Johann Peter Hebel
Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes
Johann Peter Hebel

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Zwei Erzählungen

Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende Kleinigkeiten ärgern und erzürnen, und wie leicht die nämlichen oft durch einen unerwarteten spasshaften Einfall wieder zur Besinnung können gebracht werden, das haben wir im alten Kalender an dem Herrn gesehen, der die Suppenschüssel aus dem Fenster warf, und an seinem witzigen Bedienten. Das nämliche lehren folgende zwei Beispiele.

Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm gekleideten Mann, der an ihm vorbeiging, um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte kein Gehör geben wollte, versprach er ihm, um einen Kreuzer zu zeigen, wie man zu Zorn und Schimpf und Händeln kommen könne. Mancher, der dies liest, wird denken, das zu lernen sei keinen Heller, noch weniger einen Kreuzer wert, weil Schimpf und Händel etwas Schlimmes und nichts Gutes sind. Aber es ist mehr wert, als man meint. Denn wenn man weiss, wie man zu dem Schlimmen kommen kann, so weiss man auch, vor was man sich zu hüten hat, wenn man davor bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch gedacht haben, denn ergab dem Knaben den Kreuzer. Allein dieser forderte jetzt den zweiten, und als er den auch erlangt hatte, den dritten und vierten und endlich den sechsten. Als er aber noch immer mit dem Kunststück nicht herausrücken wollte, ging doch die Geduld des Mannes aus. Er nannte den Knaben einen unverschämten Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch wirklich ein paar Streiche. »Ihr grober Mann, der Ihr seid«, schrie jetzt der Junge, »schon so alt und noch so unverständig! Hab' ich Euch nicht versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer dafür gegeben? Das sind ja jetzt Händel, und so kommt man dazu. Was schlagt Ihr mich denn?« So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall war, so sah er doch ein, dass der listige Knabe recht und er selber unrecht hatte. Er besänftigte sich, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren, und glaubte, die gute Lehre, die er da erhalten habe, sei wohl sechs Kreuzer wert gewesen.

In einer andern Stadt ging ein Bürger schnell und ernsthaft die Strasse hinab. Man sah ihm an, dass er etwas Wichtiges an einem Ort zu tun habe. Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei, der ein neugieriger und dabei ein gewalttätiger Mann muss gewesen sein, und der Gerichtsdiener kam hinter ihm drein. »Wo geht Ihr hin so eilig?« sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiderte ganz gelassen: »Gnädiger Herr, das weiss ich selber nicht.« – »Aber Ihr seht doch nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen wolltet. Ihr müsst etwas Wichtiges an einem Orte vorhaben.« »Das mag sein«, fuhr der Bürger fort, »aber wo ich hingehe, weiss ich wahrhaftig nicht.« Das verdross den Stadtrichter sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht, dass der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben wollte, das er nicht sagen dürfe. Kurz, er verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu hören, wo er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von der Strasse weg in das Gefängnis führen zu lassen. Das half alles nichts; und der Stadtrichter gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich den Befehl, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen. Jetzt aber sprach der verständige Mann: »Da sehen Sie nun, hochgebietender Herr, dass ich die reine, lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte ich vor einer Minute noch wissen, dass ich in den Turm gehen werde –, und weiss ich denn jetzt gewiss, ob ich drein gehe?« »Nein«, sprach jetzt der Richter, »das sollt Ihr nicht.« Die witzige Rede des Bürgers brachte ihn zur Besinnung. Er machte sich stille Vorwürfe über seine Empfindlichkeit und liess den Mann ruhig seinen Weg gehen.

Es ist doch merkwürdig, dass manchmal ein Mensch, hinter welchem man nicht viel sucht, einem andern noch eine gute Lehre geben kann, der sich für erstaunend weise und verständig hält.

 


 


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