Johann Gottfried Herder
Gesammelte Abhandlungen, Aufsätze, Beurtheilungen und Vorreden aus der Weimarer Zeit
Johann Gottfried Herder

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Vorbemerkung des Herausgebers

 

Wir vereinigen in diesem Bande alle seit 1775, in welchem Jahre Herder nach Weimar kam, erschienenen oder wenigstens geschriebenen selbstständigen schönwissenschaftlichen, geschichtlichen und philosophischen Abhandlungen, die er selbst weder in den »Zerstreuten Blättern« gegeben noch sonst gesammelt hat, nebst den in Zeitschriften mitgetheilten Aufsätzen, den zu einzelnen fremden Werken geschriebenen Vorreden, die in den frühern Bänden keine Aufnahme finden konnten, und seinen Beurtheilungen. Manches davon ist von hoher Bedeutung für Herder's Anschauung und Auffassung, wenn auch nur Weniges auf die Zeit selbst einen bewegenden Einfluß übte.

Wir beginnen mit den drei Preisaufgaben der baierischen und der Berliner Akademie der Wissenschaften aus den Jahren 1778 bis 1780, welche über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker, über den Einfluß der Regierung auf die Wissenschaften und über die bösen und guten Folgen der schönen Wissenschaften für die höhern handeln. Am Bedeutendsten und Eigenthümlichsten sind die beiden ersten, von denen die eine einen geistreichen Ueberblick der Wirkung der Dichtkunst bei den einzelnen Völkern, die zweite des Einflusses der Regierungen auf die Wissenschaften giebt, die dritte kürzere mehr den praktischen Zweck hat, zu zeigen, wie schöne und höhere Wissenschaften zu gegenseitiger Förderung und zu reiner menschlicher Ausbildung getrieben werden sollen. Herder's schöner Menschensinn und seine feine Auffassung geistiger Entwicklung glänzten auch hier, wie Manches auch für unsere, nicht am Wenigsten durch seinen mittelbaren Einfluß in der Erkenntniß jeder menschlichen Bildung fortgeschrittene Zeit längst ins allgemeine Bewußtsein übergangen oder auch durch Erweiterung unserer Kenntnisse überwunden ist. »Herder hat wieder einen Preis in Berlin gewonnen,« schreibt Goethe am 3. Juli 1780 an Lavater. »Es war zu gleicher Zeit in einem andern Fach einer aufgestellt, den er auch hätte gewinnen können, wenn er nur gewollt hätte.« Schon zweimal hatte er in Berlin den Preis davon getragen, 1771 mit der Abhandlung über den Ursprung der Sprache, mit der er über dreißig Mitbewerber, obgleich er gegen die Stellung der Aufgabe selbst sich erklärt hatte, den Sieg davon trug, vier Jahre später mit der Lösung der Frage über die Ursachen des gesunkenen Geschmacks bei verschiedenen Völkern, bei denen er geblüht. Zur Lösung solcher Preisaufgaben fühlte sich Herder nach seiner umfassenden und tiefdringenden Kenntniß sehr gestimmt, nur fehlte ihm leider meist die nöthige Zeit. Noch in seinen letzten Lebensjahren sehen wir ihn mit einer Preisaufgabe des französischen Instituts beschäftigt, er kam aber nicht über den Entwurf hinaus. Vgl. unten S. 598 ff.

Großen Werth legte er mit Recht auf die Abhandlung »Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele« und auf seine »Plastik«, die gleichzeitig im Jahre 1778 erschienen. Die erstere, welche J. A. Eberhard's mehr mechanische »Allgemeine Theorie des Denkens und Empfindens« (1776), die aus einer Preisaufgabe der Berliner Akademie hervorgegangen war, stillschweigend bekämpft, sucht auf sehr feine, begeistert in die Tiefe der menschlichen Natur eindringende Weise die innige Verbindung zwischen Erkennen und Empfinden und den Einfluß beider Kräfte in einander wie auf Charakter und Genie des Menschen nachzuweisen und spottet jeder nüchtern mechanischen Trennung beider mit der tiefen Ueberzeugung von der Schalheit einer solchen dem Wesen des einigen Geistes des Menschen widersprechenden Lehre. Herder hielt diese aus vollster Seele geflossene, jeden von der Würde menschlicher Natur erfüllten Sinn mächtig ergreifende Entwicklung mit Recht noch höher als seine »Plastik«, deren größter Theil, schon in den Jahren 1768 bis 1770 geschrieben, jetzt nur zusammengestellt und neu durchgesehen worden war. Herder's erstes »Kritisches Wäldchen« (1768) hatte bereits über Lessing's »Laokoon« gehandelt, dessen Werth und Vortrefflichkeit er auch in Bezug auf die Grenzen der Dichtkunst und Malerei gebührend anerkannte, nur meinte er, dieser tiefe Denker habe blos zeigen wollen, was Dichtkunst gegen die Malerei gehalten nicht sei; es bleibe nun noch übrig, sie mit allen übrigen schwesterlichen Künsten und Wissenschaften zu vergleichen, woraus sich endlich das Wesen der Dichtkunst ergeben werde. In dem vierten »Wäldchen«, das er aber nicht erscheinen ließ, bestimmte er den Gegensatz der Malerei und Plastik, die er als Künste für das Gesicht und für den Tastsinn unterschied (1769). Daneben hatte er schon seit dem vorigen Jahre eine selbstständige Schrift über Plastik im Sinne, die seine Lieblingsaufgabe bildete, auf deren Lösung er seine beste Kraft verwenden wollte. Hierzu sammelte er während seines Aufenthaltes in Frankreich, besonders in Paris, der ihm manche ihm so sehr abgehende Anschauungen der bildenden und malenden, der Schauspiel- und Tanzkunst darbot. Reiche Vorstudien dazu haben sich erhalten; es sind die in »Herder's Lebensbild«, II. S. 361–394 mitgetheilten Abhandlungen: »Von der Bildhauerkunst fürs Gefühl. Gedanken aus dem Garten zu Versailles« (welche die irrige Angabe von Herder's Gattin veranlaßte, im Antikengarten zu Versailles habe er den Plan zur »Plastik« gefaßt), »Ueber die schöne Kunst des Gefühls«, »Zum Sinn des Gefühls«, »Noch zur fühlbaren Kunst«, »Politik und Naturlehre des Gefühls«. Daselbst sind S. 395–426 auch ältere Entwürfe und Aufzeichnungen verwandten Inhalts gegeben. Als er auf dem Wege nach Eutin über Hamburg kam, lernte er hier zu seiner Freude Lessing kennen. Wir wissen nicht, ob damals auch die Rede auf die »Plastik« kam. Auch während der kurzen Zeit, die er Lehrer und Reisebegleiter des Sohnes des Fürstbischofs von Lübeck war, beschäftigte ihn die »Plastik« so lebhaft, daß der Prinz sich noch später bei ihm erkundigte, wie es mit dieser stehe. In Mannheim, auf der Reise nach Straßburg, erfreuten ihn die Antiken, während alles übrige Schöne, was er dort sah, für ihn zu kalt war. Er habe dabei so viele neue Erläuterungen zu seiner »Plastik« dunkel geträumt, als die Plastik des Herzens auf Seiten des Ausdrucks hinweisen könne, schreibt er an Merck. Von Straßburg aus theilt er am 5. September seinem vertrauten Freunde und Verleger Hartknoch mit: »Meine Plastik liegt. Wie ich im dritten Abschnitte war, brach die Reise [mit dem Prinzen], und seit der Zeit bin ich im Getümmel der Welt und ohne Ruhe des Herzens.« Und so blieb sie auch Jahre lang liegen. Leider war er in der ersten Bückeburger Zeit durch mancherlei persönliche Umstände so verstimmt, daß er weder zu dieser noch zu der ihm jetzt vorschwebenden dichterischen Gestaltung der darin zu entwickelnden Ansichten in einem PygmalionVgl. die später in Rom entstandenen zwei Gesänge dieses Namens in Herder's Werken, I. S. 229–240. gelangen konnte. Fast könnte man geneigt sein, mit Schöll anzunehmen, das Befragen der Blindgeborenen (S. 280) falle in die Zeit seines Bückeburger Wirkens; dann müßte es aber in der Anmerkung 1771 statt 1770 heißen. Bei einem Besuche Heyne's in Göttingen kam es zu einem sehr anziehenden Gespräche mit diesem in alter Kunst sehr erfahrenen, in mancher Beziehung von Winckelmann und Lessing abweichenden Forscher, der ihm seine »Einleitung in das Studium der Antike« mittheilte. Am 21. Februar 1772 schreibt Herder Diesem: »Nächstens suche ich sogleich die Blätter meiner Plastik zusammen, bei der ich auf Ihr Urtheil bei jedem Worte am Begierigsten bin.« Aber dazu kam es nicht, da seine Studien über die älteste Völkergeschichte ihn fast ganz in Anspruch nahmen. »Ueber die Plastik habe ich recht viel auf dem Herzen, mit Ihnen zu sprechen,« schreibt er fast ein Jahr später dem Göttinger Freunde, »aber jetzt nicht.« In den folgenden Jahren trat seine »Plastik« hinter manchen andern, ihm damals bei seiner einsamen Abgeschlossenheit näher liegenden Arbeiten ganz zurück. Die Hoffnung, daß die Sammlung »Winckelmann's Reliquien« seine »Plastik« aufwecken werde, die er gegen Hartknoch am 12. April 1773 aussprach, bestätigte sich nicht; es fehlte ihm dazu an allem äußern Anreiz. So blieben die Blätter denn liegen, bis er, wahrscheinlich zu Ende des Jahres 1777, den Entschluß faßte, auch sie mit der Abhandlung »Vom Erkennen und Empfinden« erscheinen zu lassen. Am 4. Januar 1778 fragt er bei seinem Verleger an, ob er an den Buchdrucker Breitkopf in Leipzig schicken könne. Auf dessen bejahende Antwort vom 25. Februar sandte er beide Handschriften sogleich ab. Daß die »Plastik«, die er Jahre lang am Herzen getragen, und um deren sorgfältigen Druck, da bei diesem Buch und Inhalt jeder Druckfehler abscheulich sei, er dringend gebeten, erst zuletzt übereilt und mit scheußlichen Fehlern gedruckt sei, ärgerte ihn gewaltig. Die Schrift, in welcher sich der volle Herder mit seiner ganzen lebhaften Begeisterung und seiner ganzen bittern Schärfe gegen Verzerrungen der reinen natürlichen Ansicht der Künste ausprägt, von welchen man jede das thun lassen solle, was sie allein und am Besten thun könne, fand leider keineswegs die verdiente Anerkennung. Wieland bat am 2. August Merck, doch Herder's Volkslieder und seine »beiden metaphysisch-ästhetischen Tractätlein« für den »Merkur«, wo nicht zu recensiren, doch wenigstens noch pro hoc mense condigne anzuzeigen; sage Herder auch nichts darüber, so sei er doch »natürlicherweise sensibel für dergleichen Attentionen«. Merck lieferte für das Augustheft wirklich eine kurze Anzeige der erstern, aber auf die beiden andern Werke ließ er sich nicht ein, und auch Wieland selbst wagte nicht, sich darüber auszulassen. Eine genaue Entwicklung und Würdigung von Herder's »Plastik« giebt Ad. Schöll im »Weimarischen Herder-Album« (1845), S. 215–237, nur möchte der Zusammenhang, den er zwischen der »Plastik« und der Abhandlung vom »Erkennen und Empfinden« aufstellt, Herder ganz fern liegen.

Den einzelnen selbstständig erschienenen Schriften Herder's, von denen wir nur die Gespräche über Gott ausgeschlossen, weil diese in naher Beziehung zur »Metakritik« stehen, lassen wir die in die frühern Bände noch nicht aufgenommenen Aufsätze aus Zeitschriften folgen, von denen dem »Teutschen Merkur« Wieland's die erste Stelle gebührt, da Herder vom Sommer 1776 bis zum Mai 1782 sich an diesem betheiligte, wo der plumpe persönliche Gegenschlag Nicolai's ihm jeden Antheil an Zeitschriften verleidete. 1785 trat er dann mit seiner eignen Sammlung »Zerstreuter Blätter« hervor. Der erste der in diesem Bande mitgetheilten Beiträge des »Merkur« ist gegen die leere Speculation einer Modephilosophie gerichtet, die nicht weniger verderblich als Schwärmerei wirke. Daran schließen sich die Bemerkungen über das Leben und Wirken des Kopernicus, Reuchlin und Savonarola, welche Beigaben zu deren vom »Merkur« gebrachten Bildnissen dieser hochbedeutenden Männer waren. Vorangegangen war das »Denkmal Ulrich's von Hutten« (Herders Werke, XV. S. 355–377); es folgte ihnen das »Andenken an Winckelmann, Lessing und Sulzer«.

Eine sehr bittere Frucht sollte ihm sein Angriff auf Nicolai's oberflächliche Darstellung der Beschuldigungen der Tempelherren und der Entstehung des Freimaurerordens bringen. Nicolai ließ dagegen einen zweiten Theil seines Buches los, das schon durch den Vorspruch: Ὁ αὐτὸς ἥλιος τήκει μὲν τὸν κηρὸν, ξηραίνει δὲ τὸν πηλόν, seine Schärfe bekundet. Der erste viel kleinere Theil desselben ist gegen K. G. Anton's »Untersuchung über das Geheimniß und die Gebräuche der Tempelherren« (Dessau 1782) gerichtet und in anständigem Tone geschrieben, um den Gegensatz zu der Bekämpfung des als Schwindler behandelten verhaßten Gegners desto schärfer hervortreten zu lassen. Schon gleich am Anfange heißt es: »Der Ungenannte hat Mittel gefunden, Alles unerhört zu verwirren, mich fast immer mehr oder weniger sagen zu lassen, als ich sage, und also meine Meinung unrichtig vorzustellen, Citationen, wo nicht wissentlich zu verfälschen, doch mit unglaublicher Nachlässigkeit falsch anzuführen, viele Dinge herbeizuziehen, die gar nicht zur Sache gehörig sind, und geflissentlich wegzulassen, was nothwendig erwogen werden mußte.« Schon hier schiebt er ihm persönliche Gründe unter. »Stünde nicht mein Versuch auf irgend eine Art den Absichten des Ungenannten im Wege,« fragt er, »woher so viel Bitterkeit?« Aber immer schärfer wird er, je näher er der Widerlegung Herder's rückt, von dem er zeigen will, wie wenig er leiste, indem er sich die Miene gebe, Alles zu leisten. Und nun fährt er grimmig über ihn los und reißt ihm die Maske der Namenlosigkeit herab. »Dieses Letzte [wenig zu leisten mit der Miene, Alles zu leisten] ist die Welt in der That von diesem Ungenannten, der aber nicht unbekannt ist, gar sehr gewohnt«, fährt er los. »Es wird nicht leicht Jemand in unserm Zeitalter sein, der in dem Maße wie dieser Ungenannte die Kunst versteht, die wenigste Kenntniß von einer Sache am Meisten geltend zu machen und den trivialsten Sachen das Ansehen neuer und wichtiger Erfindungen zu geben. Dies weiß er zu erlangen dadurch, daß er immer seine Gedanken so hinwirft, als sähe er weit über das weg, was Andere gesehen haben, dadurch, daß er immer seine Begriffe so schweben läßt, daß man sie nur halb fassen kann, immer ein Wenig mehr oder weniger sagt, welches leicht war, indem es scheinet, er habe gerade das Rechte gesagt, welches schwerer gewesen sein würde. Wenn es dienlich ist, weiß er seinen Gegenstand in ein so wohlthätiges Dunkel zu hüllen, daß man glauben möchte, man sehe was, da man gerade nichts sieht, und er weiß auch seinen Ausdruck so zu schnitzeln, daß man glaubt, man vernehme tiefe Weisheit, da man nichts als Worte tönen hört. Alle Gelehrten, die vor ihm über eine seiner Materien geschrieben haben, pflegt er aufs Verächtlichste wegzuwerfen, damit es scheine, als ob er mit viel höherer Wissenschaft begabt sei, und pflegt beständig so dreist zu entscheiden, daß sich Jeder scheuen soll, wo Alles so ausgemacht ist, nur eine Einwendung zu machen. So hat er mehrmals gehandelt; ich berufe mich auf diejenige(n) seiner Schriften, durch die die Welt in Erwartung gesetzt und getäuscht wurde. Diesem Dünkel hat er so oft den Nutzen, den seine wirklichen Talente hätten stiften können, aufgeopfert, hat so oft die verdientesten Gelehrten, die ihm im Wege waren, oder an denen er seinen Muth kühlen wollte, auf die stolzeste, wegwerfendste, verächtlichste Art behandelt.« Zum Beweise des Letztern beruft er sich darauf, daß er vor neun Jahren Schlözern zu meistern gesucht, der in einem besondern Buche (dem zweiten Theile seiner »Vorstellung meiner Universalhistorie«) gezeigt, »wie wenig das ganze Wesen dieses Mannes zu historischen Untersuchungen sich schicke«.Vgl. Herder's Werke, I. S. LXIX. Aus Herder's Nachlaß, I. 374; II. 81. Von und an Herder, II. 165 f. Mit höhnischer Bitterkeit streift er Herder's »Provincialblätter«, die »Aelteste Urkunde«, seine Deutung der Apokalypse. Zu seiner Deutung des Namens Termagant (S. 364) bemerkt er: »Die Geduld möchte Einem reißen, wenn man solch Zeug lieset. Seit Klotzens Zeit hat in Deutschland kein Schriftsteller mit zusammengestoppelter, sein sollender Gelehrsamkeit seinen Lesern so unverschämt einen blauen Dunst vorgemacht, wie hier der Ungenannte.« Herder gebe nicht eine bloße Muthmaßung (S. 369), sondern eine Idee, um Anderer Ideen zu wecken, »wolle einen Begriff von lebendiger Ueberlieferung, von Fortpflanzung eines Gebrauchs, von lebendigstem Creditiv von dem Alterthum der Gesellschaft erregen«. Dessen sehr verständige Bemerkung, hänge wirklich der Freimaurerorden, wovon Lessing geschichtliche Spuren gefunden haben wolle, mit den Tempelherren zusammen, so könnte dieser Orden allein den Punkt wegen des Baphometuskopfes aufklären, was er der historischen Wahrheit wegen wünschte, reißt Nicolai zu dem so unbesonnenen als schmähenden Ausruf hin: »Ist es nicht eine Schande für einen Gelehrten, daß er die Aufklärung einer historischen Frage der historischen Kritik, der sie allein gehört, aus den Händen winden will und ins Dunkle hin eine Gesellschaft allein dazu fähig hält, die allezeit noch dabei geblieben ist, ihre Geheimnisse für sich zu behalten und sie außer ihrem Kreise nicht zu erklären!« Und doch hatte Nicolai selbst die Freimaurer hereingezogen. Sollte man nicht glauben, er habe die Freimaurer gegen Herder aufregen wollen, was er Diesem in Bezug auf sich selbst Schuld giebt! Herder hatte (S. 354) launig die Tempelherren als Deisten bezeichnet, weil sie nach Nicolai »an den Gott glauben, der nicht gestorben ist, nicht sterben kann«. Das nennt Nicolai hämisch und abgeschmackt, da nach ihm die Tempelherren gnostische Christen seien (als ob die häretische Gnostik nicht deistisch wäre), und ruft: »Schande über den niederträchtigen Verleumder!« Das wagt er, obgleich er selbst sagt, die Tempelherren hätten nur an den einen Gott geglaubt, der Himmel und Erde erschaffen. Aber er hatte eben den bittersten Groll gegen Herder, seit Dieser mit ihm gebrochen,Vgl. Von und an Herder, I. 357 ff. und war jetzt auf das Tiefste dadurch verletzt worden, daß Dieser mit seiner von seinen Berliner Freunden beifällig aufgenommenen Schrift so unbarmherzig umging und sie als eine flache, im Modeton der Zeit, die an derartigen Dingen besonderes Gefallen fand, und auf den Beifall derselben berechnete Buchmacherei abfertigte. So suchte er denn den Weimarer Generalsuperintendenten als einen gewissenlosen Schwindler der Verachtung bloßzustellen. Freilich hatte er ihm ein paar unangenehme Versehen nachgewiesen, besonders die Verwechslung von malhommerie mit machommerie, und daß er in den Worten: Dit ce mot Sarracin: Y halla (in der Urkunde steht Yalla) das Sarracin mit zu der Anrede gezogen (S. 357, 382), und Herder hatte einzelne Vermuthungen, ohne selbst viel Werth darauf zu legen, gewagt, die sich nicht halten lassen, auch Manches unnöthig auf die Spitze getrieben, da er sich seiner Laune hingab, die zum Theil Nicolai unsanft, ja bitter traf, wobei nicht immer die feine Linie des Rechtes inne gehalten wurde; aber in der Verwerfung dessen, was Nicolai über die Freimaurer und Rosenkreuzer bemerkte, in der lächerlichen HerleitungFreilich hatte Nicolai Recht, Herder's Bemerkung, sein System sei blos auf seine Deutung von Baphometus gebaut, als nicht zutreffend abzuweisen, aber sie bildete doch ein Hauptstück seiner Aufklärung, auf das er sich viel zu Gute that, und Herder hatte guten Grund, sich dagegen ganz besonders zu richten. Hätte er es dabei bewenden lassen, so würde Nicolai einen schweren Stand gehabt haben; aber die Laune riß ihn eben zur Behauptung hin, die Tempelherren hätten nicht die Tinctur der Weisheit, sondern die des Goldes besessen, und zum Nachweise, man habe diese nur »mit dem Ketzerschwert erwürgt«. des Baphometus und mancher beschränkten Auffassungen Nicolai's, dem er im Einzelnen viele Versehen nachwies, hatte er Recht, nur hätte er sich nicht verleiten lassen sollen, die den Tempelherren gemachten Beschuldigungen als absichtlich zum Verderben derselben nur ersonnen hinzustellen.Mit Recht bemerkte er, Herder's Behauptung, daß wir die Tempelherren nur aus den Protokollen der Inquisitoren abhören könnten, sei irrig, da wir Vertheidigungsschriften von ihnen besäßen, in Frankreich und auch in England die Tempelherren Vieles freiwillig bekannt hätten, wenn auch freilich oft auf diese Geständnisse ebenso wenig zu geben als auf die in Hexenprocessen. Nicolai hatte richtig bemerkt, daß nicht die Habsucht Philipp's und des Papstes die Tempelherren gestürzt, sondern manche Glieder des Ordens, vom christlichen Glauben abgefallen, in Anknüpfung an gnostische und andere ketzerische Ansichten sich rohem sinnlichem Genusse hingegeben, was die neuern Forschungen von Wilcke, Havemann u. A. ins volle Licht gesetzt.

Hamann und Hippel hatten Herder's Abfertigung mit großem Beifall aufgenommen und sich über die Niederlage des »Großsprechers und Philisters« gefreut. »Ist Jemand im Stande, Lessing's Stelle zu ersetzen, so sind Sie es«, schrieb Ersterer an Herder, ». . . ich meine gegen jene hypokritischen Heuschrecken, die sich für Riesen von den Kindern Enak's halten und possunt, quia videntur.« Als Nicolai's zweiter Theil erschien, meinte Derselbe, dieser übertreffe noch den Schlözerischen; die Mißhandlung des Freundes that ihm wehe, dessen unter der Chiffre † erschienenen Briefe er gern auf sich genommen hätte. An Reichardt klagt er: »Wie sind die Helden gefallen! Die Töchter der Philister freuen sich, die Töchter der unbeschnittenen Allgemeinen Bibliothek frohlocken. Ach, mein Auserwählter, ach Du Bruder meiner Muse, ach mein erwünschter würdiger Argusbesieger! Was kein Gott, kein Freund das Herz gehabt, hat   Sch[lözer] und Vetter Nabal [so nannte er Nicolai] gethan. Bien vous fasse comme aux chiens l'appetit de l'herbe.« Und kurz darauf: »Ich beneidete meine Feinde, dasjenige gethan zu haben, wozu sich kein Freund brauchen läßt, und wünsche meinem Landsmann und meinem doppelten Gevatter – et ab hoste consilium für die Zukunft, weil ich wenige Unglückliche gekannt, die nicht in irgend einem Sinne hätten sagen können: Pol me occidistis, amici.« Herder wendet sich um Rath, was er thun solle, an den Königsberger Freund. »Nicolai's grobes Buch werden Sie gelesen haben. Ich habe es noch nicht, höre aber, daß es in Berlin Jedermann wieder zurückgenommen hat. Was rathen Sie mir? zu antworten oder zu schweigen? Auf Ihr Orakel kommt mir äußerst viel an.« Hamann wies ihn zunächst auf das et ab hoste consilium hin. Freunde seien gegen uns zu schwach und zu parteiisch, das principiis obsta an uns auszuüben. Könne er dem Philister Nicolai nicht blos danken, sondern vergeben, so solle er nur Alles aufschreiben, was ihm Herz und Kopf eingebe. »Ungeachtet des tödtenden Buchstabens, der wider Sie streitet und Sie zu Boden wirft, glaube ich steif und fest, daß Sie im Geiste recht gesehen und der Sinn für Sie ist.« Er müsse Nicolai's Buch lesen, dessen ganzes historisches Verdienst die elendeste Mikrologie und Schulfüchserei sei, die täusche, aber der wahren Philosophie der Geschichte entgegengesetzt sei. Antworten müsse er, auch, wenn er wolle, unter seinem Namen, ohne seiner Würde etwas vergeben zu müssen, mit der wahren Demuth und Großmuth eines christlichen Bischofs auch diese Posse zum Besten der einzig guten Sache einlenken. »Gott gebe Ihnen des frommen Pascal Geist, um diese Berliner Jesuiten und unsers Herrn und Meisters Geißel, um diese allgemeinen Wechsler und Beutelschneider zu züchtigen κατὰ μοῖραν.« Herder unterließ jede Erwiderung, da er überzeugt war, daß er in der Hauptsache, besonders in Bezug auf die Rosenkreuzer, die Freimaurer und Nicolai's Baphometusthorheit Recht habe und er mit einem so gehässigen persönlichen Gegner nichts weiter zu thun haben wollte. Unter Denen, die ganz auf Herder's Seite standen, war auch der geistreiche Kriegsrath Scheffner; Hamann aber meinte, ihr Freund in Weimar habe viele Blößen gegeben, wenn er auch im Grunde mehr Recht als sein Gegner habe.

Nicolai hatte auch den ersten Theil seines Buches in einer zweiten Ausgabe gebracht, in welcher er die von Herder gerügten Versehen wegschaffte und ein paar aufklärende Zusätze gab. Ob diese zweite Ausgabe sich nöthig gemacht hatte, weil die erste vergriffen war, oder Nicolai, um die ärgerlichen Versehen wegzubringen, eine neue machte, wissen wir nicht. Die Vorrede derselben lautet:

»Bei dieser neuen Ausgabe des ersten Theils sind nur die häufigen Druckfehler nebst einigen Fehlern in der Schreibart geändert und einige wenige Zusätze gemacht worden. Einige Materien sind in dem zweiten Theile näher erörtert worden. Hiezu nöthigte mich der heftige Anfall eines Ungenannten, der meine Meinungen so sehr verdrehet hat, daß ich sie weiter auseinandersetzen und seine Trugschlüsse zeigen mußte. Ich hoffe, wahrheitliebende Leser überzeugt zu haben, daß ich sorgfältig untersucht und die Wahrheit zu erforschen getrachtet habe.

Berlin, den 4. Heumonats 1782.«

So hatte Nicolai, da er das letzte Wort behielt, in den Augen der Welt den Sieg davongetragen, den Gegner schien er vernichtet zu haben. Herder schwieg, weil er auf den angeschlagenen Ton nicht eingehen konnte und sich selbst gestehen mußte, daß er den Mann, von dessen Rechthaberei er durch sein früheres Verhältniß zu ihm genugsame Proben hatte, mit dem er sich deshalb nicht weiter hätte einlassen sollen, persönlich gereizt hatte. Warum hatte er es nicht wie früher gehalten, daß er, wo er mit Nicolai's Meinungen nicht übereinstimmte, »abbog und davon schwieg«, wie er am 29. Juli 1774 schrieb, als sich sein Verhältniß zu Dessen »Allgemeiner deutscher Bibliothek« löste!Von und an Herder, I. 357. Hätte er doch bedenken sollen, daß dieser »stolze Mann«, wie ihn Goethe nennt, nach seiner Weise in diesem Angriff nur persönliche Feindseligkeit von ihm und zugleich von Wieland, dem Herausgeber des »Merkur«, sehn würde, der vor vier Jahren seinen »Bunkel« angegriffen hatte; hätte er doch bedenken sollen, wie widerwärtig persönlich derselbe Nicolai damals gegen den guten Wieland losgeschlagen, der ihn freilich als Verleger gereizt hatte. Wieland mußte sich von dem wüthend Gereizten sagen lassen, er habe mit seinem Angriffe persönliche Rache nehmen wollen, weil er sich gegen eine frühere Beschuldigung Nicolai's nicht habe rechtfertigen können; er mußte sich sagen lassen, er habe das Publicum durch seinen »Merkur« und bei der Pränumeration auf »Agathon« betrogen; er mußte sich als einen »verächtlichen Menschen« vor der Welt hinstellen lassen. Herder hätte sich sagen sollen, daß Nicolai es ähnlich mit ihm machen, er seine ganze Schriftstellerei für Schwindelei des Hochmuths erklären würde. Aber der Widerwille gegen die bei allem historischen Schein dem Wesen nach oberflächliche und unhistorische Weise, die sich bei Diesem hier breit machte, hatte ihn hingerissen.

Herder's Ansicht über Andreä's Unschuld an der Rosenkreuzerei erfuhr auch im »Württembergischen Repertorium« einen doppelten Angriff, indem von der einen Seite ihm ein größerer Antheil daran zugeschrieben, von der andern sogar die Fama fraternitatis ihm abgesprochen wurde. Auch darauf schwieg Herder; erst als er vier Jahre später die Vorrede zu Sonntag's Uebersetzung von Andreä's Dichtungen schrieb, vertheidigte er seine Ansicht und sprach die Hoffnung aus, einmal aus Andreä's eigenen Aeußerungen es so wahrscheinlich, als es bei irgend etwas der Art möglich sei, zu machen, daß Andreä Verfasser der Fama sei. (Vgl. unten, S. 708 ff.) Auf den Baphometus kam Herder erst gegen Ende des Jahrhunderts in seinen unvollendet gebliebenen Persepolitanischen Briefen zurück. Dort bemerkt er (vgl. unten, S. 560), der »in neuern Zeiten berühmt gewordene« Baphometus sei weder ein Geber der Verstandestaufe (nach Nicolai) noch der Demiurg, sondern der persische Alte der Zeiten, nach gnostischer Weise gestaltet, wobei er eine Namendeutung zu versuchen und seiner eigenen Beziehung desselben auf Mahomet zu gedenken ganz unterließ. Wahrscheinlich hielt er seine Beziehung auf Mahomet für vereinbar mit dieser Auffassung.

Erst im Jahre 1794 ließ sich Herder wieder bestimmen, an einer Zeitschrift Theil zu nehmen. Schiller lud ihn am 4. Juli 1794 zur Theilnahme an den Horen ein, welche durch die bereits getroffenen Anstalten beträchtlich mehr zu leisten Hoffnung machten, als bis jetzt durch irgend ein Unternehmen ähnlicher Art habe möglich gemacht werden können. Schon die Anzahl sowol als der Name der bereits dazu verbundenen Mitglieder bürge für eine nicht gemeine Vollkommenheit derselben, wobei er die bedeutendsten Männer nannte, die ihren thätigen Antheil zugesagt hätten oder sehr wahrscheinlich beitreten würden. »Je größer der Antheil sein wird, den Sie unserer Schrift schenken wollen, desto mehr werden Sie uns und das Publicum verpflichten; und hat unser Vorschlag das Glück, Ihren Beifall zu erhalten, so verstatten Sie uns vielleicht, über die eingesandten Manuscripte zuweilen Ihr Urtheil einzuholen, wozu Herr Geheimerath von Goethe bereits uns berechtigt hat. Uebrigens unterwerfen wir uns mit Bereitwilligkeit allen Bedingungen, welche uns vorzuschreiben Ihnen gefallen wird.« Die Horen sollten nach der Ankündigung sich über Alles verbreiten, was mit Geschmack und philosophischem Geiste behandelt werden könne, und also sowol philosophischen Untersuchungen als poetischen und historischen Darstellungen offen stehen. Herder ging gern auf den Vorschlag ein, aber da ihn seine »Terpsichore« und die »Briefe zu Beförderung der Humanität« neben seinen Berufsarbeiten fesselten, konnte er erst auf wiederholte Bitte Schiller's am 19. Februar 1795 einen Beitrag senden, den Dieser gar glücklich gewählt und ausgeführt fand und gleich ins dritte Stück der Horen aufnahm. Auch zur Theilnahme an seinem Musenalmanach, dessen Druck im Sommer beginnen sollte, lud Schiller ihn ein. »Möchten Sie doch veranlaßt werden, Alles, was Ihnen von jetzt an in die Feder kommt, unserm Journale zu bestimmen,« bat Schiller am 12. Juni. »Machen Sie Herrn Cotta Ihre Bedingungen; er wird Alles, was Sie wünschen, mit Freuden eingehen, und ich bitte Sie darum so inständig, als man nur bitten kann, Ihren Antheil an unserm Journal so weit als möglich auszudehnen. Darf ich zugleich meine Bitte wegen des Almanachs bei Ihnen erneuern? In sechs Wochen soll mit dem Druck der Anfang gemacht werden.« Herder versprach, wie Goethe an Schiller meldet, baldigst etwas über Homer. Aber Goethe erhielt den Aufsatz erst am 21. August. Vgl. über ihn und den dadurch veranlaßten Ausfall Wolfs Herder's Werke, VII. S. 28 ff. Den 18. September ward Goethe von Schiller gebeten, doch Herder zu bewegen, daß er kleine Sachen im Geschmacke der griechischen Anthologie in die letzten Stücke der Horen stifte. Ihrem Herzensfreunde Gleim meldet Herder's Gattin bereits am 28. September: »In den nächsten Stücken der Horen finden Sie einige Aufsätze von meinem Mann, Homer und Homer und Ossian. Sie müssen ja die Horen halten. Mein Mann wird jetzt ein fleißiger Mitarbeiter; ich werde Ihnen seine Aufsätze jedesmal nennen. Von Proklus ein Hymnus [Herder's Werke, VII. S. 222–224] ist auch von ihm. Auch werden Sie die kleinen poetischen Stücke von ihm erkennen.« Am 3. October dankt Schiller für die schönen kleinen Gedichte, die Herder zu den Horen geliefert. Den 16. kann er Goethe mittheilen, daß Herder für das elfte Stück einen Aufsatz über die Grazien geschickt, in welchem er diese mißbrauchten Gestalten in ihre alten Rechte zu restituiren suche [Herder's Werke, II. S. 22 u. 267–282], und er verspreche noch einen Beitrag zum zwölften. Dieser Aufsatz war »Iduna oder der Apfel der Verjüngung«. Schiller erhielt ihn am 30. October, sprach aber am 4. November bei aller Anerkennung seine auf ganz anderer Anschauung des Zweckes der Dichtung beruhende abweichende Meinung aus. Seine Ansicht, der poetische Genius müsse sich aus dem Gebiete der wirklichen Welt zurückziehen, stand der Ueberzeugung Herder's, die Dichtung solle aus dem Leben, aus der Zeit, aus dem Wirklichen hervorgehn, solle damit Eins ausmachen und darein zurückfließen, schnurstracks entgegen. Der Aufsatz erschien im ersten Stücke des folgenden Jahrgangs. Der so scharf zu Tage getretene Gegensatz ihrer Ansicht vom Wesen der Dichtung, verbunden mit Wolf's grobem Ausfall auf Herder's Aufsatz über Homer und das Epos scheuchten Herder zurück. Nicht blos lehnte er den Antrag, Diderot's Religieuse für die Horen zu übersetzen, entschieden ab, da sie schon übersetzt sei oder nächstens eine Uebersetzung erscheinen werde, sondern am Anfange des Februar 1796 dispensirte er sich für unbestimmte Zeit von den Horen. Schiller wußte nicht, woher diese Kälte komme, oder ob Herder wirklich durch eine andere Arbeit abgehalten werde. Von jetzt an hielt er sich ganz von den Horen zurück. Die »Xenien« erbitterten ihn aufs Aeußerste und vollendeten die entschiedene Trennung von den verbündeten Dichtern.

Zu derselben Zeit, wo Herder sich an den Horen betheiligte, lieferte er auch mehrere Aufsätze in die »Deutsche Monatsschrift« von Gentz in Berlin. Schon das Januarheft 1795 brachte das Gespräch »Voraussicht und Zurücksicht« (Herder's Werke, II. S. 22 u. 251–266), denen sich im Laufe des Jahres die drei in unserm Bande gegebenen Aufsätze anschlossen. Zunächst hörte mit dem Jahre 1795 jede weitere Betheiligung an Zeitschriften auf. Von blos beurtheilenden Blättern hatte sich Herder seit seiner Anstellung in Weimar ganz zurückgehalten und seit der plumpen Erwiderung Nicolai's gar keine Anzeige neuer Schriften geschrieben. Die seit 1785 in Jena erscheinende »Allgemeine Literaturzeitung« von Schütz und Bertuch war ihm besonders seit Kant's Angriff auf den ersten Band seiner »Ideen« (Herder's Werke, IX. S. 15–17) verhaßt und er sehr erbittert darüber, daß die Beurtheiler dieses das Oberrichteramt sich anmaßenden Blattes nicht den Muth hätten, mit ihrem Namen für ihr Urtheil einzustehen. Um so freudiger begrüßte er die von der Akademie nützlicher Wissenschaften in Erfurt herausgegebenen »Nachrichten von gelehrten Sachen«, in welchen alle Anzeigen mit dem vollen Namen unterschrieben sein sollten. In diese gab er von 1797–1800 eine Reihe von Beurtheilungen, die sich durch feine Beobachtungen auszeichnen, aber auch freilich den beschränkten sittlichen Standpunkt in Würdigung der dichterischen Erscheinungen zeigen, den schon die »Briefe zu Beförderung der Humanität«, später die »Adrastea« vertrat.

Von Vorreden zu fremden Schriften geben wir hier vier aus den Jahren 1784, 1786, 1791 und 1798. Von der höchsten Bedeutung sind die Aeußerungen in der in Briefform gekleideten Vorrede zu J. G. Müller's »Bekenntnissen merkwürdiger Männer von sich selbst« (S. 711 ff.), in welchen Herder's Innigkeit und Tiefe des Gemüths so hell strahlt, daß sie ihm jedes empfängliche Herz gewinnen müssen. Die zu Monboddo giebt zu seiner Ansicht über den Ursprung der Sprache und insonderheit zu seiner Preisschrift, mit welcher er schon bald nach der Abfassung derselben nicht mehr zufrieden war, sehr beachtenswerthe Andeutungen. Auch die übrigen sind noch heute immer sehr lesenswerth, obgleich die betreffenden Bücher sich überlebt haben. Die Vorreden zu dem ersten Bande der von A. J. Liebeskind bearbeiteten »Palmblätter. Erlesene morgenländische Erzählungen für die Jugend«, und zur zweiten Ausgabe von G. Forster's Uebersetzung der »Sakontala« sind bereits in Th. VI. S. 175–183, 223–228 abgedruckt. Die Vorrede zu Herder's eigenem »Buchstabir- und Lesebuch« (vgl. Herder's Werke, XVI. S. XXXVIII f.) dürfte zur Aufnahme in die Werke sich nicht eignen.

Aus Herder's Nachlaß geben wir Alles, was J. Müller in der Ausgabe der Werke mitgetheilt hatte, und fünf Entwürfe aus den »Erinnerungen« seiner Gattin. Von jenen drei Stücken bezieht sich das eine auf eine ihm mitgetheilte Schrift seines Freundes, des Coadjutors Dalberg in Erfurt, das zweite ist eine weitere Ausführung seiner Ansicht über die Bedeutung der sogenannten Sündfluth, die er aus der Naturgeschichte der Erde zu erklären sucht; am Bedeutendsten sind die an verschiedene Gelehrte gerichteten »Persepolitanischen Briefe«, die freilich für die Wissenschaft selbst, welche diesen Standpunkt schon längst überwunden hat, ohne Werth, aber durch den in ihnen wehenden Geist eindringender Forschung wie durch feinen Blick, glückliche Beobachtung und künstlerische Anordnung auch heute noch höchst anziehend sind, wie in anderer Weise Lessing's »Briefe antiquarischen Inhalts«, obgleich sachlich veraltet, durch scharfsinnige, lebendige, die Schwächen des Gegners geschickt aufspürende und treffende, geistsprühende Behandlung sich bis heute frisch erhalten. Sie sind reich an den glänzendsten, Herder's reiches Gemüth und hohen Sinn entfaltenden Ausführungen, die man am Wenigsten in denselben erwarten sollte.

Im Februar 1876.

 


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