Johann Peter Hebel
Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes
Johann Peter Hebel

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Einer oder der andere

Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekrönte Häupter sich unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie König Heinrich der Vierte in Frankreich, sei es auch nur zu einem gutmütigen Spass.

Zu König Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein vom Lande her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der Stadt gesellt sich zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, welches der König war, und sein kleines Gefolge blieb absichtlich in einiger Entfernung zurück. »Woher des Landes, guter Freund?« – »Da und da her.« – »Ihr habt wohl Geschäfte in Paris?« – »Das und das; auch möchte ich gerne unsern guten König einmal sehen, der so väterlich sein Volk liebt.« – Da lächelte der König und sagte: »Dazu kann Euch heute Gelegenheit werden.« – »Aber wenn ich nur auch wüsste, welcher es ist unter den vielen, wenn ich ihn sehe!« – Der König sagte: »Dafür ist Rat. Ihr dürft nur achtgeben, welcher den Hut allein auf dem Kopf behaltet, wenn die andern ehrerbietig ihr Haupt entblössen.« Also ritten sie miteinander in Paris hinein, und zwar das Bäuerlein hübsch auf der rechten Seite des Königs. Denn das kann nie fehlen. Was die liebe Einfalt Ungeschicktes tun kann, sei es gute Meinung oder Zufall, das tut sie. Aber ein gerader und unverkünstelter Bauersmann, was er tut und sagt, das tut und sagt er mit ganzer Seele und sieht nicht um sich, was geschieht, wenn's ihn nichts angeht. Also gab auch der unsrige dem König auf seine Fragen nach dem Landbau, nach seinen Kindern, und ob er auch alle Sonntage ein Huhn im Topf habe, gesprächige Antwort und merkte lange nichts. Endlich aber, als er doch sah, wie sich alle Fenster öffneten und alle Strassen mit Leuten sich füllten und alles rechts und links auswich und ehrerbietig das Haupt entblösst hatte, ging ihm ein Licht auf. »Herr«, sagte er und schaute seinen unbekannten Begleiter mit Bedenklichkeit und Zweifel an, »entweder seid Ihr der König oder ich bin's. Denn wir zwei haben noch allein die Hüte auf dem Kopf.« Da lächelte der König und sagte: »Ich bin's. Wenn Ihr Euer Rösslein eingestellt und Euer Geschäft versorgt habt«, sagte er, »so kommt zu mir in mein Schloss. Ich will Euch alsdann mit einem Mittagssüpplein aufwarten und Euch auch meinen Ludwig zeigen.«

Von dieser Geschichte her rührt das Sprichwort, wenn jemand in einer Gesellschaft aus Vergessenheit oder Unverstand den Hut allein auf dem Kopf behält, dass man ihn fragt: »Seid Ihr der König oder der Bauer?«

 


 


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