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Vor der Kirche

Der breitschultrige Jöns Snare in Mora aß Grütze mit seinen Nachbarsbauern Maans und Mathias. Er war so geizig, daß er den ganzen Winter auf der Schlafbank lag und schlief, um Licht zu sparen. Sein großes, plattes, bartloses Gesicht glühte in dem Tageslicht, das aus der Bodenluke hereinfiel, häßlicher und runzeliger als das einer Hexe, und er sprach träge mit dumpfer, dröhnender Stimme.

»Ich prophezeie,« sagte er und schlug die Hand aufs Tischbrett, »daß Rindenbrottage bevorstehen. Morgen steche ich meine letzte Kuh ab. Jedes Jahr neue Steuern und Einberufungen, und jetzt will man uns die Kirchenglocke und das Geld zum Abendmahlwein und das Getreide fürs Armenhaus wegnehmen.«

»Wahr gesprochen,« sagte Maans.

Er rieb seine grauen Backen und nahm noch eine Prise Salz mit seinem Breilöffel, denn es war Sabbat. Sonst war Maans so geizig, daß er bei den Nachbarn herumging und die Salzprisen zur Grütze und die Holzscheite unter dem Topf zählte.

Mathias dagegen legte sich über den Tisch, runzelig und boshaft mit schwarzen Zähnen und zwei kleinen, schwarzglänzenden Natteraugen. Er war doch der geizigste von allen. Ein geizigerer Bauer hatte niemals in dem Sprengel gelebt. Er war so geizig, daß er zum Pfarrer in die Sakristei hineinging und ihm befahl, wochentags in Holzpantoffeln zu gehen wie die Gemeinde.

»In meiner Einfalt bin ich der Meinung,« krächzte er, daß Gott uns Bauern hingesetzt hat, um den Daumen auf den Beutel des Reiches zu drücken. Nicht eine Platte lege ich in die Hände des Vogtes.«

»Aber meine Fischnetze,« antwortete Jöns Snare, »die konntest du stehlen.«

»Wahr gesprochen,« sagte Maans.

Mathias grinste und schlug das Brot mit dem Hammer entzwei.

»Was soll einer tun, wenn er verhungert!«

Jöns Snare fuhr mit der Hand durch sein langes und struppiges Haar und stand auf, und seine Rede war weit außerhalb des Hauses vernehmbar.

»Du sollst Vaters alte Muskete von der Wand nehmen und den Vogt und den Steuereinnehmer niederknallen und sie in der Heudieme verstecken. Und ehe man dir die Gurgel zudrückt oder du am Galgen schaukelst, sollst du mit mir nach Stockholm gehen und die vornehmen Herren Bauernweisheit lehren. Frieden fordern wir, und Frieden muß es werden!«

»Wahr gesprochen, wir gehen mit dir,« sagte Maans und stand auf und wiegte sich in den Knieen.

Auch Mathias stand auf und schüttelte Jöns Snare die Hand.

»Um anzufangen, gehen wir zur Kirche und reden zu der Gemeinde,« sagte er mit seiner jammernden Stimme, »wir müssen auf Freiheit und Recht halten.«

»Ich werde schon reden, ich,« antwortete Jöns Snare, »und Frieden soll werden. Das fordern wir.« Sie gingen aus der Stube und sprachen unterwegs mit Frauen und Mägden und Greisen und Jungen. Als sie vor die Kirche kamen, hatten sie wohl zwanzig oder dreißig in ihrem Gefolge.

Die Herbstsonne schien kalt und klar über die Waldhöhen und den See und die lange, weiße Kirche. Auf dem Platz vor den Stallschuppen murmelte das Volk zwischen Wagen und Karren, aber die Abendmahlskinder, die oben am Altar gesessen hatten, waren erst bis an die Schwelle der Vorhalle gelangt. Die zottigsten Alten, die aus den Wäldern heruntergekommen waren, und die schon ihre Pelzröcke übergezogen hatten, fingen zu schreien und zu lärmen an, als sie Jöns Snare sahen, denn alle hielten sie ihn für den halsstarrigsten und mächtigsten Bauern im Sprengel. Auch die anderen Dalbauern mit ihren hellen, offenen Zügen und weißen Hemden, die zwischen den Lederhosen und der Weste hervorleuchteten, wendeten sich an ihn, denn es schien ihnen, als wiege nichts in der Welt schwerer als seine trägen und widerspenstigen Worte.

»Ihr seid sehr kirchlich, ihr,« rief er ihnen zu. »Ihr geht wohl hinein, um das neue Kirchengebet von der untertänigen Geduld zu lernen.«

Niemand nahm sich Zeit, zu antworten. Alle drängten sich um ihn.

»Der König ist gefangen!« riefen sie. »Der König ist gefangen! Der König ist gefangen!«

»Der König ist gefangen?«

Jöns Snare stand mit geballten Händen und blickte fragend vom einen zum anderen.

»Wahr gesprochen,« sagte Maans.

»Schweig, du Kerl! was weißt du denn davon!« schrie Jöns Snare und drohte mit geballten Fäusten, so daß alle zur Seite wichen und Raum gaben.

Er setzte sich auf die Bank draußen vor den Stallschuppen, aber die Bauern wollten ihn nicht allein lassen, und der Ring um ihn wurde dichter und dichter. Niemand wollte ein Wort verlieren.

»Ist der König gefangen?« fragte er von neuem.

»So erzählt es einer dem anderen. Ein Schmied aus Falun hat gesagt, daß der König bei den Heiden gefangen sei.«

Mathias rückte näher und bückte sich und streckte seine langen Finger vor.

»Was sagst du zu der Runde, Jöns Snare, frage ich in meiner Einfalt?«

Jöns Snare hielt die Hände auf dem Schoß, und die Sonne schien auf seine hölzerne, unbewegliche Stirn und seine harten Lippen. Er schaute zu Boden.

»Was sagst du?« murmelten die Bauern. »In Stockholm schenkt der eine Ratsherr der Krone sein eigenes Geld, der zweite sein Tischsilber, und der dritte schlägt vor, daß jeder wohlhabende Untertan alle seine Habe schenken und von nun an nicht mehr besitzen soll, als der Arme. Nur die Reichskönigin-Witwe verlangt ihre Apanage unverkürzt, die Geizhure, und das Volk auf der Straße schlägt der Gräfin Piper die Fenster ein ...«

»Und wir,« sagte Mathias, »wir sollen die Donnermuskete von Verwand nehmen, sagt Jons Snare.«

»Wahr gesprochen!« bestätigte Maans.

Jons Snare schwieg noch, und es wurde jetzt ring« um ihn so still, daß man nur da« Glockenläuten vernahm.

»Ja,« antwortete er nach einer Weile, und seine Stimme dröhnte gedämpfter und bitterer als zuvor, »wir sollen die Donnermuskete von der Wand nehmen und jeder aus seinem Haus gehen. Bei Gott, ihr guten Männer von Dalom, – ist der König gefangen, dann fordern wir, daß man uns gegen den Feind führe, damit wir ihm nach Hause helfen können.«

Mathias wurde nachdenklich, dann aber klärte sich seine Stirn, und seine grauen Augen blinzelten listig.

»Sehet, das ist eine Forderung, die gehört zur alten Freiheit und zum Recht.«

»Wahr gesprochen!« sagte Maans.

»Ja, ja, das ist eine Forderung, die gehört zur alten Freiheit und zum Recht,« murmelten die Bauern und hoben die Hände zum Schwur. Es entstand solch ein Lärmen und Toben, daß niemand mehr die Glocken hörte.


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