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Das Hochsommerspiel

Im Hag standen die kleinen Mädchen mit einem Sieb, und daneben saß auf einem moosigen Stein, faul und halbschlafend, ihr Bruder, Axel Friedrich, der heute zwanzig Jahre wurde. Seine Verlobte, die schüchterne kleine Ulrike, die zu Besuch auf den Hof gekommen war, bog den Wacholderbusch über das Sieb und hackte mit der Sichel. Die kleinen Mädchen streckten die Hände vor, um die Zweige zu halten und dabei zu helfen, und schmelzender Schnee tropfte von Birken und Erlengebüsch.

»Ach, ach! Selbst der Großvater ist bei diesem göttlichen Wetter herausgekommen«, sagte Ulrike und zeigte nach dem großen Hause hinunter.

Da begannen die kleinen Mädchen zu rufen und zu hüpfen und nahmen das Sieb zwischen sich und zogen nach dem großen Haus hinunter, wobei sie das Sieb im Takt schwenkten und trällerten:

Des Lenzes Vögel singen so schön.
Komm, Ziegenmagd, komm!
Heut abend gibt's Tanz und frohes Getön.

Auf der anderen Seite des Zauns, wo die Tannen anfingen, fuhr der Hofknecht Elias mit dem letzten Fuder Holz aus den Wäldern herunter. Das Wasser spritzte unter den Holzpantoffeln, und die beiden roten Ochsen »Silberhorn« und »Großbauer« hatten zum Schutz gegen die Hexen Ebereschenzweige am Joch. Elias fing auch an einzustimmen:

des Lenzes Vögel singen so froh.
Kommt, Ziegen nur, kommt!
Heut abend ersprießt es von Blumen im Stroh.

Dann aber schwieg er und lehnte sich über den Zaun und sagte zu Axel Friedrich:

»Schlecht riecht das Pulver, wenn man schießt, und der Ruß aus dem Schornstein fällt nach unten, drum, denke ich, wird das Tauwetter andauern.« Die Veranda des Hauses war mit einem beschneiten Rasendach überbaut, auf dem im Sommer eine Ziege zwischen Dachzwiebeln und Pechnelken zu weiden pflegte. Darunter auf der Bank saß der Großvater in seinem grauen Leibrock mit den zinnernen Knöpfen, und Ulrike führte zur Begrüßung die kleinen Mädchen herbei. Sie trugen Röcke, die mit Reihstichen genäht und zu Hause in Preißelbeersaft gefärbt waren, und wenn die Kleinen knixten, gab es jedesmal violette Flecken auf den nassen Treppenstufen.

Der Großvater streichelte Ulrike mit der Außenfläche der Hand die Wange.

»Du kannst gewiß noch groß werden, Kleine, und Axel Friedrich eine Hilfe sein.«

»Wenn ich nur dessen sicher wäre, Großvater! Hier ist so großes und so vieles zu besorgen, an das ich nicht gewöhnt bin.«

»Oh ja, und es tut mir um den armen Axel Friedrich leid, der so früh Vater und Mutter verloren und niemand anders als die Tanten und seinen alten Großvater gehabt hat. Aber wir haben ja auf alle erdenkliche Weise für ihn gesorgt, und du mußt es lernen, Kleine, an unsere Stelle zu treten. Das Schwerste ist es mit seiner gebrechlichen Gesundheit, der liebe Junge. Ach, liebe Kinder! Gott sei gedankt für diesen Frühlingstag und für die gesegneten Jahre des Friedens!«

Der Großvater befühlte den gehackten Wacholder und lobte, daß er gut feucht sei, so daß er viel Staub einsaugen könne.

Hinter ihm am Küchenfenster standen die zwei Tanten und brauten für eine kranke Färse einen Sud aus Bibergeil und Lorbeeren. Beide hatten einfache, schwarze Kleider und eisgraues, glatt gekämmtes Haar.

»Warum ist Axel Friedrich nicht bei euch?« fragten sie Ulrike. »Denke daran, daß er zum Abendbrot seine Lieblingsspeise, Honiggrütze mit Sirupwasser, erhält und danach Speck mit Johanniszwiebeln.«

»Ja, ja,« sagte der Großvater, »und daß die Leute heute einen freien Abend haben!«

Ulrike eilte nach der Mädchenkammer, wo die Mädchen Werg zupften.

Sie war kaum einige Schritte gegangen, als ihr verzagtes, unentwickeltes kleines Gesicht wieder einen ängstlichen, aufhorchenden Ausdruck annahm.

»Aber Ulrike!« rief der Großvater. »Ich verstehe das gar nicht. Ulrike, komm hierher, Ulrike!«

Sie hängte den soeben ergriffenen Schlüsselbund wieder an den Türpfosten und trat heraus.

»Ist es nicht ein Reiter, der da kommt?« fragte der Großvater.

»Drei Monate bin ich nun mit Briefen verschont geblieben. Mir wird so angst, wenn ich einen Brief erhalte. Sieh nur, sieh nur! wie er in der Tasche herumgräbt!«

Der Reiter hielt einen Augenblick vor der Treppe an und übergab ein zusammengefaltetes, versiegeltes Papier.

Die Tanten drängten sich mit den Ellbogen zu beiden Seiten des Großvaters und reichten ihm die Brille, und seine Hände zitterten, daß er kaum das Siegel aufbrechen konnte. Sie wollten alle auf einmal das Geschriebene lesen, und Ulrike vergaß sich so weit, daß sie sich über Großvaters Arm lehnte und mit den Fingern auf die Zeilen zeigte und den anderen laut vorbuchstabierte.

Schließlich schlug sie die Hände zusammen und stierte in die leere Luft, und die Tränen kamen ihr in die Augen.

»Axel Friedrich, Axel Friedrich!« rief sie und lief über den Hof nach dem Hag zu. – »Um Gottes willen!«

»Zum Kuckuck, was habt ihr jetzt!« antwortete Axel Friedrich und warf das verschrumpfte Engelsüß, an dem er gekaut hatte, von sich. Er hatte ein zartes und volles Gesicht und eine gutmütige, gleichgültige Stimme.

Sie blieb nicht stehen, ehe sie seine Hand hatte.

»Axel Friedrich, du weißt nicht! Es ist Befehl gekommen, daß das Regiment sich bereit halten soll, um zur Fahne gerufen zu werden. Es ist wegen des Einfalls der Dänen in Holstein.«

Er begleitete sie zum großen Haus zurück, und sie drückte krampfhaft sein Handgelenk.

»Liebe Kinder,« stammelte der Großvater. »Daß ich so eine Prüfung erleben mußte. Der Krieg steht vor der Tür.«

Axel Friedrich stand da und grübelte. Endlich blickte er auf und antwortete:

»Ich will nicht mitgehen!«

Der Großvater ging auf der Veranda auf und ab, und rings um ihn liefen die Tanten hin und her.

»Du bist schon eingeschrieben, liebes Kind. Das einzige wäre vielleicht, wenn man irgend jemand anderes werben könnte.«

»Das kann man ja,« antwortete Axel Friedrich gleichgültig. Er ging ins Haus hinein, und Ulrike lief die Treppe zum Boden hinauf, die Schürze vor den Augen, und warf sich aufs Bett.

Am Abend, als der Honigbrei gegessen war und alle rings um den Tisch saßen, wollte der Großvater wie gewöhnlich hundert Maschen am Fischnetz knüpfen, aber er zitterte zu sehr.

»Es ist schlimm hergegangen da oben in Stockholm,« sagte er. »Ballette, Maskeraden, teppichbelegte Straßen, Komödianten und Kunstgesindel aller Art, das ist das Alltagsessen bei unsrem neuen König gewesen.

Wohl habe ich davon gehört. Als das Geld zu Ende ging, begann er die Kronjuwelen wegzuschenken. Jetzt kann der gnädige Herr was Neues lernen.«

Axel Friedrich hatte seinen Teller zurückgeschoben und saß nun nachlässig vorgebeugt mit den Ellbogen auf dem Tisch, während die Tanten und die verweinte Ulrike abdeckten. Der Großvater nickte mit dem Kopf, hustete und fuhr fort zu reden:

»Während aller dieser Friedensjahre hat es sich bei uns nur um Habsucht und Prellerei gedreht, und die schlechtesten Kerle haben sich mit den Ellbogen zuvorderst an den Thron gedrängt. Jetzt wird es diesen Mastochsen schlimm ergehen, fürchte ich. Haha! Ihr hättet nur damals sehen sollen, als Großvater jung war und zu der Adelsfahne gerufen wurde. Die Leibstandarte, in der königlichen Rüstkammer verwahrt, wurde aufgerollt, und das Paukenpferd, das beim Obersten im Stall stand, wurde mit seiner langen Schabracke, mit Kronen an den Ecken, gezäumt, und so versammelten wir uns in unsren eng ansitzenden galonierten Röcken, während die Trompeten zu blasen begannen.«

Der Großvater nahm das Garn und versuchte zu knüpfen, warf es aber wieder hin und stand auf.

»Du hättest nur sehen sollen, Axel Friedrich! Noch im Mondlicht, als wir auf dem gefrorenen Boden aufgestellt waren und vor dem Abmarsch den Psalm sangen, erkannte ich die rot und weißen Uniformen der Nerkinger, die wie gestreifte Tulpen aussahen, und die gelben Kronoberger und die grauen Jungen von Kalmar und das lustige blaue Dal-Regiment und die Westgoten, die gelb und schwarz waren. Es war schön anzusehen, aber still wie im Haus des Herrn. Na, es sind andere Männer und andere Röcke gekommen. Jetzt soll alles so streng und einfach sein.«

Es entstand ein kurze« Schweigen. Dann sagte Axel Friedrich für sich selbst: »Wären mein Zeug und meine Kleider in guter Ordnung, könnte es vielleicht lustige Tage in einem Feldlager geben.«

Der Großvater schüttelte den Kopf.

»Du bist mit deiner Gesundheit zu schwach, Axel Friedrich, und es werden harte Märsche werden durch das ganze Reich hin bis hinunter zum Dänen.«

»Ja, gehen will ich nicht, aber ich könnte ja Elias und den braunen Leiterwagen mitbekommen.«

»Das würdest du so wie so bekommen, aber du hast kein Sackleinenzelt mit Stangen und Reifen und Pflöcken und was noch alles dazu gehört.« »Das könnte ja Elias mir unterwegs einkaufen. Die Uniform ist ja so ziemlich anständig.«

»Laß sehen, laß sehen!« Der Großvater wurde eifrig und hinkte durchs Zimmer hin und öffnete den Kleiderschrank. »Ulrike, komm her, Ulrike, und lies, wie es in den Verordnungen der Königlichen Majestät (er verbeugt sich) steht, die auf dem Tisch liegen. Hier haben wir den Mantel mit den Messingschnallen, mit glattem schwedischen Boy gefüttert. Das ist richtig. Und die Weste ist auch da. Lies jetzt vom Rock.«

Ulrike putzte die Talgkerzen und setzte sich an den Tisch, mit den Händen an der Stirn, und las Silbe für Silbe, eintönig und mit lauter Stimme:

»Der Rock aus blauem ungepreßtem Tuch, der Kragen rot, das Futter aus krapprotem Boy, zwölf Messingknöpfe vorn, vier über und drei unter den Taschenklappen und ein Knopf an jeder Seite, drei kleine an jedem Ärmel.«

»Acht ... zwölf ... richtig. Jetzt kommen die Hosen.«

»Hosen aus gutem Ziegen- oder Renntierleder mit drei Knöpfen mit sämischgarem Leder überzogen.«

»Die sind aber arg durchgeritten. Da wirds im Gesäß bald Augen geben. Aber Elias könnte ja versuchen, ihm unterwegs ein neues Paar zu beschaffen. Jetzt aber Hut und Handschuhe. Wo sind Hut und Handschuhe?«

»Sie liegen in der Truhe auf dem Boden,« sagte Axel Friedrich.

Ulrike las:

»Handschuhe mit großen Stulpen aus gelbem, sämischgarem, aber doch festem und hartem Ochsenleder und die Handfläche aus Bock- oder Ziegenleder. Schuhe aus gutem schwedischen Wachsleder mit Spannriemen aus einem Stück. Die Sohle aus einer Bind- und einer Zwischensohle. Schuhschnallen aus Messing.«

»Die Schuhe und Wachslederstiefel stehen hier und sind ganz gut. Du kannst meine Sporen bekommen. Du sollst ein stattlicher schwedischer Soldat werden, mein lieber Junge.«

»Halstuch, eines von schwarzem schwedischem Wollenkrepp, eine halbe Elle lang und gute neun Zoll breit, mit Parduansbändern von einer halben Elle Länge an jedem Ende, und zwei weiße.«

»Das kann Elias dir in Örebro kaufen.«

»Pistolen, zwei Paar. Pistolentaschen aus schwarzem Leder mit Klappen aus genopptem Boy.«

»Du darfst die meinen nehmen. Und mein Haudegen ist in ganz anständigem Zustand, mit einer kalbsledernen Scheide und einem Gehäng aus Elchtierleder. So soll ein schwedischer Kriegsmann aussehen! Wir müssen jetzt auch daran denken, Elias auszustaffieren und den Mundvorrat und alles herzurichten.«

Axel Friedrich streckte sich.

»Es ist wohl am besten, wenn ich hinaufgehe und mich hinlege und mich vor der Hand ordentlich ausruhe.«

Das wurde jetzt ein Lärmen und ein Laufen in dem großen Haus. Alle Tage wurde genagelt und geklopft, in und auf dem Herd flammte und brodelte es, und nachts brannte das Licht. Die einzige Kammer, die dunkel blieb, war die Axel Friedrichs.

Die letzte Nacht ging nur Axel Friedrich zur Ruhe, und als es so hell geworden war, daß alle Lichter ausgemacht werden konnte, weckten ihn die Tanten und brachten ihm etwas Warmes zu trinken und starke Tropfen, denn sie hatten gehört, wie er in der Nacht hustete.

Als er nun in den Saal herunterkam, waren die anderen dort schon versammelt, auch die Mägde und Knechte, und es war für alle gedeckt. Sie aßen, ohne ein einziges Wort zu reden, als aber die Mahlzeit beendet war und sie sich erhoben, wurde dem Großvater die Bibel gebracht, und Ulrike las mit erstickter Stimme. Als sie schloß, faltete der Großvater die Hände und sprach mit geschlossenen Augen.

»Wie es meine Vorfahren vor mir getan haben, so will auch ich jetzt in der Stunde des Abschieds die Hände auf dich legen, Sohn meiner Tochter, und dich segnen, denn meiner Jahre sind viele, und wer weiß, wann das Stundenglas abgelaufen ist. Gott, den Höchsten, rufe ich aus meiner niedrigen Hütte an, daß er dich zur Ehre führen möge, und daß die schweren Prüfungen, die bevorstehen, unser kleines Volk größer und herrlicher machen mögen.«

An dem Tischende stand Axel Friedrich und drehte und wippte an dem Teller, und von draußen hörte man das Gerassel, als der braune Leiterwagen vorfuhr. Alle traten jetzt hinaus, und Axel Friedrich, in Großvaters Wolfspelz eingehüllt, setzte sich ganz erhitzt zu Elias, denn es tropfte in dem Frühlingswetter von Dächern und Bäumen.

»Hier steht die Butter,« sagten die Tanten, »und hierher Brotsack. Elias, hör einmal! In der Schublade unter dem Sitz ist der Käskuchen und die Flasche mit den starken Tropfen. Sollten nun die Mühe und die Gefahr zu groß werden, lieber Axel Friedrich, so vergiß nie, daß der Weg nach Hause kurz ist.«

Der Großvater drängte sich dazwischen und steckte die Hand hinten in den Wagen.

»Ist die Kiste richtig festgebunden? Laß mal sehen! Hier ist die Bürste, das Wischtuch und der Striegel ... und hier der Futtersack und die Trinkflasche. Alles, wie es sein soll. Die Kugelschere und der Schmelzlöffel liegen in der Kiste.«

Ulrike stand hinter ihnen, ohne daß jemand sie beachtete, und sagte leise:

»Axel Friedrich, wenn es wieder Sommer wird, werde ich eines Abends hingehen und Freudfaden und Leidfaden auf den Roggen binden und sehen, welcher bis zum Morgen am höchsten gewachsen ist ...«

»Jetzt ist alles in Ordnung!« unterbrach der Großvater, der sie nicht gehört hatte, »und Gott sei mit dir und Elias!«

Rings umher standen die Leute und die Tagelöhner zu beiden Seiten des Weges. Aber gerade als Elias die Peitsche erhob, legte Axel Friedrich die Hand über die Zügel.

»Diese Reise endet vielleicht schlecht!« sagte er.

»Schlecht würde es wohl doch aussehen,« antwortete Elias, »jetzt auszuspannen und abzusatteln.«

Axel Friedrich steckte die Hand in den Pelzärmel zurück, und zwischen den Reihen stillschweigender Menschen rollte der Wagen fort.

 

Die Wochen vergingen, und die Bäume schlugen aus. Es wurde eine langsame Fahrt mit Nerikes Regiment durch die Wildnisse Schwedens, und Axel Friedrich saß in seinem Pelz und schlief neben Elias mit heißer Stirne und mit bauschigen Handschuhen aus Ziegenhaaren. Ein Stück von Landskrona entfernt, war der braune Leiterwagen hinter dem Troß des Regiments zurückgeblieben, und das Pferd stand in der Sonne und weidete an der Wegkante. Herr und Knecht schliefen Schulter an Schulter.

Das Pferd schlug nach einer Bremse, und das Wasser rieselte im Graben, und ein paar Landstreicher riefen den Schlafenden ihre Schimpfworte zu, sie verblieben aber in derselben unbekümmerten Ruhe.

Da kam hinter ihnen im Galopp ein einfach gekleideter Reiter mit einer großen flachsgelben Perücke daher und hielt seinen Fuchs dicht am Wagen an. Elias stieß Axel Friedrich in die Seite und zog die Zügel an, Axel Friedrich aber wollte die Augen nicht aufmachen, sondern sagte nur:

»Ja, fahr du weiter, Elias! Ich muß mich für die Strapazen ausruhen.«

Elias stieß ihn wieder in die Seite.

»Auf, auf!« flüsterte er.

Schläfrig öffnete Axel Friedrich sein eines Auge, aber im gleichen Augenblick wurde er blutrot über das ganze Gesicht und stand mitten im Wagen stramm. Nach Bildern erkannte er gleich, daß es der achtzehnjährige König selber war. Und doch: welche Veränderung! War dieser schnell aufgewachsene und majestätisch sich beherrschende Jüngling derselbe, der noch vor einigen Monaten Kälber enthauptete und Fensterscheiben einschlug? Er war nicht über Mittelgröße, und das Gesicht war klein, die Stirn aber hoch und edel, und aus den großen, tiefblauen Augen strahlte ein bezaubernder Sonnenglanz.

»Der Herr soll den Pelz abwerfen, daß ich seine Uniform mustern kann,« sagte er gemessen. »Der Boden ist ja schon lange grün.«

Axel Friedrich pustete und arbeitete, um Großvaters verdammten Pelz auszukriegen, und der König musterte den Rock und die Knöpfe, fingerte daran herum, riß daran und zählte.

»Es geht,« sagte er mit altkluger, ernster Miene. »Und jetzt sollen wir alle neue Menschen werden.«

Axel Friedrich stand schlaftrunken und gerade und stierte auf das Wagenrad. Da fügte der König langsam hinzu:

»In einigen Tagen haben wir vielleicht das Glück, vor dem Feind zu stehen. Es ist mir gesagt worden, daß nichts in einer Bataille so schwer sein soll wie der Durst. Falls der Herr mir einmal im Streitgetümmel begegnen sollte, so trete er vor und leihe mir seine Wasserflasche!«

Der König gab wieder seinem Pferde die Sporen, und Axel Friedrich setzte sich. Er hatte niemals weder geliebt noch gehaßt, niemals sich beängstigen oder begeistern lassen, und er grübelte über die Worte des Königs.

Der Pelz blieb zwischen ihm und Elias liegen, und als der Leiterwagen in der Dämmerung rasselnd in Landskrona einzog, hatte das Regiment schon seine Zelte aufgeschlagen. Axel Friedrich sah sich nach den gedeckten Zechtischen um, von denen er geträumt hatte. Statt dessen fand er nur wortkarge Kameraden, die einander die Hände drückten und gruppenweise beisammen standen, über den Sund hinausschauten, wo sich die Wellen unter dem wolkigen Sommerhimmel türmten und Flaggen und Wimpel von dem Mastenwald der schwedischen Flotte wehten. Am nächsten Morgen stellte Elias das Pferd und den Leiterwagen in einen Schuppen ein, denn die Krone hatte schon über alle Fahrzeuge verfügt, und erst vierundzwanzig Stunden nach dem Absegeln der Flotte sollte er in einem Fischerkahn nachfolgen. Er stand am Ufer und beinahe im Wasser, als mit rasselnden Ketten die ungeheueren Anker gelichtet wurden, triefend von Schlamm. Mast nach Mast hißte seine blähenden Segel, und der Sonnenschein blitzte in den Laternen und Glasfenstern der Hinterdecke. Die Wellen tanzten und spiegelten in flammenden Ringen die hoch schwebenden Gallionsbilder, die mit Lorbeerzweigen und Dreizacken über die See hinweg zeigten, nach unbekannten Wunderländern, nach Abenteuern und Heldentaten. Die Wolkenmassen waren gesunken und ruhten weit draußen im Meer auf den Wellen, und die Luft war blau wie in einem Märchen.

Da vergaß sich der König, und das Kind siegte in seiner Seele, so daß er anfing in die Hände zu klatschen. Er stand auf einem Achterdeck dicht vor der Laterne, und die grauhaarigen Kriegsleute rings um ihn, aus der Zeit seines Vaters, lächelten und fingen auch zu klatschen an. Selbst Exzellenz Piper sprang die Decktreppe herauf, gewandt wie ein Schiffsjunge. Es gab keine Greise und Schwächlinge, keine geizigen Zänker mehr; es war eine Heerschar von Jünglingen.

Wie auf ein heimliches Zeichen begannen im gleichen Augenblick die Trommeln und die Trompeten zu erklingen, die Degen flogen aus den Scheiden, und Admiral Anckarstiernas Worte im Sprachrohr übertönend, wurde von den neunzehn Kriegsschiffen und den hundert kleineren Fahrzeugen der Psalm angestimmt.

Elias erkannte Axel Friedrich, der auf dem Pelz des Großvaters zwischen mitgeführten Schanzkörben und Erdsäcken und spanischen Reitern eingeklemmt saß. Aber als Elias sah, daß auch er sich langsam erhob und wie die anderen den Degen zog, und als er sah, wie die Flotte allmählich auf dem Wasser verschwand, da fuhr er mit der Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. Er ging hinauf nach dem Schuppen zurück und murmelte:

»Wie soll er mit seiner gebrechlichen Gesundheit sich behelfen, bis daß ich nachkommen kann!«

 

Einige Tage nachher fuhr Elias auf den Smaalandswegen allein mit seinem Leiterwagen. Die Bauernweiber, die ihn kannten, seitdem er mit dem schlafenden Offizier vorbeigefahren war, guckten durch die Haustüren und fragten, ob es wahr sei, daß die Schweden auf Seeland gelandet wären, und daß der König auf den Knieen Gott für den Sieg gedankt, dabei aber aus Verlegenheit gestottert habe.

Er nickte bejahend, ohne zu antworten.

Einen Tag nach dem anderen fuhr er Schritt für Schritt gen Norden, und den ganzen Weg ging er mit den Zügeln neben dem Wagen her, der mit einem alten Stück Segel überdeckt war.

Als er endlich eines Abends in den Hag vor dem großen Haus kam, erkannten alle gleich an dem Gerassel, daß es der braune Leiterwagen war, und das Pferd wieherte. Bestürzt gingen sie an die Fenster, und der Großvater kam selbst heraus auf die Treppe, und Ulrike stand mitten auf dem Hof.

Elias schritt gleichmäßig langsam, Zügel in der Hand, neben dem Wagen, und an der Treppe blieb das Pferd von selber stehen.

Elias zog vorsichtig das Segel weg und enthüllte eine lange, schmale, zusammengenagelte Kiste mit einem vergilbten Kranz aus Buchenlaub auf dem Deckel.

»Ich nahm ihn mit nach Hause,« sagte Elias. »Die Kugel traf ihn in der Brust, als er herzu sprang, um Seiner Königlichen Majestät die Feldflasche zu reichen.«


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