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Am Ratstisch

Im Vorgemach der Ratskammer stand schon der Sekretär Schmedeman mit dem Schreiben an die Landeshauptleute, das jetzt unterzeichnet werden sollte, und in dem neue Steuern von dem verarmten Schweden gefordert wurden.

Die Herren begannen sich zu versammeln, und der alte Fröhlich, der mit übereinandergelegten Händen in einer Ecke neben dem kranken Falkenberg stöhnte und schnarchte, wachte plötzlich auf.

»Wir müssen dem König die ganze Bank mit Geld und Patenten übergeben,« sagte er, ohne die roten Augenlider zu heben.

Da stürzte Arvid Horn mit einer solchen Heftigkeit vor, daß sein Stuhl nach hinten auf den Boden fiel, und rief mit zur Decke erhobenen Armen:

»Halte Er sich zu Seinen himmlischen Offenbarungen und Seinen Gebetstunden mit Schwester Eva Greta, und mache Er uns nicht zu Dieben aus lauter Fürsorge für die königliche Majestät!«

»Satan, Satan!« antwortete Falkenberg und klopfte mit seinen farblosen Fingern auf die Stuhllehne. »Hier wird geklatscht und angeklagt vom Morgen bis zum Abend. Kein Schwede achtet mehr die Ehre des anderen, aber keiner wagt ein rechtschaffenes Wort gegen den, der allein die ganze Schuld trägt. Ja, setze dich nicht wieder hin, Horn, denn am allermeisten ärgert man sich über deine Mälarjacht und behauptet, daß du mit dem Pulverrauch deiner Salutkanonen denselben galanten Lieblingsplatz bei der Prinzessin Ulrika Eleonora erobern willst, wie ihn der Creutz bei der hochseligen Prinzessin Hedwig Sofia inne hatte ... Ja, ja, ja, sprechen wir nicht mehr von der Person des Königs... Lies statt dessen seinen Brief! Tu das! Gibt es da eine einzige Zeile, die des Führers eines unglücklichen Volkes würdig ist?«

»Ba! Sprich auch nicht von den Briefen!« antwortete Horn und stellte den Stuhl wieder auf seinen Platz und setzte sich. »Geschwätz für Frauenzimmer, Ausreden und gleichgültiges Zeug! Verlange nicht, daß ein Mensch, der in einem Gespräch sich nie bloßstellt, sich in sein Zelt setzen und sein Inneres auf ein Stück Papier ausschütten soll! Aber wohl muß ich gestehen, daß einmal doch Rechenschaft auf diesen Jammer folgen wird.«

»Einmal, sagst du!« fuhr der kranke Falkenberg fort und stützte sich auf seine zitternden Arme und erhob sich. »Einmal! Sind denn die Schweden Kriecher und Heuchler geworden? Weder Christian der Tyrann noch Erik der Vierzehnte haben uns so viel Böses getan wie er, und deshalb gehört er dem Teufel an. Seitdem unsere Männer auf dem Schlachtfeld gefallen sind, leben nur noch die alten Weiberseelen, und die sind es, die jetzt anfangen das schwedische Volk fortzupflanzen.«

Ehrwürdig stand Fabian Wrede zwischen den Redenden, und seine Stimme wurde wunderlich weich und ruhig.

»Die Sitzung beginnt,« sagte er und zeigte auf die offenen Türen. »Ich bin kein Kriecher. Ich war nicht unter denen, die sich um den jungen Herrn drängten, um ihn mündig zu sprechen, und ich bin in Ungnade. Das Vaterland bedeutet für mich alles ... Vater und Mutter, Heim, Erinnerungen, alles, alles! Ich weiß, daß mein Vaterland jetzt verblutet. Ich weiß auch, daß die Rechenschaft dereinst folgt. Aber jetzt ist nicht die Stunde, darauf Gedanken zu verschwenden. Wenn Gott die Dornenkrone aufsetzt, ist nicht der Mann der größte, der sie bequem zur Seite schiebt, sondern der sie sich fester und fester aufdrückt und dabei sagt: Vater, hier stehe ich, um dir zu dienen! – Und ich sage euch: niemals, niemals unter den Siegesfahnen verflossener Jahre ist unser kleines Volk unvergänglicher Größe näher getreten als heute.«

Horn ging nach dem Ratssaal, wendete sich aber unterwegs mit gesenkter Stimme an Falkenberg:

»Meine Mutter hatte mehr Söhne als mich. Sie haben ihre Kugel bekommen. Sollte ich schlechter sein als sie? Du sprichst von dem König ...wenn ein einziger ein Volk zu so viel Opfern locken kann, – muß der Mann nicht mehr wert sein als alle anderen Männer?«

Wrede nahm Falkenberg leise um die Schulter und fügte ebenso lautlos hinzu:

»Und dem Volk, das so viel erduldet... willst du dem Volk verwehren, sich die Krone des Martyriums aufzudrücken?!«

Die Herren traten in den Saal, aber auf seinen Stock gestützt, fuhr Falkenberg fort, im Vorgemach hin und her zu wandern. Als er sich schließlich an den Ratstisch setzte, hatte der Sekretär schon das lange Schreiben laut verlesen, und die Unterschriften wurden verlangt.

Keiner bat um das Wort. Falkenberg saß zusammengesunken in seinem Lehnsessel. Seine Augen waren feucht und trübe. Des Altervorrechtes uneingedenk, streckte er tastend seine Hand nach allen Seiten und flüsterte:

»Die Feder! Die Feder!«


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