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Maans Franzmann

Ein mit Fell bespannter Feldwagen war in einem der Sümpfe Polens stecken geblieben, und das Pferd war schon ausgespannt. Auf dem Wagen stand ein junger Mann, der soeben zu den Truppen gestoßen war, um sich emporzudienen. Die Kameraden nannten ihn Maans Franzmann, denn er war als Lehrer einigen vornehmen Herren nach Frankreich gefolgt, und hatte dort seine Kiste mit allerlei wunderlichen Dingen gefüllt. Hauptmann Olof Oxehufvud wartete mit einigen Unteroffizieren und Gemeinen daneben im Schlamm, und das Schneegestöber schlug ihnen ins Gesicht.

»Der Wagen und die Kiste werden hier gelassen,« sagte Oxehufvud.

Maans Franzmann öffnete die Kiste und steckte so viel, wie er tragen konnte, zu sich.

»Schaut, was für ein scheckiger Schlafrock mit Schnüren und Quasten!« riefen Oxehufvud und die Unteroffiziere.

»Was für elende kleine Pantöffelchen. Und die Wattons! Und die Mütze!«

»Es ist ein cadeau von ma ...«

»Schmeiß es in die Schneebrühe!«

»... von maman

»Guckt nur die kleine Perücke!«

»Und die große Allongeperücke!«

Jetzt konnte Oxehufvud sich nicht mehr halten, sondern packte ihn am Bein.

»Schmeiß das Teufelszeug in die Schneebrühe, sage ich!«

Maans zartes und feines Gesicht flammte auf, und er schlug an den Degen.

»Herr Hauptmann, so eine wik ...«

»So eine wichtige Persönlichkeit wie Er kann wohl den Marsch aufhalten, meint Er?«

»Nein, so eine victorieuse Armee, wollte ich sagen, braucht wohl nicht malpropre in der Kleidung und in Schlafröcke aus der Zeit König Orres gekleidet zu gehen.«

»Faselhans! Petit-maître! Erzkamel!«

»Herr Hauptmann behandeln mich wie einen Knecht, obgleich ich éducation besitze und Frankreich durchreist, ja, Aug' in Aug' mit Vauban selbst gestanden habe.«

»Na, was sagte denn der Vauban?«

»Was er sagte?«

»Jawohl!«

»› Va t'en!‹ sagte er, denn es war an seinem eignen Tor, und ich kam ihm in den Weg.«

»Jesus! Jesus! Herunter aus dem Wagen, und das sofort! Zwei Mann her und nehmt den Tropf!«

Maans Franzmann raffte Pantoffeln und Perücken in den getüpfelten Schlafrock zusammen und nahm ihn auf den Rücken und hielt dann und wann die Lorgnette vor die Augen.

Als er an den Strand hinaufgebracht war, blieb Oxehufvud vor ihm stehen, lang und schmal mit hochroten Backen und kleinem, schwarzem Schnurrbart.

»Hören Sie jetzt, Monsieur, was will Er eigentlich im Felde? Will Er sich empordienen?«

»Obwohl nicht adelig, hoffe ich es. Wer weiß, vielleicht sitze ich auch einmal mit dem Adelsdiplom in der Tasche.«

»Adle Er sich zum Teufel! In dieser Armee wird keine Spur nach Adel gefragt, sondern muß jeder emporzukommen suchen, so gut wie er kann.«

Oxehufvud hatte ihn nun als Vorgesetzter so lange geschimpft, daß sein kameradschaftliches Herz weich zu werden anfing, und brummend fügte er etwas ruhiger hinzu:

»Halte Er sich jetzt tapfer, dann kann Er damit anfangen seine Offiziersvollmacht zu erlangen. Wir haben hier schon so manchen schwedischen Gimpel von Seiner Art zurechtgestutzt und zum Menschen gemacht. Dort im Gebüsch sieht Er ein großes, weißangestrichenes Haus. Da faßt Er Posto, bis ich weitere Orders schicke. Wir anderen stellen uns eine Viertelstunde weiter oben im Walde auf. Da wir im ganzen nicht mehr als fünfundzwanzig Mann sind, kann ich Ihm keinen einzigen Kerl mitgeben. Kundschafte und spioniere Er fleißig nach dem Feinde, so daß uns niemand in den Rücken fällt.«

Oxehufvud zog mit seiner kleinen Schar von dannen, und Maans Franzmann ging zu dem Haus hinauf, mit seinem Bündel auf dem Rücken.

Kein Mensch war zu sehen, und er stellte sich unschlüssig auf die Seite an die Wand. Er war verfroren und durchnäßt, und am allermeisten plagten ihn der Schmutz und der Lehm an den Stiefeln. Würde er nicht geradeso gut oben aus einem der Fenster Ausguck halten können? Ein recht schön gebettetes Lager mit seidener Decke und Fußsack war just das, wonach er sich sehnte.

Gerade unter dem Hause war ein dunkles Einfahrtgewölbe, und dahin schlich er mit großer Vorsicht der Wand entlang. Nachdem er die angelaufene Lorgnette abgetrocknet hatte, beugte er sich vor und guckte in das Dunkel hinein. Da begann es zu stampfen und zu rasseln, und er konnte zwei glänzende Augen unterscheiden. Mit klopfendem Herzen ging er einen Schritt zurück und zog den Degen.

Ein schwarzes Pferd flog heraus und lief auf dem Hof hin und her und warf mit den Hinterhufen den Schnee hoch in die Luft.

Den Rappen will ich nicht fangen, dachte Maans Franzmann. Schwingt sich unsereiner auf so ein verwildertes Pferd, dann erhebt sich der totgeschossene Eigentümer aus dem Sumpf und läuft hinterher und reißt einen aus dem Sattel. So etwas hört man jeden Abend am Feuer erzählen.

Er drohte dem Pferde mit dem Degen und ging hinein und stieß die Tore auf der anderen Seite auf, damit mehr Tageslicht hereinkäme. Er sah jetzt, daß die Haustür vermauert war.

Schnaubend und stampfend kam das Pferd zurück, aber Maans Franzmann jagte es wieder weg. Sodann trat er heraus und rief zu den Fenstern hinauf. Ein grauhaariges Dienstweib streckte den Kopf heraus.

»Wohnt hier ein Freund vom König Stanislaus oder von dem sächsischen Trunkenbold?« fragte er.

»Hier wohnt ein alter Einsiedler, der niemandes Feind und niemandes Freund ist.«

»Gut, dann kann er auch keinem verfrorenen schwedischen Soldaten Unterkunft verwehren.«

Das Dienstweib verschwand und kam schließlich mit einer Leiter zurück, auf der er hineinkletterte.

Das Zimmer war groß, und häßliche, aber saubere Holzstühle standen in Reihen steif längs den kahlen Wänden. Als er mit der Degenscheide gegen einen der Stühle stieß, eilte das Dienstweib herbei, um ihn wieder auf seinen bestimmten Platz zu stellen. Zwei blaugekleidete Mädchen mit blassen Gesichtern und lockigem Haar gingen und kamen, ohne ein Wort zu sagen, und sobald die eine einige Schritte zurückblieb, sprang sie ängstlich wieder an die Seite der anderen. Sie streiften aneinander und tasteten mit ihren langen Fingern vor sich her und, obwohl es hellichter Lag war, trugen sie brennende Lampen.

Als das Dienstweib ihm den Lehm von den Stiefeln gerieben und die nassen Flecken, die seine Fußsohlen auf den Boden hinterließen, sorgfältig aufgetrocknet hatte, öffnete sie leise und vorsichtig die Tür zur nächsten Kammer.

»Gehen Sie nicht zu laut!« flüsterte sie.

Da stand ein Mann mittleren Alters im Schlafrock und mit der impertinentesten und spitzigsten Nase, aber nie hatte jemand eine zierlicher gelockte Puderperücke getragen, und an den weißen Fingern glänzten Ringe mit Steinen.

Maans Franzmann setzte sein Bündel hin und lorgnettierte ihn. Sehr zufrieden mit seinem gepflegten Äußeren, machte er darauf eine große Bewegung mit den Armen und verbeugte sich bis auf den Boden.

»Meine Absichten sind ritterlich,« sagte er, »und ergebenst bitte ich um die Gnade, zu erfahren, mit welchem Rittersmann ich das Glück habe, mich zu unterreden.«

»Setzen Sie sich, mein Herr. Ich bin nichts als ein vergessener alter Sonderling, aber da Sie ein homme de qualité sind, will ich gleich einiges erklären, das wohl sonderbar erscheinen muß.«

Die beiden Herren setzten sich steif und gerade, die Hände auf dem Schoß.

»Früher war ich ein lustiger Lebensbruder, und mein Brokatrock war ein Märchen in ganz Warschau, aber an meinem dreißigsten Geburtstag, als ich mit den Kameraden beisammensaß und pokulierte, hob ich meinen Römer und sprach folgendermaßen: Meine Freunde! Mit jedem Jahr wird euer Auge härter und euer Herz verschrumpfter. Der eine glaubt an König Stanislaus mit den weißen Backen, der andere an König August mit dem großen Bauch. Sodann schmiedet ihr eure Ränke und sucht Anstellungen und Belohnungen. Ich will nicht ins Grab steigen mit der fürchterlichen Erinnerung, daß jeder meiner Brüder zuletzt ein Kain wurde. Ich stelle die Freundschaft weit höher als die Liebe, denn sie ist ausschließlich ein Bund der Seelen, und deshalb sage ich euch heute Lebewohl, so lange wir noch jung sind. Von mir werdet ihr nie mehr etwas hören, aber so, wie ich euch jetzt sehe, sollt ihr vor meinen Augen noch in meiner Kammer mich umgeben und mir Gesellschaft leisten, wenn ich alt und einsam dasitze. Wenn die Dienstmagd draußen vor der Tür hört, daß ich halblaut schwätze, wird sie sagen: jetzt redet der Alte mit seinen lieben Jugendfreunden.«

»Und als Sie ihnen so Lebewohl gesagt hatten?«

»Da fuhr ich nach Hause und ließ die Tür zumauern. Die Dienstboten müssen sich herein- und hinaushelfen, so gut sie können.«

»Bei einem Hausherrn mit so delikaten Gefühlen ist der Gast gewiß, daß er sich behaglich fühlen wird. »Sich behaglich fühlen ... Was denken Sie? Meine beiden Zwillingstöchter, die hier in den Zimmern umhergehen und mit ihren Lampen leuchten, sind geisteskrank ... ihre Mutter war eine entführte Nonne ... und das ist noch das wenigste.«

»Sie meinen vielleicht, daß ich störe?«

»Na ja,... das wollt' ich ja nicht gerade sagen, aber ... Hier spukt's!«

Seine Nasenflügel hoben sich in den Winkel, und er stand auf und rieb sich zufrieden die Hände.

»Ich halte es für meine Pflicht als Hausherr, Ihnen von Anfang an die Wahrheit zu sagen. Ein verstorbener Lakai geht hier um, er heißt Jonatan. Er steht in den Fensternischen und hinter den Türen in brauner Livree mit schwarzen Schnüren. Der Diensteifer steckt noch nach dem Tod so fest in dem armen Kerl, daß er aufpaßt und die Gäste bedient, wenn sie es am allerwenigsten ahnen. Glücklicherweise sind Gäste hier selten. Sagen Sie mir, sind Sie Graf?«

»Ich, nein.«

»Sind Sie Freiherr?«

»Nein ... Freiherr bin ich noch nicht.«

»Sind Sie wenigstens gewöhnlicher Edelmann?«

»Ist es des Herrn Absicht, mich zu insultieren?«

Maans Franzmann errötete verlegen. Freilich ist das Diplom mein liebster Traum gewesen, dachte er, und Gott gebe, daß ich es schon in der Rocktasche trüge. Dann würde niemand länger petit-maître rufen. Dann würde es heißen: dem Mann sah man den Adel an, lang' ehe er das Diplom bekam.

»Wie kann so eine einfache Frage Sie verwunden?« rief der Sonderling noch entzückter aus.

»Gewiß bin ich adelig. Meine Familie ist uralt.« »Das ist eine andere Sache. Dann geht alles gut. Obwohl der Jonatan christlich beerdigt worden ist und alles, ist er doch so ein eingefleischt aristokratischer Lakai, daß er alle möglichen Malicen anstellt, sobald er einen Emporkömmling oder einen Unadligen vor sich hat.«

Maans Franzmann fuhr mit dem kleinen Finger über seinen kleinen Schnurrbart und schlenkerte etwas verlegen mit der Lorgnette.

»Sind Sie Liebhaber von Syracuser?«

»Nein.«

»Auch ich respektiere viel mehr einen Becher Frontignac. Meine Favoritspeise ist Ragout mit Champignons, obwohl ich ein Haché von Hammel mit Thymian keineswegs verdammen will. Vieles hier in der Welt kommt auf die Sauce an. Oh! Ich sehne mich nicht nach Hause, nach Mehlspeisen und Finsternis.«

»Finsternis? Sie denken an die Sommernächte!«

»Die sind hell.«

»Und die Winternächte sind auch hell, denn da haben Sie Schnee. Haben Sie Angst vor der Finsternis, dann reisen Sie nie mehr nach dem Süden! Haben Sie in Ihrem Hand große Künstler und Gelehrte?«

»Wir haben keine und bekommen auch keine.«

»Sie überschätzen Ihre Landsleute nicht.«

»Ich habe ein wenig von der großen Welt gesehen, mein Herr. Ich habe Frankreich durchreist während zweier ganzer Monate, mein Herr. Ich bin sogar einen ganzen Abend mit dem roi Soleil selber zusammen gewesen.«

»Sie? Sie sind mit Ludwig dem Vierzehnten zusammen gewesen?«

»Das bin ich ... im Theater ... obwohl ich nur einen miserablen Stehplatz im Parterre bekam. Seit Augustus ist kein so majestätischer Souverän dagewesen, – nur seine Art, zu grüßen!«

»Der König der Schweden ist auch ein Mann.«

»Das ist er, denn er zieht des Auslandes Aufmerksamkeit auf uns, aber doch: wie pauvre

»Jawohl, pauvre in Warschau neulich. Als Stanislaus mit seiner immer scheuen und zitternden Gemahlin in die Krönungskirche eintrat, hatte er nicht nur die neu angefertigte Krone und das Zepter und den Apfel und das Schwert und den Hermelin und den Gürtel und die Schuhe von den Schweden geschenkt bekommen, sondern auch das Banner und die Teppiche an der Kirchenwand und die Teller an der Tafel und die Krönungsmünzen, die ins Volk geworfen wurden, und die Soldaten, die Wache hielten und die Freudesalve abschossen ... und zuletzt dankte er und küßte Exzellenz Piper die Hand. – Sind Sie selbst arm?«

»Arm ... ich?«

Maans erinnerte sich der zwei armseligen Karoliner, Schwedische Münze mit dem Namenszug Karls XII. die in sein Rockfutter eingenäht waren, und die alles ausmachten, was er besaß, aber er schlug mit der Lorgnette gegen den Tisch und beeilte sich zu sagen:

»Meine Depensen sind immens ... und das Spiel amüsiert mich ... gehe niemals ohne zehn Louisdor im Beutel.«

»Wollen Sie mir fünf Louisdor leihen?«

Maans Franzmann guckte an die Decke.

»Gerade heute vergaß ich unglückseligerweise den Beutel in einem Rock auf der Zeltstange. Aber ich werde mich glücklich schätzen, diese Bagatelle baldigst zu übersenden. Mein Herr, betrachten Sie uns linkische Schweden nicht als grands seigneurs. Wie hoch ich noch steige, der Maans guckt doch zwischen den Nähten heraus.«

»Ihr wart wahrlich nicht zu linkisch neulich auf unserm polnischen Schlachtfeld, wo Arvid Horn mit der Brieftasche saß und alle aufschrieb, die gegen schwedischen Befehl stimmten, und wo der Landmarschall verzweifelt seinen Stab zerschlug. – Aber betrachten Sie jetzt mein Haus als das Ihrige. Die Tabakflasche liegt neben der Riechwasserflasche, und die Riechwasserflasche steht auf der Puderbüchse und die Puderbüchse auf dem Tabakfäßchen und das Tabakfäßchen auf dem Nachttisch ... Den können Sie suchen, dann vergeht die Zeit schneller.«

Er nahm bei diesen Worten ein in Leder gebundenes Buch und setzte sich hin, um zu lesen.

»Ich bitte, bitte,« antwortete Maans Franzmann und lorgnettierte ihn von der Seite mit wachsendem Mißtrauen, bei sich aber dachte er: Warte nur, wenn ich einmal mit meinem Diplom in meiner großen Galakarosse sitze! Dann wird's heißen: der Herr ist unser neuer, ritterlicher Magnus Gabriel! Magnus Gabriel de la Gardie.

Die beiden Mädchen huschten dann und wann durchs Zimmer und beleuchteten ihn mit ihren Lampen, und jedesmal stand er auf und verbeugte sich. Da der Sonderling indessen seine Gegenwart zu vergessen schien, nahm er schließlich sein Bündel und ging in die äußere Kammer zurück.

»Es dämmert,« sagte er zu dem Dienstweib, »und ich bin zu müde, um länger Gesellschaft leisten zu können.«

»Wir haben das Bett für Sie hier links im großen Saal in Ordnung gemacht. Es ist das einzige Zimmer, das geheizt ist.«

Der Saal war weiß gestrichen und lang, mit unfreundlichen Stuhlreihen und ein paar groben Klapptischen. Dicht an der Tür stand ein Bett mit Vorhängen aus holländischer Leinwand. Die Alte steckte die vier Kerzen im Leuchter an und ließ ihn allein.

Er sah sich fröstelnd um und legte den Degen auf den Tisch. Dann packte er sein Bündel auf. Drei von den Kerzen blies er aus, und auf die hängte er die kleine Perücke und die Zwischenperücke und die Allongeperücke, aber mit der vierten leuchtete er unter das Bett und in die Fensternischen und steckte sie nachher in den Leuchter zurück.

»Impertinentes Pack!« murmelte er. »Lieber wäre ich draußen im Schnee geblieben; da ich aber jetzt einmal drin bin, gilt's, sich wachzuhalten und dann und wann ans Fenster zu gehen und zu lauschen und zu spähen.«

Er versuchte die Tür von innen zuzumachen, aber sie war ohne Schloß und Riegel. Nachdem er sich lange vergebens bemüht hatte, seine nassen Stiefel herunterzubekommen, deren modriger Geruch ihn belästigte, zog er den Schlafrock an und legte sich mit den Stiefeln auf das Bett.

Mitunter hörte er ein dumpfes Stampfen und Schnaufen von dem verwilderten Pferd im Einfahrtstor unter dem Saal, aber nach einer Weile wurde es still, und es schien ihm, als leuchte die Kerze nicht genügend, denn alle Ecken und Nischen waren dunkel. Er hob die Lorgnette und schärfte seinen Blick und wendete die Augen nach allen Seiten, blieb aber im übrigen ganz unbeweglich liegen. Da sah er am Türpfosten dicht hinter dem Bettvorhang am Kopfende einen großen, geraden Lakaien im braunen Rock mit schwarzen Schnüren.

Ein krampfartiger Schauder faßte ihn an der Kehle, und es schwindelte ihm vor den Augen, aber er dachte: Es ist nur der gute Gott, der mich prüfen will, weil ich von Auszeichnungen und Diplomen träume.

Sachte und fast unmerklich griff er fest an beide Bettkanten, um seinen eigenen zitternden Körper zu bezwingen und steckte schon das rechte Bein zwischen den Bettvorhängen heraus.

»Jonatan,« sagte er, »zieh mir den Stiefel aus!«

Der Lakai grinste, daß der schwarze Mund sich bis zu den Ohren hinaufzog, aber er rührte sich nicht von der Stelle.

Maans Franzmann klapperte mit den Zähnen, zog aber das Bein nicht zurück.

»Jonatan, bedienst du so adlige Leute?«

Der Lakai grinste noch ärger und winkte abweisend mit der Hand.

Jetzt verstand Maans Franzmann, daß der Lakai seine Lüge durchschaute und ihn als einen Emporkömmling oder Nichtadeligen behandelte, und sein Schreck wurde so groß, daß er pustete und leise stöhnte, aber das Bein hielt er immerwährend ausgestreckt.

»Zieh mir den Stiefel aus, Jonatan!«

Seine Stimme war jetzt nur noch ein Flüstern.

Der Lakai rieb sich die Hüften und grinste, blieb aber am Türpfosten stehen.

Im gleichen Augenblick wieherte das Pferd unten im Einfahrtsgang lang und grell, und weit entfernt im Schneegestöber antworteten ihm mehrere Pferde.

Maans Franzmann sprang aus dem Bett.

»Ich versäume den Dienst!« rief er. »Es ist der Feind!«

Er lief nach dem Tisch, um den Degen zu ergreifen, aber neben ihm her folgte der Lakai mit langen Schritten und stierte ihm in die Augen.

Da wurde er wiederum wie gelähmt und blieb stehen. Unterdessen ergriff der Lakai den Degen mit der einen Hand und streckte die andere über den Heuchler, hob auf zwei Fingern die große Allongeperücke in die Höhe und ließ sie dann wie einen Löscher über die brennende Kerze fallen.

»Gott im Himmel!« stammelte Maans Franzmann. »Ich bin selten in deinen Tempel gegangen und habe lieber mit allerhand Eitelkeit gespielt und getändelt, aber hilf mir in dieser Stunde, daß ich nicht meinen Dienst versäume und zuschanden werde. Nachher magst du mich auf ewig bestrafen.«

Das Wiehern kam näher und näher, stampfend und schnaubend raste das verwilderte Pferd aus seinem Versteck.

Da bückte sich Maans Franzmann, die geballten Fäuste über dem Kopf, und warf sich im Dunkeln über den Lakaien.

»Du Spuk des Beelzebub!« rief er.

Er riß den Degen an sich und hieb im Dunkeln nach allen Seiten, Stühle fielen zu Boden. Nirgends konnte er Jonatan erwischen, aber schließlich stieß er mit den Händen gegen die Wand, und die Tür öffnete sich. Die beiden Schwestern kamen mit ihren Lampen und ihren großäugigen, blassen Gesichtern, im bloßen Nachthemd und ohne den Verstand, darüber irgendwelche Scham zu empfinden.

Sie schmiegten sich nur gegeneinander und stierten den Fremden an, der sie mit seinem Lärm geweckt hatte. Er hatte diesmal keine Zeit zum Grüßen, sondern öffnete das Fenster und sprang auf den Hof hinunter. Im Schlafrock, den Degen in der Hand, lief er am Haus entlang, und hinter sich hörte er eine rauhe Stimme aus dem Fenster, aber er wußte nicht, ob sie von dem Sonderling oder vom Jonatan herrühre, oder ob beide ein und derselbe seien.

»Ich sah, daß du ein Narr bist,« rief die Stimme, »ein großer Narr, ein Narr ohnegleichen, und ich wollte dich loswerden. Aber wenn jetzt die Reiter dich sehen und hier ein Handgemenge entsteht ... mein Haus, mein Heim, meine Zuflucht wird dann ein Scheiterhaufen, ehe der Hahn kräht ...«

Ohne zurückzublicken, lief Maans Franzmann mitten in die Bäume hinein, und während der ganzen Zeit dachte er: Jetzt gilt es die Offiziersvollmacht! Und dann das Diplom, das Diplom!

Der Mondschein leuchtete durch das Schneegestöber, und er sah die Polacken mit schaukelnden Federbüschen vorbeieilen, wie Schatten, wenn sie allzu nahe kamen, warf er sich neben einem Reisighaufen auf den Boden oder stellte sich hinter einen Baumstamm.

Zuletzt entdeckte er einen alten, überschneiten Verhau, und hinter den Stämmen erhob sich ein Soldat und fragte flüsternd:

»Wer da?«

»Gott mit uns! Guter Kamerad!« antwortete Maans Franzmann und kletterte in das Dreieck hinein. »Der Feind ist hinter uns drein!«

»Ich habe schon lange Pferdegetrampel zu hören geglaubt,« sagte Oxehufvud leise.

»Am ratsamsten wäre es vielleicht, nach dem Haus hinunterzulaufen und es zu besetzen.«

»Hauptmann, befehlen Sie mir nicht, den Weg zu zeigen! Ich wurde dort als Gast empfangen, ich bin Rittersmann und lasse mich lieber erschießen.«

»Und wie wurden Sie dort behandelt?«

»Wie eine Exzellenz.«

»Wir wollen sehen ... Jetzt wird es zu spät sein. Legt an! Feuer!«

Ein Schwarm Polacken galoppierte heran und hieb mit den Piken über die Stämme, aber die erste Salve warf sie aus dem Sattel.

»Ohaho! Ohaho!« hallte es durch den Wald, und reitende Schatten und lange Reihen von Fußvolk sammelten sich, so weit das Auge sehen konnte. In der Dämmerung glichen sie dunkelm Gebüsch, das sich im Winde bewegt.

»Ich glaube, wir bekommen eine schöne Partie mit dem Feind,« sagte Oxehufvud.

»Wir sind fünfundzwanzig, und rings um uns stehen drei Bataillone.«

»Jetzt sind wir nur vierundzwanzig,« antwortete Maans Franzmann und riß die Muskete aus der Hand eines erschossenen Kameraden.

»Jetzt sind wir nur neunzehn,« sagte Oxehuvfud nach einer Weile.

Die Kugeln regneten über das Dreieck und töteten Mann für Mann. Sobald die Reiter zurückwichen, hörten die Schweden zu schießen auf, aber wenn die Ruhe die Polacken wieder hervorlockte und sie glauben machte, daß kein Lebender mehr sich hinter dem Verhau befinde, wurden sie gleich mit Kugeln und Degen und Steinen und Baumzweigen empfangen. So dauerte der rasende Kampf Stunde für Stunde, Oxehufvud schlich den Baumstämmen entlang und zählte halblaut:

»Acht, zehn, dreizehn ... Nur noch so viel. Eine schlechte Zahl.«

Er hatte auch eine Muskete ergriffen, und auf den Knieen raffte er die Munition aus der Patrontasche eines Gefallenen.

»Kamerad!« sagte er, ohne sich zu erheben, und zog Maans Franzmann am Schlafrock.

»Ich hab' Euch schlecht behandelt heute mittag da im Sumpf.«

»Jetzt sind wir bloß sieben,« antwortete Maans Franzmann, lud und schoß.

»Aber bald haben wir drei Stunden ausgehalten.«

»Der Kamerad ist nicht der erste, der mir zeigt, daß die Schweden sich nicht über ihre Stutzer lustig machen sollen. Sieht Er, Kamerad, es geschieht hier in der Welt manchmal, daß das, was mit einer Perücke anfängt, mit einer schönen Tat endet.«

»Jetzt sind wir nur zwei.«

»Kaum zwei, denn ich habe schon mein Teil erhalten,« antwortete Oxehufvud und sank gegen die Baumstämme zurück. »Kaum zwei.«

Maans Franzmann stand nun allein unter den Toten. Er riß seinen Schlafrock ab und wickelte einige Lumpen um seinen linken Arm, der heftig blutete. Auch die Weste warf er weg, und die Lorgnette steckte er in den Stiefelschaft. Dann legte er sich zu den andern nieder und kroch so tief unter die Zweige und das Reisig, als er nur konnte.

Als die Polacken das nächste Mal vorsprengten, blieb alles ruhig. Sie flogen über die Stämme, mit einem wilden Geschrei, und die Plünderung begann, aber als sie ihn blutig und halb ausgezogen daliegen sahen, ließen sie ihn gehen, und beim Morgengrauen zogen sie fort.

Jetzt, dachte Maans Franzmann, jetzt habe ich meine Offiziersvollmacht. Das Diplom kommt nachher.

Er kroch zwischen den Stämmen hervor, und oben am Haus fand er im Schnee die Perücken, die ihm aus dem Fenster nachgeworfen worden waren.

»Der Verfluchte!« flüsterte er. »Das ist der Dank dafür, daß ich sein Haus rettete.«

Den ganzen Tag ging er durch die Wälder, die Perücken unter dem Arm, und erst spät am Abend wurde er von den Vorposten des schwedischen Lagers angerufen.

Die Zelte und die Reisighütten waren im Wald ohne alle schützenden Verschanzungen errichtet. Auf den Wagen oder vor ihren Hütten saßen die Frauen an einer besonderen Straße und wiegten ihre Kinder auf dem Schoß oder flüsterten sacht und still mit ihren Soldaten. Rings um die Feuer qualmten die Tonpfeifen in narbigen Händen. Da erzählten Kornett Braakenhjelm und der unerschrockene Leutnant Pistol ihre Abenteuer. Leutnant Örbom ließ Klissow mit den Fingern die Kugel fühlen, die noch hinter dem rechten Ohr stak, nachdem sie unter dem linken Auge herein und quer durch den Kopf gegangen war.

Per Adlerfelt, der Tanzmeister, klagte, daß die Feinde immer wie an der Düna zu tief zielten, so daß doch noch schließlich seine schönen Beine lädiert werden würden. Dort scherzte der geistreiche Dumky, der noch um den Arm das Strumpfband trug, das er als Page einer schlesischen Herzogin geraubt hatte. Svante Horn, der von seinem getreuen Diener Lidbom verbunden wurde, murmelte, daß er niemals dreinhauen könne, ohne eine Kosakenpike oder einen Degen in den Leib zu kriegen, und vor ihm stand der gemütliche, grauhaarige Feldscher Teuffenweiser, der immerfort die Brille aufsetzte und abnahm und immer einen Reiseschnaps verlangte, ehe er reichere Kunden behandelte. Alle sprachen vom Los des Krieges, das dem einen vergönnte, unter Mühen und Ehren zu altern, ohne von einem Streifschuß geritzt zu werden, aber den andern im Frühling seiner Tage von der ersten Kugel fallen ließ. Keine Trinklieder erschollen, aber der König ließ die Pauke schlagen und die Hoboe lustig ertönen. Es war ein Feldlager, dessen stilles Geräusch dem Rieseln eines klaren Waldbaches unter junitauigem Laube glich.

Die Trabanten hatten gegen den Willen des Königs sein Zelt mit Stroh umwickelt und Torf darauf gelegt, so daß es einem Kohlenmeiler glich. Es stand nicht in der Mitte des Lagers, sondern zu äußerst und fast im Dunkeln. Drinnen an der Zeltstange hatten sie einen Herd aus Steinen gebaut und trugen von Zeit zu Zeit eine glühheiße Kanonenkugel hin. Das Waschbecken war aus lauterm Silber, und auf dem Tisch stand neben der Lebensbeschreibung des Alexander Magnus und der goldbeschlagenen Bibel ein kleines versilbertes Ebenbild des Hundes Pompe, der gestorben war, aber der hellblaue Seidenstoff auf Stuhl und Feldbett war schon vertragen und befleckt. Mitten auf dem Bett lagen die Hunde Türk und Snushane, der König aber lag im Tannenreisig auf dem Boden. Das Dünnbier war zu Ende, und der Lakai Hultman hatte ihm nichts andere zum Abendessen vorzusetzen gehabt als einen Becher geschmolzenen Schnees und zwei auf Stahl gebackene Zwiebacke. Sodann hatte er den Mantel über ihn gebreitet und ihm die gestickte Nachtmütze aufgesetzt. Da schlief nun auf der Mittagshöhe seiner Siege der Schwedenkönig, und sein Kopf lag dem erlöschenden Schein der letzten, glühenden Kugel zugewendet. Es war schon lange her, seit er das Abendgebet gelesen hatte, das er früher in seiner Kammer herzustammeln pflegte, während der Wind in den Linden des Karlbergparkes brauste. Sein Gott hatte sich allmählich zu dem Donnergott des alten Testamentes, zu dem rächenden Herrn Zebaoth verdunkelt, dessen Befehle er in seiner Seele vernahm, ohne darum beten zu müssen, und es waren Tor und die Asen, die im Donner des Nachtsturmes um das Lager fuhren und mit ihren Hörnern ihren Letztgeborenen auf Erden grüßten.

Da fingen die Hunde zu schnüffeln und zu knurren an, und der halberwachsene Max von Württemberg, »der Kleine Prinz«, kam überglücklich und strahlend an die Zeltöffnung.

»Majestät,« rief er mit klingender Knabenstimme, »wacht auf! Fünfundzwanzig Smaaland-Leute sind draußen gewesen und haben mit dem Feinde gespielt.« Hinter ihm stand Maans Franzmann, von dem tapferen Hauptmann Schmiedeberg gestützt, der selbst noch an der Krücke ging seit einem Gefecht beim Train, wo er mit zwölf Leuten gegen etwa dreihundert Polacken gekämpft hatte.

Maans Franzmann hatte niemals seinen Kopf so stolz und so vergnügt getragen, obwohl er vor Müdigkeit taumelte, aber als er hörte, daß er vor dem Zelt des Königs stand, machte er plötzlich ganz ängstlich Halt. Er verbeugte sich und wusch eilig die Blutflecken von seinen Händen weg. Den Hut und die Zwischenperücke und die kleine Perücke warf er auf den Boden, und ohne das Reglement zu bedenken, setzte er die große Allongeperücke auf. Als er in Ordnung war, streckte er die Arme und trat durch die Zeltöffnung ein und erzählte, stammelnd und mit den Zähnen klappernd.

Der König, der auf den Tannenzweigen sitzen blieb, wiederholte selbst langsam und prüfend jedes Wort, damit ihm auch kein allerkleinster Teil des Abenteuers verloren gehe. Er freute sich wie ein Kind an einem wunderlichen Märchen. Endlich reichte er ihm die Hand.

»Oxehufvud sprach wahr,« sagte er. »Die Herren haben eine schöne Partie mit dem Feinde gehabt. Da der polnische Sonderling spottend bat, fünf Louisdors borgen zu dürfen, will ich zehn geben, und der Herr soll zurückgehen und sie ihm durchs Fenster hineinwerfen.«

Maans Franzmann trat rückwärts durch die Zeltwand zurück, und Schmiedeberg legte seinen Arm um ihn und führte ihn in den Ring neugierig wartender Kameraden. Es waren Fähnriche, Leutnants und Hauptleute, gleichaltrig mit ihm, aber im Rang schon höher gestiegen.

»Maans Franzmann!« murmelten sie. »Jetzt wagt keiner mehr über deine Lorgnette und deine Perücken zu lachen. Wie ging es mit der Vollmacht und dem Diplom? Das Diplom!«

»Still, still!« sagte Schmiedeberg. »Belohnungen sind für Taugenichtse. Dürfte die Königliche Majestät walten, dann gäbe sie keine Belohnungen, sondern wünschte, daß jeder für die Ehre allein fechte und falle.«

Keiner wagte Schmiedeberg zu entgegnen, und er ließ den Arm des neugewonnenen Schützlings fallen und hinkte auf seiner Krücke dem Feuer ein paar Schritte näher.

»Saht ihr nicht?« flüsterte er, »saht ihr nicht, daß die Königliche Majestät ihm die Hand reichte, fast wie Seinesgleichen?«

»Dann habe ich mein Diplom für Zeit und Ewigkeit,« sagte Maans Franzmann.

In seiner buschigen Allongeperücke und dem zerrissenen Hemd stand er immer noch kerzengerade, die Arme längs den Seiten, und er stammelte mit der Zunge und klapperte mir den Zähnen.

»Und deinen Freiherrnbrief,« antwortete Schmiedeberg leise, »bekommst du, wenn du fällst.«


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