Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Etwas von Nikolaus Kopernicus' Leben,

zu seinem Bilde.Im Novemberhefte 1776 des Merkur. Das dem Hefte vorgesetzte Bild war, wie alle dem Merkur beigegebenen, von G. M. Kraus in Weimar gezeichnet. – D.

Der Erfinder des neuen Weltsystems, Kopernicus, hat größer Glück gehabt als der Erfinder des neuen Welttheils, Columbus. Das Verdienst Dieses wurde schon bei Lebzeiten unterdrückt und verdrungen; der Ruhm Jenes ging erst nach seinem Tode recht auf, und die größten Männer der Nachkommenschaft bauten ihre Unsterblichkeit nur auf die seine. Am Himmel haben überhaupt mehr würdige Namen neben einander Platz als im Koth und Gewühl der Erde.

Dabei kam Kopernicus zu seiner Monarchie unter den Sternen (die größte, die je ein menschlicher Name umfaßte) nur von Gottes Gnaden, durch Erbschaft und Zueignung, durch Besitznehmung einer alten, abgestorbnen Meinung. Schon die Aegypter waren drauf gekommen, den Mercur und die Venus um die Sonne wandern zu lassen; Apollonius Pergäus nahm mit Mars, Jupiter und Saturn eben die Fahrt vor. Die Erde selbst war durch Pythagoras schon vom Mittelpunkt der Welt gestoßen, und Philolaus, sein Jünger, ließ sie recht deutlich und eigentlich um die Sonne wandern. Alle Stückwerke der Kopernicanischen Meinung waren also schon alt; er selbst leugnete es nicht, daß er eben aus diesen Trümmern zu seinem Gebäude gekommen. Er aber war der Mann von Kraft, der's baute, der, dem allgemeinen Vorurtheil entgegen, eine todte Meinung wieder erweckte und, so viel seine Zeit zuließ, mit Grund und Bemerkungen in die Welt führte. Der Folgezeit kam's zu, seinen halbgeweissagten Sonnenplan zu bewähren oder zu zerstören; sie hat ihn bisher bewährt, und ob ein neuer Kopernicus möglich sei, muß erst eine neue größere Folgezeit lehren.

Doch wir reden hier nicht von Revolutionen des Himmels, sondern des menschlichen Geistes. Wir wollen bei Kopernicus' Bilde dem Leser etwas vom Manne sagen.

Nikolaus Kopernicus ward in einem Lande geboren, das fast für eine literarische Wüste gilt, zu Thorn in Preußen, den 19. FebruarDer Jahrestag ist unsicher. Vgl. Prowe, »Zur Biographie des N. Kopernicus« (1853). Derselbe hat in dem Programme »De Copernici patria« (1860) bewiesen, daß man den Kopernicus fälschlich zu einem Polen gemacht, was selbst Humboldt's Freund Arago mit unverhohlener Freude begrüßte. – D. 1473, und ward in einem Lande erzogen, das fast noch mehr dafür gilt, zu Krakau in Polen, wo er in der Nacheiferung mit Mitschülern der Mathematik schon alle die Funken fühlte, die ihm keine Ruhe ließen, ihn im dreiundzwanzigsten Jahr nach Italien trieben und den künftigen Kopernicus weckten. Insonderheit reizte ihn der Name Regiomontan's, der damals Fackel der Welt war; er legte sich auf Perspectiv und Malerei, weil er sie zu seiner Reise und zu seinem Beruf einst nöthig ahnte; er erschien in Italien und war bald so berühmt als Regiomontan selbst. In Bologna war er bei Dominicus Maria, dem damals berühmtesten Lehrer der Mathematik, wie man will, Lehrling und Mitarbeiter; ihm behagte die Meinung dieses Beobachters von der veränderlichen Weltaxe die man damals mehr ahnte als wußte, und gab ihm vielleicht zu seinem künftigen großen Weltenbau Aufflug. Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts war er zu Rom als Lehrer der Mathematik im Glanze; er kehrte in sein Vaterland zurück, und da er nun durch seiner Mutter Bruder Domherr zu Frauenburg in Preußen ward, so bekam er Zeit gnug, seine horasHorae canonicae oder regulares heißen die für die Domherren festgesetzten Betstunden. – D. fortzusetzen unter Linien, Zahlen und Sternen.

Hypothesen sind Träume, und bei jedem Traume, sei er himmlisch oder irdisch, sei er durch die schwarze oder weiße PforteNach Virg. Aen., VI. 894–897. – D. zu uns geschlüpft, bleibt's für den Menschensinn die bildendste Kenntniß, zu wissen, wie er ward, wie sein Finder oder Dichter dazu gekommen. Kopernicus kam leicht auf den seinen; aber sein Verdienst war, daß er ihn ergriff, ihn hinauszuträumen wagte, ihn wachend mit so viel Bemerkungen und Rückerinnerungen unterstützte, als seine Zeit, seine Lage, seine Gegend ihm verschaffte. Zeichnungsgefühl nämlich, sein Sinn für Symmetrie und Verhältniß zum Ganzen war der Finger Gottes, der ihm das Weltall wies.

Unter allen homocentrischen Zirkeln, mit denen seine Vorgänger gebaut hatten, fand er so wenig Ordnung, Grund, Aufschluß. Marcianus Capella mit seinen Aegyptern und Apollonius zeigten ihm Stückwerke, woraus was Bessers werden könnte, Pythagoras und Philolaus trafen näher, und nun schien Ordnung. »Soll«, sagte er, »das Weltgebäude ein Riß sein, wo Hand, Fuß, Auge, Haupt, Herz, alle Glieder, zwar einzeln, jedes für sich genommen, schön und hold sind, alle zusammengesetzt aber ein Ungeheuer, kein Ganzes, kein Körper? Wer zeichnet, welcher Baumeister entwirft so? Und Gott unter Sonn- und Erden soll also entworfen haben?« Auf dem Wege dieser Malerei gingen seine Gedanken in Bemerkungen (so viel er ohne Fernglas bemerken konnte), Zusammenhaltung, Rechnung fort; Vieles mußte er weissagen, was er nicht sehen konnte; überall aber ward Ordnung, Grund und Zweck, aus Einem Alles zu begreifen, kurz, ein Weltall. So baute Kopernicus: Kepler und Newton bauten ihm nach. Seine Skizze ward ihnen Poëm, eine Philosophie des Weltsystems mit Grund, Maß und Verhältnis. Zu den größten Entdeckungen also, die wir dafür halten, winkte Einbildung, Malerei, Poesie herauf und hielt die Leiter.

Nur wollte ich nicht, daß Jemand diesen Gang des Geistes in Kopernicus und Consorten für das fliegende Jucken der Phantasie hielte, das Neuerer, Jünglinge und Klüglinge fühlen. Kopernicus war ein Mann, in seiner Wissenschaft erfahren, auch in seiner Domherrnstille Beobachter, Prüfer, Arbeiter. Er verbesserte die Ptolemäischen und Alphonsinischen Tafeln, machte sich Instrumente, so gut er konnte; sein Buch war 1530 (ein langer Zeitraum seit seiner Reise nach Italien!) fertig, und noch 1534 mahnte ihn der Cardinal Schomberg von Capua aus darum umsonst. Im Jahr 1539 verließ der berühmte Rhäticus, Professor der Mathematik in Wittenberg, seine Stelle und wallfahrtete zu ihm, als Schüler eines Weisen, der Pythagoras' Meinung lehrte und sie auch wie Pythagoras ehren wollte, lebendig, mündlich. Der eingeweihte Lehrling ward bald vom Geiste seines Lehrers voll, daß er überall Kopernicus predigte; noch aber gab Dieser ihm sein Werk nicht selbst, sondern nur einen kleinen Theil desselben, den »Tractat von Triangeln«, zum Druck mit; das Werk selbst übergab er erst Jahre nachher auf fortwährendes Ansuchen seinem Bischof, und das erste gedruckte Exemplar kam 1543, wenige Stunden vor seinem Tode an, wo er's ansehen, aber nicht mehr lesen konnte. So eigentlich war seine Hypothese nicht pruritus, sondern Werk seines Lebens.

Es scheint nicht, daß Kopernicus aus Furcht so lange gesäumt. Er stand bei seiner Kirche in großem Ruf, so daß die Väter des Lateranischen Conciliums in der Kalendersache schon 1516 ihn in seinem Sarmatien schriftlich aufsuchten und fragten. Bischof und Cardinäle waren auf seiner Seite und plagten ihn, da seine Hypothese der Sage nach längst umherging, um den Beweis derselben, sein Werk. Auch weiß Jedermann, wie freier das Jahrhundert Leo's und seiner Nachfolger vor dem Zeitalter war, in dem Galilei litt. Kopernicus hatte das Herz, sein Werk dem Papst Paul III. selbst zuzueignen, und sein Bischof war Druckbesorger. Amtsgenossen und Landsleute ehrten ihn lebend und nach dem Tode, vielleicht um so mehr, als weniger sie ihn beurtheilen konnten; Lobschriften und Epitaphien um sein Grab her, und aus dem Rümpfen der Unwissenden machte sich Kopernicus so wenig, daß er den Spruch jenes Alten oft wiederholte: Nunquam volui populo placere; nam quae ego scio, non probat populus, quae probat populus, ego nescio. Als ein Schulmeister in Elbing von seinen Feinden (denn welcher große Mann hat nicht seine Feinde?) dazu gedingt war, seine Hypothese durch eine Farce lächerlich zu machen, war er, wie Sokrates bei Aristophanes' Schauspiel,Den »Wolken«. – D. in sich gehüllt und ruhig.

Auch war's nicht kleinfügige Krittelei, der labor improbus,Nach Virgil's Georg., I. 145. 146. – D. innerhalb zehn Jahren, hülf's Gott! noch etwas am Zeh und am Nagel des Zehs ändern zu können, das so lange sein Werk säumte. Der Kleinkrämerei war er von Herzen gram: »er wollte,« sagt Rhäticus, sein vertrauter Kenner, »nie zu viel untersuchen, zu fein theilen. Aus Bedacht und nicht aus Träge, nicht aus Ueberdruß am Arbeiten hütete er sich vor dem zu Kleinen und Subtilen, das Andre affectiren, aus Furcht, daß es ihm wie Jenem beim Aesop ginge, der einen verlornen Ochsen zurückführen sollte, dabei Vögel fangen wollte und weder Vogel noch Ochsen bekam. Wenn ich oft zu tief forschen, zu fein untersuchen wollte, zog mich der Edle mit sanftem Arm: »Aufzuhören, mein Freund, muß man auch wissen!«« Und auch hierin liegt Kopernicus' Gepräge. Wer ein Maß von Wichtigkeit, wer ein Weltall in der Seele trägt, dem wird ohnmöglich jedes Kümmel- und Staubkorn ewige Welt der Beschäftigung sein können.

Was also Kopernicus allein so ganz und lange in sich hielt, war, was wir auch in seinem Gesicht lesen, die unbefangne Ruhe, das jugendliche Vorsichblicken ohn' Anmaßung und Prätensionen, verbunden mit der Stärke, mit der Haltbarkeit auf sich selbst, die die Gestalt des edeln Sarmaten weist. Man sieht, der Mann blickt rein aus sich heraus; er ist vermögend, Etourderien zu begehen, und seine Hypothese war die größte Etourderie, die ein Sterblicher, ein Geistlicher zumal, zu seiner Zeit begehen konnte; das kümmert ihn aber nicht. Er hat die Hypothese für sich und für Den, der sie will; die Erde ist so wenig der Mittelpunkt seines Daseins als seines Weltgebäudes.

Gerade Der war auch Kopernicus in seinem Sein und Wesen, ein treuer Domherr, ein gutmüthiger edler Arzt aller Kranken, denen er wie Gott Aesculap diente, und die ihn auch für Gott Aesculap hielten; außerdem der stille Denker und Baumeister des Himmels, dessen Riß ihm in Unbefangenheit und Ruhe hinter seiner Stirn wohnt. Wenn sein Capitel ihm Geschäfte anvertraute, focht er sie gegen deutsche Herren und Schwertritter so gerade und recht aus, als ob diese keine deutsche Herren und Schwertritter wären. Und wenn er, bei damaliger Verwirrung, für Polen und Preußen den Münzfuß in Ordnung zu bringen hatte, so war er so ganz in der Münze wie sein Nachfolger Newton. Nach seinem System war Schwere die Eigenschaft der Körper, die abzweckte, sie zum Eins, zum Ganzen in sich selbst zu machen; vielleicht ist's ebenso die göttliche Eigenschaft eines Geistes, daß er, totus und ingenuus, bei jedem Geschäft in sich wohne und nicht in Rauch zerfliege.

Wie in diesem so in mehr Stücken des Lebens sind Kopernicus und sein edler Landsmann und Nacheiferer Hevelius (Hevelke) Brüder. Auch er wohnte so sanft und innig in sich, daß, als seine königliche Bibliothek, Warte, Instrumentenkammer, vorzüglich aber seine und Kepler's unersetzlichen Manuscripte im Rauch aufgingen, er herrlich in sich selbst blieb. Wie Kopernicus, so erwachte Hevel auf seiner ersten Reise außerhalb Preußen, und wie Jener, so fand sich Dieser zufrieden in sein Sarmatien zurück. Was Jenem die Malerei war, war Diesem das Kupferstechen. Jener ein Baumeister des Weltsystems, Dieser der Columbus des Mondes, wo er Länder und Königreiche entdeckte, nannte, vertheilte, zwar nicht so glücklich war als Kopernicus, daß seine Namen in Gebrauch kamen, mit ihm aber ein edler Duumvir seines Vaterlands, mit ihm und Kepler ein ewiges Triumvirat der Astronomie für Deutschland. Wenn das Mechanische in Kopernicus' Buch durch sorgfältigere, feinere Beobachtungen unnütz gemacht worden, so wird sein Geist, der ohne Ferngläser gen Himmel sah und, was zwei Jahrhunderte bestätigt und entwickelt haben, weissagte, immer ein Name der Unsterblichkeit bleiben. Er stand in der Wüste, ohne Vorgänger und Hilfsmittel, und vielleicht war diese Leere rings umher dem großen Geschöpf Gottes nothwendig. Da hatte seine Seele Raum, die Wurzel des Baums ward nicht von kleinen Gesträuchen entsogen: der kühne Sarmate trat (wie Tycho und Mehrere ihn nannten) als ein Himmelsstürmer auf und vollendete als Himmelsordner.

Es gehörte Zeit dazu, daß seine Meinung durchdrang. Tycho selbst, dem an genauen Bemerkungen die Astronomie ungleich mehr schuldig ist als dem Kopernicus, Tycho, der, über Neid und Nebenbuhlerei erhaben, die schlechten Instrumente Kopernicus' mit einer Begeisterung empfing, die in Verse quoll, und das Bildniß desselben, von ihm selbst gemacht, unter den Bildern seiner Größten vor sich hatte und ehrte: Tycho suchte doch für sein oder für Andrer schwaches Gewissen ein drittes System, wobei die Erde stünde. Galilei ward ein Märtrer von Kopernicus' Lehre, und Boulliau mußte hundert Jahr nachher den alten Philolaus wieder hervorsuchen, um nur den Namen Kopernicus zu vermeiden. Jetzt würde ausgelacht werden, wer an Kopernicus nicht glaubte. So wechseln die Zeiten.

Bekanntlich hat Gassendi sein Leben geschrieben, so billig, sachverständig und fein als das Leben Tycho's, Peurbach's, Peirescius' und Regiomontan's. In Polen oder Westpreußen sind vielleicht noch Reliquien oder Briefe des stillen Mannes, die bekannt zu werden verdienen. Das einige Werk, das er geschrieben und nicht gelesen, das Werk, das solche Revolution im Weltbau gemacht hat, heißt: Nic. Copernici de orbium coelestium revolutionibus Libri VI. Norimberg. 1543. Sein Bildniß ist aus Boissard, aus dem auch Gassendi das seine genommen, der schon Frischlin's Verse mit Recht darauf angewandt hat:

Illum scrutanti similem, similemque docenti
Adspiceres, qualis fuerat, cum sidera jussit
Et coelum constare loco, terramque rotari
Finxit et in medio mundi Titana locavit.

Ich weiß nicht, ob es dem Straßburgischen gleich ist, das Bernegger aus Preußen kommen ließ, noch ob das von Kopernicus selbst für Tycho gemalteNicht als wären sie Zeitgenossen gewesen; aber das Glück wollte, daß das Gemälde dem Tycho einst zufiel. – Anmerkung J. Müller's. irgendwo existire.

 


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