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Leutnant Pinello in der Apothekerstube

Leutnant Pinello, der Italiener, saß in einer Winternacht in der Apothekerstube der Gefangenen von Tobolsk und schluckte starke ›Tropfen‹. Hinter dem Tisch führte eine offenstehende Tür in eine halbdunkle Scheune, wo Fähnrich Kraemer als Gerber arbeitete und die Häute in einer großen Wanne drehte.

Pinello war ein guter Kamerad, und zwischen den weißen Stellen in seinem Haar hatte er eine lange Säbelnarbe von Poltawa, wo er zwei Nächte und zwei Tage unter den Toten auf der Walstatt gelegen hatte. Aber jetzt, da er beim Wermutbranntwein saß, ärgerte ihn der eigenfinnige Fleiß Kraemers.

»Ja, ja,« sagte er, »sein ein Kerl stolz. Stehen die ganze Nacht an Gerbtrog. Nicht kommen und trinken ein Glas starke ›Tropfen‹ mit einem alten Freund. Habe ich vielleicht nicht gedient ehrlich als Freiwilliger in der schwedischen Armee, sogar hier angenommen in der Gefangenschaft eure Glaubenslehre vom Papste verbannt? Was sagst du davon, giovane mio

»Ich schweige und gerbe Ochsenleder,« antwortete Kraemer.

»Ja, du schweigen und gerben Ochsenleder, aber du, ich wissen ein Ochsenleder, das wir Ausländer zu gerben bekommen, und das sein das schwedische Wesen. Ich habe eben genommen den schönen Leutnant Rothlieb auf den Berg mit mir und gesagt mit der Hand auf seiner Brust: Rothlieb, knie nieder hier auf der Stelle und danke dem guten Himmel, daß Rothlieb ist geschaffen so schön und so angenehm vor allen Frauen! Schämt er sich nicht zu sein mürrisch mitten im Spiel ... Santa Maria! Was glaubst du, daß der Kerl machte? Der ausgewachsene Kerl beginnt zu seufzen, und ich fühlte, wie leer das Herz seines klapperte in Brust. Ich ging dann zu der Frau des Leutnant Beck. Obwohl sie ist eine Heilige und ein Fichtenzweigbesen, an dem die Nadeln stechen, je dürrer sie sind, sie sein auf alle Fälle ein Weib. Ich ihr den Hof gemacht stundenlang. Die Nase sein ein bißchen punktiert, und die Augen zwei helle Wassertropfen, ein richtiger kühler Tag im Monat Septembris. Als ich erzählen, wie ich höre singen im Rauschen des Westwindes auf dem blumigen Rasen alle die guten Engel Gottes, sie antworten damit zu nennen Leutnant Rothlieb ein schlechten Menschen. Dann sie wird kurios und obstinat und bißchen vornehm, aber nichts anderes zu bedeuten haben als Verlegenheit. Als ich erst einmal Treue schwur die schwedische Fahne, da schmetterte die Gerichtsposaune gegen die Tischgabel und die Fontange, und das, was die Perücke entschuldigte, war, daß sie bedeckte. Jetzt wird geheizt der Ofen für die armen Gefangenen mit geistreichem Kopf, welche commedia spielen. Ach, Kamerad, ich habe gesehen in meinem Hand heilige Schwestern duftend von lieblicher Demut und himmlischer Liebe. Sie sprechen von Gottes Güte, aber nicht von der Bosheit der Menschen. Ach, Kamerad, komm und sieh die Weiber in meinem Vaterlande, wenn sie umarmen ihre Kinder oder sind gesessen und weinen auf den Gräbern mit ihren Wachskerzen! Es ist zum Herz entbrennen, das zu sehen. Was sagst du dazu?«

»Ich schweige und gerbe Ochsenleder.«

»Ja, du schweigen und gerben Ochsenleder, aber du, weißt du, warum die Schweden bleiben ein kleines Volk, warum mitten in Zeiten der Siege sie niemals bekamen zehn Millionen Kinder? Weißt du, warum Schweden und schwedische Sprache sich nie wie kochender Wein über die europäische Karte ergoß und ein unteilbares Großreich bildete? Ich sage, warum. Sie haben keine Feuerkrallen an den Fingern. Das schwedische Wesen war von Anfang an ein Ochsenleder so hart, daß es nur gezüchtet werden konnte mit dem kalten Hammer der Pflicht. Die Schweden konnten von Anbeginn an weder siegen noch fallen aus Liebe, sondern nur aus Pflicht. Sie nicht lieben sogar einander. Die Schweden lassen sich lieber hängen, als daß sie völlig recht geben einem Landsmanne. Ihr Wesen sein ursprünglich ein steiniger Boden, aber wir polnischen und deutschen und französischen Renegaten haben mit unserem Abenteurerblut ihn bewässert, wo jetzt anfangen die Vögel zu singen im Laube. Tropfen solchen Abenteurerblutes hängen an den Zweigen ihrer stolzesten Stammbäume, gleich der Pomeranze in einer Eiche, ja diese Pomeranzen sitzen oft selbst in der Wurzel, du! Saft der Pomeranze fließt in den Adern ihres eigenen Heldenkönigs. Ihr lieben Schweden, hört, was ich sage. Wenn ihr findet in den Listen unsere Abenteurernamen nicht vergessen, daß wir unser Blut vermischt haben in unzähligen Gefahren, daß wir Fremden sind gewesen die heitersten Soldaten ... die Flöten, wo ihr wart die Trommeln! Aus Liebe ich habe Treue geschworen der schwedischen Fahne, und aus Liebe ich will halten den Eid bis zum letzten Atemzug, denn sieh, Pflicht und Liebe müssen zuletzt ein und dasselbe werden. Die Hand reichen, Kamerad, zu dem kleinen Italiener und allen seinesgleichen. Was sagst du dazu?«

Kraemer trocknete seine Arme an der Schürze und kam in die Apothekerstube herein.

»Ich bin nicht bereist und viel erfahren wie du, Pinello. Ein wenig weiß ich, was wir gewesen, kaum, was wir sind. Aber bleibe bei uns. Komm mit mir nach Hause und stell dich an den Wachtturm auf dem Brunkeberg und rufe hinaus, daß alle sich um dich versammeln sollen, die ihr Leben für eine Tat wagen wollen ... einerlei was für eine, einerlei, ob sie von Zweck ist ... einerlei, wenn du auch nur eine Volkswanderung auf eine Nacht altem Eis über das Aaland-Meer vorzuschlagen hättest. Da wirst du erblassen und merken, daß du eine Feuerfackel geschleudert hast. Dürre Fichtenzweige können brennen, du, und dann riecht es wie Spezereien und Rauchwerk aus dem Morgenlande.«

Seine Hände faßten brüderlich die schwarzbraunen des Freundes.

»Warum dann arbeiten so fleißig in die Nacht hinein?« fragte der Italiener.

Kraemer antwortete:

»Ich gerbe mein Ochsenleder, damit ich es, sobald es weich und bearbeitet ist, Frau Beck und ihren Schulkindern geben kann. Sie sollen Wämser daraus nähen, die wir heimlich unter den Röcken tragen können. Es ist hier eine Verschwörung angebahnt unter den Gefangenen bis weit weg nach Archangel und Kasan. Mit den Waffen in der Hand wollen Männer, Frauen und Kinder zurück und durch ganz Rußland ziehen bis zum König in Bender. So sind die Schweden nun geworden! Willst du uns folgen, Gitarrenzupfer?«


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