Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Zu Reuchlin's Bilde.Februarheft 1777 des Merkur. – D.

 

Bei allen Nachrichten zu den Bildnissen im vorigen Jahre werden die Leser es dunkel gefühlt haben, was die Verfasser der Nachrichten ohne Zweifel heller fühlten: wie wenig es mit solchen Nachrichten zur Darstellung des Bildes selbst zureiche. Entweder muß man darauf rechnen, daß der Dargestellte schon in der Seele der Leser lebe und nur geweckt werden dürfe, oder man fühlt's innig, daß je mehr ein Mann für seine Zeit war, je unmittelbarer, vielseitiger, unbefangner er sich in sie ausgoß, desto mühsamer lasse er sich für eine andre Zeit darstellen, geschweige auf ein paar Blättern in einigen leichten Zeilen.Diesen ersten Absatz hat J. Müller weggelassen, vielleicht weil er irrig voraussetzte, er gehöre Wieland an. Der Zusammenhang und die ganze Fassung, ja auch die Form dörfe, wie im Merkur gedruckt steht, deutet auf Herder. – D.

Wie Alles unter dem Monde, so geht auch der Drang und die Noth der Zeiten vorüber, mithin das, was Geistern Bedürfniß und Form gab, was sie in Kampf, Gefahr, Arbeit verflocht, was ihre Verdienste und Thaten weckte. Da kommt uns nun so oft federleicht vor, was Jenen Schweiß verursachte; was sie als Chaos vorfanden, ist uns entwickelt; warum sie kämpften, darum mögen oder dürfen wir keinen Finger regen: und statt daß wir ihnen nun danken sollten, uns in die Behaglichkeit gesetzt zu haben, verkennen wir ihr Verdienst und beurtheilen sie nach der Leichtigkeit, die wir jetzt haben, ihnen nachzusprechen, nachzulallen, nachzugaukeln.

Fange ich von Reuchlin an: »Johann Reuchlin, zu Pforzheim geboren, von Jugend auf der Sprachen und schönen Wissenschaften beflissen, in denen er einen so guten Grund legte«: wer kann die entweihten Worte fortschreiben oder fortlesen? Sie sind zu unsrer Zeit ohn' allen Nachdruck, sind so oft elend gebraucht, daß sie leider uns gerade das Gegentheil bedeuten, was sie bei Reuchlin bedeuten sollen.

Fahre ich fort: »Er befliß sich des reinern lateinischen Stils, las die Griechen und verstand sie, lernte in spätern Jahren das Ebräische mit unsäglichem Fleiße«: welcher verdumpfte Schulmeister wird nicht schnell einfallen: »Das kann, das thue, treibe ich auch!« Ego et Reuchlinus!

Heißt's endlich: »Er nahm sich der jüdischen Schriften, die außer der Bibel alle verbrannt werden sollten, mit unsäglichem Eifer an, schrieb Deductionen für ihre Güte und Unschuld, focht einen langen Proceß drüber aus« u. dergl.: »welche Platitüde«, kann ein Narr rufen, »von Güte und Verdienst! als ob das nicht Jeder wüßte und könnte, ob's dazu eines Reuchlin's brauchte!« Und wenn der Reuchlin nun gar seine gute Sache etwas jüdisch und kabbalistisch verfocht, wenn er de verbo mirifico und de arte cabbalistica Bücher schreiben, im Talmud und in den ebräischen Buchstaben Geheimnisse finden konnte u. s. w.: kein aufgeklärter, mit Hausenblas' aufgeklärter und mit Bimsstein abgeriebener Bube, der sich nicht über ihm dünkte und ausriefe: »Käm' er nur damit zu unsrer Zeit, wir wollten ihn recensiren!«

Ruh also in Frieden, lieber Schatten! ich will Dich nicht stören, nicht den kleinen Trupp Deiner Schriften, »eine ebräische, eine griechische Grammatik, ein ebräisch und lateinisch Wörterbuch, einige lateinische Knabenspiele, kabbalistische Schriftchen und Vertheidigungen der jüdischen Bücher«, wie auf dem Trödelmarkte herrufen und sie weder mit O! noch Ach! zieren.

Wenn nach Yorick'sLorenz Sterne's. – D. Classification die Leser neugieriger Gattung fragen sollten: »Wer war der Mann, also gestaltet?« so dient ihnen allenfalls zur Antwort: Er war kaiserlicher Rath, aus besondrer Achtung des Kaisers für sich und seinen Bruder und Beider Geschlecht geadelt, Gefährte des Herzog Eberhard's von Württemberg in Rom, Wien, und in Wien mehr als einmal, Gesandter zu Rom nachher in einer sehr wichtigen Sache des Herzogs von Baiern, die er beim Papst glücklich ausfocht, endlich im Namen des Kaisers und der Reichsstände erster Bundesrichter in Schwaben: in allen diesen wichtigen Stellen der Liebling der Großen und Geringen, mit denen er umging, die Ehre seines Landes und Standes. Kaiser Friedrich III. freute sich, ihm ein Geschenk nach seinem Sinne übermachen zu können (der ebräische Codex, der, anitzt in Karlsruhe, noch seinen Namen führt); Fürsten, Edle, zuletzt gar Bischöfe und Cardinäle, Maximilian selbst freuten sich, für ihn sprechen, schreiben, entscheiden zu können. Die besten Männer seiner Zeit, Franz von Sickingen, Pirckheimer, Hutten, Graf Neuenar fochten für ihn und mit ihm; Erasmus, der nicht fechten wollte, lobte glimpflich; Luther segnete ihn als einen Gottesmann und Helden; Melanchthon ehrte ihn als Vater, die ganze aufblühende Welt besserer Zeiten als ihren Mitstifter. Geborne Griechen in Italien beneideten ihm sein Griechisch, und Einer von ihnenJoannes Argyropulos. – D. rief aus: »Griechenland ist über die Alpen gezogen!« da er Reuchlin hörte. Geborne Römer hörten ihn, einen Schwaben, mit Lust Latein sprechen. Nach Orient hin hat er uns die Thür geöffnet, zu den verschlossnen Heiligthümern des Worts Gottes und der morgenländischen Weisheit den verödeten Weg wieder gebahnt, Morgenland nicht blos wiedergefunden, sondern auch verfochten bis ans Ende seines Lebens und es von dem ihm gedrohten Untergange als ein Held, der sich aufopferte, gerettet. Wem dies Alles noch zu wenig sein möchte, einen Mann von solchem äußern Verdienst zu ehren, dem würde alle Predigt über seine innere Größe wenig behagen.

Und doch bleibt diese wol der edelste Zug seines Charakters: die Seele nämlich, womit er all jene Verdienste sich erwarb und beseelte. Es herrscht in seinen Aufsätzen, selbst bis auf seine Vorreden (z. B. zu seinem ebräischen Wörterbuch an seinen Bruder), seine Vertheidigungen der Kabbala und der Rabbinen, eine Stille und Tiefe des Geistes, die da zeigt, daß er die Perle funden habe und über die Schalen und Hüllen der Wissenschaft ihren Kern gekostet. Seine Briefe und sein Betragen zeigen eine außerordentliche Mischung tiefer Stärke und heldenmäßiger Bescheidenheit, nachgeben zu können, als ob er nichts wäre, und ein unüberwindlicher Fels zu sein für Recht und Wahrheit. Er sah die Literatur, zumal die morgenländische an, wofür man sie ansehen sollte, hatte tiefes Gefühl für ihre innere Kraft, Gottheit und edle Einfalt. Selbst wo er, zu nahe den Rabbinen und der damals blühenden Platonisch-Pythagoreischen Philosophie, uns überspannt scheint, sieht man den Menschen von Kraft und Weisheit. Auch den Streit gegen die Pfefferkorne und Consorten hielt er nicht als Gelehrter aus, sondern als Mann von Recht, Pflicht, Wahrheitsliebe und mildem Vatergefühle.

Hätte der Edle einen Lebensbeschreiber wie Zwingli neulich an Nüscheler gefunden! Sein Landsmann May (Majus)Vita Reuchlini, Durlaci 1687, mit einem abscheulichen Bildniß. – H. wollte ihm nacheifern, schrieb auch sein Leben; es ward aber eine aufgeblasene, ekle Lobrede mit einem Wust von Noten ohne Zweck und Gestalt. Seines bessern Landsmannes BruckerBrucker's »Ehrensaal«, zweites Zehend. – H. Zweck war's nur, die Außengeschichte seines Lebens zu seinem Bilde zu stellen, wohin wir auch nebst Denen, die seine Briefe gesammelt, die Leser verweisen. Niemand hat mehr für ihn gethan und gefühlt als Hermann von der Hardt, der nach seiner eignen Gelehrsamkeit ihn recht zu schätzen vermochte. Er spricht von Reuchlin, wo sich nur von ihm sprechen läßt,Lutheri et Reuchlinii harmonia; Aurora in Reuchlini senio; Programmata Hardtii. – H. feierte jährlich seinen Sterbetag mit sonderbaren Gebräuchen; den zweiten Theil seiner Literaturgeschichte der Reformation hat er ganz mit Reuchlinianis gefüllt.Historia literaria Reformationis Hardtii, P. II. Num Reuchlinus fuerit ansa reformationis etc. – H. Alle das sind Vorarbeiten für seinen künftigen Lebensbeschreiber, der an Reuchlin recht den Morgenstern der Reformation und einen Schatz von Kenntnissen und Seele der Zeit finden wird, wenn er's zu brauchen und uns zu geben wüßte. Reuchlin's Freunde standen ihm zu nahe; wir stehn ihm zu weit und fast zu schief, da er doch ewig nicht blos der Erwecker, sondern, was noch mehr ist, der Beschützer der orientalischen Literatur bleibt. Lasset es sein, daß er sie noch mit fremden Binden umwickelt sah und hinter sich ließ; eben das erhöht sein Verdienst, daß er durch diese Binden hindurch zu blicken wußte. Er sprach das Machtwort: »Stehe auf! komm herauf, Todter!« Der Todte kam, wie er war, mit rabbinischen Grabtüchern umwunden und sein Haupt mit dem Schweißtuch der Kabbala verhüllt; das zweite Wort war und ist ungleich leichter: »Löset ihn auf und lasset ihn gehen!«Nach dem Berichte der Evangelisten von der Erweckung des Lazarus. – D. Und das ist das gelobte Verdienst der Folgezeiten Reuchlin's gewesen.Den Wunsch einer würdigen Lebensbeschreibung Reuchlin's hat in unserer Zeit L. Geiger auf das Glänzendste erfüllt. – D.

 


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