Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Vom Erkennen und Empfinden
der
menschlichen Seele.Riga, bei Joh. Fr. Hartknoch 1778. Im März zeigt Herder dem Verleger an, daß das Manuscript bei Breitkopf in Leipzig zum Druck sei. Im Mai klagt er: »Welche Barbarei im Titel Vom Erkennen etc., welches Zusammendrängen der Zeilen, als ob Alles auf eine Seite müsse, und alle Mottos, die durch Seiten getrennt waren, auf eine Seite!« Gerichtet war die Schrift gegen die Abhandlung von J. A. Eberhard: »Allgemeine Theorie des Denkens und Empfindens« (1776). An Gleim schreibt Herder am 6. December 1778, die Bogen »Vom Erkennen und Empfinden«, die er für sich noch mehr achte als seine Plastik, seien aus der Berliner Preisaufgabe vor zwei Jahren entstanden, wo Eberhard so scheußlich gelobt und gekrönt worden sei; sie winkten nur von fern auf die ganze Welt von Ideen und Sachen, die Dieser mit keinem Finger berührt habe. – D.

Bemerkungen und Träume.

 

Τὸ πνεῦμα, ὅπου ϑέλει, πνεῖ, καὶ τὴν φωνὴ αὐτοῦ ἀκούεις, ἀλλ' οὐκ οἰὸας, πόϑεν ἔρχεται καὶ ποῦ ὑπάγει.Joh. 3, 8. – D.

 

Est Deus in nobis, agitante calescimus illo.
                          Virg.
Vielmehr Ovid. Fast., VI. 5. Auch Gleim (Werke, V. S. 117) schreibt diesen Spruch dem Virgil zu. Er fehlt im ersten Druck. – D.

 

Erster Versuch.
Vom Erkennen und Empfinden in ihrem menschlichen Ursprunge und den Gesetzen ihrer Wirkung.

 

In Allem, was wir todte Natur nennen, kennen wir keinen innern Zustand. Wir sprechen täglich das Wort Schwere, Stoß, Fall, Bewegung, Ruhe, Kraft, sogar Kraft der Trägheit aus, und wer weiß, was es inwendig der Sache selbst bedeute?

Je mehr wir indeß das große Schauspiel wirkender Kräfte in der Natur sinnend ansehn, desto weniger können wir umhin, überall Aehnlichkeit mit uns zu fühlen, Alles mit unsrer Empfindung zu beleben. Wir sprechen von Wirksamkeit und Ruhe, von eigner oder empfangener, von bleibender oder sich fortpflanzender, todter oder lebendiger Kraft völlig aus unsrer Seele. Schwere scheint uns ein Sehnen zum Mittelpunkte, zum Ziel und Ort der Ruhe, Trägheit die kleine Theilruhe auf seinem eignen Mittelpunkte durch Zusammenhang mit sich selbst, Bewegung ein fremder Trieb, ein mitgetheiltes fortwirkendes Streben, das die Ruhe überwindet, fremder Dinge Ruhe stört, bis es die seinige wiederfindet. Welche wunderbare Erscheinung ist die Elasticität! Schon eine Art Automat, das sich zwar nicht Bewegung geben, aber wiederherstellen kann, der erste scheinbare Funke zur Thätigkeit in edeln Naturen. Jener griechische Weise,Empedokles. – D. der das System Newton's im Traum ahnte, sprach von Liebe und Haß der Körper; der große Magnetismus in der Natur, der anzieht und fortstößt, ist lange als Seele der Welt betrachtet worden. So Wärme und Kälte und die feinste, edelste Wärme, der elektrische Strom, diese sonderbare Erscheinung des großen allgegenwärtigen Lebensgeistes. So das große Geheimniß der Fortbildung, Verjüngung, Verfeinerung aller Wesen, dieser Abgrund von Haß und Liebe, Anziehung und Verwandlung in sich und aus sich: der empfindende Mensch fühlt sich in Alles, fühlt Alles aus sich heraus und drückt darauf sein Bild, sein Gepräge. So ward Newton in seinem Weltgebäude wider Willen ein Dichter, wie Buffon in seiner Kosmogonie und Leibniz in seiner prästabilirten Harmonie und Monadenlehre. Wie unsre ganze Psychologie aus Bildwörtern besteht, so war's meistens ein neues Bild, eine Analogie, ein auffallendes Gleichniß, das die größten und kühnsten Theorien geboren. Die Weltweisen, die gegen die Bildersprache declamiren und selbst lauter alten, oft unverstandnen Bildgötzen dienen, sind wenigstens mit sich selbst sehr uneinig. Sie wollen nicht, daß neues Gold geprägt werde, da sie doch nichts thun, als aus eben solchem, oft viel schlechtern Golde ewig und ewig dieselben Fäden spinnen.

Aber wie? ist in dieser »Analogie zum Menschen« auch Wahrheit? Menschliche Wahrheit gewiß, und von einer höhern habe ich, so lange ich Mensch bin, keine Kunde. Mich kümmert die überirdische Abstraction sehr wenig, die sich aus Allem, was »Kreis unsers Denkens und Empfindens« heißt, ich weiß nicht auf welchen Thron der Gottheit setzt, da Wortwelten schafft und über alles Mögliche und Wirkliche richtet. Was wir wissen, wissen wir nur aus Analogie, von der Creatur zu uns und von uns zum Schöpfer. Soll ich also Dem nicht trauen, der mich in diesen Kreis von Empfindungen und Aehnlichkeiten setzte, mir keinen andern Schlüssel, in das Innere der Dinge einzudringen, gab als mein Gepräge oder vielmehr das widerglänzende Bild seines in meinem Geiste: wem soll ich denn trauen und glauben? Syllogismen können mich nichts lehren, wo es aufs erste Empfängniß der Wahrheit ankommt, die ja jene nur entwickeln, nachdem sie empfangen ist; mithin ist das Geschwätz von Worterklärungen und Beweisen meistens nur ein Brettspiel, das auf angenommenen Regeln und Hypothesen ruht. Die stille Aehnlichkeit, die ich im Ganzen meiner Schöpfung, meiner Seele und meines Lebens empfinde und ahne; der große Geist, der mich anweht und mir im Kleinen und Großen, in der sichtbaren und unsichtbaren Welt einen Gang, einerlei Gesetze zeigt: der ist mein Siegel der Wahrheit. Glücklich, wenn es auch diese Schrift auf sich hätte und stille, züchtige Leser, weil ich für andre nicht schreibe, ebendieselbe Analogie, das Gefühl von dem Einen, der in aller Mannichfaltigkeit herrscht, empfänden! Ich schäme mich nicht, an den Brüsten dieser großen Mutter Natur nur als ein Kind zu saugen, laufe nach Bildern, nach Aehnlichkeiten, nach Gesetzen der Uebereinstimmung zu Einem, weil ich kein andres Spiel meiner denkenden Kräfte, wenn ja gedacht werden muß, kenne, und glaube übrigens, daß Homer und Sophokles, Dante, Shakespeare und Klopstock der Psychologie und Menschenkenntniß mehr Stoff geliefert haben als selbst die Aristoteles und Leibnize aller Völker und Zeiten.

 

1. Vom Reiz.

Tiefer können wir wol die Empfindung in ihrem Werden nicht hinabbegleiten als zu dem sonderbaren Phänomenon, das Haller »Reiz« genannt hat. Das gereizte Fäserchen zieht sich zusammen und breitet sich wieder aus; vielleicht ein stamen, das erste glimmende Fünklein zur Empfindung, zu dem sich die todte Materie durch viele Gänge und Stufen des Mechanismus und der Organisation hinaufgeläutert. So klein und dunkel dieser Anfang des edeln Vermögens, das wir Empfinden nennen, scheine, so wichtig muß er sein, so viel wird durch ihn ausgerichtet. Ohne Samenkörner ist keine Ernte, kein Gewächs ohne zarte Wurzeln und Staubfäden, und vielleicht wären unsre göttlichsten Kräfte nicht ohne diese Aussaat dunkler Regungen und Reize.

Schon in der thierischen Natur, was für Lasten sind auf die Kraft und Wirksamkeit eines Muskels gebürdet! Wie mehr ziehen diese kleinen, dünnen Fäserchen, als es nach den Gesetzen des Mechanismus grobe Stricke thun würden! Woher nun diese so höhere Kraft, als vielleicht eben durch Triebfedern des innern Reizes? Die Natur hat tausend kleine lebendige Stricke in tausendfachen Kampf, in ein so vielfaches Berühren und Widerstreben verflochten; sie kürzen und längen sich mit innerer Kraft, nehmen am Spiele des Muskels jeder auf seine Weise Theil; dadurch trägt und zieht jener. Hat man je etwas Wunderbareres gesehen als ein schlagendes Herz mit seinem unerschöpflichen Reize? Ein Abgrund innerer dunkeln Kräfte, das wahre Bild der organischen Allmacht, die vielleicht inniger ist als der Schwung der Sonnen und Erden. Und nun breitet sich aus diesem unerschöpflichen Brunnen und Abgrunde der Reiz durch unser ganzes Ich aus, belebt jede kleine spielende Fiber – Alles nach einartigem, einfachen Gesetze. Wenn wir uns wohl befinden, ist unsre Brust weit, das Herz schlägt gesund, jede Fiber verrichtet ihr Amt im Spiele. Da fährt Schrecken auf uns zu; und siehe, als erste Bewegung, noch ohne Gedanken von Furcht und Widerstande, tritt unser reizbares Ich auf seinen Mittelpunkt zurück, das Blut zum Herzen, die Fiber, selbst das Haar starrt empor, gleichsam ein organischer Bote zur Gegenwehr; die Wache steht fertig. Zorn im ersten Anfall, ein zum Widerstande sich regendes Kriegsheer, wie rüttelt er das Herz, treibt das Blut in die Grenzen, auf Wangen, in Adern, Flamme in die Augen:

                Μένεος δὲ μέγα φρένες ἀμφιμέλαιναι
Πίμπλαντ᾽, ὄσσε δέ οἱ πυρὶ λαμπετόωντι ἐΐκτην;Ilias, I. 103 f. – D.

die Hände streben, sind kräftiger und stärker; Muth hebt die Brust, Lebensothem die wehende Nase; das Geschöpf kennt keine Gefahr. Lauter Phänomene des Aufregens unsrer Reize beim Schrecken, des gewaltsamen Fortdranges beim Zorne. Hingegen die Liebe, wie sänftigt sie und mildet! Das Herz wallt, aber nicht zu zerstören, das Feuer fließt, aber nur, daß es hinüber walle und seine sanfte Gluth verhauche. Das Geschöpf sucht Vereinigung, Auflösung, Zerschmelzung; der Fibernbau weitet sich, ist wie im Umfassen eines Andern und kommt nur dann wieder, wenn sich das hinüberwallende Geschöpf wieder allein, ein abgetrenntes isolirtes Eins, fühlt. Noch also in den verflochtensten Empfindungen und Leidenschaften unsrer so zusammengesetzten Maschine wird das eine Gesetz sichtbar, das die kleine Fiber mit ihrem glimmenden Fünklein von Reize regte, nämlich: Schmerz, Berührung eines Fremden zieht zusammen; da sammelt sich die Kraft, vermehrt sich zum Widerstande und stellt sich wieder her. Wohlsein und liebliche Wärme breitet aus, macht Ruhe, sanften Genuß und Auflösung. Was in der todten Natur Ausbreitung und Zurückziehung, Wärme und Kälte ist, das scheinen hier diese dunkeln stamina des Reizes zur Empfindung, eine Ebbe und Fluth, in der sich, wie das Weltall, so die ganze empfindende Natur der Menschen, Thiere, und wo sie sich weiter hinab erstrecke, bewegt und regt.

Wie zu Allem, gehört auch hiezu Modulation, Maß, sanfte Mischung und Fortschreitung. Furcht und Freude, Schrecken und Zorn, was plötzlich wie ein Blitzstrahl trifft, kann auch wie ein Blitzstrahl tödten. Die Fiber (mechanisch zu reden), die sich ausbreitete, kann nicht zurück; die sich zurückzog, kann sich nicht wieder längern: Todesschlag hemmte ihr Spiel. Jeder treffende Affect, selbst die sanfte Scham kann plötzlich tödten.

Sanfte Empfindungen sind freilich nicht so gewaltsam, aber ununterbrochen zerstören sie gleichfalls; sie ermatten, machen stumpf und kraftlos. Wie mancher Sybarit ist unter Kitzeln und Rosendüften gewiß nicht eines sanften Todes bei lebendem Leibe verblichen!

Sind wir ganz ohne Reiz – grausame Krankheit! sie heißt Wüste, Langeweile, Kloster. Die Faser zehrt gleichsam an sich selbst, der Rost frißt das müssige Schwert. Daher jener verhaltene Haß, der nicht Zorn werden kann, der elende Neid, der nicht That werden kann, Reue, Traurigkeit, Verzweiflung, die weder zurückrufen noch bessern – grausame Schlangen, die am Herzen des Menschen nagen. Stille Wuth, Ekel, Verdruß mit Ohnmacht ist der Höllenwolf, der an sich selbst frißt.

Zum Empfangen und Geben ist der Mensch geschaffen, zu Wirksamkeit und Freude, zum Thun und Leiden. Im Wohlsein saugt sein Körper und duftet, empfängt leicht und wird ihm leicht zu geben; die Natur thut ihm, er der Natur sanfte Gewalt an. In dieser Anziehung und Ausbreitung, Thätigkeit und Ruhe liegt Gesundheit und Glück des Lebens.

Ich bin auf die Preisfrage begierig: »was das Othemholen eigentlich für Wirkungen im lebendigen Körper hervorbringe«. Zu meinem Zwecke betrachte ich's hier nur ebenmäßig als den harmonischen Tact, mit dem die Natur unsre Maschine schwingen und mit Lebensgeist anhauchen wollte. So ist sie bis auf die feinsten Werkzeuge der Empfindungen und Gedanken in ewiger Anstrengung und Erholung; Alles arbeitet wie jene Steine zur Leyer Amphion's.Hor. Carm., III. 11. 1. 2. – D. Durchs Othemholen wird das Kind, das Pflanze gewesen war, Thier. Bei einem Kranken, bei einem Aechzenden, wie giebt das Othemholen Muth! dahingegen jeder Seufzer gleichsam Kräfte verhaucht. »Lob sei dem Allmächtigen«, sagt der persische Dichter Sadi, »für jeden Lebensothem! Ein Othem, den man in sich zeucht, stärkt, ein Othem, den man von sich läßt, erfreut das Leben; in jedem Othemzuge sind zweierlei Gnaden.«Vgl. Herder's Werke, VI. S. 91. – D. Wie jede Pulsader schlägt, wie nur durch Zusammenziehung das Herz Kraft bekommt, den Lebensstrom ausbreitend fortzuschießen, so muß auch von außen der Lufthauch kommen, es in Modulationen zu erquicken und zu beleben. Alles scheint nach einerlei Gesetzen geordnet. Doch ich würde nicht fertig werden, dies große Phänomenon von Wirkung und Ruhe, Zusammenziehung und Ausbreitung durch alle seine Wege zu verfolgen; lasset uns weiterhin eilen!

 

Ein mechanisches oder übermechanisches Spiel von Ausbreiten und Zusammenziehen sagt wenig oder nichts, wenn nicht von innen und außen schon die Ursache desselben vorausgesetzt würde, »Reiz, Leben«. Der Schöpfer muß ein geistiges Band geknüpft haben, daß gewisse Dinge diesem empfindenden Theil ähnlich, andre widrig sind; ein Band, das von keiner Mechanik abhängt, das sich nicht weiter erklären läßt, indeß geglaubt werden muß, weil es da ist, weil es sich in hunderttausend Erscheinungen zeigt. Sieh jene Pflanze, den schönen Bau organischer Fibern! Wie kehrt, wie wendet sie ihre Blätter, den Thau zu trinken, der sie erquickt! sie senkt und dreht ihre Wurzel, bis sie steht; jede Staude, jedes Bäumchen beugt sich nach frischer Luft, so viel es kann; die Blume öffnet sich der Ankunft ihres Bräutigams, der Sonne. Wie fliehen manche Wurzeln unter der Erde ihren Feind, wie spähen und suchen sie sich Raum und Nahrung! Wie wunderbar emsig läutert eine Pflanze fremden Saft zu Theilen ihres feinern Selbst, wächst, liebt, giebt und empfängt Samen auf den Fittigen des Zephyrs, treibt lebende Abdrücke von sich, Blätter, Keime, Blüthen, Früchte; indeß altet sie, verliert allmählich ihre Reize, zu empfangen, und ihre Kraft, erneut zu geben, stirbt – ein wahres Wunder von der Macht des Lebens und seiner Wirkung in einem organischen Pflanzenkörper.

Durchschauten wir den unendlich feinern und verflochtenern Thierkörper, würden wir nicht ebenfalls jede Fiber, jeden Muskel, jeden reizbaren Theil in demselben Amt und in derselben Kraft finden, sich Saft des Lebens zu suchen nach seiner Weise? Blut, und Milchsaft, werden sie nicht von allen Fasern und Drüsen beraubt? jede sucht, was ihr noth thut, gewiß nicht ohne entsprechende innere Befriedigung. Hunger und Durst in der ganzen Maschine eines thierischen Körpers, welche mächtige Stacheln und Triebe! und warum sind sie so mächtig, als weil sie ein Aggregat sind alle der dunkeln Wünsche, der verlangenden Sehnsucht, mit der jeder kleine Lebensbusch unsers Körpers nach Befriedigung und Erhaltung seiner dürstet. Es ist die Stimme eines Meers von Wellen, deren Schall sich dunkler und lauter in einander verliert, ein nach Saft und Leben dürstender Blumengarte. Jede Blume will ihr Werk treiben, empfangen, genießen, fortläutern, geben. Das Kraut zehrt Wasser und Erde und läutert sie zu Theilen von sich hinauf; das Thier macht unedlere Kräuter zu edlerm Thiersafte; der Mensch verwandelt Kräuter und Thiere in organische Theile seines Lebens, bringt sie in die Bearbeitung höherer, feinerer Reize. So läutert sich Alles hinauf; höheres Leben muß von geringerm durch Aufopferung und Zerstörung werden.

Endlich der tiefste Reiz sowie der mächtigste Hunger und Durst, die Liebe! Daß sich zwei Wesen paaren, sich in ihrem Bedürfniß und Verlangen eins fühlen; daß ihre gemeinschaftliche Regung, der ganze Brunn organischer Kräfte wechselseitig eins ist und ein Drittes wird in beider Bilde: welche Wirkung des Reizes im ganzen lebenden Ich animalischer Wesen! Thiere haben sich noch ohne Haupt begatten können, wie ein ausgerissenes Herz noch lange reizbar fortschlägt. Der Abgrund aller organischen Reize und Kräfte scheint im wechselseitigen Ueberstrome; der Funke der Schöpfung zündet, und es wird ein neues Ich, die Triebfeder neuer Empfindungen und Reize, ein drittes Herz schlägt.

 

Man hat »über den Ursprung der Menschenseelen« so sonderbar mechanische Träume gehabt, als ob sie wahrlich von Leim und Koth gemacht wären. Sie lagen geformt im Monde, im Limbus und warteten, ohne Zweifel nackt und kalt, auf ihre prästabilirte Scheiden oder Uhren oder Kleider, die noch ungebildeten Leiber; nun ist Gehäuse, Kleid, Uhr fertig, und der arme, so lang müssige Einwohner wird mechanisch hinzugeführt, daß er – bei Leibe nicht in sie wirke, sondern nur mit ihr prästabilirt harmonisch Gedanken aus sich spinne, wie er sie auch dort im Limbus spann, und sie, die Uhr des Körpers, ihm gleich schlage. Es ist wol über die unnatürliche Dürftigkeit des Systems nichts zu sagen; aber was dazu Anlaß geben können, wird mir schwer zu denken. Ist Kraft da in der Natur, die aus zweien Körpern blos durch organischen Reiz einen dritten bilde, der die ganze geistige Natur seiner Eltern habe, wie wir's an jeder Blume und Pflanze sehen; ist Kraft da in der Natur, daß zwei reizbare Fibern, auf gewisse Weise verflochten, einen Reiz geben, der aus einer nicht entstehen konnte und jetzt von neuer Art ist, wie uns, dünkt mich, jeder Sinn, ja jeder Muskel analogisch zeigt; ist endlich Kraft da, aus zwei Körpern, die uns todt dünken, aus der Vermischung zweier Elemente, wenn's die Natur thut, einen dritten darzustellen, der den vorigen ähnlich, aber ein neues Ding ist und, durch Kunst in jene aufgelöst, all seine Kraft verliert; ist dies Alles, so unbegreiflich es sein mag, da und nicht zu leugnen: wer ist nun, der den Gang der Analogie, den großen Gang der Schöpfung mit seinem Federmesserchen hier plötzlich abschneide und sage, daß der eröffnete Abgrund des Reizes zweier durch und durch organischer lebenden Wesen, ohne den ja beide nichts als todte Erdklumpen wären, jetzt in größter Innigkeit des Fortstrebens und der Vereinigung, keinen Abdruck von sich darstellen könne, in dem alle seine Kräfte leben? Hat das Herz Macht, Empfindungen, die um dasselbe gelagert sind, so zu einen, daß ein Trieb, eine Begierde werde; hat der Kopf Macht, Empfindungen, die den Körper durchwallen, in eine Vorstellung zu fassen und jene durch diese, die so andrer Natur scheint, zu lenken: wie, daß nicht aus der Flamme aller vereinigten Reize und Leben ein Lebensfunke, gleichsam im schnellen Fluge und also über den kriechend langsamen Gang mechanischer Stock- und Triebwerke weit hinaus, zu einer neuen, höhern Stufe seiner Läuterung walle und als Abguß aller Kräfte zweier für einander geschaffener Wesen erstes Principium eines Lebens höherer Ordnung werde? Keimt nicht alles Leben weiter? läutert sich nicht jeder Funke der Schöpfung durch Canäle zu feinerer Flamme hinauf? Und hier sprang ja der beseelteste Funke des Reizes und der Schöpfungskraft zweier durch und durch beseelten Wesen.

Ich sage nicht, daß ich hiemit was erkläre; ich habe noch keine Philosophie gekannt, die, was Kraft sei, erkläre, es rege sich Kraft in einem oder in zweien Wesen. Was Philosophie thut, ist bemerken, unter einander ordnen, erläutern, nachdem sie Kraft, Reiz, Wirkung schon immer voraussetzt. Nun begreife ich nicht, warum man, wenn sich in jedem Einzelnen nichts erklären läßt, die Wirkung des Einen ins Andre leugnen und Erscheinungen der Natur in der Vereinigung Zweier Hohn sprechen müßte, die man bei jedem Einzelnen unerklärt annimmt. Wer mir sagt, was Kraft in der Seele sei, und wie sie in ihr wirke, dem will ich gleich erklären, wie sie außer sich auch auf andre Seelen, auch auf Körper wirke, die vielleicht nicht in der Natur durch solche Bretterwände von der Seele (ψυχή) geschieden sind, als sie die Klammern unsrer Metaphysik scheiden. Ueberhaupt ist in der Natur nichts geschieden, Alles fließt durch unmerkliche Uebergänge auf und in einander; und gewiß, was Leben in der Schöpfung ist, ist in allen Gestalten, Formen und Canälen nur ein Geist, eine Flamme.

Insonderheit, dünkt mich, hätte dem großen Erfinder des Monadenpoëms das System prästabilirter Harmonie fremde sein dürfen; denn mir scheint's, beide bestehen nicht wohl bei einander. Niemand sagte es besser als Leibniz, daß Körper als solcher nur Phänomenon von Substanzen sei, wie die Milchstraße von Sternen und die Wolke von Tropfen. Selbst die Bewegung suchte Leibniz ja als Erscheinung eines innern Zustandes zu erklären, den wir nicht kennen, der aber Vorstellung sein könnte, weil uns sonst kein innerer Zustand bekannt ist. Wie? und auf diesen innern Zustand der Kräfte und Substanzen ihres Körpers könnte die Seele als solche nicht wirken? sie, die ja von der Natur jener und selbst innigste, wirkendste Kraft ist? Sie herrschte also nur im Gebiet ihrer Schwestern, lauter ihr ähnlicher Wesen, und könnte sie da nicht herrschen?

 

Doch es ist zu früh, einzelnen Folgerungen Raum zu geben; wir bleiben noch bei Erscheinungen der ganzen Maschine. Der innere Mensch mit alle seinen dunkeln Kräften, Reizen und Trieben ist nur Einer. Alle Leidenschaften, ums Herz gelagert und mancherlei Werkzeuge regend, hangen durch unsichtbare Bande zusammen und schlagen Wurzel im feinsten Bau unsrer beseelten Fibern. Jedes Fäserchen, wenn wir's einsehen könnten, gehört ohne Zweifel mit dazu, jedes engere und weitere Gefäß, jede stärker und schwächer wallende Blutkugel. Der Muth des Löwen wie die Furchtsamkeit des Hasen liegt in seinem beseelten innern Baue. Durch die engern Pulsadern des Löwen dringt das wärmere Blut mit Gewalt hin; der Hirsch hat ein Herz mit weiten, offenen Gefäßen, ein scheuer König des Waldes trotz seiner Krone; zur Zeit der Brunst ist indeß auch der scheue Hirsch kühn: es ist die Zeit seiner erregten Reize und vermehrten innern Wärme.

Im Abgrunde des Reizes und solcher dunkeln Kräfte liegt in Menschen und Thieren der Same zu aller Leidenschaft und Unternehmung. Mehr oder minder Reiz des Herzens und seiner Diener macht Helden oder Feige, Helden in der Liebe oder im Zorne. Das Herz Achill's wurde in seinen Netzen vom schwarzen Zorn gerüttelt;Mit Bezug auf die oben S. 168 angeführte Stelle der Ilias. – D. es gehörte die Reizbarkeit dazu, ein Achilles zu werden. Der satte Löwe hat seinen Muth verloren, ein Weib kann ihn jagen; ein hungriger Wolf aber, Geier, Löwe   wie mächtige Geschöpfe!

Die tapfersten waren meistens die fröhlichsten Menschen, Männer von offener, weiter Brust, oft Helden in der Liebe wie im Leben. Ein Verschnittener ist wie an Stimme so an Handlung ein stehengebliebener Jüngling ohne Kraft und tiefen Ausdruck. Die Innigkeit, Tiefe und Ausbreitung, mit der wir Leidenschaft empfangen, verarbeiten und fortpflanzen, macht uns zu den flachen oder tiefen Gefäßen, die wir sind. Oft liegen unter dem Zwerchfell Ursachen, die wir sehr unrichtig und mühsam im Kopfe suchen; der Gedanke kann dahin nicht kommen, wenn nicht die Empfindung vorher an ihrem Ort war. Wiefern wir an dem, was uns umgiebt, Theil nehmen, wie tief Liebe und Haß, Ekel und Abscheu, Verdruß und Wollust ihre Wurzeln in uns schlagen, das stimmt das Saitenspiel unsrer Gedanken, das macht uns zu den Menschen, die wir sind.

Vor solchem Abgrunde dunkler Empfindungen, Kräfte und Reize graut nun unsrer hellen und klaren Philosophie am Meisten; sie segnet sich davor als vor der Hölle unterster Seelenkräfte und mag lieber auf dem Leibnizischen Schachbrett mit einigen tauben Wörtern und Classificationen von dunkeln und klaren, deutlichen und verworrenen Ideen, vom Erkennen in und außer sich, mit sich und ohne sich selbst u. dergl. spielen. Diese Methode ist so leicht und lieblich, daß man's schon zum Grundsatz beliebt hat, lauter taube Wörter in die Philosophie einzuführen, bei denen man so wenig denken dürfe als der Rechnende bei seinen Zahlen; das werde der Philosophie zur Vollkommenheit der Mathematik verhelfen, daß man immerfort schließen könne, ohne zu denken: eine Philosophie, für der uns alle Musen bewahren! Was macht's eben, daß auch die gute, wahre Philosophie so tief herniedergekommen ist, als weil man bei ihr durch ganze Capitel und Lehren über lauter Allgemeinworten nichts gedacht hat? Nothwendig wirft die jeder gesunde Kopf beiseite und spricht: »Ich will bei jedem Worte was Bestimmtes zu denken haben, auch an jeder neuen Stelle, wo es neu vorkommt.« Und mein! wie mangelhaft sind unsre metaphysischen Begriffe und Wörter! welche Sorgsamkeit hat man also nöthig, jeden Augenblick den Begriff festzuhalten, genau zuzusehen, ob es noch in diesem Fall derselbe oder nur noch sein leeres Phantom sei! Meines geringen Erachtens ist keine Psychologie, die nicht in jedem Schritte bestimmte Physiologie sei, möglich. Haller's physiologisches WerkElementa physiologiae corporis humani. – D. zur Psychologie erhoben und wie Pygmalion's Statue mit Geist belebt   alsdann können wir etwas übers Denken und Empfinden sagen.

Drei Wege weiß ich nur, die hiezu führen möchten: Lebensbeschreibungen, Bemerkungen der Aerzte und Freunde, Weissagungen der Dichter   sie allein können uns Stoff zur wahren Seelenlehre schaffen. Lebensbeschreibungen, am Meisten von sich selbst, wenn sie treu und scharfsinnig sind, welche tiefe Besonderheiten würden sie liefern! Sind keine zwei Dinge auf der Welt gleich, hat kein Zergliederer noch je zwei gleiche Adern, Drüsen, Muskeln und Canäle gefunden: man verfolge diese Verschiedenheit durch ein ganzes Menschengebäude bis zu jedem kleinen Rade, jedem Reiz und Dufte des geistigen Lebensstromes   welche Unendlichkeit, welcher Abgrund! Ein Meer von Tiefen, wo Welle über Welle sich regen, und wo alle Abstractionen von Aehnlichkeit, Classe, allgemeiner Ordnung nur bretterne Wände des Bedürfnisses oder bunte Kartenhäuser zum Spiel sind.

Hätte ein einzelner Mensch nun die Aufrichtigkeit und Treue, sich selbst zu zeichnen, ganz, wie er sich kennt und fühlt; hätte er Muths gnug, in den tiefen Abgrund Platonischer Erinnerung hineinzuschauen und sich nichts zu verschweigen, Muths gnug, sich durch seinen ganzen belebten Bau, durch sein ganzes Leben zu verfolgen, mit Allem, was ihm jeder Zeigefinger auf sein inneres Ich zuwinkt: welche lebendige Physiognomik würde daraus werden, ohne Zweifel tiefer als aus dem Umriß von Stirn und Nase! Kein Theil, glaube ich, kein Glied wäre ohne Beitrag und Deutung. Er würde uns sagen können: »Hier schlägt das Herz matt; hier ist die Brust platt und ungewölbt, dort der Arm kraftlos; hier keucht die Lunge, dort dumpft der Geruch; hier fehlt lebendiger Othem, Gesicht, Ohr dämmert; der Körper dictirt mir hier schwach und verworren: so muß also auch hie oder da meine Seele schreiben. Das fehlt mir, da ich jenes und aus solchem Grunde habe.« Verfolgte der treue Geschichtschreiber sein selbst dies sodann durch alle Folgen; zeigte, daß kein Mangel und keine Kraft an einem Ort bleibe, sondern fortwirke, und daß die Seele nach solchen gegebnen Formeln unvermuthet fortschließe; zeigte, wie jede Schiefheit und Kälte, jede falsche Combination und fehlende Regung nothwendig immer vorkommen und in jeder Wirkung man den Abdruck seines ganzen Ich mit Kraft und Mangel liefern müsse: welche lehrende Exempel wären Beschreibungen von der Art! Das werden philosophische Zeiten sein, wenn man solche schreibt; nicht da man sich und alle Menschengeschichte in allgemeine Formeln und Wortnebel einhüllt. Wenn der Stoiker LipsiusDer durch seine religiöse Unbeständigkeit verrufene gelehrte Philolog verfocht die Grundsätze der stoischen Philosophie, so besonders in der an herrlichen Sprüchen reichen Schrift: »De constantia in publicis malis«. Das Leben dieses Jesuitenzöglings beschrieb Miräus. – D. und Andre seines Gelichters sich also hätten zeichnen wollen, wie anders erschienen sie, als sie aus den dämmernden Wortproductionen ihres obern Stockwerks jetzt erscheinen!

Mir sind keine Lebensbeschreibungen einzelner Menschen von sich selbst bekannt, die nicht immer, so einseitig und flach manchmal ihr Gesichtspunkt war, viel Merkwürdiges gehabt hätten. Außer dem, was Augustin, Petrarca,Vgl. Herder's Werke, XIII. S. 235 ff. – D. Montaigne in ihre Schriften von sich selbst eingestreut, will ich nur Cardan und einen weichen SelbstmärtererM. Bernd's »Eigne Lebensbeschreibung sammt einer aufrichtigen Entdeckung einer der größten, obwol großentheils unbekannten Leibes- und Gemüthsplage«. Leipzig 1738. Insonderheit S. 257–372. – H. nennen, bei dessen äußerster Schwäche, ewigem Hin- und Wegbeben vom Selbstmorde man schauert. Einige sonderbare Phänomene, wie ein Geschöpf so blindlings in die Gefahr rennen oder so schwindelnd, furchtsam und feige ewig vor seinem Schatten fliehen kann, haben nicht grausender erörtert werden können als also, aus dem weichen Mark seiner eignen Empfindung. Es ist sonderbar, wie eine eigne Lebensbeschreibung den ganzen Mann auch von Seiten zeigt, von denen er sich eben nicht zeigen will, und man sieht aus Fällen der Art, daß Alles in der Natur ein Ganzes sei, daß man sich gerad' eben in dunkeln Anzeigungen und Proben vor sich selbst am Wenigsten verleugnen könne.

Da wir indeß noch lange auf Lebensbeschreibungen der Art werden warten müssen und es vielleicht nicht einmal gut und nützlich wäre, das tiefste Heiligthum in uns, das nur Gott und wir kennen sollen, jedem Thoren zu verrathen, so treten Fremde an unsre Stelle, und was bei Kranken der Arzt ist, sollte bei merkwürdigen Personen ihr Freund werden. Daß unter den vielen Bemerkungen der Aerzte alter und neuer Zeiten nicht auch eine Menge sein müßte, die diese dunkeln Reize und Kräfte ins Licht setzten, ist gar kein Zweifel; die verflochtenste Pathologie der Seele und der Leidenschaften hängt von ihnen und nicht von der Speculation ab; aber meines Wissens sind sie ungeordnet, ungesammelt, und nicht Jeder hat dazu Lust oder Muße. Mit ihnen kämen gewiß die sonderbarsten Anomalien und Analogien menschlicher Abenteuerlichkeit zum Vorschein, und der Vorsteher eines Toll- und Siechhauses gäbe die frappantesten Beiträge zur Geschichte der Genies aller Zeiten und Länder. Wenn ich die Freunde zu den Aerzten zähle, thue ich nicht Unrecht, sie haben eben die Absicht, die jene haben, dazu noch in den Umständen mehrerer Vertraulichkeit und Handlung. Es ist unbegreiflich, was oft eine menschliche Seele in die andre für dunkle Wirkung, Ahnung und Zug hat, wie man's oft an den sonderbarsten Proben einstimmiger Gemüther, Lüste und Kräfte sieht. Sympathie und Liebe, Wollust und Ehrgeiz, Neid und Eifersucht enträthseln durch Blicke, durch geheime Winke, was unter sieben Decken hinter der Brust verborgen liegt, wittern gleichsam aus lauter kleinen sichtbaren Anzeigen das tief verborgne Geheimniß. Dies sind kleine verzerrte Proben von dem, was eine reine menschliche Seele mit Fleiß, Liebe und Wartung über den Andern und wie weit sie in ihn hineinzudringen vermöge: eine Tiefe, von der man noch bisher weder Grund hat, noch zum Grunde zu kommen ein Senkblei weiß. Der reinste Mensch auf Erden kannte sie alle, bedurfte keines Zeugnisses von außen; denn er wußte wohl, was im Menschen war, und es wird dem Menschengeiste in einer besonders herrlichen Analogie mit dem Geiste der Gottheit zugeschrieben, daß nur der Geist des Menschen, was im Menschen ist, wisse, gleichsam auf sich selbst ruhe und in seinen Tiefen forsche.

Wenn Niemand anders, so haben dies die Weissagungen und geheimen Ahnungen der Dichter bewiesen. Ein Charakter, von Shakespeare geschaffen, geführt, gehalten, ist oft ein ganzes Menschenleben in seinen verborgnen Quellen; ohne daß er's weiß, malt er die Leidenschaft bis auf die tiefsten Abgründe und Fasern, aus denen sie sproßte. Wenn neulich Jemand behauptet hat, daß Shakespeare kein Physiognomist sei aus dem Profil der Nase, so gebe ich's ihm gerne zu; denn zu einem Detail der Art hat er wenig Zeit, außer wo es wie bei Richard III. die offenbarste Noth fordert; aber daß er kein Physiolog sei, mit Allem, wie sich Physiologie auch von außen zeigt, das müßte Niemand sagen, der Hamlet und Lear, Ophelia oder Othello nur im Traume gesehen hätte: unvermerkt malt er Hamlet bis auf seine Haare. Da alles Aeußere nur Abglanz der innern Seele ist, wie tief ist nicht der barbarische gothische Shakespeare durch Erdlagen und Erdschichten überall zu den Grundzügen gekommen, aus denen ein Mensch wächst, so wie Klopstock zu den geheimsten Wellen und Schwingungen einer reinen himmlischen Seele! Das Studium der Dichter zu diesem Zwecke haben meistens nur die Engländer (versteht sich, nur an ihren Dichtern; denn was wird ein Engländer außer England Guts finden?) versucht; uns Deutschen ist statt unnützer Lobreden und kindischer Recensionen hier noch ein großes Feld von Zeiten und Völkern übrig.

Und bis dahin, daß diese drei Aufgaben erschöpft sind, mag die Antwort aufgeschoben werden, »unter welchen Bedingungen etwas reize«. Ich könnte in tauben und unstäten Ausdrücken zehn Formeln zur Auflösung geben, sagen: daß uns etwas reize, wenn wir nicht umhin können, daß es uns nicht reize; wenn der Gegenstand uns so nah liegt, daß er sich an uns reibt und uns regt; oder ich könnte sagen: er reizt, wenn er uns so ähnlich, so analog ist; aber was hieße dies Alles? Im Grunde nur immer, er reizt, wenn er reizt, und das glaubt ein Jeder. Es muß auch geglaubt, d. i. erfahren, empfunden werden und flieht jedes allgemeine Wortgekram und abstracte Vorhersehen. Wenn ein Gegenstand, von dem wir nicht träumten, nichts hofften, sich plötzlich so nahe unserm Ich zeigt, daß, wie der Wind die Grasesspitzen, der Magnet den Feilstaub regt, ihm die geheimsten Triebe unsers Herzens willig folgen: was ist da zu grübeln, zu argumentiren? Es ist neue Erfahrung, die wol aus dem System der besten Welt folgen mag, aber nicht eben aus unserm System jetzt folgt; es ist ein neuer weissagender Trieb, der uns Genuß zusagt, dunkel ihn ahnen läßt, Raum und Zeit überspringt und uns Vorgeschmack giebt in die Zukunft. Vielleicht ist's also mit dem Instinct der Thiere. Sie sind wie Saiten, die ein gewisser Klang des Weltalls regt, auf denen der Weltgeist mit einem seiner Finger spielt. Sie hangen mit dem Element, mit dem Geschöpf, mit den Jungen, mit der unbekannten Weltgegend zusammen, wohin sie eilen; unsichtbare Bande ziehen sie dahin, sie mögen dahin kommen oder nicht, es mag ein Ei sein oder Kreide, worauf die Henne brütet. Die Seiten der Schöpfung sind so vielartig; und da jede Seite sollte gefühlt, geahnt, hinanempfunden werden, so mußten die Instincte, Reize und Wurzeln der Empfindung so mancherlei sein, daß sie oft kein anderes Wesen, als was sie selbst empfand, begreift oder ahnt.

Trefflich auch, daß es also und die tiefste Tiefe unsrer Seele mit Nacht bedeckt ist! Unsre arme Denkerin war gewiß nicht im Stande, jeden Reiz, das Samenkorn jeglicher Empfindung, in seinen ersten Bestandtheilen zu fassen; sie war nicht im Stande, ein rauschendes Weltmeer so dunkler Wogen laut zu hören, ohne daß sie es mit Schauer und Angst, mit der Vorsorge aller Furcht und Kleinmüthigkeit umfinge und das Steuer ihrer Hand entfiele. Die mütterliche Natur entfernte also von ihr, was von ihrem klaren Bewußtsein nicht abhangen konnte, wog jeden Eindruck ab, den sie davon bekam, und sparte jeden Canal aus, der zu ihr führte. Nun trennt sie nicht Wurzeln, sondern genießt Blüthe; Düfte wehen ihr aus dunkeln Büschen zu, die sie nicht pflanzte, nicht erzog; sie steht auf einem Abgrunde von Unendlichkeit und weiß nicht, daß sie darauf stehe; durch diese glückliche Unwissenheit steht sie fest und sicher. Nicht minder gut für die dunkeln Kräfte und Reize, die auf so subalternem Standort mitwirken müssen: sie wissen nicht, wozu, können und sollen's nicht wissen; der Grad ihrer Dunkelheit ist Güte und Weisheit. Ein Erdkloß, durchhaucht von Lebensothem des Schöpfers, ist unser Leimengebäude.

 

2. Sinne.

Unterlag unsre Seele dem Meere kommender Wellen von Reiz und Gefühl von außen, so gab uns die Gottheit Sinne von innen, so webte sie uns ein Nervengebäude.

Der Nerve beweist feiner, was dort von den Fibern des Reizes allgemein gesagt wurde, er zieht sich zusammen oder tritt hervor nach Art des Gegenstandes, der zu ihm gelangt. Jetzt wallt er entgegen, und die Spitzen seiner äußersten Büsche richten sich empor. Die Zunge schmeckt zum Voraus; die Geruchbüschlein thun sich auf dem kommenden Dufte; selbst Ohr und Auge öffnen sich dem Schall und dem Lichte, und insonderheit bei den gröbern Sinnen eilen die Lebensgeister mit Macht dazu, ihren neuen Gast zu empfangen. Gegentheils, wo Schmerz naht, fleucht der Nerve und graust. Wir schauern zusammen bei einem äußerst disharmonischen Schalle; unsre Zunge widert bei übelm Geschmack wie der Geruch bei widrigem Dufte. Das Ohr, sagt der Lateiner, entsetzt sich zu hören, das Auge zu sehen;Herder denkt an den Gebrauch von horrere. – D. könnte sie, so schlösse sich die Gefühlsknospe wie die Blume dem kalten Abendhauche. Grausen, Schauer, Erbrechen, bei dem Geruche das Niesen sind lauter solche Phänomene des Zurücktritts, des Widerstandes, der Stemmung, als ein sanftes Hinwallen und Zerschmelzen bei angenehmen Gegenständen Uebergang und Uebergabe zeigt. Im Grunde sind's also noch jene Gesetze und Phänomene, die wir bei jeder Reizesfiber bemerkten; und daß auch noch bei den geistigen Empfindungen des Schönen und des Erhabnen jenes Gesetz stattfinde, daß jedes Gefühl des Erhabnen nämlich mit einem Zurücktritt auf sich, mit Selbstgefühl und jede Empfindung des Schönen mit Hinwallen aus sich, mit Mitgefühl und Mittheilung verbunden sei, hat der vortreffliche Verfasser einer sehr bekannten AbhandlungBurke, »Untersuchung über den Ursprung unsrer Begriffe vom Erhabnen und Schönen«. Riga 1773. – H. gut ausgeführt; eine Theorie, über die ich ihn, ob sie gleich unter edeln Geschäften und Gesinnungen nur Spiel, nur Erholung für ihn war, fast beneide.

Vielleicht wird mir bald günstige Muße, Aufsätze zu sammeln, die ich über die Empfindungsart einiger einzelnen Sinne hingeworfen habe; hier geht mein Zweck nur aufs Allgemeine, und bemerke, was ich dort bei dem Reiz und seinem Gegenstande sagte, daß auch hier bei den Sinnen ein Medium, ein gewisses geistiges Band stattfinde, ohne welches der Sinn weder zum Gegenstande, noch der Gegenstand zum Sinne innig gelangen könnte, dem wir also bei allen sinnlichen Kenntnissen trauen, glauben müssen. Ohne Licht wäre unser Auge und unsre sehende Seelenkraft müssig, ohne Schall das Ohr leer; es mußte also ein eignes Meer geschaffen werden, das in beide Sinne fließe und die Gegenstände in dieselben bringe; oder mit andern Worten, »das so viel von den Geschöpfen abreißt, als diese Pforte empfangen kann, alles Uebrige, ihren ganzen unendlichen Abgrund ihnen aber läßt«. Wunderbares Organ des Wesens, in dem Alles lebt und empfindet! Der Lichtstrahl ist sein Wink, sein Finger oder Stab in unsre Seele; Schall ist sein Hauch, das wunderbare Wort seiner Geschöpfe und Diener.

Wie mächtig hat der Schöpfer hiemit seine Welt für uns geweitet! Alle groben Sinne, Fasern und Reize können nur in sich empfinden; der Gegenstand muß hinzukommen, sie berühren und mit ihnen gewissermaßen selbst eins werden. Hier wird schon dem Erkennen außer uns Weg gebahnt.S. Sulzer's vortreffliche Abhandlung »Vom Denken und Empfinden«, in seinen »Vermischten philosophischen Schriften«, Abhandlung VII., und Histoire de l' Académie Royale de Berlin, T. XIX. p. 407–420. – H. Unser Ohr hört über Meilen hin; der Lichtstrahl wird Stab, mit dem wir bis zum Sirius hinaufreichen. Unmittelbar vor meinem Auge hat das große Auge der Welt ein allgemeines Organ ausgebreitet, das tausend Geschöpfe in mich bringt, das tausend Wesen mit einem Kleide für mich bekleidet. Um mein Ohr fließt ein Meer von Wellen, das seine Hand ausgoß, damit eine Welt von Gegenständen in mich dringe, die mir sonst ewig ein dunkles, stilles Todtengrab bleiben müßte. Da gebraucht mein Sinn alle die Kunstgriffe und Feinheiten, die ein Blinder mit dem Stabe gebraucht, zu tasten, zu fühlen, Entfernung, Verschiedenheit, Maß zu lernen, und am Ende wissen wir ohne dies Medium nichts, ihm müssen wir glauben. Betrügt mich der Schall, das Licht, der Duft, die Würze, ist mein Sinn falsch, oder habe ich ihn nur falsch zu brauchen mich gewöhnt, so bin ich mit alle meiner Kenntniß und Speculation verloren. Auch kann der Gegenstand für tausend andre Sinnen in tausend andern Medien ganz etwas Anders, vollends in sich selbst ein Abgrund sein, von dem ich nichts wittre und ahne; für mich ist er nur das, was mir der Sinn und sein Medium, jenes die Pforte, dies der Zeigefinger der Gottheit für unsre Seele, dargiebt. Innig wissen wir außer uns nichts; ohne Sinne wäre uns das Weltgebäude ein zusammengeflochtner Knäuel dunkler Reize; der Schöpfer mußte scheiden, trennen, für und in uns buchstabiren.

Nun muß ich nochmals bemerken, daß den Beitrag genau zu untersuchen, den jeder Sinn der Seele liefere, ein angenehmer und äußerst merkwürdiger Lustweg sein müßte, den wir uns auf andre Zeit ersparen. Daß aber nicht bei zwei Menschen dieser Sinnenbeitrag an Art und Stärke, Tiefe und Ausbreitung einerlei sein kann, bezeugen viele Proben. Gesicht und Gehör, die den meisten Stoff zum Denken geben, sind selten bei einem Menschen in gleichem Grad der Ausbildung und natürlichen Stärke. Klarheit des Auges haßt oft tiefe Innigkeit des Ohrs (geistig zu reden); die beiden Rosse sind also ungleich, die zunächst am Wagen der Psyche ziehen.Ein Platonisches Bild. – D. Die drei größten epischen Dichter in aller Welt, Homer, Ossian und Milton, waren blind; als ob diese stille Dunkelheit dazu gehörte, daß alle Bilder, die sie gesehen und erfaßt hatten, nun Schall, Wort, süße Melodie werden könnten. Ein blindgeborner Dichter und ein taubgeborner Philosoph müßten sonderbare Eigenheiten geben, so wie der blinde SaundersonVgl. unten S. 223 f. – D. mit dem Gehör, Geruch und Gefühl liebte. Wenn eine allgemeine philosophische Sprache je erfunden würde, wär's vielleicht von einem Taub- und Stummgebornen, der gleichsam ganz Gesicht, ganz Zeichen der Abstraction wäre. Keine zwei Dichter haben je ein Silbenmaß gleich gebraucht und wahrscheinlich auch gleich gefühlt. Eine Sapphische Ode bei der Griechin, bei Catull und Horaz ist fast nicht dasselbe; welch mittelmäßiges Ohr wird nicht einen Hexameter von Klopstock, Kleist, Bodmer oder von Lucrez, Virgil und Ovidius beinah auf den ersten Klang unterscheiden? Dem einen Dichter ist seine Muse Gesicht, Bild, dem andern Stimme, dem dritten Handlung; ein Prophet ward durch Saitenspiel geweckt, der andre durch Gesichte; keine zwei Maler und Dichter haben einen Gegenstand, wenn auch nur ein Gleichniß, gleich gesehen, gefaßt, geschildert.

Eine Unendlichkeit müßte es werden, wenn man diese Verschiedenheit des Beitrages verschiedner Sinne über Länder, Zeiten und Völker verfolgen könnte, was z. B. daran Ursache sei, daß Franzose und Italiener sich bei Musik, Italiener und Niederländer sich bei Malerei so ein ander Ding denke. Denn offenbar werden die Künste auf dieser Wegscheide von Nationen mit andern Geistessinnen empfunden, mit andern Geistessinnen vollendet. Hier indeß fahren wir fort, daß, so verschieden dieser Beitrag verschiedner Sinne zum Denken und Empfinden sein möge, in unserm innern Menschen Alles zusammenfließe und Eins werde. Wir nennen die Tiefe dieses Zusammenflusses meistens Einbildung; sie besteht aber nicht blos aus Bildern, sondern auch aus Tönen, Worten, Zeichen und Gefühlen, für die oft die Sprache keinen Namen hätte. Das Gesicht borgt vom Gefühl und glaubt zu sehen, was es nur fühlte. Gesicht und Gehör entziffern einander wechselseitig; der Geruch scheint der Geist des Geschmacks oder ist ihm wenigstens ein naher Bruder. Aus dem Allen webt und wirkt nun die Seele sich ihr Kleid, ihr sinnliches Universum.

Auch hier sind oft Blendwerke und Visionen, Krankheiten und Träume die sonderbarsten Verräther dessen, was in uns schläft. Der Riesenmann Pascal, dessen Seele immer Felsen abreißt und flammende Abgründe daneben zeigt, kam so weit, daß er zuletzt den dunkeln, brennenden Abgrund immer neben sich sah. Mehr als ein Schwärmer sanfterer Art glaubte sich immer von hellem Licht umgeben, und selbst der große Denker Tschirnhausen,S. »Éloge de Tschirnhausen par Mr. Fontenelle«. – H. dessen Art zu studiren wenigstens romantisch gnug war, fand sich nicht eher im wahren Gedankenstrome, als wenn er Funken und Strahlen um sich sah. Das Exempel eines andern Philosophen ist mir bekannt, der bei dem Anfange seiner Krankheit in einer Art sonderbaren Ohnmacht Worte hörte, die letzten Worte von dem, was er gelesen. Ein Mensch besitzt die Kunst zu sehen ungleich mehr als die Kunst zu hören; nach dem wird sich, er sei Dichter oder Philosoph, gewiß seine Erkenntniß, sein Vortrag, sein Stil, seine Zusammensetzung richten. Wie Viel heißen Dichter und sind nur Witzlinge oder Verstandmänner, weil ihnen ganz die dichterische Einbildung an Gesicht und Gehör fehlt, und wie Manche, die wie Plato nur einige Gleichnisse ausmalen, und die Gleichnisse bleiben ewig! Doch ich komme zu weit.

 

Wenn also aus unsern Sinnen in die Einbildungskraft, oder wie wir dies Meer innerer Sinnlichkeit nennen wollen, Alles zusammenfleußt und darauf unsre Gedanken, Empfindungen und Triebe schwimmen und wallen: hat die Natur abermals nichts gewebt, das sie einige, das sie leite? Allerdings; und dies ist das Nervengebäude, zarte Silberbande, dadurch der Schöpfer die innere und äußere Welt und in uns Herz und Kopf, Denken und Wollen, Sinne und alle Glieder knüpft; wirklich ein solches Medium der Empfindung für den geistigen Menschen, als es das Licht fürs Auge, der Schall fürs Ohr von außen sein konnte.

Wir empfinden nur, was unsre Nerven uns geben; darnach und daraus können wir auch nur denken. Nenne man nun diesen lebendigen Geist, der uns durchwallt, Flamme oder Aether, gnug, er ist das unbegreifliche, himmlische Wesen, das Alles zu mir bringt und in mir eint. Was hat der Gegenstand, den ich sehe, mit meinem Hirn, das Hirn mit meinem wallenden Herzen gemein, daß Jenes Bild, daß Dies Leidenschaft werde? Siehe, da ist ein Etwas, das von sonderbarer Natur sein muß, weil es so sonderbaren Verschiedenheiten dient. Das Licht konnte nur Eins: den ganzen dunkeln Abgrund der Welt zum Bilde machen, dem Auge Alles veräugen; der Schall konnte nur Eins: hörbar machen, was sonst nur für andre Sinne da wäre. So weiter. Dieser innere Aether muß nicht Licht, Schall, Duft sein, aber er muß Alles empfangen und in sich verwandeln können. Er kann dem Kopfe Licht, dem Herzen Reiz werden; er muß also ihrer Natur sein oder zunächst an sie grenzen. Ein Gedanke, und Flammenstrom gießt sich vom Kopf zum Herzen; ein Reiz, eine Empfindung, und es blitzt Gedanke, es wird Wille, Entwurf, That, Handlung: Alles durch einen und denselben Boten. Wahrlich, wenn dieses nicht Saitenspiel der Gottheit heißt, was sollte so heißen?

Hätte ich nun Macht und Kenntniß gnug, dies edle Saitenspiel in seinem Bau, in seiner Führung und Knotung, Verschlingung und Verfeinung darzustellen, zu zeigen, daß kein Ast, kein Band, kein Knötchen umsonst sei, und daß nach der Maße, wie es binde und sich leite, auch unsre Empfindungen, Glieder und Triebe (freilich nicht mechanisch durch Hieb und Stoß!) einander binden, anregen und stärken: o, welch ein Werk von sonderbar feinen Entwicklungen und Bemerkungen aus dem Grunde unsrer Seele müßte es werden! Ich weiß nicht, ob es schon da ist, ob ein denkender und fühlender Physiolog es insonderheit zu dem Zwecke, zu dem ich's wünsche, geschrieben. Mich dünkt, es müßte die schönste Buchstabenschrift des Schöpfers enthalten, wie er Glieder band und theilte, sie mehr oder minder beseelte, Gefühle ableitete, unterdrückte, knotete, stärkte, so daß das Auge nur sehen darf und die Eingeweide wallen, das Ohr hört und unser Arm schlägt, der Mund küßt und Feuer fließt durch alle Glieder: Wunder über Wunder! eine wahre, feine Flammenschrift des Schöpfers!

Aber wir bleiben wieder nur bei allgemeinen Phänomenen, z. B. den sogenannten »Wirkungen der Einbildungskraft in Mutterleibe«. Viele haben sie, weil ihr System sie nicht ertrug, gerade geleugnet, da doch beinahe Jedermann frappante Beispiele davon bekannt sein können: was hülfe es also, Erfahrungen gegen die Sonne leugnen? Wäre in unserm Körper und insonderheit im zarten Körper der Mutter zu der Zeit, da sie den Ungebornen trägt, von plumpem Mechanismus, hölzernem Druck und Stoß die Rede; säße die Seele mit ihrer Einbildungskraft in der Zirbeldrüse und sollte nun mit Stangen und Leitern zum Kinde gelangen müssen: freilich, so könnte man das weise Haupt schütteln. Nun aber, da nach allen Erfahrungen Alles voll Reiz ist und Leben, da diese Leben auf so wunderbare Art ein Eins in uns sind, ein Seelenmensch (ἄνϑρωπος ψυχικός), dem alle mechanische Triebwerke und Glieder willig dienen, und da nun eben dies zusammengeströmte beseelte Eins in uns Einbildung heißt, wenn wir das Wort in seinem wahren Umfange nehmen: was ist Ungereimtes darin, daß diese Seelenwelt, in deren Mitte gleichsam das Kind schwebt, dieser ganze psychische Mensch, der's in seinen Armen hält, ihm auch jede Eindrücke, jede Reize von sich mittheile? In einem Zusammenhange geistiger Kräfte verschwindet Raum und Zeit, die nur für die grobe Körperwelt da zu sein scheinen. Wir werden gebildet, sagt die alte morgenländische Weisheit, im Schooße der Lebensmutter wie im Mittelpunkt der Erde, wohin alle Einflüsse und Eindrücke zusammenströmen. Hierin sind Weiber unsre Philosophen, wir nicht die ihren.

Mit dem sogenannten »Einfluß der Seele auf den Körper und des Körpers auf die Seele« hat es eben die Bewandniß. Sollte hier etwas durch Zirbeldrüse, elastisch-gespannte Nerven, Hieb und Stoß erklärt werden, so stehe man immer an und leugne. Nun aber, da unser Gebäude nichts von solchem hölzernen Weberstuhle weiß, da Alles in Reiz und Duft und Kraft und ätherischem Strom schwimmt, da unser ganzer Körper in seinen mancherlei Theilen so mannichfaltig beseelt, nur ein Reich unsichtbarer, inniger, aber minder heller und dunkler Kräfte zu sein scheint, das im genauesten Bande ist mit der Monarchin, die in uns denkt und will, so daß ihr Alles zu Gebote steht und in diesem innig verknüpften Reich Raum und Zeit verschwindet: was natürlicher, als daß sie über Die herrsche, ohne die sie nicht das wäre, was sie ist? denn nur durch dies Reich, in diesem Zusammenhange ward und ist sie menschliche Seele. Ihr Denken wird nur aus Empfindung; ihre Diener und Engel, Luft- und Flammenboten strömen ihr ihre Speise zu, so wie diese nur in ihrem Willen leben. Sie herrscht, mit Leibniz zu reden, in einem Reich schlummernder, aber um so inniger wirkender Wesen.

Ich kann mir überhaupt nicht denken, wie meine Seele etwas aus sich spinne und aus sich eine Welt träume, ja nicht einmal denken, wie sie etwas außer sich empfinde, wovon kein Analogon in ihr und ihrem Körper sei. Wäre in diesem Körper kein Licht, kein Schall, so hätten wir auf aller weiten Welt von nichts, was Schall und Licht ist, Empfindung; und wäre in ihr selbst oder um sie nichts dem Schall, dem Licht Analoges, noch wäre kein Begriff dessen möglich. Nun aber zeigen alle Tritte, die wir bisher zurückgelegt haben, daß die Gottheit uns dies Alles durch Wege und Canäle schaffte, die immer empfangen, läutern, fortschwemmen, mehr einigen, der Seele ähnlicher machen, was ferne ihr noch so unähnlich war. Ich fürchte mich also gar nicht vor dem alten Ausdruck, daß der Mensch eine kleine Welt sei, daß unser Körper Auszug alles Körperreichs wie unsre Seele ein Reich aller geistigen Kräfte, die zu uns gelangen, sein müsse, und daß schlechthin, was wir nicht sind, wir auch nicht erkennen und empfinden können. Die Formularphilosophie, die Alles aus sich, aus innerer Vorstellungskraft der Monade herauswindet, hat freilich alle dies nicht nöthig, weil sie Alles in sich hat; ich weiß aber nicht, wie es dahin gekommen ist, und sie weiß es selbst nicht.

»Aber so wäre ja die Seele materiell? oder wir hätten gar viele immaterielle Seelen?« So weit sind wir noch nicht, mein Leser; ich weiß noch nicht, was material oder immaterial sei, glaube aber nicht, daß die Natur zwischen beiden eiserne Bretter befestigt habe, weil ich die eisernen Bretter in der Natur nirgend sehe und gewiß da am Wenigsten vermuthen kann, wo die Natur so innig vereinte. Gnug, wir gehen jetzt zuvörderst zum

3. Erkennen und Wollen.

über. Alle Empfindungen, die zu einer gewissen Helle steigen (der innere Zustand dabei ist unnennbar), werden Apperception, Gedanke; die Seele erkennt, daß sie empfinde.

Was nun auch Gedanke sei, so ist in ihm die innigste Kraft, aus Vielem, das uns zuströmt, ein lichtes Eins zu machen, und, wenn ich so sagen darf, eine Art Rückwirkung merkbar, die am Hellsten fühlt, daß sie ein Eins, ein Selbst ist. Eine Bildersprache der Art scheint freilich mystisch; in Geheimnissen aber und im tiefsten Geheimniß der Schöpfung, unsrer Seele, kann man sich kaum anders erklären. Gnug, was wir bei jedem Reiz, jeder Empfindung, jedem Sinne sahen, daß nämlich die Natur »ein Vieles eine«, das geschieht hier auf die hellste, innigste Weise.

Wollen wir nun der Erfahrung folgen, so sehen wir, die Seele spinnt, weiß, erkennt nichts aus sich, sondern was ihr von innen und außen ihr Weltall zuströmt und der Finger Gottes zuwinkt. Aus dem Platonischen Reiche der Vorwelt kommt ihr nichts wieder; sie hat sich auch selbst nicht auf den Platz gesetzt, wo sie steht, weiß selbst nicht, wie sie dahin kam. Aber das weiß sie oder sollte es wissen, daß sie nur das erkenne, was dieser Platz ihr zeige, daß es mit dem aus sich selbst schöpfenden Spiegel des Universum, mit dem unendlichen Auffluge ihrer positiven Kraft in allmächtiger Selbstheit nichts sei. Sie ist in einer Schule der Gottheit, die sie sich nicht selbst gegeben; sie muß die Reize, die Sinne, die Kräfte und Gelegenheiten brauchen, die ihr durch eine glückliche, unverdiente Erbschaft zu Theil wurden, oder sie zieht sich in eine Wüste zurück, wo ihre göttliche Kraft lähmt und erblindet. Der abstracte Egoismus also, und wenn er auch nur Schulsprache wäre, dünkt mich der Wahrheit und dem offnen Gange der Natur entgegen.

Ich kann hier nicht ins Einzelne gehen, bei jedem Sinne zu zeigen, wie weise und gütig der Vater unsrer Natur uns überall an Formeln seiner Weisheit und Güte übt; daß er uns aber unaufhörlich also übt, daß unsre Seele eigentlich nichts könne und thue, als Formeln der Art aufzulösen, mit einem Abdrucke göttlicher Energie, zwar nicht aus Finsterniß, aber aus Dämmerung Licht, aus einer nassen Flamme helle, warme Funken hervorzurufen, mich dünkt, dies zeigen und sagen alle Handlungen unsrer erkennenden, wollenden Seele. Sie ist das Bild der Gottheit und sucht auf Alles, was sie umgiebt, dies Bild zu prägen, macht das Vielfache eins, sucht aus Lüge Wahrheit, aus unstäter Ruhe helle Thätigkeit und Wirkung, und immerdar ist's, als ob sie dabei in sich blicke und mit dem hohen Gefühl: »Ich bin Tochter Gottes, bin sein Bild«, zu sich spreche: »Lasset uns!« und will und waltet. Wir haben von keiner innigern Thätigkeit Begriff, als deren eine menschliche Seele fähig ist; sie tritt in sich zurück, ruht gleichsam auf sich selbst und kann ein Weltall drehen und überwinden. Jeder höhere Grad des Vermögens, der Aufmerksamkeit und Losreißung, der Willkür und Freiheit liegt in diesem dunkeln Grunde von innigstem Reiz und Bewußtsein ihrer selbst, ihrer Kraft, ihres innern Lebens.

Man ist gewohnt, der Seele eine Menge Unterkräfte zu geben, Einbildung und Voraussicht, Dichtungsgabe und Gedächtniß; indessen zeigen viele Erfahrungen, daß, was in ihnen nicht Apperception, Bewußtsein des Selbstgefühls und der Selbstthätigkeit sei, nur zu dem Meer zuströmender Sinnlichkeit, das sie regt, das ihr Materialien liefert, nicht aber zu ihr selbst gehöre. Nie wird man diesen Kräften tief auf den Grund kommen, wenn man sie nur von oben her als Ideen behandelt, die in der Seele wohnen, oder gar als gemauerte Fachwerke von einander scheidet und unabhängig einzeln betrachtet. Auch in der Einbildung und dem Gedächtniß, der Erinnerung und Voraussicht muß sich die eine Gotteskraft unsrer Seele, »innere in sich blickende Thätigkeit, Bewußtsein, Apperception«, zeigen; in dem Maße dieser hat ein Mensch Verstand, Gewissen, Willen, Freiheit, das Andre sind zuströmende Wogen des großen Weltmeers.

Man nennt das Wort Einbildungskraft und pflegt's dem Dichter als sein Erbtheil zu geben; sehr böse aber, wenn die Einbildung ohne Bewußtsein und Verstand ist: der Dichter ist nur ein rasender Träumer. Angebliche Philosophen haben Witz und Gedächtniß verschrieen, jenen nur Schalksnarren, dieses Wortkrämern übergeben; Schade alsdann für die edeln Kräfte! Witz und Gedächtniß, Einbildung und Dichtungsgabe sind von guten Seelen so verständig gebraucht worden, daß ihr großer Verstand gewiß nicht ohne jene weitfassenden Wurzeln hätte erwachsen können. Homer und Shakespeare waren gewiß große Philosophen, wie Leibniz ein sehr witziger Kopf, bei dem meistens eine Metapher, ein Bild, ein hingeworfnes Gleichniß die Theorien erzeugte, die er auf ein Quartblatt hinwarf, und aus dem die Weberzünfte nach ihm dicke Bände spannen. Rabelais und Swift, Butler und selbst der große Baco waren witzige Köpfe; der Letzte gehört auch zu Denen,

    »deren Ring durch ein Gedankenpaar,
Vertraulich keusch vermählt, oft tausende gebar.«

Es wäre aber nicht mein Feind, dem ich ihren Witz und ihre Bildersprache wünschte. Baco war dem scholastischen Scharfsinn feind, aber nur dem scholastischen Scharfsinn, der jede lebendige Creatur Gottes in Moder auflöst; wahren Scharfsinn liebte und bewies er selbst. Locke's Philosophie war das Federmesser zu Descartes' Gespinnsten, und es gehörte Leibnizens Witz dazu, Baylens dialektischen Scharfsinn in seinem Uebertriebnen zu entfalten. Das Wortgedächtniß der Schulpedanten ist eine elende Sache und trocknet die Seele zum jämmerlichen Namenregister auf; zu einem Cäsar und Mithridat aber, gehörte da nicht auch ihr Namengedächtniß? Kurz, alle diese Kräfte sind im Grunde nur eine Kraft, wenn sie menschlich, gut und nützlich sein sollen; und das ist Verstand, Anschauung mit innerm Bewußtsein. Man nehme ihnen dieses, so ist die Einbildung Blendwerk, der Witz kindisch, das Gedächtniß leer, der Scharfsinn Spinnweb; in dem Maß aber, als sie jenes haben, vereinigen sich, die sonst Feindinnen schienen, und werden nur Wurzeln oder sinnliche Darstellungen einer und derselben Energie der Seele. Gedächtniß und Einbildung werden das ausgebreitete und tiefe Bild der Wahrheit; Scharfsinn sondert, und Witz verbindet, damit eben ein helles wichtiges Eins werde; Phantasie fleugt auf, Selbstbewußtsein faltet die Flügel: lauter Aeußerungen einer und derselben Energie und Elasticität der Seele.

Wie aber? hat diese innere Elasticität keinen Helfer, keinen Stab, an dem sie sich stütze und halte? kein Medium, wenn ich so sagen darf, das sie wecke und ihre Wirkung leite, wie wir's bei jedem Reiz, bei jedem Sinne fanden? Ich glaube, ja! und dies Medium unsers Selbstgefühls und geistigen Bewußtseins ist – Sprache. Stumm- und Taubgeborne zeigen durch sonderbare Proben, wie tief die Vernunft, das Selbstbewußtsein, wo sie nicht nachahmen können, schlummre; und ich glaube, meiner vorigen Meinung ziemlich zuwider,In seiner Preisschrift: Ueber den Ursprung der Sprache. – D. daß wirklich ein solcher Stab der Aufweckung unserm innern Bewußtsein zu Hilfe kommen mußte, als das Licht dem Auge, daß es sehe, der Schall dem Ohr, daß es höre. So wie diese äußeren Medien für ihre Sinne wirklich Sprache sind, die ihnen gewisse Eigenschaften und Seiten der Dinge vorbuchstabiren, so, glaub' ich, mußte Wort, Sprache zu Hilfe kommen, unser innigstes Sehen und Hören gleichfalls zu wecken und zu leiten. So, sehen wir, sammelt sich das Kind, es lernt sprechen, wie es sehen lernt, und genau dem zufolge denken. Wer Kinder bemerkt hat, wie sie sprechen und denken lernen, die sonderbaren Anomalien und Analogien, die sich dabei äußern, wird kaum mehr zweifeln. Auch in den tiefsten Sprachen ist Vernunft und Wort nur ein Begriff, eine Sache: λόγος. Der Mensch gafft so lange Bilder und Farben, bis er spricht, bis er inwendig in seiner Seele nennt. Die Menschen, die, wenn ich so sagen darf, viel von diesem innern Wort, von dieser anschauenden, göttlichen Bezeichnungsgabe haben, haben auch viel Verstand, viel Urtheil; die es nicht haben, und schwämme ein ganzes Meer von Bildern um sie, gaffen nur, wenn sie sehen, können nicht erfassen, nicht in sich verwandeln, nicht gebrauchen. Je mehr man diese innere Sprache eines Menschen stärkt, leitet, bereichert, bildet, desto mehr leitet man seine Vernunft und macht das Göttliche in ihm lebendig, das Stäbe der Wahrheit braucht und sich an ihnen wie aus dem Schlummer emporrichtet. Die große Welt von Folgen, die dies giebt, werden wir an einem andern Orte sehen.

Unser Erkenntniß ist also, ob's gleich freilich das tiefste Selbst in uns ist, nicht so eigenmächtig, willkürlich und los, als man glaubt. Das Alles abgerechnet, was bisher gezeigt ist, daß unser Erkennen nur aus Empfindung werde, sieht man, der Gegenstand muß noch durch geheime Bande, durch einen Wink zu uns kommen, der uns erkennen lehre. Diese Lehre, dieser Sinn eines Fremden, der sich in uns einprägt, giebt unserm Denken seine ganze Gestalt und Richtung. Ungeachtet alles Sehens und Hörens und Zuströmens von außen würden wir in tiefer Nacht und Blindheit tappen, wenn nicht frühe die Unterweisung für uns gedacht und gleichsam fertige Gedankenformeln uns eingeprägt hätte. Da hob sich unsre Kraft empor, lernte sich selbst fühlen und brauchen; lange und oft lebenslang gehen wir an den uns gereichten Stäben frühester Kindheit, denken selbst, aber nur in Formen, wie Andre dachten, erkennen, worauf uns der Finger solcher Methoden winkt: das Andre ist für uns, als ob es gar nicht wäre.

Meistens ist diese »Geburt unsrer Vernunft« den Weisen unsrer Welt so unanständig, daß sie sie ganz verkennen und ihre Vernunft als ein eingewachsenes, ewiges, von Allem unabhängiges, untrügliches Orakel verehren. Ohne Zweifel gingen diese Weisen nie im langen Kleide, lernten nie sprechen, wie ihre Wärterinnen sprachen, oder haben vielleicht gar keinen eingeschränkten »Empfindungskreis«, keine Mutter- und Menschensprache. Sie sprechen wie die Götter, d. i. sie denken rein und erkennen ätherisch; daher denn auch nichts als Götter- und Vernunftsprüche von ihren Lippen kommen können. Alles ist ihnen angeboren, eingepflanzt, der Funke untrüglicher Vernunft ohne einen Prometheus vom Himmel gestohlen. Laß sie reden und ihre Bildwörter anbeten; sie wissen nicht, was sie thun. Je tiefer Jemand in sich selbst, in den Bau und Ursprung seiner edelsten Gedanken hinabstieg, desto mehr wird er Augen und Füße decken und sagen: »Was ich bin, bin ich geworden. Wie ein Baum bin ich gewachsen; der Keim war da, aber Luft, Erde und alle Elemente, die ich nicht um mich setzte, mußten beitragen, den Keim, die Frucht, den Baum zu bilden.«

 

Auch Erkennen ohne Wollen ist nichts, ein falsches, unvollständiges Erkennen. Ist Erkenntniß nur Apperception, tiefes Gefühl der Wahrheit, wer wird Wahrheit sehen und nicht sehen? Güte erkennen und nicht wollen und lieben? Eben diese Abtheilungen zeigen, wie sehr der Baum unsers Innern zerzaust und verfasert sei, daß Speculation uns für Erkenntniß und Spiel für Thätigkeit gelten kann. Speculation ist nur Streben zum Erkenntniß; ein Thor nur vergißt das Haben über dem Streben. Speculation ist Zertheilung; wer ewig theilt, wird nie ganz besitzen und brauchen. Besitzt man aber und fühlt, daß man besitze, so ist bei einem Gesunden das Brauchen und Genießen natürlich.

Auch ist so denn keine Leidenschaft, keine Empfindung ausgeschlossen, die nicht durch solches Erkennen Wollen würde; eben im besten Erkenntniß können und müssen alle wirken, weil das beste Erkenntniß aus ihnen allen ward und nur in ihnen allen lebt. Lügner oder Entnervte, die mit lauter reinen Grundsätzen prahlen und Neigungen verfluchen, aus denen allein wahre Grundsätze werden! Das heißt ohne Wind segeln und ohne Waffen kämpfen. Reiz ist die Triebfeder unsers Daseins, und sie muß es auch bei dem edelsten Erkennen bleiben. Welche Neigung und Leidenschaft, die sich nicht mit Erkenntniß und Liebe Gottes und des Nächsten beleben ließe, daß sie nur um so reiner, sicherer und mächtiger wirke? Die Schlacken werden weggebrannt, aber das wahre Gold soll bleiben. Jede Kraft und jeder Reiz, der in meiner Brust schläft, soll aufwachen und nur im Geist meines Urhebers wirken.

Aber wer lehrt mich dieses? Giebt's ein Gewissen, ein moralisches Gefühl, das mir, abgetrennt von allem Erkenntniß, richtigen Weg zeige? Die Worte selbst scheinen Unsinn, wenn man sie so vorträgt; ich glaube aber kaum, daß so etwas je eines Menschen Meinung gewesen. Ist jedes gründliche Erkenntniß nicht ohne Wollen, so kann auch kein Wollen ohn' Erkennen sein: sie sind nur eine Energie der Seele. Aber wie unser Erkennen nur menschlich ist und also sein muß, wenn es recht sein soll, so kann auch unser Wollen nur menschlich sein, mithin aus und voll menschlicher Empfindung. Menschheit ist das edle Maß, nach dem wir erkennen und handeln; Selbst- und Mitgefühl also (abermals Ausbreitung und Zurückziehung) sind die beiden Aeußerungen der Elasticität unsers Willens; Liebe ist also das edelste Erkennen wie die edelste Empfindung. Den großen Urheber in sich, sich in Andre hinein zu lieben und dann diesem sichern Zuge zu folgen, das ist moralisches Gefühl, das ist Gewissen. Nur der leeren Speculation, nicht aber dem Erkennen steht's entgegen; denn das wahre Erkennen ist lieben, ist menschlich fühlen.

Siehe die ganze Natur, betrachte die große Analogie der Schöpfung: Alles fühlt sich und Seinesgleichen, Leben wallt zu Leben. Jede Saite bebt ihrem Ton, jede Fiber verwebt sich mit ihrer Gespielin, Thier fühlt mit Thier; warum sollte nicht Mensch mit Menschen fühlen? Nur er ist Bild Gottes, ein Auszug und Verwalter der Schöpfung; also schlafen in ihm tausend Kräfte, Reize und Gefühle; es muß also in ihnen Ordnung herrschen, daß alle aufwachen und angewandt werden können, daß er Sensorium seines Gottes in allem Lebenden der Schöpfung, nach dem Maße es ihm verwandt ist, werde. Dies edle allgemeine Gefühl wird also eben durch das, was es ist, Erkenntniß, die edelste Kenntniß Gottes und seiner Nebengeschöpfe durch Wirksamkeit und Liebe. Selbstgefühl soll nur die conditio sine qua non, der Klumpe bleiben, der uns auf unsrer Stelle festhält, nicht Zweck, sondern Mittel. Aber nothwendiges Mittel; denn es ist und bleibt wahr, daß wir unsern Nächsten nur wie uns selbst lieben. Sind wir uns untreu, wie werden wir Andern treu sein? Im Grad der Tiefe unsers Selbstgefühls liegt auch der Grad des Mitgefühls mit Andern; denn nur uns selbst können wir in Andre gleichsam hineinfühlen.

Mich dünkt, es sind also leere Streitigkeiten, wo das Principium unsrer Moralität sei, ob im Wollen oder Erkennen, ob in unsrer oder in fremder Vollkommenheit. Alles Wollen fängt freilich vom Erkennen an, aber alles Erkennen wird auch wiederum nur durch Empfindung. Eigne Vollkommenheit kann ich nur durch die Vollkommenheit Andrer wie diese durch jene erlangen. Schon Hippokrates nannte die menschliche Natur einen lebendigen Kreis, und das ist sie. Ein Wagen Gottes, Auge um und um, voll Windes und lebendiger Räder. Man muß sich also für nichts so sehr als für dem einseitigen Zerstücken und Zerlegen hüten. Wasser allein thut's nicht, und die liebe kalte speculirende Vernunft wird Dir Deinen Willen eher lähmen, als Dir Willen, Triebfedern, Gefühl geben. Wo sollte es in Deine Vernunft kommen, wenn nicht durch Empfindung? Würde der Kopf denken, wenn Dein Herz nicht schlüge? Aber gegentheils, willst Du auf jedes Pochen und Wallen Deines Herzens, auf jeden Nachhall einer gereizten Fiber als auf die Stimme Gottes merken und ihr blindlings folgen, wo kannst Du hingerathen, da alsdann Dein Verstand zu spät kommt? Kurz, folge der Natur! sei kein Polype ohne Kopf und keine Steinbüste ohne Herz; laß den Strom Deines Lebens frisch in Deiner Brust schlagen, aber auch zum feinen Mark Deines Verstandes hinauf geläutert und da Lebensgeist werden!

Auch die Frage entschiede sich hier also: ob dies unser Wollen was Angeerbtes oder Erworbnes, was Freies oder Abhängiges sei. Es entscheidet sich ganz aus dem Grunde, daß wahres Erkennen und gutes Wollen nur einerlei sei, eine Kraft und Wirksamkeit der Seele. War unser Erkennen nun nicht durch sich, willkürlich und ungebunden; hatte es, wenn es sich aufs Tiefste als Selbst fühlen wollte, Stäbe der Aufrichtung, innere Sprache nöthig: wahrlich, so wird's dem Willen nicht anders sein können! Agamemnon hatte seinen Scepter von Thyest, der von Atreus, dieser von Pelops, dieser vom Zeus endlich, und Hephästus hatte ihn geschmiedet:Ilias, II. 101-108. – D. so geht's auch mit dem edelsten Königsscepter, »der Freiheit unsrer Seele«.

Von Freiheit schwätzen, ist sehr leicht, wenn man jedem Reiz, jedem Scheingut als einer uns sufficienten Ursache dient. Es ist meistens ein erbärmlicher Trug mit diesen sufficienten Gründen, wo das Allgemeine immer wahr scheint, und das besondre Einzelne des bestimmten Falles ist Lüge. Man ist ein Knecht des Mechanismus, dieser aber in die lichte Himmelsvernunft verkleidet, und wähnt sich frei; ein Sclave in Ketten und träumt sich diese als Blumenkränze. Sobald man ins Speculiren kommt, kann man aus Allem Alles machen, dünkt sich aufgeflogen zum Empyreum, und der arme Wurm liegt noch in der Hülle ohne Flügel und Frühling. Da ist's wahrlich der erste Keim zur Freiheit, fühlen, daß man nicht frei sei, und an welchen Banden man hafte. Die stärksten, freisten Menschen fühlen dies am Tiefsten und streben weiter; wahnsinnige, zum Kerker geborne Sclaven höhnen sie und bleiben voll hohen Traums im Schlamme liegen. Luther mit seinem Buch De servo arbitrio ward und wird von den Wenigsten verstanden; man widerstritt elend oder plärrt nach: warum? weil man nicht wie Luther fühlt und hinaufringt.

Wo Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Je tiefer, reiner und göttlicher unser Erkennen ist, desto reiner, göttlicher und allgemeiner ist auch unser Wirken, mithin desto freier unsre Freiheit. Leuchtet uns aus Allem nur Licht Gottes an, wallt uns allenthalben nur Flamme des Schöpfers, so werden wir im Bilde seiner Könige aus Sclaven und bekommen, was jener PhilosophArchimedes. – D. suchte, in uns einen Punkt, die Welt um uns zu überwinden, außer der Welt einen Punkt, sie mit Allem, was sie hat, zu bewegen. Wir stehen auf höherm Grunde und mit jedem Dinge auf seinem Grunde, wandeln im großen Sensorium der Schöpfung Gottes, der Flamme alles Denkens und Empfindens, der Liebe. Sie ist die höchste Vernunft wie das reinste, göttlichste Wollen; wollen wir dieses nicht dem heiligen Johannes, so mögen wir's dem ohne Zweifel noch göttlichern Spinoza glauben, dessen Philosophie und Moral sich ganz um diese Achse bewegt.

 

Prima creatura Dei fuit lux sensus, postrema lux rationis.   Et hoc ipsum est, coelo in terris frui, quando mens humana in caritate movetur, in providentia quiescit et supra polos veritatis circumfertur.

Baco, De veritate.Sermones fideles, I. Vgl. Herder's Werke, XIV, S. 582 f. – D.

 

Luce intellettual, piena d'amore,
Amor di vero, ben pien de letizia,
Letizia, che trascende ogni dolzore.
                            Dante.
Paradiso, Canto XXX. 40–42. – D.

 

Sie war die Laute seiner Hand,
Die er zu seiner Lust erfand;
Er gab ihr Millionen Saiten,
Und jede klingt, und jeder Klang
Tönt zum harmonischen Gesang
Der Lehre seiner Heimlichkeiten.
                                  Withof.

 

Zweiter Versuch.
Einfluß beider Kräfte in einander und auf Charakter und Genie des Menschen.

(Von welchem letztern ein andermal mehr.)

 

Beinah zu lange haben wir uns in Allgemeinörtern aufhalten müssen, hinter denen Mancher, der an die liebe Abstraction nicht gewöhnt ist, vielleicht so klug ist, als er war; lasset uns, um einigermaßen nützlich zu werden, die Philosophie vom Wolkenhimmel auf die Erde rufenNach dem bekannten Worte von Sokrates. – D. und unsern Satz in bestimmten einzelnen Fällen und Classen betrachten.

I. Unser Denken hängt ab vom Empfinden.

1. Bei jedem einzelnen Menschen. Wer ins Tollhaus geht, findet alle Narren auf verschiedne Art, jeden in seiner Welt rasen: so rasen wir Alle sehr vernünftig, Jeder nach seinen Säften und Launen. Der tiefste Grund unsers Daseins ist individuell, sowol in Empfindungen als Gedanken. Bemerkt nur in einzelnen Fällen, aus wie sonderbaren Keimen und Samenkörnern Jenem und Diesem die Saat seiner Leidenschaften wachse. Wobei der Eine kalt bleibt, dabei glüht der Andere; alle Thiergattungen unter einander sind vielleicht nicht so verschieden als Mensch vom Menschen.

Würde ein Mensch den tiefsten, individuellsten Grund seiner Liebhabereien und Gefühle, seiner Träume und Gedankenfahrten zeichnen können, welch ein Roman! Jetzt thun es nur etwa Krankheiten und Augenblicke der Leidenschaft; und oft welche Ungeheuer und blaue Meerwunder wird man gewahr!

Man sollte jedes Buch als den Abdruck einer lebendigen Menschenseele betrachten können; je lebendiger und wahrer der Abdruck ist, je weniger der Verfasser hofirte und ein elendes Allgemeingeschwätz zwischen den vier Ecken des Randes gab: wie sonderbar und einzeln dünkt es uns öfters! Oft ist's ein Räthsel ohne Auflösung, eine Münze ohne Umschrift: die flachsten Leser, und meistens die hohlsten, daher auch die lautesten von allen, die respectabeln Kunstrichter, messen nach ihrem unmaßgeblichen wenigen Selbst, schreien und verdammen. Der bescheidnere Weise urtheilt wie Sokrates über Heraklit's Schriften, sucht mehr im Geist des Urhebers als im Buch zu lesen; je mehr er dahin eindringt, je lichter und zusammenhängender wird Alles. Das Leben eines Autors ist der beste Commentar seiner Schriften, wenn er nämlich treu und mit sich selbst eins ist, nicht einer Heerde an Wegscheiden und Landstraßen nachblökt.

Jedes Gedicht, zumal ein ganzes, großes Gedicht, ein Werk der Seele und des Lebens, ist ein gefährlicher Verräther seines Urhebers, oft, wo dieser am Wenigsten sich zu verrathen glaubte. Nicht nur sieht man bei ihm etwa, wie der Pöbel ruft, des Mannes dichterische Talente; man sieht auch, welche Sinne und Neigungen bei ihm herrschten, durch welche Wege und wie er Bilder empfing, wie er sie und das Chaos seiner Eindrücke regelte und fügte: die Lieblingsseiten seines Herzens sowie oft die Schicksale seines Lebens; seinen männlichen oder kindischen Verstand, die Stäbe seines Denkens und seiner Erinnerung. Doch ich mag unsern Kunstrichtern, die von so etwas in ihrem Leben nicht geträumt, schon viel zu viel gesagt haben. Freilich ist nicht jede Kothseele eines solchen Studiums werth; allein von einer Kothseele brauchte man auch keine Abdrücke, weder in Schriften noch in Thaten. Wo es der Mühe lohnt, ist dies lebendige Lesen, diese Divination in die Seele des Urhebers das einzige Lesen und das tiefste Mittel der Bildung. Es wird eine Art Begeisterung, Vertraulichkeit und Freundschaft, die uns da, wo wir nicht gleich denken und fühlen, oft am Lehrreichsten und Angenehmsten ist, und die eigentlich das, was man Lieblingsschriftsteller nennt, bezeichnet. Solches Lesen ist Wetteifer, Heuristik; wir klimmen mit auf schöpferische Höhen oder entdecken den Irrthum und die Abweichung in ihrer Geburtsstätte. Je mehr man den Verfasser lebendig kennt und mit ihm gelebt hat, desto lebendiger wird dieser Umgang.

Ein Mensch in verschiednen Lebenszeiten ist sich nicht gleich, denkt anders, nachdem er anders empfindet. Jedermann weiß, wie öfters, zumal bei plötzlichen Leidenschaften, uns unser erstes Urtheil trüge, und wie gegentheils der erste Eindruck an Frische und Neuheit nichts seinesgleichen habe. Das erste unbefangne Werk eines Autors ist daher meistens das beste; seine Blüthe ist im Aufbruch, seine Seele noch Morgenröthe. Vieles ist bei ihm noch volle, ungemessne Empfindung, was nachher Grübelei oder reifer Gedanke wird, der schon sein Jugendroth verloren. Wir lieben immer mehr das Halbe als das Ganze, den versprechenden Morgen mehr als den Mittag in höchster Sonnenhöhe. Wir wollen lieber empfinden als wissen, lieber selbst und vielleicht zu viel errathen als langsam hergezählt erhalten. Indessen sind zum Besten der Welt alle Lebens- und alle Tagszeiten nöthig.

Die alten Deutschen faßten Entschlüsse in Trunkenheit und führten sie nüchtern aus;Tac. Germ., 22. – D. Andre werden sie nüchtern fassen und trunken ausführen. Indeß ist's wahr, unsre Kugel bewegt sich immer um diese beiden Brennpunkte unsrer Ellipse und ist selten beiden gleich nahe. Vielleicht kann sie und soll sie's auch nicht sein; nur hüte sie sich für jedem Aeußersten, aus dem sie nicht wieder zurück kann. Sie ermattet im reinen Verstande und sinkt in der brennenden Leidenschaft unter.

Vielleicht hat Niemand die Schwachheit der Menschen und ihre Abhängigkeit von den kleinsten Kleinigkeiten der Empfindung reicher und natürlicher bemerkt als Montaigne und Yorick. Sie haben die Hygrometrie der Menschheit bearbeitet; die Photometrie und die Dynamik menschlicher Seelen müssen Andre geben; Shakespeare, glaube ich, giebt Proben von Allem.

2. Wie einzelne Menschen, so sind noch mehr Familien und Völker von einander verschieden; nach dem Kreise ihrer Empfindungs- richtet sich auch ihre Denkart. Söhne eines Stammvaters von gleicherer Organisation in einerlei Welt und Klima müssen einander ähnlicher denken als Antipoden an Sitte und Empfindung. Man hat die Religion und Moral der Völker, die in rauhen Gegenden, zwischen Gebirgen und Felsklüften, auf einer feuerspeienden, oft erbebenden Erde oder an schrecklichen Meeren wohnen, allemal wild, schrecklich und staunend gefunden, und oft machen Nationen, die offenbar eines Ursprungs sind, dicht an einander, hierin den sonderbarsten Unterschied. Gesetze, Regierung, Lebensweise thun noch mehr, und so wird die Denkart des Volks, eine Tochter deß Allen, auch deß Allen Zeugin. Ich mag keine Beispiele anführen, weil die ganze Erdkugel davon Zeuge ist und wir schon einige gute Sammlungen über den verschiednen Geist der Völker aus ihrem Empfindungs- und Lebenskreise haben. Ich wollte, wir hätten eine ohne alle Hypothesen und, so viel möglich, voll geprüfter Wahrheit.

Einer Nation auf den ganz ungeänderten Stamm ihrer Empfindungen eine neue Lehre und Denkart aufzwingen wollen, ohne daß sich jene mit dieser im Mindesten mische, ist meistens unnütz, oft auch schädlich. Die Denkart eines Volks ist die Blüthe seiner Empfindungsweise; in diese muß man einfließen, oder jene ist welkend. Einem wilden Volke plötzlich das Resultat der feinsten Abstractionen aufbürden, wozu es weder Kopf noch Herz, weder Analogie von Lebensart noch Sprache hat, wird allemal ein wunderbarer Mischmasch. Was ward Aristoteles in den Händen der Araber? was ist das Papstthum in China worden? Jener ein Muselmann, dies ein lebendiger Confucianismus.

Wenn Missionarien nach Indien gehn und Thierblut duften, wofür der Brame schauert: wie viel hat der arme Indianer zu bekämpfen, ehe er hören kann, was man von ihm wolle! Und wenn das einfache edle Christenthum (gewiß die Religion für alle Völker der Erde!) ihnen gar in dem Dunst einer engen Secte und Studirstube erscheint, wie muß sich das mit ihrem Hirn und Hirnlein fügen?

Die Vorsehung selbst ist die beste Bekehrerin der Völker; sie ändert Zeiten, Denkarten, Sitten, wie sie Himmel und Erde, Kreise von Empfindungen und Umständen ändert. Man vergleiche Deutschland mit dem, was es zu Karl's des Großen oder Hermann's Zeiten war. Würden Diese es erkennen, wenn sie wieder erschienen? Die größte Veränderung in der Welt ist »dieser Fort- und Umlauf im Reiche der Geister nach veränderten Empfindungen, Bedürfnissen und Situationen.« Die Geschichte der Völker forscht ihm nach; wer weiß aber bei den verwickelten Gängen des Schicksals Zweck und Ziel?

Da die Vorsehung indeß nie ohne Mittel handelt, so sind eben auch zu dieser »Umbildung der Kenntnisse durch Empfindungen« Menschen die edelsten Werkzeuge. Die Männer, die auf der Welt das Meiste ausgerichtet, blieben nie bei der Blüthe solcher und solcher Meinungen stehen, sondern wagten sich zur Wurzel der Empfindung, dem Herzen, der Lebensweise. Dichter oder Weise, Gesetzgeber oder Heerführer, Religionsstifter oder Demagogen, sie trafen das Herz, und damit wirkten sie auf Ideen. Baco ließ Eintheilungen und scholastische Speculationen liegen und ging auf erste Begriffe, Sachen, Natur; er grub wie jene BrüderFab. Aesop., 23. – D. nach dem Schatze, und die reiche Ernte auf dem umwühlten Acker wuchs von selbst.

Die größten Wahrheiten wie die ärgsten Lügen, die erhabensten Kenntnisse und die scheußlichsten Irrthümer eines Volks wachsen meistens aus Samenkörnern, die nicht dafür erkannt werden; sie werden von Einflüssen belebt, die oft gerade fürs Gegentheil dessen, was sie sind, gelten. Der Arzt also, der Uebel heilen will, suche sie im Grunde; aber eben wenn er da sucht, wird das Kind oder das kranke Jahrhundert ihm schlecht danken. Läßt er sich zu seinem lieben Siechthum herab und sucht es mit Gesundheit zu überweben – wer ist größer und willkommner als er, die Säule aller Wissenschaft und alles Ruhmes! Nun aber greift er nach unserm Herzen, nach unsern Lieblingsempfindungen und Schwächen, mit denen uns so wohl war: hinweg mit ihm, dem Verräther der Menschheit, dem Mörder unsrer besten Kenntnisse und Freuden! Wir wollten einen Bund mit ihm machen, droben am Baum zu bleiben, und wollten ihm darum baß dienen; nun gräbt er zur Wurzel und schlitzt die glatte Rinde auf – der Undankbare!

Sokrates vor seinen Richtern verglich die weise Stadt Athen mit einer Gesellschaft Kinder, denen er ihre Näschereien nehmen wollte und sie also sämmtlich zu Feinden hätte. Sokrates starb, nicht als Dieb Atheniensischer Näschereien, sondern als Verführer der Jugend und Gottesleugner. Die Sophisten seiner Zeit, die treulosen Aerzte, die süßes Gift mischten, arbeiteten alle am Flor der Wissenschaft und Glückseligkeit ihrer Bürger.

Der beste Segen, den ein Vater seinem philosophirenden, gubernirenden (und wie man weiter das Irende fortsetzen will) Sohn nachlassen kann, ist dieser: »Liebes Söhnlein, streichle die Wangen Deines Geschäfts und laß das Geschwür inwendig fressen und zehren! Pflege den Baum an seiner Krone und schneide ihn nach der neuesten Gestalt etwa, um Wurzel und Stamm aber sei unbekümmert!« Es ist gerade der Segen des Vaters in der Gellert'schen Fabel,»Der sterbende Vater«. – D. nur mit feinern Worten.

Es ist eine alte, ewige Bemerkung, daß die würdigsten Erleuchter und Besserer der Welt nicht sogleich wirkten, oft lebenslang verkannt wurden, und nach Jahrhunderten blühte erst ihr Ruhm hervor. Warum? Ihre Gedanken- oder Empfindungssphäre war dem Jahrhunderte zu fern und zu hoch. »Was will dieser Steinklump sagen?« sagten sie zum Fuß der Bildsäule (denn höher hinauf langte ihr Blick nicht) und bewarfen das arme Postement (nicht die Bildsäule, an die ihre Hand voll Mist nicht reichte) mit Koth. Nach Jahrhunderten, da hellerer Tag war, rückte die Natur aus dem Nebel, und nun zeigte sich, daß im Dunkeln auch damals schon Manches gewirkt hatte und besserer Zeit Platz machte. Ueberhaupt war nie ein wahrer Gedanke und eine gute Empfindung verloren. Was wahr und gut ist, hängt mit dem Sensorium der Schöpfung, dem großen Geiste zusammen, an dessen Gewande nichts umkommt. Die Aloe blüht spät, aber herrlich: ein ganzer Garte in einem Baume!

3. Wie es eine allgemeine Menschenempfindung giebt, so muß es auch eine allgemeine Menschendenkart (sensus communis) geben; mit keinem Wort aber treiben die moralisch-philosophischen Philister ärgere Schleichwaare als mit diesem. Wenn Jeder, wo der Schuh sein Hühnerauge drückt, sich gleich auf allgemeinen Menschenverstand und Menschenempfindung bezieht, so ehrt er den Genius der Menschheit, den er in sein Hühnerauge verwandelt, wahrlich nicht und zeigt jedem Klugen nichts weiter, als daß der leidende Herr sich mit nichts Besserm zu trösten wisse. Für Menschenvernunft und allgemeinen Menschenverstand und Menschenempfindung allen Respect; aber, lieber Freund, diese Dinge sind etwas Anders als Eure Schlafmütze.

Ich könnte hier über den allgemeinen Menschenverstand manch Märchen erzählen, als z. B. von jenem klugen Mann, der alle Schiffe im Hafen zu Athen sein glaubte und sich dabei sehr wohl fand; oder von jenem Araber, der alle seine Brüder der Wüste immer zu Gast ruft, ob er gleich nichts für sie hat und wohl weiß, daß Meilen umher keine lebendige Seele da ist; oder von jenem Mohrenkönig, der allen Potentaten der Erde nun zu speisen erlaubt, nachdem er gespeist hat; oder – oder – ich fürchte aber, die allgemeine Menschenvernunft und Menschenliebe und Menschentoleranz und Menschen*** möchte sich gegen mich, den Unmenschen, zuerst wenden; also satis superque!

Freilich muß es einen allgemeinen Menschen- wie Engels-, Löwen- und Bestienverstand geben; ich fürchte aber, daß ein Einzelner, zumal Siech- und Preßhafter des Geschlechts darüber schwerlich Auskunft geben und die Höhe, Tiefe, Breite und Länge desselben zeichnen könnte. So viel wir von allgemeiner Vernunft schwatzen, so wenig haben wir's noch erörtert, was diese eigentlich sei, und wo sie hause, woher sich unsre Vernunft entsponnen, wo Völker abgehen, und wo alle sich zusammenfinden. Die allgemeine Menschenvernunft, wie wir das Wort gern nehmen möchten, ist Bemäntelung unsrer Lieblingsgrillen, Abgötterei, Blind- und Trägheit. Und was wahre Menschenvernunft, Menschenempfindung und Bedürfniß ist und ewig sein wird, davor schließen wir Augen und Ohren. Doch abermal gnug, und hinzu zur andern lichten, herrlichen Frage:

II. Was wirkt unser Denken aufs Empfinden?

Und darf ich da auch erste Empfindung zur Antwort schreiben, so muß ich sagen: »Jetzo sehr wenig!« Was weiß unser Jahrhundert nicht! wie übt sich's nicht im Denken, Erkennen, ja sogar ex professo im Empfinden! Und wenn der Baum nur aus Früchten erkannt wird, von diesem Denken und Empfindeln, wo ist die Frucht?

»Ohne Zweifel muß es also nicht das rechte Denken, das rechte Empfinden sein!« Und das glaube ich auch. Bloßes Speculiren und Sentimentalisiren hilft nichts; jenes stumpft die Seele wie dies das Herz ab. Der Kopf wird zum überschütteten Kornboden, wo nichts aufgeht, das Herz zum ausgewaschnen, zerrissenen Lappen, der zuletzt zu nichts taugt, als daß er Mist werde.

Das Uebel fängt früh an, oft schon in Mutterleibe. Wie wir sind, sind unsre Kinder; Niemand kann was Bessers als sich selbst der Nachwelt geben. Zu früh erschöpfte Lebensgeister, von Weichheit, Ueppigkeit und Müssiggang welke Fibern pflanzen sich fort; denn kein Abfluß springt höher als seine Quelle. Die berühmtesten Speculanten und Empfindler werden also schon geboren. In dies zähe Mark, in dies verfließende Wachs, was kann hineingedrückt werden, das da bleibe, das fortwirke? wie Schleim und Gallert entschlüpft das Geschöpf den Händen seiner Bildung.

Also erzogen, also wächst's auf. Die Lehrer thun alle, als ob, was sie ihm sagen, nicht wahr wäre; ihnen ist's auch meistens nicht wahr; denn sie haben's ebenso gelernt und in ihrem Leben nichts davon gespürt und empfunden. So sind Eltern und Lehrer, Kanzeln und Katheder; das Kind und der Knabe hört überall Geschwätz, Lüge, wo wenig fehlt, daß man nicht mitten in der Rede innehalte und sage, was Jener über die Höllenstrafen sagte: »Fürchte Dich nicht, liebes Kind, ich muß Dir das nur sagen! Glaube nichts davon; denn ich glaube selbst nichts, wie Du siehst.« Die große Stimme des Beispiels sagt ihnen dies laut und unaufhörlich.

Erwachsen also unter lauter Wortkrämerei und thätiger Lüge, lernt der Knabe nur eine Wahrheit erkennen, die er auch von ganzem Herzen glaubt, nämlich: »Krieche wie Die, so vor Dir sind, durchs Leben, genieße und schwätze viel; thue aber wenig, Alles nur für Dich, damit Du Dir nichts abbrechest, und fröhne Deinen Lüsten!« Aus jeder weichen, bösen Gewohnheit, aus jeder würzigen, süßen Tasse und warmen Schüssel, von jedem wallenden Busen und liebäugelnden artigen Gesichte duftet und fliegt ihm die Lehre zu; er übt sie früh, und er wird sie lebenslang üben.

Wie giebt das nun feine Empfindungen und Speculationen? Ihr warmen Stuben, Ihr weichen Polster, Ihr artigen Gesellschaften, und Du, lieber Wohlstand stummer und lauter Sünden, welche wilde Leidenschaften habt Ihr vertilgt, welche schöne Romane von Empfindungen und Speculationen habt Ihr geboren! Das Auge ist verlöscht, der Körper welk, der Blick unstät, das Hirn sich selbst verzehrend. Es wallt auf und sinkt nieder; keine Eindrücke, weder Geliebte noch Freund haften. Am Wirklichen kein Geschmack, keine Hoffnung und keine Kraft mehr zu genießen; desto mehr romantische Träume und Plane im Monde. Empfindungen, Systeme, Speculationen mit einer liebenswürdigen Flüchtigkeit und Feinheit, an die kein Mensch weniger als ihr Urheber glaubt. Wie sollte er auch? er kann an nichts mehr glauben, nichts auserkennen, nichts durchempfinden.

Wohl Dir, unschuldiger Jüngling, auf keuschem Stamm, aus edlem Samen, eine gesunde, fest geschlossene Knospe! Nicht zu früh blühend und entfaltet, um bald zu verwelken, nicht üppig Dich wiegend im Hauche lauer Zephyre; lieber von rauhen Winden geschüttelt, in Noth, Gefahr und Armuth erwachsen, damit Deine Erkenntnisse That, Deine blöden, keuschen, verschlossenen Empfindungen Wahrheit, Wahrheit aufs ganze Leben würden.

Multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit,
Abstinuit Venere et vino,Hor. A. P. 413. 414. –D. cui
Ex meliore luto   fingit praecordia Titan.
Nach Juvenal, XIV. 35. – D.

Wie gut hat der Vater der Menschen für den größten Theil seines Geschlechts gesorgt, daß er ihn fern von diesen überfüllenden Kenntnissen und verzärtelnden Empfindungen geboren werden ließ! Der gemeine Mann und Landmann erkennt und empfindet viel gesunder als der Vornehme und Gelehrte, der gesittete Wilde viel gesunder als der ungesittete Europäer, der Mann von Anschauung und Thätigkeit besser als das müssige, halb wahnwitzige Genie. Reiz und Salz gehören zum Leben; sie müssen aber wie alle Würze mäßig gebraucht werden, sonst fressen sie, statt zu nähren. Wenn man die treue Menschengattung sieht, die wenig weiß, aber das Wenige ganz empfindet und übt, und sodann den andern Theil von Menschen wahrnimmt, wo Erkenntniß die Empfindung und diese jenes zerstört, daß aus beiden nichts wird: sollte man nicht denken, Speculation und Empfindelei seien uns zum bittersten Fluche gegeben? Wer blieb seinem Berufe treuer? wessen Kräfte sind mehr in Ebenmaß und Ordnung? wer genießt mehr Seligkeit und Ruhe? Weder Erkenntniß noch Empfindung allein können sie geben, wenn nicht beide einander unterstützen, heben und stärken.

Die gesundesten Menschen aller Zeit hatten nichts ausschließend: Erkenntniß und Empfindung floß in ihnen zu Menschenleben, zu That, zu Glückseligkeit zusammen. Auch die abstracteste Wissenschaft hat ihre Anschauung, und meistens ward der glücklichste Blick auch in ihr nur in Geschäft, That, Handlung geboren. So Baco, Sarpi, Grotius und fast immer jeder Beste seiner Art. Er kam zur Wissenschaft als Freund, als Liebling, nicht als Leibeigner und Sclave; darum fand er Gunst und Beifall. Wären Homer und Sophokles, Ossian und Shakespeare, Milton und Dante Professoren der Poesie gewesen oder zu ihrem Gesange fürstlich besoldet worden: sie wären kaum, was sie sind, worden.

Erkenntniß und Empfindung leben nur in That, in Wahrheit. Religion ist ausgestorben in einem Kreise, wo sie nicht in Vorbildern lebt. Todtes Bekenntniß, Gebräuche, Formelngelehrsamkeit und Silbenstecherei, wenn sie auch selbst in den Ursprachen und auf den Lippen der Stifter ihr Werk triebe, kann jene Tochter des Himmels weder darstellen, noch ersetzen, die in Menschen leben muß; oder sie ist nicht mehr: sie ist wie AsträaOvid. Met., I. 150. – D. zu ihrem Vaterlande gekehrt.

In Zeiten also, da noch Alles näher zusammen war und man die Fäden menschlicher Bestimmung, Gaben und Kräfte noch nicht so losgewunden und aus ihrem verflochtnen Knäuel herausgezaust hatte; in Zeiten, da ein Mensch mehr als Eins und Jeder Alles war, was er sein konnte: die Geschichte zeigt offenbar, daß große, thätige, gute Menschen damals unseltner gewesen als in Zeitaltern, wo Alles getrennt ist, Jeder nur mit einer Kraft oder einem Kräftlein seiner Seele dienen soll und übrigens unter einem elenden Mechanismus seufzt. Ich nehme die Griechen in ihren schönsten Zeiten zum Beispiel. Was durfte ein Mann sein! und was war er! Aeschylus, Sophokles, Xenophon, Plato: da stützte eine Kraft die andre, und Alles blieb im kräftigen Naturspiele. Seitdem mit Ständen, Rang und Lebensarten sich auch, eheu! die Fähigkeiten getheilt; seitdem es auf unserm Stuhl geschrieben steht, »was der sein soll, der da sitze«, und er's also, wie die Pythia, ohne Zweifel von unten auf lernt; seitdem Diplome, Bestallungen und ausschließende Freiheitsbriefe aus Jedem Alles machen, was ein Affe wollte: seitdem denkt nur der Eine, er sieht, forscht, empfindet, handelt nicht, ruft nur immer wie jener eingesperrte Vogel, der nichts zu schwätzen wußte: »Ich denke!« Ein Andrer soll ohne Kopf handeln und anordnen; kein einzelnes Glied nimmt mehr am Ganzen Theil, das doch im lieben menschlichen Körper, dem ersten Vorbilde der Republik vieler Kräfte, selbst das Haar und der Zeh thut. Und so giebt's denn jene Menge trockner oder fauler Auswüchse, Excrescenzen und Nägel; zusammengeworfne Haufen Austerschalen, die, reihweise aufgenagelt oder in Pulver gestoßen, sehr schmücken und zieren: Speculanten ohne Hand und Auge, Schwätzer ohne Gefühl, Regelngeber ohn' alle Kunst und Uebung, Papageien, Raben und Kunstrichter, elende Halbdenker und Halbempfinder. Kaum fährt denn irgendwo im kranken, dürren, abgelebten Körper ein neues Geschwür oder ein kleines Blätterlein auf der Haut empor, so läuft und wallt Alles hinzu, staunt und bewundert, wie viel der selige Körper noch Kraft und Saft habe.

»Traurige, arme Dame Philosophie,« sagt Shaftesbury; »sie ist in dunkle Mauern, Collegien und Schulkerker eingeschlossen und sinnt und denkt«, zerlegt, was sie nicht hat, nicht genießt, und denkt, wovon und worüber sie nichts empfindet. Was war die scholastische Grübelei der mittlern Jahrhunderte, auf den todten Aristoteles eingeschränkt, den man nicht verstand und desto mehr zerlegte? Und was sind die tauben Begriffe, Wortkränze und Abstractionen, jene Legion moralisch-politischer Systeme, jenes Trictrac philosophischer Sprache, wo Alles entweiht ist, wo Niemand mehr was denkt oder was dabei will, weder Autor noch Leser? Wortidole! und desto mehr werden sie angebetet, weil sie nichts wirken sollen und nichts wirken.

Kein Mord ist verderblicher als an den drei edeln Gaben Gottes, Vernunft, Empfindung, Sprache. Der Jüngling soll abstrahiren und speculiren lernen: lernt er's, so wird er elend, ein junger Greis, ein hohles Gefäß, das aber desto lauter tönt; lernt er's nicht und tritt das Spinnweb mit Füßen, wie viel Gutes wird mit zertreten! Wer hat's gemacht, daß die große Diana deutscher Epheser, die Philosophie, jetzt so verschrieen und unwürdig verachtet wird als weiland? Ihre lieben Anbeter, die Fabrikanten nicht goldner und silberner Tempelchen, sondern hölzerner Compendien, Theorien und Systeme.

Ihnen entgegen ist die Secte der Empfindler groß geworden, der kleinen Riesen mit hoher Brust, starker Leidenschaft und Thatkraft. »Hat's nicht der weiland große Helvetius bewiesen, daß Genie und Tugend zu einander wie Katze und Hund gehören, und sind moralische Menschen nicht die schwächsten, erbärmlichsten unter der Sonne? Großer Wille, starke Ungebundenheit und Selbstheit, ein ewiger Kampf mit Göttern und Dämonen, das giebt Helden, Nephilim, Löwen.«

Wenn's Leute gäbe, die in Ernst so dächten, so, glaub' ich, würde wenig Glückseligkeit in dem Heroismus ruhen; denn Milton's Teufel, der das Pandämonium und gar eine Brücke übers Chaos baute,Die Brücke bauen Tod und Sünde. Milton, X. 282 ff. – D. blieb immer ein unseliger Teufel. Wallenstein und Cromwell waren zuletzt unselige Menschen, und vom Löwen, mit dem sie zu thun hatten, waren vermuthlich ihnen selbst am Tiefsten die Klauen im Gesichte. Wie Ungeheuer und wilde Thiere kann auch Menschen der Art eine verdorbne Zeit und Staatsverfassung wol brauchen; oft sind sie Rattenpulver und Kehrbesen, den Saal zu fegen. Ebenso oft aber werden auch die besten, sittigsten und wirklich größten Menschen unter Bildern der Art verschrieen, weil sie etwa einem Unterdrücker und Leuteschinder zu nahe traten, oder weil sich Ratten und Frösche gegen sie empörten. Seiner Stärke und Größe kann überhaupt Niemand weder ein Quentlein noch eine Elle zugeben, und das Geschrei der Jungen auf Stelzen hinter dem Riesen, der vor ihnen geht, oder das Yah der Eselein in Löwenhäuten wird bald verrathen. So viel ist gewiß, jede große und starke Seele hat auch Anlage, die tugendhafteste zu werden. Wo diese Leidenschaft möglich war, war auch eine andre möglich, die ihr das Gegengewicht hielt; und überhaupt, welche Leidenschaft und Empfindung muß denn aufs Böse verwandt werden, daß man nicht anders könnte? Vielleicht haben Menschen von starker Seele mehr Mühe, sich zu überwinden, sie haben aber auch mehr Kraft, und nur wenn sie den Sieg vollendet haben, sollte man sie große Menschen nennen, das ist, wenn sie gute Menschen geworden. Und alsdann ist's doch wol ohne Zweifel, daß ein Schiff, das mit großen Winden und wohlgerüsteten Segeln fährt, weiter kommt als der träge, lecke Kahn da am flachen, seichten Ufer.

Tiefe Empfindungen müssen immer auch tiefe Kenntnisse gewähren können, die über jene herrschen, und sodann sind die stärksten Leidenschaften und Triebe, wohlgeordnet, nur das sinnliche Schema der starken Vernunft, die in ihnen wirkt. Selbst jede mißrathene große Seele beweist dieses in ihren bessern glücklichen Stunden. Wenn sie hinter Ausschweifungen und Tollheiten zu sich kommt, Reue und die gute Natur in ihr zurückkehrt, wie tiefer fühlt sie dann das gestiftete Gute und Böse als jene redseligen Schwätzer, jene flachen Köpfe und Herzen! Blutthränen möchte sie weinen, und das auch späte bessere Erkenntniß wird gewiß in der Folge in ihr tiefer graben, stiller und mehr wirken, als das sprudelnde Geschwätz aller Sophisten in ihrem eignen werthen Selbst, geschweige in Andern gewirkt hat. Ich kenne in der Geschichte keinen verfallnen großen Mann, wo man nicht immer auch noch im Schutt den Tempel bewundern und seufzen müßte: »Edler Palast, wie bist Du zur Mördergrube worden!«

 

Ich glaube diese Betrachtungen wol nicht weiter fortsetzen zu dürfen, weil ja nicht die starken, sondern die schwachen, feinen und zarten Empfindungen die Lieblingssaiten unsers Instruments sind, und wir jene nur für AbenteuerAbenteuer, von allem Wunderbaren, wie auch Goethe sagt: »wo man wilde Thiere oder sonstige Abenteuer für Geld sehen kann«; auch von Personen, wie: »da sitzt das Abenteuer«, »das seltne Abenteuer«. – D. halten. Der Strom der Zeiten fließt sonderbar zwischen seinen Ufern; er schlängelt sich wie alle Ströme und selbst das große Weltmeer hie- und dorthin in entgegenstehenden Winkeln. Bald ist der Boden für Erkenntniß, bald für Empfindung, und allemal blühen sodann die Pflanzen am Besten, die aus dem Naturboden dieses Volks, dieser Zeit sprossen. Zu einer Zeit gaffen die Weisen alle empor, sehen gen Himmel und zählen die Sterne, übrigens nirgend weniger als in ihrem Vaterlande, in ihrer Stadt zu Hause; bald thut man Kreuzzüge nach dem güldnen Vließ der Toleranz, allgemeinen Religion und Menschenliebe, vielleicht ebenso abenteuerlich als die Kreuzzieher des heiligen Grabes und des Systems fremder Welten. Dieser arbeitet, das Menschengeschlecht zu jenem Bilde mit goldnem Haupt zu machen, das aber auf Füßen von Thon ruht;Dan. 2, 32 ff. – D. einem Andern soll's Ungeheuer, Greif und Sphinx werden. Die Gottheit läßt sie arbeiten und weiß eine Wagschale durch die andre zu lenken: Empfindung durch bessere Kenntnisse, Kenntniß durch Empfindung.

Ueber wie viele Vorurtheile sind wir wirklich hinweg, vor denen eine andre Zeit die Kniee beugte! Einige milde Lichtstrahlen aus der edlern Seele göttlicher Menschen zeigten sie, zuerst mit Schimmer, in Morgendämmrung. Die Finsterniß wappnete sich und stritt lange; aber da ging die herrliche Sonne auf, und die dunkle Nacht mußte hinwegrollen. Verzage nicht, lieber Morgenstern, oder Ihr schönen einzelnen Strahlen der Morgenröthe! Ihr macht noch nicht Mittag, aber hinter Euch ist die Fackel der Allmacht; unwiderstehlich wird sie ihren Lauf anfangen und enden.

Licht war der Anfang der Schöpfung, und es giebt kein edleres Loos in der Welt, als zu erleuchten, wenn das Licht rechter Art ist. Selbst der Sohn Gottes konnte hienieden nichts Bessers thun, als Wahrheit lehren; aber sein Licht war Wärme, seine Wahrheit ewiges Leben. Der Ausspruch ist niedergeschrieben, daß die Menschen nur deswegen Wahrheit hassen und die Finsterniß mehr als das Licht lieben, weil ihre Werke nicht taugen, daß in diesem geheimen und oft sehr verschönten Hasse aber auch das größte Gericht sei.Joh. 3, 19. – D. Er ward nicht müde, Wahrheit zu lehren und selbst als ein König der Wahrheit zu sterben. Er kehrte zurück, woher er gekommen war, und ließ seinem Fußtritte den Segen nach, daß Licht ewig Licht bleiben, seiner Natur nach immer die Finsterniß überwinden müsse und Alles zu Gott kommen werde, was in ihm gethan sei.

Mich dünkt, dieser Schwung wird vielen Lesern so hoch scheinen, daß es wol am Besten ist, abzubrechen und eine Frage zu behandeln, die mehr im Gesichtskreise und nach der Lust unsrer Zeit ist.

III. Was wirkt das mancherlei Erkennen und Empfinden auf die mancherlei Genies, Charaktere, oder wie die Zaubernamen heißen?

Da bin ich aber ganz im Dürren, weil ich in der Welt nichts weniger weiß, als was Genie ist, es mag der, die oder das Genie heißen. Niemand hat davon mehr gewußt als die geniereichen Franzosen, zumal der tiefe Speculant Helvetius selbst.Im ersten Druck steht »seel.« – D. Er hat, dünkt mich, Genie haben, Genie sein, Mann von Genie und kein Mann von Genie sein, sehr fein und weise unterschieden, auch unwidersprechlich bewiesen, daß es eigentlich gar kein Genie (angeborne Naturart) gebe, sondern daß wir Alle als gleiche Plattköpfe auf der Welt erscheinen, Alles komme darauf an, wie wir dressirt werden, und welchen Fraß wir, Genie zu werden, erwischen. Dem Vaucanson habe eine Uhr im Vorzimmer, da er einmal warten mußte, sein Genie gegeben u. s. w.

Der schönen und tiefen Spur sind wir Deutsche in den letzten Zeiten denn auch nachgegangen. Unsrer Philosophie und Sprache fehlte so Vieles, da beide noch nichts vom »Schenie« wußten; plötzlich gab's Abhandlung über Abhandlung, Versuch nach Versuch darüber, und wahrscheinlich haben wir noch von irgend einer metaphysischen Akademie in Dänemark, Holland, Deutschland und Italien eine Aufgabe übers Genie zu erwarten: »was Genie sei, aus welchen Bestandtheilen es bestehe und sich darein natürlich wieder zerlegen lasse; wie man dazu und davon komme« u. dergl.

»Der bescheidne Deutsche«, sagt Klopstock, »nennt's dankbar Gabe«, und weiter habe ich davon weder Begriff noch Erklärung. Genie und Charakter sind »die einzelne Menschenart,Genius, ingenium, indoles, vis animae, character haben in allen Sprachen diese Bedeutung. – H. die einem Gott gegeben«, weder mehr noch minder.

Nun sind der Gaben so viel, als Menschen auf der Erde sind, und in allen Menschen ist gewissermaßen auch nur eine Gabe, Erkenntniß und Empfindung, d. i. inneres Leben der Apperception und Elasticität der Seele. Wo dies da ist, ist Genie, und mehr Genie, wo es mehr, und weniger, wo es weniger ist u. s. w. Nur dies innere Leben der Seele giebt der Einbildung, dem Gedächtniß, dem Witz, dem Scharfsinn, und wie man weiter zähle, Ausbreitung, Tiefe, Energie, Wahrheit. Laß ein Genie buntere Farben schlagen als der Pfau mit seinem Schweife, jenes einbildungsreicher sein als Bellerophon's Gaul, dies feinere Sachen als Spinnweb theilen, aber trenne von ihren Werken und Unternehmungen Verstand, Gefühl der Wahrheit, inneres Menschenleben: so sind's nur Thierkräfte, an denen sie jedesmal ein Vieh überwindet. Der Redner wird Silbenzähler, der Dichter Versificateur oder Tollhäusler, der Grammatiker Wortkrämer, sobald ihm der Himmel jene lebendige Quelle versagt hat oder diese ihm versiegt.

In dem Verstande ist die Natur also an Genies nicht so unfruchtbar, als wir wähnen, wenn wir blos Büchergenies und Papiermotten dafür halten. Jeder Mensch von edeln, lebendigen Kräften ist Genie auf seiner Stelle, in seinem Werk, zu seiner Bestimmung, und wahrlich, die besten Genies sind außer der Bücherstube. Es ist einfältig, wenn der studirte Gray in seiner Elegie auf dem Kirchhofe da den jungen Bauerkerl bedauert, daß er kein Genie wie er geworden; er würde vermuthlich ein größers als Gray worden sein, aber weder sich noch der Welt zum Besten. Auch die ewigen Fragen: »warum die Natur weniger große Dichter als große Gesetzgeber, Generals u. dergl. hervorbringe«, sind herzlich einseitig und einfältig, werden auch, wie jener Löwe sagte, da er seinen erschlagnen Bruder auf der Tapete sah, meistens nicht von Löwen, sondern von Menschen, Zeugen in eigner Sache, stolz oder sehr andächtig beantwortet. So lange die Natur an gesunden Keimen und blühenden Bäumen keinen Mangel hat, wird sie's auch nicht an Menschengenies haben, wie die ekeln abgöttischen Schmeichler und Nachtreter großer Leute immer befürchten. Mr. Thomas, in seinen Éloges über große Männer, ist insonderheit an dergleichen geschraubtem Witz und Bombast reich, ohne Zweifel, weil er selbst ein großer Mann ist.

Die Natur hat der edeln Keime gnug, nur wir kennen sie nicht und zertreten sie mit den Füßen, weil wir das Genie meistens nach Unförmlichkeit, nach zu früher Reife oder übertriebnem Wuchs schätzen. Ein wohlgebildeter, gesunder, kräftiger Mensch, lebend auf seiner Stelle und daselbst sehr innig wirkend, zieht unsre Augen nicht so auf sich als jener andere mit einem übertriebnen, vorgebildeten Zuge, den ihm die Natur (in Gnade oder in Zorn?) verlieh, und den von Jugend auf hinzuwallende überflüssige Säfte nährten. So wie, wenn ein Auge fehlt, das andre etwa schärfer sieht, wie sich am Holzhauer und Lastträger seine Arbeitsmuskeln am Meisten stärken, wie es endlich Krankheiten giebt, da ein Glied, der Kopf z. B., aufschwillt und zum Riesen wächst, indeß die andern Glieder verdorren: so ist's mit dem, was die Pöbelsprache Genie nennt. Hier ein übertriebner Witzling ohne gesunden Verstand und Herzenstreue, dort ein fliegendes Sonnenroß und verbrennt die Erde; hier ein Speculant ohne die mindeste Anschauung und Handlung, der mit den wichtigsten Dingen wie mit unbedeutenden Zahlen spielt, ein Held mit Leidenschaft bis nahe der Verrückung; ein guter Kopf endlich, wie man's nennt, das ist ein Sprudler und Schwätzer über Dinge, davon er kein Wort versteht, über die er aber mit den Modeformeln spielt. Ist das Genie, wie bist Du vom Himmel gefallen, Du schöner Morgenstern,Jesaias 14, 12. – D. und webst und tanzest gleich einem Irrlichte auf sumpfigen Wiesen oder rollst als ein schädlicher Komet daher: vor Dir Schrecken und hinter Dir Pest und Leichen! Ist das Genie, wer wollt's haben? wer nicht lieber wünschen, daß die Natur außerordentlich selten solche Höcker und Ungeheuer bilde? Auch bildet sie die Natur seltner als unsre menschliche Gesellschaft. Wenn in dieser alle Stände, Aemter, Berufsarbeiten und Anlässe zu wirken so getheilt und meistens lauter kleine Zähler zu einem Nenner sind, den kein Mensch auszusprechen wagt, so will jeder verdorbne stolze Liliput gern ein Riese auf seiner Stelle, vor tausend Andern ausgezeichnet, in seiner Sphäre werden. Er zwängt den Strom seiner Erkenntnisse und Empfindungen auf einen Punkt hin, daß er da herrlich brause, sucht durch das größte Uebertreiben ein Einzelner seiner Art zu werden: er heißt ein Genie! Dank der Natur, daß solch Unkraut nicht an allen Zäunen wächst! Vor jede Heerde, sagt Huart, gehört nur ein Geißbock, sonst verliefen sie sich alle.

Man lese nur das Leben solcher Leute, und es ist ein Beweis mit Flammenzügen vom Unglück ihres Schicksals. Wo tobt mehr Unruh, Neid, Menschenhaß, Eifer und Rachsucht, oder wenn sie noch niedrigere Zwecke hatten, mehr Geiz, Eitelkeit oder Wollust als bei solchen Aftergeburten und Bastarden der Menschheit? Daher bei Diesem jener gottlose Fleiß, der alles Oel aus seiner Lebenslampe trocknet, bei Jenem ein nagender Hunger nach Wissenschaft und Uebermacht, daß er wie ein Seelengerippe mit Gluthaugen oder wie eine lebendige Nachtlampe da steht. Dieser ist eine zusammengebeinte Abstraction, Jener ein klappernder Storch auf der Thurmspitze in einem Nest voll geraubter Schlangen und Kröten. Am ersten Genie, das den Funken vom Himmel stahl, nagte der Geier, und jene Genies, die gar den Himmel bestürmen wollten, liegen unter dem Aetna und andern Bergen.Prometheus und die Titanen. – D. Sie hatten zum Theil auch hundert Hände und Schlangenschwänze wie die himmelstürmenden Genies und neuen Religionsschöpfer unsrer Zeiten; aber Vater Zeus war ihnen gewachsen.

Glücklich, den frühe die Natur für solcher Geniesucht bewahrte! dem zeitig sich der Engel entgegenstellte und allenfalls auch, wenn er sein Thier schlug, diesem den Mund aufthat, sich seiner Fahrt zu widersetzen, damit er nicht weissagte nach Gelüsten, sondern sein Herz und seine Art in Unschuld bewahrte! Lasset uns, da ich's nicht von mir erhalten kann, diese Gattung feindseliger Genien des Menschengeschlechts nach allen Prädicamenten und Attributen von Begeisterung, Schöpferkraft, Originalität, himmelaufstrebender, sich aus sich selbst entwickelnder Urmacht u. dergl. zu loben, lieber die Flügel falten und das »wahre Genie, das sich nur durch seine Bescheidenheit auszeichnet«, auch seiner Bescheidenheit gemäß, mehr durch das, wovon es nicht weiß, als das, wovon die Welt tönt, preisen. Ich wünsche nichts, als daß diese hingeworfnen Züge Leser finden, die ihnen Wahrheit nicht zujauchzen, sondern mit sanft klopfendem Herzen nach- und vorempfinden.

 

Jede edle Menschenart schläft wie aller gute Same im stillen Keime, ist da und erkennt sich selbst nicht. Was in Absicht auf Seelenkräfte Genie heißt, ist in Absicht auf Willen und Empfindung Charakter. Woher weiß der arme Keim, und woher soll er's wissen, welche Reize, Kräfte, Düfte des Lebens ihm im Augenblick seines Werdens zuströmten?Ella si sedea
Umile in tanta gloria,
Coverta già dell' amoroso nembo:
Qual fior cadea sul lembo,
Qual sulle trecce bionde, –
Qual si posava in terra, e qual sull' onde.
            Petrarca – [Canzoni, X]. – H.
Das Siegel Gottes, die Decke der Schöpfung ruht auf ihm; er ward gebildet im Mittelpunkt der Erde.

So viel sehen wir, daß ein Kind, wie die Gestalt seines Körpers und Angesichts, auch die Züge seiner Art zu denken und zu empfinden mitbringt; es ist ein gebildeter ganzer Mensch, obschon im Kleinen. Du kannst kein Glied hinzuthun, das ihm fehlt, keine Leidenschaft, keinen Hauptzug hinwegthun, der da ist. Wer das zarte Saitenspiel junger Kinder und Knaben zu behorchen, wer nur in ihrem Gesichte zu lesen weiß: welche Bemerkungen von Genie und Charakter, d. i. einzelner Menschenart, wird er machen! Es klingen leise Töne, die gleichsam aus einer andern Welt zu kommen scheinen; hie und da regt sich ein Zug von Nachdenken, Leidenschaft, Empfindung, der eine ganze Welt schlafender Kräfte, einen ganzen lebendigen Menschen weissagt, und es ist, dünkt mich, die platteste Meinung, die je in einen Papierkopf gekommen, daß alle menschliche Seelen gleich, daß sie alle als platte, leere Tafeln auf die Welt kommen.Vgl. oben S. 208. – D. Keine zwei Sandkörner sind einander gleich, geschweige solche reiche Keime und Abgründe von Kräften als zwei Menschenseelen, oder ich hätte von dem Wort Menschenseele gar keinen Gedanken. Auch das Leibnizische Gleichniß von Marmorstücken, in denen der Umriß zur künftigen Bildsäule schon da liegt, dünkt mir noch zu wenig, wenigstens zu todt. Im Kinde ist ein Quell von mancherlei Leben, nur noch mit Duft und Nebel bedeckt; eine Knospe, in der der ganze Baum, die ganze Blume eingehüllt blüht.

Nicht zu früh reiße sie auf, diese lebensschwangre Knospe! laß sie sich ins Laub der Bescheidenheit und oft Dumpfheit, wie wir sagen, verstecken! Es ist ein unersetzlicher Schade, wenn man die liebe jungfräuliche Blume aufbricht, daß sie lebenslang welke. Fühlst Du die Freuden der Morgenröthe, ihren lieben ersten Dämmerungsstrahl nicht? Warte! die große Sonne wird schon hervorschreiten.

In unsrer Zeit, da Alles früh reif wird, kann man auch mit der Auferziehung junger menschlicher Pflanzen nicht gnug eilen. Da stehen sie, die jungen Männer, die Kinder von hundert Jahren, daß man sieht und schauert. Die verworrne Rührung, die sich, wie Winckelmann sagt, zuerst durch einen fliegenden Reiz verräth, muß gleich bestimmt, Erfahrungen und Kenntnisse, die erst Früchte männlicher Jahre sein sollten, mit Gewalt hineingezwungen werden, daß in weniger Zeit Jünglingen selbst die Lust zu leben vergeht, die ächten Freuden der jungen Jahre immer seltner werden und Uebermuth, Vorwitz, Tollkühnheit, Ausschweifung sich mit elender Schwäche und Mattigkeit abwechseln oder enden. Wenn ein Mann vor der Sündfluth, ein Patriarch oder auch nur (sehr unidealisch geredet) ein alter treuherziger Bauer Begriff hätte, den Aufschrei und das unverschämte Gekreisch unsrer jungen Genies zu richten: arme Menschheit, wie würde er Dich bedauern!

Ist Genie und Charakter nur lebendige Menschenart, nichts mehr und nichts minder: bemerket diese, nähret die innere Quelle, übet die Thätigkeit und Elasticität der Seele, aber nur wie sie geübt sein will! Wortgedächtniß, Schalen ohne Kern und Körper ohne Seele sind unnütz; denn auch das kleinste Kind ist ein lebendiger Mensch und hat alle menschlichen Seelenkräfte, nicht blos, wie Ihr wähnt, die edle Gedächtnißgabe. Aber wie die Natur Alles wachsen läßt, muß auch ihre edelste Pflanze, das Menschengeschöpf, wachsen in Hüllen; wehe Dem, der eins der Unschuldigen durch seine Frühklugheit und ordnungslose Sittenweisheit, vielleicht auf immer, zerstört und ärgert!

Der erwachende Jüngling findet sich an der Wegscheide seines Lebens, wenn sich Knaben- und Jünglingsalter trennen. Oft erscheint ihm da sein Genius und zeigt ihm Weg und Höhen seiner Zukunft, aber nur – in dunkelm Traume. Indessen auch einem Greise, am letzten Tage seines Lebens ist der Traum der Jugend, der erste Pulsschlag all seines künftigen Lebens, prophetische Entzückung.

Wer zu seinem künftigen Werk und Wesen nur wenig Entwicklung braucht, findet seinen Entwickler auch leicht. Ein Euklides, eine Uhr, ein Gemälde, ein Blatt unbekannter Ziffern weckte Manche auf, als ob's Apollo selbst mit der Leyer wäre; für Andre ist viel Gefahr, Erfahrung, oft ein Rubicon nöthig. Cäsar an Alexander's Bildsäule, Alexander an Achill's Grabe weinend – welch ein weissagender, rührender Anblick! Da schläft's in der Seele, oder vielmehr es schläft nicht mehr, kann aber jetzt nur in Thränen heraus; einst wird's anders herausströmen.

Auch hier entdeckt nur Seele die Seele; eigne gute Menschenart kann eine fremde Menschenart allein verstehen, trösten und ahnen. Oft ist's ein erfahrungsvoller, stiller, neidloser Greis, der den Jüngling, verloren in sich selbst, bemerkt und ihm ein Wort spricht, das lebenslang in seiner Seele tönt. Oder es wirft derselbe nur so einen Blick, ein Zeichen, eine Gluthkohle sorglos neben sich nieder: der Jüngling nahm sie auf; sie war lange todt und vergessen, und da glimmt sie gerade jetzt, in der Zeit dieser Niedergeschlagenheit, Trübsal und Kälte wieder; er wärmt sein Herz an ihr, als käme sie jetzt eben vom Altar der Liebe und Weisheit.

Oft sind dem jungen Schiffer schon unterm Angesicht der Morgenröthe Stürme beschieden. Er verschlägt, kommt ins Land der Ungeheuer und Riesen oder geräth in die Gärten der Armida. Glücklich, wenn ihm die Göttin mit dem Spiegel der Wahrheit bald erschien, daß er sich selbst sehe und wieder ermanne! Alsdann, wenn er zeitig gnug entkommt, waren ihm die Stürme und Wallfahrten sehr nützlich, die sein unversuchtes Schiff übten. Jeder edle Widerstand, jedes tiefe und stille Leiden prägt treffliche Züge uns in Gesicht und Seele; die ersten Triumphe unsrer Jugendzeit werden das punctum saliens unsers ganzen leidigen Lebens. Jammer aber, wenn der Jüngling unterliegt, wenn er drückenden oder hinüberziehenden Gegenständen zu nahe weilt! Er verbildet sich, wird hart und dürre oder weich und lüstern und verhaucht sein Leben im Lenz der Jahre. Zu früh geliebkost, liebkost er wieder und versteht nichts Anders; zu früh und zu lange befeindet, überzieht er Alles mit Menschenhaß und Galle: so sind viel gute Menschen ganz oder halb verloren.

Es ist bekannt, daß eine Eiche lange und langsam wachse, dagegen der Erdschwamm in einer Nacht aufschießt. Auch bei den sonderbarsten und zu den größten Dingen berufenen Menschen trifft dies oft ein. Junius Brutus blieb lange brutus; Ximenes ging lange mit dem Bettelsack umher, der ihm schlecht anstand, und Correggio war nicht jung mehr, da er sein IoAnch' io. – D. son pittore! ausrief. Der edle Mensch hat die Himmelsleiter in sich, die er erst hinauf sein muß, eh ihm ein Wort entfahre; der Alltagsschwätzer, das ist der gute Kopf, der redselige Mensch von leichter Lippe, ist immer, auch eh er angefangen hat, am Ende. Er hat, wie man sagt, Alles gleich weg; er kann den Ocean mit einer aufgeknackten Nußschale zum Nachtisch aussaufen.

O Du heilige, liebe Stille zarter, bescheidner Gemüther, wie wohl thust Du! Wohl thust Du Dem, der Dich genießt; er erspart sich hundert Vorwürfe, Gaukeleien, Wundernisse, Fragen und Zweifel; er erspart Andern den Anblick der Mühe und giebt That. Newton, der Jüngling, hatte alle Theorien, die sein Leben verewigten, fertig und wußte nicht, daß er sie habe. Der Fall eines Apfels unter dem Baume lehrte ihn das System der Welten, und zeitlebens blieb er der bescheidne, stille, keusche Mann, der wahre Gottesverehrer. Siehe Shakespeare in sein Gesicht, ob da auf der sanften stillen Fläche, in dem sich alle Gegenstände, Handlungen und Charaktere der Welt spiegeln konnten, der Affenwitz, die grinsende Schadenfreude, der YahooSwift's. – D. herrschte, der andre Genies auszeichnet? Er war und blieb Schauspieler, der sich nie einmal zu den ersten Rollen erhob. Baco's Lichtseele hatte mit dem Gestirn viel Aehnlichkeit, bei dessen Verfinsterung er allemal in Ohnmacht sank; er brennt nicht, aber er glänzt sanft und leuchtet. Welch ein liebender Menschensänger muß Homer gewesen sein, wenn man den immer gleichen und sanften Strom seiner Gesänge hinabgleitet! wie stille, neidlose Männer Virgil und Horaz, Petrarca und Lafontaine, Copernicus und Kepler, Montaigne und Sarpi! Der Schwärmer Malebranche ließ sich von R. Simon erst lange mit der Kritik martern, ehe er seinen Descartes fand. Luther kämpfte lange mit sich, ehe er mit der Welt anfing zu kämpfen, und blieb immer, trotz eiserner Härte und Stärke, im Werke seines Berufs, im Privatleben der weichste und redlichste Mann, der mit sich selbst mehr rang, als Manche von ihm glauben.

Ueberhaupt ist's Knabengeschrei, was von dem angebornen Enthusiasmus, der heitern, immer strömenden und sich-selbst belohnenden Quelle des Genies daher theorisirt wird. Der wahre Mensch Gottes fühlt mehr seine Schwächen und Grenzen, als daß er sich im Abgrund seiner »positiven Kraft« mit Mond und Sonne bade. Er strebt und muß also noch nicht haben, stößt sich oft wund an der Decke, die ihn umgiebt, an der Schale, die ihn verschließt, geschweige daß er sich immer im Empyreum seiner Allseligkeit fühle. Der Strahl, der ihm bisweilen tief in sein Innres wird, was er sei, und was kein Andrer für ihn sein solle, ist meistens nur Trostblick, nur Kelch der Stärkung zu neuem Fortstreben. Je unendlicher das Medium, die Weltseite ist, für die er unmittelbar hinter seiner Erdscholle Sinn hat, desto mehr wird er Kraftlosigkeit, Wüste, Verbannung spüren und nach neuem Saft, nach höherm Auffluge und Vollendung seines Werks lechzen.

Ich könnte noch lange Züge der Art hinzeichnen, die freilich nur für den Verständigen da stehen und dem großen Haufen Unsinn scheinen sollen: aber was hülfe es? Dem Mann, der Genie und Charakter, d. i. gute eigne Art hat, wie Gott sie ihm gab und er sie nicht umsonst empfangen zu haben glaubt, sagen dergleichen Striche unendlich weniger, als er selbst weiß, und da sie dem Haufen Krähen, Spatzen und Elstern ohne Zweifel nichts sagen, so ruhe, lieber Kiel! gieb ihnen lieber eine Definition vom Schenie und seinen mancherlei Arten, dem universalen und particularen, philosophischen und ästhetischen, historischen und psittacoVon psittacus, Papagei. – D.-kritischen Genie u. s. w.

 

Aber leider kann ich von meinem Gänsekiel das nicht erhalten. Er schnattert mir vor, daß das ja keine Unterscheidungen der Natur, sondern menschlicher Zünfte und Bücher sind, daß aber die Natur nicht nach den Fächern unsrer Repositorien und nach den Doctorhüten unsrer Facultäten eintheile. Er hat das Gänsegenie und den Gänsecharakter, laut zu sagen, daß in diesen Zellen und Bezirken oft der gesunde Menschenverstand und Menschencharakter, die das einzige wahre Genie sind, aufhöre, ja hätte beinah Lust, lieber die Straßen der Schuster und Schneider, Trödler und Leinweber, Jäger und Miethkutscher durchzuschnattern und ihr mancherlei Schenie zu begacksen. Du hast Recht, lieber Kiel! denn kein Gärtner hat noch seine Gewächse nach dem blauen oder rothen Topfe genannt, in die er sie etwa setzte, geschweige daß ein Botanist blos die Kräuter, die auf Mistbeeten und in Treibhäusern wachsen, für die ganze lebendige Flora angesehn hätte. Man müßte also entweder aus der Seele heraus charakterisiren oder alle die Stellen, Formen und Bestimmungen durchlaufen, in und zu denen die Natur je ihre Menschen bildet. Wer kann das aber? und wer kann also Genies eintheilen und charakterisiren? Indessen lasset uns wenigstens eine Eintheilung versuchen!

In Allem, was Kraft ist, lassen sich Innigkeit und Ausbreitung unterscheiden; so muß es auch bei der Menschenart sein, und das wäre etwa eine Eintheilung. Ein Mensch, der stark in sich selbst ist, fühlt sich nur in Weniges, aber sehr tief hinein und kann fast in einer Sache leben und weben. Das sind Menschen von starkem Sinn, von tiefem Erkennen und Empfinden, und die Mutter Natur hat diese Gattung ihrer Kinder selbst schon bezeichnet. Man sieht keinen unstäten Blick, kein kleines fliegendes Feuer, keine verworrenen, halb entworfnen Züge; was die Bildung sagt, sagt sie ganz, einfältig und tief in Wirkung. Ein Mensch, der sich durch alle Glieder und Leidenschaften also stark, gesund und wohl fühlt: wie treu muß er Alles empfangen und geben! von wie vielen Zerstreuungen, Vor- und Halburtheilen frei sein! ein sterbliches Ebenbild göttlicher Stärke und Einfalt. Gegen zehn kleine Laster gewappnet, verachtend viele kleine Triebfedern, handelt er lieber durch eine große, sieht nicht auf Andre, weil er sich selbst fühlt u. s. w. Eine andre Gattung von Kraft ersetzt durch Ausbreitung, durch Lebhaftigkeit und Schnelle, was ihr an tiefer Innigkeit abgeht. Sie sind Esprits, Geister, alle Farben im Spiele. Die Natur hat ihre Bildung beseelt, ihnen Neigungen gegeben, die nicht Gluth, aber Strahlenschimmer weit um sie her sind. Voll Phantasie, Flug, Anlage, Leichtigkeit zum Entwerfen, zum Verkündigen, zum Vorzeigen, aber wenig von Bestandheit, That, Ausdaurung. So könnte ich eintheilen und viel Spielwerk machen, wie sich nun der Herr Verstand und die Frau Empfindung dabei verhalte, wie diese beiden Classen von Denkern und Empfindern gegen einander nöthig sind, sich einander einzuschränken, zu stärken, zu heben, daß die Innigkeit Mittelpunkt, die Ausbreitung Radius sei u. s. w. Hinter alle dem Spielwerk aber, was wäre nun Bestimmtes gesagt? Und brächen sich nicht noch immer die Grade der Innigkeit und Ausbreitung unendlich in und aus einander?

Nun könnte ich die Seelenkräfte alphabetisch durchnehmen und zeigen:

Thus in the soul, while memory prevails,
The solid power of understanding fails;
Where beams of warms imagination play,
The memory's soft figures melt away,

wie es dem weisen PopeAn Essay on Criticism, I., 50–59. Herder hat That statt »Thus« und bright statt »warms«. – D. zu nennen beliebt hat. Oder mit Baco die trocknen, kalten Unterscheidungsmacher von den warmen erhabnen Paarern neuer Gedanken und Bilder sondern; eine Abtheilung, worin allerdings mehr tiefe und bescheidne Wahrheit ist als in jenem Popischen Klingklang. Oder mit Pascal die deux sortes d'esprits: l'un de pénétrer vivement et profondément les conséquences des principes, l'esprit de justesse; l'autre de comprendre un grand nombre de principes sans les confondre, l'esprit de géométrie, was meistens auf meine erste Eintheilung von Innigkeit und Ausbreitung der Geistesgabe hinausläuft. Diese deux sortes d'esprit könnte ich verfolgen und mit Huarte gar die vier Kapseln des Gehirns darnach ordnen. Aber gnug! laß Alles bis zur Aufgabe irgend einer europäischen Societät, die gern wissen möchte, was Genie sei, und wie vielerlei Genie es gebe.

Gewaltig groß ist der Körper der allgemeinen Menschennatur, und wer weiß, wer an ihm Fäserchen vom Auge oder ein Theil der Herzmuskel, Nagel am Fuß oder ein Häutchen der Fingerspitze sei, »das man sich abraspelt, um seiner zu empfinden«, wie der jüngste Theorist aller gelehrten Genies, die Empfindler und Schwärmer nicht ausgenommen, bemerkt hat.

 

Lieber will ich mit ein paar allgemeinen Anmerkungen das Ganze meiner langweiligen Abhandlung schließen.

1. Ist etwas in ihr wahr: wie fein ist die Ehe, die Gott zwischen Empfinden und Denken in unsrer Natur gemacht hat! Ein feines Gewebe, nur durch Wortformeln von einander zu trennen. Das oberste Geschöpf scheint mit uns ein Loos zu haben, empfinden zu müssen, wenn es das Ganze nicht aus sich ruft und denkt. Und welches Geschöpf kann das? Keins als unsre Philosophen, die Lehrer und Lehrlinge am hohen Baume der Weisheit.

2. Alles sogenannte reine Denken in die Gottheit hinein ist Trug und Spiel, die ärgste Schwärmerei, die sich nur selbst nicht dafür erkennt. Alle unser Denken ist aus und durch Empfindung entstanden, trägt auch, trotz aller Destillation, davon noch reiche Spuren. Die sogenannten reinen Begriffe sind meistens reine Ziffern und Zeros von der mathematischen Tafel und haben, platt und plump auf Naturdinge unsrer so zusammengesetzten Menschheit angewandt, auch Ziffernwerth. Dem Manne, der in der ganzen neuern Metaphysik diese Geisterchen aufsucht und abthut, deß warten mehr als des Gespensterhelden Thomasius Ehrenkränze; nur muß er sich auch nicht für manchem leeren Schrecken und für Griffen dieser Geisterchen in sein Gesicht fürchten.

3. Einigen drückenden Empfindungen entgehn zu wollen dadurch, daß man die Bürde dieses Lebens abschüttelt, ist ein gefährlicher Schritt; denn Träume, wie Hamlet sagt, oder, wie wir sagten, Empfindungen und Gedanken müssen wieder kommen. Und nun welche Empfindungen? welche Gedanken? Man trete an einen Entleibten, frage, warum er's that, wie klein die Ursachen waren, wie leicht abzuthun, wenn man nur in ihn geblickt hätte. Und nun verschloß er sich: der Baum nahm seine Gewalt zusammen, um sich zu entwurzeln – da liegt er. Verdorrt, aber Wurzel und Zweige sind an ihm; und wo ist die Dryade, die diesen ganzen Baum belebte? wo ist sie?

4. Unsterblichkeit einer metaphysischen Monas ist nichts als metaphysische Unsterblichkeit, deren Physisches mich nicht überzeugt. Ist Seele das, was wir fühlen, wovon alle Völker und Menschen wissen, was auch der Name sagt, das nämlich, was uns beseelt, Urgrund und Summe unsrer Gedanken, Empfindungen und Kräfte: so ist von ihrer Unsterblichkeit aus ihr selbst keine Demonstration möglich. Wir wickeln in Worte ein, was wir herauswickeln wollen, setzen voraus, was kein Mensch erweisen kann oder auch nur begreift oder versteht, und können sodann, was man will, folgern. Der Uebergang unsers Lebens in ein höheres Leben, das Bleiben und Warten unsers innern Menschen aufs Gericht, die Auferstehung unsers Leibes zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde läßt sich nicht demonstriren aus unsrer Monas.

5. Es ist ein inneres Kennzeichen von der Wahrheit der Religion, daß sie ganz und gar menschlich ist, daß sie weder empfindelt noch grübelt, sondern denkt und handelt, zu denken und zu handeln Kraft und Vorrath leiht. Ihr Erkenntniß ist lebendig, die Summe aller Erkenntniß und Empfindungen, ewiges Leben. Wenn's eine allgemeine Menschenvernunft und Empfindung giebt, ist's in ihr, und eben das ist ihre verkannteste Seite.

 


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