Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Plastik.Riga, bei Hartknoch 1778. Schon im März ward die Handschrift an die Breitkopfische Buchdruckerei in Leipzig gesandt. Im Mai schreibt Herder, der die ersten Aushängebogen empfangen hatte, an Hartknoch: »Was das für Druckfehler in der Plastik sind, einem Buche, das ich Jahre lang . . . am Herzen getragen habe!« und er sandte eine Liste der Druckfehler, deren Menge nicht allein, sondern auch ihre Art ihn scheußlich ärgere. Die angehängten Verbesserungen betreffen 17 Stellen, viele andere Fehler sind übersehen. Heyne, der die Plastik in den Werken herausgab, hat diese Verbesserungen Herder's nicht beachtet und andere offenbare Fehler stehen lassen; auch sind neue Fehler hinzugekommen. – D.

Einige Wahrnehmungen über

Form und Gestalt

aus

Pygmalion's bildendem Traume.

 

Τί κάλλος; Ἐρώτημα τυφλοῦ.Wol ungenau nach Aristoteles. Diog. Laert., V. 1, 20: Πρὸς τὸν πυϑόμενον· διὰ τί τοῖς καλοῖς πολὺν χρόνον ὁμιλοῦμεν; (Ἀριστοτέλης) Τυφλοῦ, ἔφη, τὸ ἐρώτημα. Stob. Floril., LXV. 15: Ἀριστοτέλης ἐρωτηϑεὶς· διὰ τί τῶν καλῶν ὁ ἔρως· Τυφλοῦ, εἶπεν, ἡ ἐρώτησις.   D.

 

Geschrieben größtentheils in den Jahren 1768-1770.

 

Der unvollkommene Anfang zu ähnlichen Versuchen einer Anaglyphik, Optik, Akustik u. s. w.

 

              En! ille in nubibus arcus
Mille trahit varios adverso sole colores.
                                  Virg
.Aen., V. 88. 89, wo das Ganze ein Gleichniß ist und statt »en ille in« blos ceu steht. Herder hatte gewünscht, das Motto und jede der beiden vorangehenden Bemerkungen sollten auf einer besondern Seite stehn. – D.

 

Erster Abschnitt.

 

1.

Jener Blindgeborne, den Diderot bemerkte,Lettre sur les aveugles à l'usage de ceux qui voient. – H. [Diderot spricht von diesem zu Puisaux geborenen Blinden gleich zu Anfang seines Briefes. – D.] stellte sich den Sinn des Gesichts wie ein Organ vor, auf das die Luft etwa den Eindruck mache wie ihm ein Stab auf die fühlende Hand. Ein Spiegel dünkte ihm »eine Maschine, Körper im Relief außer sich zu werfen«, wobei er nicht begriff, wie dies Relief sich nicht fühlen lasse, und glaubte, daß ein Mittel, eine zweite Maschine möglich sein müsse, den Betrug der ersten zu zeigen. Sein feines, richtiges Gefühl ersetzte ihm in seiner Meinung das Gesicht völlig. Er unterschied bei der Härte und Glätte eines Körpers nicht minder fein als beim Ton einer Stimme oder wir Sehenden bei Farben. Er beneidete uns also auch unser Gesicht, von dem er keine Vorstellung hatte, nicht; war's ihm ja um eine Vermehrung seiner Sinne zu thun, so wünschte er sich etwa längere Arme, um in den Mond gewisser und sichrer zu fühlen, als wir hinein sähen.

So romantisch und zu philosophisch dieser Bericht scheint, so wird er doch im Grunde von Andern bestärkt, die nicht durch Diderot's Auge sahen. Der blinde SaundersonNicolas Saunderson, geboren 1682, verlor im zweiten Lebensjahre sein Gesicht. 1711 erhielt er die Professur der Mathematik zu Cambridge. Zu Anfang des ersten Bandes seiner Elemente der Algebra hat er genauere Mittheilungen von der Art seiner Auffassung der Gegenstände und von den zu diesem Zwecke von ihm angewandten Maschinen gegeben. Er war 1752 gestorben. Vgl. oben S. 181. – D. wußte, trotz seiner Mathematik, sich von Bildern auf der Fläche keinen Begriff zu machen, sie wurden ihm nur durch Maschinen begreiflich. Mit solchen rechnete er statt Zahlen; Linien und Figuren der Geometrie ersetzte er sich durch fühlbare Körper. Selbst die Sonnenstrahlen wurden in seiner Optik ihm feine, fühlbare Stäbe; und bei dem Bilde, das sie machten, das durch sie auf einer Fläche sichtbar ward, dachte er nichts, er nahm's als den Hilfsbegriff eines fremden Sinnes, einer andern Welt an. Das Schwerste der Geometrie, das Ganze der Körper, ward ihm in der Demonstration leicht; was Sehenden das Leichteste und Anschaulichste ist, Figuren auf der Fläche, ward ihm das Mühsamste; er mußte auf fremde, ungefühlte Begriffe bauen, mußte zu Sehenden reden, als wären sie Blinde. Sich den Würfel als sechs zusammenschlagende Pyramiden zu denken, war ihm leicht; sich ein Achteck auf der Fläche vorzustellen, ward ihm nur durch ein körperliches Achteck möglich.

Am Merkbarsten ward dieser Unterschied zwischen Gesicht und Gefühl, Flächen- und Körperbegriffen an dem Blinden, dem Cheselden das Gesicht gab.Wilhelm Cheselden, geboren 1688 in der Grafschaft Leicester, erwarb sich großen Ruf durch die glückliche Operation des Staars an einem blindgeborenen Knaben von vierzehn Jahren. Sein Hauptwerk »The anantomy of human body« erschien seit 1713 in vielen Auflagen, auch noch nach seinem 1739 erfolgten Tode. – D. Schon in seiner reifen Staarblindheit hatte er Licht und Dunkel, und bei starkem Licht Schwarz, Weiß, Hellroth unterscheiden können; aber sein Gesicht war nur Gefühl. Es waren Körper, die sich auf sein geschlossenes Auge bewegten, nicht Eigenschaften der Fläche, nicht Farben. Nun ward ihm sein Auge geöffnet, und sein Gesicht erkannte nichts, was er voraus durchs Gefühl gekannt hatte. Er sah keinen Raum, unterschied auch die verschiedensten Gegenstände nicht von einander; vor ihm stand, oder vielmehr auf ihm lag eine große Bildertafel. Man lehrte ihn unterscheiden, sein Gefühl sichtlich erkennen, Figuren in Körper, Körper in Figuren verwandeln; er lernte und vergaß. »Das ist Katze! das ist Hund!« sprach er; »wohl, nun kenne ich Euch, und Ihr sollt mir nicht mehr entwischen!« Sie entwischten ihm noch oft, bis sein Auge Fertigkeit erhielt, Figuren des Raums als Buchstaben voriger Körpergefühle anzusehen, sie mit diesen schnell zusammenzuhalten und die Gegenstände um sich zu lesen. »Wir glaubten, er verstünde sogleich, was die Gemälde vorstellten, die wir ihm zeigten, aber wir fanden, daß wir uns geirrt hatten; denn eben zwei Monate, nachdem der Staar ihm war gestochen worden, machte er plötzlich die Entdeckung, daß sie Körper, Erhöhungen und Vertiefungen vorstellten. Er hatte sie bisher nur als buntscheckige Flächen angesehen; aber auch alsdann war er nicht wenig erstaunt, daß sich die Gemälde nicht anfühlten, wie sie aussahen, daß die Theile, welche durch Licht und Schatten rauh und uneben aussahen, sich glatt wie die übrigen anfühlen ließen. Er fragte, welcher von beiden Sinnen der Betrüger sei, ob das Gesicht oder das Gefühl. Man zeigte ihm seines Vaters Bild in einem Uhrgehänge und fragte ihn, was es sei. Er erkannte eine Aehnlichkeit, wunderte sich aber ungemein, daß sich ein großes Gesicht in einem kleinen Raum vorstellen ließe, welches ihm so unmöglich würde geschienen haben, als einen Scheffel in eine Metze zu bringen. Erst konnte er gar nicht viel Licht vertragen und hielt Alles, was er sah, für sehr groß; als er aber größere Sachen sah, hielt er die vorhin gesehenen für kleiner und konnte sich keine Linien außer den Grenzen, die er sah, vorstellen. Er sagte, daß das Zimmer, in dem er sich befinde, ein Theil des Hauses sei, wisse er wol, aber er konnte nicht begreifen, daß das Haus größer aussehe als das Zimmer. Er kannte von keiner Sache die Gestalt, er unterschied auch keine Sache von der andern, sie mochte noch so verschiedne Gestalt und Größe haben, sondern, wenn man ihm sagte, was das für Sachen seien, die er zuvor durchs Gefühl gekannt hatte, so betrachtete er sie sehr aufmerksam, um sie wieder zu kennen. Weil er aber auf einmal zu viel neue Sachen lernen mußte, vergaß er immer wieder welche und lernte, wie er sagte, in einem Tage tausend Dinge kennen, die er wieder vergaß« u. s. w.Robert Smith's »Optik«. – H.

 

2.

Was lehren diese sonderbaren Erfahrungen? Etwas, was wir täglich erfahren könnten, wenn wir aufmerkten, daß das Gesicht uns nur Gestalten, das Gefühl allein Körper zeige, daß Alles, was Form ist, nur durchs tastende Gefühl, durchs Gesicht nur Fläche, und zwar nicht körperliche, sondern nur sichtliche Lichtfläche erkannt werde. Der Satz wird Einigen paradox, Andern gemein scheinen; wie er aber auch scheine, ist er wahr und wird große Folgerungen geben.

Was kann das Licht in unser Auge malen? Was sich malen läßt, Bilder. Wie auf die weiße Wand der dunkeln Kammer, so fällt auf die Netzhaut des Auges ein Strahlenpinsel von Allem, was vor ihm steht, und kann nichts, als was da steht, eine Fläche, ein Nebeneinander aller und der verschiedensten sichtbaren Gegenstände zeichnen. Dinge hinter einander oder solide, massive Dinge als solche dem Auge zu geben, ist so unmöglich, als den Liebhaber hinter der dicken Tapete, den Bauer innerhalb der Windmühle singend zu malen.

Die weite Gegend, die ich vor mir sehe, was ist sie mit allen ihren Erscheinungen, als Bild, Fläche? Jener sich herabsenkende Himmel und jener Wald, der sich in ihn verliert, und jenes hingebreitete Feld und dies nähere Wasser und dieser Rahme von Ufer, die Handhabe des ganzen Bildes – sind Bild, Tafel, ein Continuum neben einander. Jeder Gegenstand zeigt mir gerade so viel von sich, als der Spiegel von mir selbst zeigt, das ist Figur, Vorderseite; daß ich mehr bin, muß ich durch andre Sinnen erkennen oder aus Ideen schließen.

Warum soll's also Wunder sein, daß Blinde, denen ihr Gesicht gegeben wurde, nichts als ein Bilderhaus, eine gefärbte Fläche dicht vor sich sahen? Sehen wir doch Alle nichts mehr, wenn wir's nicht auf andern Wegen fänden. Ein Kind sieht Himmel und Wiege, Mond und Amme neben einander; es greift nach dem Monde wie nach der Amme; denn Alles ist ihm Bild auf einer Tafel. Aus dem Schlafe fahrend, ehe wir unser Urtheil sammeln, ist uns in der Dämmerung der Nacht Wald und Baum, Nah- und Fernes auf einem Grunde: nahe Riesen oder entfernte Zwerge und sich auf uns bewegende Gespenster, bis wir aufwachen und unser Urtheil sammeln. Sodann sehen wir erst, wie wir durch Gewohnheit, aus andern Sinnen und insonderheit durchs tastende Gefühl sehen lernten. Ein Körper, den wir nie durchs Gefühl als Körper erkannt hätten, oder auf dessen Leibhaftigkeit wir nicht durch bloße Aehnlichkeit schließen, bliebe uns ewig eine Handhabe Saturn's, eine Binde Jupiter's, d. i. Phänomenon, Erscheinung. Der Ophthalmit mit tausend Augen, ohne Gefühl, ohne tastende Hand, bliebe zeitlebens in Platon's HöhleVgl. Rep., VII. p. 514 A, 516 C. Ophthalmit nennt Herder Den, welcher nur den Sinn des Gesichts besitzt, »ganz Auge ist«. – D. und hätte von keiner einzigen Körpereigenschaft als solcher eigentlichen Begriff.

Denn alle Eigenschaften der Körper, was sind sie, als Beziehungen derselben auf unsern Körper, auf unser Gefühl? Was Undurchdringlichkeit, Härte, Weichheit, Glätte, Form, Gestalt, Rundheit sei, davon kann mir so wenig mein Auge durchs Licht als meine Seele durch selbstständig Denken einen leibhaften, lebendigen Begriff geben. Der Vogel, das Pferd, der Fisch hat ihn nicht; der Mensch hat ihn, weil er nebst seiner Vernunft auch die umfassende, tastende Hand hat. Und wo er sie nicht hat, wo kein Mittel war, daß er sich von einem Körper durch körperliches Gefühl überzeugte, da muß er schließen und rathen und träumen und lügen, und weiß eigentlich nichts recht. Je mehr er Körper als Körper nicht angaffte und beträumte, sondern erfaßte, hatte, besaß, desto lebendiger ist sein Gefühl, es ist, wie auch das Wort sagt, Begriff der Sache.

Kommt in die Spielkammer des Kindes und sehet, wie der kleine Erfahrungsmensch faßt, greift, nimmt, wägt, tastet, mißt mit Händen und Füßen, um sich überall die schweren, ersten und nothwendigsten Begriffe von Körpern, Gestalten, Größe, Raum, Entfernung u. dergl. treu und sicher zu verschaffen. Worte und Lehren können sie ihm nicht geben, aber Erfahrung, Versuch, Proben. In wenigen Augenblicken lernt er da mehr und Alles lebendiger, wahrer, stärker, als ihm in zehntausend Jahren Angaffen und Worterklären beibringen würde. Hier, indem er Gesicht und Gefühl unaufhörlich verbindet, eins durchs andre untersucht, erweitert, hebt, stärkt, formt er sein erstes Urtheil. Durch Fehlgriffe und Fehlschlüsse kommt er zur Wahrheit, und je solider er hier dachte und denken lernte, desto bessere Grundlage legt er vielleicht auf die complexesten Urtheile seines Lebens. Wahrlich, das erste Museum der mathematisch-physischen Lehrart!

Es ist erprobte Wahrheit, daß der tastende, unzerstreute Blinde sich von den körperlichen Eigenschaften viel vollständigere Begriffe sammelt als der Sehende, der mit einem Sonnenstrahl hinübergleitet. Mit seinem umfangenen, dunkeln, aber auch unendlich geübtern Gefühl und mit der Methode, sich seine Begriffe langsam, treu und sicher zu ertasten, wird er über Form und lebendige Gegenwart der Dinge viel feiner urtheilen können, als dem Alles nur wie ein Schatte flieht. Es hat blinde Wachsbildner gegeben, die die sehenden übertrafen, und ich habe noch nie vom Beispiel eines fehlenden Sinnes gehört, der sich nicht durch andre ersetzt hätte, Gesicht durchs Gefühl, der Mangel an Lichtfarben durch tiefgeprägte, dauernde Gestalten. Es bleibt also wahr: »Der Körper, den das Auge sieht, ist nur Fläche, die Fläche, die die Hand tastet, Körper.«

Nur da wir von Kindheit auf unsre Sinnen in Gemeinschaft und Verbindung brauchen, so verschlingen und gatten sich alle, insonderheit der gründlichste und der deutlichste der Sinne, Gefühl und Gesicht. Die schweren Begriffe, die wir uns langsam und mit Mühe ertasten, werden von Ideen des Gesichts begleitet; dies klärt uns auf, was wir dort nur dunkel faßten, und so wird uns endlich geläufig, das mit einem Blick weg zu haben, was wir uns anfangs langsam ertasten mußten. Als der Körper unsrer Hand vorkam, ward zugleich das Bild desselben in unser Auge geworfen; die Seele verband beide, und die Idee des schnellen Sehens läuft nachher dem Begriff des langsamen Tastens vor. Wir glauben zu sehen, wo wir nur fühlen und fühlen sollten; wir sehen endlich so viel und so schnell, daß wir nichts mehr fühlen und fühlen können, da doch dieser Sinn unaufhörlich die Grundfeste und der Gewährsmann des vorigen sein muß. In allen diesen Fällen ist das Gesicht nur eine verkürzte Formel des Gefühls. Die volle Form ist Figur, die Bildsäule ein flacher Kupferstich worden. Im Gesicht ist Traum, im Gefühl Wahrheit.

Daß dem so sei, sehen wir in Fällen, wo sich beide Sinnen scheiden und ein neu Medium oder eine neue Formel eintritt, nach der sie sich gatten sollten. Wenn der Stab im Wasser gebrochen scheint, und man greift darnach an unrechter Stelle, so ist wol hier von keinem Truge der Sinnen die Frage; denn nach einem Strahlenbilde als solchem muß ich nicht greifen. Was ich also sah, war wahr, wirkliches Bild aus wirklicher Fläche; nur wornach ich griff, war nicht wahr; denn wer wird nach einem Bilde auf einer Fläche tasten? Weil nun aber unser Gesicht und Gefühl als Schwestern zusammen erzogen wurden und von Jugend auf eine der andern die Arbeit tragen half oder sie gar allein übernahm, so geschahe es auch hier, und Schwester verfehlte die Schwester. Sie hatten sich sonst auf der Erde versucht; nun ist der Fall im Wasser, einem andern Element der Strahlenbrechung, wo sie sich nicht gegen einander geübt hatten. Ein Wassermann würd's besser getroffen haben.

Abermals ein Beispiel der vorigen Geschichte: Cheselden's Blinder sah am Gemälde nur ein Farbenbrett; da sich die Figuren lostrennten und er sie erkannte, griff er darnach als nach Körpern. Es scheint sonderbar, ist aber sehr natürlich, und der Fall geschieht öfters. Ein Kind, ein rohes Auge sieht am Gemälde das Farbenbrett öfter, als man denkt; es kann sich, so lange die Figur ihm am Brett klebt, jenen Schatten, diesen Streif nicht erklären; es gafft. Nun aber fangen die Figuren an, sich zu beleben; ist's nicht, als ob sie hervorgingen und würden Gestalten? Man sieht sie gegenwärtig, man greift um sie, der Traum wird Wahrheit. Die höchste Liebe und Entzückung macht also gerade das, was dort die Unwissenheit that, und eben das ist der Triumph des Malers! Durch seinen Zaubertrug sollte Gesicht Gefühl werden, so wie bei ihm das Gefühl Gesicht ward.

 

3.

Ich glaube wol nicht mehr Exempel häufen zu dürfen zum Erweise eines Satzes, der so augenscheinlich ist: daß »fürs Gesicht eigentlich nur Flächen, Bilder, Figuren eines Plans gehören, Körper aber und Formen der Körper vom Gefühl abhangen«. Lasset uns sehen, warum wir der Speculation so lange nachhingen, und wozu denn endlich der ganze Unterschied hilft.

Mich dünkt, zu Manchem. Denn ein Grundgesetz und abgeschiednes Reich der Wirkung zweier verschiednen und sich verwirrenden Sinne kann nie leere Speculation sein. Wären alle unsre Begriffe in Wissenschaften und Künsten auf ihren Ursprung zurückgeführt, oder könnten sie dahin zurückgeführt werden, da würden sich Verbindungen sondern und Sonderungen binden, wie man sie in der großen Verwirrung aller Dinge, die wir Leben nennen, nicht ordnet. Da alle unsre Begriffe vom Menschen ausgehen oder auf ihn zurückkommen, so muß nahe diesem Mittelpunkt und der Art, wie er spinnt und wirkt, die Quelle der größten Irrthümer und der sichtlichsten Wahrheit aufgespürt werden, oder sie ist nirgend. Ich bleibe hier nur bei zwei Sinnen und bei einem Begriff derselben, Schönheit.

Schönheit hat von Schauen, von ScheinUnmöglich von beiden. Gewöhnlich leitete man schön von scheinen ab aber wie Wackernagel bemerkt, zeigt die Vergleichung von goth. skaujan alth. sconi, schön, mit dem goth. skaujan alth. sco(u)wan, schauen, gegen skeinan, scînan, scheinen, daß schön zu schauen, nicht zu scheinen gehört. – D. den Namen, und am Leichtesten wird sie auch durchs Schauen, durch schönen Schein erkannt und geschätzt. Nichts ist schneller, klärer, überleuchtender als Sonnenstrahl und unser Auge auf seinen Flügeln: eine Welt außer und neben einander wird ihm auf einen Blick offenbar. Und da diese Welt nicht wie Schall vorübergeht, sondern bleibt und gleichsam selbst zur Beschauung einladet, da der feine Sonnenstrahl so schön färbt und so deutlich zeigt: was Wunder, daß unsre Seelenlehre am Liebsten von diesem Sinne Namen borgt? Ihr Erkennen ist Sehen, ihr bestes Angenehme Schönheit.

Es ist nicht zu leugnen, daß von dieser Höhe Viel sollte übersehen und Vieles des Vielen sehr klar, licht und deutlich gemacht werden können. Das Gesicht ist der künstlichste, philosophischste Sinn. Es wird durch die feinsten Hebungen, Schlüsse, Vergleichungen gefeilt und berichtigt, es schneidet mit einem Sonnenstrahle. Hätten wir also auch nur aus diesem Sinne eine rechte Phänomenologie des Schönen und Wahren, so hätten wir viel.

Indessen hätten wir mit ihr nicht Alles, am Wenigsten das Gründlichste, Einfachste, Erste. Der Sinn des Gesichts wirkt flach, er spielt und gleitet auf der Oberfläche mit Bild und Farbe umher, überdem hat er so Vieles und so Zusammengesetztes vor sich, daß man mit ihm wol nie auf den Grund kommen wird. Er borgt von andern und baut auf andre Sinne; ihre HiIfsbegriffe müssen ihm Grundlage sein, die er nur mit Licht umglänzt. Dringe ich nun nicht in diese Begriffe andrer Sinne, suche ich nicht Gestalt und Form, statt zu ersehen, ursprünglich zu erfassen, so schwebe ich mit meiner Theorie des Schönen und Wahren aus dem Gesichte ewig in der Luft und schwimme mit Seifenblasen. Eine Theorie schöner Formen aus Gesetzen der Optik ist so viel als eine Theorie der Musik aus dem Geschmacke. »Die rothe Farbe«, sagte jener Blinde, »nun begreife ich sie; sie ist wie der Schall einer Trompete.« Und gerade das sind viele Abhandlungen der Aesthetik aus andern in andre Sinne, daß man zuletzt nicht weiß, wo oder wie man dran ist.

Man classificirt die schönen Künste ordentlich unter zwei Hauptsinne, Gesicht und Gehör; und dem ersten Hauptmanne giebt man Alles, was man will, aber er nicht fordert, Flächen, Formen, Farben, Gestalten, Bildsäulen, Bretter, Sprünge, Kleider. Daß man Bildsäulen sehen kann, daran hat Niemand gezweifelt; ob aber aus dem Gesicht sich ursprünglich bestimmen lasse, was schöne Form ist, ob dieser Begriff den Sinn des Gesichts für seinen Ursprung und Oberrichter erkenne, das läßt sich nicht blos bezweifeln, sondern gerade verneinen. Lasset ein Geschöpf ganz Auge, ja einen Argus mit hundert Augen hundert Jahr eine Bildsäule besehen und von allen Seiten betrachten: ist er nicht ein Geschöpf, das Hand hat, das einst tasten und wenigstens sich selbst betasten konnte – ein Vogelauge, ganz Schnabel, ganz Blick, ganz Fittig und Klaue, wird nie von diesem Dinge als Vogelansicht haben. Raum. Winkel, Form, Rundung lerne ich als solche in leibhafter Wahrheit nicht durchs Gesicht erkennen, geschweige das Wesen dieser Kunst, schöne Form, schöne Bildung, die nicht Farbe, nicht Spiel der Proportion, der Symmetrie, des Lichtes und Schattens, sondern dargestellte, tastbare Wahrheit ist. Die schöne Linie, die hier immer ihre Bahn verändert, sie, die, nie gewaltsam unterbrochen, nie widrig vertrieben, sich mit Pracht und Schöne um den Körper wälzt und, nimmer ruhend und immer fortschwebend, in ihm den Guß, die Fülle, das sanft verblasene entzückende Leibhafte bildet, das nie von Fläche, nie von Ecke oder Winkel weiß: diese Linie kann so wenig Gesichtsfläche, so wenig Tafel und Kupferstich werden, daß gerade mit diesen Alles an ihr hin ist. Das Gesicht zerstört die schöne Bildsäule, statt daß es sie schaffe; es verwandelt sie in Ecken und Flächen, bei denen es viel ist, wenn sich nicht das schönste Wesen ihrer Innigkeit, Fülle und Runde in lauter Spiegelecken verwandle; unmöglich kann's also Mutter dieser Kunst sein.

Seht jenen Liebhaber, der tiefgesenkt um die Bildsäule wankt. Was thut er nicht, um sein Gesicht zum Gefühl zu machen, zu schauen, als ob er im Dunkeln taste! Er gleitet umher, sucht Ruhe und findet keine, hat keinen Gesichtspunkt wie beim Gemälde, weil tausende ihm nicht gnug sind, weil, sobald es eingewurzelter Gesichtspunkt ist; das Lebendige Tafel wird und die schöne, runde Gestalt sich in ein erbärmliches Vieleck zerstückt. Darum gleitet er: sein Auge ward Hand, der Lichtstrahl Finger, oder vielmehr seine Seele hat einen noch viel feinern Finger, als Hand und Lichtstrahl ist, das Bild aus des Urhebers Arm und Seele in sich zu fassen. Sie hat's! die Täuschung ist geschehn; es lebt, und sie fühlt, daß es lebe; und nun spricht sie, nicht als ob sie sehe, sondern taste, fühle. Eine Bildsäule, kalt beschrieben, giebt so wenig Ideen als eine gemalte Musik; lieber laß sie stehen und gehe vorüber!

Wenn ich einem Menschen seine Begeisterung vergebe, so ist's dem Liebhaber der Kunst, dem Künstler; denn ohne sie war kein Liebhaber, kein Künstler. Der elende Tropf, der vorm Modell sitzt und Alles platt und flach sieht, der Arme, der vor der lebenden Person steht und nur ein Farbenbrett an ihr gewahr wird, sind Klecker, nicht Künstler. Sollen die Figuren von der Leinwand vortreten, wachsen, sich beseelen, sprechen, handeln, gewiß, so mußten sie dem Künstler auch so erscheinen und von ihm gefühlt sein. Phidias, der den Donnergott bildete, als er im Homer las und vom Haupte Jupiter's, von seiner fallenden Locke ihm Kraft herabsank,Ilias, I. 528–530. – D. dem Gotte näher zu treten und ihn zu umfangen in Majestät und Liebe; Apollonius Nestorides, der den Hercules machte und den Riesenbezwinger in Brust, in Hüften, in Armen, im ganzen Körper fühlte;Der sogenannte Torso des Hercules, unter Julius II. in Rom gefunden. Apollonius war Sohn des Nestor. – D. Agasias,Des Dositheos Sohn, dem wir den sogenannten Borghesischen Fechter verdanken. – D. als er den Fechter schuf und in allen Sehnen ihn tastete und in allen Kräften ihn hingab: wenn Diese nicht begeistert sprechen durften, wer darf's denn? Sie sprachen durch ihr Werk und schwiegen; der Liebhaber fühlt, schafft ihnen nach und stammelt im Umfang, im Meere von Leben, was ihn ergreift. Ueberhaupt, je näher wir einem Gegenstande kommen, desto lebendiger wird unsre Sprache, und je lebendiger wir ihn von fern her fühlen, desto beschwerlicher wird uns der trennende Raum, desto mehrSoll wol »näher« heißen. – D. wollen wir zu ihm. Wehe dem Liebhaber, der in behaglicher Ruhe seine Geliebte von fern als ein flaches Bild ansieht und gnug hat! Wehe dem Apollo-, dem Herculesbildner, der nie einen Wuchs Apollo's umschlang, der eine Brust, einen Rücken Hercules' auch nie im Traume fühlte! Aus Nichts kann wahrlich nichts Anders als Nichts, und aus dem unfühlenden Sonnenstrahl nie warme, schaffende Hand werden.

 

4.

Ist's einmal erlaubt, über Werk zu reden und über Kunst zu philosophiren, so muß die Philosophie wenigstens genau sein und wo möglich zu den ersten, einfachsten Begriffen reichen. Als das Philosophiren über schöne Kunst einmal noch Mode war, suchte ich lange über dem eigentlichen Begriff, der schöne Formen und Farben, Bildnerei und Malerei trenne, und – fand ihn nicht.Falconet's »Gedanken von der Bildhauerkunst« (übersetzt, Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften, B. 1. St. 1) sind die treffliche Vorlesung eines Künstlers, dessen Zweck es gar nicht ist, die Grenzen zweier Künste philosophisch zu sondern. – H. Immer Malerei und Bildhauerei in einander, unter einem Sinne, also unter einem Organ der Seele, das Schöne in beiden zu schaffen und zu empfinden, also auch dies Schöne völlig auf eine Art, durch einerlei natürliche Zeichen, in einem Raume neben einander wirkend, nur eins in Formen, das andre auf der Fläche – ich muß sagen, ich begriff dabei wenig. Zwei Künste im Gebiet eines Sinnes müssen auch gradezu subjectiv einerlei Gesetze des Wahren und Schönen haben; denn sie kommen zu einer Pforte hinein, wie sie beide zu einer herausgingen und ja nur für einen Sinn da sind. Die Malerei muß also so sehr sculpturiren, die Sculptur so viel malen können, als sie will, und es muß schön sein; sie dienen ja einem Sinne, regen einen Punkt der Seele; und nichts ist doch unwahrer als dies. Ich verfolgte beide Künste und fand, daß kein einziges Gesetz, keine Bemerkung, keine Wirkung der einen ohn' Unterschied und Einschränkung auf die andre passe. Ich fand, daß gerade, je eigner etwas einer Kunst sei und gleichsam als einheimisch derselben in ihr große Wirkung thue, desto weniger lasse es sich platt anwenden und übertragen ohne die entsetzlichste Wirkung. Ich fand arge Beispiele davon in der Ausführung, aber noch ungleich ärgere in der Theorie und Philosophie dieser Künste,Herder's viertes, 1769 geschriebenes »Kritisches Wäldchen« war gegen Riedel's »Theorie der schönen Künste« gerichtet. – D. die oft von Unwissenden der Kunst und Wissenschaft geschrieben, Alles seltsam durcheinandergemischt, beide nicht als zwei Schwestern oder Halbschwestern, sondern meistens als ein doppelt Eins betrachtet und keinen Plunder an der einen gefunden haben, der nicht auch der andern gebühre. Daher nun jene erbärmlichen Kritiken, jene armseligen, verbietenden und verengernden Kunstregeln, jenes bittersüße Geschwätz vom allgemeinen Schönen, woran sich der Jünger verdirbt, das dem Meister ekelt und das doch der kennerische Pöbel als Weisheitssprüche im Munde führt. Endlich kam ich auf meinen Begriff, der mir so wahr, der Natur unsrer Sinne, beider Künste und hundert sonderbaren Erfahrungen so gemäß schien, daß er als der eigentliche subjective Grenzstein beide Künste und ihre Eindrücke und Regeln auf die lindeste Weise scheidet. Ich gewann einen Punkt, zu sehen, was jeder Kunst eigen oder fremde, Macht oder Bedürfniß, Traum oder Wahrheit sei, und es war, als ob mir ein Sinn würde, die Natur des Schönen da furchtsam von ferne zu ahnen, wo – doch ich plaudre zu frühe und zu viel. Hier ist der nackte Umriß, wie ich glaube, daß die Künste des Schönen sich zu einander verhalten.

Einen Sinn haben wir, der Theile außer sich neben einander, einen andern, der sie nach einander, einen dritten, der sie in einander erfaßt: Gesicht, Gehör und Gefühl.

Theile neben einander geben eine Fläche; Theile nach einander am Reinsten und Einfachsten sind Töne, Theile auf einmal in, neben, bei einander Körper oder Formen. Es giebt also in uns einen Sinn für Flächen, Töne, Formen, und wenn's dabei aufs Schöne ankommt, drei Sinne für drei Gattungen der Schönheit, die unterschieden sein müssen wie Fläche, Ton, Körper. Und wenn's Künste giebt, wo jede in einer dieser Gattungen arbeitet, so kennen wir auch ihr Gebiet von außen und innen, Fläche, Ton, Körper, wie Gesicht, Gehör, Gefühl. Dies sind sodann Grenzen, die ihnen die Natur anwies, und keine Verabredung, die also auch keine Verabredung ändern kann, oder die Natur rächt. Eine Tonkunst, die malen, und eine Malerei, die tönen, und eine Bildnerei, die färben, und eine Schilderei, die in Stein hauen will, sind lauter Abarten ohne oder mit falscher Wirkung. Und alle drei verhalten sich zu einander als Fläche, Ton, Körper oder wie Raum, Zeit und Kraft, die drei größten Medien der allweiten Schöpfung, mit denen sie Alles faßt. Alles umschränkt.

Lasset uns sogleich ein, zwei Folgerungen sehen, wie sich Bild- und Malerei im Ganzen verhalten.

Ist diese die Kunst fürs Auge, und ist's wahr, daß das Auge nur Fläche und Alles wie Fläche, wie Bild empfindet, so ist das Werk der Malerei tabula, tavola, tableau, eine Bildertafel, auf der die Schöpfung des Künstlers wie Traum da steht, in der Alles also auf dem Anschein, auf dem Nebeneinander beruht. Hievon also muß Erfindung und Anordnung, Einheit und Mannichfaltigkeit (und wie die Litanei von Kunstnamen weiter heiße) ausgehen, darauf zurückkommen und ist, wie viele Capitel und Bände davon gefüllt werden, dem Künstler selbst aus einem sehr einfachen Grundsatze, der Natur seiner Kunst, mehr als sichtbar. Diese ist ihm das eine Königsgesetz, außer dem er keines kennt, die Göttin, die er verehrt. In der treuen Behandlung seines Werks muß ihm alle Philosophie darüber in Grund und Wurzel und als etwas so Einfaches erscheinen, dessen alle das vielfache Geschwätz nicht werth ist.

Die Bildnerei arbeitet in einander, ein Lebendes, ein Werk voll Seele, das da sei und daure. Schatte und Morgenroth, Blitz und Donner, Bach und Flamme kann sie nicht bilden, so wenig das die tastende Hand greifen kann; aber warum soll dies deshalb auch der Malerei versagt sein? Was hat diese für ein ander Gesetz, für andre Macht und Beruf, als die große Tafel der Natur mit allen ihren Erscheinungen, in ihrer großen, schönen Sichtbarkeit zu schildern? Und mit welchem Zauber thut sie's! Die sind nicht klug, die die Landschaftsmalerei, die Naturstücke des großen Zusammenhanges der Schöpfung verachten, heruntersetzen oder gar dem Künstler Affen ernstlich untersagen. Ein Maler, und soll kein Maler sein? Ein Schilderer, und soll nicht schildern? Bildsäulen drechseln soll er mit seinem Pinsel und mit seinen Farben geigen, wie's ihrem ächten antiken Geschmacke behagt. Die Tafel der Schöpfung schildern, ist ihnen unedel; als ob nicht Himmel und Erde besser wäre und mehr auf sich hätte als ein Krüppel, der zwischen ihnen schleicht, und dessen Conterfeiung mit Gewalt einzige würdige Malerei sein soll.

Bildnerei schafft schöne Formen, sie drängt in einander und stellt dar; nothwendig muß sie also schaffen, was ihre Darstellung verdient, und was für sich da steht. Sie kann nicht durch das Nebeneinander gewinnen, daß Eins dem Andern aushelfe und doch also Alles so schlecht nicht sei; denn in ihr ist Eins Alles und Alles nur Eins. Ist dies unwürdig, leblos, schlecht, nichtssagend, Schade um Meißel und Marmor! Kröte und Frosch, Fels und Matratze zu bilden, war der Rede nicht werth, wenn sie nicht etwa einem höhern Werk als Beigehörde dienen und also nicht Hauptwerk sein wollen. Wo Seele lebt und einen edeln Körper durchhaucht, und die Kunst wetteifern kann, Seele im Körper darzustellen, Götter, Menschen und edle Thiere, das bilde die Kunst, und das hat sie gebildet. Wer aber mit hoher idealischer Strenge dies Gesetz abermals den Schilderern, den Malern der großen Naturtafel aufbürdet, der greife ja nach seinem Kopfe, wie er etwa zu schildern wäre.

Endlich die Bildnerei ist Wahrheit, die Malerei Traum; jene ganz Darstellung, diese erzählender Zauber. Welch ein Unterschied! und wie wenig stehen sie auf einem Grunde! Eine Bildsäule kann mich umfassen, daß ich vor ihr kniee, ihr Freund und Gespiele werde; sie ist gegenwärtig, sie ist da. Die schönste Malerei ist Roman, Traum eines Traumes. Sie kann mich mit sich verschweben, Augenblicke gegenwärtig werden und wie ein Engel, in Licht gekleidet, mich mit sich fortziehn; aber der Eindruck ist anders, als er dort war. Der Lichtstrahl weicht hin; es ist Glanz, Bild, Gedanke, Farbe. Ich kann mir keinen Theoristen, der Mensch ist, vorstellen, und sich die zwei Sachen auf einem Grunde denkt.

Lasset uns einige andere Fragen sehen, die als Altercationen zwischen beiden Künsten oft aufgeworfen, zum Theil schlecht beantwortet sind und sich aus unserm Gesichtspunkt sonnenklar ergeben.

 

Zweiter Abschnitt.

 

1.

Bildhauerkunst und Malerei, warum bekleiden sie nicht mit einem Glücke, nicht auf einerlei Art?
 

Antwort. Weil die Bildnerei eigentlich gar nicht bekleiden kann und die Malerei immer kleidet.
 

Die Bildnerei kann gar nicht bekleiden; denn offenbar verhüllt sie gleich unter dem Kleide; es ist nicht mehr ein menschlicher Körper, sondern ein langgekleideter Block. Kleid als Kleid kann sie nicht bilden; denn dies ist kein Solidum, kein Völliges, Rundes. Es ist nur Hülle unsers Körpers der Nothwendigkeit wegen, eine Wolke gleichsam, die uns umgiebt, ein Schatte, ein Schleier. Je mehr es in der Natur selbst drückend wird und dem Körper Wuchs, Gestalt, Gang, Kraft nimmt, desto mehr fühlen wir die fremde, unwesentliche Last. Und nun in der Kunst ist ein Gewand von Stein, Erz, Holz ja im höchsten Grade drückend! Es ist kein Schatte, kein Schleier, gar kein Gewand mehr; es ist ein Fels voll Erhöhung und Vertiefung, ein herabhangender Klumpe. Thue die Augen zu und taste, so wirst Du das Unding fühlen.

In keinem Lande konnte daher die Bildnerei gedeihen, wo solche Steinklumpen nothwendig waren, wo der Künstler statt schöner und edler Körper Matratzen bilden mußte. Im Morgenlande, wo man aus sehr guten Gründen die Verhüllung des Körpers liebte, wo man ihn als Geheimniß betrachtete, von dem nur das Antlitz und seine Boten, Hände und Füße, sichtbar wären, in ihm war keine Bildnerei möglich, ja im jüdischen Lande gar nicht erlaubt. Bei den Aegyptern ging sie daher, trotz des hohen Mechanischen der Kunst, einen ganz andern Weg, seitwärts ab vom Schönen. Bei den Römern konnte sie auch wegen der Toga und Tunica, Thorax und Paludament sich der Nation nie einverleiben,Plin. N. H., XXXIV. 10: Graeca res est nihil velare, at contra Romana ac militaris thoracas addere. – D. um höher zu steigen; sie blieb griechisch oder ging zurück. In der Geschichte der Mönche und Heiligen konnte sie keine Fortschritte thun; denn Mönch und Nonne waren verschleiert, der Künstler hatte statt Körper faltige Steindecken zu bilden. Sowol der spanischen als unsrer Tracht mag sich etwa die Malerei, aber wahrlich nicht die Bildsäule erfreuen. Wir haben die spanische zur Ritter-, Priester- und Narrentracht gemacht; die unsre, mit Lappen und Flicken, Spitzen und Ecken, Schnitten und Taschen müßte in Marmor ein wahres Göttergewand werden! Ein Held in seiner Uniform, allenfalls noch die Fahne in der Hand und den Hut auf ein Ohr gedrückt, so ganz in Stein gebildet, wahrlich, das müßte ein Held sein! Der Künstler, der ihn machte, wäre wenigstens ein schöner Commißschneider. Betaste die Statue in dunkler Nacht, Du wirst an Form und Schönheit Wunderdinge in ihr fühlen.

Wie anders die Griechen, sie, die gebornen Künstler des Schönen! Erzhüllen und Steindecken warfen sie ab und bildeten, was gebildet werden konnte, schöne Körper. Apollo, vom Siege Python's,Winckelmann's Geschichte der Kunst, S. 392 [XI. 3, 11]. – H. kam er unbekleidet? zerbrach der Künstler sich den Kopf, um doch hier einer Armseligkeit des Ueblichen treu zu bleiben? Nichts! er stellte den Gott, den Jüngling, den Ueberwinder mit seinen schönen Schenkeln, freier Brust und jungem Baumeswuchse nackt dar; die Last des Kleides wurde zurückgeschoben, wo sie am Wenigsten verbarg, wo sie den Gang des Edeln nicht hindert, wo sie vielmehr seinem hochmüthigen Stande wohl thut und auch nur als die leichte Beute des Ueberwinders schwebt. Laokoon, der Mann, der Priester, der Königssohn, bei einem Opfer, vor dem versammelten Volke, war er nackt? stand er unbekleidet da, als ihn die Schlangen umfielen? Wer denkt daran, wenn er jetzt den Laokoon der Kunst sieht? wer soll daran denken? wer an die vittas denken, sanie atroque cruore madentes,Virg. Aen., II. 221: Perfusus sanie vittas atroque veneno. – D. da die hier nichts thäten, als seine leidende Stirn voll Seufzens und Todeskampfes zum priesterlichen Steinpflaster zu machen? wer an ein Opfergewand denken, das diese arbeitende Brust, diese giftgeschwollenen Adern, diese ringenden und schon ermattenden Vaterhände zu todtem Fels schüfe? O der Pedanten des Ueblichen, des Wohlanständigen, des schön beschreibenden Virgil's, die ja nur Priesterfiguren im Holzmantel sehen mögen! und immer nur solche sehen sollten!

Es war vom Griechen Sprichwort, daß er lieber Fülle als Hülle gab, das ist, schöne Fülle; denn sonst bekleidete er auch. Philosophen, Cybelen, hundertjährige Matronen konnten immer bekleidet da stehn; auch wo es Gottesdienst und Zweck und Eindruck der Bildsäule forderte oder ertrug. Ein Philosoph ist ja nur immer Kopf- oder Brustbild, wenn er also auch nur wie Zeno sein Haupt über der Steinhülle zeigt! er muß nicht als Jüngling oder Fechter da stehn. Eine Niobe, diese unglückliche Mutter in Mitte ihrer unglücklichen Kinder, die hilflos um sie jammern und alle in ihren Schooß fliehen möchten, wie es die Jüngste thut, sie kniet weit- und reichbekleidet da; denn sie ist Mutter, und ihr todesstarres, gen Himmel gewandtes Gesicht sammt der Tochter in ihrem Schooße ist Ausdruck gnug, auf den der Künstler hier wirkte, und nicht auf kalte, nackte Körperschönheit. Eine Juno Matrona, unbekleidet, wäre dem entgegen, was sie ist, was sie selbst vor Paris war; Ehrfurcht soll sie einflößen, nicht Liebe. Das Haupt der Nymphen und Vestalinnen, die unsterblich schöne Diana, muß bekleidet sein, wie es ihr Stand und Charakter gebietet und die Kunst es zuläßt. Aber eine Gestalt der Schönheit, der Liebe, des Reizes, der Jugend, Bacchus und Apollo, Charis und Aphrodite, unter einem Mantel von Stein wäre Alles, was sie sind, was sie hier durch den Künstler sein sollten, verschleiert und verloren. Und man kann überhaupt den Grundsatz annehmen, daß, »wo der griechische Künstler auf Bildung und Darstellung eines schönen Körpers ausging, wo ihm nichts Religiöses oder Charakteristisches im Wege stand, wo seine Figur ein freies Geschöpf der Muse, ein substantielles Kunstbild, kein Emblem, keine historische Gruppe, sondern Bild der Schönheit sein sollte, da bekleidete er nie, da enthüllte er, was er trotz dem Ueblichen enthüllen konnte«.

Wir betrachten hier nicht, was dies Nackte auf die Sitten der Griechen für Einfluß hatte; denn mit solchen Sprüngen von einem Felde ins andre kommt man nicht weit. Nichts ist feinerer Natur als Zucht und das Wohlanständige oder Aergerliche des Auges; es kommt dabei so viel auf Himmelsstrich, Kleidungsart, Spiele, frühe Gewohnheit und Erziehung, auf den Stand, den beide Geschlechter gegen einander haben, insonderheit auf den Abgrund von Sonderbarkeiten an, den man Charakter der Nation nennt, daß die Untersuchung dessen ein eigenes Buch werden dürfte. Es konnte den Gothen, die aus Norden kamen, die wirklich züchtiger und unter ihrem Himmelsstrich an dichtere Kleider gewöhnt waren, bei denen das weibliche Geschlecht zum männlichen überhaupt anders stand als bei den Griechen, und die überdem die Statuen unter einem verderbten Volke fanden, das vielleicht seinen Untergang mit von ihnen her hatte: ich sage, diesen Gothen konnte, auch ihre neue Religion unbetrachtet, der Anblick der Statuen mit Recht sehr widrig sein; daher die meisten auch so ein unglückliches Ende nahmen, ohne daß man deshalb von Gothen auf Griechen geradezu schließen müßte. Wenn unter uns dies nackte Reich der Statuen plötzlich auf Weg und Steg gepflanzt würde, wie einige neuere Schöndenker nicht undeutlich angerathen haben, so muß man von dem Eindruck, den sie da, und dem Pöbel (dem Pöbel von und ohne Stande) insonderheit zuerst, machen würden, nicht sofort auf ein fremdes Volk ganz andrer Sitten und Erziehung schließen. Ueberhaupt ist züchtig sein und geärgert werden, Tugend ausbreiten und die Kunst hassen, schrecklich verschieden, wie die Folge noch mehr zeigen wird. Hier ist auch diese Ausschweifung schon zu lang; wir reden hier von Kunst und von Griechen, nicht von Sitten und Deutschen. Ich fahre fort.

Wo auch der Grieche bekleiden mußte, wo es ihm ein Gesetz auflegte, den schönen Körper, den er bilden wollte, und den die Kunst allein bilden kann und soll, hinter Lumpen zu verstecken: gab's kein Mittel, dem fremden Drucke zu entkommen oder sich mit ihm abzufinden? zu bekleiden, daß doch nicht verhüllt würde? Gewand anzubringen, daß der Körper doch seinen Wuchs, seine schöne, runde Fülle behielte? Wie wenn er durchschiene? In der Bildnerei, bei einem solido kann nichts durchscheinen; sie arbeitet für die Hand und nicht fürs Auge. Und siehe, eben für die Hand erfanden die feinen Griechen Auskunft. Ist nur der tastende Finger betrogen, daß er Gewand und zugleich Körper taste, der fremde Richter, das Auge, muß folgen: kurz, es sind der Griechen nasse Gewänder.

Es ist über sie so viel und so viel Falsches gesagt, daß man sich fast mehr zu sagen scheut. Jedermann war's auffallend, daß sie in der Bildhauerei so viel, in der Malerei keine Wirkung thun. Und zugleich schienen sie so unnatürlich, so unnatürlich und doch so wirksam? so wahr und schön in der Kunst und in der Natur so häßlich? Also schön und häßlich, wahr und falsch: wer giebt Auskunft? Winckelmann sagt,VI. 1. 4. – D. daß sie nichts als Nachbildung der alten griechischen Tracht in Leinwand seien. Ich weiß nicht, ob die Griechen je nasse, an der Haut klebende Leinwand getragen; und hier war eigentlich die Frage, warum sie der Künstler so kleben ließ und nicht trocknete. Führen wir sein Werk, seine Kunst auf ihren rechten Sinn zurück, so antwortet die Sache. Es war nämlich einzige Auskunft, den tastenden Finger und das Auge, das jetzt nur als Finger tastet, zu betrügen, ihm ein Kleid zu geben, das doch nur gleichsam ein Kleid sei, Wolke, Schleier, Nebel – doch nein, nicht Wolke und Nebel; denn das Auge hat hier nichts zu nebeln; nasses Gewand gab er ihm, das der Finger durchfühle!Achill. Tat., I. 1: Ἐγένετο τοῦ σώματος κάτοπτρον ὁ χιτών. – D. Das Wesen seiner Kunst blieb, der schlanke Leib, das runde Knie, die weiche Hüfte, die Traube der jugendlichen Brust, und dem äußern Erfordernisse kam man doch auch nach. Es war gleichsam ein Kleid, wie die Götter Homer's gleichsam Blut haben; die Fülle des Körpers, die kein Gleichsam, die Wesen der Kunst ist, war und blieb Hauptwerk.

 

Ganz anders verhält sich's mit der Malerei, die, wie gesagt worden, nichts als Kleid ist, das ist, schöne Hülle, Zauberei mit Licht und Farben zur schönen Ansicht. Sie wirkt auf Fläche und kann nichts als Oberfläche geben; zu der gehören auch Kleider. Für unser Auge sind diese die täglichen Erscheinungen der Wahrheit, des Ueblichen, der Pracht, der Zierde. Eben der Farbe, des Putzes, des schönen Anscheins wegen werden sie oft gewählt und gemustert, sind der schauenden schönen Welt so viel mehr als Bedürfniß: warum sollten sie's nicht auch der schauenden schönen Kunst sein? Malerei kann Kleid als das Edelste, was es ist, bearbeiten, als ein gebrochenes Licht, einen Zauberduft fürs Auge, der Alles erhöht, als Nebel und schöne Farbe; warum sollte sie's also nicht thun? Warum müßte sie den Vorzug ihres Sinnes dem Mangel eines fremden Sinnes aufopfern, mit dem sie nichts gemein hat? Würde unter den Händen des Bildners ein Kleid das, was es unter ihren Händen, unter dem Zauberfinger des Lichts ist, so wäre er Thor, wenn er's nicht brauchte.

Es sind also ungemein feine Köpfe, die der Malerei die nackten Fleischmassen und wol gar die nassen Gewänder anrathen, weil sie damit ihrer ältern lieben Schwester, Bildhauerkunst, näher komme und wol gar antikisch würde. Nackt und steif und häßlich kann sie freilich damit werden, ohne ein Gutes zu erbeuten, was ihre ältere Schwester mit Nacktheit und Nässe erreicht. Das Bedürfniß einer fremden Kunst zum Wesen der seinigen zu machen und darüber die Vortheile der seinigen verlieren, so etwas kommt meistens aus dem lieben Modeln und Vergleichen. Jüngste Gerichte voll Fleisch wie Heu, und Dianenbäder wie Fleischmärkte! Nichts ist lächerlicher, als Statuen aufs Brett zu kleben und da Kleider gar zu netzen, wo Alles blühn und duften soll.

»Aber die alten großen Maler ahmten doch Bildsäulen nach; von Raphael hat man ja so manche Märchen, daß er –.« Das ahmten sie aber nicht nach, was nicht aufs Brett gehört, ohne daß es dadurch dreimal Brett wurde. Eben jene alten großen Maler, welch großes Gefühl hatten sie vom Wurf der Kleider! wie eben hier die Malerei in ihrem Zauberlande des schönen Truges, in der Werkstätte ihrer Allmacht mit Licht und Farbe sei! Daß dieses Kleid rausche und jenes dufte und schwebe; daß man hier in die Falten des Gewandes greift und glaubt, da es doch nur Fläche ist, so tief zu greifen; daß diese Farbe, dieser Grund jene Figuren so himmlisch mache, so höhe und hebe, jener Wurf, jener Wechsel dem Ganzen Lieblichkeit, Anmuth, Mannichfaltigkeit gewähre: was ich hier so allgemein, so unbestimmt sage, welcher Liebhaber, welcher Meister hat's nicht in tausend einzelnen Fällen, mit tausend Kunstgriffen und Meisterzügen erprobt? Malerei ist Repräsentation, eine Zauberwelt mit Licht und Farben fürs Auge; dem Sinne muß sie folgen, und was ihr der Sinn für Zauberstäbe gewährt, darf sie nicht wegwerfen.

Selbst im Reizbaren zur Verführung ist das Nackte in beiden Künsten gar nicht dasselbe. Eine Statue steht ganz da, unter freiem Himmel, gleichsam im Paradiese: Nachbild eines schönen Geschöpfs Gottes, und um sie ist Unschuld. Winckelmann sagt recht, daß der Spanier ein Vieh gewesen sein muß, den die Statue jener Tugend zu Rom lüstete, die nun die Decke trägt; die reinen und schönen Formen dieser Kunst können wol Freundschaft, Liebe, tägliche Sprache, nur beim Vieh aber Wollust stiften. Mit dem Zauber der Malerei ist's anders. Da sie nicht körperliche Darstellung, sondern nur Schilderung, Phantasie, Repräsentation ist, so öffnet sie auch der Phantasie ein weites Feld und lockt sie in ihre gefärbten, duftenden Wollustgärten. Die kranken Schlemmer aller Zeiten füllten ihre Cabinette der Wollust immer lieber mit unzüchtigen Gemälden als Bildsäulen; denn in diesen, selbst in schlummernden Hermaphroditen, ist eigentlich keine Unzucht. Die Chäreen alt und neu erbauen sich lieber an Gemälden des Schwans mit der LedaMit Beziehung auf Ter. Eun., III, 5, 36–43. – D. als an ganzen Vorstellungen desselben. Die Phantasie will nur Duft, Schein, lockende Farbe haben; mit der treuen Natur der ganzen Wahrheit sind ihr die Flügel gebunden, es steht zu wahr da. Die Bildsäule bleibt immer nackt stehen, aber die schöne Danae von Titian muß weislich ein Vorhängchen decken: es ist die Zaubertafel für einen verdorbenen Sinn, der, verlockt, gar keine Grenzen kennt.

Auch hieraus ergiebt sich, warum die Neuen den Alten in schöner Form weiter nachbleiben als im schönen Anschein. Schöner Anschein kann Manches werden, was gerade nicht schöne Form und die tiefgefühlte, treue, nackte Wahrheit ist; zu dieser zu gelangen, sind unstreitig jetzo viel weniger Mittel als voraus. WinckelmannIV. 1, 5–10. – D. hat's unverbesserlich gesagt, was unter dem schönen griechischen Himmel, in ihrer Frei- und Fröhlichkeit von Jugend auf, bei ihren unverhüllten Tänzen, Kampf- und Wettspielen das Auge des Künstlers gewann. Nur die Formen können wir treu, ganz, wahr, lebendig geben, die sich uns also mittheilen, die durch den lebendigen Sinn in uns leben. Es ist bekannt, daß einige der größten neuern Maler nur immer ihre geliebte Tochter oder ihr Weib schilderten, unstreitig, weil sie nichts Anders in Seele und Sinnen besaßen. Raphael war reich an lebendigen Gestalten weil seine Neigung, sein warmes Herz ihn hinriß und alle diese, erfühlt und genossen, sein eigen waren. Er gerieth dabei auf Abwege, endete früh sein unersetzliches Leben: und manche Trödelköpfe kennen es gar nicht begreifen, wie der himmlische Raphael irdische Mädchen geliebt habe. Bekam er von ihnen nicht seine Umrisse, seine warmen lebendigen Formen? vom Himmel und kalten Statuen allein würde er sie nicht bekommen haben. Und doch war Raphael noch kein Praxiteles, kein Lysippus, der ohne Zweifel diese Formen so ursprünglich erkennen mußte, als Bildhauerei nicht schildert, sondern schafft und darstellt. So lange also nicht das griechische Zeitalter der Knaben- und Mädchenliebe in seiner offnen Jugendunschuld als Spiel und Freude zurückkehrt; so lange der Künstler steife Modelle von Fischbeinröcken und Schnürbrüsten sieht und ja nichts weiter: so ist's nur Thorheit, griechische Bildkunst erwarten oder hervorbringen zu wollen. Sein Sinn versagt ihm; soll er Engelsformen, Apollos- und Hurisgestalten aus der Luft greifen? Daher gegriffen, sind sie Schaumblasen, die zergehen, ehe er sie der Hand, viel weniger dem Stein einverleibt. Mit einem großen Theil der Malerei, freilich nicht mit dem, der auch schöne Formen enthält und als lebendiger Traum zunächst an jene wachende Wahrheit grenzt, ist's anders.Ein neuer, sehr denkender Künstler, Falconet, hat Manches für die reiche und (kurz zu sagen) malerische Bekleidung der Bildsäulen gesagt, was in unsern Zeiten, da den meisten Anschauenden die Bildnerkunst selbst nur Malerei ist, wahr sein kann; mich dünkt indessen, es gelte nur als Ausnahme und Hilfe, weil wir zur nackten Fülle der Alten nicht mehr kommen können und uns also diesen Mangel durch den Wurf der Kleider ersetzen mögen, die in der Bildnerei doch nie mehr Kleider sind. – H.

 

2.

Warum wird die Bildsäule durch Färbung nach der Natur und ähnliche Anwürfe nicht schön, sondern häßlich, da doch in der Malerei Farbe so große Wirkung thut?
 

Antwort. Weil Farbe nicht Form ist, weil sie also dem verschlossnen Auge und tastenden Sinne nicht merkbar wird, oder merkbar sogleich die schöne Form hindert. Sie ist Sandkorn, Tünche, fremder Anwuchs, worauf wir stoßen, und der uns vom reinen Gefühl dessen, was die Natur sein sollte, wegzeucht.
 

Die obengesetzte und oft aufgeworfene Frage ist bisher meistens anders beantwortet worden: »durch Farbe werde die Aehnlichkeit zu groß, die Aehnlichkeit zu ähnlich, gar identisch mit der Natur, das sie nicht sein soll; man könne die bemalte Statue in der Entfernung gar für einen lebendigen Menschen halten, darauf zugehen« u. dergl. Wer von diesen Ursachen etwas versteht oder sich mit ihnen befriedigen kann, dem beneide ich seine Zufriedenheit nicht.

Man hat ebenmäßig gefragt: »ob Myron's Kuh mehr gefallen würde, wenn man sie mit Haaren bekleidete«, und es scharfsinnig verneint, weil sie sodann einer Kuh zu ähnlich wäre. Kuh einer Kuh zu ähnlich? das ist Kuh, aber zu sehr Kuh? Ich antworte geradehin: weil sie sodann für die Kunst gar nicht mehr Kuh, sondern ein ausgestopfter Haarbalg wäre. Schleuß das Auge und fühle: da ist weder Form noch Gestalt mehr, geschweige schöne Form, schöne Gestalt. Wenn dort der Hirte Myron's eherne Kuh wegtreiben wollte,Vgl. das Epigramm Anthol., IX. 715. 730. – D. so wird diese weder Hirte noch Künstler berühren; denn sie ist »einer Kuh gar zu ähnlich und doch nicht Kuh«, das ist Popanz.

Viel feinere Sachen als Tünche und Kuhhaut müssen von der Statue wegbleiben, weil sie dem Gefühl widerstehen, weil sie dem tastenden Sinn keine ununterbrochene schöne Form sind. Diese Adern an Händen, diese Knorpel an Fingern, diese Knöchel an Knieen müssen so geschont und in Fülle des Ganzen verkleidet werden, oder die Adern sind kriechende Würme, die Knorpel aufliegende Gewächse dem stillen, dunkeltastenden Gefühl. Nicht ganze Fülle eines Körpers mehr, sondern Abtrennungen, losgelöste Stücke des Körpers, die seine Zerstörung weissagen und sich eben daher schon selbst entfernten. Dem Auge sind die blauen Adern unter der Haut nur sichtbar; sie duften Leben, da wallt Blut: als Knorpel und Knochen sind sie uns fühlbar und haben kein Blut und duften kein Leben mehr, in ihnen schleicht der lebendige Tod. Ganz anders, wie sich die Adern der Bildsäule beleben, wenn sie unter den Händen des Künstlers und Liebhabers weicher, lebendiger Thon wird. Es ist, als regten sie sich und wallten und lebten, aber nicht in aufgelaufenen Stricken; »ein himmlischer Geist,« sagt Winckelmann,XI. 3, 11, wo am Schlusse steht: »hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllet«. – D. »der sich wie ein sanfter Strom ergossen, hat den Umfang der Gestalt erfüllt.« Alles also lebt, und der ruhige Sinn in seiner dunkeln Umschränktheit kann, je weniger er losgebunden und zertheilt fühlt, so mehr im großen Ganzen ahnen.

Die alten Künstler sind in Bildung der Haare sehr berühmt und gepriesen, mehr aber von Künstlern und Literatoren gepriesen als von Theoristen verstanden. Wo und wie haben sie Haare gebildet? Wo und wie sie sich bilden und auch vom Blinden als Zierde der schönen Form tasten ließen. Das zierende Haupthaar der Götter und Göttinnen (denn ein kahlköpfiger Römer ist immer ein dürftiges überaltes Geschöpf) machten sie zum Körper, ohne daß es Steinklumpe würde; es fällt in schönen schweren Locken herab oder ist bei Weibern, wo es zarter sein mußte, aufs Haupt gebunden und nicht um den Kopf fliegend. Keiner Bacchante flattert's, denn es kann ja nicht flattern; dem schnellgehenden zornigen Apollo ist's »wie die zarten und flüssigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, das Haupt umspielend«.Winckelmann a. a. O. – D. Bei Andern liegt's wie eine schöne Decke (ἐξουσία)In der späteren Bedeutung »Pracht«, also zur Bezeichnung des Schmuckes. Vgl. S. 245, Z. 8 v. u. – D. hinauf, bei Andern in tiefen Furchen hinunter. Nie aber fährt's wie einer gemalten Eva längelang hinunter, der Gestalt den Rücken zu rauben, und selbst bei einer Aphrodite aus Muschel oder BadeUeber den Ausdruck eine Venus aus dem Bade vgl. Heyne's »Sammlung antiquarischer Aufsätze« (1778), S. 145. Derselbe gedenkt S. 127 der Venus auf einer Muschel, die von zwei Tritonen in die Höhe gehalten wird. – D. fällt's, obwol naß und klettenweise, doch wohlgeordnet und nicht waldicht hinab; denn dem Gefühl müssen die Haare nie Wald, sondern sanfte, nachgebende Masse werden, die sich endlich selbst verliert. Der Malerei sind sie Farbe, Schatte, Schatirung; die kann sie schon freier ordnen.

Es ist bekannt, mit welcher Feinheit die griechischen Künstler die AugenbranenVgl. Herder's Werke, X. S. 11. – D. ihrer Statuen angedeutet haben; angedeutet, in einem feinen, scharfen Faden, und nicht in abgetrennten Haaren oder Haarklümpchen gebildet. Winckelmann hält diese Andeutung für Augenbranen der Grazien,Geschichte der Kunst, V. 5. 24. – D. und ich halte sie auch dafür – in der Kunst nämlich. In der Natur ist der nackte, scharfe Faden ganz etwas Anders, und auch griechische Natur war und ist's nicht, wie kein Reisebeschreiber berichtet oder gesagt hat. Gnug, in der Kunst sind sie Augenbranen der Grazien dem sanften stillen Gefühl. Was sollten da die Büsche (stupori) oder die sich sträubenden Bogen? Wer hat nicht gesehen, wie bei abgenommenen ersten Gipsabdrücken eines Gesichts jedes einzelne Haar so widrig und unsanft thut als jede Pockengrube oder jede fatale Unebenheit und Lostrennung vom Antlitz. Die einzelnen Härchen schauen uns durch; es ist wie eine Scharte im Messer nur etwas, was die Form hindert und nicht zu ihr gehört. Der griechische Künstler deutete also nur an, er setzte fürs Gefühl die Grenze zwischen Stirn und Auge wie eine sanfte Schneide hin und ließ dem Sinn, der darüber gleitet, das Uebrige ahnen.

Einige Statuen haben Augapfel. Wo es erträglich sein soll, muß er nur angedeutet sein, und die meisten und besten haben keinen. Es war schlimmer Geschmack der letzten Jahrhunderte, da man, statt schön zu machen, reich machte und Glas oder Silber hineinsetzte. Ebenso war's Jugend der Kunst, die noch aus hölzernen Denkmalen hervorging, da man die Statuen färbte. In den schönsten Zeiten brauchten sie weder Röcke noch Farben, weder Augapfel noch Silber, die Kunst stand wie Venus nackt da, und das war ihr Schmuck und Reichthum.

Daß für die Malerei dies Alles anders sei, sieht Jeder. Die ist fürs Auge und spricht fürs Auge; denn Farbe ist nur der getheilte Lichtstrahl, die Augensprache. In ihr kann das Haar schweben und duften und wie Seide spielen und schlingen und sich umwinden. Die Werke der Malerei sind nicht blind, sie schauen und sprechen: das allgegenwärtige Licht kann einen hellen Punkt zum Auge, das in die Seele geht, beleben; es ist ja Farben-, Zauber- und Lichttafel.

 

3.

Wie weit kann die Bildnerei Häßlichkeiten bilden und die Malerei Häßlichkeiten malen?
 

Antwort. So weit jeder Kunst es ihr Sinn erlaubt, das Gesicht dem Gemälde, dem Bilde das Gefühl. Beide aber stehn mit nichten auf einem Grunde.
 

Jener Maler, der einen verwesenden Leichnam so hinzauberte, daß, nicht wie in Poussin's Gemälde, der Zuschauer auf der Tafel, sondern jeder leibhafte Zuschauer selbst sich die Nase zuhalten mußte, wenn anders das Märchen wahr ist, war gewiß ein ekler Maler. Der Bildner aber, der einen Leichnam, die abscheuliche Speise der Würmer, unserm Gefühl also grausend vorbildete, daß dies in uns überginge, uns zerrisse und mit Eiter und Abscheu salbte – ich weiß für den Henker unsers Vergnügens keinen Namen. Dort kann ich mein Auge wegwenden und mich an andern Gegenständen erholen; hier soll ich mich blind und langsam durchtasten, daß alle mein Fleisch und Gebein sich zernagt fühlt und der Tod durch meine Nerven schauert!

Aristoteles entschuldigt häßliche Vorstellungen in der Kunst durch »die Neigung unsrer Seele, sich Ideen zu erwecken und an der Nachahmung zu vergnügen«;Bei Aristoteles findet sich dies nicht. – D. wo Beides geschehen kann, und wo das Vergnügen dieser Ideenerwerbung das Gefühl der Häßlichkeit übergeht, mag die Entschuldigung gelten. Nun aber wissen wir Alle, das Gefühl ist zu dieser betrachtenden Contemplation und Ideenweckung der dunkelste, langsamste, trägste Sinn; da er doch im Erfinden der schönen Form der erste und Richter sein muß. Er, Ideen und Nachahmung vergessend, fühlt nur, was er fühlt; dies regt seine innere Sympathie dunkel, aber um so tiefer. Eine zerstörte, häßliche, mißgebildete Gestalt, der zerfleischte Itys,Nach der Sage von Tereus und Prokne. – D. ein Hippolytus auf Euripides' Bühne, Medea in allen Verzerrungen ihrer Wuth, Philoktet in den ärgsten Zuckungen seiner Krankheit, gar ein Sterbender im Todeskampf, ein Verwesender im Kampf mit den Würmern – grausende Objecte für die langsame fühlende Hand, die statt Ideen Abscheu und statt Nachahmung dessen, was ist, schreckliche Zerrüttung dessen, was nicht mehr ist, wahrnimmt. Grausame Kunst! gebildete Mißbildung! Wenn der heilige Bartholomäus da halb geschunden, mit hangender Haut und zerfleischtem Körper vor mich tritt und mir zuruft: Non me Praxiteles, sed Marcus finxit Agrate!Wunderliche Aufschrift der Bildsäule des h. Bartholomäus mit abgeschundener Haut von Marco Agrate im Dom zu Mailand, die ein vollständiges anatomisches Modell ist. – D. und ich soll seine schrecklich natürliche Unnatur durchtasten, durchfühlen: grausamer Gegenstand, schweig und weiche! Kein Praxiteles bildete Dich; denn er würde Dich nie haben bilden wollen. Dich, wie Du bist, aus dem Steine hervorzufühlen, hervorzuschinden, welcher Grieche würde das vermocht haben?

Nun sieht Jedweder, daß, was von der Bildhauerei gilt, nicht sofort von Malerei und von allen schönen Künsten, selbst wenn's nur Gemmen und Münzen wären, statthabe. Einige neue ekle Herren haben über diese so unterschiedenen Dinge aus einem Topfe das Loos geschüttet und zu Häßlichkeiten gezählt, was weder Gott noch MenschenNach Horaz (A. P. 373) »non di, non homines«. – D. dafür erkennen, was ihnen in ihrer Vornehmheit nur diesmal so dünkte. Löwe und Tiger, Schlange und Eidechse, Nilpferd und Krokodil, sind sie deswegen häßlich, weil sie schrecklich sind, weil sie uns Grausen oder Furcht erregen? Der Löwe, welch ein schönes Thier ist er, auch in der Kunst des Bildners! Die Schlange, wie sanft windet sie sich den Stab Aesculap's hinauf, und die Schildkröte, ist sie ein unwürdiges Fußgestell für Gott oder Göttin, da ja selbst der Panzer der Minerva Furcht und Schrecken, Schlangen und Medusen darstellt? Niemand wird's in den Sinn kommen, solche Geschöpfe für das Hauptwerk der Kunst zu halten; der Mensch thront auf ihrem Altar, ihm ist die Bildsäule heilig: aber nun, als Beigeräth, als Nebenwerk, als Fußschemel, welcher Thor darf da verbieten und untersagen, weil das Geschöpf Gottes ihm häßlich dünkt und er sich für der Spinne fürchtet? Wie manches edle Pferd hat mehr die Statue verdient als sein Reiter! auch hat Pindar ihm oft und ja unser Herr Gott selbst ihm die prächtigste Ehrensäule gestellt.Hiob 39, 19-25. – H. Allerdings hat jedes Thier, von je schönerer, unabgebrochenerer Form es ist, je mehr es sich schlingt und windet, je näher es endlich Göttern und Menschen kommt und zu ihren Füßen dient, auch so mehr Anrecht auf Bildung von menschlichen Händen; aber das versteht sich von selbst, und ein treuer Hund, ein schönes Pferd wird ohne Zweifel lieber und mehr gebildet werden als ein gepanzertes Nilpferd oder der Knochenberg vom Elephanten. Ihrer Natur nach und an ihrer Stelle ist aber die Eidechse so unhäßlich als Leda's Schwan oder der Delphin, der sich um den Fuß der Meeresgöttin schmiegt.

Auch hier unterschieden die Begriffe der Alten feiner und wahrer. Ein Centaur, ein Minotaur, warum sollte er nicht gebildet werden? Siehe, wie schöne Ueberschriften die griechische Anthologie auf beide liefert, wie mächtig schön ihr der Mensch aus dem Pferde hervorgeht und der Mensch sich mit dem Pferde bäumt!Anthol. 1. IV. c. 7. – H. [Nach Reiske. Anth. Gr., IV. 115. 116. 126. – D. Silenen, Faunen, Satyrs – wir ekeln Neuern nennen sie häßliche Mißgeburten, weil sie keine Apollos sind; die Alten nicht also. Ihnen war hier das Schwänzchen, dort der Bockfuß, hier das Hörnchen nicht ekel, wenn das Bild nur da stand, wohin es gehörte; uns Neuern soll Alles Altarblatt im Tempel der heiligen Theoria werden. Selbst das Kalydonische Schwein war gut und verdiente eine Inschrift,Vgl. Anthol., XV. 51. – D. wenn es war, was es sein sollte.

Wo die Alten Häßlichkeit vermieden, war, wo sie vermieden werden muß, in menschlichen, zumal göttlichen Körpern. Da haben LessingLaokoon, S. 9 ff. – H. und WinckelmannGeschichte der Kunst, S. 142 f. [V. 3, 11]. – H. es gnug erwiesen, wie sie auch in Affect, im Leiden, im Mißtone so viel möglich die Mißform vermieden. Sie wählten den besten Augenblick, stimmten das Höchste zum Sanften hinunter oder mischten ein Fremdes als Linderung in die Züge. So Medea, Niobe, Laokoon. Philoktet hinkte, aber noch ein Held, der auch also gesehen zu werden verdiente. Alexander's schiefen Hals wandte Lysippus, daß er nach dem Himmel sah und sich als Herren der Welt fühlte. Die Nachahmung εἰς τὸ χεῖρον war bei Strafe verboten. Der Sieger mußte dreimal gesiegt haben, wenn ihm die ikonische Statue erlaubt war; eine veredelte war ihm erlaubt beim ersten Siege.Plin. N. H., XXXIV. 9. – D. Mich dünkt, dies waren die besten Wege und die besten Schranken, Häßlichkeit der Formen zu vermeiden; eine Häßlichkeit, die leicht vermieden werden kann, weil sie hervorzubringen, hervorzufühlen Mühe kostet, die aber auch, wenn sie da ist, ewig bleibt, sich als Natur, als dargestellte Wahrheit unvermerkt eindrückt und Geschlechter hinab Unheil anrichtet. Was Häßlichkeit in Formen für Wirkung thue, und wie sie selbst lesend uns Nervenbau und Gehirn zerreiße, versuche man an der Beschreibung des angenehmsten Reisebeschreibers von Sicilien,Brydone. – H. in der er den Zauberpalast des wahnsinnigsten menschlicher DämoneDes Prinzen Pallagonia zu Palermo. Vgl. Goethe's Brief aus Palermo vom 9. April 1787. – D. mittheilt.

Es wäre hart, ein Gesetz, das sich offenbar nur und zuerst auf Form, ganze leibhafte Form bezieht, sofort auf jeden Anschein, Schatten und Farbenwinkel einer andern Kunst auszubreiten, die nichts von Form weiß. Malerei ist eine Zaubertafel, so groß als die Welt und die Geschichte, in der gewiß nicht jede Figur eine Bildsäule sein kann oder sein soll. Auch ich liebe das Schöne mehr als das Häßliche und mag Verzerrungen so wenig auf Tafel als in Gestalt täglich vor den Augen haben; indessen sehe ich doch ein, daß eine zu große Zärtlichkeit, ein zu vornehmer Abscheu uns endlich die Welt so enge macht als unser Zimmer und die neuesten, tiefsten Quellen der Wahrheit, der Rege, der Kraft zuletzt zur elenden Pfütze austrocknet. Im Gemälde ist keine einzelne Person Alles; sind sie nun alle gleich schön, so ist keine mehr schön. Es wird ein mattes Einerlei langschenklichter, geradnäsiger sogenannter griechischen Figuren, die alle da stehn und paradiren, an der Handlung so wenig Antheil nehmen als möglich und uns in wenigen Tagen und Stunden so leer sind, daß man in Jahren keine Larven der Art sehen mag. Ich gebe es gern zu, daß es besser sei, wenn Gott die Hauptperson oder Hauptpersonen des Gemäldes schön, als wenn er sie häßlich gemacht hat; aber nun auch jede Nebenperson? jeden Engel, der im Winkel oder hinter der Thür steckt? Und nun, wenn diese Lüge von Schönheit sogleich der ganzen Vorstellung, der Geschichte, dem Charakter, der Handlung Hohn spricht und diese jene offenbar als Lüge zeiht! Da wird ein Mißton, ein Unleidliches vom Ganzen im Gemälde, das zwar der Antikennarr nicht gewahr wird, aber der Freund der Antike um so weher fühlt. Und endlich wird uns ja ganz unsre Zeit, die fruchtbarsten Süjets der Geschichte, die lebendigsten Charaktere, alles Gefühl von einzelner Wahrheit und Bestimmtheit hinwegantikisirt. Die Nachwelt wird an solchen Schöngeistereien von Werk und Theorie stehen und staunen und nicht wissen, wie uns war, zu welcher Zeit wir lebten, und was uns denn auf den erbärmlichen Wahn brachte, zu einer andern Zeit, unter einem andern Volk und Himmelsstrich leben zu wollen und dabei die ganze Tafel der Natur und Geschichte aufzugeben oder jämmerlich zu verderben. So viel vom großen Gesetz der häßlichen Schönheit in einer Kunst, die Phantasie des Augenscheins und eine Tafel der Welt ist.

 

4.

Wie weit sind die Formen der Sculptur oder die Gestalten der Malerei einförmig und ewig oder den Modebegriffen verschiedener Zeiten und Völker unterworfen und mit ihnen wandelnd?
 

Antwort. Die Formen der Sculptur sind so einförmig und ewig als die einfache reine Menschennatur; die Gestalten der Malerei, die eine Tafel der Zeit ist, wechseln ab mit Geschichte, Menschenart und Zeiten.
 

Wenn ein ganzes Land gespitzte Schnürleiber und kleine chinesische Füße für schön hielte, vor ihnen auf Ruhebetten und Sophas wie vor Altären des Reizes kniete: setzet die Füße als Bildsäule aufs Postement, und wenn Ihr wollt, die engen Schuhe und Stelzenabsätze drunter, und es darf kein Wort mehr über sie gesagt werden – sie sprechen selbst. Und die spitze Schnürbrust und der heraufgezwängte Busen und der thurmhohe Kopfputz und der breite Zeltenrock desgleichen. Im gemeinen Leben kann Einiges von diesen, und wenn Ihr wollt, Alles durch Nebenbegriffe, durch frühe und alte oder neue Gewohnheit gewinnen. Das kleine Gesicht kann unter dem hohen Kopfputz, der Busen über dem Trichter vom Leibe, der kleine Fuß unter dem breiten Zelt wohlthun, das ist, wie der große Montesquieu sagt, die Imagination aufwecken, daß sie herauf- oder herabschlüpfe, was doch von Allem sehr oft Zweck und Absicht allein ist. Nun stellt aber die ganze Figur mit Thurm, Zelt und umgekehrtem Kegel als Bildsäule dahin, und die Imagination schlüpft wahrlich nicht mehr. Es ist ein häßliches Unthier von Lüsternheit und gothischem Zwange, das den Leib verunstaltet und alle gute Formen vernichtet. Hat die Gestalt noch Rest von Gefühl, wie wird sie sich die grobe Taille oder den plumpen Silberfuß einer griechischen Ceres oder Thetis wünschen!Demeter erscheint in vollständig umhüllender Kleidung. Silberfüßig nennt Homer die Thetis, deutet aber damit nur auf die blendende Weiße ihrer Füße. – D.

Die Bildsäule steht also als Muster der Wohlform da, und auch in diesem Betracht ist Polyklet's Regel das bleibendste Gesetz eines menschlichen Gesetzgebers.Vgl. Herder's Werke, IX. S. 96. – D. So wie es einen Strich auf der Erde giebt, in dem die schöne, regelmäßige Bildung Natur ist, so gab Gott einem Volk dieses Erdstrichs Raum und Zeit und Muße, in ihrer Jugend und Lebensfreude das Werk, das aus seiner Hand kam, ganz und rein und schön sich zu ertasten und in dauernden Denkmalen für alle Zeiten und Völker zu bilden. Diese Denkmale sind die classischen Werke ihrer fühlenden Hand, wie ihre Schriften des feinfühlenden menschlichen Geistes; im stürmigen Meer der Zeiten stehn sie als Leuchtthürme da, und der Schiffer, der nach ihnen steuert, wird nie verschlagen. Es ist traurig und ewig unersetzlich, aber vielleicht gut, daß die Barbaren viel von ihnen zerstört haben. Die Menge könnte uns irre machen und unterdrücken, so wie in der Stadt, die noch jetzt die meisten besitzt, es vielleicht den wenigsten Geist giebt, der, ihrer werth, sie umfange und verneue. Auch sollen sie nur Freunde sein und nicht Gebieter, nicht unterjochen, sondern, was auch ihr Name sagt, Vorbild sein, uns die Wahrheit alter Zeiten leibhaft darstellen und uns in Uebereinstimmung und Abweichung auf die Lebensgestalten der unsern weisen.

Zu bewundern ist daher auch die große Einfachheit, mit der sie da stehn und selbst dem dunkelsten Sinne zeugen. Nichts ist ungewiß für ihn gelassen, nichts verworren oder verstümmelt. Keine widrigen Attribute, keine Binde z. B. um den Mund, da der tastende Sinn statt Mundes ein Maultuch findet, keine Hunds- und Hirschköpfe als Allegorien und Embleme, selbst die nothwendigsten Attribute so abgetrennt und abgesetzt als möglich. Hercules' Löwenhaut ist nicht um ihn, höchstens um seinen Arm geschlungen, oder er selbst statt Löwenfelles und Löwens. Die Göttin der Liebe ohne drückende Attribute; sie selbst ist Göttin der Liebe, in nackte Reize gekleidet. Den Laokoon haben die Drachen umschlungen, aber nicht, wie's Virgil beschreibt, daß er, um Hals und Brust und Bein dreimal umwunden,Virg. Aen., II. 218, wo aber nur zweimal steht. – D. dem Gefühl des Nichtsehenden mit ihnen zusammengewachsen, ein grauser Menschen- und Schlangenkörper erscheine. Er strebt nur mit Füßen und Händen, und auch von diesen ist sein linker Arm frei und faßt den Drachen. So er und seine Kinder: Vater und sie sind ein Geschlecht, die Drachen sind ihre Feinde, die sie jetzt nur alle zu Einem binden. Auch an kleinen Theilen des Körpers (meistens verstümmelt oder gar nicht zu uns gekommen) sind die Attribute abgesetzt, bestimmt und deutlich. Die Gestalt der Götter und Göttinnen war den alten Künstlern so bestimmt, daß keine Attribute nöthig waren, und außer ihnen war den Bildsäulen meistens nur die älteste Helden- und Fabelgeschichte, insonderheit nach Homer, heilig; das Uebrige mußte Sage und Zuschrift ausrichten. Kurz, sie gaben Umriß, Gestalt und Charakter so bestimmt und in so wenigen Zügen an, daß es nur wie ein Sternkreis von Göttern und Menschen sein sollte, den die schreitende Sonne jahrab jahrein durchwandert. Heil Euch, Ihr Edeln, die diese Ruhestätten und Herbergen an die Feste des Firmaments menschlicher Formen setzten: Eure Asche ruhe sanft und Eure Werke bleiben!

Es wäre übel, wenn es sich mit der Malerei so einförmig verhielte; denn hier ist nichts zu fassen und zu halten, sie ist die ganze Zauberwelt Gottes auf der Lichttafel. Nichts als das Licht macht ihre Einheit, aber große, unaussprechliche Wundereinheit, bei allem Zauber des Neuen und Mannichfalten. Die Bildsäule hat kein Licht; sie steht sich unaufhörlich selbst im Licht, sie ist für einen andern, umfassenden Sinn gearbeitet. Von einem Lichtpunkt der flachen Tafel ergießt sich ein Zaubermeer nach allen Seiten, das jeden Gegenstand wie in neuer, eigner Schöpfung bindet. Ich weiß nicht, wie manche Theoristen so verächtlich und zufällig von dem, was Haltung, Lichtdunkel heißt, haben sprechen können; es ist die Handhabe vom Genie eines jeden Schülers und Meisters, das Auge, mit dem er sah, das Strahlen- und Seelenmeer, mit dem er Alles begoß, und von dem ja auch jeder Umriß, jedes gepriesene Angesicht abhängt. Wer für dies geistige Lichtmeer der Gottheit durch eines Menschen Antlitz in Gemälden oder Zeichnungen keinen Sinn hat, der lasse sein Kind sich Farben klecken und schaue. Dies Eine, das Lichtorgan Gottes, die Zauberwelt der Haltung ist in der Malerei, obwol nach jedes neuen Meisters Sinne, bleibend; das Andre, sofern es nicht von der fixen Bildhauerkunst und also von Todten borgt, ist eine Zaubertafel auch in der Verwandlung, ein Meer von Wellen, Geschichten und Gestalten, wo eine die andre ablöst. So muß es auch sein, und nur der Geist des Künstlers und daß Organ des ewigen Schöpfers bleibe!

 

Dritter Abschnitt.

Es ist ein angenommener Satz unter den Theoristen der schönen Künste, daß nur die beiden feinern Sinne uns Ideen des Schönen gewähren, daß es also auch nur für sie, für Auge und Ohr, schöne Künste gebe. Der Satz ist demonstrirt, folglich muß er wahr sein, und da aus ihm so viel andre Sätze demonstrirt sind und das Kartenhäuschen der Theorie aller schönen Künste und Wissenschaft doch so wohlbestallt dasteht, »durch die Stäbe der Schreiber gemessen und geordnet«,Richt. 5, 14; 4. Mos. 21, 18. – H. so soll mein Stab ihnen mindestens nicht näher kommen, als der Bildsäule, die ich betrachte, Raum zu stehen noth ist.

Mich dünkt, Pater Castell's FarbenclavierVgl. darüber Goethe's »Geschichte der Farbenlehre«. – D. hat gnug gezeigt, was eine schöne Kunst von Farben fürs Gesicht sei, und was sie für Wirkung thue. Es sind viel falsche oder Halbgründe angeführt, warum diese Kunst nicht gelang; der wahre, mindestens der natürlichste ist der, daß das Gesicht ohne Beitrag wesentlicherer Sinne nur eine Licht- und Farbentafel, mithin das flachste, gedankenloseste Vergnügen gewähre. Ein Schaugeschöpf ohne Hände, ohne Gefühl von Formen, und was sich durch Formen äußert, kurz, ein Vogelkopf kann sich daran erbauen, Niemand anders. Auch in der Malerei müssen Formen der Dinge die Grundzüge, die Substanz der Kunst werden; nur wie sie das Licht zeigt, bindet und bestrahlt. Da nun Formen aus einem andern Sinn sind, so muß ja dieser Sinn auch empfängig sein der Begriffe des Schönen, weil ja selbst der hellste Sinn ohn' ihn nichts vermag. Das Auge ist nur Wegweiser, nur die Vernunft der Hand; die Hand allein giebt Formen, Begriffe dessen, was sie bedeuten, was in ihnen wohnt. Der blinde, selbst der blindgeborne Bildner wäre ein schlechter Maler, aber im Bilden giebt er dem sehenden nicht nach und müßte ihn, gleich gegen gleich gesetzt, wahrscheinlich gar übertreffen.

»Aber Hogarth's Linie der Schönheit?« Diese Linie der Schönheit mit Allem, was daraus gemacht ist, sagt nichts, wenn sie nicht in Formen und also dem Gefühl erscheint. Kritzelt auf die Fläche zehntausend Reiz- und Schönheitslinien hin, sind sie an keiner Form und also in keiner Bedeutung, so thun sie dem Auge um ein klein Wenig mehr wohl als jedes Kindergewirre. Und wenn sie auch nur an Schnürbrust oder Topf erschienen, so erscheinen sie doch an etwas: also einem andern Sinne, also ursprünglich nicht dem Auge. Ich begreife es wohl, daß man die aufschwebende Lichtflamme nicht tasten und das wallende Meer in jeder Welle nicht als Solidum umfassen kann; daraus folgt aber nicht, daß unsre Seele sie nicht umfasse, nicht taste. Kurz, so wie Fläche nur ein Abstract vom Körper und Linie das Abstract einer geendeten Fläche ist, so sind beide ohne Körper nicht möglich.

Es ist sonderbar, daß Hogarth, der die Reiz- und Schönheitslinie, wie man sagt, erfand, so wenig Reiz und Schönheit malte. Seine Formen sind meistens häßliche Caricatur, aber voll Charakter, Leidenschaft, Leben, Wahrheit, weil diese auf ihn drang, weil die sein Genius lebendig erfaßte. Er zeigte thätlich, was die gesunde Theorie noch mehr bestärkt, daß alle Umrisse und Linien der Malerei von Körper und lebendigem Leben abhangen, und daß, wenn diese Kunst nur Anschein dessen in einer Flächenfigur giebt, dies nur daher komme, weil sie nicht mehr geben kann. Ihr Sinn und ihr Medium, Gesicht und Licht, verbieten, mehr zu geben; sie kämpft aber, so viel sie kann, mit beiden, um die Figur vom Grunde zu reißen und der Phantasie Flug zu geben, daß sie nicht mehr sehe, sondern genieße, taste, fühle. Folglich sind alle Reiz- und Schönheitslinien nicht selbstständig, sondern an lebendigen Körpern; da sind sie her, da wollen sie hin.

Ich mache nur eine Anwendung. Was für ein Wagstück also, eine flache Linie hinzumalen und auf sie Dinge zu bauen, die eigentlich nur aus dem treusten Genuß und Gefühl und Innewerden des leibhaften Körpers entspringen können! Vorausgesetzt, daß diese Linie treu ist (und wie schwer es sei, einen Körper zur Fläche, ein ganzes Lebende in die Figur einer Linie zu bringen, weiß Jeder, der's versucht hat), gehört nun nicht noch immer der plastische Sinn dazu, die Linie wieder in Körper, die platte Figur in eine runde lebende Gestalt zu verwandeln? Und wie Wenige das können, mag Gott und die Physiognomik wissen! Es könnte über und gegen das, was Silhouette, sbozzo, bloßer Umriß, gleichsam ein gezeichnetes Nichts ist, nie so viel Albernes gesagt sein, wenn allen Sehern Sinn beiwohnte, dies Nichts erst in ein treues Etwas zu verwandeln, ihm gerade nie mehr zu geben oder minder darin zu vermuthen, als eben nur dieser Umriß, das umschränkte Nichts zeigt. Denn eben dazu sagt's so wenig, um, was es sagen soll, scharf, treu und ganz zu sagen. Und eben das ist das sicherste Kennzeichen, daß wir, was es sagt, verstehen, wenn wir's uns körperlich machen können, daß die Silhouette als Büste da steht, daß sie lebe. Da dies aber so schwer ist; da die Silhouetten so schrecklich untreu, nachlässig und unwissend gezeichnet werden; da nicht jedes Gesicht im Profil gleich redend ist, um eine gute Silhouette, d. i. gnug Glieder der Verhältniß zu geben, aus denen die ganze lebende Form erhelle; da eine bestochene, fliegende oder feindselige Phantasie im schwarzen oder weißen Fleck eines Schattenbildes ebenso viel Spielraum findet, Alles hineinzuschreiben, was ihr gefällt: so ist wol nächst Gott und dem Gelde im letzten Lustrum unsers Jahrhunderts nichts, womit so viel Mißbrauch, Abgötterei, Verleumdung, Betrug und Thorheit gespielt wird als mit den Schattenbildern menschlicher Köpfe. Der erste Versuch der Malerei, den ein liebendes Mädchen machte, und der ewig nur liebhabenden Augen und Händen überlassen sein sollte, die Silhouette, ist jetzt den sieben Söhnen Sceva's preisgegeben, die alle den Teufel haben und (wie sie sagen, Lavatern nach, das ist, ganz ohne seinen Blick, Geist und Herz) aus Silhouetten weissagen und richten.Apostelg. 19, 13-16. – H. Gebt mir ein auch nur leidlich treues, leibhaftes Kopf- und Brustbild, so todt es übrigens sei (denn es ist nur die Larve vom Todten), auch nur die merkbarsten Scherben davon, und meine langsame Einfalt mag Euch Eure glorificirten Ideale und Anubis-Gestalten, ausgemalten Silhouetten und silhouettischen Gemälde noch eine Zeit lang gern schenken.

Doch gnug geredet. Wir treten an eine Bildsäule, wie in ein heiliges Dunkel, als ob wir jetzt erst den simpelsten Begriff und Bedeutung der Form, und zwar der edelsten, schönsten, reichsten Form, eines menschlichen Körpers, uns ertasten müßten. Je einfacher wir dabei zu Werk gehen und, wie dort Hamlet sagt, alle Alltagscopien und das Gemal' und Gekritzel von Buchstaben und Zügen aus unserm Gehirn wegwischen,All trivial fond records,
All saws of books.
[Hamlet, I. 5]. – H.
desto mehr wird das stumme Bild zu uns sprechen und die heilige kraftvolle Form, die aus den Händen des größten Bildners kam und von seinem Hauch durchweht da stand, sich unter der Hand, unter dem Finger unsers innern Geistes beleben. Der Hauch Dessen, der schuf, wehe mich an, daß ich bei seinem Werk bleibe, treu fühle und treu schreibe!

 

Was im Haupt, unter dem Schädel eines Menschen wohne, welche Hand kann es fassen! welch ein Finger von Fleisch und Blut diesen Abgrund inwendig jährender oder stiller Kräfte ertappen an der äußern Rinde! Die Gottheit selbst hat diese heilige Höhe, den Olympus oder Libanon unsers Gewächses, als den Aufenthalt und die Werkstätte ihrer geheimsten Wirkung mit einem HaineDas Haar. – H. bedeckt, mit dem sie sonst auch alle ihre Geheimnisse deckte.Vgl. Herder's »Ideen«, III. 6; IV. 1. – D. Man schauert, wenn man sich das Rund umfaßt denkt, in dem eine Schöpfung wohnt, in dem ein Blitz, der da aus dem Chaos leuchtet, eine Welt schmücken und erleuchten oder eine Welt zerschmettern und verwüsten kann. Die nordischen Völker nannten den Himmel Ymer's Haupt und träumten ihn aus seinem Schädel entstanden; es ist wol auch Niemand, der, wenn die große und kleine Welt übereinstimmen und der kleine Mensch Begriff und Auszug der großen Schöpfung sein soll, die Aehnlichkeit dieses Gipfels, der Krone unsers Daseins, anderswo suchen werde als dort, wo das unermeßliche Blau über Dunst und Wolken ein Abgrund wird, den nur seine Hand umspannt und sein Geist durchregt. Mich dünkt, hier ist Alles Tiefe und Geheimniß, und ob es gleich scheint, daß bei anstrengender Arbeit wir die Kräfte der Sinne und Lebensgeister näher ihren Pforten und ihrer Tafel, dem Auge und der Stirn, die ewigern Kräfte hingegen näher dem Mittelpunkt und endlich den Hintertheil des Haupts als die Wand fühlten, die dem ganzen Spiel der Sinnen und Gedanken Rückhalt verlieh und Mauer schaffte. Obgleich Zufälle und Krankheiten Vieles hievon zu bestätigen scheinen, so ist doch offenbar dies innere Gewebe von zu verflochtner, feiner Art, als daß man mit HuarteExamen de ingenios para las sciencias, Cap. III. – H. ein Conclave von Cardinalkräften zimmern oder den innern Bau und Saft des Granatapfels nach seiner äußern Schale entwerfen könnte. Ahnen läßt sich allerdings Vieles, und bei einem mit dem Beil zugehauenen oder zum wässrigen Kürbiß hinaufgeschossenen oder zur leeren Dunstkugel geplatteten oder zu einem spitzigen Thersiteshöcker hinaufgeschrobnenIlias, II. 219. – H. oder endlich gar zur brennenden Vulcanushöhle cyklopisirten Kopfe ahnt man mit Schauer. Mich dünkt indessen, das umfassende Gefühl fliehe die Linien. Die kleinste Wendung, das mindeste Weiterhinfühlen kann uns, sehr entschiedne Fälle ausgenommen, den blos sonderbaren Menschen oft zum Gott oder den Engel zum Teufel machen. Welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist1. Kor. 2, 11. – D. Durch die kleine Höhle Ohr und durch das, was nur Anschein einer Pforte ist, Auge, kommen zwei Wunderwelten von Licht und Schall, von Wort und Bildern in unsern Himmel von Gedanken und Kräften, die das wartende Meer desselben wunderbar durchweben, es erheben, scheiden und theilen, daß die äußere Hülle dieses Schatzes, und wäre sie auch zart wie eine Seifenblase, nimmer statt eines sichern und ganzen Auslegers sein kann. Welcher Palast oder Kaste voll Geheimnisses hat aufgeschrieben, was in ihm wohne? und wo das Innere von der Natur ist, daß es nicht aufgeschrieben und von außen bemerkt werden konnte? Und was wäre dies eher als die Wohnung und Werkstatt der geheimsten göttlichen Kräfte? Das Gesicht ist Tafel und spricht, was es sprechen soll; was tiefer liegt, was die Gottheit selbst mit Nacht bedeckte   scrutari, scire nefas.Vgl. Hor. Carm., I. 11. 1; III. 29. 30. – D.

Wie bedeutend indeß selbst der Hain dieses Olymp's, das Haupthaar, ist, mögen uns die alten Künstler in der so verschiedenen Bearbeitung desselben an ihren Göttern und Helden zeigen. Ueber Phidias kam Jupiter's himmlischer Geist, als die ambrosische Locke desselben im Homer sank und Erd' und Himmel sich bewegten.Vgl. oben S. 231. – D. Wenn ein zornig schreitender Apollo, der von den Gipfeln des Olymp's kommt,

                                            χωόμενος κῆρ,
Τόξ' ὤμοισιν ἔχων ἀμφηρεφέα τε φαρέτρην·
Ἔκλαγζαν δ' ἄρ' ὀϊστοὶ επ' ὤμων χωομένοιο,
Αὐτοῦ κινηϑέντος,Ilias, I. 44-47. – D.

unmöglich das Haar Alcides', selbst wenn Dieser ebenso zornig mit seiner Keule schritte, und eine Diana niemals das Haar der Venus oder Rhea haben kann: so würde, wenn uns nicht durch elende Kunst und Mode hier alle Natur und Ansicht derselben genommen wäre, der tägliche Augenschein diesen reichen Text der alten Künstler erklären. So wie ich noch keinen harten Mann mit weichem Haar und kein wollenes Schaf mit Löwenmuthe gesehen habe, so wie beim jungen Hamlet nach dem, was sein Name sagt, seine knotted soul bis in die Haare steigt und da die combined looks bildet,Hamlet, I. 5: »Would harrow up thy soul, make-thy knotted and combined locks to part«. – D. die nachher

As the sleeping soldiers in th' alarm
His bedded hairs, like life in excrements
Start up and stand on end,
Nach Hamlet, III. 4. – D.

so ist auch ihr natürlicher Wuchs, das Fallen oder Scheiteln oder Wirbeln der Haare von sonderbarer Bedeutung. Als Mohammed ins Paradies kam, sahe er den Moses mit Haaren wie Feuerflamme, den milden Jesus, als ob Milch und Wasser des Lebens ihm auf die Schultern flösse. Der Vater aller Götter und Menschen mit krausem Kopfe wäre lächerlich, nicht ehrwürdig: da könnte die schwere treffliche Locke, die vom erhabnen Scheitel herabfällt, nicht mehr den Olymp erschüttern. Wiederum gebe man einem Simson, wenn er die Philisternägel ausreißt, weiches, fließendes Haar, und sie werden wol stecken bleiben. Ich weiß nicht, welcher Philosoph es bemerkt hat, daß die Menschen mit vielen Wirbeln auch krauser Gedanken sind, die sich nicht eher ordnen und zur Ruhe legen, bis das liebe Alter freilich auch ihr Haar wie ihren Sinn schlichtet. Das alte Sprichwort: »Kurzer Sinn und langes Haar«, ist bekannt und ist wahr, wie etwa ein Sprichwort wahr sein kann. Was wiederum ein ausfallendes, ein frühe bleichendes Haar für Eindruck bei Dem, der es hat und der es sieht, mache, mag die Erfahrung zeigen. Wenn der Mandelbaum frühe blüht und die Höhe sich scheut und kahl wird, so ist's wol Krone, aber eine nur durch Sorgen errungene Krone. Oft glüht die Hitze das Haar weg, und das Haupt steht wie ein Berg in den Wolken, der höchste und über die andern wegsehend, aber nackt und traurig. Man sehe Swift's fürchterlich glänzende Glatze! Wie angenehm und bedeutend ist an Kindern ihr Haupthaar! Wie bei Plato Sokrates mit Phädon's,Phäd., 38. – D. so spielt, dünkt mich, im Messias ein Engel mit Benoni's Locke.Ist nicht der Fall. – D. Bei Weibern ist das Haar eine Decke der Zucht, die Schlingen und die Seidenbande der Amors, in deren jedem nach jenem alten orientalischen Wahn Myriaden der Engel wachen und wohnen.

Das Haupt steht auf dem Halse, das ist, der Olympus auf einer Höhe, die Festigkeit und Freiheit oder Schwanensanftheit und Weiche zeigt, wo sie ist, was sie sein soll: ein elfenbeinerner Thurm, sagt das älteste und wahrste Lied der Liebe.Das Hohelied 7, 4. – D. Der Hals ist's, der eigentlich exserirt, nicht was der Mensch in seinem Haupt ist, sondern wie er sein Haupt und Leben trägt. Hier der freie, edle Stand oder das geduldige Vorstrecken, ein Opferlamm zu werden, oder die starke Hercules-Feste oder seine Mißgestalten, seine Krümmen und Verbergungen zwischen den Schultern, sein Bärenfett sammt dem Calecutischen Unterkinne und Wildenschweinsröcheln sind auch in Charakter, in That und Wahrheit unsäglich. Sowol was die Griechen den schönen Nacken, als was die Ungriechen Gurgel und AdamsapfelAuch Adamsbiß, Adamskröbs heißt der Knorpel der Luftröhre. – D. nennen, ist äußerst bedeutend.

Ich komme zum Antlitz des Menschen, zur Tafel Gottes und der Seele. Heilige Decke, verbirg mir den Glanz und zeige mir Menschheit!

Das Leuchten des Angesichts zeigt sich insonderheit auf der Stirn; da wohnt Licht, da wohnt Freude, da wohnt dunkler Kummer und Angst und Dummheit und Unwissenheit und Bosheit. Kurz, wenn wir Gesinnung des Menschen im reinsten Verstande (sofern sie weder blos Sinn noch schon Charakter ist) meinen, so ist, glaube ich, dieses die leuchtende eherne Tafel.

Ich bin zu einfältig, um philosophische und dichterische, politisch herrschende oder politisch dienende Stirnen zu sondern oder ins Cabinet zu reihen; aber das weiß ich nicht, wie je einem Anblickenden eine Stirn gleichgiltig sein kann. Hinter dieser spanischen Wand singen doch einmal alle Grazien oder hammern alle Cyklopen, und sie ist von der Natur offenbar selbst gebildet, daß sie das Angesicht solle leuchten lassen oder verdunkeln. Im obern Theile der Stirn zeigt sich unstreitig entweder jene Stiersdummheit, die von Natur ein Brett hat und nachher so oft eherne Mauer genannt wird; jene Buckeln und Knoten, wie auf Cuchullin's oder Achilles' Schilde, nur daß er, vielleicht zwar ein geerbter Väterschild, aber nicht mit der Figurenwelt Vulcanus' prangen möchte, oft ein biceps Parnassus, auf dem leicht zu schlummern ist, wenn man drauf ist;Mit Bezug auf Pers. Prol., 2. – D. oder jene flache Aufdachung, die auf dem Schindeldach gen Himmel steigt, und der es nie an System mangelt; oder endlich jene hohen Furchen Kronion's oder Kronus', die sorgenvoll uns oft zu Wolken heben, ohne zu wissen, was wir da thun und treiben sollen; oder endlich jene ὕλη, jenes repertorium universale, das sich meistentheils selbst nicht findet. Ich liebe mir die jugendliche griechische Stirn, die den Himmel niederdrückt und ihn nicht ins Unermeßliche wölbt. So wie der lieben Kindheit der Schleier der Haare über die Stirn fällt, daß dahinter der Same des Lebens in Zucht und Friede und seliger Dumpfheit wachse, so gehörte ein Bernini dazu, die perfrictam frontemMartial. XI. 27. – D. wieder hervorzubringen und auch den Statuen den Scheitel wegzureißen, der ja uns freilich minder als die seligen Götter kleidet. Seit es den Klugen der Welt oft selbst an Licht fehlt, haben sie den brettdurchbohrenden Blick nöthig, es von der Stirn Andrer zu lesen, die vielleicht gerade für sie kein Licht haben, und so hat sich rechts und links die aufgestriegelte glatte Mode tief hinunter verbreitet. Wer in einer Illumination nicht viel Licht hat, thut am Besten, wenn er sein Stümpchen vors Fenster stellt oder etwa gar sein Kaminfeuer dahin trägt: so geht's oft mit dem Licht unsrer Stirnen. Sie glänzen, daß man sich daran weder freuen noch wärmen kann und oft das Licht der Johanniswürmer lieber hätte.

Wo sich die Stirn heruntersenkt, scheint Sinn in den Willen überzugehen. Als Juno den Hercules im Olymp sahe, mußte sie, dünkt mich, zuerst von dem Knoten seiner Stirn versöhnt werden, den sie ihm durch alle Sorgen und Gefahren und Kümmernisse ihres weiblichen Verhängnisses da aufgeballt hatte. Hier ist's, wo sich die Seele zusammenzieht zum Widerstande: das sind die cornua addita pauperi,Hor. Carm., III. 21. 18. – D. mit denen er entweder in seliger Dumpfheit blind geht und trifft oder, wie jener indianische Götze, das versunkne Gesetz aus dem Schlamme des Abgrunds hinaufholt. Wenn's auch nur Winckelmann's Traum wäre, daß der schöne Torso des Hercules sich da auf seine Keule senke und in die erheiterte Stirn den Traum des mühseligen Erdenlebens rufe, gewiß, so ist's ein schöner Traum, und ich habe noch keinen Ochsen am Pfluge oder einen Hercules am Ruder des Staats gesehen, dem diese Stützen seiner Ruhe und diese Waffen seines Streits gemangelt hätten. Oft sind sie schon an Säuglingen da und prägen ihr Schicksal, von dem dann freilich das aufgeschlagne Buch, die flache, lichte, runde, hell umgrenzte Stirn, kein Wort weiß.

Unter der Stirn steht ihre schöne Grenze, die Augenbrane: ein Regenbogen des Friedens, wenn sie sanft ist, und der aufgespannte Bogen der Zwietracht, wenn sie dem Himmel über sich Zorn und Wolken sendet. In beidem Falle also Verkündigerin der Gesinnung und Bote des Himmels zur Erde. Was vom Haar allgemein gesagt wurde, gilt von diesem Faden der Haare, sie mögen Furie oder Grazie sein, auszeichnend. Hier wohnen gewiß Engel in jedem friedlichen, sanften Härchen, oder Flammen steigen auf ihnen empor. Was an ihnen die Halbkugeln, die Igelborsten, die Wirbel, die Grecque-Figuren für Eindruck machen, kann wol keine Feder schreiben. Und wie schwimmt gegentheils Auge und Hand so sanft die linde, friedliche Augenbrane hinunter! sie gleitet hinab wie der Kahn des Lebens in schöner Morgen- oder Abendröthe. Ich weiß nicht, was für ein Wink dem Verständigen angenehmer, anziehender sein könne als hier ein scharfer, fester und doch sanfter Winkel zwischen Stirn und Auge. Er giebt dem Profil einen unaussprechlich interessanten Zug und ist der Hügel, auf dem sich Genien und Grazien sonnen, um sich in die Quelle des schattenumkränzten lieblichen Auges zu tauchen.

Das griechische Profil ist so berühmt, daß ich mich scheue, davon zu reden. Jeder Connaisseur weiß, daß es der gerade Schnitt von Stirn zu Nase sei, der, weil er griechisch ist, wol sehr schön sein müsse. Wenn er ihn nachher an lebenden Personen sieht und da nicht so schön findet, so schreibt er etwa, wie jener Schneider in den Kalender, es sich in seinen VolkmannJ. J. Volkmann, »Historisch kritische Nachrichten von Italien, aus Reisebeschreibungen und eigenen Anmerkungen«, Leipzig 1777. 3 Theile. – D. oder RichardsonJonathan Richardson, »Description de quelques statues, bas-reliefs, dessins et tableaux observés en Italie«, 1722. – D. an: »Schön, aber nur an griechischen Statuen, weil sie Stein sind«; und damit hat seine Kennerschaft ein Ende. Nothwendig muß in der lebenden Natur eine Ursache der Schönheit liegen, oder sie ist auch nicht in der todten: und wer verkennte sie dort? Wer fühlt nicht, daß eine Nase, mit ihrer Wurzel tief unter die Stirn gebogen, gleichsam einen dürftigen Anfang habe, und daß der Lebensodem, der zur Seele kommen soll, sich da wie durch Höhle und Abtritt winde? Wer fühlt nicht gegentheils die unzerstückte Form, und daß sofort unter der Stirn das ganze übrige Gesicht Erhabenheit, Runde, großen Blick und festere Cälatur erhalte, wenn dieser Bug der Nase kein Grabensprung ist? Endlich und ohn' alle diese Künstelei, wer hat noch nie das Thronmäßige einer Junonischen Nase oder das unendlich Freie, Vorsichsehende, Hinduftende einer Nase des Apollo gemerkt? Wie vielleicht nur ein Himmelsstrich ist, der dies Profil in Menge bildet, und der Wälschen Vorwurf nicht so ganz ohne Grund sein mag, daß jenseit der Alpen die Schönheit der Form erliege, ob ich's gleich, wenn die Sache selbst wahr wäre, mehr auf Stammcharakter des Volks als auf Einwirkung des Landes und Klima gäbe, so halte ich doch dafür, daß es bei dem Künstler nicht ohne Veredlung dieses Zuges abging, wie viel Anlage derselbe im Volk um sich her hatte. Die Nase giebt dem ganzen Gesicht Haltung, sie ist die Linie der Festigkeit und gleichsam das Scheidegebirge an Thälern zu beiden Seiten; die Kunst mußte also bald gewahr werden, daß mit ihr für das Ganze Alles gewonnen oder verloren sei. Und da erhub sich denn das Profil, das noch jetzt, nach jener Sprache des Hohenliedes, wie ein Lustbau steht, der von der Höhe Libanus' nach den schönen Gegenden Damascus' schaut.Das Hohelied 7, 4. – D. Nicht der mindeste Theil dieses unedeln Gliedes, das wir kaum zu nennen wagen, ist unbedeutend. Die Wurzel der Nase, ihr Rücken, ihre Spitze, ihr Knorpel, die Oeffnungen, dadurch sie Leben athmet, wie bedeutend für Geist und Charakter! Nur ist auch hier das Hinschreiben einzelner Züge zu sehr dem Mißbrauch und Mißverstande unterworfen; deute sich selbst, wer will und kann!

Die Augen betrachte ich hier nur tastbar als Gläser der Seele und Brunnen des Lichts und Lebens. Sie liegen zwischen Büschen eingefaßt und geschlossen, und eben das blinde Gefühl entdeckt's schon, daß ihre schön geschliffene Form nebst Schnitt und Größe nicht gleichgiltig sei. Ebenso merkwürdig ist's, wie sich unten der Augknoche starr bäume oder sanft verliere, und ob die Schläfen eingefallene Grabhöhlen oder zarte Ruhestätten sind, auf denen der Finger des Bluts und Lebens schlage. Ueberhaupt ist die Gegend, wie Augenbrane, Nase und Auge sich verhält, die Gegend des Winks der Seele in unserm Gesicht, d. i. des Willens und praktischen Lebens.

Den edeln, tiefen, verborgenen Sinn des Gehörs hat die Natur seitwärts gesetzt und halb verborgen; der Mensch sollte nicht mit dem Antlitz für Andre, sondern mit dem Ohre für sich hören. Auch blieb dieser Sinn, so wohlförmig er da steht, ungeziert: Zartheit, Ausarbeitung und Tiefe ist seine Zierde; weh ihm, dem große Lappen des Elephanten zu beiden Seiten herabhangen oder weise MidasbrabeumenBrabeuma im Sinne von Kampfpreis, wofür sonst βραβεῖον steht. – D. zu beiden Seiten gethürmt sind! der muß wohl hören und urtheilen; denn seine Ohren sind groß. Uebrigens überlasse ich's den Naturkundigen, ob dieser Sinn durchs Anpressen und Nichtüben nicht so verloren habe wie das Gesicht durchs Stubenblinzeln und Brillenbrauchen. Ist dies, so kann, was schädlich ist, niemals schön sein.

Endlich komme ich zum Untertheil des Gesichts, den die Natur beim männlichen Geschlecht abermal mit einer Wolke umgab, und mich dünkt, nicht ohn' Ursach. Hier sind die Züge zur Nothdurft oder (welches mit jenem eigentlich eins ist) die Buchstaben der Sinnlichkeit im Gesicht, die bei dem Manne bedeckt sein sollten. Jedermann weiß, wie viel die Oberlippe über Geschmack, Neigung, Lust- und Liebesart eines Menschen entscheide, wie diese der Stolz und Zorn krümme, die Feinheit spitze, die Gutmüthigkeit runde, die schlaffe Ueppigkeit welke; wie an ihr mit unbeschreiblichem Zuge Liebe und Verlangen, Kuß und Sehnen hange und die Unterlippe sie nur schließe und trage: ein Rosenkissen, auf dem die Krone der Herrschaft ruht. Wenn man etwas articulirt nennen kann, so ist's die Oberlippe eines Menschen, wo und wie sie den Mund schließt; und wenn dieser von Ambrosia der Liebe und von Nektar der Suade duftet, so ist jene gewiß das Zünglein der Wage, die ihm die Götterfpeife zuwägt.

Außerordentlich bedeutend ist's bei einem Menschen, wie bei ihm die Zähne fallen, und wie sich seine Backe schließt; ob er ewig knirsche und grinse oder bei jeder Oeffnung den rictum leonis, das χάσμ' ὀδόντων mache, das eine unausstehlich freundliche Zerrung ist, oder Alles schlaff hange und statt einer vollen, Lieb' und Ueberredung duftenden Rose ein Mundlappe da sei. Ein reiner, zarter Mund ist vielleicht die schönste Empfehlung des gemeinen Lebens; denn wie die Pforte, so, glaubt man, sei auch der Gast, der heraustritt, das Wort des Herzens und der Seele. Der Ausdruck: an Jemandes Munde hangen; die zwo Purpurfäden des Hohenliedes,4, 3. – D. die süßen Duft athmen; das Sprichwort vom verschlossnen und offnen Munde, ist, dünkt mich, lauter physisches Leben. Hier ist der Kelch der Wahrheit, der Becher der Liebe und zartesten Freundschaft.

Die Unterlippe fängt schon an, das Kinn zu bilden, und der Kinnknochen, der von beiden Seiten herabkommt, beschließt es. Es zeigt viel, wenn ich figürlich reden darf, von der Wurzel der Sinnlichkeit im Menschen, ob sie fest oder lose, rund oder schwammig sei, und mit welchen Füßen er gleichsam im Erdreich stehe. Da das Kinn die ganze Ellipse des Angesichts ründet, so ist's, wenn es, wie bei den Griechen, nicht spitz, nicht gehöhlt, sondern ununterbrochen, ganz und leicht herabfließt, der ächte Schlußstein des Gebäudes, und die Mißbildung an ihm ist fürchterlich anzuschauen. Wenn's hier vorgebogen steht, als ob die Natur den Kopf an dieser Handhabe gebildet und nachher zornig weggeworfen habe; wenn es hier nichts ist und sich verkriecht, – doch gnug und schon zu viel über diese Theile gesprochen, die, da sie tiefe Sinnlichkeit reden, auch so wenig deutlicher Sprache fähig sind. Die Natur umhüllte sie beim Manne, und auch unsre Beschreibung soll sie weiter umhüllt lassen.

Wir sollten statt dessen beim Manne vom Bart reden, von dem wir jetzt aber nichts mehr reden können, als etwa wie oft und sehr er das Messer stumpf macht. Die Juden in ihrem alten Buche Sohar haben viel Geheimnisse von ihm, von seinen Straßen, Wegen und Winkeln, hinter denen, wo es nicht mißdeuteter Buchstabe der Schrift ist, manches Physische stecken mag, das wir jetzt nicht verstehen. Mode und Lebensart wollen's, daß wir, wie die Weiber, am Kinn ewig Jünglinge und Kinder, nur mit einem Stoppelfelde männlicher Jahre und auf dem Haupt ewig gepuderte Greise oder kahle Grindköpfe mit einer Haarmütze sein sollen. Als wenn uns die Natur nicht so etwas hätte geben oder nehmen können, wenn sie's gewollt hätte!

Bei den übrigen Theilen des menschlichen Körpers kann ich kürzer sein; denn das Gesicht war schon ihr Auszug. Wie auf der Stirn Gesinnung herrschte, so birgt die Brust die edlern Eingeweide und ist ihrer Zeuge. Ein Mensch von freier Brust wird in aller Welt für frei und edel gehalten; man traut ihm etwas zu, er kann doch athmen. Das pectus hirsutum, der eherne Panzer um die Seele ist allen Nationen und Sprachen Sprichwort; dagegen die eingebogne, zusammengeklemmte, keuchende, schon von Natur sich verbergende Thersites-Brust auch ein natürliches Omen ist von eingeschlossenem, zusammengekrümmtem, kriechendem Muthe. Oft hat der dennoch edle Mann Vieles durch Grundsätze überwunden: Gott hat ihm, wie der Koran sagt, Raum in der Brust gemacht und Luft verschafft vor seinen Drängern; noch öfter aber wird Muth simulirt, und politische Klugheit soll ersetzen, was uns an ihm unersetzlich fehlt. Da bekannt ist, daß nichts hiezu so sehr beiträgt als das liebe Sitzleben, das arbeitende Kriechen auf der Brust und nicht einmal auf dem Bauche, so haben's auch alle Barbaren, d. i. alle Nationen, die noch in freier Natur lebten, erkannt, was dies Leben auf Körper und Geist wirke. Es verdumpft die Stimme und stumpft das Auge, noch mehr aber Sinn und Seele. Zagend schwebt das Herz in seiner engen, verdrückten Höhle, glaubt jeden Augenblick zertreten zu werden und kriecht nach Speise und Verleumdung. Welcher Freund, der sein Haupt an diese Brust lehnen und sagen könnte: »Du bist mein Fels!« welcher hilflose Unterdrückte, der sich an ihr aufrichten könnte und sagen: »Hier wohnt Zuflucht!« Desto weiser aber sind wir im Haupt und geschäftig mit Mund und Fingern.

Dem Weibe gab die Natur nicht Brust, sondern Busen, schlang also, da hier Quellen der Nothdurft und Liebe für den zarten Säugling sein sollten, den Gürtel des Liebreizes um sie und machte, wie's ihre mütterliche Art ist, aus Nothdurft Wollust. Des Mannes Brust ist einförmiger, stärker, edler, vollkommen; der Busen des Weibes ward zarter, völliger, gewaschen mit Milch der Unschuld und gekrönt mit der Rose der Liebe. So lange diese ein Knöspchen blüht und der unreife Hügel zur Ernte wächst, schlang die Grazie der Jungfrauschaft ihren Gürtel um dieselbe, in der nach der Beschreibung jenes DichtersIlias, XIV. 216. – D. Liebe und Verlangen wohnen. Wenn der Trank der Unschuld bereitet ist und der Unmündige an den Quellen der ersten Mutter- und Kindesfreude hangt und seine kleine Hand sich an sie schmiegt und tappt und gnug hat und Mutter und Kind sich eins fühlen am Baume des süßen Lebens: welcher Unmensch, der hier nicht fühle und ein verlornes Paradies der Unschuld ahne!

Wenn schon Winckelmann es beklagte, daß er nicht für Griechen schreibe und also Vieles müsse verschweigen, so habe ich diese Vorsichtigkeit leider noch mehr nöthig, kann also auch nur mit wenigen Zügen reden. Wie die Brust die edlern Theile barg und ausdrückte, so ist von den ältesten Zeiten und Philosophen an der Bauch als Sitz der Begierden betrachtet worden. Darauf bezieht sich jene edle Beschreibung Winckelmann's von dem, was Bauch des Bacchus heiße:V. 1. 23. – D. die jugendliche Nüchternheit und Mäßigkeit und sanfte, wie aus einem schönen Traum erwachte Fülle, deren Gegentheil eine Form und ein Zustand ist, der selbst in der Beschreibung widert. Es war dort Fluch der Ausschweifung und Folge des Wassers der Bitterkeiten, daß der Bauch schwelle und die Lenden schwinden:4. Mos. 5, 21–27. – H. fürs untreue, wollüstige Weib gewiß die größte Strafe! Es ist Beschreibung des ältesten Liedes der Unschuld und Liebe,Hohelied 7, 2. – H. daß der Bauch sei ein schwebender Weizenhügel, der Nabel ein runder Becher, dem's nimmer an Getränk mangelt, der nimmer verlechzt und nimmer übersprudelt von Freude; ja, die weise Mäßigkeit und Furcht Gottes sollte, wie abermals das älteste SittenbuchSprichw. 3, 8. – H. sagt, selbst dem Nabel gesund sein und erquicken die Gebeine. Wir höhnen jetzt über diese Beschreibungen der Einfalt, so wahr sie sind. Wir machen uns Schürze von Feigenblättern wie jene Ersten, und meistens auch aus derselben Ursach. Ich schweige also und spreche nur noch ein Wort von Rücken, Hand und Fuß.

Wie an allen, so haben die Griechen auch an diesen Theilen das Schönste gekannt und gebildet. Wenn der schöne Nacken bei Bacchus herabfleußt und Venus aus dem Bade mit ihrem gebognen Rücken der Taube herauftritt und der schöne Torso da sitzt und sinnt – doch wie kann ich beschreiben? und was hilft beschreiben, wenn man nicht selbst sieht und das schöne Gebirge hinabgleitet? Und wie über der Hüfte sich der Rücken in Weiche verliert! Prometheus und Pygmalion, konnten sie anders als umschlingend das schöne Gebilde, das zarte Verfließen auf jeglicher Stelle gebildet haben? Und die Hüften, nach der Sprache jenes alten Buches der Unschuld zwo Spangen von Meisterhand,7, 1. – D. und die Schenkel Apollo's als MarmorsäulenDaselbst 5, 15. – D. und das Knie ohne todgelöste Knöchel, als wäre es aus weichem Thon geblasen, und die Wade des Fußes weder hangend und angeklebt noch dürftig; ein strebender Muskel voll Jugendtritt und Stärke. Der Fuß endlich, belebt bis zum kleinsten Gliede, nicht losgetrennt vom Ganzen und etwa als der Schuh eines Gewürmes angezogen, sondern eins mit Allem, das Ganze auf ihn hinabfließend und er das Ganze tragend. Und wie die Schenkel zu Marmorsäulen, so wand Mutter Natur die Arme zu zarten Cylindern und umschlang sie mit dem ersten Brautkranz der Liebe, und schonte die Spitze des Bogens und ließ am Weibe die Hand sanft hinabfließen in kleine Cylinder und bepolsterte sie von innen in jedem sammetnen Mäuschen und in jedem Blumenbusche der Fühlbarkeit, der auf Gefühl wartet, mit dem ersten Druck der Liebe, und machte jedes Glied wächsern und beweglich und regsam, den Finger fast zu einem Sonnenstrahl und die milchgewaschne Höhe der Hand zum ungetheilten und gliedervollen Hügel voll Rege, voll umfassenden Lebens. Und wie der Arm des Mannes strebt! Muskeln seine Siegeskränze und Nerven seine Bande der Liebe. Mächtig und frei gehn sie von den Schultern hervor, die Werkzeuge der Kunst und Waffen der Tugend. Sie sind da, die Brust zu schützen, Geliebte, Freund und Vaterland zu umschlingen, ans Herz zu drücken und zu vertheidigen. Und die Hand ein Gebilde voll feinen Gefühls und tausendförmiger organischer Uebung. Und wie edel der ganze Bau da steht: Angesicht, Stirn und Brust zeigend und mit seinen Schenkeln schreitend! Schauerlich groß sind wir gebildet,Psalm 139, 14. – H. kunstreich unser Gebein gezählt und gefügt und unsre Nerven geflochten und unsre Adern als Lebensströme geleitet. Aus Leim gemacht, und wie zarte Milch gemolken und wie Käse sanft geronnen und mit Haut bekleidet und mit Odem Gottes beseelt.Hiob 10, 9–11. – H. Gebildet (πεπλασμένοι) um und an, und unser Gebilde (πλάσμα) Form von regenden Lebenskräften des obersten Bildners:Hiob 33, 4–6. – H. kurz, die Wahrheit des ältesten Orakels über unsern Ursprung:1. Mos. 2, 7. – H.

Ἔπλασεν ὁ Θεὸς τὸν ἄνϑρωπον, χοῦν λαβὼν ἀπὸ τῆς γῆς, καὶ ἐνεφύσησεν εἰς τὸ πρόσωπον αὐτοῦ πνοὴν ζωῆς, καὶ ἐγένετο ὁ ἄνϑρωπος εἰς ψυχὴν ζῶσαν.

 

Vierter Abschnitt.

 

Die Absicht des Vorigen ist wol weder Lobrede der Schönheit noch Beschreibung der Antike, am Wenigsten Physiognomik gewesen, da ich weder Künstler noch Antiquar noch Physiognom bin und allgemeine unbestimmte Ausdrücke zu keinem von dreien etwas beitragen. Der simple Satz war meine Absicht: »daß jede Form der Erhabenheit und Schönheit am menschlichen Körper eigentlich nur Form der Gesundheit, des Lebens, der Kraft, des Wohlseins in jedem Gliede dieses kunstvollen Geschöpfes, sowie hingegen Alles Häßliche nur Krüppel, Druck des Geistes, unvollkommene Form zu ihrem Endzweck sei und bleibe«. Die Wohlgestalt des Menschen ist also kein Abstractum aus den Wolken, keine Composition gelehrter Regeln oder willkürlicher Einverständnisse; sie kann von Jedem erfaßt und gefühlt werden, der, was Form des Lebens, Ausdruck der Kraft im Gefäße der Menschheit ist, in sich oder im Andern fühlt. Nur die Bedeutung innerer Vollkommenheit ist Schönheit.

Um Wiederholungen zu vermeiden, lasset uns die vorhergezeigte Menschengestalt in Handlung setzen, und wir werden gewahr, jedes Glied spreche, und je mehr es seinem Zweck entspricht, um so vollkommener und schöner sei es. Bildet einen Philosophen und gebt ihm eine Stirn, die nicht denkt, einen Hercules und senkt ihm keine Kraft zwischen die Augenbranen, noch in den Hals, noch in die Brust, noch in den ganzen Körper; eine Venus, und mit abscheulichem Profil, hangenden Brüsten und hangendem Munde; einen Bacchus der Alten, wie er auf unsern Weinfässern sitzt: jedes gemeine Auge wird hier in Handlung fühlen, was ein feiner Sinn in den Gestalten an sich, auch ohne Handlung gefühlt hätte, nämlich daß sie ihrem Zweck nicht entsprechen, daß eine Göttin der Liebe ohne Reiz, eine Diana ohne keusche Schnelle, ein Apollo ohne Jugendmuth und Stolz, ein Jupiter ohne Hoheit und Ehrfurcht abscheuliche Geschöpfe seien. Was nun in einzelnen Charakteren und Handlungen zutrifft, muß gesammelt auch allgemein wahr sein; denn alles Allgemeine ist nur im Besondern, und nur aus allem Besondern wird das Allgemeine. Schönheit ist also nur immer Durchschein, Form, sinnlicher Ausdruck der Vollkommenheit zum Zwecke, wallendes Leben, menschliche Gesundheit. Je mehr ein Glied bedeutet, was es bedeuten soll, desto schöner ist's, und nur innere Sympathie, d. i. Gefühl und Versetzung unsers ganzen menschlichen Ichs in die durchtastete Gestalt, ist Lehrerin und Handhabe der Schönheit.

Wir finden daher, daß jedesmal, wo eine Form, ein Glied vorzüglich bedeuten soll, da trete es natürlich den andern etwas vor; es beut sich gleichsam selbst und zuerst und vorzüglich der tastenden Hand dar. Lasset eine Figur denkend, sinnend da stehn: sogleich senkt sich das Haupt, das ist, die untern Theile des Gesichts ziehen sich wie in den Schatten zurück, und die Stirn wird Haupttheil. Auch ohne Finger an der Nase sagt die Gestalt: »Ich denke.« Lasset einen Imperator vor sich sehen, daß sein Blick befehle: sofort wird dieser Blick das laute Wort des Gesichts, das Auge wird Haupttheil. Daher sind auch an der Juno die Augen so schön und groß gebildet; denn es ist der königliche Wink ihres Daseins.

Ast ego regina Deum –.Nach Virg. Aen., I. 46: Ast ego, quae divum incedo regina. – D.

Lasset einen Apollo Zorn fühlen und schreiten: sofort treten die Theile seines Körpers hervor, die edles Selbstgefühl und Gang zu seinem Zwecke andeuten: die Nase weht lebenden Othem und macht Raum vor sich her; die Brust, ein schöner Panzer, wölbt sich edel; die muthigen, längern Schenkel schreiten; die andern Glieder ziehn sich gleichsam bescheiden zurück; denn sie sind nicht in der Handlung. Eine Gestalt soll verlangen, bitten, wünschen, flehen mit ihrem Munde: unvermerkt beugt dieser sich sanft vor, daß auf ihm Hauch, Gebet, Verlangen, Wunsch, Kuß schwebe. Selbst bis zum Ohre, wenn es horcht, erstreckt sich diese feine Bewegung und Andeutung. Die Form des handelnden Gliedes spricht immer: »Ich bin da, ich wirke.« Und ist dies im feinen, zarten Gesicht, um so mehr ist's im ganzen Körper. Wie kann die Hand befehlen, ohne daß sie sich erhebe und ihr Amt andeute? wie kann die Brust sich darbieten und schützen, ohne daß sie unvermerkt vortrete und spreche: »Ich bin gewölbt«? Ein schöner Bauch bläht sich nicht, aber natürlich sinkt Bacchus in eine ihm vortheilhafte Stellung; er lehnt sich sanft an mit dem Arme, daß seine schöne Weiblichkeit in Rücken und Brust, in Bauch und Hüften in ihrer bedeutenden Sprache rede. Und dies Alles sind keine Kunstregeln, keine studirte Uebereinkommnisse, es ist die natürliche Sprache der Seele durch unsern ganzen Körper, die Grundbuchstaben und das Alphabet alle dessen, was Stellung, Handlung, Charakter ist, und wodurch diese nur möglich werden.

 

Also weiter. Hat die Natur unsre Menschheit nicht zum todten Meer, zum Stillstande einer ewigen Unthätigkeit und gefühllosen Götterruhe, sondern zu einem bewegten, ewig sich regenden Strome voll Kraft und Lebensgeistes machen wollen, so sehen wir, auch von außen konnte ihr Werk keine plastische Larve und Maske einer schönen ewigen Unthätigkeit sein, sondern Lebenswind mußte die Formen beleben. Sofort wird die Schönheit Kraft, Bedeutung in jedem Gliede. Statt des Abstracts in Wolken, das kein Auge gesehn und kein Ohr gehört hat,1. Korinther 2, 9. – D. wird sie auch bei Göttern und Göttinnen Concret, d. i. Charakter dieses Gottes und keines andern. Jede schöne Form an ihm wird von dem Lebensgeiste bestimmt, der sein Schiff anweht und treibt, mithin wird jedes Glied im höchsten Maße individuell bedeutend. Und nur sofern es also bedeutet, und der Dämon, der Charakter, der eine göttliche Lebensgeist ganz und allein in diesem Bilde erscheint, sofern ist's der schöne Apollo, die glorreiche Juno undHier ist wol »die liebreizende« oder ein ähnliches Beiwort ausgefallen. – D. Aphrodite. Man darf hier abermals weder in Buchstaben noch in Wolken studiren, sondern nur sein und fühlen: Mensch sein, blind empfinden, wie die Seele in jedem Charakter, in jeder Stellung und Leidenschaft in uns wirke, und dann tasten. Es ist die laute Natursprache, allen Völkern, ja selbst Blinden und Tauben hörbar.

Nireus, der schönste aller Griechen vor Troja, thut in der ganzen Iliade nichts und kommt nicht als im Verzeichniß der Schiffe zum Vorschein;Ilias, II. 671–675. Auch andere Helden kommen nur im Verzeichnisse der Schiffe vor. – D. Alle, die darin handeln, stehn als einzelne Charaktere mit fest bestimmten, nicht zerfließenden, unwandelbaren Zügen da und sind, die sie sind. So der göttliche Agamemnon, »an Haupt und Blick dem Jupiter gleich, dem Mars im Gurte, an Brust dem Neptun; er stand wie ein Stier da, erhaben unter seiner Heerde«;Ilias, II. 477-481. – D. aber nur im ruhigsten, prächtigsten Theil der Iliade, vor dem ersten Anfalle stand er so, nachher hat Homer nicht Zeit, seine Schöne zu schildern: Agamemnon handelt. Priamus kann vom Thurm ihn schauen und bewundern, Helena preisen: Homer preist nicht mehr. Vom schönen Achilles, um den sich das ganze Gedicht windet, hören wir kein Lob der Schönheit, wir sollen ihn nur in seinem Zorne sehen, auf die lieblichste Weise mit Freundschaft, Liebe, Vertraulichkeit und Saitenspiel vermählt. Der göttliche Ulysses »mit seiner breitern Brust und Schultern« als Agamemnon, »der als ein dickwolliger Widder zwischen den Reihen der gelagerten Heerde auf und ab geht«; Menelaus, der, »wenn er stand, mit breiten Schultern dem Ulysses vorragte, aber wenn Beide saßen, schien Ulysses der Ansehnlichere«, in solchen zwei Zügen, vom müssigen Thurm gezeichnet,Ilias, III. 194. 197. 198. 210. 211. – D. stehen sie leibhaft da und zeigen nachher nur die bestimmte Form ihrer Glieder in bestimmter, einzelner Handlung. So Homer; und daß nicht blos der epische Dichter also schildert, weil ihn die Handlung fortreißt, sondern die Griechen sich nie Schönheit als in bestimmter Form dachten, mag uns selbst Anakreon's Bathyllus lehren.Anacreont., 29. – D. Ein Liedchen der Wollust, denkt man, kann doch wol am Ersten ein gesammelter Duft, ein schwebendes Gewebe, eine Blumenlese sein von mancherlei Traumzügen: es ist's und ist's nicht. Es saugt von vielen Blumen den Honig, aber zu einer sehr bestimmten Gestalt; der Jüngling verwandelt sich plötzlich in einen Apollo oder vielmehr Apollo in den Jüngling, und die Statue steht da.

Ohne Zweifel hat dies außerordentlich Bestimmte, treu Erfaßte in der Form jeder Stellung, jeder Leidenschaft, jedes Charakters den Griechen zu der Höhe der Kunst geholfen, die seit der Zeit nicht mehr auf der Erde erschienen ist. Sie sahen als Blinde und tasteten sehend, durch keine Brille des Systems oder Ideals, das etwa ein schwebend Spinnengewebe der Herbstluft zur Seelenform eines menschlichen Körpers hätte phantasiren wollen. Kein Glied von einem ihrer Götter kann einen andern Gott, keine Stellung ihrer Handlung einen andern Charakter bedeuten, als da steht. Ein Geist hat sich über die Statue ergossen, hielt die Hand des Künstlers, daß auch das Werk hielt und eins ward. Wer (um sogleich ein Schwerstes anzuführen), wer je am berühmten HermaphroditenIn der Villa Borghese, von dem Herder einen Abguß in Mannheim sah. – D. stand und nicht fühlte, wie in jeder Schwingung und Biegung des Körpers, in Allem, wo er berührt und nicht berührt, Bacchischer Traum und Hermaphroditismus herrscht, wie er auf einer Folter süßer Gedanken und Wollust schwebt, die ihm wie ein gelindes Feuer durch seinen ganzen Körper dringt: wer dies nicht fühlte und in sich gleichsam unwillkürlich den Nach- oder Mitklang desselben Saitenspiels wahrnahm, dem können meine nicht und keine Worte es erklären. Eben das ist das so ungemein Sichere und Feste bei einer Bildsäule, daß, weil sie Mensch und ganz durchlebter Körper ist, sie als That zu uns spricht, uns festhält und, durchdringend unser Wesen, das ganze Saitenspiel menschlicher Mitempfindung weckt.

Ich weiß nicht, ob ich ein Wort wagen und es Statik oder Dynamik nennen soll, was da, von menschlicher Seele in den Kunstkörper gegossen, jeder Biegung, Senkung, Weiche, Härte wie auf einer Wage zugewogen, in jeder lebt und beinahe die Gewalt hat, unsre Seele in die nämliche sympathetische Stellung zu versetzen. Jedes Beugen und Heben der Brust und des Knies, und wie der Körper ruht, und wie in ihm die Seele sich darstellt, geht stumm und unbegreiflich in uns hinüber: wir werden mit der Natur gleichsam verkörpert oder diese mit uns beseelt. Und daher fühlen wir auch jede neue Ergänzung doppelt widrig, die, so schön sie auch sein mag, wenn sie nicht vom Ganzen des einen lebendigen Geistes beseelt wird, uns mit Recht als ein fremdes Flickwerk vorkommt. Nichts muß blos ersehen und als Fläche behandelt, sondern vom zarten Finger des innern Sinnes und harmonischen Mitgefühls durchtastet sein, als ob es aus den Händen des Schöpfers käme.

Nichts preisen daher die Zuschriften der griechischen Anthologie an den Statuen so sehr als diese ganze Haltung, dies durch und zu uns Leben, das aus ihnen geht. Ich weiß nicht, ob es eine Zeichnung oder Schilderei ersetze, die nur Schatten auf der Fläche giebt und vom lebendigen Körper doch auch nur entspringen mußte; aber das weiß ich, daß, je mehr wir alle Dinge als Schatten, als Gemälde und vorüberstreichende Gruppen ansehen, wir dieser körperlichen Wahrheit immer um so ferner bleiben. Auch hier komme uns geistig das Gefühl und die dunkle Nacht zu Hilfe, die mit ihrem Schwamme alle Farben der Dinge auslöscht und uns an das Haben und Halten einer Sache heftet. Die Griechen wußten wenig, aber das Wenige ganz und gut; sie erfaßten's und konnten's geben, daß es zu ewigen Zeiten lebe. So wie das Profil ihres Angesichts gebildet und nicht gemalt ist, so sind's auch ihre Werke.

Wie weit wir da hinter ihnen stehen, mag eine zukünftige Zeit richten. Was ist seltner in unsern Tagen, als einen menschlichen Charakter zu erfassen, wie er ist, ihn treu und ganz zu halten und fortzuführen? Da muß uns immer die liebe Vernunft und Moral wie das Licht und die Farbe zu Hilfe kommen, weil er auf seinen Füßen nicht stehen will und sich von Seite zu Seite wie ein Gespenst verändert. Das macht, wir sehen so viel, daß wir gar nichts sehen, und wissen so viel, daß gar nichts mehr unser, d. i. etwas ist, was wir nicht gelernt haben konnten, was mit Tugenden und Fehlern aus unserm Ich entsprang. Heilige Nacht, Mutter der Götter und Menschen, komme über uns, uns zu erquicken und zu sammeln! Non multa, sed multum. Mit welchem tiefen Verstande und stillen Durchgefühle arbeiteten Raphael und Domenichino an ihren ewigen Werken! Nicht Gemälde, Dädalus' Bildsäulen sind sie und wandeln und leben.

Das will's also nicht thun, daß wir unsern Kindern etwa von Jugend auf Wachs und Thon in die Hand geben, obgleich auch damit schon etwas gethan wäre, und vielleicht Niemand zeichnen sollte, der nicht als Kind lange gebildet und gespielt hätte. Alle ersten Zeichnungen der Kinder sind Gebilde auch auf dem Papier: Nachäffungen des ganzen lebendigen Dinges, ohne Licht und Schatten, den sie vielmehr im Anfange gar nicht begreifen noch einsehen können, warum er da sei und ihr schönes Bild verderbe. Er ist ihnen also in der Natur nicht; ihr Auge sieht, wie ihre Hand fühlt. Die Natur geht noch immer mit jedem einzelnen Menschen, wie sie mit dem ganzen Geschlecht ging, vom Fühlen zum Sehen, von der Plastik zur Pictur. Das wäre etwas, aber nicht Alles; denn was soll nun gebildet werden? Bäume, Pflanzen, Skorpionen, unsre Complimente, unsre Kleider? Die Natur ist von uns gegangen und hat sich verborgen, Kunst und Stände und Mechanismus und Flickwerk sind da; die sind aber, dünkt mich, weder in Thon noch in Wachs zu bilden.

Gehe man jetzt auf unsre Märkte, in unsre Kirchen und Gerichtsstätten, Besuchzimmer und Häuser und wolle bilden. Bilden? was? Stühle oder Menschen? Reifröcke oder Handschuh? Federwische auf Köpfen oder Cerimonien? Bilden? und wie? durch welchen Sinn? durchs Auge oder durch den Geruch? da ja kein Auge das Auge des Freundes, geschweige Wange die Wange, Mund den Mund, Hand die Hand kennt. In den Ritterzeiten verpanzerte man sich, um auf einander zu stechen; wozu thut man's jetzt?

Griechische Spiele, griechische Tänze, griechische Feste, griechische Offenheit, Jugend und Freude, wo sind sie? wo können sie sein? Und wenn auch sogleich ein Serenissimus regens, etwa der Stifter eines neuen Griechenlandes (sowie die fünfte Loge oben Paradies heißt), durch Edicte schwarz auf weiß und gar bei Trommelschlag sie allergnädigst anbeföhle. Stellet griechische Statue hin, daß jeder Hund an sie pißt, und Ihr könnt dem Sclaven, der sie täglich vorbeigeht, dem Esel, der seine Bürde schleppt, kein Gefühl geben, zu merken, daß sie da sei und er ihr gleich werde. So habt Ihr also doch einen Zaunpfahl hingesetzt, an den er sich lehne und etwa seinen geschundenen Rücken reibe! An einem berühmten Orte DeutschlandsBerlin. – D. ist der Paradeplatz mit Statuen umgeben, griechische Helden mit neuem spitzen Knie und der Trommel; ich weiß nicht, warum die Gamaschen und die Grenadiermütze und das präsentirte Gewehr und der Commißrock fehlen? Sonst halte ich's für trefflich, jeder Schildwache Statuen vorzusetzen; das Geschöpf hat Zeit, an ihnen Apollo und Jupiter zu werden.

O des erstickenden, eklen Dampfs, den manche neue Griechenländer ihren kargen Besoldern ums Taglohn darbringen! Als ob's nicht mit Händen zu fassen wäre, daß in Niemand der Geist des Andern übergehen kann, der mit ihm nichts Gemeinschaftliches hat, so wenig als Leben in den Stein und Blut in die Pflanze. Jeder Jüngling, der vorm griechischen Heroen stand, hatte in den schönen Zeiten Griechenlands Weg und Hoffnung, seine Statue zu erhalten. Götter und Helden waren alle aus ihrem Geschlecht, ihre Vorfahren, ihresgleichen. Ein Spiel, ein Kampf konnte den Jüngling neben ihn stellen, und der Künstler arbeitete sodann für seine Stadt, für sein Volk, für den ganzen Griechennamen. So sang Pindar und setzte seinen Gesang über Statuenlob und ‑Schöne.Eine Stelle dieser Art findet sich bei Pindar nicht. Schwebte vielleicht der Anfang von Nem. V vor? – D. So sahen, so hörten die Griechen den Künstler und den Dichter; und wie sehen, wie hören wir? Es ist wundersam, wie selten uns nur ein Mensch erscheint, und wie noch seltner Mensch einen Menschen umfaßt und ihn so lieb gewinnt, daß er ihn mit sich trage und ihn der Ewigkeit gebe. In einem berühmten Garten sind die Nationalproducte, Allongeperücken, ich glaube mit Panzern, in Töpferthon gebildet – ohne Zweifel das wahrste Gebilde des Landes.

Doch wozu weiter die unnützen Klagen, die doch auch kein Griechenland schaffen werden? Lieber zur lieben Schönheitslinie zurück, die ja ganz unter unsern fühlbaren Formen zu verschwinden schien. Mit nichten verschwand sie, hier eben finden wir sie wahr und körperlich wieder. Mathematik ist die wahrste Wissenschaft, nur durch Physik wird sie lebendig, so wie Zahl nur in Dingen, die gezählt werden, da ist. Und wenn es allerdings einen mathematischen Grund geben muß, warum die Schönheitslinie schön ist, wie doppelt angenehm wird es sein, den abstracten Grund in jeder concretesten Form bestätigt zu sehen!

 

Die gerade Linie nämlich ist die Linie der Festigkeit; das sagt uns Sinn und Auge. Ein Theil ruht auf dem andern, hängt am andern, unterstützt und wird unterstützt: sowol senk- als wagerecht hat die Natur daher, wo sie Festigkeit nöthig hatte, diese Linie gewählt. So wächst der Baum im Stamme und ruht verjüngt auf sich selbst: das Vorbild der Festigkeit und der schönen Säule. So liegt, wo Base nöthig war, Stein, Erde und selbst das Meer in Gleiche. So ist auch beim menschlichen Körper, wo Basis nöthig war, Fußsohle, wo erhabne Festigkeit sein sollte, gerader Stand an Fuß, Schenkel, Hals, Arm und Händen. Nichts steht übler als ein gebeugter Baum oder eine krumme Säule; auch die Hand des Blinden will sie aufrichten; denn sie ist gefallen und kann zerschmettern. So ist auch ein krummer Hals, krummer Rücken und krumme Beine gerade das, was in der menschlichen Gestalt den Eindruck des festen Standes und der einfachen Erhabenheit am Meisten mindert. Der Haupttheil unsers Gesichts, der vortritt und die ganze Form desselben bildet, ist eine gerade Linie, die Nase und die Schiefheit derselben macht einen lächerlichen Eindruck. Man kann zu einem Gesicht mit schiefer Nase fast nicht reden.

Die Linie der Vollkommenheit ist der Kreis, wo Alles aus einem Mittelpunkt strahlt und in ihn zurückfällt, wo kein Punkt dem andern gleich ist und doch Alles zu einem Kreise wallt. Wo es anging, hat die Natur die Linie der Richtigkeit mit dem Kreise der Vollkommenheit umwunden. So verjüngte sie Pflanzen und Bäume; so strahlt die vollkommene Sonne, und es wölbt sich der umfassende Himmel, und der Tropfe ründet sich wie die Erde u. s. w. So hat sie auch am Körper die Linie der Festigkeit mit Rundheit umkleidet: Arm und Beine, Finger und Hals zusammt dem Himmel, den er trägt, sind geründet; jeder Bruch, jede Ecke und Winkel dieser Theile sind unerträglich.

Da aber die Gefäße hienieden der Vollkommenheit nicht fähig sind und die Linie der richtigen Nothdurft sie immer überwältigend zu sich zieht, siehe, so ward, wie im Weltgebäude durch den Streit zweier Kräfte die Ellipse ward, in der sich die Planeten, so hier die Linie der Schönheit, in der sich die Formen der Körper winden. Sie entstand, wie bei Plato die Liebe von Bedürfniß und Ueberfluß,Vgl. Herder's Werke, I. S. 148 ff. – D. aus der geraden Linie und Rundheit. Der Zirkel war für uns zu voll, nicht zu umschauen, nicht zu umfassen; die gerade Linie zu dürftig, um den vielseitigen Organismus zu geben, zu dem unser Körper da sein sollte. Sie schwebt also und neigt sich, damit dies oder jenes überwiege. In der festen Brust, im festen Rücken wenig Krümme, nur Wölbung; dieser ist Mauer und Stütze, jene Panzer. Der Unterleib, beim Weibe der Busen, die Glieder der Schwachheit, wurden mit Weiche und dem Anschein der Vollkommenheit bekleidet. Nur aber ist's Anschein; denn ein Kugelbauch wie ein Kugelkopf und Kugelwade sind überfüllte Auswüchse, in ihnen selbst der Keim der Zerstörung.

Woher dies Letzte? Ich wiederhole, weil das menschliche Gefäß keiner Vollkommenheit und also auch keines Zeichens derselben fähig ist; denn Vollkommenheit ist Ruhe, sie aber sollen wirken, streben. Die Kugelbäuche und Kugelköpfe mögen viel Behaglichkeit, Satte und Allgnugsamkeit in sich haben, zum Fortschwunge im Ganzen sind sie um so minder; sie tragen über und vor sich ihren eignen Atlas. Wie das Licht emporwallt in der Flamme und das Meer aus seiner Ruhe in Wellen läuft und die Sonne selbst im Thierkreise den Erdkreis schlingend umwindet, so wird beim menschlichen Geschöpf nur durch Bewegung Reiz, und in Linien, Formen und Thaten ist Reiz nichts als Schöne in Bewegung. Sie entfernt sich von der Linie der Nothdurft, die ihr doch Basis bleiben muß, und wallt zur Vollkommenheit hin, ohne sich in sie zu versenken. Zwischen diesen beiden Aeußersten schwebt das Menschengeschlecht und seine beiden Geschlechte: der Mann auch in seinem Stande der Linie der festen Richtigkeit näher, das Weib mit schwebender Schönheit, die Reiz ist, bekleidet.

Ist also kein Reiz ohne Bewegung, so zeigt diese, die Morgenröthe zur Handlung, abermals und selbst dem dunkel tastenden Sinne, woher nur die anbrechende oder gemäßigte Leidenschaft und Handlung Reiz verleihe. In diesem Schweben nämlich allein ist sie zwischen den beiden Aeußersten, Nacht und Sonne, zwischen Steife und übergießender Fülle. Man berühre jedes Glied in seinem höchsten Tone, wie kurz ist's zu ertragen! Die emporgezogne Stirn und das grinsende Lieblächeln, das die Augen schließt und den Mund verzerrt, ein sich zum Kropf senkendes Kinn und die sich zur Tonne brüstende Brust und der überstreckte spitze Arm und der zu scharf angestrengte oder verworfene Fuß: man taste alle diese Glieder, und man wird, mechanisch wie geistig, das Abweichen von aller schönen Form und Handlung fühlen. Ein schreiender Mund ist der fühlenden Hand eine Höhle, das Lachen der Wange eine Runzel. Die ewigen Gesetze der menschlichen Schönheit sind also metaphysisch und physisch, moralisch und plastisch völlig dieselben. Ein Mensch im Morgen des Jahrs wie des Lebens, im Frühlinge der Bewegung wie der Handlung ist immer ein analoges Geschöpf, die schöne Mitte zweier Extreme. Der Schwan, der sich um die Leda schlingt, und Leda, wie sie ihm zuwallt, Danae, wie sie den Regen erwartet, nicht wie Beide von beiden die Frucht zeigen, bilden Linien des Reizes. Für ihr theuerstes Bedürfniß sparte die Natur also ihre reichsten Schätze auf, und, wie jener heilige Schriftsteller sagt,Korinth. 12, 23. – D. die Glieder der Unehre schmückt man am Meisten.

Ich habe noch ein Wort über das, was Stand oder Fall des Körpers ist, zu sagen. Allen steht der Kopf auf Schultern, aber nicht Allen steht er darauf gleich. Bei Allen ist im Mittelpunkt der Schwerpunkt, aber gewiß fällt bei Allen das Gliedergebäu nicht gleich auf denselben. Wir stehn Alle auf den Füßen; großer Unterschied aber, wie der Körper auf sie fällt, auf ihnen ruht, wie sich der Fußtritt drückt. Dieser ganze Stand und Fall des Körpers ist ungemein bedeutend. Er zeigt ganz natürlich die Glieder, die hervortreten oder sich verbergen, die wie von Natur und unwillkürlich gleichsam zuerst sprechen, oder die da schweigen, als wären sie gar nicht. Hiernach bestimmt sich der Gang des Menschen, der für Physiognomisten und Antiphysiognomisten so charakteristisch ist; hiernach, wie ein Mensch auftritt und sich zeigt oder sitzt und ruht. An Göttern und Faunen, Helden und Satyren bewiesen auch hierin die alten Künstler unendlich feine Charakterkenntniß, wie weitläuftig gezeigt werden könnte. Ueberhaupt ist nichts untrüglicher, als was vom ganzen Körper spricht, wenn es sogar dem Gefühl redet. An einzelnen Theilen kann man sich irren, aber die Stimme des Allgemeinen ist auch hier Gottes Stimme. Sie wappnet uns gegen Traum und Deutelei, insonderheit gegen das parteiische Hangen an einer Form, an einem Zuge, das uns so weit wegbringen kann von Wahrheit. Das bescheidene Gefühl tastet langsam, aber unparteiisch; es findet vielleicht wenig, aber was da ist; es urtheilt nicht, bis es ganz erfaßt hat.

Es ist wunderbar, welchen Blick hierin wie in Allem die beiden Geschlechter gegen einander haben, wie tief der Mann das Weib und das Weib den Mann kennt. Jedes kann seinem Geschlechte Unrecht thun und thut ihm oft, nicht eben aus Neid, Unrecht; aber sein Urtheil über das andre ist, wo es nicht Leidenschaft verblendet, sondern Leidenschaft wappnet, wunderbar strenge. Die Liebe holt das wahre Ideal, den Engel, Haß den Teufel aus uns hervor, der in uns liegt, und den wir oft selbst nicht zu sehen oder zu finden vermögen. Die Ursache ist klar. Zum allgemein menschlichen Gefühle kam noch ein Geschlechtsgefühl hinzu, das wir ja auch bei den erhabensten Urtheilen über das, was Mensch ist, nicht ganz verleugnen. Der Mann muß immer, er mag dichten oder regieren, Menschen oder Statuen schaffen, als Mann, das Weib immer als Weib fühlen.

Endlich kann ich nicht umhin, noch mit einem Laute die Symmetrie zu preisen, die sich, auch selbst dem dunkelsten Sinne schon, am menschlichen Körper leicht und herrlich offenbart. Die Natur wählte immer das leichteste Verhältniß, Eins und Zwei setzte sie über und gegen einander und immer die Glieder zusammen und in vertrauliche Nähe, die gemeinschaftlich sprechen sollten. Das edle eine Haupt steht auf dem freien, festen Halse zwischen zwei Schultern, als den Balken des gliedervollen Gebäudes, das es beherrscht und übersieht; es hat die schöne Ovallinie zur Form und trägt das Angesicht vor sich. Wie das Haupt auf den Schultern, so ruht im Angesichte die Stirn auf den beiden Bogen der Augenbrane, wie ein Gedankenhimmel, allein und oben. Zwischen den Augenbranen tritt Seele und Stirn auf einen Punkt, und zu beiden Seiten wölbt sich der edelste Sinn, das Auge, abermals in der schönsten Linie der Ellipse. So steht die Nase und der Mund abermal zwischen zwei Blumengeländern, den Wangen, bis die Ellipse des Haupts sich mit dem festen Kinne schließt. Kurz, man kann sich mit den sieben Buchstaben, die unser heiliges Antlitz bilden, keinen Stand und kein Verhältniß denken, was leichter zu fassen, zu sammeln, zu ordnen wäre und zugleich so viel Mannichfaltigkeit und Verschiedenheit darböte als das schöne Zusammenstrahlen und Abwechseln

der Stirn
und der Augen,
der Nase
und der Wangen,
des Mundes

endlich, der auf dem Kinne ruht. Eins unterstützt, hebt, trägt das Andre; fast wird's dem tastenden Gefühle schon, was es durchs Licht dem Auge so unendlich mehr ist, Antlitz. Offenbar nach eben dem Bau und den Gliedern derselben Verhältniß ist der ganze Körper gebildet; daher die Wilden sich abermals auf Brust und Knie ein Menschenantlitz malen. Die beiden Warzen der Brust über dem Nabel, der Unterleib über den Füßen wie die Brust unter den Fittigen der Arme sind ein Verhältniß; Jedes gehört zum Andern als Eins oder Paar und spricht zu und mit ihm, was es sprechen soll. Die Anzahl und Bildung der Finger, die wie aus einem halben Kreise geschnitten, in einer Ordnung, die nicht vermehrt und vermindert, nicht versetzt noch verstümmelt werden kann, da stehn, bestätigt dasselbe. Kurz, überall eine einfache und harmonische Weisheit, die in und für uns gefühlt, gemessen, geordnet, Umfang und Fülle beschränkt hat. Sie goß die Seele in ein tausendfach organisirtes, aber sehr einfach begrenztes, leicht zu umfassendes Maß und machte Punkte der Vereinigung, wo und wie oft und auf wie zarter Stelle sie sie machen konnte. So findet Auge das Auge, so drückt sich Mund an Mund und Brust an Brust und blickt und saugt in sich Othem der Liebe. Man verrücke die Züge des Gesichts, man verpflanze und verwechsle Glieder: mit und ohne Auge muß man grausen, wie immer die kleinste Mißbildung zeigt. Was wir in der Optik und in den anordnenden Künsten überhaupt von feinen Gesetzen des Wohlstandes und der Wohlgestalt, des Eben- und Unebenmaßes entdecken werden, findet sein größtes Vorbild in dem edeln Werke, das überall, wie es scheint, der großen Mutter Liebling und Augenmerk war, in der Menschengestalt und Menschenschöne.

 

Fünfter Abschnitt.

Ich fragte eine Blindgeborne:Im Jahr 1770. – H. »welcher Tisch, welches Gefäß ihr lieber sei, das eckige oder runde«. Sie antwortete: »Das runde; denn dies sei sanft und wohl zu fassen, und am runden Tisch stoße man sich nicht«. Vielleicht ist dies Alles, was über die Linie der Schönheit so simpel gesagt werden kann. »Warum ein runder Arm, eine schlanke Taille ihr wohlgefiele?« »Weil sie gesund, rege und leicht ist.« Gespenst stellte sie sich als einen kalten Hauch vor, der sie verfolge, und Lieblichkeit suchte sie in schöner, fester Stimme, Zuthulichkeit, gefälligem Duft und sanfter Wärme: gerade wie Saunderson und andre Beispiele. Ich reichte ihr eine Statue: sie kannte und nannte jeden Theil und fand ihn gut; als sie ans Kleid kam, stutzte sie und wußte nicht, was es sei; denn es war die erste Statue, die sie faßte. Sonst machte sie mein Stand zu furchtsam, und die Entfernung ihres Orts versagte mir weitere Nachforschung. Sie hatte in ihrer Sprache alle Ausdrücke des Sinnes, den sie nicht besaß, nur sie verstand keinen; es war aufgeschnapptes Papageienwesen, wie ein großer Theil der Sprache bei uns Menschen mit fünf Sinnen immerfort ist. Uebrigens halte ich Mängel von dieser Art für die einzige sichere Quelle, unsre Sprache und Begriffe der so verflochtnen Sinnlichkeit zu scheiden und jedem Sinne wiederzugeben, was sein ist. Wenn je eine praktische Vernunftlehre, ein philosophisches Lexikon der Sprache, Sinne und schönen Künste geschrieben wird, wo jedes Wort, jeder Begriff seinen Ursprung finde, und wo den Gängen nachgespürt werde, wie er sich von Sinn zu Sinn, von Seele zu Seele übertrage, so, dünkt mich, müssen Versuche der Art Leitfaden sein, oder Alles bleibt Labyrinth und Vernunftgewäsche, wie es jetzt ist.

In diesem Buche ist über einen Sinn und aus einer Kunst und Classe von Begriffen eine kleine Anfangsprobe. Honny soit qui mal y pense, und der, was aufrichtiges Tappen nach Wahrheit, Richtigkeit, Einfalt war, was züchtiges Gefühl bedeutungsvoller Formen der Schöpfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken sollte, mit Anmerkungen eines Gecken oder Anwendungen eines Buben entehrt! Das Beste kann zuerst gemißbraucht werden, eben weil an ihm etwas zu mißbrauchen ist; ja, die Wahrheit, die nicht auf der Gasse liegt, muß sich eben vom Sprachgebrauch manchmal entfernen. Nur ist's noch keinem Astronomen eingefallen, seine Theorie vom Weltsystem deshalb zu ändern, weil der Sprachgebrauch anders redet. Kann er's erklären, warum der so reden mußte, so ist Alles gethan, und seine Gründe gelten. Ist's ein metaphysisch und physisch erwiesener Satz, »daß nur körperliches Gefühl uns Formen gebe«, so müssen die Ableitungen desselben in jeder Kunst und Wissenschaft wahr sein, gesetzt, daß sie auch nicht so manche neue Berichtigung und Erläuterung gäben, als, mich dünkt, diese der Bemerkung erfahrnerer Forscher gewiß noch geben können. Versuche es der Schüler der Kunst, und wo seinem Gesicht in der Form etwas dunkel, widersinnig und zweifelhaft scheint, oder wo er zu flattern und überhin zu gleiten befürchtet, er versuche und lege den Finger seines innern Sinnes an, um nach Gestalt des Geistes in dieser Form zu tappen, wo er nicht erkennen konnte: ist seine Seele rein und still und sein Sinn zart, so wird er bald Aufschluß des untrüglichen stummen Orakels hören, und seine Hand wird wie von selbst streben, nachzubilden, was er erfaßt hat.

 

Ich könnte meinen Satz durch die Geschichte der Kunst führen und über das Wort Plastik und Toreutik, über ἄγαλμα und signum, τόρευμα und caelatura, βαιτύλια, ξόανα, βρέτη u. s. w. trefflich metagrabolisiren.»Ich verstehe weder Sinn noch Ableitung des Worts, noch was dafür zu setzen sei.« – Anm. von Heyne. [Es ist wol metaparabolisiren gemeint, im Sinne von »nachher (nach der aufgezeigten Wortbedeutung) Vergleiche ziehen«. Die Annahme, es sei einfach etymologisiren zu lesen, setzt doch ein kaum glaubliches Versehen voraus. Herder hat den Druckfehler übersehen. – D. Ich könnte zeigen, daß die Bildhauerkunst überall nur so habe entstehen können, wie sie bei unsern Kindern entsteht, in deren Händen sich Wachs, Brod, Thon selbst bildet; zeigen, daß die Griechen in ihren Modellen dem Ursprunge der Kunst treu blieben, sofern sie ihm treu bleiben mußten, und daß die Methode zu modelliren, die Michel Angelo gebrauchte und Winckelmann so sehr rühmt,Gedanken über die Nachahmung, S. 28 f. – H. nichts als das sei, wovon wir reden. Nämlich »das jeder Form und Beugung sich sanft anschleichende und anplätschernde Wasser wird dem Auge des bildenden Künstlers der zarteste Finger«, der durch den Widerschein gleichsam an mehrerer Runde, schwebendem Zauber und Lieblichkeit viel gewinnt. Ich könnte sagen, daß die so natürliche Vielförmigkeit der griechischen Bilder, da jeder Muskel schwebt, da nichts Tafel wird und keine Seite, keine Viertheilseite des Gesichts wie die andre, folglich auch nie durch Kupferstiche, Zeichnungen, Gemälde darzustellen oder zu ersetzen ist, uns Zug für Zug und fast unwillkürlich auf jede weiche Stelle, jede zarte Form tastend ziehe u. dergl. Wozu aber Alles, was sich, wenn mein Satz wahr ist, Jeder selbst sagen kann und wird?

 

Ich schließe mit einigen allgemeinen Anmerkungen über mißverstandne, folglich scharf bestrittene Gegenstände der Kunstgeschichte.
 

1. Die bildende Kunst, sobald sie Kunst wird und sich von signis, d. i. religiösen Zeichen und Denkmalen, Klötzen, Hölzern, Steinhaufen, Pfeilern, Säulen entfernt, muß nothwendig zuerst ins Große, Erhabene und Ueberspannte gehen, was Schauer und Ehrfurcht, nicht Liebe und Mitgefühl erregt. Bei Kindern, Blinden und Sehendwerdenden ist's noch also und wird, was auch die Philosophie predige, immer also bleiben. Jener Blindgewesene sah Menschen, als sähe er Bäume; Cheselden's BlindemVgl. oben S. 224. – D lagen alle Figuren als eine ungeheure Bildertafel sich bewegend dicht vorm Auge; aller erste Anblick und Eindruck, den Kinder und Unerfahrne von einer Statue haben, ist gerade, wie Dädal's Säulen beschrieben werden. Ehrfurcht, die beinah Schrecken wird und Schauer, Gefühl, als ob sie wandelten und lebten, so gerade und viereckt sie dem Auge des Künstlers da stehn mögen, sind die ersten Eindrücke der Kunst, zumal bei einem halbwilden, d. i. noch ganz lebendigen, nur Bewegung und Gefühl ahnenden Volke. Bei allen Wilden oder Halbwilden sind daher die Statuen belebt, dämonisch, voll Gottheit und Geistes, zumal wenn sie in Stille, in heiliger Dämmerung angebetet werden und man ihre Stimme und Antwort erwartet. Noch jetzt wandelt uns ein Gefühl der Art an in jedem stillen Museum oder Coliseum voll Götter und Helden: unvermerkt, wenn man unter ihnen allein ist und wie voll Andacht an sie geht, beleben sie sich, und man ist auf ihrem Grunde in die Zeiten gerückt, da sie noch lebten und das Alles Wahrheit war, was jetzt als Mythologie und Statue da steht. Der Gott Israel's wußte sein sinnliches Volk vor Bildern und Statuen nicht gnug zu bewahren: war das Bild da, so war auch seinen Sinnen der Dämon da, der's belebte, und die Abgötterei unvermeidlich. Wir Vernunftleute lesen jetzt die eifrigen und verweisenden Stellen der Propheten gegen die Abgötterei mit Verwunderung und fast mit Befremden; die Geschichte des Volks aber und aller Völker beweist's, wie nöthig sie waren. Nichts hält die Sinnlichkeit stärker an sich als ein Abgott, er sei lebendig oder todt, gnug, daß er da ist und man zu ihm gehen kann und von ihm Glück und Unglück erwarten. »Er hört ja unsre Gebete, er nahm ja unsre Opfer an: warum sollt's nicht sein gewesen sein, was uns auf unser Gebet ward? Es ward uns ja auf dasselbe, und ungezweifelt hat er, Baal, es uns gegeben.« Daher auch die übeln Bewegungen der Heiden gegen die Bildsäulen ihrer Götter, die uns jetzt nicht minder befremden. Kinder, Menschen in Wuth und Leidenschaft machen's noch jetzt also, und die Sinnlichkeit macht's nie anders. Sie schlagen die Puppe und behandeln sie als lebendig. Unglücklich Liebende, zumal Weiber, zerschlagen das Geschenk des Untreuen oder rächen sich an Papier, Boten, Stelle und Denkmal. Wenn Nordländer die Bildsäulen Italiens zerschlugen, so schimpfen wir sie Barbaren; als solche aber konnten sie auch nicht anders. Ihre Augen sahen den Dämon in ihnen, und also mußten sie sie anbeten oder zerschmettern. Hätten sie Jahrhunderte bei ihnen gewohnt, würde, wie es die Geschichte Italiens zeigt, ihr überspanntes hohes Gefühl sich Zeit gnug in Kunst, Kunst in Geschmack, Geschmack in Ekel und Vernachlässigung aufgelöst haben.

Dies ist auch die Geschichte der Kunst bei allen Völkern. Vom Himmel entsprang sie; Ehrfurcht, Liebe, ein Funke der Götter brachte sie hinunter, schuf ihr irdische Form an und erhielt sie einige, wiewol kurze Zeit lebend. Nun ward sie Abgötterei, sodann Kunst, sodann Handwerk und endlich die Grundsuppe von Allem, Kennerei, Trödelkram und Kunstgewäsche. Die Dädalus und Phidias gehen vor, die Praxiteles, Myrons und Lysippe folgen; sodann wird's Nachklang oder Nachschmack oder noch etwas Aergers. Niemals gelingt's uns hier, die Zeiten umzukehren, und es ist thöricht, die Dädale in Lysippen umschaffen zu wollen. Sind Jene erst da, so werden Diese kommen, denn ohne Jene konnten Diese nicht werden. Die gerade Linie bleibt immer die erste und Hauptlinie, um die sich der Reiz nur schwingt.
 

2. Kolossalische Figuren sind der bildenden Kunst nicht fremde und unnatürlich, sondern vielmehr gerade ihr eigen, ihres Ursprungs und Wesens. Die Bildsäule steht in keinem Lichte, sie giebt sich selbst Licht: in keinem Raume, sie giebt sich selbst Raum. Folglich sollte man sie hier mit der Malerei auch nur nicht vergleichen, die ja auf der Fläche, auf einer gegebnen, übersehbaren Lichttafel und ja Alles nur aus einem Gesichtspunkt schildert. Die bildende Kunst hat keinen Gesichtspunkt: sie ertastet sich Alles glieder- und formenweise im Dunkel; gleichviel also, ob sie etwas langsamer und länger taste. Ja, nicht blos gleichviel, sondern der Eindruck von Größe, Ehrfurcht und unübersehbarer, nur von außen und gleichsam nie ganz zu ertastender Gestalt ist ja das eigentliche Bild ihrer Götter und Heroen, wie es sich nachher nicht die Hand, sondern der Geist, die erschütterte, durchregte Einbildungskraft sammelt. Alles Unendliche dünkt uns erhaben, und jedes Erhabne muß gewissermaßen Unendlichkeit, ein Nachbild jener Erscheinung gewähren, »da der Geist vorbeiging und die Haare grauseten, ein Bild stand dem Schauenden vor Augen, und er kannte dessen Gestalt nicht und hörte eine Stimme.«Nach Hiob 4, 15–16. – D. BrammaWir haben hier die Namenschreibung der drei großen indischen Gottheiten beibehalten, wie sie Herder in seiner Quelle, wol Abraham Roger, fand. – D. verlangte das Haupt des höchsten Gottes Ixora zu sehen und flog, so hoch er konnte. Da begegneten ihm drei Blumen von Ixora's Haupt und fragten ihn, wohin er wollte. Er sagte, daß er gehe, Ixora's Haupt zu sehen, und die Blumen antworteten ihm: »Mache Dir keine vergebliche Mühe! denn ob wir wol noch dreimal so lang geflogen wären, von der Stunde an, da wir von Ixora's Haupt niederfuhren, so würden wir nicht so weit sein, daß wir seine Füße sehen möchten.« Und Bramma ließ ab und bat die Blumen, Ixora zu sagen, wie ihn schwindle, höher zu fliegen. Vistnum begehrte seine Füße zu sehen und grub so tief in die Erde, bis er zur großen Schlange des Abgrunds kam und schreckenvoll zurückkehren mußte, und also beide Götter mit lauter Stimme bekannten, daß Niemand sei, der sein Haupt und Füße zu sehen vermöge. So erzählt Indien, und konnte nun Griechenland seinen Jupiter anders als kolossalisch bilden, wenn, soweit es die Form zuließ, er nur einigermaßen die Idee des Unendlichen erwecken sollte? Als Phidias also hinaufgerückt ward, Jupiter zu sehen, kam aus seiner Seele das Bild Dessen, den, ob er wol in Tempeln thront, kein Tempel umfaßt. Es war ein elender Spott, daß, wenn sein Jupiter aufstünde, sein Haupt die Decke des Tempels aufheben müsse; eben das war Phidias' Gefühl und dunkler Gedanke. He above the rest, sagt Milton vom Helden seines Gedichts,

In shape and gesture proudly eminent
Stand like a towr,
Paradise lost, I. 589–591, wo aber stood sich findet. Es ist von Satan die Rede. – D.

und alle Homerische und alle älteste Erzählungen von Göttern und Helden sind also. Der alte Künstler mußte also das Gefühl haben und ausdrücken, oder es waren nicht die Götter mehr, und wenn es Lysippus selbst an seinem kleinen zierlichen Hercules einen Fuß hoch ausdrückte, daß der begeisterte StatiusSilv., IV. 6. 36–41. – D. schreit:

    Deus, ille Deus, seseque videndum
Indulsit, Lysippe, tibi, parvusque videri
Sentirique ingens, et cum mirabilis intra
Stet mensura pedem, tamen exclamare licebit,
Si visus per membra feras: Hoc pectore pressus
Vastator Nemees,

und also Lysippus' fußlange Figur in Statius' Seele oder Munde Kolossus ward, ja, um Hercules zu sein, es werden mußte: welche Blume von Ixorens Haupt will es denn dem Künstler verbieten, statt eines einige Fuße zu nehmen, wenn er damit dem umfassenden tastenden Auge höheres Gefühl giebt? Ueberhaupt dünkt uns Alles größer, was unsre Hand tastet, als was das Auge schnell wie der Blitz auf einmal und nach täglicher Weise sieht. Die Hand tastet nie ganz, kann keine Form auf einmal fassen als die Form der Ruhe und zusammengesenkter Vollkommenheit, die Kugel. Auf der ruht auch sie und die Kugel in ihr; sonst aber, bei articulirten Formen und am Meisten im Gefühl eines menschlichen Körpers, selbst wenn er das kleinste Crucifix wäre, ist sie nie ganz, nie zu Ende; sie tastet gewissermaßen immer unendlich. Das Kolossalische ist also ihrem Gefühl so nah und natürlich, als es dem Farbenbrett aus einem Lichtpunkt fremd ist. Dies muß, und gewissermaßen auf einmal, übersehen werden können, oder es steht überwältigend vor uns, eine gigantische, abscheulich gezerrte, uns erdrückende Larvenmauer. Rechnen wir nun noch hinzu, daß unsrer tastenden Hand das Leblose größer dünkt als das Belebte, wo jede Durchregung des Hauches der Seele uns Glieder und Unterschiede darstellt (denn eine abgehauen kalte Hand dünkt unserm Gefühl und selbst unserm Auge größer, als da sie Glied am Körper war und Leben sie durchwallte), und nehmen wir hiezu noch Dunkelheit und Nacht, in der der Sinn tastet, die langsam erfühlte Einheit und Unbezeichnung, die ein solches Bild verleiht, den Begriff von Macht und Fülle, langsamem und starkem Willen, der in dem Gebäu wohnt: so kann nicht blos, so muß gleichsam jeder hohe und starke Gott, jede Göttin der Erhabenheit und Ehrfurcht unsrer Einbildung kolossalisch und wenigstens übermenschlich werden über unsre Zwergengröße. Die bildende Kunst tritt hier in die Mitte zwischen Dichter und Maler. Jener kennt gar keine Grenzen, als die ihm der Flug seiner Phantasie und die Schöpfersmacht, die in ihm wohnt, zeichnen. Sein Auge, wie der unendliche Shakespeare sagt:

            In a fine frenzy rolling,
Doth glance from heav'n to earth, from earth to heav'n,
And as imagination bodies forth
The forms of things unknown, the poet's pen
Turns them to shapes and gives to airy nothing
A local habitation and a name,
Midsummer-Night's Dream, V. 1. – D.

ja, was sonderbar ist, um die simpelste Kindeserzählung nach morgenländischer Art, wo Alles ohne Beiwörter und Schönfärbung, in unendlicher Einfalt und schlichter Unbezeichnung da steht, hat sie den meisten Spielraum. Der Maler hat auch seine Unendlichkeit, aber nur Unendlichkeit eines Continuum, einer flachen Lichttafel. Er kann Himmel und Erde, meilenweit hingeworfne Gegenden und Gebiete der Einbildung malen, aber keine Kolossalfiguren; denn Formen sind ihm aus einem fremden Sinne. Er muß sie darstellen, wie es der Rahm seines Bildes, die Gesetze der Lichtbrechung und Farbengabe, kurz, sein Sinn und Medium fordern. Der Bildner steht im Dunkel der Nacht und ertastet sich Göttergestalten. Die Erzählungen der Dichter sind vor und in ihm: er fühlt Homer's Minerva, die den gewaltigen Stein ergreift, an dem einst so viel Riesen der Vorzeit trugen,Nicht ganz genau nach Ilias, XXI. 403–406. – D. fühlt ihr gewaltiges Haupt, dessen Helm so viel Krieger birgt, als hundert Städte ins Feld zu stellen vermögen,Ilias, V. 744. – D. fühlt den Schritt Neptun's,Ilias, XIII. 18–20. – D. die Brust Alcides',Odyssee, XI. 609. – D. den Wink der Augenbranen Jupiter's:Ilias, I. 528. – D. kann, was in diesem Gefühl aus seiner Hand kommt, klein oder kleinlich sein? Jeder Raum ist ihm nun gleichgiltig, wo er nur diese formenschwangern Gefühle hinlegen oder ausdrücken kann. Sei Jupiter einer Elle oder sechs Ellen hoch: umfaßt ihn nur sein Sinn und der Sinn des Schauenden in Majestät und Würde, das ist sein Raum und seine Grenze.

Eben dies innere Gefühl mißt ihm auch jede Spanne des Kolossus mit Weisheit des Eindrucks und Standorts zu, auf den er sein Werk richtet. Der Jüngling Apollo darf ein übermenschlich stolzes Gewächs sein, aber kein Kolossus; denn er ist nicht Jupiter, und die Schlanke und Schnelligkeit seiner Glieder würde in einer Thurmgestalt erliegen. Was von einer Juno oder der Mutter aller Götter gilt, gilt nicht von der lieblichen Aphrodite. Unsägliche Weisheit, die die Griechen auch bei der Größe bewiesen, die sie jedem ihrer Himmels- und Erdengewächse zuwogen! Diese Weisheit spricht uns noch, da sie alle als kahle Mythologie und akademische Wachtparade dahin gepflanzt sind, auf einen Grund und Boden; und wie muß sie gesprochen haben, als jede Statue an ihrem Ort stand, in ihrer Höhe und heiligen Entfernung! Unter den Römern ging dies weise Gefühl verloren; Flora oder ein Consul und Imperator konnte Kolossus werden, nach dem der Künstler Stein hatte oder der Imperator Metall aufwenden wollte. Die Kunst war unter ihnen Griechenhandwerk.
 

3. Und endlich, was hat die Allegorie mit der bildenden Kunst zu schaffen? wie weit kann diese allegorisiren?

Die Frage ist sehr verwirrt worden, weil man alle Künste, ja gar (horribile dictu!) alle Wissenschaften mit ihnen auf einerlei Grunde betrachtet hat, ohne einzusehen, daß diese im Gebrauch keines Zwirnfadens und keiner Nadelspitze eins sind. Ueber Winckelmann's Werk, das die Allegorie im weitläuftigsten Sinne nimmt und, da es den ersten Anfang einer Rüstkammer für alle Künste des Schönen geben wollte, nothwendig so allgemein sein mußte, über dies Werk, sage ich, ist viel seichterSo schrieb Heyne statt »seltner«. – D. und halbwahrer Tadel vorgebracht worden, durch den weder dem Künstler noch Weisen Gnüge geschieht. Die Hauptfrage bleibt: was ist Allegorie? und was ist sie hier? durch welche Mittel wirkt, auf welchem Boden steht sie? Und da ergiebt sich: jede Kunst muß völlig ihre eigne haben, oder es giebt gar keine.

Jener weise Alte machte daher den Begriff der Allegorie so groß:Heraclides Ponticus, dessen Winckelmann am Anfange seiner Abhandlung über die Allegorie gedenkt. – D. sie bedeutet Eins durchs Andere, ἄλλο durch ἄλλο. Wie sie das bedeute, von welcher Art das ἄλλο und ἄλλο sei, das kann nicht die allgemeine Theorie, das muß Stand, Absicht, Kunst, kurz, der einzelne, hier bestimmte Gebrauch lehren.

Ich kann sagen, daß bildende Kunst eine beständige Allegorie sei; denn sie bildet Seele durch Körper, und zwei größere ἄλλα kann's wol nicht geben, insonderheit wenn man die Philosophen der Gelegenheit und der prästabilirten Harmonie um Rath fragt. Der Künstler hat das Vorbild von Geist, Charakter, Seele in sich und schafft diesem Fleisch und Gebein; er allegorisirt also durch alle Glieder. Verhältniß ist ihm nur das Nichtohne, die Bedingung, nie aber das Wesen seiner Kunst oder die Ursache ihrer Wirkung. Dies ist Seele, die sich Form schafft, und wo beide, Form und Seele, vom Verhältniß gelinde abzuweichen befehlen, kann er nicht blos, sondern muß abweichen, wie bei Apollo's längern Schenkeln, bei Hercules' dickerm Halse u. s. w. Ueberhaupt Verhältniß in der Kunst zum Hauptwerk machen und für Antinous und Mars, Jupiter und den Faun ein und dasselbe festsetzen, heißt jedem Perioden und Gliede einer Allegorie ein Maß vorschreiben oder aus der Algebra Musik componiren. Leibhafte Form ist der Tempel und Geist die Gottheit, die ihn durchhaucht; da nun nicht jeder Gott und jeder Tempel gleicher Art ist, so können bis auf jedes Winkelchen in ihm unmöglich dieselben Verhältnisse gelten.

Und hier ist's abermal besonders, daß, je weniger ein Glied Antheil an Geist, insonderheit an Bewegung und Leben hat, desto mehr ist sein Verhältniß bestimmt und darf nicht abgeändert werden. So ist's z. B. mit dem Unterleibe: verlängert oder verkürzt ihn, er wird gleich unförmlich. Aber in den Gliedern, wo Rege, Leben, Bewegung spricht und jetzt diesHier sind wol die Worte jetzt jenes ausgefallen. – D. Glied vorspricht, da muß der Geist, der überm Künstler schwebt, ihm im feinsten Schwunge der Form allein Auskunft geben. Es ist gebildete Allegorie eines geistigen Sinnes, der sich hier in den Stein senkte.

So kann man von der bildenden Allegorie sprechen; allein ich begreife sehr wohl, daß das nur uneigentlich gesprochen heißt, weil wir, die so wenig im Gefühl der Plastik leben, dem Worte Allegorie gerade die Bedeutung gegeben haben, die nicht in ihr, sondern in andern, leichtern Künsten und Wissenschaften vorkommt. Und in deren Sinne kann jene freilich nicht allegorisiren. Bloßen Witz, eine feine Beziehung zwischen zweien Begriffen oder das Abstractum eines fliegenden Dufts und eines verfliegenden Schmetterlings in den Stein zu senken und denselben daraus wiederum zu ertasten, dazu ist der Stein zu schwer und die Hand zu grob, und die Arbeit lohnt nicht der Mühe. Mögen andre Künste dies bemerken und insonderheit der Hauch, die Rede den flüchtigen Schmetterling von Witz und Abstraction haschen: die Statue ist dazu zu wahr, zu ganz, zu sehr eins, zu heilig.

Die bildende Natur haßt Abstracta; sie gab nie Einem Alles und Jedem das Seinige auf die feinste Weise. Die bildende Kunst, die ihr nacheifert, muß es auch thun, oder sie ist ihres Namens nicht werth. Sie bildet nicht Abstracta, sondern Personen; jetzt die Person in dem Charakter und den Charakter in jedem Gliede und in Ort und Stellung, als ob sie nur der Zauberstab berührt und lebend in Stein gesenkt hätte. Es ist nicht die abstracte Liebe, die da steht, sondern der Gott, die Göttin der Liebe; nicht die Frau Gottheit und die Jungfrau Tugend, sondern Minerva, Juno, Venus, Apollo, und wie die höchstbestimmten Namen, Gebilde und Personen ferner lauten. Dem müssigen Kopf, der den Redner, den Dichter, den Maler allegorisirt, kann ich's vergeben; wer mir aber hier bei der Bildsäule, wo im höchsten Grad Alles substantiell, wahr und bestimmt ist, Fledermäuse hascht, die nicht Kunst sind noch Dichtkunst, weder Seele noch Körper: dem mag's von den allegorisirten Göttern selbst vergeben werden.

Wenn eine Kunst uns bei Substanz und Wirklichkeit festzuhalten vermag, ist's diese, und wird sie Gespenst, was sollte nicht Gespenst werden? Der alte Künstler konnte Verschiedenes an Verschiednem studiren (und nur einem Neuern hat's fremde gedünkt, wie er so etwas konnte und mußte); aber wenn er nun schuf, so ward das Verschiedene ein Eins, mit Haltung und Seele aus seiner Seele. Er sprach zum Felsen: »Wandle! sei die Person, lebe!« So sah alle Abgötterei die Kunst an. Der einzelne bestimmte Gott war gegenwärtig und hörte. So nannten die Griechen die Statuen. Es war nicht mehr Apollo allgemein, geschweige die liebe Sonne oder die personificirte Dichtkunst; es war der Apollo, Smintheus, Delius, Pythius, Ἀγρεύς, wie es Ort und Attribut sagte. Diese Attribute waren so wenig Allegorie (wie wir nach der Poetik das Wort nehmen) als Hercules' Keule oder die Nase unsers Angesichts; historische, individuelle Kennzeichen waren's, diesen Gott und jetzt und hier zu bezeichnen. Sie bedeuteten, aber keine Abstraction; ein Individuum deuteten sie an, wie's ohne Schrift angedeutet werden konnte. Man gehe die Statuen der Götter und die aus ihnen gesammelten Allegorien durch; man wird sie sämmtlich dieser Art finden.

Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, ob und wie die Griechen ihre Bildnerei von einem fremden Volk erhielten, sondern was sie aus ihr machten, und wozu sie, da sich die Kunst formte, dieselbe geschaffen glaubten. Jupiter's drittes Auge vor der StirnAuf der Burg zu Argos nach Paus., II. 14. 5. – D. blieb in den Zeiten der Kunst weg; denn es war ein allegorisches und kein natürliches Auge. Die Gestalt selbst mußte Jupiter sein; das Uebrige konnte Dichter, Priester oder Jeder dazu sagen,Etwa setzen? – D. der's wollte.

Wenn also die Ausleger und Zeichendeuter mit Deutung der Attribute so fein und reich sind, so lasse ich's zwar als Witz und Poëm gelten, zweifle aber, ob der griechische Künstler oder Priester oder Anbeter das dabei dachten. Es war meistens ein historischer Umstand, der dem Gott einen eignen Namen gab, und den nun dies eigne Attribut bezeichnen sollte. »Du bist nicht Jupiter, Du, sondern mein, unser Jupiter, der Du da warst!« also eigentlich ein Abgott. Je feiner meistens die Auslegung der Allegorie, desto unwahrer.

Freilich war um einen Gott und Helden so leicht nichts, was nicht Gedanken erweckte, und bei den Griechen waren's treffende, natürliche Gedanken; nur nicht aus Abstracten, nicht aus gedichteter Allegorie, sondern aus Umständen der Geschichte. Der Charakter des Gottes und Helden (Allegorie gnug) war dem Künstler gegeben: den drückte er aus, das Uebrige war ihm Unterstützung und Aufklärung desselben oder historische, Local- und Tempeldeutung.

»So war denn den Griechen die Allegorie zuwider?« Nichts minder, sie war nur nicht überall ihr Hauptwerk. Der Grieche fühlte es zu gut, daß, um allegorische Personen tanzen zu lassen, man kein Theater bauen, kein Epos dichten und keinen Marmorfels aushöhlen dürfe. Er fühlte es zu gut, daß, wenn eine Allegorie schön und lieb sein soll, müsse sie klein, simpel, schmal umrundet werden, ein Edelstein im Ringe. Kurz, nicht den Kolossus, sondern die Gemme, die Münze, die Urne, das Basrelief widmete man ihr, und da war sie an Stelle.

Giebt mir die Göttin Tyche (denn es ist billig, daß ich über die Allegorie auch allegorisire), giebt sie mir Muße und Lust und Liebe, die mehr als Muße ist, meine Flicke hingeworfner Gedanken über die Anaglyphik zu sammeln: ich freue mich, wenn ich an die Stunden denke, die mir die simpelste Gruppe der Welt, die griechische Allegorie, einst verlieh. Da werden wir Griechengeist in der niedlichsten Bildersprache entdecken; hier, befürchte ich, ist's zu früh. Ein Jupiter, Hercules und Apollo, ein Laokoon und Alexander sind zu große oder zu bestimmte Wesen, als daß Allegorie sie umflattern sollte. Was Hand und Geist an ihnen erfaßt, ist Allegorie gnug, d. i. Sinn und Geist eines gegenwärtigen himmlischen Wesens. Sie waren auf bestimmte Tradition und Kindesgeschichte gebaut; die zu bestimmen, wo sie wankte, sie auf einem Punkt persönlichen Daseins festzuhalten, war des Künstlers Werk; nicht sie mit Allegorie zu behängen und in Luft zu verduften.

Statt dessen trete man an eine in Stein gehauene Tugend, die Dame Gerechtigkeit etwa oder die Jungfrau Frömmigkeit, Liebe u. dgl.: was hat man an ihnen? Nichts! eine in Stein gehauene Seifenblase. Was ich bei ihren Attributen denken soll, weiß ich etwa: aber bei ihnen selbst? Daß sie liebe, gute Damen sind, die ein Wort, eine abstracte Redart hervorbrachte, und die meistens deren auch werth sind. Wollen sie das Höchste ausdrücken, was sie bedeuten (und das sollen sie doch!), so werden sie unleidlich; denn die angestrengteste Gerechtigkeit, die allergnädigste Gnade, die allerzerflossenste Andacht, die weichste Barmherzigkeit, die lachendste Liebe kann weder Mensch noch Stein tragen. Und ewig ertragen? In dem unnatürlichen, krallen oder aufgelösten Zustande steht sie immer da, und nichts kann ihr helfen. Hinweg, Grimasse von Stein, und verwandle Dich zu dem, was Du einst warst, ein Wort, eine Silbe!

Nun aber schwang sich auch meistens der Künstler nicht so hoch: er wollte seinen Block nicht anstrengen, den höchsten Ton aller Gerechten, d. i. die Gerechtigkeit, den Inbegriff aller Andächtigen, die Andacht, ewig und unüberschwungen zu tönen; er blieb also in der seligen Mittelmäßigkeit, und so sagt er gar nichts. Ist die Pietas höchstens nur etwa eine pia, die Caritas etwa eine cara, Beide unbestimmt und ohne Individualformen: Schade, lieber Künstler, um Marmor und Meißel und Zeit und Mühe! Hättest Du lieber eine bestimmte pia und cara genommen, so stünde die doch leibhaft da, und Dein heiliger Vater wäre mindestens von einigen guten Weibern in Stein beweint und betrauert worden, statt deren jetzt nur ein geschaffenes Nichts, allegorische Tugenden um ihn trauern!

Bei Grab- und Denkmalen indeß lasse ich die Allegorie noch gelten; denn oft vertreten jene doch nur die Stelle der Basreliefs auf dem Monumente und etwa der Gemmen und Münzen, sie sind kein freies Kunstbild. Auch die Griechen konnten wol auf ein Grabmal Psyche und Amor, halb als Allegorie (sie waren aber mehr als solche, sie waren Geschichte) stellen und ließen das schöne Paar jetzt in neuer Bekanntschaft sich schwesterlich küssen und umarmen. Ist irgend ein Ort, da man einen herabgesunknen Engel erwartet, so ist's am Grabe, über der lieben Asche unsrer Todten, wo Alles so still ist, wo kein Laut aus jener Welt herübertönt, und wo wir doch so gern mehr als Asche fänden. Hier ist also auch wol eine weinende oder tröstende Tugend zu ertragen, wenn sie, ihres Namens werth, nur als ein weiblicher Engel dasteht. Kann der Verstorbne oder die Verstorbne selbst in oder neben ihr gebildet werden, wie wir's erwarten, so ist's freilich um so besser. Können wirkliche Kinder, eine Geliebte, ein Weib daneben gebildet werden, so kehrt für Kunst und Denkmal Wahrheit in die Züge, und also um so besser. Aber wehe, wenn diese Grabengel, die man der Menschlichkeit als Denkmal der Liebe und milde Gabe zuließ, nun Hauptwerk der Kunst werden sollen, und gar gelehrte Abstractionen und Allegorien wie Gespenster Alles verscheuchen! Ist's sodann nicht offenbares Zeichen der größten Dürftigkeit und Armuth, daß man nichts als solche habe oder nur solche zu bilden vermöge?

Wie weit ist's mit der Kunst der leibhaften Wahrheit gekommen, wenn sie keine leibhafte Wahrheit mehr hat, wenn sie statt des großen einen seeledurchwebten Ganzen nach einem Schmetterlinge von Witz, von Bedeutung hascht, der um oder neben oder über ihr schwebe! und den sie doch auch, so klein der Preis wäre, nicht einmal zu erreichen, nicht auszudrücken vermag; denn zu aller literarischen und moralischen Allegorie gehört Gruppe, und im eigentlichsten Verstande hat die die Bildnerei nicht.

»Nicht? die Bildnerei keine Gruppe? Und Laokoon, Niobe, die beiden Brüder!«Kastor und Pollux. Vgl. S. 294. – D. Ich weiß das Alles und mehr als das. Ich weiß, daß ein Franzose noch neulich hoch gerühmt hat, »seine Nation habe das Gruppiren der Bildsäulen nagelneu erfunden, sie habe zuerst Bildsäulen malerisch gruppirt, wie nie ein Alter gruppirt hat«. Die Bildsäulen malerisch gruppiren? Siehe, da schnarrt schon das Pfeifchen; denn eigentlich geredt, ist's Widerspruch: Bildsäulen malerisch gruppiren. Jede Bildsäule ist Eins und ein Ganzes; jede steht für sich allein da. Was der Gedachte also an den Alten tadelt, war ihnen ausgesuchte Weisheit, nämlich nicht zu gruppiren, und wo Gruppe sein mußte, sie selbst so viel möglich zu zerstören.Diesen Satz hat die neuere Wissenschaft vollständig widerlegt. Wir verweisen nur auf Welcker's den Giebel- und sonstigen Gruppen gewidmeten Band seiner »Alten Denkmäler«. – D.

Daher mußten Laokoon's Kinder so klein sein, ob sie wol Männer waren: nicht, wie Hogarth meint, seiner Schönheitslinie wegen, daß, wenn über alle Drei ein Transportkaste geschlagen würde, er in Form der Pyramide oder Lichtflamme da stünde; an solche Zimmerarbeit hat wahrlich der Künstler nicht gedacht. Woran er dachte und denken mußte, war, daß die Jungen dem Alten, zu seiner Größe erhoben, auch bei dunkler Nacht im Licht stünden, daß das Ganze sofort Drei und nicht Eins, mithin der Geist des erhabnen Vater- und Todesleidens weg und scheußlich zertheilt wäre, wenn alle Drei da ständen und schrieen und vergeblich mit den Schlangen rängen. Da er die Zwei also nicht wegschaffen konnte, um sein herrliches Bild allein zu geben, so verkleinte er sie wenigstens und erniedrigte sie zu halben Nebenwerken, riß dem einen Jungen das Maul auf (wie jeder feine Kenner der griechischen Kunst es mit Schrecken sehen kann), verflocht sie in das Gebiet der Schlangen und der Qual, damit der erhabne Vater in ihrer Mitte allein stehe und als Held und Ringer sein Leiden dem Himmel klage.Vgl. Herder's Werke, I. S. 236 f. – D.

Die Gruppe Niobe, wo stand sie? und wie wenig ist sie Gruppe! wie fern und zerstreut liegen die Ihrigen um sie her! und die Jüngste, in ihren Schooß geflohen, beugt sich und verbirgt sich, damit eben durch sie nur die Mutter allein und erhaben und als Mutter solcher Kinder erschiene.Vgl. Herder's Werke, I. S. 237 f. – D.

Zwei brüderliche Freunde, die sich in der einfachsten Stellung auf einander lehnen;Ebendaselbst, S. 234. – D. ein Paar, das sich in der einfachsten Stellung mit einem Kuß verschwistert, sind so wenig Gruppe zu nennen als Leda und der Schwan, Jupiter und sein Adler. Der Künstler fühlte das ewige Gesetz, das Wesen seiner Kunst, die nur Eins giebt und in dem Einen Alles! die, je mehr sie zerstückt, theilt, gruppirt, häuft, um so ärmer wird und zuletzt eine Taube nöthig hat, die über der ganzen Gruppe schwebe und mit einem Steinzettel im Schnabel sage, was der Steinwald bedeute; denn weder dem sehenden Blick noch der tastenden Hand bedeutet jede einzelne Statue nun etwas.

Tretet einmal her an diese noble Gruppe: Arria und Pätus nebst Kammerfrauen und Bedienten! Wo sollt Ihr stehen? welcher Person im Rücken? denn die Gruppe steht frei von allen Seiten mit malerischem Anstande. Und wenn Ihr gar Euer Gefühl zu Hilfe nehmen wolltet, wo anfangen? wo aufhören? und wo ist nun der Geist, des Bildes eine, ganze Seele? Alle in Schmerz, alle in Heldenmuth, alle das zärtliche Wörtlein nöthig habend, der Arria aus dem Munde: Non dolet, Paete! das denn freilich die Hand weder ertappen kann noch mag. Wie simpel steht dagegen der Pätus der Alten, und Arria sinkt ihm zu Füßen, und er hält sie und endet sein Leben.Die Gruppe stellt nicht Pätus und Arria dar, wie Winckelmann, XI. 2. 26–28, bemerkt. – D. Also wiederum keine malerische Gruppe.

Kann nun eine Geschichte in der Bildhauerei nicht Gruppe werden, weil jedes für sich auf seinem Grunde, in seiner Welt steht, liebe Allegorie, wie wird's mit Dir sein, wenn Du als Schmetterling oder Taube aus vielen Personen oder Figuren, jede für sich ganz gebildet und doch nicht ganz gebildet (nur für Dich, Allegoria, gebildet!), hervorfliegen sollst? Ich fürchte, Du bleibst, wo Du bist, dem Künstler im müssigen Kopfe; denn in die arbeitende Hand war kein Weg, und aus ihr in den zertheilten Felsen, der nur in seinem Kops Eins ist, noch minder.

Endlich warum wollen wir der Natur widerstreben und nicht jede Kunst thun lassen, was sie allein und am Besten thun kann? Wo ein Grund ist, auf Gemme, Münze, Tafel, da bindet die Natur schon durch das Continuum einer Fläche. Gemme, Münze, Basrelief, Denkmal kann nicht viel mehr als eine Allegorie geben; dazu sind sie da, und die geben sie unnachahmlich. Warum sie von da wegreißen? mit ihr die großen Bilder der Wahrheit, Götter- und Heldengestalten oder die Zaubertafel historischer Wahrheit, das Gemälde, verwirren und zu Schatten verscheuchen? Eine Epopöe, worin Allegorien handeln, und ein Drama, worin Abstractionen agiren, und eine Geschichte, worin sie pragmatisch tanzen, und ein Staat, worin sie idealisch ordnen, sind herrliche Meisterstücke, kaum aber herrlicher als eine bildende Kunst, die sie in Fels gehauen hinstellt, damit sie doch ja nicht aus der Welt verschwinden!

 


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