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In der Kirche zu Marstrand

Unruhige Bürger ratschlagten auf dem Markte zu Marstrand, und ein Fischer erzählte, daß Tordenskjöld beabsichtige, binnen kurzem mit seinen Schiffen gegen die Insel zu steuern und die Festung einzunehmen.

Martin Rosengaard kam quer über den Marktplatz, das Schlüsselbund in der Hand, und ging mitten durch das Gedränge seinen geraden Weg zur Kirche hin, ohne mit jemand zu sprechen.

»Er ist schwerhörig und alt,« sagte das Volk.

Martin Rosengaard antwortete leise für sich:

»Aber er ist gedächtnisstark, der alte Martin. Er ist sehr gedächtnisstark. Er vergißt den Tag nie, der ihm Freude und Mut gab für das ganze Leben. Er vergißt den Bagge Bagge ist Eigenname und bedeutet zugleich Widder. nicht, obwohl er nun seit fünf Jahren im Grabe liegt mit einer Vollmacht von Bender unter dem Kopfkissen. Er war unser Lehrer und wird auch in der Erde es noch bleiben. Darum sollen wir auch heute seiner gedenken. Er gehört zu uns, wenn auch seine Tat vergangene Zeiten schmückte. In unseren Herzen steht eine Festung, die keiner unserer Feinde erstürmen kann. Ringet ihr die Hände! Es ist Sonntagmorgen, und der alte Martin hat seine Arbeit.«

Seine verschrumpfte Gestalt wurde um einen Kopf größer, und er nickte inniglich vergnügt, als er die Kirchentüre hinter sich geschlossen hatte. Er setze Schwertlilien in die Leuchter und wickelte die geklöppelten Vadstenaspitzen der Altardecke auf. Eine Erinnerung aus seiner Jugend erfüllte seine Gedanken so ganz, daß er beinahe Stimmen und Sporengeklirre in der leeren Kirche zu vernehmen glaubte.

Es war auch ein Sonntag, und von Gyldenlöw, der mit seinen Dänen die Insel erobert hatte, war an den Pfarrer Fredrik Bagge der Befehl ergangen, das Te deum zu halten und das in Dänemark übliche Gebet für König Christian und sein siegendes Heer zu lesen. Gyldenlöw saß selbst in dem Kommandantenstuhl mit seinen Offizieren, und auf dem Gang standen fremde Soldaten bis an die Tür, so daß Bagges Ornat verblaßt und armselig ausschaute unter all den glänzenden Trachten. Die schwedischen Männer und Frauen in den hintersten Stühlen stierten ganz steif vor sich hin, und viele unter ihnen flüsterten mit finsteren Mienen zueinander, als sie am Altar sein getrostes Antlitz im Sonnenschein sahen, der durch das offene Fenster fiel, wo die Spatzen hereinflogen.

Er sang mit klarerer Stimme denn je, und als das Amt verrichtet war und er in der Kanzel stand, fiel ihm Gyldenlöw leise in die Rede:

»Bagge, Bagge, du wirst uns ein guter Predigermeister!«

Er redete über die Größe des Sieges mit solch blitzendem Feuer, daß die Augen der strengen Soldaten feucht wurden, aber als er zum Königsgebete kam, faltete er die Hände hoch über seinem Haupte und betete sein altes Gebet für den König der Schweden.

Da sprang Gyldenlöw aus dem Stuhl, und in der kleinen Kirche entstand ein Lärmen und Fluchen und ein Sporen- und Waffengeklirr wie während eines Handgemenges, aber das Geschrei übertönend hörte man die ganze Zeit das ruhige Gebet Bagges.

Die Soldaten drängten sich die Kanzeltreppe hinauf und führten ihn herunter, aber er fuhr fort bis zum letzten Worte des Gebetes.

»Hast du nichts anderes zu sagen,« rief Gyldenlöw, »so wartet deiner Todesstrafe oder lebenslängliche Festung.«

»Ich habe noch etwas hinzuzufügen.«

Das Schluchzen in den letzten Reihen hielt inne, und die Dänen mäßigten sich erwartungsvoll.

Da begann Bagge für das schwedische Heer zu beten, für die unansehnlichsten Kämpfer in den Reihen und für den Sieg auf Seiten der Schweden, auf daß sie zurückkehren und ihre Insel befreien möchten.

Gyldenlöw tat einige heftige Schritte vor der Altarschranke und klatschte mit den Handschuhen in der Luft.

»Hierher mit den Handschellen, die draußen am Kirchentor bei dem Schandpfahl hängen!« befahl er.

Zwei Soldaten gingen hinaus und kehrten mit den schleifenden Ketten zurück, die auf dem Steinboden klirrten. Gyldenlöw blieb vor Bagge stehen.

»Ich will annehmen, daß du ein rechtschaffener Hirte bist, und daß du aus einfältigem Eifer gehandelt hast. Deswegen will ich noch einmal Gnade für Recht ergehen lassen, falls du bereust ... Aber bei Gott! Bist du aufs neue widerspenstig, so hast du nichts anderes als Standrecht und Urteil zu erwarten. Du hast Haus und Heim ... Besinne dich wohl! Ich will mich gedulden, während du dich prüfst. Lasset ihn frei, Soldaten, und lasset ihn noch einmal zur Kanzel hinaufgehen! Und ihr guten Leute da unten in den Reihen, ihr habt meine Worte gehört.«

Bagge ordnete sein Gewand, als ob er gehorchen und in die Kanzel hinaufgehen wollte. Dann wandte er sich wieder zur Versammlung.

»Ich habe etwas zu bereuen. Das ist wahr gesprochen. Aber ich kann es hier sagen, wo ich stehe, und brauche dafür die Kanzel nicht nochmals zu betreten.«

Gyldenlöw schob die nächststehenden Offiziere zurück und begab sich an seinen Platz, aber seine Finger spielten unruhig an dem Degengriff, und alle Zuhörer standen schon auf dem Gang oder am Rand der Bänke.

Anstatt die Hände zu falten, streckte Bagge sie vor sich hin, und niemand wußte recht, was er damit meinte.

»Ich bereue,« sagte er, »daß ich allzu lange mit dem Gebet gezögert habe, das mir vielleicht am meisten auf dem Herzen lag.«

Damit begann er für die Ernte und das Wetter zu beten, für das Floßbauholz auf dem Flusse, für den Heuwagen an den kleinen Häuschen und für das ganze schwedische Land, dem er Treue schwur, wenn er auch dafür in kommenden Tagen in der tiefsten, dunkelsten Höhle verschmachten müsse.

Da verstanden die Soldaten, warum er seine Hände ausgestreckt hatte. Währenddem er noch redete, schraubten sie die Handschellen an, führten ihn dann zwischen ihren gezogenen Degen aus der Kirche und hinauf der Festung zu.


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