Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Eine Muthmaßung über die Sündfluth.J. von Müller's Ueberschrift: »Revolution der ersten Welt nach den ältesten Traditionen«, scheint von Diesem selbst herzurühren; der Aufsatz war wol ohne alle Ueberschrift und ursprünglich eine Vorarbeit zum zweiten Theil der »Ideen« oder für diese bestimmt. Vgl. Herder's Werke, X. S. 178, 180. Aus der Anführung von Pagès ergiebt sich, daß der Aufsatz nicht vor Ende 1783 geschrieben sein kann. Müller meinte, es sei die am Ende des zweiten Theiles der »Ideen« in Aussicht gestellte Ausführung. – D.

 

Die erste Welt ist untergegangen, sagt eine Reihe der alten Traditionen, und die unsere beschreibt uns sogar die Art des Unterganges mit einer Tageschronik darüber;1. Mos., 6–9. – H. ja, sie geht, sich selbst wenigstens gleichförmig, von dieser Ueberschwemmung auf die Geschichte einer ganz veränderten Welt aus. Was ist von ihr zu halten? Sie klingt einer Fabel so ähnlich.

Es ist keineswegs zu leugnen, daß über die sogenannte Sündfluth Träume geträumt sind, die uns fast der Name »Sündfluth«Althochd. sinvluot, mittelhochd. sintvluot, »große Fluth«. – D widrig machen möchte. Wo irgend auf oder unter der Erde ein Schalenthier oder eine Meertrümmer sich zeigte, sollte es ein Zeichen der Mosaischen Ueberschwemmung sein, ohne daß man zusammenrechnete, wie kurz diese gedauert habe, und wie lange, wie wiederholte Zeiten jene zu ihren Erdverkörperungen nothwendig bedurften. Ja, da es ausgemacht ist, daß unsere ganze Erde Meeresgrund gewesen und nur aus Wasser und im Wasser bestanden sei, so haben diese sogenannten stummen Zeugen der Sündfluth großenteils ihren Glauben verloren. Der Ueberschwemmungen auf unserer Erde sind so viele und verschiedene gewesen, daß man den Ocean aus einem Landsee ableitet, wenn man eine Frist von 150 Tagen zur Ursache Alles dessen macht, was sich allenthalben Meerartiges findet. Ich muß also bekennen, daß die sinnreichen Theorien Burnet's, Whiston's, Woodward's u. A. bis zu de Luc's berühmter neuerer Hypothese für mich wenig Ueberzeugendes haben. Die letzte z. B.De Luc's »Physicalische und moralische Briefe«, B. 2, Brief 137–140 u. 147. – H. (denn über die andern ist schon gnugsam geurtheilt) läßt das ehemalige feste Land nicht überschwemmen, sondern mit allen seinen Einwohnern einbrechen und versinken, dafür ein ganz anderes Land, unsere jetzt bewohnte Erde, aus der Tiefe des Meeres steigen. Beide Theile der Hypothese scheinen mir selbst der Mosaischen Erzählung, der zu gut sie doch eigentlich erfunden sind, völlig entgegen. Der Naturgeschichte getreu, setzt Moses den Ursitz des Menschengeschlechts in kein untergesunkenes Südland, sondern an den uns bekannten Rücken der Erde, dessen noch jetzt vorhandene Flüsse er sogar ihrem Lauf nach beschreibt. Sein Urland also existirt noch und ist genau das, was wir dem Bau der Erde nach zum Urland der Erde wählen müßten. Wir kennen nichts Aelteres, nichts Festeres als jene Urgebirge, die Pfeiler unserer Welt, auf die regelmäßig ist gebaut worden; ja, manche Gipfel derselben hat scheinbar nie das Wasser berührt. Als Garte betrachtet, ist dieser Welttheil ein alter Garte; und wenn Moses' Erzählung gelten soll, so zeigt ja sein Oelblatt, der Acker- und Weinbau, der nach der Ueberschwemmung sofort anfing, wie auch der ganze Faden seiner Tradition, daß er von keinem alten Meeresschlamm rede, der, jetzt erst aus der ewigen Tiefe gestiegen, den ersten Sonnenstrahl sauge.

Lasset uns also, nachdem beinahe alle Dichtungen über diese Tradition von den scharfsinnigsten Männern erschöpft sind, uns treu an die Erdgeschichte halten und sehen, was sie uns sage.

 

Zuerst fällt jedem beobachtenden Auge als sonderbar auf, daß das große feste Land unserer Erde nicht liegt, wo man es nach den Bildungsgesetzen einer flüssigen Sphäroide suchen sollte, um den Aequator. Hier hatte unsere Kugel die größten Durchmesser, die größte Schwungkraft, die meiste Friction; hier also sollte sich auch ihre größte Erdhöhe, ihr festestes Land und die längsten Strecken der Gebirge gesetzt haben. Aus der Theorie der Erdbildung folgt dieses so augenscheinlich, daß Buffon, selbst dem Anblick der jetzigen Erde zuwider, die höchsten Berge dahin legt. Indessen liegen sie nicht da: die asiatische Erdhöhe ist weit gegen Norden, die Andes durchschneiden den Aequator, wie sie den ganzen Welttheil durchschneiden, und die weiteste Breite aller vier Erdtheile liegt weit über der Linie, der nur Meer, Inseln und die letzten Strecken des Continents bleiben. Woher diese Sonderbarkeit gegen den Bau der Erde?

Zweitens. Die ganze Reihe der nordischen Länder jenseits des großen Gebirges zeigt in ihren Versteinerungen, daß sie voraus entweder zur heißen Sphäre gehört oder doch ihr nahe gelegen habe. Die Elephantengerippe in Sibirien und dem ganzen ihm parallelen Europa bis nach Nordamerika hin sind sattsam bekannt;Buffon, »Epochen der Natur«, Epoche 5. – H. sie liegen nur wenige Schuhe unter der Erde und sind zum Theil noch unversehrt.Pallas, »Beobachtungen über die Berge«. – H. Vom entgegengesetzten Ende der Welt können sie in diese Gegenden nicht geschwemmt sein, sondern höchstens aus einem benachbarten Lande. Diese jetzt so kalten Länder waren also einst dem heißen Klima näher, wie auch die große Menge hie und da gegrabener indischer Pflanzen beweist; woher dieses?

Drittens. Die Südwelt dagegen hat eine Beschaffenheit, die ebenso sehr befremdet. Im südlichen Amerika sind keine Rhinoceros-, keine Elephantengerippe gefunden worden; das Land hatte also nicht nur selbst keine, sondern sie kamen auch aus Nordamerika dahin nicht hinüber. Kein Rennthier, kein Bison, kein canadischer Hirsch findet sich auf seinen Schneegefilden; die untern Wüsteneien der Andes haben wenig oder keine größeren Landthiere. An Wasser fehlt es der letzten Landstrecke Amerika's ebenso sehr; die tapfersten Nationen müssen Hunderte von Meilen Moräste suchen und zum Theil von Feldratten leben. So schöne Striche die Küste der Hottentotten hat, so ermüdet durstig reist man mit Sparrmann auf der mittleren Wüste ihres stromlosen Landes. Wie sehr es Neuholland, einem Welttheil, groß wie Europa, an Flüssen, an Wasser, an Landthieren fehle, ist bekannt; tiefer hinab (indeß noch weit über den Polarzirkel) zeigt uns die Natur schon ihre ganz nackten Felsen. Woher dies? Woher, daß die gesammte Südwelt in Allem so weit nach ist, arm an Ländern und fruchtbarer Erde, arm an Strömen, trotz ihrer Berge, arm an Landthieren, trotz ihres zum Theil schönen Klima? Nehmen wir diese drei Paradoxe zusammen, so hört alles Paradoxon auf. Die Nordwelt rückt herunter: so erklären sich ihre Elephanten und indischen Kräuter; so tritt das feste Land in seiner größten Breite um die Linie; so streckt sich nach ihr auf dem obern Hemisphär die Höhe der Berge; die Südwelt mit ihren nackten Spitzen, mit ihren kahlen Gebirgen, mit ihrer todten Gestalt rückt näher dem Südpol zu: mithin ist Alles erklärt. Auch wird das Südhemisphär nicht mehr die einzige große Gruft des Meeres, sondern die Wasser sammeln sich, wohin sie gehören, unter beide gedrückte Pole.

Viertens. Mehr als einem Bemerkenden sind die Spitzen aufgefallen, mit denen sich alle Welttheile südlich endigen. Man sehe Amerika, Afrika, Asien beim Cap Comorin und Neuholland an; die Uebereinstimmung fällt ins Auge. Auch bemerkt Reinhold Forster,Forster's »Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt«, S. 3 f. – H. daß oberhalb dieser Spitzen das Land westlich einen großen Busen, östlich eine oder mehr Inseln bilde; was ist hievon die Ursache? Forster räth auf eine Ueberschwemmung von Südwest; woher diese Ueberschwemmung? ist sie, wie der genannte Naturphilosoph meint, ihrer Zeit und Bestimmung nach unerforschlich?

Fünftens. Jedem, der auf die Karte sieht, fallen bei dem Weltmeer nicht nur aus- und einspringende Winkel, sondern auch zwischen manchen sehr entfernten Ländern gerade parallel aus- und einspringende Küsten ins Auge, wovon Amerika gegen Afrika das offenbarste Beispiel giebt. Wo Südamerika eine große Spitze macht, macht Afrika einen Busen; es ist, als ob das atlantische und äthiopische Meer sich von Norden herab oder Süden hinauf wie ein ungeheurer Strom, und also nach Art der Ströme mit aus- und einspringenden Winkeln seinen Weg gebahnt habe. LambertMémoire de l'Académie de Berlin, 1767, p. 25. – H. hat das Phänomenen so weit ausgebreitet, daß er den Ocean wie einen Strom betrachtet, der am östlichen Asien einen Weg bei Kamtschatka hinauf und unter Neuholland hinunter genommen, bis der obere Arm sich mit dem atlantischen, der andere mit dem Stillen Meer begegnet und beide sich in dieselben ergossen haben. So unausgearbeitet Lambert diese Hypothese giebt, indem er einen widersinnig fließenden Strom des Weltmeers nicht erklärt, ihn auch gegen den Anblick der Küsten über seine Schranken treibt, so fehlt es der Hypothese dennoch nicht an Wahrheit. Einmal muß das Meer, nur nicht als Strom, sondern als Ueberschwemmung, einen so widernatürlichen Weg genommen haben, wie alle Buchten des östlichen Asiens und der Herabstrom des atlantischen Meeres zeigen. Daß noch jetzt die Nordsee hoch stehe, beweist Holland, das sich kaum mit seinen Dämmen schützt. Auch ist die Fahrt auf dem atlantischen Meer mit dem beständigen Nordostwinde viel schneller hinunter als hinauf; dagegen an den Küsten von Guinea, Angola, Congo, zumal im südlichen Amerika der Südwind herrscht. Was war nun die Ursache, warum sich alle Busen des süd- und östlichen Asiens südwestlich, die Busen des nördlichen Asiens, ja die ganze westliche Küste von Europa, Nordamerika und Afrika nordwestlich bildeten, bis der atlantische Strom beim mexicanischen Busen sich herauswand und Südamerika ostwärts, Afrika dagegen mit seinem einzigen großen Busen westwärts umschränkte? In der Bewegung unserer Erde und im Strom des Weltmeers von Ost nach West liegt keine Ursache dieser Bildung, ja, in den meisten Fällen ist dieser jenem Lauf ganz entgegen.

Nehmen wir die Erklärung der ersten drei Paradoxen mit diesem vierten und fünften zusammen, so erklärt sich abermals Alles dergestalt durch einander, daß unser festes Land keinen andern Umriß empfangen haben konnte. Hatte sich unsere Erdachse so verändert, daß, da einst nach den Gesetzen der Kugelbildung das höchste und breiteste Land um den Aequator lag, unsere nördlichen Länder, wie ihre Fossilien zeigen, der heißen Zone näher, dagegen die wasserlosen nackten Strecken der Südwelt dem Südpol näher lagen, jetzt aber das breiteste feste Land in das nördliche Hemisphär kam: so mußte erfolgen, was unser Erdball zeigt. Das Meer, das nach den Gesetzen der Sphäroide sich vorher gleicher um die beiden Pole gelagert hatte, trat aus seinem alten Ufer hervor. Von Süden aus nahm es die größte Höhe der Erde ein und überschwemmte, so weit es zu überschwemmen vermochte, bis es nördlich abfloß und mit den Wassern des Nordpols im atlantischen Meer seinen Abstrom, im weiten Stillen Meer endlich seinen Ruheort fand. Siehe da die große Ueberschwemmung der alten allgemeinen Tradition, für die ich nichts dichte, die sich uns aber aus mehrern sonst unerklärlichen Phänomenen aufdringt und, als ob sie dazu aufbehalten wäre, uns diese Paradoxen erklärt! Was man in Moses' Erzählung unglaublich und lächerlich gefunden hat, wird in diesem Zusammenhange eben nach seinen kleinen Umständen naturhistorische Wahrheit.

Denn 1) Moses' Ueberschwemmung dauert nicht lang: 40 Tage schwillt das Gewässer, 150 Tage steht's und fängt an zu sinken; in einem Jahr und elf Tagen ist die traurige Revolution vorüber. Warum in einem Jahr und elf Tagen? Weil, wenn man damals Mondjahre zählte, dies gerade unser jetziges Sonnenjahr ist und die Veränderung der Erdachse sich in Jahresfrist zutrug. Da nun die Ueberbliebenen, von denen diese Nachricht redet, an der höchsten Erdhöhe gerettet wurden, so ist kein Zweifel, daß daselbst einem großen Umfang nach das feste Land schon trocken sein mußte. Ueberhaupt goß sich das Meer von Süden nach Norden gleichsam nur über und nahm seinen Abfluß: dies sagen die in der nördlichen Welt zusammengeschwemmten Thiere, dies sagt der tiefe Abhang der sibirischen Küste. Wie es in andern Erdgegenden gestanden habe, konnte diese Tradition nicht melden; sie beschreibt, was auf dem Erdrücken vorging, auf dem diese Erretteten lebten.

2) Die Tradition macht die Ueberschwemmung allgemein, und aus den angezeigten Gründen konnte sie in diesen Gegenden nicht anders als also sein. Ob sie alle Berggipfel der Erde überschwemmt, ob sich nirgend etwas Lebendiges auf den Gebirgen gerettet habe, mögen wir aus ihr nicht entscheiden; denn sie ist eine Nationalsage, die mehrere Völker haben. Die Chaldäer sprechen von ihrem geretteten Xisuthrus, und da beide Völker Nachbarn waren, beinahe mit den Umständen dieser Sage. In der indischen Mythologie betreffen viele Fabeln offenbar diese Ueberschwemmung. Zu Ende des dritten Weltalters war es die erste Verwandlung des Wischnu, daß er in Gestalt eines Fisches den Ueberschwemmten zu Hilfe kam und ihnen in ihrem rettenden Fahrzeuge zum Steuerruder diente; in einer andern Verwandlung nahm er die Gestalt des Ebers an, der mit seinen Hauern die versunkene Welt aus dem Abgrunde holte; er stützte sie in Gestalt einer Schildkröte, als die Riesen den Mittelberg der Erde ins Meer warfen u. s. w. Dergleichen Sagen sind fast bei allen Völkern, zumal bei denen, die nahe an den Urgebirgen wohnten. Da die Ueberschwemmung langsam kam und bald wegging, so war, wiewol mit äußerster Müh' und Beschwerde für so viel Thiere und Menschen, Rettung möglich, als die Vorsehung erretten wollte. Der sogenannte Kasten Noah' war eigentlich nur ein großes Haus mit einem für seinen Erdstrich zu rettenden Haushalt; warum sollte es in andern Erdstrichen nicht dergleichen Errettungen der Vorsicht gegeben haben? Doch wir fahren lieber fort in unsern Bemerkungen klarer Naturphänomene.

Sechstens. Gnugsam bekannt ist's, daß die magnetische Achse unserer Erde mit ihrer natürlichen nicht einerlei sei, sondern daß sich sowol nach der Abweichung als Neigung der magnetische Meridian und Aequator um die Erde winde. Zwar sind die Karten hierüber noch sehr unvollkommen und werden noch lange unvollkommen bleiben; das Hauptresultat indessen ist klar und führt auf sonderbare Folgen.

1) In ganz Europa, Afrika und dem größten Theil von Asien ist die Abweichung nordwestlich, und zwar größtentheils also (denn kleine Localausnahmen sind aus hundert Ursachen unvermeidlich), daß, je weiter ostwärts, sie desto mehr abnimmt, bis sie sich in China und Japan gar verliert. Weiterhin wird sie östlich, nimmt bis an die westlichen Küsten von Amerika zu, wo sie wieder abnimmt, sich in Canada verliert und dann abermals bis nach Europa hin der genannten westlichen Abweichung sich nähert. Jedermann fällt ins Auge, daß im Ganzen die festen Erdtheile hiebei die Direction zu leiten scheinen. Die ganze alte Welt declinirt westlich; hinter ihren östlichen Küsten fängt die östliche Abweichung an; sie nimmt bis zu den Küsten Amerika's zu, fängt mit diesen sich an zu vermindern, verliert sich mit diesen, und die gegenseitige tritt mit den Küsten Europa's und Afrika's ein – immer ein sonderbarer Umstand. Ebenso sonderbar ist's, daß die Linie ohne Declination von Nordamerika aus sich nach der Biegung des atlantisch-äthiopischen Meeres richtet, und die andre, die über Neuholland geht, von Jeniseisk in Sibirien ab ihr parallel zu laufen scheint.Halley's Karte der Abweichungen, die mehrmals nachgestochen ist und sich auch bei Musschenbroek's Physik findet. – H.

2) Noch merkwürdiger ist die Karte der magnetischen Neigung.Abhandlungen der schwedischen Akademie, Th. 30, S. 209. – H. Ihr Aequator ist mit dem Aequator der Erde weder gleich noch parallel; in Südamerika geht er etwa 15 Grade unter der Linie hervor, durchstreicht sie in Afrika und geht nahe bei China durch die Spitze der Philippinen, bis er im Stillen Meer wieder die Linie durchschneidet und sich in Südamerika zu seinem Anfang herabsenkt. Er streicht also 15 bis 20 Grade über und unter dem Aequator.

3) Sowol die Neigungs- als Abweichungskarten stimmen darin überein, daß der magnetische Nordpol nicht mit dem natürlichen Pol unserer Erde zusammen-, sondern etwa 15 Grad von ihm entfernt in die Baffinsbai treffe; und ebenso geben die Bemerkungen in der freilich viel unbekanntern südlichen Welt, daß der magnetische Südpol etwa auf die 20 Grade vom geographischen Südpol treffen möge.Euler setzte ihn 30 bis 40 Grade; s. aber Wilke, Th. 30 der schwed. Abhandl., S. 231. – H. Woher nun dieses? Da unsere Erde ein magnetischer Körper ist und sich nach dem von unserm zweiten Kepler, Tobias Mayer,Erxleben's Naturlehre, S. 438. – H. entdeckten Gesetz des Magnetismus die Kraft eines Magnets in jedem seiner Theile wie die Weite dieser von seinem Mittelpunkt verhält, warum treffen die magnetischen Pole, mithin die Längen und Breiten der magnetischen, nicht mit den Polen, Längen und Breiten der geographischen Erde zusammen? Warum ist die Richtung jener schief und des Nordpols eben nordwestlich? Warum ist die Entfernung des Pols vom Pol, des Aequators vom Aequator nicht mehr oder minder als 15 bis 20 Grade? Warum ändert sich die Direction der Abweichung eben mit den festen Welttheilen? Die Auflösung der vorhergegangenen fünf Paradoxen scheint auch dies sechste aufzulösen. Die Pole der Erde nämlich haben sich verändert, und zwar, wie uns die magnetische Karte wahrscheinlich machen könnte, um 15 bis 20 Grade. Der magnetische Nordpol, vorher mit dem geographischen eins, trat zurücke, da der südliche hinauftrat, und zwar geschah die Revolution diesem und den vorigen Factis gemäß von Ost nach West. Unsere Erde ist also ein umgekippter, anomalischer Magnet, da den Gesetzen seiner Bildung nach vorher seine Pole mit den Weltpolen wahrscheinlich regelmäßig zusammengetroffen haben. Die jetzige Divergenz seiner ältern und neuern Pole scheint Manches zu erklären, weshalb Halley vier Erdmagnete annehmen mußte; es ist aber hier der Ort nicht, diese Vermuthung auszuführen.

Siebentens. Die Schiefe unserer Erde gegen die Ekliptik ist so bekannt, als sie paradox ist; denn warum neigt sich unser Planet, und zwar in einem Winkel von 23 Graden? Nach den Gesetzen seiner Bildung, so weit sie uns bekannt sind, sollte sein Aequator dem Sonnenäquator gleich sein, weil, wenn die Kraft der Sonne auf seine Bildung wirkte, wie sie gewiß auf sein ganzes System gewirkt hat, ihr Aequator die meiste Kraft aussandte und der Aequator einer Sphäroide solche jenem parallel empfangen mußte. Auch zeigen die andern Planeten, daß dieser Winkel unter keinem allgemeinen Gesetz des Sonnensystems stehe, indem er in einem scheinbaren Mißverhältniß sich hier mehr findet, dort weniger findet, mithin allein in der zufälligen Beschaffenheit jedes Planeten seine Ursache zu haben scheint. Und da die Größe dieses Winkels mit allen voraus angeführten Naturparadoxen nahe zusammentrifft, ja mit dem magnetischen gewiß noch näher zusammentreffen wird, wenn diese genauer wird bemerkt sein, so scheint das siebente Paradoxon alle sechs vorigen zu erklären: nämlich die Erde schwamm einst auf der Fläche des Sonnenäquators, Tag und Nacht waren auf ihr gleich, ihre magnetischen waren die Weltpole, das höchste feste Land lag um den Aequator. Eine Revolution kam und veränderte, so wie den Schwerpunkt und die äußere Gestalt, so auch die Bahn der Erde. Indem der alte Südpol herauf-, der alte Nordpol nach Amerika herunterrückte, änderte sich das Klima der Länder nicht nur durch seine neue Lage, sondern auch durch die neuen Jahrszeiten des Planeten. Jetzt also ward die ganze Erde bewohnbar, da sie es vorher nur in einem kleinern Umfang sein sollte; und so begann die Geschichte unserer Jahreszeiten, unserer Menschheit.

Ich hoffe nicht, daß in unsern Zeiten Jemand eine Revolution wie die, die ich muthmaße, für unmöglich oder der Natur der Dinge zuwider halten werde; denn obgleich freilich mit der Veränderung unserer Erdachse bisher sehr gespielt worden, so kommt es dennoch darauf an, wie und aus welchen Gründen man sie behaupte. Schlechterdings ist in der irdischen Natur nichts beständig, und ein so vielartiger, zäher und spröder Körper, als unsere Erde nach den Theilen und der Art ihrer Zusammensetzung ist, muß nothwendig bei den mancherlei Kräften, die in und auf ihr wirken, auch einer Reihe von Veränderungen fähig sein, die demungeachtet ihren allgemeinen Gesetzen folgen. Da nun überdem noch nach tausend Phänomenen die Erde ein magnetischer Körper ist und wir unter den unbelebten Dingen nichts Zarteres und Regsameres kennen als das Bild unserer Erdachse, die Magnetnadel: so macht uns schon diese Immerbewegliche auf ähnliche Veränderungen jener aufmerksam. Denn wie mancherlei Dinge wirken auf die Magnetnadel! Feuer, Licht, Kälte, selbst der Nordschein, blos ihre Lage, Behandlungen derselben von der verschiedensten Art haben sie aufs Verschiedenste verändert; ja, ein Blitz kann sogar ihre Pole verwechseln. Da nun nach der Theorie des Magnetismus und allen Erfahrungen gerade der Aequator die Gegend ist, wo sich die Ströme beider Pole vermischen und am Schwächsten wirken, mithin auch hier die Kraft des Ganzen am Ersten verändert werden kann, und sobald dieses geschieht, nothwendig beide Pole, die nie ohne einander bestehen, sich gemeinschaftlich verändern mußten: mich dünkt, so leitet uns schon die Theorie auf das, was uns die Erfahrung zeigt. Der Astronom tritt hier dem Physikus nach, und auch unter jenen ist's ja noch so ausgemacht nicht, ob sich der Winkel der Ekliptik nicht noch jetzt unmerklich verändere? Die periodische Veränderung derselben blos durch die Kraft des Mondes ist bereits nach Gesetzen berechnet worden; und die weit beträchtlichere, die nach den Perioden ihrer Bildung selbst vorgehen mußte, wird wahrscheinlich einst berechnet werden.

Und so hangen denn die Märchen der ältesten Tradition mit den Phänomenen der ältesten Naturgeschichte zusammen und werden von dieser erklärt. Die Sagen aller alten Völker reden von einer ersten goldenen Zeit, in der auf der Erde Tag und Nacht gleich gewesen, in der die Menschen länger und glücklicher gelebt, in der Göttersöhne oder Halbgötter geherrscht, in der die Riesen Frevelthaten begangen haben u. s. w. Von China bis zur neuen Welt erstrecken sich diese Sagen, die die Denkart jedes Volkes sich eigenthümlich modificirte; auch die versunkne Atlantis gehört zu ihnen, die nach der griechischen Fabel nicht nord- oder ostwärts, sondern westlich lag und also wahrscheinlich vom Durchstrom des atlantisch-äthiopischen Meers überschwemmt worden. Insonderheit aber wird jeder Zug der alten Mosaischen Tradition hiemit erklärt. Der Mittelberg der Erde, den alle asiatischen Sagen unter den Aequator setzen, ist daselbst nicht mehr; die vier Ströme des Paradieses rinnen nicht mehr aus einer Quelle, sie fließen 25 und mehrere Grade über dem Aequator. Unsere blos zusammenstellende Hypothese giebt davon die Ursache an; nicht minder die Ursache von den veränderten Jahreszeiten, an die auch Moses zu denken scheint,1. Mos. 8, 22. – H. und von dem verkürzten Lebensziel der Menschen. Die Elephanten der alten Erde sind stärker und größer gefunden worden;Buffon's Epoche 5. – H. der Bau der Menschen muß also von ähnlicher Beschaffenheit gewesen sein, und die Fabel hat ihn zur Riesengestalt erhoben. Auf jener Erdhöhe nämlich, auf der noch jetzt jeder Körper sein wahres Gewicht verliert, ob ihm gleich nichts von seinen Theilen entgeht, auf jener Erdhöhe, auf der der Pendul sich langsamer schwingtCondamine's und Vouguer's Erfahrungen hierüber sind bekannt. – H. und das Gold weniger wiegt, auf ihr war nothwendig auch der organische Bau der Lebendigen leichter, elastischer, größer. Langsamer verzehrte sich ihre Lebenskraft; denn der Schwung ihres Gewichts war gleichsam auf einen längern Bogen berechnet. Noch jetzt, bei völlig veränderter Oekonomie der Erde, wohnt der größte Menschenstamm auf einer, wiewol kalten, südlichen Erdhöhe, und die Riesenkörper der alten Scythen hatten wahrscheinlich eine dergleichen Nordhöhen zu ihrem Vaterlande. Die Ausschweifungen, die die alte Tradition ihren Göttersöhnen beimißt, Uebermuth und Wollust, sind noch jetzt Charakter der Aequatorsbewohner; ein elastisches tieferes Gefühl ihres sinnlichen Daseins ist überall ihr auszeichnendes Gepräge;S. alle Reisebeschreiber und noch neulich Pagès, Voyages, T. 1. p. 188. – H. [Die »Voyages« von Pagès erschienen 1782. Sie wurden Ende 1783 Herder bekannt. – D.] und doch, ist ihr Erdstrich nicht mehr, was jener smaragdene Erdring der Fabel mit seinen erdichteten Städten, dem Vergnügen und Verlangen, den Palästen und Zauberschlössern der Peris und Genien waren. Er ist zerbrochen, dieser Ring; das Land des Paradieses ist von seiner Stelle gerückt und lebt jetzt nur im Andenken der alten Fabel. Auch die Wunderthiere, von denen diese in vielen Ländern vielförmig dichtet, scheinen nicht ohne allen physischen Grund, da z. B. das eine große Thier der Urwelt, das man in Nordamerika gefunden, jetzt wirklich nicht mehr lebt; warum könnten also, ja warum müßten nicht bei dieser ursprünglich andern Stellung der Erde manche seiner Brüder gelebt haben, die die spätere Fabel nachher nothwendig sehr reich ausschmückte? Auch daß der Regenbogen erst nach der Ueberschwemmung angestaunt und als ein Zeichen der Huld gefeiert wurde, weist dahin; die Erretteten mußten eines Himmelstrichs gewohnt sein, wo ihnen der Regen fremd gewesen, wo also, wie es auf dieser Erdenhöhe sein mußte, das regelmäßige Aufsteigen der Dünste aus den Nord- und Südmeeren des Tages wie ein Wolkenschirm war, der ihnen das brennende Antlitz der Sonne bedeckte und Abends als ein erquickender Thau sich zur Erde senkte.1. Mos. 2, 5. 6. Noch jetzt wird unter der Linie die Hitze durch den dichten Schleier von Wolken gemildert, der sich den ganzen Frühling durch vor die Sonne zieht. S. Ulloa, Th. 1, S. 66. Damals war ein solcher ewiger Frühling. – H. Alles dieses folgt aus der Natur der angenommenen und wird annähernd noch durch die jetzige Beschaffenheit jener Zone bewiesen. Tradition und Naturgeschichte stimmen zusammen, und wenn eine von beiden nicht gesprochen hätte, müßte man sie aus der andern ergänzen.

Achtens. Wenn also von dieser Revolution so viele, so verschiedene Zeugen sind, was in der Welt hätte sie bewirkt? Sollen wir einen Kometen zu Hilfe rufen, der zwischen der Erde und dem Mond wegfahre und sie auf eine unmögliche Art ersäufe? Seitdem ein Komet die scharfsinnigsten Männer, wie z. B. Buffon und Whiston, soweit verführt hat, ist mir vor allen gelehrten Kometen bange, deren Zusammentreffen mit unserer Erde, auch astronomisch, weder Analogie noch Wahrscheinlichkeit vor sich hat.S. Prosperin's Abhandlung über der Kometen kleinsten Abstand von der Erdbahn, Schwed. Abhandl., Th. 37, wo er auch über de Lalande's Réflexions sur les comètes qui peuvent approcher de la terre, Paris 1773, sich kurz erklärt. – H. Keine der alten Traditionen, die von dieser Ueberschwemmung reden, gedenkt eines Kometen, dessen man doch gewiß, als eines furchtbaren Himmelsboten, im astronomischen Asien würde gedacht haben. Warum bedürften wir auch eines unbekannten Maschinengottes, da im Bau und in den Lebensaltern der Erde selbst Revolutionen der Art mit allen ihren Folgen nothwendig liegen. Der Leser gönne mir noch einige Geduld, meine Vorstellung nach Thatsachen der Natur zu vollenden.

Hat unsere Erde sich unleugbar aus einem flüssigen Zustande gebildet, so konnte sie sich weder auf einmal dichten, noch immer dieselbe Bahn oder Schwungkraft haben. Als einst ein kleiner Kern ihren Mittelpunkt machte und der ganze Vorrath ihrer künftigen Schöpfung in einer weiten dunkeln Atmosphäre hing, hatte sie als ein kometenartiger Körper auch wahrscheinlich die Excentricität eines Kometen; denn was scheinen diese schießenden Boten des Himmels anders zu sein als unausgebildete Kerne mit einer großen Atmosphäre, die sich durch ihren Lauf zur Sonne allmählich zum Planetenzustande rüsten. Als die Schöpfung der Erde begann, erhielt diese auch den Lauf eines Planeten; denn nur hiedurch konnte sie, was sie ist, werden. Vermutlich also auch daher bezeichnete der älteste Philosoph der Urwelt1. Mos. 1. – H. die Entwicklung ihrer organischen Wesen durch kein anderes Zeitmaß als der Tage und Nächte, weil zur Bildung ihrer selbst sowol als zur Organisation ihrer Geschöpfe die Umwälzung und Bahn eines Planeten nothwendig erfordert wurde. Mußte sich diese nach der Masse und Schwungkraft unserer Erde richten, so konnte, ja, so mußte der Fall eintreten, daß, ehe sie zu ihrem Zustande der Austrocknung gelangte, in einer Periode, da vielleicht noch ein dickerer Luftkreis sie umgab, mehr Wasser auf ihr stand und sie hie und da noch leichter zusammengeballt war, sie auch eine andere Gestalt hatte und einen etwas andern Lauf um die Sonne machte. Vielleicht kam sie schon in 360 Schwüngen umher, da bei mehrern Völkern auf der Erde das älteste Sonnenjahr nur 360 Tage faßt,S. Weidler, Historia astronomiae, p. 18; Bailly »Geschichte der alten Sternkunde«, S. 71. Indessen ist diese Vermuthung nur zufällig und gehört nicht nothwendig zur vorgetragenen Hypothese. – H. und so gehörten etwa in diesen Zustand einer mit Dünsten beschwängerten Luft, einer noch nicht völlig reifen Erde jene größern Körper mit ihren längern Jahren, von denen die Tradition redet.

Je mehr aber die Erde reifte, je fester sie sich setzte, was konnte entstehen, als was entstanden ist? Ueberschwemmungen und früher oder später eine Hauptsenkung, deren Spuren sie noch an sich trägt. Ein Blick auf die Karte beweist, was ich sage. Wo sind die großen Meere auf unsrer Erde? Nirgend, als wo wenige Inseln sind; wie dies sowol das atlantische als das südliche und Stille Meer beweisen. Hier waren also wenige hohe Bergketten, und wenn Land da war, war es locker gebaut; es konnte mit der Zeit einer Revolution der reifenden Erde nicht widerstehen. Dagegen jenes große Asien mit seinen festen Gebirgen wie ein unerschütterter Fels dastand, der zwar benagt, der von Wellen bespült, von dem durch kleine Meerengen Inseln getrennt werden mochten: der Fels aber stand und wird stehen bis ans Ende der Erde. Was hingegen austrocknend und dichtend sich senken mußte, das senkte sich und ging unter. So ward also jenes große, insellose Stille Meer das Becken der Erde. Die Länder, die etwa bei Bildung der Erde sich in ihm erzeugt hatten (denn die wenigen Inseln, die in ihm liegen, scheinen offenbar einem Gebirgstrich zu folgen), die lockern Länder sind nicht mehr. Als Continent konnten sie sich nicht erhalten, und aus den Trümmern ihrer animalisch kalkartigen Materien bauen die Korallenthiere seit Jahrtausenden künstliche Inseln.

Neuntens. Was am Meisten diese Senkungen beförderte, waren nothwendig jene Erdbeben und Vulcane, die in den frühern Perioden der Erdbildung so wirksam und mächtig gewesen sind, wie ihre Producte zeigen. Zum Bau und Anbau der Erde trugen sie ohne Zweifel viel bei, da sie mit ihren Lavaströmen den Boden deckten und mit ihrem Feuer so viele gebundene Massen von Luft und Wasser aus den Kalksteinen auflösten; noch mehr aber halfen sie zur Verdichtung und Befestigung der Erde. Der Land- und Meererschütterer in den unterirdischen Höhlen riß an sich, was er an sich reißen konnte; das Uebrige blieb desto fester. Schauet umher! Allenthalben unter dem Ocean ist seine große Werkstätte, wo er zum Theil ausgewüthet hat, zum Theil auf Küsten oder Inseln noch wüthet. Ganze Strecken der Erde, ganze Eilande des Weltmeers sind sein Werk, und auch die meisten Buchten der Länder gehen nach Richtungen seiner Wirkung. Sehet den asiatischen Archipelagus anPallas in seinen Beobachtungen über die Berge (S. »Vermischte Beiträge zur physicalischen Erdbeschreibung«, B. 3. S. 280 ff.) leitet ebenfalls die große Ueberschwemmung, von der die alte Tradition redet, aus Erdbeben und Vulcanen des indischen Meeres her und sagt vortreffliche Sachen darüber; wenn aber keine andere Ursache dazukam, so konnten schwerlich die Vulcane des gesammten Weltmeers die Fluth über einen Welttheil wie Asien jagen, daß sie gegen den Pol abfließen müßte, gesetzt, daß sie auch nur die Kalkberge bedeckte. Die Macht einzelner Vulcane scheint mir nur ein schwacher Hebel zu dieser Weltverwüstung, da noch jetzt im indischen Meer eine große Menge derselben toben. – H. und verfolget die Vulcane von den Philippinen nach Japan, nach Kamtschatka und den kurilischen Inseln; gehet sodann in Amerika von den mexicanischen bis zu den peruanischen und den Vulcanen des Feuerlandes nieder: als flammende Wächter stehen sie da an schroffen Küsten und bewahren die Grenzen des Landes, redende Zeugen, daß in ihrer Nähe aus unterirdischen Klüften und Höhlen, die auch jetzt noch unter dem Stillen- und Südmeer weit fortziehen, der Welterschütterer so viel zu sich gerissen habe, als er bewegen konnte. Daß auf der andern Seite unter dem atlantischen Meer die Erdbeben gleichfalls fortgehen und die Vulcane Amerika's mit denen in Europa sowie die entferntesten in Europa unter einander Gemeinschaft haben, bezeugen Begebenheiten, die wir zum Theil selbst erlebten. Und so sehen wir leicht die Ursache einer in den ersten Zeiträumen der bewohnten Erde durch natürliche nothwendige Mittel bewirkten großen Erdensenkung. Die Bildung des festen Landes zeigt sogar, in welchen Richtungen die Folge solcher Einstürzung, die Ueberschwemmung gegangen sei; unmöglich aber würde sie eine so mächtige Folge gehabt haben, wenn nicht mit ihr der Planet selbst aus seinem alten Gleichgewicht gebracht wäre. Daß bei andern Erdsternen ähnliche Senkungen, wahrscheinlich ebenfalls durch ungleichartige Eintrocknung, stattfinden mögen, sehen wir aus dem schiefen Winkel der meisten, in welchem sie sich um die Sonne umherziehen; der einzige Jupiter steht aufrecht, wahrscheinlich seiner Größe wegen, der keine Senkung etwas anhaben konnte, obgleich in seinen veränderlichen hellen und dunkeln Streifen noch die Vulcane wüthen mögen.

Gnug, auch die Sündfluth war eine Naturbegebenheit, moralisch und physisch eingewebt in die Menschengeschichte. Die Vorsehung, die sie nicht durch ein Wunder sandte, sondern ohne Wunder sie nicht verhindern konnte, hatte sie so schonend eingerichtet, als es die Natur des Erdkörpers zuließ. Sie hatte den Geburtsort des Menschengeschlechts auf Höhen des Welttheils gelegt, dem diese Revolution am Wenigsten anhaben konnte, dagegen die einbrechenden Länder des Südmeers wahrscheinlich noch nicht oder nur wenig bewohnt waren. Ein langer Regen kündigte die Ueberschwemmung an, der vielleicht die Vulcane aufweckte und die ganze Dunstatmosphäre hinunterzog, die nie mehr die der Erde werden sollte. Was also auch die Erretteten als ein Zeichen des gestillten Grimmes der Elemente ansahen, war ein Luftzeichen, der aufgehangene Bogen des zornigen Phöbus, der Thiere und Menschen getödtet hatte, und jetzt als ein Zeichen der Huld am neuen Firmament glänzte.

Da mit dem Schwerpunkt sich nicht nur die Neigung, sondern vielleicht auch die Bahn der Erde etwas verändert hatte, so wurden die fünf neuen Tage eines abwechselnden künstlichern Jahres allmählich bekannt und nicht ohne Mühe eingeschaltet; das alte gleichere Jahr war, wie es für ein junges Menschengeschlecht gehörte, leichter zu berechnen. Das Leben der Menschen in einer andern Atmosphäre, mehreren Veränderungen der Jahreszeiten unterworfen, kürzte sich also auch allmählich, dagegen aber auch jene Riesenkräfte, die bei einem längern Leben und einer roheren Natur allerdings viel Uebels unternehmen konnten, sich verloren. Jene Periode war zur ersten Consistenz des Menschengeschlechts nothwendig gewesen, weil bei einem Alter von mehreren Jahrhunderten die Tradition allerdings weiter fortging, das väterliche Ansehen sich mehr befestigte, die Gesellschaft Wurzel schlug und die Erfindungen, ohne die unser Geschlecht nicht bestehen konnte, sich sicherer vererbten. Nun aber diese Zwecke erreicht waren und sich bereits in schädlichen Folgen zeigten, auch eigentlich nur zur Grundlegung unseres Geschlechts dienen sollten, so änderte die Vorsehung den Plan ihrer Haushaltung mit unserem Geschlecht durch natürliche Ursachen unsers Wohnhauses und holte eben damit ihre andern, weitere und höhere, Zwecke nach, den ganzen Erdboden zu bevölkern. Gesenkt und niedergedrückt geht jetzt unser Planet und bettelt den Strahl der Sonne auch für seinen Polarzirkel. Die weitesten und breitesten Strecken auf ihm genießen ein gemäßigtes Klima, da sie vorher der Linie nahe in glückseliger Trägheit oder in übermüthiger Wollust das längere Leben der Menschen hinschleichen sahen. Die Abwechslung der Jahreszeiten weckte auch das menschliche Gemüth auf und bewirkte eine größere Verschiedenheit der Neigungen und Charaktere. Bald ward der Wein erfunden, von dem jene Welt nichts gewußt hatte, und allerdings kam damit raschere Begeisterung und trunkner Taumel in menschliche Seelen. Das Rad des Lebens, das kürzer laufen sollte, lief auch schneller; die Stämme blieben nicht mehr beisammen, wie es bei dem langen Leben der Altväter dort geschehen mußte; mit Gedanken und Neigungen liefen sie allmählich aus einander. Sprachen, Sitten und Völker vervielfältigten sich; man baute künstliche Regierungsformen, an die man in der Zeit des alten Saturn's nicht gedacht hatte; Jupiter und bald auch das Geld herrschten auf der veränderten Erde. Unleugbar ist's indessen, daß mehrere Völker nicht nur das Andenken dieser verlebten Urwelt in Sagen, Festen, Gebräuchen, Denkmalen und Bildern, sondern auch, so viel es anging, seine Sprache, Künste und Einrichtungen zu erhalten suchten; der Anfang der Völkergeschichte giebt davon Beispiele.

So muthmaße ich über diesen Traum der Kindheit unsers Geschlechts nach seinen ältesten, zum Theil weitverbreiteten Traditionen, verglichen mit der Naturgeschichte unserer Erde, und bin überzeugt, daß ein hypothesenloses Studium beider noch viel aufhellen werde.

 


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