitten, gelang es ihm, sein Volk auf den Mittelpunkt seiner Stärke, spartanische Tugend und Vaterlandsliebe, zu drängen und darauf festzuhalten. Sobald Sparta aus sich selbst ging und Alles, was zu ihm wollte, hineinließ, verfiel es. Auch dem mildern Solon war nicht Alles gleichgiltig. Er sagte zu Thespis, als er bei seiner Wiederkunft nach Athen das erste Trauerspiel sah: »Ich wundre mich, daß Du Dich nicht schämst, vor einer so großen Versammlung zu lügen«; und als Thespis sich mit angenehmer poetischer Erdichtung entschuldigen wollte, schlug er mit dem Stock auf die Erde und sagte: »Finden wir einmal an der Lüge zu unsrer Belustigung Geschmack, so wird sie sich bald auch in unsre ernstlichsten Geschäfte einschleichen.«Plut. Sol., 29. – D. Die Geschichte Athen's hat Solon's Weissagung offenbar bekräftigt. Ich entscheide es nicht, ob Cato ganz Unrecht gehabt habe, da er der Aufnahme jedes müssigen griechischen Schwätzers so scharf entgegensprach.Plin. N. H., VII. 31. – D. Mich dünkt, der Erfolg hat sein Wort bekräftigt, und wenigstens wäre Beurtheilung und Unterscheidung dessen, was aufgenommen werden sollte, Rom nicht schädlich gewesen; zuletzt war's zu spät, da der Willkür und dem Geschmack der Luculle Alles frei stand. Gleicherweise kann's auch noch Republiken und Städte geben, wo z. B. die Einführung eines Schauspiels nicht vom besten Erfolg ist und die Regierung sich derselben trotz aller Declamationen und Pasquille der Schöngeister und Aufklärer der Welt ernstlich widersetzen darf und muß. Jeder Staat hat seine Zwecke, sein Principium, seine Grenzen; je mehr die Regierung diese in Allem, also auch in den Gesetzen über Literatur und Künste, im Auge hat, desto mehr wird der Staat gedeihen und mit Hinwegräumung des fremden Unkrauts gleichsam auf seiner Wurzel leben.Wir gestehen, daß die hier vorgetragene Lehre nicht ohne Bedenklichkeiten scheint. In einem Staat, wo nicht eben immer die erhabenste Weisheit mit großer Kraft herrscht, wer wird entscheiden, ob nicht Alles, was über die Gemeinheit (Vulgarität) sich erhebt, entbehrlich und insofern gefährlich ist, als die Gehorchenden dadurch klüger werden könnten als die Befehlenden! Die vorherrschende Kaste, sei sie adelig oder geistlich oder büreaukratisch, wird gegen alles Liberale viel einzuwenden wissen. Eine gute und wachsame Regierung darf, glauben wir, Freiheit gestatten; sie soll aber nicht geschehen lassen, sondern leiten, so daß dem Blendwerk des Irrthums nicht ein Verbot entgegengesetzt werde, sondern die unüberwindliche Kraft wohl dargestellter Wahrheit. Hiezu werden die Mittel nie fehlen, wenn sie die ersten Köpfe sich als Freunde und Gehilfen associirt hält. – Anm. Müller's.

Aus dieser Weisheit einschränkender Gesetze folgt aber nichts minder als blinde Dummheit in Verwerfung alles Neuen und Nützlichen, was nicht nach unserm Hirn ist, kurz, Inquisition. Diese nimmt nicht den Staat, sondern ganz etwas Anders zur Meisterin ihrer Censur, zur Regel ihrer Unterdrückung an, und meistens ist solches Popens Dulness, die bleierne Göttin mit verschlossnen Augen. Auch ist's ein großer Unterschied, fremde Wissenschaften nicht einzulassen, und die schon im Staat sind, wohl zu regieren. Diese sind einmal da, sie sind Triebfedern, Mittel zu Gutem oder zum Bösen. Schläft da das Auge der Regierung und nimmt zum Grundsatz: »daß nur nichts anders werde, daß Alles, wie es ist, bleibe« (und meistens ist dies der löbliche Grundsatz), so ist das nicht Weisheit, sondern Schlaf, nicht Ruhe, sondern Grausamkeit und Schwachheit. Einmal ist's gewiß, daß nichts in der Welt, was es ist, bleibe. Es nutzt sich immer ab; seine Bande und Triebfedern werden schlaff und matt, und wenn nicht nachgesehen, nicht nachgeholfen wird, so steht unvermuthet das schönste Werk, zumal von vielfacher Composition, still. Gewiß ist dies der Fall mit den Wissenschaften im Staat in Verhältniß zu seinem Aufkommen oder Sinken. Die Wage ist hier so fein, die Grade des Verhältnisses so mancherlei und vielfach, daß gewiß kein schläfriger Censor oder stolzdummer und dummstolzer Inquisitor zur Entscheidung gehört. Und immer dünkt mich's eben dieser Verflochtenheit und der Schwachheit menschlicher Entscheidung wegen besser, frei als sclavisch, mild als enge und grausam zu sein, zumal wo es die äußersten Bedürfnisse des Staats gar nicht berührt. Jener König von Frankreich ist lächerlich, der in der mittlern Zeit zwischen den Nominalien und Realien der Scholastik, zwischen quisquis und kiskis entscheiden wollte und dazu Lettres de cachet brauchte. Der Papst ist lächerlich, der den Bischof Vergerius in den Bann that, weil er Gegenfüßler annahm. Das Gericht zu Rom ist unvernünftig und grausam, das den Galilei ins Gefängniß warf, weil er's unter den Sternen anders fand, als sie es finden wollten; über die Sterne ging ihr Gerichtskreis nicht: weder sie noch Galilei konnten von dorther Advocaten holen. Es ist lächerlich, wenn Harvey sich über den Umlauf des Bluts vor Gericht vertheidigen mußte, und abscheulich, wenn in den mittlern Zeiten die besten Leute über die wahrsten Entdeckungen, Meinungen und Hypothesen als Zauberer und Gottesleugner verfolgt, verschrieen und verbrannt wurden. So dünkt es uns jetzt, ihnen damals nicht also, und so sollen dergleichen häßliche und schreckliche Fehltritte der Nachwelt wenigstens Warnung sein. Vieles wird entdeckt werden, was noch nicht entdeckt ist, viele Vorurtheile zernichtet werden, die jetzt noch als Wahrheit gelten. Können wir sie selbst nicht wegräumen, so lasset uns wenigstens bessere, mächtigere Hände daran nicht hindern, dem Licht und der freien Luft wenigstens nicht Fenster und Löcher verschließen, wenn sie mit Gewalt zu uns wollen! Je gegründeter ein Staat in seinen Principien, je geordneter und heller und stärker er in sich selbst ist, desto weniger läuft er Gefahr, vom Winde jeder Meinung, von jedem Pasquill eines aufgebrachten Schriftstellers bewegt und erschüttert zu werden; um so mehr wird derselbe auch Freiheit der Gedanken und, mit einiger Einschränkung nach seiner Situation und Lage, Freiheit der Schriften gönnen, bei der die Wahrheit am Ende doch gewinnt. Nur Tyrannen sind argwöhnisch, nur geheime Bösewichter furchtsam. Ein offner Mensch, der Recht thut und auf seinen Grundsätzen fest ist, läßt Alles über sich sagen; er wandelt am Tage und nutzt selbst die ärgsten Lügen seiner Feinde. So auch eine Regierung, auf Gesetze, Freiheit und Wohl der Menschen gegründet; so auch eine Religion des Staats, die wahr ist und durch jede Beleuchtung nicht anders als endlich gewinnen kann. Alle Monopolien der Gedanken sind schädlich; alle drückende Zünfte und Societäten derselben sind – hie und da noch, nirgend aber müssen sie letzter Zweck werden. Nicht ihnen soll die Wahrheit, sie sollen der Wahrheit dienen, oder sie sind ihrer Stelle nicht werth. Ueberhaupt ist Freiheit der Gedanken die frische Himmelsluft, in der alle Pflanzen der Regierung, zumal die Wissenschaften, am Besten gedeihen. Der Regent eines Staats muß beinahe ohne Lieblingsmeinungen sein, damit er die Meinungen Aller in seinem Staate umfassen, dulden, läutern und zum allgemeinen Besten lenken könne; daher sind große Regenten auch so selten.

 

2. Näher wirkt die Regierung auf die Wissenschaften durch Gelegenheiten, die sie zu ihnen veranlaßt und fördert, und diese werden insonderheit durchs Band der Länder und Religionen, durch Kriege, Bündnisse, Handel. Griechenland bekam seine Buchstaben aus Phönicien, seine ersten Keime der Einrichtung aus Aegypten, Etrurien aus Aegypten und Griechenland, aus Griechenland Rom, aus Rom die Völker. Die Sarazenen holten aus Constantinopel Bücher, Wissenschaften, Künste; von Sarazenen bekamen sie die Christen. Unter diesen hat ein Land vom andern gelernt und geerbt; oft ziehn Regierungen die Kette der Wissenschaften von Land zu Lande, und die Vorsehung gebraucht dazu zuweilen die blutigsten, schrecklichsten Wege. Alexander's Zug in Asien ließ Wissenschaften und die griechische Sprache daselbst; die Römer überwanden die Welt und pflanzten überall ihre Gesetze und Denkart; die Barbaren stürzten über Europa und wurden endlich von Religion und Wissenschaft gebändigt. Die Sarazenen überschwemmten Spanien und Italien und ließen Reste und Spuren ihrer Kenntniß. Die Kreuzzüge erweiterten Europens Begriffe und zerbrachen seine harten Bande; die mancherlei Kriege der Mächte Europens unter sich schleppten Länder in Länder und theilten einander (schlechter Ersatz so großer Uebel!) wenigstens hie und da Bücher, Kenntnisse, Meinungen mit. Es ist bekannt, was Spanier und Franzosen lange Zeit nur auf Deutschlands Sprache gewirkt haben; in Wissenschaften wie mit den Familien unsrer Regenten und unserm armen Blut haben wir ja beinahe allen Völkern Europens gedient. Woher kommt's, daß unsre Literatur ein solches Gemisch ist, das für großer Fruchtbarkeit zu keiner Bestandheit kommen kann? Wir sind in ewigem Conflict mit uns selbst und andern Nationen, die uns brauchen und verachten, denen wir dienen und sie verehren. Wie Deutschlands Verfassung und Geschichte ist, ist auch seine Literatur.

Es ergiebt sich von selbst, daß nicht alle Mittel solcher Mittheilung und Gemeinschaft der Völker gleich gut sind; der Weg des Krieges und der Dienstbarkeit ist der härteste und schlechteste. Sich in die Dienstbarkeit zu stürzen, ist leicht; nicht immer aber kommt ein Moses, der sein Volk befreie und es dafür auch mit dem Raube ägyptischer Gesetzgebung lohne. Die wilden Kriege pflanzen Haß und nicht Liebe der Völker; die Liebe und bessere Bekanntschaft, die sie stiften, war wenigstens nicht der Kriegenden Zweck. Welch ein schöneres Mittel der Ausbreitung guter Kenntnisse waren die Colonien der Alten! Phönicier und Griechen haben sich dadurch verewigt. Sie veranlaßten neue Sitze der Wissenschaften sowie der Handlung und beschämen die Etablissements der Christen in den mittlern Zeiten sehr. Marseille bekam seinen Pytheas, wie Batavia und Goa noch keinen gehabt hat und vielleicht nie haben wird. Die einzigen Colonien der Engländer machen eine ewig rühmliche Ausnahme. Vielleicht wenn die Wissenschaften in Europa verfallen sein werden, werden sie dort aufgehn mit neuer Blüthe, mit neuen Früchten. Die Bemühung eines Staats, uncultivirte Striche zu cultiviren und mit glücklichen Einwohnern zu bepflanzen, ist, wie auch das Rad des Schicksals laufe, das reinste Verdienst für die Nachwelt. Die schönsten Striche der Welt, selbst in Europa, liegen jetzt noch öde. Griechenland und Nationen, die ihm gleichen, sind traurig-schöne Wüsten; vielleicht wird sich das Rad des Schicksals kehren, die Länder am Schwarzen Meer und weit umher und tief hinunter werden aufleben und in neuen griechischen Wissenschaften und Tänzen vergnügt sein. Glücklich möge die Regierung sein, die den Strom einer gerechten und schönen Bildung dahin leitet!

Oft waren Reisen, zumal veranlaßt von der Regierung oder von Staatsmännern und Philosophen selbst angestellt, das Mittel der Verpflanzung der Wissenschaften aus Gegend in Gegend. In Griechenland reisten die Philosophen und Gesetzgeber selbst: Lykurgus, Solon, Pythagoras, Plato. Mit Reisen fing sich die Aufklärung Europens an, insonderheit waren Wallfahrten, Kreuzzüge, Seeabenteuer dergleichen. Viele Sagen der Normänner, die meisten Fabeln und herrschenden Gedichte, zuletzt hellere Nachrichten und Meinungen von fremden Völkern kamen daher. Die damalige Art des Handels war persönlicher, die Bekanntschaften förmlicher und enger. Die Jahrhunderte der Negociationen kamen (so viel ihrer bekannt sind, eine bündige Quelle der Geschichte); endlich kam die Zeit der wirklichen gelehrten Reisen. Ludwig XIV. sandte solche zum Nutzen der Wissenschaften und zum Ruhme seines Reichs aus, Andere sind ihm gefolgt. Die Reisen Tournefort's, Vaillant's, Cassini's, die spätern Reisen der Akademisten für Astronomie und die Gestalt der Erde, die Reisen der russischen Missionarien nach Sibirien für Naturlehre und Geschichte der Länder, die neuesten englischen Reisen zu Entdeckung des Meers und neuer Länder sind ansehnliche Mittel der Regierungen zu Erweiterung der Wissenschaften und Kenntnisse unsrer Erde. Europa hat jetzt einen Vorzug vor allen Zeiten, daß es die Länder der Welt durch Macht und Schifffahrt bindet, mithin Gelegenheit hat, auch nach Kenntnissen zu reichen, wohin es will. Engländer und Franzosen haben gewetteifert, uns Denkmale des ältesten Asiens zu geben, und AnquétilZend-Avesta. Préface. – H. hat in seinem Entdeckungseifer gar eine wandernde Akademie für alle Welttheile vorgeschlagen, der nichts als ein Ludwig XIV. fehlt.

Zu eben solchen Veranlassungen gehört noch, daß eine Regierung die Schätze der Literatur ihres Landes nicht verheimlicht, wo sie nicht zu verheimlichen sind; denn auch darin sind die Wissenschaften Licht, daß sich an ihnen anzünden läßt und sie damit nichts verlieren. Es ist Zeichen der Schwachheit, Barbarei und Trägheit, wenn eingeschlossen wird, was gemein sein soll, wenn, was gebraucht werden soll, vermodert. Eingeschlossene Bibliotheken, vergitterte Urkunden und Manuscripte, unzugängliche modernde Archive – wie viel sind nicht noch ihrer! Welch ein Vortheil wäre es für die allgemeine Literatur Europens, wenn eine gütige Regierung sich um die literarischen Schätze Constantinopel's, Escurial's, Aegyptens, so vieler undurchsuchten Bibliotheken und Klöster in Europa (selbst in Deutschland), Afrika und Asien bekümmerte und das ohne Zweifel unzählig Merkwürdige ans Licht brächte! Noch sind solche Veranlassungen und Gelegenheiten in Menge; sie können aber hier nicht aufgezählt werden, weil sie einzeln sind und meistens ein glücklicher Zufall sie dem Wachenden giebt.

 

3. Erziehung war das große Triebwerk der alten Regierungen, mit dem sie auf Sitten und Wissenschaften wirkten. In Republiken sieht man mehr auf sie als in Monarchien, in kleinen, einfachen Staaten mehr als in unendlich zusammengesetzten Ländern. Unter dem Joch des Despotismus verschwindet die Erziehung und die öffentliche Sorge für sie; der hat andere Bande, die Menschen zu lenken, als früh eingeprägte edle Begriffe. Und was sollen auch diese? wie sind sie möglich, wo ein Volk sie in lebendigen Beispielen nicht um sich sieht, wo es selbst das schrecklichste Gegentheil ist von dem, was die Erziehung gut heißt? Die grünsten Blätter der Lorbeern römischer und griechischer Geschichte verwelken in solchen Händen zu elenden Phrasen; man lernt und sieht ewig Worte, weil man die Sachen nicht anwenden kann, weil der Inhalt selbst für uns zu groß ist. Regierungen geben also den Wissenschaften den tödtlichsten Streich, wenn sie den Menschen die Sinne nehmen, was gut und schön ist, in ihnen zu sehen, was häßlich und schlecht ist, zu verdammen und wie die Hölle selbst zu fliehen. Ein freies Herz erzeugt auch eine freie Seele; ein edler Geist kann nicht würdig denken und unwürdig leben. Tyrannen erzeugen Sclaven, Wortkrämer, Pedanten, Schmeichler, kriechende, niederträchtige Seelen – das zeigt die ganze Geschichte. Mit der Regierung verfällt die Erziehung, mit ihr Wissenschaft, Freiheit, Muth eines Volks, Alles.

So war's mit der Erziehung der mittlern Zeiten. Der geistliche Despotismus setzte Wissenschaften, die zu lehren sein sollten, in Form und Methode; Alles gerieth darnach. Ein Gleiches ist's mit der Erziehung noch jetzt in schlecht bestellten Staaten, so daß man sie und die öffentliche Bildung gewissermaßen einen Spiegel von jener nennen kann in Mängeln und Fehlern. In Ländern, wo keine Religion gilt, wird sie auch in Schulen nicht gelten; wo Altfranken am Ruder des Staats sind, werden auch Altfranken lehren. Einem vernünftigen Regenten kann's gewiß nicht gleichgiltig sein, welche Wissenschaften und wie sie auf Schulen gelehrt werden, welche ersten Eindrücke sein künftiger Bürger und Unterthan bekommt, mit welchen Jünglingen die Aemter seines Staats besetzt werden. Alle bessre Bildung fängt hier von Jugend auf an, im Stillen, im Kleinen.

 

4. Die Erziehung dauert durchs ganze Leben, und das wirksamste Mittel, wie der Staat auf Wissenschaften wirkt, ist ihre öffentliche Anwendung und Uebung. Jeder Kunst ist's die schönste Belohnung, wenn ihr ein Kreis der Uebung wird, in dem sie sich als Kraft fühlen darf und strebt; eine müssige Kraft drückt nur, ein unnützes Korn vermodert. Dies war das große Mittel, wodurch nebst der Erziehung Griechen und Römer wirkten: die Wissenschaften wurden ihnen lebendige Pflanzen, bürgerliche Kräfte. Benimmt eine Regierungsform ihnen dies, den Kreis ihrer Anwendung, ihres wahren Lebens, sperrt sie sie in unfruchtbare Wüsten oder macht sie zum Schemel der Unwissenheit aller Stände, so sind sie, wenn ihre Natur Anwendung will, verdorben. Nun kann freilich jede Regierung nicht alle gleich brauchen; die sie aber brauchen kann, brauche sie recht und lasse andere andern Regierungen und Zeiten. Ein Staat, der gegen alle Wissenschaften gleichgiltig ist, ist eine lässige Regierung; ein Staat, der auch die verschiedensten gleich anwendet, hat seine Vernunft verloren. Wenn der Schreiber Minister, der Priester Lustigmacher, der Jurist ein Witzling sein soll und Alle, eben weil sie dies sind, befördert und an ihre Stellen gesetzt werden: wahrlich, so wird die Austheilung gelehrter Aemter ein Kartenspiel; man nimmt die Karte, wie sie fällt, insonderheit wie sie bunt ist, und wer nicht hungern will, muß nicht die Wissenschaft lernen, die zum Amt gehört, sondern die zu ihm führt! Priester zu werden, lernt er tanzen; Richter zu werden, spielt er die Geige. Schändliche Verachtung der Wissenschaften und des Staates selbst im Staate! Wer wird sich Mühe geben, wenn Mühe verlacht wird? wer Wissenschaften der Anwendung treiben, wo ihm der Unwissendste andrer Talente wegen vorspringt?

Und doch geschieht dies öfter, als man glaubt; ja, man ist in einigen Fällen schon gewohnt, daß es geschehen könne und dürfe. Manche Prüfungen, ehe man zu Aemtern gelangt, sind wahre Pasquille auf Wissenschaften und Aemter. Man fragt Sachen, wo es eine Schande ist, zuweilen sie zu wissen, zuweilen sie zu fragen; man fragt sie auf eine Art, wo es ein Unglück wäre, wenn der Geprüfte sie in seinem Stande also anwenden wollte; ja, was bedeutet endlich diese ganze Prüfung? Sie entscheidet wegen zukommender Nebenumstände nichts; sie tastet, wenn sie auch am Besten geriethe, das Wesentliche des Amts, das Innere dieser Person wenig an; sie ist ein gutes »Hilft's nicht, so kann's nicht schaden«. Und sie schadet wirklich, wie Alles, was nicht nutzt, wo man Hilfe will, schadet. Weiß man, wie schlecht die Pforten zu den Aemtern im Staate besetzt sind, so rüstet sich Jeder aufs elende Compendium der Formeln, die von den Thürhütern gefragt werden, lacht selbst darüber und passirt. »Ei, wenn ich nur meinen Stryk, meinen Hutter und Bayer kann, rechtlehrig und kriechend oder schieflehrig und galant, wer fordert mehr?« So sind manche Stände zum Pöbel hinabgesunken und ganze Wissenschaften mit ihrer Anwendung unter die Schlaftrunkenheit, Unwissenheit, den Geiz oder andre Leidenschaften ihrer Brabeuten verkauft; in weniger Zeit wird sodann das wahre Verdienst der Aemter Austheilenden und Empfangenden selbst zum Gespött und Ekel. Erstere sind sich bewußt, ein halb Jahrhundert so ausgetheilt zu haben; warum sollten sie jetzt anders? Mithin ist die Wissenschaft der Art verbannt, wenngleich das Formular ihrer Würde sich auf unnütze Art forterbt. Die wirkliche Anwendung derselben widerspricht ja dem Formular, und der öffentliche Contrast macht oft nur die Sache ärger. Sein wollen und nicht sein, ist schlimm; sein sollen und doch auch nicht sein sollen, ist das Aergste vom Argen, und solcher Widersprüche sind in Absicht auf die Anwendung mancher Wissenschaften viele Länder und Staaten voll, worunter ich insonderheit den geistlichen und den Erziehungsstand rechne, andrer zu geschweigen. Was würden die Alten, was würde Numa, Lykurg und Solon sagen, wenn sie diese Einrichtungen, die Anwendung und Triebfedern der Wissenschaft sein sollen, sähen?

Das wahre Auge und der göttlichste Blick eines Regenten ist, in jedem Stande, in jeder Wissenschaft den Werth zu entdecken, der in ihnen liegt, und sie zu diesem Werthe mit wohlthätiger Hand gleichsam zu zwingen, genau die Zugänge zu bewachen, wie Wissenschaft Belohnung sucht, und sie auf den Platz im Staate zu führen, wo Wirksamkeit ihre schönste Belohnung ist, und wo ihr Gutes sich auf alle benachbarten Stände fortbreitet. So werden Kräfte geweckt, so werden Wissenschaften und Gaben aufs Neue gewürdet. Trajan und Gustav Adolph waren nicht gelehrt, sie trugen aber mehr zur Aufnahme wahrer Wissenschaft bei als vielleicht Hadrian und Christine; sie wußten sie anzuwenden, zu schätzen, zu gebrauchen.

 

5. Groß ist der Einfluß, den dergleichen Anwendung auf die Wissenschaften hat, nicht nur an sich, sondern auch als Vorbild Andrer betrachtet. Der Literatur eines ganzen Landes ist's Ehre und Freude, wenn ihre Lieblinge geehrt, gebraucht, geschäftig sind; sie sind die Aufmunterung der Jünglinge, ihre thätige Beihilfe und treiben junge Knospen hervor. Alle goldne Zeitalter der Wissenschaften beweisen's, daß in ihnen nichts so wirkend und hinreißend war als das Beispiel; und das lauteste Beispiel giebt immer die Regierung. Wenn in jedem Stande nur einige geschickte Männer am Werk sind, so wecken, so bilden sie bald Ihresgleichen; unvermerkt wird Unwissenheit und Finsterniß in den Winkel verdrungen und muß knirschen und sich schämen. Jede Wissenschaft, wenn sie nur von einigen Beispielen würdig behandelt ward, breitet auch auf andre, insonderheit nachbarliche Wissenschaften Würde und Licht aus; zuletzt werden auch, wenn auch nur dem Contrast zu entgehen, die Ecken lichter. Der ganzen Schriftstellerei eines Landes ist's Vortheil, wenn sie Schriftsteller von anerkannten Verdiensten auch im thätigen Leben gehabt und insonderheit frühe gehabt hat; sie haben ihren Geist den Schriften eingeprägt, und diese werden Muster. Engländern, Italienern und Franzosen, noch mehr aber Griechen und Römern hat's gewiß nicht geschadet, daß die würdigsten Männer ihrer Regierung auch geschrieben und zum Theil die Handlungen ihres Lebens selbst verfaßt haben. Ich weiß es wohl, daß vorzüglicher Geist nicht eben an vorzüglichen Stand gebunden sei und oft mit demselben wunderbar contrastire; an vorzügliche Geschäfte aber sollte er gebunden sein, und diese sollten im Staate und in der Wissenschaft vorzüglichen Stand geben. Es ist nicht das beste Zeichen, wie in Deutschland Wissenschaft und Regierung mit einander stehen, daß jene dieser so verächtlich ist und sich für Hochachtung nicht zu lassen weiß, wenn der Mäcenat sich herunterläßt, ein Blatt oder ein Buch – zu schreiben. In andern Ländern ist eine Sclavenmiene der Art unerhört; wenn ein Minister und Cardinal schlecht schreibt, so hat ein Minister und Cardinal – schlecht geschrieben.

 

6. Ohne Zweifel ist's noch eine größere Aufmunterung der Wissenschaften, wenn der Fürst selbst Beispiel giebt; allein fast ist das Beispiel zu hoch, zu theuer. Freilich, wenn der Himmel, wie in Cäsar, Marc-Antonin, Friedrich und wenigen andern Regenten, die seltnen Gaben, glücklich zu denken und zu handeln, vereinigt, daß die Feder weder dem Scepter noch Kriegesstabe schadet, so sind eben so außerordentlich vereinte Gaben an ihrer Stelle doppelt ehrwürdig und schätzbar. Meistens ist aber der Name eigentlich gelehrter Prinzen der Geschichte nach unglücklich. Nicht an sich selbst – denn Wissenschaften und die Gabe zu herrschen, die selbst die höchste Wissenschaft ist, stehn in keinem Streite: nur freilich des so leicht zu befürchtenden Mißbrauchs wegen. Der gelehrte Fürst liebt vielleicht Musen und nicht Geschäfte: er sammelt Gelehrte um sich und vergißt die Männer des Staats; Feinde dringen ihm auf den Hals, er liebt die Ruhe und erkauft vielleicht einen schimpflichen Frieden. Zu theures Opfer für die Wissenschaften, Ehre und Glückseligkeit des Staats, die sich auf Wirken und nicht auf Denken allein gründet. So übereilte Christine unwürdig den Frieden und vernachlässigte die Regierung und verschwendete die Güter des Staats. So war Alphonsus in Castilien, Erich in Dänemark, Kaiser Friedrich III. in Deutschland, so viele Kaiser in Orient, so manche Despoten in Rom gelehrte, aber lässige oder unglückliche Kaiser, die selbst durch ihr Beispiel und ihre Regierung der Wissenschaft mehr verderbten als nützten. Am Meisten ist aber auch der Geschmack der Monarchen der freien Wissenschaft furchtbar. Ist er gut, so ist nichts wirksamer als dies Vorbild, wo nicht, nichts schädlicher als dasselbe. Der Geschmack Mäcenas' und Caligula's, die Verse Nero's und Hadrian's, die sophistische Spitzfindigkeit Jacob's I. und andere Beispiele nebst den übeln Folgen, die sie gaben, sind Warnungen in der Geschichte.

 

7. Am Besten spricht der Regent durch allgemeine Schätzung und Belohnung. Zu ihnen gehört, daß er die Wissenschaften kenne und liebe, daß er auch durch eignen Versuch, wenigstens in der Jugend, ihre Mühe kenne und zur Aufmunterung seines Geistes miteifre; der thätigste Einfluß aber bleibt ihre Anwendung im Staate. Je edler, wahrer, zweckmäßiger diese ist, desto höher steigt der Ruhm und das Verdienst des Fürsten, oft durch Vergleichungen von Jahrhundert zu Jahrhundert höher. Zehn Fürsten in zehn Zeitaltern können eine Wissenschaft schätzen und lieben, aber in sehr verschiednem Grade der Würde, des Verstandes, des Glücks, des Verdienstes. Schöne Wissenschaften, Philosophie, Religion, Beredsamkeit, Dichtkunst – zu allen Zeiten eine und dieselbe Sache, aber in verschieden Zeiten und Regierungen wie anders angesehen, angewandt, belohnt, behandelt! Auf dieser Laufbahn liegt der Ruhm des Fürsten; er wetteifert mit allen guten Regierungen, die vor ihm waren, um die Talents seines Zeitalters, seines Reichs noch besser als jene, noch nutzbarer und edler zu brauchen. Ein Fürst, der Wissenschaften liebt, aber schlechte Wissenschaften, dazu enge, kleinkreisig, unedel, wird den bessern durch seinen Einfluß auf diese gewiß schaden. Der Geschmack des Herzogs von Orléans, als Regenten von Frankreich, Karl's II. von England, Kaiser Julian's u. A. breitete sich bald umher; Alles suchte Gold, liebte Kothmalereien und üppige Gedichte, Theurgie u. dergl. Hinter dem Grabe des Regenten erscheint bald seine wahre Gestalt, auch mit welcher Kenntniß und Neigung er Wissenschaft liebte und belohnte. Die Flittern der Eitelkeit bleiben im Strom Lethe; leerer Dunst, den man seinen Zeitgenossen machte, kommt nicht hinüber. Auch wird sodann meistens die Disproportion vom Wollen und der That, vom leeren Streben zu nichtigen Endzwecken sichtbar. Der Fürst, der durch die Ehre seiner Gesellschaft dämonisch machen, durch Gold Genie inspiriren will, berührt meistens mit heiliger Hand – Kröpfe.Deren Heilung die französischen Könige sich zuschrieben. – D. Der Einfluß der Regierung ist, wie die Witterung, wie Gott und die Natur wirken, nicht willkürlich und wörtlich, sondern im höchsten Grad stille, fortgehend, thätig.

 

7.
Allgemeine Beobachtungen von Veränderung der Wissenschaften, nachdem sich die Regierungen verändert.

Alles ist auf der Erde im Wechsel, so Wissenschaften, so Staaten. Die Wissenschaft wie die Regierung in abstracto ist auf unserm sich immer drehenden Balle noch nicht erschienen, auch vielleicht nirgend erscheinbar. Sie sich also zu gedenken, nach diesem Ideal, einem schönen Trugbilde, zu haschen, ist schön und nützlich (man findet Vieles auf dem Wege); der Welt indessen ist sie immer nur in einzelnen Zügen, nach solchen und solchen Veranlassungen die Entwicklung gewisser Localumstände gewesen. Je vortheilhafter diese waren, je länger, thätiger und besser sie entwickelt wurden, desto schönere Ausbeuten gab's in Wissenschaften und der Regierung. Der glänzendste Monarch ist nicht immer der größte, die Zeit der Blüthe einer Wissenschaft nicht immer die verdienstreichste. Wer gesät, wer den Acker durchgebrochen und die Frucht hergeschafft hat, that mehr, als der da erntet.

Es wird leicht, den Faden dieser Verändrungen auf unsrer Erde zu verfolgen, aber schwer, sie mit deutlichen Charakteren zu bezeichnen, und noch schwerer, sie mit den Regierungen ihrer Zeit zu berechnen. Man nennt über Wissenschaft und Staatsform allgemeine Worte, z. B. Republik, Monarchie, Despotismus; Poesie, Beredsamkeit, Philosophie, Künste, deren Geist sich doch so sehr verändert hat, die oft nach weniger Zeit an derselben Stelle nicht mehr dasselbe waren. Keine zwei Republiken und Monarchien sind sich noch einander gleich gewesen, so wenig als zwei Wissenschaften, die Triebfedern ihrer Regierung. Die Zeit selbst verändert eine jede mit ihren Momenten, und der philosophischen Geschichte bleibt nichts übrig, als diese Einzelnheiten scharf zu bemerken und anzuwenden. Ich wünschte, wir hätten eine solche philosophische Geschichte sowol der Wissenschaften als der Regierungen und ihres Einflusses in einander! Schöne Bruchstücke haben wir insonderheit in der politischen Geschichte, in Bearbeitung einzelner Perioden derselben; der Baum des Ganzen, »wie Wissenschaft in ihren Zweigen und Früchten allmählich, hie und da und durch welche Veranlassungen sichtbar geworden,« fehlt.

Die väterliche Regierung scheint zuerst die nothwendigsten menschlichen Kenntnisse, insonderheit Religion gegründet zu haben, welche letztere unter dem Despotismus zur größten Pracht gerieth und sich ihm gleichsam zur Seite setzte. Despotismus scheint die Kenntnisse, unter dem väterlichen Regiment erfunden, zu Gesetzen des Landes fixirt, hiemit zuerst genützt, nachher aber insonderheit durch sein Uebermaß, seine Gewaltthätigkeit und Willkür unendlich geschadet zu haben. Der Baum der Wissenschaft stand still und wuchs nicht weiter. Die Freistaaten brachten Maß und Verhältniß wieder, sowol der Bürger zu einander als der Wissenschaften zum Staat; sie unterscheiden sich also überall durch Natur, durch menschliche oder politische Wahrheit, durch gemeine Nutzbarkeit und Verhältniß. War die Republik Demokratie, so waren's Volkswissenschaften, die da blühten, Poesie, Redekunst, Popularphilosophie, Künste, die ins Auge oder Ohr fielen; war sie Aristokratie, so waren's mehr Wissenschaften stiller Ueberlegung, Staatskunst, Philosophie, Geschichte; waren beide Formen vermischt, so liefen auch die Wissenschaften beider durch einander. Ist eine Republik auf Fleiß, eingeschlossene Emsigkeit, Ackerbau u. dergl. gebaut, so werden die Künste des Nützlichen und der Sparsamkeit gelten; ist sie eine Republik des Handels, so wird sie die Kenntnisse treiben, die ihn begünstigen, oder die er hervorbringt, nach dem er ist. Genießt sie selbst die Ausbeute davon, so werden's Künste der Ueppigkeit sein; ist sie nur Unterhändlerin, die sich durch Sparsamkeit erhält, so wird sich dieser Charakter auch ihrer Wissenschaft und Lebensart mittheilen. Ueber alle diese Bemerkungen sind die Freistaaten Griechenlandes und in neuern Zeiten Venedig, Florenz, Schweiz, England (sofern es Republik ist), Holland Zeuge. Ist ein Freistaat auf Krieg gegründet, so ist dieser Grundsatz entweder Vertheidigung desselben, wie Sparta; mithin halten sich auch alle Wissenschaften und Künste in dem Kreise: oder er will angreifen, überwinden, sich ausbreiten; so hat er das Schicksal Rom's, durch seine Größe unterzugehen, in Wissenschaften wie im Staatswerthe. Ist eine Monarchie auf Untergang der Freistaaten gegründet, so sind diese entweder bloße Eroberungen, wie die Republiken Griechenlandes unter der Monarchie waren; mithin kann sich der Flor ihrer Wissenschaften noch eine Zeit lang erhalten, nachdem ihr Zustand minder verändert wird und die Monarchie, ihre Erobrerin, ihres Weges geht. Ist die Monarchie durch schreckliche Mißbräuche der Freiheit aus dem Freistaat selbst entstanden, wie zu Rom, so verdient sie selten diesen Namen, sie ist meistens Tyrannei, Despotismus; die Blüthen des Freistaats gehen also schnell zu Grunde, nachdem sie vielleicht eben im höchsten Triebe ihres Flors waren. Kommen Umstände zusammen, diese Tyrannei bei Zeiten einzuschränken, dem Staat, wo nicht wieder die Freiheit, so doch eine feste, gesetzmäßige Monarchie zu geben, so kann er sich wieder erholen und Früchte andrer Art bringen; wo nicht, und bleibt er schwankend, ohne Scheidewand zwischen Gesetz und Willkür, so geht Alles (einige schöne Ausnahmen der Willkür beiseite gestellt) verloren, wie die Geschichte Rom's zeigt. Die Last war zu groß, als daß sie sich ordnen, der Staat war zu mächtig, als daß ihn ein Andrer, ein Fremder vorm Fall bewahren konnte: es blieb nichts Anders, als daß Barbaren, denen die Schwächen gezeigt waren, ihn und die Wissenschaft in ihm, das nichtige Spinnengewebe, zerstörten. Eine Monarchie, auf christlichen Despotismus gegründet, ist ein schwaches Ding, in ewigem Widerspruche mit sich selbst und seinen Wissenschaften, wie die Geschichte Constantinopel's zeigt. Das Christenthum will keinen Despotismus, und Pfaffen- und Weibergeschwätz kann keine Kräfte verleihen, auszurichten, was es will; also bleibt Staat und Wissenschaft in Schwachheit, Gezänk und Abstraction liegen. Die barbarische Lehnsmonarchie war ein schwaches Wesen für sich und die Kenntnisse, die sie nährte; nur für den Krieg erfunden, muß sie in ewigen Zügen, in beständiger Wirksamkeit sein, oder sie wird Unruh und zernichtet sich selbst. Wissenschaften hat sie gar nicht in sich; der geistliche Stand ward zwischengeschoben, dies Hilfsmittel zu vertreten. Aus Monarchien dieser Art entstand Despotismus oder Freiheit, nach dem die Würfel des Schicksals fielen; aber auch der Despotismus rieb sich ab und mußte, gleichsam wider seinen Willen, Monarchie werden, auf Gesetze des Staats gegründet. Wenn aus keinem andern Grunde, so geschah dies daher, weil zwischen Staaten von besserer Verfassung der Despotismus keine Stelle, keine Sicherheit findet und gleichsam sich selbst vernichtigt. Dies ist die Geschichte der Monarchien Europens in den letzten Zeiten, mithin auch ihrer Wissenschaften und Künste. Sie mußten erst dem Lehnregiment dienen, sodann kam auf kurze Zeit ein subtiler Despotismus, der sich immer mehr in gesetzmäßige Monarchie auflöst. Die klappernden Räder reiben sich ab und gehen sanfter; die Monarchie wird eine Oligarchie, wo aus Schwachheit oder aus Größe der Regenten endlich Gesetze regieren müssen und nicht Fürsten. Auch die Wissenschaften werden also den Gesetzen dienen, nachdem das Wohl des Staats sie fordert; dieser wird Schulen, Akademien, Seminarien, Stände anlegen, ihnen Materie und Lehrart vorzeichnen und sie unter sich und zum Ganzen ordnen. Die Monarchie wird eine Pyramide werden, wo Gesetze die Basis, Wirksamkeit die Steine, Wissenschaften der Kitt derselben, der Fürst der Gipfel ist, der auf Allem ruht und ihre Weltseiten ordnet. Die Wissenschaften des Wahren und Nützlichen müssen also wahrscheinlich einmal obsiegen.

Jeder Staat hat seine Periode des Werdens, des Bleibens und des Verfalls; darnach richten sich seine Wissenschaften und Künste. Im väterlichen Regiment sind sie im Anfange vom reinsten Geiste, nachher geht's schon in Stämme, Tradition, Verfälschung, Zank oder Vergessenheit und Despotismus. Der Despotismus ist meistens am Glänzendsten unter seinem Stifter. Eben die Umstände und überwiegenden Talente, die ihn zum Despoten machten, beförderten auch die schnellste Aeußerung derselben in Pracht, Uebermaß, Hoheit. Die Pyramiden in Aegypten, die Gebäude der Semiramis sind aus den ältesten Zeiten; die Ruinen Persepolis' gehen gleichsam über alles Datum der Geschichte und verlieren sich im Abgrunde der Zeit. Von Geschlecht zu Geschlecht fällt der Despotismus und wird Schwachheit, Verwirrung und Unordnung. Republiken sind wie Pflanzen, die aus Samenkörnern gezogen werden; ihre Blüthe kommt nicht am Tage der Saat. Aber sie wachsen, sie dauern, so lang ihre Lebenskraft dauert; dann nehmen sie ab und sterben. Nachdem die Wissenschaft enger oder weiter mit ihrem Zweck zusammenhängt, kommt sie auch früher oder später zum Vorschein; meistens aber folgt auf die Zeit der Macht, des Glücks, der größten Anstrengung die Zeit des Ansehens, der Ruhe, der meistens kurzen Blüthe. Dann blühen die Wissenschaften mit, mit Allem, was in ihnen blüht. Kann eine glückliche Aristokratie der Gesetzgebung diesen Zeitpunkt verlängern, oder geht der Freistaat gar in eine sanfte Monarchie festgestellter Gesetze über, so dauert der Flor länger, wie die neuern Republiken, Florenz, Venedig, Holland, die Schweiz, England, Schweden zeigen; wo nicht, so ist alle Blüthe, auch der Wissenschaften schnell vorüber. Ueberhaupt scheint's, daß die neuern Staaten an Stärke und Dauer gewinnen, was ihnen an schneller Blüthe abgeht. Keiner derselben hat's in kurzer Zeit so hoch in Künsten und Literatur gebracht als Rom und Athen, keiner in so kurzer Zeit solche Meisterstücke vollendet; vielleicht aber haben sie Platz gewonnen, in einer größern, stillen Folge, in einförmigem Gange mehr zu thun, und ihr Gutes ungleich mehr verbreitet. Auch das Licht der Wiederauflebung der Wissenschaften wäre nur eine kurze, wegbrennende Flamme gewesen, wenn nicht Monarchien ihre Lichter dran angezündet und, wiewol in schwächerm Glanz, die Flamme erhalten hätten. Allerdings aber sind Republiken in so glücklichem Zeitraume der rechte Zunder der Flamme; die kühnsten, göttlichsten Gedanken des menschlichen Geistes sind in Freistaaten empfangen, die schönsten Entwürfe und Werke in Freistaaten vollendet worden. Auch in mittlern und neuen Zeiten ist die beste Geschichte, die beste Philosophie der Menschlichkeit und Staatskunst immer republikanisch. Die Monarchie bringt sie unter Gesetze und bewahrt sie auf.

Vielleicht könnten unsere Betrachtungen bisher etwas Gewisses in dem Rangstreit ausmachen, der über die Wissenschaften der Alten und Neuen vielleicht mit mehrerer Wärme als Philosophie geführt ist. Daß die Natur nie ersterbe, kann man sicher annehmen. Daß sie zu allen Zeiten, auch unter verschiednen Völkern und Nationalcharaktern edle Keime wecke, ist ebenso gewiß und oft in den größten Mißbräuchen bewiesen. Nur daß diese Keime oft keine gute Stelle finden, daß es an Zuständen fehlt, jetzt dieses, jetzt ein anderes Talent zu üben, ihm Wirksamkeit und Wettstreit zu verschaffen, nur das, dünkt mich (Klima und Nationalcharakter nicht ausgeschlossen), macht den größten Unterschied der Wissenschaften und Zeiten. So wie man nun nicht dem Strom der Jahre und Weltverfassung gebieten kann, daß er rückwärts fließe; wie kein Gesetzgeber durch eine Zauberruthe ein Rom, Athen, Griechenland herrvorufen kann, wo es nicht ist und in nächsten Anlagen auf Reife wartet: so wäre es unvernünftig, aus Liebhaberei alter Zeiten die seine zu verkennen und zu versäumen, Rom anzuzünden, damit man ein brennendes Troja sehe und neue Homerische Verse lese. Das Volksregiment Athen's, die Verfassung Rom's, da die Wissenschaften in ihm am Meisten blühten, hatten Seiten, die wir uns ihrer Redner und Poeten wegen nicht eben zurückwünschen möchten, und die unruhigen Zeiten Italiens, die Dante und Petrarch hervorbrachten, sind auch nicht neidenswerth. Manche Wissenschaften sind schöne Blüthen stachlichter Pflanzen, herrliche Trauben eines schwachen Gewächses von Weinstock; ein reiches Aehrenfeld ist uns nöthiger und besser, wenn's gleich nicht so schön aussieht. Wir sind ein Gemisch von Völkern und Sprachen, haben ein Gemisch von Verhältnissen und Zwecken; der reine griechische Nationalcharakter, ihre Einfalt in Wissenschaft und Bildung kann uns nie werden: also lasset uns werden, was wir sein können, ihnen nachstreben, sofern es unsre Verfassung erlaubt, und in dieser werden, was jene nicht sein konnten! Vielleicht ersetzen wir an Frucht, was uns, gegen sie betrachtet, an schöner Blüthe, an Dauer und Ausbreitung, was uns an Leben und Innigkeit abgeht.

 

Zweite Frage.
Was und wie haben die Wissenschaften auf die Regierungen gewirkt in den Zeiten, da sie geblüht?

 

Ich werde hier kürzer sein können; denn das Meiste läßt sich aus vorstehender Abhandlung leicht herleiten und mit denselben Beispielen belegen. Ein allgemeines Lob der Wissenschaften in ihrem Verhältnisse zum Staat ist hier mein Zweck nicht; der große Baco, der gelehrte Babeyrac und Andre, zumal die gegen Rousseau's PreisschriftDiscours sur la question: Le rétablissement des sciences et arts a-t-il contribué à épurer ou à corrompre les moeurs? (1750). Wieland schrieb dagegen 1770: »Ueber die Behauptung, daß ungehemmte Ausbildung der menschlichen Gattung nachtheilig sei« (in unserer Ausgabe seiner Werke, Th. XXXI. S. 125 ff.). – D. schrieben, und wie er sie selbst rechtfertigt, haben diesen Gegenstand ziemlich erschöpft. Hier kommt's auf bestimmte Fälle und Thatsachen an. Ich folge den Schritten meiner vorigen Abhandlung.

 

1. Die Keime der Wissenschaften in der väterlichen Regierung tragen ihr Gutes selbst in sich. Sie waren sanfte Mittel, Kinder zu einem Stamme zu bilden und den Geist des Vaters auf sie zu prägen. Die ersten Sprüche und Wörter, Prophezeihungen, Segen und Lieder eines Stammes, seine Versuche und Erfahrungen, in Sprichwörter geprägt, in Mythologie und Tradition gedichtet, sind von größter Wirkung, oft Jahrhunderte, zuweilen ein Jahrtausend hinab gewesen. Sie flossen auch in die spätern Zustände der Bildung ein und dienten diesen zu Hilfsmitteln, zu Mustern.

Nun kommt's darauf an, wie diese ersten Eindrücke der Wissenschaft beschaffen seien, ob wahr oder falsch, gut oder böse. Wahre Erfahrungen aus dem Leben des Vaters, wahre Lehren, aus seinem Munde und mit seinem Ansehen bekräftigt, können nicht anders als die beste Wirkung auf Bildung des Stammes, auf Erleichterung und Verschönerung seines Lebens haben. So wirkten die Sprüche der sterbenden Väter, ihre Lieder, ihre Gebräuche; man hielt sich an sie wie an einen ererbten heiligen Stab, durch sie ward der Charakter des Stammes gebildet. Waren die Eindrücke hingegen falsch und böse, stolz, grausam, unterdrückend, anmaßend; verwischte das Wahre in ihnen die Tradition, und eine Reihe böser Anwendungen machte das Beste in ihnen zum Gifte: allerdings wurden sie sodann die Werkzeuge politischen Uebels. Ein stolzer Stamm, der sich mit Liedern der Weissagung seiner Größe, mit Gesängen vom Vorrecht seiner Väter, mit Anmaßungen auf Länder, Siege, die Unterdrückung und Sclaverei andrer Stämme trug, hatte damit eine feindliche Flamme in der Hand, zu brennen, zu verwüsten. Die Lieder der Araber, die unversöhntes Unrecht, ungetilgte Schmach, Wuth und Rache athmen, sind glühende Funken in ihrem Busen, die nur durch Blut und Asche verlöscht werden. Die Gesänge der alten nordischen Völker, die nichts als Krieg, Blutgefecht, Geschrei der Adler, Klirren der Schwerter und Helme, kurz, BarditIn dem ganz ungeschichtlichen Sinne, in welchem man das Wort nach dem Berichte des Tacitus (Germ. 3) gebildet hatte. Klopstock hatte dramatische Bardiete gedichtet. – D. tönten, erhielten den Kriegsgeist in ihnen, nicht eben zur Ruhe und zum Besten der Welt. Wir wissen, daß Gothen und Hunnen durch solche Lieder belebt wurden, Europa zu durchstreifen und zu verwüsten, daß Normänner und Sarazenen zu Land und zu Schiffe mit Gesängen und Weissagungen Fahnen und Segel in Schwung brachten, daß ein Seeräuber Lodbrog sowie ein rechtgläubiger Muselmann unter Gesang und Gesicht starb, daß sein Heldentod ihm Paradies und Walhalla öffne. Kurz, wir sehen, Alles komme auf Anwendung, auf Gebrauch an, und den kann sich die Sache selbst nicht geben. Regner Lodbrog's Gesang bleibt ein schöner Gesang; der freudige Tod des Helden bleibt ein schöner Tod; Muth und Tapferkeit eines Volks, durch Vorbilder und Lieder erhalten, ist an sich eine schöne Tugend: Alles beruht darauf, wie sie vom Stande, der Situation eines Volks, von der Weisheit und Güte seiner Anführer gebraucht wird. Sind Traditionen der Art Waffen der Freiheit gegen die Unterdrücker, wie es die Gesänge der Deutschen und Celten gegen die andringenden Römer waren; werden sie Stimme der Väter, ihre Söhne vor schändlicher Ueppigkeit, vor Müssiggange und Trägheit zu bewahren, bei ihrer alten Lebensart, Strenge, Gerechtigkeit und Kriegsarbeit sie festzuhalten: was geht sodann an politischen Hilfsmitteln über die Nutzbarkeit ihrer Wirkung? So befahl Theodorich seinen Gothen, daß sie, von den Wissenschaften der Ueberwundnen fern, bei ihren Liedern und Kampfspielen blieben. So haben alle Völker im Zustande des Heroismus und der Freiheit diese Gesänge als Seele derselben angesehen und sie unter dem Namen Heldenlieder, Gesänge der Vorzeit, Stimmen der Väter u. dergl. lange fortgeerbt. So rauh und fabelhaft, wie sie waren, haben sie mehr gewirkt als eine Gattung neuerfundener Literatur und Künste; denn sie waren dem Genius des Volks angemessen, der Athem seines männlichsten Lebens; mit ihnen und durch sie lebte und starb man nach Begriffen des Volks edel. So stirbt der Eskimo an seinem Marterpfahl unter den grausamsten Schmerzen vergnügt und heiter; er ruft in Gesängen seinen Freund, ihn zu rächen und mit dem Hirnschädel seiner Feinde ihm dort zu begegnen; der Ruhm seiner Vorfahren und die Ehre seines Stamms und das Wiedersehen seines Freundes schließt ihm die Augen. So mußte, wenn die Lieder ächt sind, die Seele Fingal's unter seinen Kindern noch fortleben; sein Beispiel der Gerechtigkeit, Mäßigkeit, Güte, Verschonung des Ueberwundnen, Bereitwilligkeit, dem Unterdrückten zu helfen, stand vor ihnen wie der Geist seiner Tapferkeit und seines Muthes. Je reiner Traditionen solcher Art sind, entfernt von Blutgier, Aberglauben, Zauberei und Schadenfreude, desto schöner sind sie, und oft hat der Charakter des Volks, unter dem sie leben, ihr Gepräge bestätigt.

So auch in friedlichen Zuständen einer Nation. Wer wollte es ihr nicht gönnen, daß sie ihre sanftern Beschäftigungen, Stunden der Muße und Freude, ihre Tänze und Spiele mit Liedern, gar mit Religionsgebräuchen und Glückssagen würze und kröne? Wenn sie dadurch zuletzt in Weichheit, Ueppigkeit, Unwissenheit, Dienstbarkeit geräth, so liegt's an ihrer Gesetzgebung, nicht an den Werkzeugen derselben, die von ihr abhangen, recht gebraucht und zu rechter Zeit verändert werden sollten.

 

2. Ein Gleiches ist's mit Wirkung der Literatur auf den Despotismus. Sie wirkt auf ihn wenig, sie will aber wirken; darum erscheint sie unter ihm in solcher Gestalt. Die Religion setzt sich neben den Thron des Despoten, damit er doch etwas, ein Höheres, als er ist, sich zur Seite habe, und da nichts auf Erden ihn einschränken kann, ihn wenigstens der Himmel einschränke und ordne. Gelingt's der Religion, was sie sein soll, zu werden, so ist nichts menschlicher und nützlicher als dieselbe. Da sie den Despoten zum Diener Gottes macht, so wird er in ihrer Hand vielleicht auch ein Nachbild Gottes, zu beglücken, zu segnen. Die Titel der orientalischen Monarchen sagen immer, daß dies der Zweck ihrer Würde sei; es liegt also nur an ihnen selbst, an der Unwirksamkeit und Verderbniß solcher religiösen Namen, daß sie es nicht sind. Gott läßt Gras wachsen auf der Erde, und sie machen um sich Wüste; er hilft Menschen und Vieh und hat für Alles gesorgt, Alles geordnet, sie lassen untergehn und sorgen für nichts: er der allgegenwärtige, allwirksame, überall rege Geist, sie verschlossen in üppige Gemächer, schwach und elend. Die ältesten Gesetzbücher despotischer Nationen zeigen, daß hierauf der Zweck ihrer Religion ging. Wenn d'Anquétil's Zend-Avesta auch nur, wie es offenbar ist, späte Liturgie der Perser, also Nachhall vom Nachhall Zoroaster's sein sollte, so ist noch unter der Decke der abergläubigsten Formeln und Gebote der Geist und Zweck seines Urhebers sichtbar, »die Könige zu Bildern seines segnenden Gottes Ormuzd, alle Stände zu ihren Kindern, das Land zum belebten Garten, alle Geschäfte zu Ordnungen segnender Geister zu machen, die das Böse vertreiben, das Gute fördern und bauen sollen«. Confucius' Gesetzgebung ist die gerechteste Moral aller Stände; sie fängt vom Fürsten an und endet beim geringsten Manne. In den despotischen Gegenden Indiens bis nach Siam hinunter ist das alte religiöse Vorbild ihrer Gesetze und Regierung groß und edel; am Vorbilde liegt's nicht, daß die Länder so tief sanken. Die älteste Ordnung Aegyptens ist durch diese theologisch-politische Gesetzgebung entstanden; in den gebildeten Staaten der ersten Welt war der Monarch, mit priesterlichem Ansehen bekleidet oder Religion zur Seite habend, immer der erste Ordner.

Nur freilich, wo Religion gemißbraucht ward, wie sie es denn bald ward, da stiftete sie in despotischen Reichen um so mehr Schaden. Ihr Gift hatte kein Gegengift und war so fein und drang allenthalben durch. Ward der Priester selbst Schmeichler des Monarchen und räucherte dem Gott und frohnte seinen schwärzesten Leidenschaften; blies er dem Tyrannen Stolz ein und Rache und Wuth der Verfolgung, zu der ihn der Himmel selbst ersehen hätte; erfand er Weissagung in seines Gottes Namen, Aberglauben der Nation, ungerechte Kriege zu befördern: was geht über die Gräuel? Nichts widersteht solcher Wuth, solchem Eifer, der vielleicht auf etlichen geweihten Worten und Sprüchen ruht; er führt mit Allem Krieg, was nicht er selbst ist, sogar mit Büchern, Weibern, Wissenschaften und Künsten. »Entweder steht in diesen Büchern, was im Koran stehet, oder nicht; in beiderlei Fällen weg mit ihnen!«Ausspruch des Khalifen Omar. Vgl. Herder's Werke, XII. S. 137. – D.

Indessen auch in diesen gefährlichen Zuständen, wo die heilsamste Arznei Gift wird, ersetzt sie sich selbst, eben weil sie ein einziges Mittel ist und ihrer Natur nach wohlthun soll, bald zum stillen Gegengifte. Religion ist's, die unter dem härtesten Joch des Despotismus den Unterdrückten allein tröstet; aus Ergebung in den Willen Gottes ergiebt er sich in die Hand des Despoten und wird still und ruhig. Wir sehen die wunderbaren Wirkungen des Islamismus bei den Morgenländern; er ist Opium, wo er nicht mehr gesunde Speise sein darf. Auch in den Zeiten der Unterdrückung Europens hatte Religion diese Wirkung. Das erste Christenthum fand eben auch so vielen Eingang, weil es als Trösterin kam in elenden Zeiten und den Menschen Unsterblichkeit der Seele und andres Leben nicht als Problem, sondern Factum, als eine gewisse, thätige Wahrheit zeigte. Bald wurden Gräber der Märterer, Wüsten, Klöster die Zuflucht der Unglücklichen, ihre traurig-schönen Ruhestätten; wenn nirgend Hilfe kam, so ward Religion das feierliche Lied, das die gedrückte Seele von hinnen zog in ewige Auen des Friedens. Auch die versteckte Räthselweisheit der Morgenländer war vielleicht Hülle gegen ihre Tyrannen; sie sagten sich einander Trost und Lehre insgeheim, wo sie laut nicht gesagt werden durfte. Gewiß zogen die ägyptischen Priester den Schirm der Dunkelheit und Tiefe um sich, damit sie nicht verderbt, nicht beraubt werden könnten, ob sie wol in der Folge durch sich selbst verderbt wurden. Ueberhaupt sprach das orientalische Gleichniß immer den Klugen des Volks: »Wer Ohr hat, höre!« und zu allen Zeiten, unter allen Völkern sind leider die Klugen immer die Wenigsten und Schwächsten gewesen. Die bessere Wissenschaft bleibt also in solchem Zustande meistens unkräftig fürs Ganze; nur eine verborgne Perle für Den, der sie besaß, nicht durch ihre Schuld so verborgen und unkräftig.

 

3. In Freistaaten entwickelt sich mehr die Wirkung der Wissenschaften, da in ihnen Alles offen und frei ist; auch ihr Gebrauch und Mißbrauch also, ihre Wirkungen ins Gute und Böse.

Zuerst muß und darf man sagen: Freistaaten sind sich selbst der Aufklärung, der Wissenschaft schuldig. Woher kam's, daß edle Gemüther sich über die gewöhnliche Denkart erhuben, das Joch des Despotismus abzuwerfen und ein Volk nach neuen, unerhörten Begriffen der Freiheit und der Verbindung einzurichten unternahmen? Woher anders, als weil sie durch Erfahrung gelehrt, durch Versuche gewitzigt, durch mancherlei Reisen, die Verfassung verschiedner Nationen unterrichtet waren und jetzt großes Herz gnug hatten, ihrem Vaterlande, zum Theil mit Entsagung eigner Vortheile und Ansprüche, dies bessere Gepräge, ein Ideal der Nationalglückseligkeit, das in ihrer Seele lag, aufzuprägen. Irrten sie oder nicht, bauten sie glücklich oder unglücklich, dauerten ihre Staaten länger oder kürzer: der Werth ihres Werks als Wissenschaft, als Thätigkeit der Seele, bleibt und wird immerdar die edelste Thätigkeit heißen. Einen Staat zu gründen, ist doch mehr als ein Gedicht; eine Republik zu errichten, mehr als eine Komödie. Der edle Moses, in aller Wissenschaft der Aegypter gelehrt und von Jugend auf fürs Beste seines Volks brennend – der Gott seiner Väter würdigte ihn, ihn zur Befreiung desselben gleichsam zu zwingen und es mit einer Gesetzgebung und Einrichtung zu begaben, die für seinen Zustand die einzige war und große Aussichten hatte. Alle seine Kenntniß ägyptischer Gesetze stand ihm bei, und doch drang er so sehr dahin, ägyptische Vielgötterei, politische Knechtschaft unter den Aberglauben, Handel und Ueppigkeit zu vermeiden, ja, so viel es an ihm lag, auf ewig zu untersagen. Er machte die Idee des einen wahren Gottes zum Grunde seiner Gesetzgebung und hat schon dadurch unendliches Gute auf die Welt gewirkt. Es war ein großer Dienst, den seine aufgeklärte Denkart der Gesetzgebung leistete, daß er alles Zeichendeuten, Fragen der Todten, Menschenopfer, Kriege zur Fortpflanzung der Religion, Unterdrückung der Armen u. dergl. ausschloß und ein brüderliches Volk reiner Gottesanbeter durch politische Gesetze gründen wollte. Treffliche Wirkung seiner Wissenschaft auf seine Gesetzgebung!

An die fabelhaften Namen Orpheus' u. A. nicht zu gedenken, wissen wir, daß Weise die ersten Stifter der Freiheit Griechenlandes waren, bis ein Staat hierin dem andern folgte. Ueberlegen dem Volk an Einsicht und Tugend, gewannen sie Macht über die Gemüther, endlich auch über ihre Lebensweise. Die Zeit war vorüber, da es eine Ehre war, deswegen für eine Gottheit angesehen zu werden; sie wollten Menschen bleiben und wurden würdige Menschen, Gesetzgeber. Wenn Pythagoras' Schule nichts erfunden und nichts gewußt hätte, weil sie es etwa nicht nach unsrer Weise demonstriren mochte, wie unendlich mehr hat sie durch ihre Gesetzgebung, durch die Staaten, die sie eingerichtet hat, zum Wohl der Welt gewirkt als lahme Demonstranten tauber Abstractionen und Hypothesen! Solon's Verse, wären sie auch keiner tauben Nuß werth für unsre Zeiten, durch die Wirkung, die sie damals thaten, sind sie ungleich werther geworden, als was jetzt beinahe geschrieben werden mag. Sie eroberten Salamin, sie verbreiteten seine Gesetze, sie trösteten ihn endlich, da seine Arbeit halb mißrathen war und Pisistratus in Athen herrschte. War nicht zu Rom, dem trügerischen Rom selbst, auf einen kriegerischen Romulus ein weiser, denkender Numa nöthig? Da Rom ihn nicht selbst hatte, wurde er aus einem andern Volk geholt. Seine Religion und stille Weisheit gab dem Staate Dauer und Einrichtung, die er sonst nicht gehabt hätte; selbst die Wilden erwählen ja den Verschlagensten, Erfahrensten, Klügsten zu ihrem Kaziken.

Es will daher nichts sagen, wenn es heißt, Rom habe im Anfange Wissenschaften verachtet und sei dadurch so groß geworden. Durch die Verachtung der Wissenschaften ward's nicht groß, sondern durch ganz andre Dinge. Auch ist's nicht wahr, daß es schlechthin die Wissenschaften verachtet. Es hatte ihrer, so viel es damals brauchte; und daß es nicht mehr brauchte, daß es von Anfange an auf den räuberischen Plan der Eroberung ausging und dabei fast niemals, insonderheit anfangs nicht zu Athem kommen konnte, mich dünkt, das war weder Vorzug noch Weisheit noch Menschenliebe, es war ruhmsüchtige, drückende Noth. Gnug, was auch von seiner Einrichtung an Gutes in den Staat kam, war nicht durch Wild- und Tollheit hineingekommen; Klugheit der Regenten, Erfahrung und Nachbarschaft hatte es hineingepflanzt.

Zweitens. Die Wissenschaften, die im Staat waren, haben zum Bösen oder Guten beigetragen, nach dem die Zeit war, nach dem der Staat sie duldete oder lenkte; an sich aber war jede Wissenschaft gut, und jede konnte nützlich werden. Lykurgus, als er die Wissenschaften in Sparta theils ausschloß, theils einschränkte, hatte die Wage des Gemeinwerths der Republik in den Händen; hiernach ordnete er und schloß aus. Seine Erziehung war nicht roh, sondern praktisch; Gesänge für Freiheit und Vaterland litte und liebte er, und vielleicht hat, außer Gesängen der Wilden, keine Poesie mehr Wirkung aufs Volk und den Staat gehabt als ἐμβατήρια, Kriegsgesänge eines Tyrtäus. Als Solon Athen ordnete, war ihm nicht jede Wissenschaft gleichgiltig; das Schauspiel sahe er nicht vorher, es mißfiel ihm, wenigstens in seinem Alter; dem Beisitzer des Areopagus war verboten, ein Lustspiel zu schreiben oder an öffentlichen rauschenden Ergetzlichkeiten Theil zu nehmen. Er ordnete öffentliche Gastmahle an, verhinderte aber, daß sie geschlossene Kreise würden; erlaubte dem Volk, auf dem Markt zu reden, gebot aber, die Aeltesten sollten reden, und setzte überhaupt Senat und Areopagus in das Ansehen, in welches er sie setzen konnte. Auch gegen die Redner aus dem Volk waren Redner des Staats geordnet; und wenn in der Folge die öffentliche Redekunst zum Verderben der Republik ward, so lag die Schuld weder an ihm noch an der Wissenschaft, sondern an ihrem Mißbrauch und der Schwachheit des Staats, sich gegen die Schmeichler des Volks zu schützen. Es ist bekannt, daß nach dem glücklichen persischen Kriege die Macht des Volkes sehr erweitert, das Ansehen des Areopagus sehr eingeschränkt wurde, und daß hievon, wie vornehmlich durch den Reichthum, Luxus und Uebermuth desselben, die nicht von Wissenschaften, sondern von Siegen und vom Handel kamen, sich der Verfall des Staats anfing. Auch die Wissenschaften gingen freilich mit in denselben; ihr Verfall aber war nicht Quelle, sondern Abfluß, nicht Ursache, sondern Folge.

Und so darf und mag ich nichts von dem Allen leugnen, was mit Recht wider den Mißbrauch der Wissenschaften Athen's in Ansehung seines Staats gesagt wird. Daß auf Volk und Redner Alles ankam, daß der würdigste Mann vertrieben, selbst mit dem Tode bestraft wurde, wenn ein Schwätzer die Sinne des Volks bezauberte, daß Miltiades im Gefängniß starb, Themistokles, Aristides, Cimon und so viel andre berühmte Männer verbannt, Sokrates und Phocion, die edelsten Athenienser, getödtet, die Redekunst Demosthenes' über die Staats- und Kriegsklugheit Phocion's siegen konnte, und so viel andre Dinge mehr, veredeln die Redekunst der Athenienser nicht. Aristophanes' Schauspiele, ihre ältere Komödie, viele Ausschweifungen ihrer Liebe und Feste, zuletzt ihre niederträchtigen Schmeicheleien und öftere Treulosigkeit gegen die wohlthätigsten Ueberwinder veredeln ihre Bühne, ihre Lieder, ihre Satiren und Lobsprüche nicht. Wie das Schiff des Staats ging, mußte auch Alles gehen, was es mit sich führte; vielleicht hat Niemand über die guten und bösen Seiten der atheniensischen Demokratie besser geurtheilt als Xenophon, der Athenienser, selbst. Indessen ist aller dieser Mißbräuche wegen keine einzige Wissenschaft derselben an sich verwerflich; Alles kam auf Umstände der Anwendung an. Die größten Dichter ihrer Bühne sowol als ihre größten Redner und Philosophen sind in Behandlung der Gegenstände ewig denkwürdige Muster – allenfalls zu besserm Gebrauch. Ueber das Moralische ihrer Sitten und Charaktere mag ich gar nicht urtheilen, es gehört nicht in meine Frage.

Ein Gleiches war's mit der Blüthe und dem Verfall der Römer. Jene ward nicht durch Wissenschaften, sondern durch Tugenden, Thaten und Glück befördert; dieser ward ebenfalls eigentlich nicht durch Wissenschaften, sondern durch Laster, übermächtige Siege und Parteien des Staats bewirkt; die Wissenschaften folgten beiden auf ihrem Schritte. Sie kleideten sich mit der Strenge Cato's, mit der Würde Scipio's, mit der Vorsichtigkeit Cicero's, mit der Sanftheit Atticus', mit der edeln Freiheitsliebe Brutus'; sie folgten auf der andern Seite dem Glücke und der Leichtigkeit Cäsar's, dem despotischen Geiste Sulla's, der Ueppigkeit Lucull's, der Schwachheit Augustus'. Sie waren der bildsame Thon, der von jeder Zeit, von jedem Charakter Gestalt annahm. Mich dünkt, es sei unbestimmt geredet, daß Wissenschaft an sich, der rohen Unwissenheit entgegengestellt, Sitten oder Staat verderbe; sie verdirbt solche so wenig, als rohe Unwissenheit sie hebt und bessert: Alles kommt darauf an, wie die Wissenschaft sei, wie sie gepflegt und gehandhabt werde. Hätte Rom auch keine Wissenschaften gehabt, und es wäre auf dem Gipfel der Siege, mithin des Stolzes, der Ueppigkeit und Macht einzelner Parteien gewesen: sein Fall wäre befördert worden, wie er befördert ist, dazu auf rohere, schrecklichere Weise.

Denn nun, waren es nicht Wissenschaften allein, die Rom's Strenge etwas milderten und ihr Joch sanfter machten? In den ersten Zeiten der Republik, gar unter den letzten Königen, welche harte Sitten, welche eiserne Zeiten, sogar für das Volk unter den Patriciern, nachher gegen die verdientesten Männer des Staats unter den Tribunen! Und was heißt's endlich, wenn man von der Gerechtigkeit der Kriege Rom's, von ihrem Adel und Völkerrecht redet? Hätte Rom die leichteste, größte Wissenschaft eines Menschen, Menschlichkeit, früher gehabt, würde es seine Nebenbuhler also ausgerottet haben? Milderung der Sitten war also diesem Wolfe der Nationen sehr zu wünschen, wodurch sie auch bewirkt würde, und was davon die Folge wäre. Mich dünkt, an den Scipionen, einer Cornelia und ihren Gracchen verdarben die Wissenschaften nichts, und das Lob Dieser wird gegen den ungerechten Senat von allen Rechtschaffenen erkannt werden. Kam Brutus nicht eben durch seinen zu edeln Platonismus zu seiner unerhörten That? und wird man, wenn man die Reden Cicero's gegen Verres, Clodius, Catilina liest, wol seine Wissenschaft verdammen? Selbst in Sulla's, Lucull's, Cäsar's Kranze ist sie ja die unschuldigste Blüthe, und hätte Cäsar die Monarchie einrichten sollen, würde ihm seine überlegne Wissenschaft gewiß nicht geschadet haben.

Selbst da der Staat fiel, waren Wissenschaften beinah die einzigen Mittel, die Wuth der Tyrannen zu zähmen und sie wenigstens zum Schein der Menschlichkeit zu gewöhnen. Ich weiß nicht, wie viel daran ist, daß Mäcenas seine Dichter insonderheit gebraucht haben soll, die Blutgier Augustus' zu lindern; wenigstens schadeten sie ihm nicht, wenn sie ihm nicht viel nützten. Die Ode des Horaz, da er alle Musen vom Himmel zaubert, dem Kaiser sanften Entschluß und Lohn darüber zu verleihen,Carm., III. 4. Vgl. oben S. 30. – D. ist eine seiner schönsten; die Werke des unschuldigen Virgil's (seinen pium Aeneam nicht ausgeschlossen) mußten ihn gewiß, wenn er Geschmack daran fand, zur Ruhe und Güte einwiegen. Tiberius, wenn er las und schrieb, that doch besser, als wenn er Schandthaten übte; seine unwürdigen Nachfolger desgleichen. Ich bin sehr entfernt davon, daß ich den Wissenschaften in diesem Zeitpunkt die Wirkung zuschreibe, die sie, zumal als Erzieherinnen dieser Unthiere, billig hätten haben sollen. Rechtfertige DiderotEssai sur la vie et les écrits de Séneque. Par. 1779. – H. (Vgl. unten die zwei Briefe über Seneca. – D.) seinen Seneca, wie er wolle, mein Herz wird ihn nie rechtfertigen; ich höre immer nur, wie ein Sophist den andern vertheidigt. Vermochte Burrhus nicht mehr über Nero als sein stoischer Philosoph? Scheute er sich nun vor Jenem, warum nicht vor Diesem, den er, wenn's mit seiner Tugend und Erziehung recht bestellt gewesen wäre, über Alles hätte scheuen müssen? Ueberdem, warum blieb der strenge Weise bei Hofe und ließ sich beschenken und sah die ärgsten Lasterthaten mit an, schrieb im Namen des Muttermörders an den Senat, die kalte Schandthat durch Erzählung der Fehler der Zerfleischten zu verkleinern, und klatschte dem kaiserlichen Gaukler mit zu? Der stoische Philosoph wandelte, des Lebens unsicher, in seinen prächtigen Palästen und Gärten, aß Kräuter und schund die Briten mit Zinsen seiner Millionen, hatte kein Blut mehr und verließ noch ungern das Leben, da es das Wort seines edeln Erzognen ihm endlich nahm. Wenn stoische Philosophie schöner Worte, erhabner Sprüche und eines unwürdigen Lebens, wenn philosophische Erziehung eines Regenten und die Regierung desselben unter den Augen seines so reich besoldeten zufriednen Lehrmeisters je ein Brandmal in der Geschichte haben können, haben sie's hier. Und doch war die Philosophie selbst nicht Schuld, wozu Nero und Seneca sie mißbrauchten. Hatte das Ungeheuer nicht fünf Jahre löblich regiert? hätte er nicht immer so regieren können? Am Wissen lags ihm nicht.

Sowol Athen's als Rom's Beispiel zeigt also, daß, wo ein Staat verdorben ist, nothwendig auch seine Wissenschaften mit verderben müssen; sie werden theils unwirksam, theils wirklich mißbraucht. Unwirksam: denn die Ueppigkeit der Sitten und das herrschende Verderben giebt ihnen kein Gehör, und so rufen sie sich heiser und werden des verachteten Guten müde und wenden sich selbst auf den Weg des Verderbens. Mißbraucht: denn die sie treiben, sind Menschen, sind Glieder im Staate. Sind einmal die Reize zum Mißbrauch derselben da; wählt und treibt man sie nicht mehr zum Besten, sondern zur Ueppigkeit, zum süßen Verderben; müssen sie jetzt statt der strengen Tugend schnöden Leidenschaften Derer, die sie üben, und denen zu gut sie geübt werden, dienen: so wehe ihnen! wehe dem Staat durch sie! Theile seines Lebenssaftes, gehn sie mit in seine Geschwüre, in seine Krankheit über und helfen den Tod des verwesenden befördern. Das zeigt Rom, das zeigt Athen. Vellejus schmeichelt einem Sejan, sogar Quintilian erhebt einen Domitian zum Himmel; wo war da Rom's unparteiische Geschichte? Auch schlechte Kaiser bekamen Lobreden; wo war da die strenge Redekunst Cato's? Sophisten schmeichelten, der Senat kroch, die Wahrheit schwieg oder ward getödtet, die Dichtkunst erging sich an Epigrammen und unzüchtigen Versen. Indessen, wie dem auch sei, ich muß es wiederholen, daß es nicht an der Wissenschaft, sondern an der Zeit und am Mißbrauch lag. Der unzüchtige Catull hat auch herrliche Stücke gedichtet und hätte lauter solche dichten können. Lucan und Sallust schrieben edel und lebten schlecht; es gehörte nicht zu ihrer edeln Schreibart, daß sie also lebten. Gegen Schmeichler und Epigrammatisten gab es auch tugendhafte Persius und kühne Juvenale, selbst die Laster der Großen zu geißeln, und sobald ein Augenblick Freiheit kam, stand der volle, gedrängte Tacitus da, die Sitten der Tyrannen zu schildern. Die Wissenschaften fühlen es also selbst am Empfindlichsten, wenn sie gemißbraucht werden oder unwirksam bleiben; ihre Natur ist's, wie aller Elemente, zum Nutzen zu dienen und nicht zum Verderben. Die besten Kaiser waren auch Freunde der Wissenschaften und des guten Geschmacks in denselben: Titus und Nerva, Trajan und Antonin, Marc-Aurel und Alexander Severus. Der Genius der Wissenschaften muß dem Staate gewiß kein feindlicher Genius sein, da er über den zartesten Liebhabern desselben als ihr Liebhaber schwebte. Wer in aller Welt wird Titus' Liebe gegen den Josephus und Trajan's Achtung für Plinius und Marc Aurel's dankbare Betrachtungen, »was auch die Wissenschaften an ihm gebildet,«I. 17. Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 129 ff. – D. dem Staat feindlich finden? Wer in der Welt wünschte nicht, daß alle Regenten solche Titus, Trajane und Marc-Aurele wären? Auch in Athen hat's selbst in den verderbtesten Zeiten des Staats noch immer edle und reine Liebhaber der Wissenschaften, selbst der mißbrauchtesten Wissenschaften gegeben; die Flamme brannte um so lichter, wo sie in der unreinen Finsterniß einen reinen Docht fand. Lebte Sokrates nicht zur Zeit der Tyrannen und Sophisten? seine Schüler lebten noch näher dem Abhange des Staats, und endlich, der gerechteste und beredteste Mann, Phocion und Demosthenes, begruben sich mit ihm.

So sehe ich auch die stoische Philosophie an, die in den spätern Zeiten Rom's so geliebt ward; sie dünkt mich ein unglücklicher, doch verzeihlicher Trost gegen das Tyrannenübel. Freilich ist's ein Zeichen, daß der Mensch nichts Bessers mehr zu thun weiß, wenn er sich hinsetzt zu sterben. Brutus wählte lieber des Tyrannen Tod als seinen, so lang er dachte, daß Rom's Freiheit noch zu erwecken war. Da an dieser zuletzt Alles verzweifelte, da kam statt der Epikurischen Philosophie in den beglücktern Zeiten der leidige Stoicismus mit gebundnen Händen und Füßen, unglückliche Menschen dadurch zu trösten, daß Schmerz kein Schmerz, daß Uebel kein Uebel sei: ein wahrer kalter Brand der Freiheit sowol in Wissenschaften als in der Regierung.

 

4. Als die Barbaren Europa überschwemmt und verdunkelt hatten, war's nichts als Wissenschaft, die dem ganzen unruhigen Meer Licht und Stille geben konnte. Das Licht war zuerst schwach und trübe; es vertrieb aber die Wolken, machte Tag, bis es zuletzt, auch vom Mißbrauch ergriffen, hie und da in verderbliche Flammen ausschlug.

Wir haben das Christenthum hier nur als Wissenschaft zu betrachten, als das Schimmerlicht, das damals die Nacht durchstrahlte und ihr, auch nur zu einiger Ruhe und Sicherheit und Ordnung, so nöthig war. Nur auf den Schleichwegen des Betrugs ward es Irrlicht, nur in den Händen der Räuber eine verderbliche Fackel. Wenn Theodorich durch seinen Cassiodor die Wissenschaften befördern ließ, so ging darum sein Reich nicht unter; durch die Beförderung der Wissenschaften blühte es so mehr. Wenn Karl der Große sich der Wissenschaften annahm, so ging darum sein Reich nicht unter; es gelangte eben auch durch sie, wie durch Gesetze, Handel und Siege, zu mehrerer Aufnahme, zu mehrerem Ruhme. Endlich das schönste Exempel Alfred's, wer ist, der auf sein Land, seine Regierung in Krieg und Frieden weiser, edler, besser gewirkt hat als er? Und er wirkte mit durch Wissenschaften und Künste. Gegen die Nacht läßt sich nur durch Licht streiten, Unordnung und Trägheit allein durch Fleiß und Ordnung überwinden; Unwissenheit, Aberglaube und falscher Eifer wird nur durch Aufklärung, Wissenschaft und bessere Einsicht allmählich verdrungen. Ich sehe kein anderes Mittel, so wie damals und in allen Zeiten es keinen edleren Zweck giebt. Er theilte sein Reich ein wie seine Zeit und Einkünfte; er ordnete die Versammlung des Volks wie Schulen und Klöster, gab gute Gesetze wie belehrende Schriften, und Eins half dem Andern. Wozu Gesetze, wenn sie Niemand las? wozu eine Religion, wenn sie Niemand wußte?

Nicht nur, daß die glücklichsten Regierungen sich auch immer der Wissenschaften annahmen, das Unglück der andern fing immer auch von Barbarei, Unwissenheit, Schwachheit, Aberglauben an. Hätte Ludwig der Fromme bessere Einsichten gehabt von dem, was er als Fürst, was gegen ihn Pfaffe und Bischof sein sollte: hätte er sich von ihnen so richten, so behandeln lassen? Er und seine Nachfolger mußten's gnug büßen, daß er in frommem Eifer selbst seine wenige und elende Jugendwissenschaft verwünschte. Ein Ball in der Hand der Vasallen, ward er in den Koth getreten; sein Haus und sein Reich gingen durch Zerrüttungen und Pfaffenregiment unter. Hätte Karl der Große mehr wahre Wissenschaft der Religion gehabt, mit Blut und Schwert würde er nicht die Sachsen bekehrt, sie nicht nach Norden gedrängt haben zu unversöhnlichen Feinden seines Stammes. Allein durch Licht kamen die Rechte der Prinzen, was Religion und Regierung sei, an den Tag; allein durch Licht kam der Fürst aus der Gewalt der Pfaffen und ihres Banns und des schändlichen Bekehrungs- und Verfolgungsgeistes.

Die meisten Unruhen der mittlern Zeiten entstanden von den Ansprüchen des Papsts, der Macht der Vasallen, der Herrschsucht der Bischöfe, die die Regenten auferzogen und Alles für sie thun wollten, von der Rohheit des weltlichen und der Hinterlist des geistlichen Standes; ein Uebel vermehrte das andre. Das Faustrecht und der Bann wetteiferten; Regierung und Unterthan litt durch Beides. Eher kein Friede, keine Ruhe und Ordnung, bis Occident seine übermäßigen Kräfte in Orient verblutet hatte und statt des rauhen Kriegsgeistes der sanftere Geist der Wissenschaften erschien. Ich weiß wol, daß er nicht allein kam, daß Weichheit der Sitten, Ueppigkeit und Entvölkerung ihm bald folgte; mich dünkt aber, die Wissenschaften an sich sind hier so unschuldig, als sie es in der alten Welt waren.

Kreuzzüge und Handel hatten Europa bereichert. Italien südlich, späterhin die Hansestädte in Norden hatten einen groben Luxus verbreitet, der auch ohne Wissenschaften bei den rohesten Sitten schon da war. Nur es war ein grober Luxus; er ersetzte durch Fülle, Pracht, Uebermaß, was ihm an Geschmack abging. Nun wurden Welttheile erfunden und die Reize der Ueppigkeit so ungleich vermehrt; mich dünkt, der Verfall der Sitten wäre fortgegangen, wenn auch kein Constantinopel erobert, keine Griechen westwärts gekommen wären. Ich sehe nicht, was in der griechischen Grammatik, im Lesen und Aufsuchen alter Manuscripte für erster Reiz zum Verfall der Sitten und Staaten liege. Die Ankunft dieser Studien traf in Länder und Zeiten, wo alles Verderben schon da war, ja, wo es auf grobe Art sich schon mehr als einmal selbst abgegährt hatte. Was die Wissenschaften thun konnten, war – bessern, was sich bessern ließ, oder sich mit verderben lassen; und es geschah Beides.

Liebe war immer gesungen und geübt; in groben Zeiten gröber, in feinen feiner; wenn jetzo Petrarch kam und sie himmlisch machte, so dünkt mich, that er den Sitten keinen Schaden. Er verfeinte ein grobes Medium, und wenn er den Rittergalanterien etwas vom Solde der Minne nahm, so gab er solches dem Geist und der Empfindung wieder. Er mag den Thatengeist der Ritterschaft um Liebe dadurch geschwächt haben; dieser Geist aber sollte geschwächt werden, es kam Vielerlei mehr dazu, das ihn schwächte, und es war also wirkliches Verdienst seiner neuen schönen Wissenschaft, daß sie ihn höher zog und auf etwas Besseres lenkte. Wenn Jahrhunderte nachher in Liebesgedichten, Petrarchischen und Platonischen Geistesseufzern hinwelkten und erstarben, so waren weder Petrarch noch Plato daran Schuld, sondern die Sitten, Anlässe und Zeiten, die ihre feine Süßigkeit so übel brauchten. Possen und Lächerlichkeiten waren immer gewesen, auch immer gesungen und beschrieben worden, wie die groben Fastnachtsspiele, Narren- und EselsfesteS. L'origine de la Fête des Foux et de l'institution de la Compagnie de la mère folle in den Variétés historiques, T. III (Par. 1752), von p. 342 an. – H. und so viel andre Schändlichkeiten der mittlern Zeiten zeigen. Wenn jetzt Facetiae daraus wurden, Boccazische Märchen und feinere Obscönitäten, so war es Unrath der Zeit, dem die Wissenschaften nicht hätten dienen sollen, den sie aber wenigstens nicht brachten. Es waren immer gottlose Päpste, liederliche Reiche, tyrannische Fürsten gewesen; wenn jetzt Philosophie, schöne Künste, alte Geschichte der Staaten und Politik dazu mißbraucht wurden, so waren freilich Hilfsmittel mehr, aber doch auch feinere Hilfsmittel da, die den Geist der Krankheit selbst verfeinten und immer in sich selbst auch das Gegengift der Krankheit hielten; denn die Wissenschaft an sich selbst ist gut, ist löblich. Es war ein und dasselbe Concilium, das für die Wissenschaften gute Gesetze und für den Orden der Tempelherren Scheiterhaufen beschloß; ja, vielleicht brauchten Papst und König, die Beides beschlossen, die Güter der Verbrannten, um, wie ihre Ueppigkeit so auch die Künste zu verpflegen. Schreckliche Schandthat, die der besten Sache nichts Gutes bringen konnte! Wenn indeß die Sitten auch nur als Vorwand des Gräuels und die Wissenschaften auch nur als Beschönigung desselben angegeben wurden, so sieht man, sie mußten an sich etwas Gutes sein, aus ihnen mußte wirklich Gutes kommen, weil sie selbst solche Frevelthaten beschönigen sollten. Atheisterei, wenn sie aus bloßer Grobheit entsprang und keine Gründe hatte, konnte auch durch keine Gründe widerlegt werden; sobald sie sich in eine falsche Philosophie hüllte, stand sie doch einer wahrern Philosophie, sie abzuleiten und zu verbessern, bloß. Sobald erst einige, auch nur falsche Politik ward, mußte mit der Zeit immer eine bessere aus ihr und selbst durch sie veranlaßt werden. Ein Gleiches ist mit den schlecht zusammengerafften Gesetzen dieser Zeiten und einer bessern Gesetzgebung.

Freilich wäre es zu wünschen, daß die Wissenschaften bei ihrer Wiederkunft in die Abendländer eine bessere Zeit, bessere Regenten und Verfassungen gefunden hätten, die sie anwandten, denen sie dienten. Wenn Macchiavell Secretär eines Lykurgus und Numa statt eines Borgia gewesen wäre, er hätte seinen Prinzen nicht also geschrieben.Herder irrt: Macchiavell war Secretär der Republik Florenz. Sein »Principe« ist an Lorenzo dei Medici gerichtet. – D. Plato und Cicero in den Händen andrer Menschen als müssiger Privatleute, untüchtiger Schullehrer oder üppiger Cardinäle, Fürsten und Päpste würden andere Folgen gehabt, auch auf die Regierungen andern Einfluß gehabt haben; allein wer kann wider das Schicksal? Lasst jetzt die Künste eine Peterskirche bauen, lasst die Raphaels und Angelos jüdische Personen, Geschichte der Heiligen bilden und malen, lasst in den Gedichten damaliger Zeit Mythologie und Bibel, Wahrheit und Lüge wechselsweise wirken: es war kein andrer Weg, wie Wissenschaften und Künste nach dem, was vorhergegangen war, angewandt werden konnten. Keine andre Materie war da, und kurz, sie gaben dieser doch eine bessere Form. Schnell kam die Reformation hinter ihnen, sie durch sich selbst zu reinigen und zu bewähren. Wenn Leo die schöne Peterskirche von Sünden der Deutschen baute, so wurde diese Sünde ihm hart gestraft.

Es ist wol noch Niemand gewesen, der das Wohlthätige der Reformation in seinen Einflüssen auf die Regierung bezweifelt hätte, ohne damit zu leugnen, daß solche nicht noch viel wohlthätiger hätte werden können. Einmal ist's gewiß: die brausenden Medien kamen aus einander, es sollte Ruhe – man fing an, mit eignen Augen zu sehen, es sollte Licht – Geistliches und Weltliches ward gesondert, es sollte Eintracht werden. Daß nicht Alles geworden ist, lag nicht an den Wissenschaften, sondern an Denen, die sie brauchten, an Umständen und Zeiten. Die ersten Gerichte, die man ansetzte, die erste Ordnung, die man traf, waren meistens aus Noth, in höchster Eile gemacht; es war kein Uebel daß sie gemacht, sondern nur, daß sie in so unvollkommenem Zustande als unwandelbar verewigt wurden. So ist's mit manchem Codex der Gesetze und symbolischen Bücher, mit politischen Einrichtungen und Kirchengebräuchen. Die Schritte waren zu schnell, und so mußte man zu bald ermüden. Die Reformation pro und contra brauchte der Regenten: diese ließen ihr bald ihre Hand fühlen; sie schlugen, da ihr Zweck erreicht war, ihr Gepräge der Vollendung auf Dinge, die nichts weniger als vollendet waren. Sie selbst haben den Schaden davon gespürt. Ein Licht, das durch Gährungen bewirkt, durch Gesetze aufgedrungen, durch einen politischen Stempel verewigt wird, ist kein reines Licht mehr; es wirkt Gährung gegen Gährung, Gesetze gegen Gesetze. Die nur politische Form unterdrückt und hindert den Stempel der innern Wahrheit, den die Wissenschaft allein verlangt, der auch allein in ihr nützt und sie immer fördert. Dies ist die Geschichte der Unruhen und Kriege, in welche die Regierungen fielen. Religion und Politik waren so lange von einander mißbraucht und übel zusammen verwachsen, daß sie sich auch jetzt nicht von einander zu finden wußten. Licht macht keine Verwirrung, und geistliches Licht sollte keine weltlichen Kriege geben dürfen. Republiken und Städte besserten meistens in Friede, so weit ihre Einsicht reichte; Monarchien und der Despotismus unterdrückten, betrogen, zerfleischten einander aus betrogner Schwachheit oder teuflischer Blutgier. Religion und Wissenschaften waren daran unschuldig, und hinter allen Stürmen, nach manchem Märtrerthum einzelner Regierungen und Länder ging fürs Ganze (das ist unleugbar!) Wahrheit, Ordnung und Freiheit schöner hervor, wo nicht positiv, so wenigstens verneinend, in erkämpfter Wegräumung alter Vorurtheile und Fesseln der Gesetze, die keine Gesetze, der Sitten, die keine Sitten waren.

 

5. Alles scheint in der Welt durch Extreme zu gehen und zu werden; man sprach so lange von der Freiheit zu denken, bis man ins Joch zu handeln fiel. Die Regenten sträubten sich gegen fremde Bande so stark, bis ihre Unterthanen gebunden wurden und sich in diesen der Trieb zur Freiheit abermals regte. Mißbrauch der Wissenschaften hat jenen Despotismus, Gebrauch und Mißbrauch derselben hat diese Freiheitsliebe befördert; der Erfolg von beiden kann aller Gährungen ungeachtet nicht anders als gut sein. Mich dünkt, dies ist die jetzige Lage der Wissenschaften gegen die Regierung.

Den meisten cultivirten Ländern Europens ist ihre Form der Wissenschaften (zum Theil auch der Verfassung) im Jahrhundert der Reformation oder doch nach seinen Grundsätzen angebildet worden; in jedem Lande zufolge seiner Regierung. Auch Länder, die bei der alten Religion blieben, suchten sich selbstwirkend zu machen in ihren Grenzen; für eigentliche Demokratie war nach gestilltem Bauernkriege nirgend mehr Raum. Man ließ Aristokratien und Monarchien wurzeln; und in der That sind dieses auch die besten Regierungsformen, wie an sich, so insonderheit unter Nationen, wo Gräuel des Bauernkrieges nur werden konnten. Es konnte kaum anders sein, als daß nicht Aristokratie und Monarchie sich der neuen, noch so unvollkommenen Einrichtung zuweilen auch im Uebermaße bedienten; und da keine Aufrühre der getroffenen Ordnung wegen so leicht mehr möglich waren, sie auch kaum einen Nutzen schaffen konnten, so sann man auf feinere Mittel, dem Despotismus zu entweichen: die Wissenschaften leisteten abermals Vortheil. Es verbreitete sich Philosophie, Freiheit zu denken, zu der die Regierungen zuweilen ihre Unterthanen zwangen, und die oft Frechheit wurde. An Veranlassungen hatte sie meistens Recht, an Folgen meistentheils Unrecht; sie wollte die Regierungen untergraben und hat sie oft befestigt, im Ganzen aber den Despotismus doch geschwächt und einer bessern Gesetzgebung, wenn auch gegen sich selbst, den Weg gebahnt. Lasset uns einige frappante Beispiele davon merken.

Sobald Frankreich von auswärtigen und inwendigen Unruhen frei war, eilte es mit großen Schritten zum Despotismus, zur Unterdrückung der Hugenotten und Stände. Es verstopfte sein Ohr zu den Klagen, den Vorstellungen alter Rechte, und, Richelieu war der glückliche Usurpator, der die Sorbonne zu disputiren, die Akademie zu complimentiren anlegte und, was er auch von Religion und Wissenschaft, sollte es auch nur Astrologie und Narrenandacht sein, zu seinen Planen brauchen konnte, brauchte. Er hinterließ das Reich einem jungen Fürsten, der, in Grundsätzen der Art gebildet, seiner Macht Glanz gab, dem Despotismus Anstand. Er führte Kriege und stiftete Akademien des Ruhms wegen; er lohnte Alles, was zu seiner Ehre gereichte, haßte Alles, was ihm bittre Wahrheit brachte, erschöpfte sein Reich und starb. Nach mancherlei Ausschweifung und Schwachheit, nach leeren Planen falscher Politik und ihrer mißrathenen Täuschung hat das verbreitete Licht, die eben durch solche Schwachheiten und Täuschungen erweckte bessere Politik, nicht unterlassen, ihren Weg zu gehen, alte Vorurtheile zu zerstören, Menschenliebe und Ideen von besserer Regierung zu verbreiten. Das Reich hat glückliche Augenblicke gehabt, da die Theorie auch That werden sollte; und wiewol nun manche gutgemeinte, aber zu weit gespannte Entwürfe scheitern mußten, sollte darum alles erkannte Wahre und Gute vergebens sein? Sollte das milde Land, wenn auswärtige Kriege und inwendige Unglücksfälle es nicht sich selbst entreißen, nicht einmal, unter einem Regenten und Minister davon die glücklichen Folgen spüren? Der Despotismus nutzt sich ab, nichtige Ehre ermüdet, und eitler Glanz wird ekel. Es müssen Zeiten kommen, da Regenten es durch sich einsehen lernen, daß ihr Bestes auf das Beste der Unterthanen trifft und Beides eins ist; ächte Wissenschaft ist's, die auf beiden Seiten die Zeit fördert.

England, die Insel der Nationen, ging einen andern Weg. Sobald es, in sich gedrängt, sich mit sich selbst beschäftigte, stieg's schnell empor; der eine Heinrich VIII. und die eine Elisabeth thaten mehr, als Jahrhunderte ihrer Vorfahren thun konnten, Jener als Tyrann, Diese als Monarchin. Durch eine Reihe der sonderbarsten Contraste von Regenten und Regierungen, nach denen sich immer auch die Wissenschaften bequemten, kam's zum jetzigen Zustande des Reichs, zu dem auch gewiß mehr als in einem andern Lande die Wissenschaft mitgeholfen. Sie ward unter Jakob I. eine spitzfindige Rednerin und half die Göttlichkeit der Königsmacht, unter Cromwell eine Schwärmerin und half den Königsmord vertheidigen; unter Karl II. eine Ueppige, verlachte sie die Schwärmerei und wollte unter der Königin Anna durch abstracte Philosophie die Welt bessern. Jede Periode hat ihre Wirkung gethan, das Zeitalter der Gelehrsamkeit und Rechte unter Heinrich, wie Spenser, Shakespeare u. s. w. unter der Elisabeth, Baco unter Jakob, die Schwärmer unter Cromwell, Butler und die üppigen Schriftsteller unter Karl, das Triumvirat der Philosophen unter dem Regiment der Anna: Swift, Addison, Bolingbroke, und wenn man will, auch Pope. Ich will nicht untersuchen, wozu oder was jedes gewirkt: Milton's Paradies und Butler's Hudibras, Addison's Cato und Churchill's Satiren – was jede Production der freien Seele Gutes hat, bleibt und geht spät oder früh in die Masse der Nation über; der Zeitgeist verliert sich mit den Jahren. Aus Monarchie wird Freiheit, aus Freiheit (wenn erkaufte, gedungne Parlemente und eine schädliche, unkräftige, sich selbst zernichtende Parteilichkeit Freiheit ist) später oder früher Monarchie; da alsdann zuletzt alle Schwätzer der Freiheit das Ihrige beigetragen, diesen Punkt zu erreichen.

In Deutschland dauert das sechzehnte Jahrhundert noch fort oder soll wenigstens noch fortdauern. Eine Trümmer dieser alten Verfassung, nährt's Wissenschaften, die mit sich selbst und dieser Verfassung im sonderbarsten Gegensatz sind und sich ihr ungeachtet doch fortbreiten, forterben. Vielleicht werden wir ersetzen, was wir im obgenannten Jahrhunderte zu rasch thaten. Die Letzten darin, Wissenschaft und Regierung auf einerlei Grundsätze zu bauen und in ein Werk zu einigen, werden wir's vielleicht desto reifer vollenden. Angrenzende Reiche und Provinzen gehen uns stark vor; wir sind aber vielleicht zu reich, um unsern Reichthum zu übersehen, zu nützen, zu ordnen.

 

6. Nach so vielen Beispielen der Geschichte lasset uns allgemeine Summen ziehen und fragen, wie Wissenschaft auf die Regierung wirkt. Ich kann simpel antworten: durch sich selbst. Durch die Art, wie sie ist und im Staat ist, durch die Ideen, die sie verleiht, die Urtheile, die sie verbreitet, die Anwendung, in der sie steht, insonderheit durch Erziehung, Umgang und tägliche Lebensweise.

Daß Alles, was sich Wissenschaft nennt, ohne Aufsicht und Lenkung im Staate sein soll und sein darf, ich glaube, kein alter Gesetzgeber würde von dieser Freiheit Begriff haben. Unleugbar ist's doch, daß es Mißbräuche der Wissenschaften giebt, die sich mit nichts als Frechheit, Ueppigkeit, Zügellosigkeit beschönigen können und also gewiß den Sitten oder der Denkart einer Gesellschaft schaden. Wer offenbare Gotteslästerungen oder, welches ebenso viel ist, Lästerungen der gesunden Vernunft, Ehrbarkeit und Tugend entschuldigen will, entschuldige, ja preise sie sogar: dem Staat steht's nicht nur frei, sondern er ist dazu gezwungen, seine Glieder dagegen zu schützen und zu verwahren. Ueber gewisse Punkte der Gesundheit und Glückseligkeit im Denken sind alle Menschen eins; von ihnen muß sich die Regierung nicht verdrängen lassen, oder sie geht selbst unter. Und das um so viel mehr, da der Same solcher Insecten schon Fäulniß zeigt, die darnach begierig ist und oft nicht anders als mit der Verwesung des Ganzen endigt. Ein Körper, aus dem der ordnende Geist weicht, in dem der Puls still steht und die Empfindung sein selbst aufhört, ist unfehlbar der Raub der Verwesung.

Lasset uns setzen, daß gotteslästerliche, üppige, schändliche Schriften in einem Staat erlaubt sind: auf wen werden sie wirken? Auf Niemand als die schwachen, kranken, unbewehrten Theile desselben, und gerade da ist ihre Wirkung am Meisten schädlich. Der gesetzte Mann, der denkende, ehrbare, arbeitsame Mitbürger wirft dergleichen Dinge verächtlich weg; für ihn ist nichts zu besorgen. Aber der müssige Weichling, das schwache Weib, der unerfahrne Jüngling, ja, vielleicht gar das unschuldige Kind liest sie; je feiner, schöner, einnehmender sie sind, um so mehr, um so lieber lesen sie solche, und eben durch diese zarten Theile des Staats wird am Meisten verderbt. Ein vertändeltes, gottloses, unehrbares Weib, die nun Gattin, nun Mutter wird, deren Leibes- und Seelensaft verdorben ist, und die nun Andre erziehen soll nach ihrem Bilde; ein Jüngling, der seine besten Jahre verliert und, wenn er schwach ist, seine Ideen vielleicht auf lebenslang verwirrt: Alledies gedacht, Alledies menschlich in Folgen durch empfunden, wer ist, der nicht schauert? Auch sehe ich nicht, was man je dafür sagen kann oder dafür gesagt habe. Man gebe die Schriften eines Verführers nur seinem Weibe, nur seinen eignen Kindern in die Hand und lasse ihn die Folgen empfinden! Der Staat ist die Mutter aller Kinder; sie soll für die Gesundheit, Stärke und Unschuld aller sorgen. Sind Schriften der Art einmal in ihrem Schooße, sie sind nicht mehr zu vertilgen, die Wirkung ist fortgehend und ewig.Die Unterdrückung solcher Schriften ist solchermaßen Regenten-, ja Bürgerpflicht, daß hoffentlich Niemand glauben wird, wir haben durch eine unserer obigen Bemerkungen dieses Recht anstreiten, diese Pflicht schwächen wollen. – Anm. Müller's.

Man wird mich nicht beschuldigen, daß ich der Freiheit des menschlichen Geistes, für die ich so laut geredet habe, Ketten anlege; Geschmack ist etwas Anders als Wahrheit, Sitten sind etwas Anders als zollfreie Gedanken. Sage Jeder, was ihm Wahrheit dünkt; nur er sage es als Wahrheit, nicht spottend, nicht schimpfend, nicht lästernd. Mache ein Jeder, was er für gut, schön und ehrbar hält, reizend; Laster und Schande wird kein Mensch, auch der Dichter selbst nicht für ehrbar halten. Giebt er also dem Fieber seiner Phantasie oder dem Ausbruch seiner Unvernunft Raum, so muß es immer dem Staat freistehn, ihn als einen Kranken und Irren zu behandeln. Ich habe in der vorhergehenden Geschichte die schlüpfrigsten Productionen der Wissenschaften auf ihrer Stelle erklärt, gar entschuldigt, nie aber gerechtfertigt und immer ihren Mißbrauch, ihre schnöden Veranlassungen und Wirkungen gewiesen. Nun leben wir hinter einer Reihe von Zeiten nicht dazu, daß wir ohne Unterschied den Unrath derselben verschlingen und, was auf uns gekommen ist, verzehren müßten; gerade umgekehrt sind deswegen so manche Zeiten, Staaten und Länder vor uns, daß wir uns an ihnen spiegeln, von ihnen das Beste lernen und aufs Beste anwenden sollen. Aretin und Grécourt, Boccaz und die Priapeen zu übertreffen, sollte zu unsrer Zeit weder Verdienst noch Ehre heißen. Heißt's also, so ist's ein Kennzeichen, daß Koth im hohen Geschmack uns Honig oder uns Alles gleichgiltig, kurz, daß an uns nichts mehr zu verderben ist.

Eine jede Wissenschaft hat ihren Mißbrauch, nicht blos Theorie der Religion und Gedichte. Die Philosophie kann so deraisonniren, die Kritik so ungesittet, frech und bübisch, die Geschichte so falsch und schief in der Anwendung, die Schriftstellerei so verachtet, schlecht und taglöhnerisch werden, daß es der Regierung nicht immer gleichgiltig bleiben darf, so viel Talente mißbraucht, die wahre Wissenschaft so abnehmend, die falsche so wachsend, jener so viel Hindernisse gelegt, dieser so viel Schlupfwinkel eröffnet, zuletzt alle gute Wirkung der Literatur verderbt zu sehen. Sie wird dagegen steuern, wie sie kann, nicht etwa nur durch kahle Verbote, die, wenn ein Uebel eingerissen ist, oft nur lächerlich werden und das Ansehen des Uebels vermehren, sondern dadurch, daß sie den Wirkungen der guten Literatur an und durch sich selbst aufhilft. Stünden junge Leute auf Akademien und, ehe sie zu Aemtern gelangen, und wenn sie in Aemtern sind, unter Aufsicht; käme in Betracht nicht blos, wie sie aussehn und was sie etwa wissen, sondern auch, womit sie sich beschäftigen, was sie schreiben; wäre Jedweder gehalten, ein Verzeichniß dessen, was er gethan, womit er sich und dem Publicum die Zeit gekürzt, Denen, die ihm die Regierung vorsetzt, zu liefern und erginge hiernach Zurücksetzung und Beförderung, Lohn und Strafe; wäre jeder Verleger angehalten, im Fall es erfordert würde, seinen Autor und Criticus zu nennen oder für das Geschriebene selbst zu haften; müßte insonderheit die Kritik, das eigentliche Afterreden hinter Werken, dabei man selbst nichts wirkt, nie namenlos erscheinen; geschähe so manchen Uebervortheilungen im Handel der Literatur Einhalt: mich dünkt, es würden Mißbräuche der Wissenschaft aufhören, die jetzt den übelsten Erfolg auf die Köpfe der Leser und Schriftsteller, ja ganzer Stände und Aemter haben. Es kann einem Staat nicht gleichgiltig sein, ob er junge Polygraphen in seine Aemter, Anakreontiker auf seine Kanzeln, Kritiker in seine Gerichtsstühle und Romanschreiber in seine Laufgräben bekommt. Solche Verdienste, so gestellt, sind meistens von sehr übler Wirkung auf Stand und Geschäfte; wiewol meistens Alles, was und wie es von Akademien kommt, zumal wenn es Autor ist, gelehrt heißt, sei es dem Staate nachher, was es will.

Soll Wissenschaft auf den Staat wirken, so müssen Stände gebildet werden und nicht Gelehrte, Männer von Geschäften und nicht Polygraphen. Minister und Kriegsmann, Arzt und Richter, Handwerker und Priester, jeder hat seine Wissenschaft, seine Erziehung und Bildung nöthig. Je mehr er diese in einem Staate erlangen, eigen für sich erlangen kann, ja, je mehr er gedrungen wird, sich solche zu verschaffen und sie anzunehmen, desto mehr wirkt Wissenschaft im Staate. In Ländern, wo Priester und Lateiner allein gebildet werden, steht's mit der Wissenschaft schlecht.

Am Nothwendigsten ist die Bildung Derer, die Andern vorstehn, die, hoch oder niedrig, in ihrem Stande die Ersten sein sollen, insonderheit also der Regenten. Was hier die Wissenschaft einem Staate nutzen oder schaden kann, ist unsäglich. Bei Alexandern schreibt man's dem Lesen Homer's zu, daß er Asien erobert; ich glaube von dem Märchen wenig. Aristoteles wird ihm in seinem Homer gewiß nicht die Verwüstung Asiens erklärt haben; und wo hat denn auch Achilles Indien erobert? Der Ehrgeiz des Knaben, der den Bucephalus zähmte, suchte überall seiner Leidenschaft Nahrung und fand sie also im Homer auch. Nun wäre es freilich ein großer Sieg des Philosophen gewesen, wenn er diese Flamme gelöscht und frühzeitig durch wahre Begriffe der Ehre und Größe eines Regenten wohlthätig gemacht hätte; sodann wäre es wahr worden, dessen Alexander sich jetzt auch nur aus Stolz rühmte, daß er dem Aristoteles mehr als dem Philippus zu danken habe: ganz Asien hätte sich der Wissenschaft Aristoteles' erfreut. Wie schwer wird's aber, einen Löwen zu bändigen, zumal wenn der Raub so nahe und die Reizung so groß ist! Wollte ihn doch nur Kallisthenes nicht anbeten und ward dafür gekreuzigt!Die Todesart des Kallisthenes wird verschieden angegeben (Plut. Alex., 55; Arrian., IV. 14; Diog. Laert., V. 1, 6; Val. Max., VII. 2 ext., 11), aber der Kreuzigung gedenkt Niemand. – D.

Ohne Zweifel ist's die größte Wirkung der Wissenschaft auf das Herz eines Monarchen, eben weil sie die schwerste ist und sich in Folgen so weit verbreitet. Sie hat die größten Hindernisse und nachher den größten Einfluß. Alles um einen gebornen Regenten strebt der wahren Wissenschaft und strengen Weisheit, sowol zu leben als zu regieren, entgegen; Alles will sie vereiteln, und seine angeborne Meinung, der Titel, den er trägt, am Meisten. Dies zu überwinden, ist mehr als Chiron's, eines Helden und Halbgotts, Arbeit; überwunden aber, giebt's auch großen Ruhm des Herzens und schöne Siege. Ich setze Fénélon mit dem Plan und der Art seiner Erziehung den alten Weisen zur Seite; er und Xenophon und wenige Andre werden immer Heilige der Wissenschaft und Menschheit bleiben, wenn die Macchiavells junger Fürsten Satane sind in den Wirkungen, die sie stiften. Oft kann ein Wort, ein gegebnes Wort oder nicht ausgerottetes Vorurtheil, ein Buch, das man zur Unzeit liest, eine Methode, die man zur Unzeit wählt, Funken im Zunder sein, das Beste wegzubrennen und zu verwüsten. Ein elender Lehrer macht dem Zöglinge die ganze Wissenschaft, eine elende Methode die trefflichste Wahrheit ekel; Unbeständigkeit in Meinung endlich, schwacher Skepticismus verdirbt Alles. Das fehlt einem Regenten nur, zu wissen, »daß nichts wahr, daß Alles wahr und falsch, gut und böse sei, nach dem man's ansieht, und daß es eigentlich keinen Zweck menschlicher Handlungen und menschlichen Daseins in der Welt gebe, über Alles lasse sich disputiren, Alles lasse sich malen.« Das fehlt ihm und der Wissenschaft zum schönsten Siege über die Regierung! Da ist's besser, daß der Regent nicht schreiben gelernt habe und nur tüchtige, feste Hand behalte, einmal schreiben oder allenfalls fechten zu lernen, als daß ihm jetzt durch seine Wissenschaft Verstand, Hand und Auge gelähmt sei, nichts mehr im rechten Lichte zu sehen, zu wollen und zu begreifen. Verderbte Wissenschaft ist tausendmal ärger als Unwissenheit, wahres und das feinste Gift der Seele.

Was Wissenschaft durch Lehre anfängt, hilft sie durch That, durch tägliche Aeußerungen des Umgangs vollenden. Wir wissen, wie schädlich der Königin Christine Bourdelot war; und selten fehlt's einem Regenten und einer Regierung an Sophisten ihrer Rathschläge und Neigung. Die Gesinnungen, die sich in einem Stande, einem Collegium, einem Lande und Reiche thätig äußern, sind gleichsam die praktische Wissenschaft, der stille Lebensgeist, der sich von einzelnen wenigen Subjecten oft einer Menge, einem Heer mittheilt. Wir werfen ab und empfangen Bilder, handeln seltner nach deutlicher Wissenschaft als nach dunkeln Begriffen, Maximen, Mustern und gewohnter Lebensweise. Hierin liegt gut und böse der größte Einfluß, die größte Wirkung, die sich nur bei sehr wenigen Personen in deutliches Erkennen auflöst. Die wahre Wissenschaft ist immer so gern und so vielseitig praktisch, als sie's sein kann; sie betrachtet sich selbst dem Staat und Vaterlande schuldig; sie will aber auch durch Zufälle lieber nicht nützen als wirklich schaden.

Man hat sehr viel vom Einfluß der Wissenschaften auf den Staat geredet, auch durch die mehrere Umgänglichkeit der Gelehrten, die leichtere Faßlichkeit und Popularität ihrer Schriften, die Art, Alles ad modum et captum der Gesellschaft, des schönen Geschlechts zu machen und dergl. Ich gestehe Alles sehr gern ein, falls nur nicht der zu leicht geschnitzte Bogen bricht und die übermachte Höflichkeit sich selbst schadet. Ich sehe es nicht ein, warum eben die Wissenschaft der Optik, Cartesianische Wirbel, Theorien der Politik und dergleichen Abstractionen dem Theil der menschlichen Gesellschaft zu gut aus ihrem Wesen gehoben werden müssen, der sie nicht ihrer Natur nach, in ihrem Zusammhange begreifen kann oder will; mit Verkleidungen der Art hat er doch nichts, und was ärger ist, er dünkt sich jetzt etwas zu haben und mißbraucht's. Ebenso ist's oft mit dem Umgange der Gelehrten: er unterrichtet weniger, als er Geschwätz ausbreitet; er klärt weniger auf, als er sich selbst vergiebt. Gewisse Ideen kommen ins Publicum; es ist aber eine andre Frage, wie sie dahin kommen, was sie daselbst thun, und was für eine Verachtung und Geringschätzigkeit sie sich nun bei den Halbgelehrten selbst zuziehen. So ist's mit vielen Lehren der Philosophie, ja mit ganzen Wissenschaften und Künsten gegangen; ihre innere Würdigkeit verlor nichts, aber ihr Mißbrauch ward allgemeiner, und auf eine Zeit kamen sie selbst so in Abnahme, daß sie sich einen andern Namen suchen mußten, um wieder nützlich zu werden. Ueberhaupt geht's mit den Blüthen menschlicher Erkenntniß wie mit den Bäumen und der Flur: sie haben ihre Jahrszeiten im Staate; gesät und geerntet, gepflückt und abgestreift, müssen sie ersterben und kommen als neue Wesen wieder. Ohne Zweifel sind die Wissenschaften und Uebungen die besten, die nicht vom Wahn der Menschen abhangen, sondern ihre Nutzbarkeit in sich haben, wie z. B. die nothwendigen und mechanischen Wissenschaften. Sie sind der Wald, der immer grünt; zwar weniger lustbar, aber gewiß und dauernd.

 

7. Soll ich endlich, wie ich bei der ersten Abhandlung gethan, einige kurze Sätze vom Verfolg der Regierungen in Beziehung auf die Wissenschaften aus unsern Begebenheiten der Geschichte herausziehn, so wären es ohngefähr diese:

1) Die Regierung scheint am Glücklichsten, in der jede Wissenschaft einfache, praktische Weisheit ist, und in welcher Ueppigkeiten des Geistes wie des Lebens keinen Raum finden. So sind die Republiken im Anfange; auf den Punkt müssen sie und ächte Monarchien wieder zu kommen streben. Alle nichtige, müssige, zwecklose Kenntnisse entkräften; sie nehmen der wahren Wissenschaft wie dem nützlichen Geschäft Zeit und Raum weg, und der Staat wird nicht glücklich durch Speculiren, Tändeln, Schwätzen, Lesen, sondern durch Arbeit und Ruhe, Emsigkeit und Weisheit. Es ist eine feine Wage, die die Regierung hier in Händen haben muß, sowol in Betracht auf sich als in Beziehung auf andre Völker, mit denen sie zu thun hat.

2) Die Wissenschaften, die einem Staat natürlich sind, die in ihm selbst entstehen oder sich ausbilden, haben homogenere Natur mit ihm, als die, unter andern Völkern und Himmelsstrichen gebildet, zu ihm kommen oder sich einschleichen; in diesen hat die Regierung noch mehrere Vorsicht nöthig. Ist ihr die Einführung fremder Waaren nicht gleichgiltig, sollten es ihr die feinsten Gifte oder Arzneien menschlicher Seelen sein? Jene abzuwenden, diese aufzunehmen, auszubreiten, ja andern Nationen hierin vorzukommen und sich mit ihrer Beute zu bereichern, ist so sehr Klugheit als irgend eine andere. Schon das, daß solche Sachen fremd sind, daß der Staat sich lange ohne sie behalf, macht Erwägung; Exempel der übeln Folgen, wenn die beste Sache schlecht eingeführt ward, macht sie noch mehr; endlich die beste Einführung der besten neuen Sache ist ja immer das Meisterstück der Regierung. Da nun die wirksamsten Kenntnisse im Guten und Bösen sich durch Reisen einführen, sollten diese der Regierung, zumal bei jungen Leuten, gleichgiltig sein? sollte es gleichgiltig sein, welche Schriften übersetzt, welche fremde Muster insonderheit auf der Schaubühne nachgeahmt werden, da Schauspiele und dergleichen neue, fremde Gemeinschriften doch immer die öffentlichsten und wirksamsten Ausbreitungen neuer Ideen und Maximen sind?

3) In unserm Zustande von Europa, bei der so großen, in einander greifenden Concurrenz der Staaten, bei ihren so mancherlei Verhältnissen, Zwecken und Hilfsmitteln, die sie auch in Wissenschaften aus allerlei Zeiten haben, bei dem Grad von Verfeinerung endlich, der in der Erziehung und Denkart ganzer Stände und Gegenden herrscht, wird beinah aller Calcül der Einwirkung so geistiger, feiner Medien unmöglich. Alles fließt durch und in einander, Gesetze und Sitten, Wissenschaften und Gewohnheit; Eins bestimmt und vermindert das Andere, und in der Gesetzgebung wird zuweilen auf die größten Contraste neben einander gerechnet. Hier geradezu zu tadeln, eine Sache aus ihrer Verbindung zu reißen und zu verdammen, ist unnütz; plötzlich zur spartanischen Strenge mit ganzen Ländern zurückkehren wollen, ist thöricht und unmöglich. Die Aenderung fängt hier, wie überall, vom Einzelnen, vom Kleinen an. Wenn einzelne würdige Personen und Familien sich der Enthaltsamkeit auch in Wissenschaften befleißen, die wahre Gesundheit der Seele und praktische Weisheit ist; wenn sie dies Gepräge sodann allmählich ihrem Geschäfte, Stand und Amte eindrücken, unvermerkt Muster werden, und ihnen der Staat nur beihilft, nur nicht eigensinnig widerstrebt: so geht mit der Zeit ihr Gutes in seine ganze Gestalt über. So ist die Rechtsgelehrsamkeit, die Verwaltung öffentlicher Geschäfte, das Priesterthum, die gemeine Erziehung bisweilen von wenigen bessern Menschen im Staat umgebildet worden, wenn die Regierung sie nur machen ließ und zu rechter Zeit schweigend unterstützte. Das Auge dieser muß bei Einwirkung der Wissenschaft insonderheit auf dem Ganzen ruhen. Wenn z. B. niedre Stände das Land verlassen und vornehmlich der Wissenschaft und Künste wegen in die Städte schleichen; wenn hie und da es fast gewöhnlich wird, daß der Bauer sein krankes Kind, das nicht zum Pfluge taugt, der Wissenschaft opfert: so verdienen Vorurtheile der Art die steuernde Hand der Regierung; denn sie werden der Wissenschaft und dem Lande schädlich. Dem Lande: denn es braucht nicht nur Buchstaben, sondern auch Brod, und Italien, das Land der Kunst und Literatur, ist ein lehrendes Beispiel, was aus dem Ackerbau und aus der Gegenwehr werde, wenn die Flur in die Städte zieht und Künste und Wissenschaft treibt. Der Wissenschaft: denn sie wird durch rohen Gebrauch und bäurische Anwendung, zumal als Stand betrachtet, selbst verächtlich. Armuth, die sonst die Erfindung schärft, kann auch die ärgsten Brodstudien machen, und Rohheit der Sitten, die zuweilen den Fleiß befördert, macht mit der Zeit einen ganzen Stand der Wissenschaft bäurisch. Der Adel fängt sodann abermals an, sich ihrer zu schämen, und genießt der Ehren des Staats ohne Wissenschaft und Weisheit, was der Regierung ebenfalls nicht vortheilt. Jedoch zum Ende! Anwendungen der Art gäbe es zahllos, nach dem man auf dem Ocean meiner Materie hie oder da an Land steigt. Mein Bestreben war, nicht leeren Wetteifer der Gelehrsamkeit, sondern eine Gelegenheit zu suchen, wo ich nach mancherlei Nachforschung und Erfahrung zur Blüthe und Frucht der Wissenschaft auch in unsern Staaten etwas Nützliches sagen könnte.

 


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